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Viertes Kapitel

Nun folgten für Herrn Dr. Thorn, Frau Pauline und die beiden Mädchen arbeitsfrohe Tage. Es galt, sich im neuen Heim behaglich einzurichten. Zuerst beendigten die Damen ihr vorgeschriebenes Pensum; nach Verlauf von drei Tagen schon erglänzten alle Fußböden in freudigem lichten Braun, strahlten die Fensterscheiben in ungetrübter Klarheit, und die gestickten weißen Vorhänge verbreiteten einen Schimmer angenehmer Wohlhabenheit in den Zimmern. Selbst der Boden des Flurs war mit einem grauen Laufteppich belegt, und an den diskret bemalten Wänden prangten alte Kupferstiche und Rehgehörne. Im Hintergrunde breitete eine stattliche Fächerpalme ihre grünen Wedel aus, eine Konzession, die Dr. Thorn seiner Schwester machte, denn die Fächerpalme war künstlich gemacht, und vor solchen Dingen hegte er eine abgrundtiefe Scheu. Als aber die Einrichtung des Flurs vollendet war, bezeigte der Kritikus seine vollste Befriedigung.

»So ist es recht«, sagte er. »Wenn man in ein Haus tritt, muß einen sofort eine gewisse Stimmung erfassen. Dieser Flur erfüllt die Aufgabe. Einfach, aber von einer gewissen Wohlhabenheit, zeigt der schlichte, aber höchst behagliche Raum, daß hier Menschen wohnen, die mit sich zufrieden sind.«

Weit länger als die Damen brauchte Herr Doktor Thorn zu seiner Einrichtung. Endlich war auch der Schreibtisch, der Bücherkasten in Ordnung, und in der Ecke stand der Gewehrschrank, und die Büchsen, die darin hingen, waren so blank geputzt, daß jeder, auch der pflichtgetreueste Feldwebel, daran hätte seine Freude haben müssen.

Weit umständlicher gestaltete sich die Ordnung respektive Aufstellung der Gegenstände im Museum.

Bis jedes Stück der Sammlung der Kiste entnommen, aus dem Papier gewickelt und mit einer Nummer versehen war, vergingen drei volle Wochen. Während der Arbeit hatte der Herr Pfarrer, der einzige Mann im Ort, der diesen Dingen Interesse entgegenbrachte, Herrn Dr. Thorn besucht. Er fand ihn in eifrigster Tätigkeit.

»Ja, ja ... es ist eine Heidenarbeit, Herr Pfarrer«, sagte Dr. Thorn nach kurzem Gespräch, »2293 Nummern in mehr als 3000 einzelnen Stücken!«

Der Pfarrer schlug die Hände zusammen und erbat sich eine kurze Übersicht über die Schätze des Museums. Und in angenehm lehrhaften Ton begann Herr Dr. Thorn:

»Hier in diesem ersten Kasten befinden sich verschiedene Gegenstände aus der älteren und jüngeren Steinzeit, wie Steinbeile, Mahl- und Schleifsteine, aus der Bronzezeit Tongefäße, Messer, Lanzen- und Pfeilspitzen, Schmucknadeln und Armringe, Fibeln, Tränenfläschchen, Urnen, Tonlämpchen und Bronzeornamente. Und hier«, er wies triumphierend auf ein langes, rostiges Eisenstuck hin, »ein Schmuckstück meiner Sammlung, ein Schwert aus der Karolingerzeit ... und hier sind noch Steigbügel, Sporne, Armbrustbolzen usw.«

Und er sprach unablässig weiter, erklärte die Mineraliensammlung mit den zahlreichen Meteoriten, die Gesteinssammlung und die verwunderlichen Petrefakten, deren Entstehung bis in die ältesten Zeiten zurückreicht. Er sprach mit Wärme und Lebendigkeit, denn seine ganze Seele hing an diesen toten Dingen, die er gesammelt, größtenteils selbst gegraben hatte.

Dem Herrn Pfarrer wirbelte der Kopf, als er Herrn Dr. Thorn verließ.

»Großartig großartig«, sagte er noch im Flur bewundernd zu dem Inhaber des Museums.

Und als das Museum eingerichtet war, ging es an die Ausstattung des Hofraumes. Um den Kastanienbaum herum sollte sich ein mit blankem Kies bestreuter Raum breiten. Der Herr Förster war eben zu Besuch gewesen, um das Museum zu besichtigen. Das alte Gerümpel hatte ihn nicht allzusehr interessiert, nur die Renntierknochen hatten ihm Beifall abgenötigt.

