Friedrich Hebbel
Der Diamant
Friedrich Hebbel

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Der Diamant

Eine Komödie

Personen:

        Der König.
Die Königin.
Die Prinzessin.
Der Prinz.
Der Graf, sein Vertrauter.
Hofdamen und Kavaliere.
Jakob, ein Bauer.
Barbara, seine Frau.
Benjamin, ein Jude.
Kilian, ein Richter.
Doktor Pfeffer.
Meister Block, sein Wirt.
Schlüter, Gefängniswärter.
Jörg, ein Bauer.
Ein Jäger.

Erster Akt.

Erste Szene.

Bauernstube. Jakob und Barbara.

Barbara. Ein für allemal. Wir sind arme Leute und haben gar nicht das Recht, barmherzig zu sein. Durch unsre Wohltaten können wir uns selbst wohl auf den Hund bringen, aber niemanden auf die Beine helfen.

Jakob. Hättest du den armen Menschen mit seinem Stelzfuß gesehen, du hättest ihm auch die Tür aufgemacht. Die Zähne klapperten ihm vor Frost, und doch war es so heiß, daß ein anderer gern sein Hemd ausgezogen hätte. Der Tod sah ihm aus den Augen.

Barbara. Das ist noch das beste, daß er so schnell gestorben ist. Ich kochte ihm bei seinem eignen Bein die letzte Suppe, aber er hat sie nicht mehr gegessen.

Jakob. Bei seinem eignen Bein?

Barbara. Bei dem Stelzfuß, ja. Das war wohl zu sehen, daß er nicht wieder aufkommen würde, und woher sollte ich Holz nehmen? Auch fragte ich ihn und er sagte nicht Nein!

Jakob. Er sprach ja gar nicht. Nun liegt er im Grabe.

Barbara. Jawohl, und um ihn dahin zu befördern, haben wir Schulden machen müssen. Hättest du nicht für Branntewein und Tabak gesorgt, du hättest keinen einzigen Totenträger gefunden.

Jakob. Das wird bezahl werden.

Barbara. Auf Kosten des Kindes, das ich unter dem Herzen trage. Und einen unverschämteren Toten habe ich noch nie gesehen. Brauchte er nicht einen Sarg, noch einmal so lang, als du ihn brauchen wirst? Und du bist doch auch kein Zwerg, kein Kriech unter den Busch! Man fand dich nicht zu klein, als man die Soldaten für den Krieg aushob.

Jakob. Schweig nur endlich. Hat er dir denn etwa gar nichts ins Haus gebracht? Unter seinen Kleidungsstücken ist bei schlechtem Wetter noch dies und das brauchbar, besonders das große, bunte Tuch. Sieh da, das trägst du schon selbst um den Hals!

Barbara. Mich ärgern die hochmütigen Reden, die er zuletzt führte. Wir würden mehr bei ihm finde, als wir dächten! Dabei zeigte er auf seine Brust und sprach: die Tochter des Königs hat's mir gegeben! Ich dachte: dort hat er in der wollenen Jacke so viel eingenäht, daß man ihn dafür unter die Erde bringen kann. Als er tot war, untersuchte ich die Sache. Aber was fand ich? Keinen goldenen Dukaten, wie ihn vielleicht Prinzessinnen, wenn sie mit Sechsen vorüberfahren, aus der Kutsche einem lahmen Bettler zuwerfen, nicht einmal einen harten Taler, wie ich doch zum allerwenigsten erwartet hatte, sondern einen Stein!

Jakob. Einen Stein?

Barbara. Nichts anderes.

Jakob. Davon hast du mir ja kein Wort gesagt.

Barbara. Es verlohnte wohl auch der Mühe. Vor Wut über meine getäuschte Hoffnung warf ich ihn aus dem Fenster.

Jakob. Das war verkehrt.

Barbara. Nun, ich hab' ihn wieder aufgelesen, als ich nachher zum Wasserschöpfen ging, denn er funkelte gar zu prächtig im Sonnenschein. Es ist ja doch vielleicht ein Ding, womit man das Kind zum Schweigen bringt, wenn es schreit.

Jakob. Gibt ihn einmal her!

