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Drittes Kapitel

Dr. Thorn und Frau Pauline saßen stumm im Wagen nebeneinander.

»Hätten wir nicht doch Charlotte und Eugen einladen sollen, auf das Land zu kommen?« fragte ganz ernsthaft Gustav.

»Ich danke«, sagte ruhig Frau Pauline.

»Ja, wir werden es schön haben«, fing Gustav wieder zu schwärmen an, »jetzt, nachdem ich meinen Bruder besucht habe, sehe ich erst ein, wie glücklich wir sind, Pauline.«

»Was es nur mit dem Kleide, von dem Elise gesprochen hat, für eine Bewandtnis haben muß?« fragte Frau Pauline.

Dr. Thorn zuckte die Achseln.

»Soweit ich den LackI kenne, steckt sicher irgendeine Spitzbüberei Eugens dahinter. Um Lisel ist mir leid, die arme Kleine verkommt unter denen. O, wie schön wird es da draußen sein, nur Licht und Glanz, Lust und Freude und stille, wohltuende Behaglichkeit.«

Im Hotel wurde genachtmahlt. Gustav war in angeregtester Stimmung. Er traf zwei Bekannte aus dem Amt, und in längerer begeisterter Rede entwickelte er ihnen sein glänzendes Zukunftsprogramm.

Um halb elf Uhr begab sich Frau Pauline in ihr Zimmer.

Gustav blieb noch eine Weile sitzen; sein Herz war so warm geworden, daß er den beiden Herren noch einen Abschiedstrunk offerierte, Gumpoldskirchner von der besten Sorte.

Die Dinge nahmen eine fröhliche Entwicklung. Dr. Thorn ward so aufgeräumt, plauderte, lachte, ja, er versuchte sogar zu singen, daß die anderen Wirtshausgäste ganz vergnügt auf den lustigen alten Herrn mit der goldenen Brille und den roten Wangen hinsahen.

»Das Ende war gut«, sagte Dr. Thorn zu sich, als er in mitternächtiger Stunde sein Schlafgemach im Hotel aufsuchte, »hoffentlich wird der Anfang morgen auch sehr gut sein. Noch eine Nacht – sie wird kurz sein, Bettschwere ist in genügendem Maße vorhanden.«

Mit Rücksicht auf die in »genügendem Maß vorhandene Bettschwere« läutete er vorsichtshalber doch noch einmal dem Zimmerkellner und gab ihm, als er erschien, in liebreichen Worten den strengen Auftrag, ihn ja morgen um dreiviertel sechs Uhr zu wecken.

Der nächste Morgen ließ sich für Herrn Dr. Thorn zuerst etwas mißlich an. Die Bettschwere vom vorigen Abend hatte sich während der Nacht im Kopfe festgesetzt. Nur der Gedanke, daß es nun hinausgehe in die sonnige Freiheit, in sein Heim ... in jenen gesegneten Ort, wo er, wie er so oft pathetisch ausgedrückt hatte: »auf freiem Grund als freier Mensch stehen werde«, hielt ihn aufrecht. Nachdem ihm Schwester Pauline ein Aspirinpulver gereicht hatte, begannen die Schatten des gestrigen Abends zu schwinden, und als der Wagen am Bahnhof landete, sah Herr Dr. Thorn schon wieder sehr fröhlich in die Welt hinein.

Als sie im Zuge in die Nähe ihrer zukünftigen Heimat kamen, unterließ es Dr. Thorn nicht, der Schwester jedes Dorf, jeden Weiler zu nennen, der vom Waggon aus sichtbar wurde. Und er zeigte eine erstaunliche Ortskenntnis. Er hatte sich diese im Laufe der zwei Jahre erworben, da er zu öfteren Malen wegen des Hausbaues in St. Ruprecht zu tun gehabt hatte.

