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Vierundzwanzigstes Kapitel

Nun folgten für das Haus Thorn sehr erhebende, tief zu Gemüt gehende Tage. Ergreifend gestaltete sich die Zeremonie, als Ulrich nach erfolgter Verständigung der zukünftigen Schwiegereltern im Hause erschien, um um die Hand Lises anzuhalten. Vater Thorn hielt eine große Rede, die aber zur innigen Freude der Anwesenden bald durch Schluchzen unterbrochen wurde, nämlich durch das Schluchzen des Brautvaters, der bei dem neuerlichen Vortrag des Passus: »er lege sein Kind in die Arme eines Fremden«,! selbst so gerührt wurde, daß er jämmerlich zu heulen anfing.

Nach einigen Tagen stellte sich Lises zukünftiger Schwiegervater ein, um die Braut zu begrüßen. Ihm wurde ein solenner Empfang bereitet. Frau Charlotte hatte eine Scheuerfrau aufgenommen, mit deren Hilfe die Wohnung in einen derart blanken und funkelnden Zustand versetzt wurde, der einfach noch nicht da gewesen war.

Dieser Begrüßungsabend erhielt dadurch eine besondere Weihe, daß nun zwei da waren, die gern Reden hielten und es nicht konnten.

Der Herr Bürgermeister erklärte, mit seiner zukünftigen Schwiegertochter äußerst zufrieden zu sein und der Herr Oberrechnungsrat hielt Ulrich eine Lobrede nach der anderen.

Für die Liebenden folgten glückliche Tage. Abend für Abend saß nun Ulrich im trauten Thornschen Familienkreise, und wenn fünf Minuten vor zehn aus dem dunklen Vorzimmer die wohlgesetzten Abschiedsküsse des Brautpaares in das Zimmer klangen, dann sahen sich die alten Eltern mit glücklichen Blicken an, und Vater Thorn zerdrückte eine Träne in seinem Auge, eine Träne, die dem eigenen Glück der Jugend galt.

Thorn konnte es sich gar nicht mehr vorstellen, daß auch er einst Frau Charlotte so heiß geküßt hatte.

Freund Breuer war wieder verreist.

»Es möchte mir doch weh tun, wenn ich jeden Abend die beiden beieinander sitzen sähe!« hatte er bei seinem Abschied zu Dr. Thorn gesagt.

»Na, jetzt wird doch Ruhe sein mit diesen dummen Geschichten. Wenn mir die zwei wieder mit ihren Angelegenheiten kommen, werf ich sie jetzt einfach hinaus. In einen stillen Lebensabend paßt ein Liebesfrühling nicht, er bringt riesig viel Unruhe mit«, hatte Dr. Thorn erwidert.

Trotz dieses ernsthaften Vorsatzes füllte sich zwei Jahre später Dr. Thorns Haus wieder mit sehr viel Unruhe, ja sogar mit Hochzeitprangen und Hochzeitjubel und festlichen Gästen, wie der alte Meister Goethe so lieblich sagt. Der Herr Bürgermeister hatte es sich ausbedungen, daß die Trauung des Paares in St. Ruprecht stattfinde.

Ich will hier nicht weiter schildern, wie selig Ulrich an der Seite seiner holden Elsa, wie stolz der Herr Bürgermeister und der Brautvater zur kleinen Dorfkirche schritten. Frau Charlotte trug ein prachtvolles neues Seidenkleid, und Onkel Gustav hatte sich auf ausdrückliches Begehren des Bruders und auf die dringende Mahnung des Bürgermeisters mit seinem Orden geschmückt.

Der ganze Ort war auf, und obwohl die Hochzeit an einem gewöhnlichen Werktage stattfand, erfüllte die Kirche eine nie dagewesene Menschenmenge. St. Ruprecht hatte sich einen Feiertag gemacht, alle Arbeit ruhte.

Das Hochzeitsmahl fand im großen Saale des Gemeindegasthauses statt.

Die Hochzeitsreden waren großartig. Die erste hielt der Pfarrer auf den Text: »Die Wege des Herrn sind unerforschlich.« Er schilderte, wie einst Ulrich einem anderen Beruf sich widmete, wie aber göttliche Fügung ihm einen neuen Weg gewiesen habe. Er schloß mit dem innigen Wunsche, der Ewige möge ihm auch auf diesem neuen Wege seinen Beistand leihen:

Allgemeine Rührung folgte der Rede-, die Damen schluchzten, der Bürgermeister und der Brautvater trockneten sich die Tränen.

Auch Dr. Thorn brachte ein Hoch aus. Seine Rede klang sehr humoristisch. Er wünschte sich und seinem Bruder dazu Glück, daß dieser nur eine Tochter habe.

»Sie hat mir meinen ruhig behäbigen Lebensabend gründlich, gestört. Aber um der heutigen Störung willen vergeß ich ihr das und sage sogar, daß mir mein sonst so stilles Heim nun noch viel trauter und werter geworden ist, da sich darin zwei gute, treffliche Menschen zum Bunde fürs ganze Lehen gefunden haben.«

Auch der Bürgermeister hielt eine Rede, in der er mitteilte, daß sein vielgeprüftes Vaterherz heute eine sehr frohe Stunde erlebe, und Vater Thorn sprach in großartigen Worten seine tiefe Befriedigung über den Verlauf der Angelegenheit aus.