Barbara. Hol' ihn dir selbst, ich habe keine Zeit, ich muß in die Küche. Dort im Kasten liegt er, worin du deine rostigen Nägel aufbewahrst. (Ab.)

Zweite Szene.

Jakob (allein). Wer die sprechen hört, der sollte meinen, sie habe ein Herz mit einem Blitzableiter, wie vornehme Leute. Und doch ist sie eine so weiche Seele, wie eine, nur daß sie das Gute, das sie in der Übereilung tut, hinterher oft wieder bereut. Das ist ihr gar nicht so sehr zu verdenken, es ist ganz natürlich, daß uns das Brot einfällt, das wir weggegeben haben, wenn wir hungrig sind und den Brotschrank leer finden. Was mich betrifft, so bin ich selbst Soldat gewesen, und der Himmel hat mir meine gesunden Beine gelassen: wie könnt' ich ihm für seine Gnade besser danken, als dadurch, daß ich den Kameraden, dem Bonaparte sie wegschoß, bei mir aufnehme? (Er nimmt aus der Tischschieblade einen alten Kasten hervor.) Ei, das glänzt ja, wie Feuer! Man sollte glauben, es sei ein Edelstein! Doch nein, womit hat der Tote verdient, daß ich ihn noch im Grabe beleidige? Wär' dies ein Edelstein, so wär' er auch ebenso gewiß ein Dieb, denn das mit der Prinzessin – – (Er betrachtet den Stein.) Bei alledem, in unsern Steinbrüchen finden sich solche Prachtstücke nicht, man trifft dort nur bürgerliches Pack, Quarze, Kiesel und dergleichen, aber nichts, was schimmert und gleißt, als wär' es von der Sonne heruntergefallen! Geht dort nicht ein Jude? (Er sieht aus dem Fenster.) Der kommt zur rechten Zeit! (Er ruft.) Heda, Ihr, im blauen Rock, tretet einmal heran!

Dritte Szene.

Benjamin (tritt ein). Was beliebt?

Jakob. Was sagt Ihr zu diesem Stein?

Benjamin (betrachtet ihn, für sich). Ein Diamant! So gewiß, als ich keiner bin! Ist es denn möglich? Hier, wo selbst die Kupferdreier nur Sonntags einsprechen? Groß, wie ein Taubenei! Fleckenlos! Wer den hat, der braucht nichts weiter!

Jakob. Nun?

Benjamin. Den Stein habe ich schon gesehen!

Jakob. So? Wo denn?

Benjamin. Wo? Wo? Ei nun, eben da, wo Ihr ihn weggenommen habt.

Jakob. Ich? Euch soll ja der Teufel –

Benjamin. Nun, wenn Ihr es nicht tatet, so tat es –

Jakob. Der Soldat! Das lass' ich mir eher gefallen! Der ist tot! Wer ihn noch aufhängen wollte, käme zu spät!

Benjamin (den Stein in die Höhe haltend). Wer der Dieb auch sein mag, er war ein Tropf! Wo der Stein lag, lag Besseres. Nun, Ihr wollt das Ding verhandeln. Ich kann's brauchen. Zufälligerweise. Auf meinem Stock – seht her – fehlt das Knöpfchen. Der Stein paßt, ich nehme ihn!

Jakob. Und was gebt Ihr?

Benjamin. Ein Stück Silber, dreimal so groß, als der Stein!

(Er wirft einen Taler auf den Tisch.)

Jakob. Wer so viel gibt, der gibt auch mehr. Aber still! Hört Ihr nicht etwas?

Benjamin. Hühnergeschrei, weiter nichts.

Jakob. Richtig. Ein Huhn gackelt. Darauf warten wir schon drei Stunden, denn die Pfannkuchen – Frau!

Barbara (sieht in die Tür). Was rufst du? Du weißt, daß ich wasche!

Jakob. Hab' ich nicht gesagt, daß es zu Mittag noch Eier geben würde? Hörst du jetzt?

Barbara. Bring sie mir erst, dann will ich mich freuen. Wahrscheinlich ist's die gelbe, die legt die Eier immer weg. Weihnachten, so wahr ich lebe, soll sie in den Topf! (Ab.)