»Und siehst du ... dort fängt mein Revier an ... und jetzt ... die Brücke führt über meinen Forellenbach ... aber da sind keine Forellen mehr darinnen ... denn zehn Minuten weiter oben hat ein Gerber sein Atelier, und die Forellen sind durchaus keine Freunde von Tannin und Gerbsäure. Und da, da ... siehst du dort die drei Hügel ... ich wette, das sind Tumuli ... dort werde ich graben lassen, bei dem Bürgermeister habe ich mich bereits wegen der Bewilligung erkundigt ... man wird mir nicht das geringste Hindernis in den Weg legen.«

So plauderte er unablässig fort, voll Freude, munter, wie ein Schuljunge, der auf Ferien geht.

Im Bahnhof ward ihm eine große Enttäuschung zuteil. Er hatte geglaubt, die Freunde würden ihn alle dort erwarten. Niemand war da, ein Diener, den er gar nicht kannte, nahm ihm die Fahrkarten ab. Eben, als er mit Pauline den Perron verließ, entdeckte er, daß der Stationsvorstand in fluchtartiger Eile sich aus dem Bahnhofgebäude entfernte.

Mißmutig schüttelte er den Kopf.

»Das ist nicht schön!« brummte er vor sich hin.

Wortkarg ging er neben Pauline in den Markt hinein. Ein Bahnbediensteter führte ihm in einem Schiebkarren das Reisegepäck nach.

Frau Pauline war sehr erschrocken.

Aber sein Mißmut schwand, als er in die Nähe des Hauses kam. Dort standen sie ja alle, schon aus weiter Ferne winkten sie ihm zu. Auf einmal huschten dort zwei weiße Rauchwolken empor – zwei kurze Detonationen folgten nach.

»Es sind blinde Schüsse!« beruhigte Gustav. »Der Förster und der Heger waren es. Und jetzt seh' ich auch die anderen. Dort der kleine Dicke, das ist der Herr Bürgermeister und – welche Ehre – auch der Herr Pfarrer sind erschienen; und dort der mit der Glatze, wie eine Tonsur schaut sie aus, eine lange Pfeife raucht er, das ist der Oberlehrer. Auch der Herr Postmeister ist da, und Donnerwetter, der Stationsvorstand, er hat wegen meiner Ankunft seine Amtspflichten versäumt.«

Die beiden waren noch fünfzig Schritte vom Hause entfernt, da erklang schon aus der Gesellschaft ein donnerndes Hurra, Hoch! Die Gewehre krachten noch einmal, und es fehlte nur, daß der Herr Pfarrer Befehl gegeben hätte, alle Glocken läuten zu lassen.

Der Empfang war ein ungemein herzlicher. Frau Pauline wurde mit möglichster Eleganz, so weit diese Eigenschaft den Freunden Dr. Thorns zu Gebote stand, bewillkommt. Gustav wurde etwas burschikos begrüßt, wie sich's für solche alte Knaben geziemt.

Die Herren traten durch den mit einem Laufteppich bedeckten Flur in den Hofraum ein, dessen Mitte ein riesiger Kastanienbaum schmückte. Im kühlen Schatten stand ein weißgedeckter Tisch, darauf in einem Kübel voll Eis eine stattliche Weinflasche, und um das Kühlgerät herum waren feingeschliffene Weingläser geschmackvoll arrangiert. Der Herr Bürgermeister zog die Flasche aus dem Kübel, goldiger Schein flog über die Tische, und als die Gläser gefüllt waren, bot das Arrangement einen ungemein prachtvollen und herzerhebenden Anblick.

»Ich bitte die Herrschaften, die Gläser in die Hand zu nehmen«, gebot die weltliche Obrigkeit. Dann trat der Herr Pfarrer vor. Die Herren entblößten in alter Gewohnheit das Haupt.