»Heute verzeihe ich meinem Bruder alles! ...« rief er pathetisch, wurde aber in diesem Moment von Frau Charlotte mit Macht an den Frackschößen auf den Sessel niedergezogen. Die Hochzeitsgesellschaft brachte ein brausendes Hoch auf Dr. Thorn aus, und so blieb die unangenehme Szene ziemlich unbemerkt.

Um halb acht Uhr begaben sich die Neuvermählten, begleitet vom größten Teil der Gesellschaft, zum Bahnhof, um die Hochzeitsreise anzutreten.

Der Abschied war sehr rührend. Vater Thorn winkte, solange der Zug in Sicht war, mit seinem Taschentuche und sagte mit weinenden Augen: »Fahr' wohl, mein Kind!«

Er hatte nämlich schon ziemlich viel Wein getrunken.

»An einen hab' ich heut' immer denken müssen«, sagte Gustav zu Frau Pauline, als sie endlich zu später Stunde daheim angelangt waren: »An Breuer!«

»Jawohl«, sagte er, »der sitzt jetzt einsam irgendwo in weiter Welt und denkt mit tausend Gedanken daher. Es ist ein Unsinn: Wenn man im Leben glücklich sein will, muß man es verstehen, still am Leben vorbeizugehen, so wie ich es tue. Wenn mir jetzt noch jemand herkommt in meine Einsamkeit, schmeiß ich ihn hinaus! Breuer war ein Esel – aber ich weiß, was ich tu'. Ich werd' ihm schreiben, er soll hierherkommen. Er soll sich da ankaufen. Herrgott, das wird ein Leben werden – ein schönes, ruhiges – ganz so, wie es der Virgilius beschrieben hat. Und seine Seele wird wieder gesund werden.«

Und es ist auch so gekommen. Herr Breuer bewohnt jetzt mit seiner alten Wirtschafterin ein sehr hübsches Haus mit einem riesigen Garten in St. Ruprecht. Die beiden Herren sind alle Tage beisammen. Einmal hat Gustav dringendst einen Nachmittag bei Breuer im Garten zu tun, und des anderen Tages ist Breuer riesig in der Besitzung des Herrn Dr. Thorn beschäftigt. Sie gehen stets zusammen auf die Jagd, und Freund Breuer hat im Forellenfischen bereits eine solche Geschicklichkeit erlangt, daß er darin sogar seinen Herrn und Meister übertrifft.

Eugen besucht bereits die Hochschule für Bodenkultur und verbringt seine Ferien zumeist bei Onkel Gustav. Er ist ein hübscher, stattlicher Junge geworden, voll Begeisterung für seinen Beruf und voll Liebe zu »Onkel Breuer«, wie er ihn heißt, und zu Onkel Gustav.

Jedes Jahr kommt Ulrich mit seiner Frau nach Sankt Ruprecht zu Besuch. Sie wohnen beim Herrn Bürgermeister, und die Gemeinde genießt dann den lieblichen Anblick, die Obrigkeit, einen kleinen, strampelnden Buben auf dem Arm, im Garten herumspazieren zu sehen. Dann ist gewöhnlich auch Frau Charlotte da, denn jungen Frauen ist der Rat der erfahrenen Mutter sehr notwendig. Vater Thorn erscheint auch, kommt aber selten zu Bruder Gustav.

»Er ist ein Querkopf ... ich kann mich in seine Grillen nicht finden«, sagte er.

Eines schönen Frühlingsabends sitzen im Hofe unter dem großen vielblütigen Kastanienbaum Onkel Gustav, Frau Pauline, Breuer, Ulrich und Frau Lise, die ihren zappelnden Kleinen mit Mühe auf dem Schoß erhält, friedlich beisammen und reden, von den vergangenen Zweiten. Der stille Schimmer der scheidenden Sonne liegt auf dem Laub des großen Nußbaumes und auf der Wand, die mit Schlingrosen überwuchert, in purpurnem Schein leuchtet.

»Es ist doch ein schöner Abend geworden«, sagt Ulrich, »nachmittags hat's ganz greulich ausgesehen ... und dieser Sturm!«

»Ja ... es ist still und ruhig geworden«, sagt Onkel Gustav, »... trotz Sturm und Wolken. Ein schöner – ruhiger – friedlicher Abend – nicht wahr – Freund Breuer?«

Breuer lächelte still vor sich hin.

»Ja ... es ist ein stiller, ruhiger Abend geworden durch dich ... ich dank dir, teurer Freund«, sagte er und drückt innig seine Hand.

Ulrich und Lise sehen sich schweigend an. Durch ihre Seele geht die wehe Erinnerung, nach welchem Herzenssturm für den Teuren dieser späte Lebensfrieden gekommen ist.


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