Jakob. Das ist wahr. Darum will ich suchen, solange das Gackeln noch dauert. Das zeigt die Stelle an. (Zu Benjamin.) Bleibt derweil und überlegt, ob Ihr hundert Taler aufbringen könnt. Ich diente im achten Bataillon. Da gab's keine Esel! (Ab.)

Vierte Szene.

Benjamin (ihm nachsehend). Man sieht's! Hundert Taler! Ja, wenn ich sie aufzutreiben wüßte, ich würde sie geben. Dann hätt' ich den Stein mit Ehren und mit Sicherheit. Aber selbst diesen einen Taler würd' ich haben, wenn ich nicht aus Versehen heut morgen die Hose meines Bruders angezogen und das Geldstück, nebst dem Schlüssel, womit er zu klimpern pflegt, in der Tasche gefunden hätte. Das kommt von der Ehrlichkeit! Hätt' ich gestohlen, gewuchert, betrogen, wie andere, so könnt' ich nun einen Handel machen, der mich auf Zeitlebens mit Reichtum überschütten würde. Aber man wollte besser sein, als Vater und Großvater, dafür steht man denn jetzt auch mit leerer Ficke da und erinnert sich all der schönen Gelegenheiten, wo man sie hätte füllen können, mit Ingrimm und Verdruß. Fehlte es mir etwa daran? Bin ich tugendhaft aus schnödem Mangel an Versuchung? Wahrlich, nein! Hat mir nicht einmal ein ehemaliger Schulkamerad den Schmuck, den er seiner Mutter entwendet hatte, anvertraut, ohne Empfangschein und alles, und hat er mir nicht sogar, als ich ihm den Schmuck wieder aushändigte und ihm dabei lächelnd bemerkte, daß ich ihn, wenn es mir beliebte, auch wohl behalten könnte, wegen dieses unschuldigen Worts undankbarerweise die Freundschaft aufgekündigt? Hab' ich nicht ein andermal mit höchster Geschicklichkeit in der Residenz auf der Messe einem Fremden die goldene Uhr aus der Tasche gezogen, und hab' ich sie ihm, weil mir plötzlich allerlei Edles und nebenbei auch der Galgen in den Sinn kam, nicht ebenso geschickt wieder hinten in die Rocktasche hineingeschoben und mich stolz von ihm abgewandt? Hätt' ich Schmuck und Uhr behalten und zu Gelde gemacht, so würde ich jetzt um hundert Taler nicht verlegen sein. Ehrlicher Name! Ich habe dich lange genug gemästet und bin mager geblieben, um dich fett zu machen, aber heute sollst du daran! Ich will sehen, ob du dir was auf die Rippen gefressen hast, ich will sehen, ob der Benjamin von gestern, der noch keinem Menschen was nahm, den Benjamin von heute, der, wenn er kein Narr ist, nicht ohne diesen Diamanten von hinnen gehen wird, mit dem Schild seines spiegelblanken Rufs gegen Verdacht und Anklage schützen kann. Oder soll ich das Glück auch diesmal von mir weisen, soll ich (Er tut's.) dem Edelstein den Rücken, und der blauen Luft das Gesicht zukehren? (Er wendet sich.) Nimmermehr! Meine Tugend würde vor Gott hinterdrein doch zunichte werden, denn ich würde sie bereuen, so oft ich geflickte Stiefel oder einen gestopften Rock anziehen müßte, und am Ende zwängen mich Hunger und Not, ein paar elende Pfenninge zu stehlen, um mir Brot zu kaufen, weil – hol' mich der Teufel, es wär' die verdiente Strafe dafür, daß ich den Diamanten nicht gestohlen hätte! Allerdings stiehlt keiner mit gutem Gewissen. Aber bin denn gerade ich derjenige, der beim Himmel keine Anleihe macht, der nicht die kleinste Schuld kontrahieren darf? Kann ich sie ihm nicht wieder abverdienen, kann ich nicht der Vater der Bedrängten werden, kann und nicht als Beschützer der Unschuld – Ha, Taten schweben mir vor! – Ein Schurke, der sie nicht ausführt, und also auch ein Schurke, der sich des Mittels nicht bemächtigt, ohne das sie unmöglich sind! Ich werde – – Ja, so wahr – Wozu prahlen und schwören? Wird's der Bauer etwa auch tun? Der Bauer, der den Willen gar nicht haben kann, weil er ja nicht einmal den Gedanken hat? Was steh' ich denn noch mit dummen krummen Fingern! Ist eine Sünde, die mit lauter Tugenden niederkommt, noch Sünde zu nennen? Wenn aber nicht das, was wäre sonst zu bedenken? Der Bauer darf nicht klagen, denn sein Huhn hat den Stein gewiß nicht aus Michels Misthaufen hervorgescharrt, und es heißt Dieb gegen Dieb. Nur eins ist zu befürchten, daß er mir nacheilt und mir das Kleinod wieder abjagt, denn meine Fäuste hat er mitbekommen, wie ich sein Gehirn. Doch, da ist zu helfen. (Er verschluckt den Diamant.) So. Holt er mich nun ein, so habe ich den Stein verloren. Was kann man nicht verlieren, wenn man Lunge und Leber ausnimmt? Ohnehin ist der Wald nah. Den Taler lass' ich liegen. Dann ist's immer noch eine Art von Kauf. Nun fort, aus dem Dorf, und, sobald als möglich, aus dem Lande heraus! (Ab.)