»Meine lieben Freunde!« begann der alte, würdige Herr, »es ist uns Freude widerfahren, nicht nur unserem kleinen Freundeskreise, nein, auch unserer Gemeinde. Einen guten, klugen, fröhlichen Mann uns zu eigen zu wissen, ist ein großer Gewinn. Er mehrt unsere Freude in den schönen Tagen des Glückes und mildert die Tage der Trauer durch weisen Rat und fröhlichen Zuspruch. Möge Ihnen, Herr Dr. Thorn, durch die Güte des Allmächtigen beschieden sein, lange Jahre voll stillen, behaglichen Glückes in diesen Räumen, die Sie sich für den Abend Ihres Lebens erbaut haben, zu verleben, und mag es Ihnen, gnädige Frau, hier gelingen, in dem stillen, truglos gleitenden Leben das herbe Leid zu verwinden, das Sie in der Großstadt erlitten. Und noch eine Bitte, Herr Dr. Thorn: bleiben Sie uns immerdar ein wohlgesinnter, fröhlicher Freund« – Dr. Thorn reichte gerührt dem Herrn Pfarrer die Hand – »und nun, meine Herren, lassen Sie die Gläser aneinanderklingen zur Begrüßung unseres Freundes in der neuen Heimat. Gott segne, schütze und bewahre ihn, seine Lieben und sein neues Heim!«

Die Gläser klangen aneinander, unzählige Heils, Prosits und Willkommen erklangen.

Der Förster wollte eine Ehrensalve abgeben, schoß aber diesmal allein, da der Heger just das Weinglas in der Hand hatte. Er schoß eine halbe Minute später nach, was allgemeines Lächeln erregte, worauf der Heger um seine Verlegenheit zu verbergen, das Glas des Herrn Bürgermeisters leer trank.

Aber auch die weltliche Obrigkeit trat vor, erhob das neueingeschenkte Glas und fing zu sprechen an.

»Indem, daß ich hier der Bürgermeister bin, alsdann der Leiter der politischen Angelegenheiten dieses Ortes – nämlich der Marktgemeinde St. Ruprecht und mehrerer Orte und Rotten und als solcher die Pflicht habe, nach Gerechtigkeit und beschworenen Gesetzen ...« er stockte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, trank sein Glas aus – »und jede Ungesetzlichkeit ... die man ... die man...«

Der Herr Pfarrer lächelte milde. Es war immerdar sein Bestreben als geistliche Obrigkeit die weltliche zu unterstützen, er erhob nochmals sein Glas und rief: »Also nochmals hoch und herzlich willkommen«, und im neuerlichen Jubel blieb die Verlegenheit des Bürgermeisters unbeachtet. Und dies um so mehr, als eine sehr exakte Salve folgte, deren Krach Frau Pauline bald einen Nervenchok zugezogen hätte.

»Aber jetzt, meine Herren, lassen wir die Neuangekommenen allein«, mahnte der Herr Pfarrer.

Die Kommission verließ unter nochmaligen lebhaften Ehrenbezeigungen das Haus.

Die Zimmer waren schon leidlich in Ordnung, und todmüde setzte sich Frau Pauline in einen beim Fenster stehenden Fauteuil.

»Ja, wo sind denn Marie – die Köchin – und Pascha?« fragte erregt Dr. Thorn. »Wir haben sie in diesem Trubel ganz vergessen.«

In diesem Moment erklangen eilige Schritte draußen auf dem Flur, dazu das Winseln eines Hundes, »'s Herrl ist da, Pascha!« rief eine Frauenstimme.

»Ah, da sind sie ja!« rief befriedigt Dr. Thorn und öffnete die Tür, und der schwarze Hund stürmte herein. Er war wie toll vor Freude, sprang ungestüm an Doktor Thorn hinauf, riß Frau Pauline fast in ihrem Fauteuil um, ergriff schließlich Dr. Thorns silberbeschlagenen Spazierstock mit den Zähnen und fuchtelte mit diesem in höchst gefährlicher Weise herum, so daß sich die beiden Mädchen, die mit strahlenden Gesichtern bei der Tür standen, gar nicht getrauten, einzutreten.

