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Elftes Kapitel

Es war ein trüber, grauer Regentag, an dem sie erwachten. Marie und Kathi zeigten höchst sorgenvolle Mienen, was davon herrührte, daß sie beide einen beträchtlichen Katzenjammer hatten. Die Hausfrau gab jeder ein Aspirinpulver.

Pauline und Lise hatten längst ihren Morgenkaffee getrunken, als auch Herr Dr. Thorn zum Frühstück erschien. Auch er zeigte eine höchst sorgenvolle Miene und erkundigte sich sofort sehr angelegentlich, ob nicht Aspirin zu Hause wäre.

»Ich muß mir gestern den Magen verdorben haben«, sagte er mit grämlicher Miene.

»Das glaube ich auch«, pflichtete Frau Pauline bei.

»In der Kognakflasche war heute nicht ein Tropfen mehr!«

»Der Verwalter und der Förster haben den Kognak getrunken«, verteidigte sich der Haushaltungsvorstand.

»Und du hast keinen getrunken?«

»Nein... vielleicht zwei Gläschen!«

Er sagte dies so komisch, daß die bleiche Lise das Lachen nicht unterdrücken konnte.

»Du solltest übrigens auch einen Kognak trinken, Lise«, sagte er darauf, »du schaust auch nicht gut aus.«

»Ich glaub, der Kognak dürfte bei ihrem Leiden nicht viel helfen«, meinte Frau Pauline.

»Es ist noch recht hübsch zugegangen. Das Fest schloß mit einer solennen Keilerei. Die zwei Feuerwehrleute, die sich beim Festzug um Lises Kranz gerauft hatten, haben einen Streit angefangen. Ihre Kollegen haben natürlich Partei ergriffen. Mehr als ein Dutzend Gläser und zwei Lampen sind darauf gegangen. Der Bürgermeister wollte den Streit schlichten, worauf ihm der Lackner Karl, der schon sternhagelvoll besoffen war, eine halbe Torte an den Kopf geworfen hat, daß sein Gesicht ganz mit Obersschaum verklebt war. Er hätte sich sofort rasieren lassen können, so eingeseift sah er aus. Es ist ein recht gemütlicher Lebensabend.

»Na... und wie ging die Sache aus?« fragte Pauline.

»Der Hausknecht hat die beiden Kerle hinausgefuhrwerkt.«

Der Tag stimmte so recht zu dem allgemeinen Katzenjammer, den das Fest hinterließ. Der Sturm trieb den Regen prasselnd an die Scheiben und rüttelte wütend an den Fensterrahmen. Dr. Thorn verbrachte den ganzen Vormittag mit der Behandlung seines ausgedehnten Katzenjammers.

Zu Mittag stattete der Doktor der Familie einen Besuch ab.

»Aspirin gefällig?« fragte lächelnd der Heilkünstler den Hausherrn.

»Danke, bereits in mir«, knurrte Dr. Thorn.

»Wissen die Herrschaften bereits das Neueste? Großer Zwist im Hause des Bürgermeisters. Es soll eine höchst ernsthafte Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Sohne gegeben haben. Unverbürgten Nachrichten zufolge, soll Herrn Ulrich das Vaterhaus verboten worden sein...«

»Ja, warum?« fragte entsetzt Pauline.

»Er soll erklärt haben, nicht Geistlicher werden zu wollen. Ich traf ihn heute früh im Bahnhof. Er fuhr nach St. Polten. Gut, daß ich mich erinnere, Fräulein Lise, er läßt sie – natürlich vieltausendmal – grüßen.«

Lise saß starr auf ihrem Sitz...

»Aber, Herr Doktor!« rief vorwurfsvoll Tante Pauline aus.

Der Vormittagsbesuch des Herrn Doktors endete recht ungemütlich.

»Wenn ich das geahnt hätte... Herrgott, ich hätt mir am liebsten eine aufs Maul gegeben«, waren seine Abschiedsworte, als er dem Hausherrn die Hand schüttelte.


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