Fünfte Szene.

Jakob (tritt mit Eiern ein). Diesmal hätten wir den Marder betrogen. Da sind die Eier, noch warm, ein ganzes Nest voll. Aber, was ist das? Wo blieb der Jude? Frau! Frau!

Barbara (kommt). Was willst du?

Jakob. Ist der Jude draußen in der Küche bei dir?

Barbara. Dumme Frage! Was sollt' er da?

Jakob. Dann – Nein, ich weiß selbst nicht, soll ich fluchen und toben, oder soll ich jubeln und springen?

Barbara. Bist du verrückt?

Jakob. Wo ist mein Hut? (Er setzt ihn auf.) Falte die Hände, Weib, und danke Gott, ich habe keine Zeit dazu. Wo ist mein Stock? (Er nimmt ihn und schwingt ihn.) Drei Füchse hab' ich schon damit erlegt, der Jude soll der vierte sein! Ich schlag' ihn tot, wo ich ihn treffe! Das schwör' ich!

Barbara. Sei nicht töricht, Jakob. Du kannst kein Lamm abstechen, keinen Hammel, du bist mir der rechte Juden-Totschläger. Doch, ich kenne dich ja! Du warst im Schwören immer ein Türk, aber im Halten bist du ein frommer Christ.

Jakob (ohne auf sie zu hören). Daß dich! Nun, ich bin noch nicht zu alt fürs Glück. Vierzig Jahre – man kann noch manche gute Mahlzeit halten! Wär' ich sechzig, ich würde mir Haare aus dem Kopfe raufen? (Zu Barbara.) Lämmer! Das ist was anderes. Die Lämmer haben mir bis jetzt noch nichts entwendet. Hämmel! Kennst du Hämmel, die Steine einstecken? Zeig' sie mir! Ich würge sie, wie ich den Juden würge. (Er sieht den Taler auf dem Tisch.) Sieh da! Wart, Halunke! Damit werf' ich dir das erste Loch in den Kopf!

Barbara. Was ist's denn mit dem Stein, daß du dich so närrisch hast?

Jakob. Was mit dem Stein ist? Gib acht! Ich will's dir zeigen! (Er setzt sich gravitätisch in einen Lehnstuhl und nimmt eine befehlende Miene an.) Paul! – »Was befiehlt Herr Jakob?« – Nichts. Ich wollte nur sehen, ob du heute Baumwolle in den Ohren trägst oder nicht! – »So kann ich wieder gehen?« – Nein. Da du einmal hier bist, magst du bleiben. Gibt die Karten her und setz' dich zu mir an den Tisch. Wir wollen spielen! – »Ich habe kein Geld!« Nimm dir, du weißt, der Sack steht hinterm Ofen! – »Wie viel?« – Ich will's nicht wissen, du siehst, ich mache die Augen zu. Ich kann's dir ja wieder abgewinnen! –

Barbara. Hör' auf mit deinen Dummheiten!