Mit vieler Mühe war der Hund gebändigt, und als er endlich keuchend mit lappender Zunge am Boden lag, fragte Frau Pauline erstaunt: »Ja, wo wart ihr denn?«

Das Rätsel war bald gelöst. Die Damen hatten sich geniert, unter solch hochhonoriger Gesellschaft zu erscheinen und hatten mit Pascha im Garten die Ankunft ihrer Herrschaft erwartet.

»Und die Schießerei kann ich überhaupt nicht vertragen, ich tu so viel erschrecken«, erklärte die Köchin noch näher den Sachverhalt.

Während die Köchin ein kleines Gabelfrühstück bereitete, zeigte Dr. Thorn der Schwester die Wohnung.

Rechts vom Flur lagen zwei hübsche Zimmer, die Küche und die Speisekammer.

»Hier ist das Departement der Frau Pauline«, sagte Gustav mit vieler Wichtigkeit. »Hier dieses lichte, freundliche Gelaß ist das Wohnzimmer und gleichzeitig die Stätte, wo feine Handarbeiten angefertigt, Romane gelesen und Briefe geschrieben werden. Ein lichter, heller Raum ... nicht wahr? Wenn hier einmal alles in der richtigen Ordnung ist und die Blumen am Fenster stehen, wird es da herrlich sein. Die Fenster gehen auf den Hauptplatz, auf dem sich alle weltbewegenden Ereignisse, die den Ort treffen, abspielen: die Feuerwehrtage, die Fronleichnamsprozession und so weiter. Und wenn ein Zirkus in den Ort kommt, so kann man von hier aus gratis, wie in einer Loge, die Darbietungen der Trapez- und sonstigen Luftkünstler bewundern. Pantomime, Parterreakrobatik und den Clown gratis zu sehen, ist leider unmöglich, da eine mächtige graue Leinwand die Kunststätte unten umgibt. Und hier ist das Schlafzimmer. Das Muster der Tapeten ist ein sehr ruhiges, auch werden mannigfache schöne Kunstwerke an den Wänden angebracht: Bilder, Statuetten und, was unbedingt nötig ist, ein ›Haussegen‹.«

Frau Pauline lächelte.

»O, ich habe an alles gedacht ...« setzte Dr. Thorn mit stolzer Befriedigung fort.

»Und hier ...« er hatte die Schwester in die Küche geführt, wo ein Kachelherd neuester Konstruktion prangte. Kathi machte eben die Eierspeise.

»Brennt er gut?« fragte Dr. Thorn.

»Ja ... brennte gut«, sagte die Köchin, »viel besser wie in Wien.«

»Na also!« erwiderte Dr. Thorn, »wenn zur Ausstattung des Raumes noch was fehlen sollte, wird es ergänzt.«

»Bitt dich, das ist ja ohnehin eine Hotelküche ...«

»Stimmt, stimmt«, antwortete vergnügt der Bruder, »ich wollte eben alles so wohlhabend gestalten, als es nur anging.«

Dann zeigte er die Speisekammer mit dem neuesten Eiskasten und schließlich das Mägdezimmer.

»Die Fenster sind mit Eisengittern verwahrt und gehen in den Garten. Wie ich gehört habe, wird hier im Orte seitens der jungen Burschen weiblicher Tugend sehr eifrig nachgestellt.«

In diesem Moment meldete die Köchin, daß das Gabelfrühstück schon fertig sei. Gustav befahl, im Hofe, unter dem Kastanienbaum zu decken.

»Ach, diese Ruhe ... wundervoll«, sagte er, als er mit Pauline in den Hof trat.

Aus seiner großen Hundehütte kam Pascha hervor und schmiegte schmeichelnd seinen Kopf an Dr. Thorn an.

»Hatte schon ganze Nacht in Hundshütte g'schlaf'n, g'fallte ihm recht gut dort!« sagte Kathi, als sie das Essen in den Hof brachte.

»Ja, auch Pascha ist Hausherr geworden«, erklärte Dr. Thorn und streichelte des Hundes großen Kopf.

»Köstlich ... ausgezeichnet!« rief ein- über das anderemal Thorn aus, als er die Eierspeise verzehrte. »Und diese Luft ... ah ... großartig ... was, Pauline?«

»Jetzt müssen wir aber einmal mein Departement besuchen ...« meinte er dann und stand auf.

»Aber laß mich doch noch essen!« sagte vorwurfsvoll Pauline.

»Ja ... ja ... es schmeckt dir ... so ist es recht. Ich warte schon.«

Dann wurden die Appartements des Dr. Thorn besichtigt.

»Hier das Wohn- und zugleich das Besuchszimmer. Von der Ausschmückung sieht man noch nichts. Nur die Schlafräumlichkeiten wurden instand gesetzt. Und hier, dieser große, fast fürstliche Raum« – es war ein Zimmer im Ausmaße von etwa achtzehn Quadratmeter – »wird das Museum aufnehmen!«

An der Wand standen die vier Kästen mit den Spiegelgläsern und mitten im Zimmer drei enorme Kisten, die die anthropologischen Schätze enthielten.

»Ich werde in den nächsten Tagen viel, sehr viel Arbeit haben, um alles dies zu ordnen. Davon, daß ich in den Ruhestand versetzt bin, werde ich wohl monatelang nichts verspüren. Aber es ist recht so!«

»Mein Schlafzimmer wird sehr einfach sein ... das Messingbett, ist aufgestellt, der Waschkasten und so weiter. Die Hauptsache ist und bleibt das Museum.«

So waren sie plaudernd und bunte Zukunftsträume spinnend durch die spiegelblanken Räume des Hauses gegangen.

»Den Hof kennst du ja, den Kastanienbaum hat der Förster auf vierzig bis fünfzig Jahre geschätzt. Es wäre mir lieber gewesen, eine Linde stünde da. Lindenduft und Bienengesumm liebe ich über alles. Aber ich kann da keine Linde setzen lassen ... bis sie so groß ist, wie ich Linden liebe, spür ich längst von Lindenduft und Bienengesumm nichts mehr. Und wenn im Mai der Kastanienbaum blüht, sieht er ungemein prächtig aus, wie ein Christbaum, auf den man statt Kerzen lauter Lampen aufgesteckt hat. Ich bin auch mit dem Kastanienbaum zufrieden!«

Frau Pauline kam gar nicht zum Reden, sie konnte nur »ja, ja, freilich, freilich« zu allem sagen.

»Die Hütte ist groß genug für Pascha ... nicht? Aber einen besseren Vorhang aus irgendeinem Teppichstoff mußt du machen. Und das große gestickte ›P‹ vergiß nicht!«

»Soll ich das ›P‹ in Gold sticken?« fragte schalkhaft Frau Pauline.

»Ja, aber es müßten echte Goldfäden sein, da Kompositionen dem Witterungswechsel nicht gewachsen sind und das ›P‹ nur allzu bald die Farbe Paschas annehmen würde. Nimm hellgelbe Seide!«

Den Hof schloß eine graue Planke ab, durch die eine Tür ins Freie führte.

»Diese häßliche Planke wird kassiert, denn sie verschließt mir den Ausblick in mein liebliches Heiligtum, in den Garten. An ihre Stelle kommt ein Eisengitter mit Lanzenspitzen, um Turnern, die unmoralische Absichten hegen, den Eintritt in das Haus zu verwehren.«

Sie gingen durch das schmale Pförtchen in den Garten hinaus. Es war ein alter, verwilderter Bauerngarten, die Wege mit Gras und gelbem Huflattich verwuchert, auf den Beeten wuchsen neben verkümmerten Gartenpflanzen alle möglichen Kräuter, wie sie draußen in Feld und Wald vorkommen. Ein mäßiger Hügel an der Plankenecke war botanisch besonders interessant. Denn hier sprossen mehrere Stauden des giftigen Stechapfels empor, und am Rande blühte sogar das häßliche Bilsenkraut.