Jakob. Nun kommst du. (Er setzt sich auf einen andern Stuhl.) Anna! – »Was soll ich, Frau Barbara?« – Wenn ein Hausierer kommt, laß ihn ja nicht vorüber! – »Ich will schon aufpassen!« – Die Menschen haben nur so selten gute Ware. Ich muß durchaus zur Stadt. Ist das Fleisch aufgesetzt? – »Noch nicht!« – Daß dich das Donnerwetter! Zu zwölf soll die Suppe auf dem Tisch sein. Nun, es ist dein eigner Schade. Ich wollte dir ein neues Kleid schenken, nun bekommst du bloß eine Schürze!

Barbara. Es ist wohl auch an der Schürze genug!

Jakob (steht auf). Gefällt dir das? Das hättest du für den Stein haben können!

Barbara. Für den Stein, den ich aus dem Fenster warf?

Jakob. Ja doch, ja, denn es war ein Edelstein, ein solcher, wie ihn der König auf der Krone trägt!

Barbara. Bild' dir nichts ein!

Jakob. Ich dachte es gleich, als ich ihn so blitzen sah, aber nun weiß ich es ganz gewiß. Der Jude hat ihn gestohlen, einen bessern Beweis brauch' ich nicht, wenn ich das zu einem Christen sage, so käuft er ihn im Finstern und gibt mir das Geld bei Licht! Und nun halt' mich nicht länger auf. In vier Wochen ist dein Geburtstag. Besinne dich auf deinen liebsten Wunsch, während ich fort bin, damit du mir ihn gleich sagen kannst, wenn ich wieder komme. Aber was Ordentliches! Nichts von einem neuen Band auf die Mütze, oder dergleichen! Wir sind jetzt reiche Leute! (Ab.)

Barbara. Sind wir das? Nun, dann will ich wahrhaftig nicht bei dem Band stehen bleiben, sondern mir gleich die Mütze selbst wünschen. Und an dem Tag, wo ich sie erhalte, will ich zum erstenmal wieder in den Spiegel blicken. Solange ich verheiratet bin, hab' ich das nicht mehr getan, denn solange hab' ich mir nichts Neues auf den Leib geschafft, und wie ein Faden nach dem andern abreißt, das mag der Teufel ansehen. Ich bin doch neugierig, wie alt ich geworden bin! (Ab.)

Sechste Szene.

Königliches Schloß. Zimmer der Prinzessin. Die Prinzessin auf einer Ottomane. König. Königin. Hofdamen. Kavaliere.

Königin. Wie ist dir, liebe Tochter?

Prinzessin. Wohl, Mutter. Besser, wie dir, denn du sorgst dich um mich.

Königin. Kind, daß du so an dir hältst, daß du eine Ruhe erheuchelst, die dir fern ist, das betrübt mich am meisten. Ich weiß, daß du tagelang in dich versenkt, wie ein Bild, dasitzen kannst, als ob du dich in den Fülle des Lebens auf nichts, als den Tod, zu besinnen wüßtest; aber sobald du mich kommen hörst, fährst du auf, greifst nach deiner Laute und singst den Schluß eines heitern Liedes, oder tändelst mit deinem Schmuck, deinen Blumen, ja, wenn ich dich überrasche, so stellst du dich, als ob du eben im linden Schlummer wärst, und lächelst, wie aus einem Traum heraus, mich an. Ich verstehe dich, ich erkenne den Adel deines Gemüts, das seinen Kummer vor mir zu verbergen sucht, weil ich ihn nicht teilen soll, aber du irrst, wenn du glaubst, daß ich zu täuschen sei, du wirst von Tag zu Tag bleicher, dein Auge strahlt in einem seltsamen Glanz, der mich erschreckt, deine Jugendblüte welkt. Was ist dir?

König. Sieh nicht vor dich nieder, Tochter, sieh deiner Mutter ins Angesicht, und dein Herz wird sich in Vertrauen lösen. Und wenn deines Vaters, wenn eines Mannes Gegenwart dich ängstigt, so sprich nur ein Wort, und ich ziehe mich zurück.