»Hier hat mein Vorfahr sicher einen mäßigen Schutthaufen angelegt gehabt, dieses Giftgewächs gibt Zeugnis davon«, sagte Gustav; »der Garten gleicht überhaupt einer Wüstenei – sieh nur, diese alten verkrüppelten Obstbäume! Aber groß ist er, wir müssen gut zehn Minuten gehen, bis wir an sein Ende kommen. Es sieht traurig aus, aber ich habe mir vorgenommen, aus dieser Wüste ein Paradies hervorzuzaubern. Bis hierher wird sich der Blumengarten erstrecken, in dem ich die köstlichsten und neuesten Sorten, die die Firma Schmidt in Erfurt in Handel bringt, pflanzen werde. In erster Linie Rosen in einer hier nie gesehenen Pracht – es wird ein Flor werden, daß meine guten Mitbürger hier, nicht nur die Augen, sondern auch den Mund aufreißen werden. Eine Taxushecke wird sehr schön den Blumengarten vom Nutzgarten abschließen.«

»Na, das wird Arbeit genug geben, ich danke«, sagte kopfschüttelnd die Schwester.

»Ja wohl, geliebte Pauline«, stimmte Gustav zu, »aber frohe, freudige, gesunde Arbeit; Arbeit, deren Erfolg man täglich kommen sieht und deren Segen man an sich verspürt.«

Er war ganz glücklich.

»Also hier wird der Nutzgarten beginnen. Du kannst dir doch denken, daß ich nur das auserlesenste Gemüse hier pflanzen werde und die besten Obstsorten: Die Wege werden eingesäumt mit Johannisbeer- und Stachelbeersträuchern, natürlich ebenfalls hochedle Sorten. Diesem Teil des Gartens ist der größte Raum gewidmet.« Sie gingen weiter. Der Boden steigt etwas an, Sand und Steine zeigten sich und der Pflanzenwuchs wurde seltener.

»Aus diesem Boden hier wird wenig Nutzen zu ziehen sein, er hat Steppencharakter. Aber ich mußte dieses Stück dazu nehmen. Es erstreckt sich bis zur Landstraße hinaus. Trotz der Sterilität des Grundes gedenke ich ihn doch gut zu verwerten. Das hier wird der englische Garten werden. Ich werde hier einige genügsame Nadelholzsorten anpflanzen, das gibt ein kleines Wäldchen, und so habe ich auf meinem Grundstück alle Vegetationsformen beisammen. Selbst eine Heide könnte ich haben, freilich in sehr kleinem Maßstabe, denn diese verlassene Sandgrube gehört auch mir, und siehe – da ist schon die Landstraße, staubig und sonnig. Wenn einige Jahre vergangen sind, werden die mühseligen Wanderer da draußen mit Sehnsucht auf dieses grüne Paradies schauen, das ich an dieser Stelle aus der Erde zu stampfen gedenke.«

Die beiden Leutchen kehrten um. Der helle Sonnenschein lag auf dem verwilderten Garten und die Schmetterlinge gaukelten um die Feldblumen, die hier so üppig wuchsen, als seien sie eigens angepflanzt worden.

Als sie beim Haus wieder angelangt waren, öffnete Gustav eine kleine Tür in der Planke und trat ins Freie hinaus. Ein Stück Anger lag da, durch den träge ein schmales Bächlein zog.

»Auch dieses Stück Land ist mir zur Arrondierung meines Besitztums angeboten worden, und zwar zu einem sehr billigen Preise«, sagte Gustav, und sah dabei ungeheuer berechnend drein.

»Und was willst du damit anfangen!« meinte Pauline. »O, die Kurzsichtigkeit der Frauen!« sagte triumphierend Herr Dr. Thorn, »daß ich es dir gleich sage, ich habe dieses Stück Land bereits um einen Spottpreis der Gemeinde abgekauft, und auf diesem Boden werden dir viele, viele Freuden erblühen!«

Er sah dabei mit einem Ausdruck voll Pfiffigkeit und Schalkheit der Schwester in das sonst so bleiche, stille, heute aber lebhaft gerötete Antlitz.

»Auf diesem Grund wird der Hühnerhof entstehen. Das wird deine Domäne sein! Wir werden natürlich nur Rassehühner halten. Ein Taubenkobel wird auch aufgerichtet, dessen Ständer mit Weißblech beschlagen ist, daß Katzen, Iltisse und Marder nicht hinauf gelangen können. Es wird dir viel Vergnügen machen, diese Tiere zu füttern. Sie werden bald so zahm werden, daß sie dir auf Kopf und Schultern fliegen. Dann kaufe ich dir ein griechisches Kostüm und lasse dich in dieser Situation in Öl malen!«

»Worauf du kommst!« sagte lachend Pauline. »Aber wozu wird der Bach dienen?«

»Wir werden auch Wassergeflügel halten!« erklärte Dr. Thorn, Enten, schöne Enten mit Metallschimmer auf den Flügeln. Diese Vögel liebe ich über alles, ich kenne in der Naturgeschichte kein Tier, das so selbstzufrieden, so behaglich durch das Leben watschelt. Es ist fleischgewordener Humor! In der Mitte dieses Grundstückes lasse ich einen Teich ausheben, ungefähr einen halben bis drei Viertelmeter tief, damit die Enten auch tauchen können, was sie gern tun und dabei einen ungemein abweisenden Ausdruck zeigen. Selbstverständlich, wenn du dann ein Gelüste hast auf fremdländisches Geflügel, so steht solchen Wünschen durchaus nichts entgegen, Trut- und Perlhühner bilden eine stattliche Zierde eines jeden Hühnerhofes. Auch einen Pfau kannst du dir halten – ich bin nicht musikalisch – und kannst ihn als Barometer benützen, denn er soll einer frommen Sage zufolge vierundzwanzig Stunden vor eintretenden! Regen sein melancholisches Geheul ertönen lassen.«

»Na, das wird Arbeit genug geben!« meinte bekümmert Frau Pauline.

»Und die würdest du nicht gern tun? Wenn so eine Schar gelber Kücken dich umpiepst, du wirst dir sicher vor lauter Liebe und Erbarmen einen Herzfehler einwirtschaften.«

Frau Pauline lachte ganz glücklich vor sich hin.

»Viel Nutzen werden wir von der Kleintierzucht nicht haben, denn ich glaube, du wirst niemals zugeben, daß eines der von dir aufgezogenen Stücke dem Schlachtbeil – pardon – Messer verfällt.«

Als die beiden in die Wohnung zurückkamen, saßen in der Küche Marie und Kathi beim Mittagmahl. Gustav war sehr erstaunt, daß man schon zu Mittag esse, und als die beiden Damen erklärten, daß es schon zwölf Uhr vorbei sei, sagte er erschrocken: »Pauline, beeile dich, ich habe mich ja brieflich für heute zwölf Uhr zu Mittag im Gemeindegasthaus angesagt.«

Als sie beim Gemeindegasthaus ankamen, standen unter dem großen Tor der dicke Wirt und die noch weit umfangreichere Wirtin. Die Begrüßung war eine stürmische – wortreiche.

Im Extrazimmer war ein Tisch mit blütenweißem Tischtuch gedeckt, in der Mitte des Tisches stand ein ungeheurer Blumenstrauß.

Gustav fand alles vortrefflich, Pauline stimmte in ihrer stillen Art bei.