Prinzessin. O meine Teuersten, diese Teilnahme, diese Güte rührt und beschämt mich, aber warum mich zum Reden zwingen! Ja, ich gesteh's, ich habe in die Zukunft einen schaudernden Blick getan, ich habe das Notwendige, das Unabänderliche erkannt, und dies Bewußtsein des Kommenden zehrt, wie ein Brand, an meinem Innersten. Aber soll ich mit diesem Brand die Welt meiner Liebsten und Nächsten, die sich still in schönem Frieden um mich herumbewegt, entzünden, soll ich gleich jenen bacchantischen Weissagerinnen des Altertums die Lust des heutigen Tages ersticken, ohne doch das Schicksal des morgenden abwenden zu können; soll ich ihn nicht vielmehr tief in meine Seele verschließen? Dränge sich denn in den finstern Kreis, der sich um mich herumgezogen, der mich geheimnisvoll von der Welt, von euch, von allem, was ich liebte und verehrte, abgeschieden hat, so daß mir schon zuweilen ist, als könnte euch mein Auge nicht mehr erkennen, meine Hand nicht mehr erreichen, keiner hinein; wir alle sind Opfer, o Gott, ich weiß es ja, aber vielleicht bin ich das einzige, welches dazu verdammt wurde, den Todesstreich schon zu fühlen, bevor er noch trifft.

Königin. Tochter!

König. Sie träumt! Forschen wir nicht weiter, und suchen wir nach und nach aus Andeutungen, die ihr unbewußt entfallen, zu erfahren, was ihr Gemüt so wunderbar bewegt. Wer den Menschen zwingt, unter sich selbst hinabzuschauen und das schmale Fundament seines Daseins ins Auge zu fassen, um Rechenschaft davon zu geben, kann ihn für ewig verwirren. Sie ist, wie ein nur halb gebornes Wesen, das alle Zuckungen der Natur noch mitfühlt, das sich vor dem Licht der Sterne öffnet, und vor dem der Sonne verschließt. War sie doch schon als Kind nur nachts in ihrem Schlummer rot und blühend und bei Tage farblos und blaß.

Königin. Ach ja, und ihr Schlaf, ihr tiefer, tiefer Totenschlaf! Oft habe ich sie mit einem zitternden Kuß geweckt, weil ich zweifelte, ob sie noch lebe.

König. Und hielten wir sie nicht lange für stumm, weil sie all ihr Denken und Wollen, bis in ihr drittes, viertes Jahr hinein, nur durch Blicke, durch Mienen und Gebärden ausdrückte?

Königin. Aber als ich mich einmal, von Schmerz überwältigt, über die Spielende hinbeugte und unter heißen Tränen ausrief: o Kind, wie unglücklich bin ich, daß du nicht sprechen kannst! wie hängte sie sich da schmeichelnd an meinen Hals und sagte mit einer Glockenstimme: ich kann ja! ich kann ja!

König. Darum wollen wir uns auch jetzt beruhigen. Sie geriet noch, solange sie lebt, aus einer phantastischen Region in die andere hinein, es scheint, als ob die Grenze zwischen den wirklichen und den eingebildeten Dingen für sie nicht da ist, ab sie wird aufhören, zu träumen, sobald sie Pflichten zu erfüllen hat, und es ist ein Glück, daß die Bewerbung des Prinzen gerade jetzt kommt. Er wird schon mit Ungeduld harren. Prinzessin!

Königin. Verschonen wir sie nicht noch?

König. Mit allem, nur nicht mit der Arznei! (Zur Prinzessin.) Der Prinz wünscht, Ihnen seine Aufwartung zu machen.

Prinzessin. Mir, mein Vater? Ich –ich bin aber krank!

Königin. Deine Stunde schlägt, mein Kind!

Prinzessin. Wie, Mutter, versteh' ich?

Königin. Du trittst in wenig Tagen in dein fünfzehntes Jahr!

Prinzessin. Und – O Mutter, das hättest du mir auch wohl – – Doch nein, vergib, ich hab' unrecht mit diesem Vorwurf, ich habe dich nur nicht verstanden, als du neulich – (Sie bricht ab, nach einer Pause fest und entschieden.) Der Prinz mag kommen!

König (\1)(gibt einen Befehl, ein Kavalier geht ab, gleich darauf treten der Prinz und der Graf ein).

König. Prinzessin, Ihr Bräutigam! Prinz, Ihre Braut!