Wirt und Wirtin sprachen in einemfort. Frau Pauline aber drängte zum Aufbruch; sie war müde.

Der Nachmittag verging unter kleinen Vorarbeiten. Abends fand sich Dr. Thorn zum Stammtisch im Gemeindegasthaus ein. Man wollte ihn wieder festlich begrüßen. Aber Dr. Thorn lehnte ab.

»Erst dann, meine Herren, wenn ich sicher und geruhig in meinem Heim sitze, wollen wir den Einstand feiern. Und zwar bei mir, im Hofe unter dem großen Kastanienbaum. Zu großen Gemütserregungen bin ich heute zu müde. Prosit!«

Er erhob sein Glas und stieß mit allen an.

Die Unterhaltung floß nun im gewohnten Gleichmaß dahin. Der Bürgermeister besprach in langatmigen Reden die Schwierigkeiten seines verantwortungsreichen Amtes, sprach über die zu erwartende Grummeternte und über die maßlosen Ansprüche, die seitens der armen Bevölkerung an den Gemeindesäckel gestellt würden, und er erzählte haarsträubende Dinge, die ihm während seiner langjährigen Amtstätigkeit widerfahren waren.

Die aufregendste unter diesen Geschichten erzählte, wie er einmal nur dadurch mit genauer Not mit dem Leben davongekommen sei, daß der damals zufällig nüchterne Gemeindediener einem den Herrn Bürgermeister attackierenden Strolch mit einer Mistgabel einen derartigen Deuter gegeben habe, daß der Angreifer heulend das Weite suchte, aber gleich außerhalb des Ortes vom Gendarm hopp genommen wurde. Auch der Herr Oberlehrer erzählte von den Mühen seines Berufes und wie viel Streitigkeiten es im Orte gebe, wenn er Eltern zur Anzeige bringe, die ihre Kinder der Feldarbeit wegen zu Hause behielten; der Herr Postmeister beklagte sich, daß er den Leuten hierorts alle postalischen Schreibereien besorgen müsse und jede Postanweisung, jeden Begleitbrief selbst anzufertigen habe, und daß die Leute so stupid seien wie zum Beispiel der Lendbauer, der unlängst seinem Sohn, der in Enns bei den Dragonern dient, einen Schinken und etliche Blut- und Leberwürste durchaus telegraphisch zuschicken wollte, ein Gespräch, in das der Stationsvorstand lebhaftest einstimmte; auch er wußte ungeheuerliche Geschichten über die Dummheit der hiesigen Bevölkerung zu erzählen. Der Herr Pfarrer hörte schweigend zu. Er kannte ja doch die Leute hierorts viel genauer als alle die anderen Herren.

Endlich kam auch der Förster zum Wort. Er ließ es nicht mehr aus. Der Herr Dr. Thorn hatte ihn um sein Revier gefragt, und er fing an, die unglaublichsten Geschichten zu erzählen.

»Herr Doktor, ich sag Ihnen, beim roten Kreuz wechselt a Bock, der hat solche Stangen!« Dabei erhob er die Hand vom Tisch, um die Höhe des Geweihes anzuzeigen. Nach seinen Angaben mußte das Gehörn etwas geradezu Fabelhaftes sein. Und er erzählte weiter und weiter Jagdgeschichten, die die anderen unzählige Male schon gehört hatten.

Der Herr Pfarrer stand auf und wünschte allen Beisitzern eine geruhsame Nacht; besonders warm empfahl er sich von Herrn Dr. Thorn.

Dieser ging mit ihm. Als er den Schlüssel in das Schloß seines Hauses steckte, sah er, daß auch die anderen Gäste das Gemeindegasthaus verließen. Er hörte sie noch laut und erregt miteinander reden.

»Und das ist wahr, was i sag'«, vernahm er noch des Försters weittragende Stimme.

Ein mildes Lächeln überglitt Herrn Dr. Thorns Züge, als er sein Schlafzimmer aufsuchte.


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