Prinz. Welche himmlische Schönheit! (Zum Grafen.) Nein, Graf, das Gemälde, das Sie mir überbrachten, ließ mich viel erwarten, aber wie tief blieb meine Erwartung unter der Erfüllung! Der Maler verdient keinen Lohn! Und doch! Doch! Für seine Kühnheit! (Zu der Prinzessin.) Wenn ich vor so viel Zauber und Liebreiz zu verstummen scheine, so ist es nur, weil ich durch den vollen Ausdruck meines Gefühls zu verletzen fürchte, und weil doch nur die Wahl bleibt, ob ich ganz schweigen, oder mein Gefühl ganz ausbrechen will!

Prinzessin (sich hoch aufrichtend.) Prinz, haben Sie den Mut, sich mit einer Sterbenden zu vermählen? Wollen Sie den Tod, der sich mit Rosen bekränzt hat, in die Arme schließen?

Königin. Welch ein Wort!

Prinzessin. Der entscheidende Moment ist da, ich darf es nicht länger verbergen! (Zum König.) Sie mein Vater, legten den verhängnisvollen Diamant, an den sich das Schicksal unsers Hauses knüpft, in meine Hände –

König. Weil ihn von jeher die älteste Prinzessin bewahrte!

Prinzessin. Ich hab' ihn nicht mehr!

König (erschüttert). Unglückli– (sich beherrschend.) Er wird sich wieder finden!

Prinzessin. Nie, o nie, der Geist, der ihn dem Ersten unsres Stammes gab, hat ihn von der Letzten, denn das bin ich, selbst zurückgefordert!

König (für sich). Ist, was ich schon oft befürchtete, eingetroffen? Ist sie wahnsinnig geworden? (Zum Prinzen.) Mein Prinz, die Prinzessin scheint krank zu sein, oder vielmehr, sie scheint sich von ihrer Krankheit noch nicht so weit erholt zu haben, als ihre Mutter glaubte. Eine andere Stunde –

Prinz. Ich bin unendlich betrübt! (Will abgehen.)

Prinzessin. Nein, Prinz, bleiben Sie! Es ist mir von hohem Wert, daß auch Sie vernehmen, was ich zu verkünden habe. Sie, mein Vater, haben mir die Sage von dem Diamanten, an demselben Tage, wo Sie mir den edlen Stein übergaben, mitgeteilt und unauslöschlich hat sie sich mir eingeprägt. Dennoch möchte ich Sie um die Gnade bitten, sie zu wiederholen, damit Sie alle sich überzeugen, wie genau jeder Umstand mit dem, was ich erlebte, übereinstimmt!

König (halb zum Prinzen gewandt). Ich weiß nicht, mein Prinz, wie weit Sie die Schwäche teilen oder begreifen, die, ich will es gestehen, auch mich auf einen Stein, an den sich viel Mystisches knüpft, einen höheren Wert legen läßt, als der Juwelier, der ihn abschätzt, billigen mag. Lächeln Sie, aber hören Sie! Als Kaiser Friedrich Barbarossa nach Italien zog, um das trotzige Mailand vom Erdkreis zu vertilgen, da hatte sich ihm auch der Stammherr unser Geschlechts mit seinen Scharen angeschlossen. Wie Friedrich in Italien hauste, das hat die Geschichte nicht vergessen, der große Kaiser glaubte, daß nie zu wenig, immer zu viel Menschen auf Erden seien, er schonte nicht Land, noch Leute, in seiner Nähe verstummten Mitleid und Barmherzigkeit, wie Kinder, die etwas Törichtes wollen, vor einem ernsten Blick. Einst, in der Dämmerung, ritt mein Ahn dem gewaltigen Kaiser zur Seite, Friedrich, mitteilender, wie sonst, ließ manchen Wink fallen, der wetterleuchtend die Gewitter der Zukunft verkündigte, mein Ahn sah in eine Welt voll Blut und Grausen hinein. Da trat auf einmal den beiden einsamen Reitern eine Jammergestalt in den Weg. Es war ein verstümmelter Soldat. Aus hohlen Augen blickend und statt der Hand den Stumpf des linken Arms erhebend, sah er den Kaiser an, mit der rechten Hand hielt er mühsam den Stab fest, auf den er sich stützte, weil das Bein ihm fehlte. Friedrich winkte ihm, auf die Seite zu gehen, aber der Soldat warf sich, statt zu gehorchen, quer vor die Pferde nieder. Friedrich ritt gelassen über ihn hinweg und setzte das Gespräch fort, mein Ahn, schaudernd, nahm einen Umweg. Plötzlich stand die Gestalt wieder vor ihnen, aber verwandelt, riesig und wild; sie griff dem Kaiser in die Zügel und rief ihm ein Wort zu, dann wandte sie sich zu meinem Ahn und sprach: Du hast gezeigt, daß du ein Mensch geblieben bist, nimm diesen Diamanten zum Lohn! Solange er bei deinem Hause bleibt, ist das Glück dir und deinen Nachkommen treu; dem letzten deines Stamms werde ich selbst ihn wieder abfordern. Der Kaiser, der erst still geworden war, lachte, als er sah, daß mein Ahn den Stein einsteckte. Zu Euch – rief er – hat der Prophet deutlich gesprochen, uns hat er bloß ein unverständliches Wort zugeraunt, das Wort Kalykidnos! Es ist der Name deines letzten Feindes! sprach die Gestalt und verschwand. Sie lächeln nicht, Prinz? Fällt Ihnen ein, daß Kaiser Friedrich im Bach Kalykidnos ertrunken ist?

Prinzessin. Nun hören Sie mich, mein Vater! Schon in jener Stunde, wo Sie mir dies alles mitteilten und wo ich den geheimnisvollen Stein zum erstenmal berührte, ging mir, wie von ihm ausströmend, ein Todesschauer durch die Seele, und jeder Blutstropfe, gefrierend und langsamer dahinrollend, ließ mich fühlen: du bist die letzte deines Stamms! Mir war, als ob er mein Leben, mein Blut, einsöge, ich verbarg ihn auf meiner Brust und dachte: er wird rot aussehen, wenn du ihn wieder hervorziehst! Wie oft sah ich seitdem im Traum die Gestalt vor mir stehen, die das Pfand des Glücks stumm und ernst zurückforderte. Vor vierzehn Tagen saß ich allein, ohne meine Frauen, in einer Gartenlaube, ich hielt den Diamant in der Hand, die Sonne sank, er funkelte, wie ein Auge, in ihrem verdämmernden Scheidestrahl. Ich betrachtete ihn lange und dachte an den Geist; als ich aufsah, stand der Geist vor mir!

König. Der Geist?

Prinzessin. Ganz, wie Sie ihn beschrieben, wie ihn der Ahnherr sah. Ein Verstümmelter, ohne Bein, aus hohlen Augen blickend, kein Wort, keinen Laut von sich gebend, eine Grauengestalt, nicht tot, nicht lebendig. Stumm, wie er vor mir stand, von Entsetzen überwältigt, warf ich ihm den Diamanten zu, bewußtlos, als hätt' ich ihm mein Leben selbst hingeworfen, sank ich zurück, und als ich wieder erwachte, war er spurlos verschwunden. Aber seit jenem Abend ist mir zumut, als wär' ich eigentlich schon tot, und das weiß ich, daß ich es bald, sehr bald sein werde. Denn wer sah einen Boten aus jener Welt, und mußte ihm nicht folgen! Mutter –

(Sie wird ohnmächtig, die Königin empfängt sie in ihren Armen.)

König (für sich). Wäre das mehr als Traum und Einbildung? Die Krone schwankt auf meinem Haupt, wenn ich's nur denke. Nein, es ist keine Wahrheit, es soll keine sein! (Laut.) Hier ist ein ungeheurer Betrug gespielt worden, ein höchst strafbarer, den wir aber, um den Diamant nur wieder zu bekommen, auf sich beruhen lassen müssen. (Er sinnt; dann plötzlich.) So sei's! Das letzte und äußerste Mittel sei das erste, das in diesem dringenden Fall ergriffen wird. (Gegen die Kavaliere.) Es werde sogleich bekannt gemacht, daß ich den Stein einem jeden, der ihn bringt, mit einer halben Million bezahlen, und das Verbrechen, wodurch er ihn erlangt haben mag, gar nicht ahnden, ja nicht einmal darnach forschen will!

(Ab mit Gefolge.)


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