»Schad', daß die schon ausgestorben sind«, meinte er.

Unterm Kastanienbaum saßen die beiden gemütlich beisammen, Herr Dr. Thorn hatte eine Flasche Kognak gebracht und schenkte dem Förster in verschwenderischester Weise ein.

»Ich will den Hofplatz mit weißem Kies beschottern lassen«, sagte Dr. Thorn, »aber woher bekomme ich den?«

Der Förster dachte eine Weile nach. Wahrscheinlich, um sein Gedächtnis zu stärken, trank er sein volles Glas mit einem Zuge leer.

»Aber, Mann Gottes!« rief er dann erleuchtet aus, »Herr Doktor, Sie haben ja selbst eine Sandgrube dort oben, dort lassen Sie abgraben, mit Schiebkarren gleich den Sand herbeiführen, in anderthalb Tagen ist die Sache gemacht.«

Er versprach noch, die betreffenden passenden Personen zu senden und nahm dann Abschied. Er erklärte, daß es ihm eine große Freude sei, mit Dr. Thorn bekannt zu sein und trank gerührt noch einen Kognak. Dann sprach er nochmals seine Bewunderung über die Sammlung aus und trank noch ein Glas. Zum Schluß versprach er, bestimmt die Sandgräber mit Spaten und Schiebkarren zu schicken, und trank noch ein Glas. Dann reichte er gerührt Dr. Thorn die Hand zum Abschied. Als er, geleitet von Dr. Thorn, durch den Flur schritt, hätte er bald mit der rechten Achsel einen ausgestopften Nußhäher von der Wand gewischt.

Schon um sechs Uhr früh des nächsten Tages meldete Marie dem noch im tiefsten Schlummer liegenden Dr. Thorn, nachdem sie ihn aufgerüttelt hatte, daß drei Herren mit Krampen und Schaufeln und zwei Schiebtruhen da wären, vom Herrn Förster für den Dienst des Herrn Doktors bestellt.

Dr. Thorn setzte sich sofort im Bette auf, rieb sich die Augen und fragte: »Was ist gescheh'n?«

»Drei Männer sind da, sie sollen Sand graben!« erklärte Marie.

»Aha«, sagte Dr. Thorn.

Mählich kam ihm die Erinnerung zurück.

»Geben Sie jedem der Männer einen Sliwowitz«, befahl er und räckelte sich noch grunzend im Bette. »Ich werde gleich kommen!« sagte er dann noch.

Er ließ sich, da es ein heller, schöner Tag war, das Frühstück in den Hof hinausgeben. Als er hinauskam, fand er dort die drei Sandgräber. Marie stand vor ihnen und goß ihnen aus einer großen Flasche Schnaps in kleine Gläser ein. Als sie Herrn Dr. Thorn erblickten, nahmen sie hochachtungsvollst ihre etwas deformierten Deckel ab und sagten demütig: »Küßt d'Hand, gnä' Herr!«

Während der gnä' Herr seinen Kaffee trank, genehmigte er gütigst, daß die drei Deichgräber noch weitere Schnapsrationen zugemessen erhielten.

Dann ward zum Aufbruch geschritten. In der Sandgrube angelangt, ward zuerst ein Sandgitter aufgestellt. Dann begannen die drei Männer mächtig zu graben. Als genügend Sand und Schotter abgegraben war, ward mit dem Durchwerfen des Materials begonnen.

Plötzlich bemerkte Dr. Thorn, wie ein seltsam grünlich blinkender Stein über das Gitter hinabrollte. Er ging hin, hob den vermeintlichen Stein auf und entdeckte zu seinem unsäglichen Entzücken, daß es ein uraltes Stück Bronzeblech sei, mit wunderbarer Patina, auf dem, wohl kaum erkenntlich, sich Spuren getriebener Arbeit zeigten.

»Halt!« schrie Dr. Thorn mit mächtiger Stimme.

Verwundert hielten die Männer inne und sahen fragend auf Dr. Thorn, der eine ganz ungemessene Aufregung zeigte.

»Graben Sie vorsichtig weiter«, befahl er, »sehr vorsichtig, und wenn wir drei Tage brauchen sollten, um Sand für den Hof zu gewinnen! Und Sie«, sagte er zu einem der Arbeiter, »Sie gehen hinein und holen ein Schaff heraus. Meine Schwester soll kommen!«

Die Schwester kam gleichzeitig mit dem Mann, der das Schaff trug.

»Um Gottes willen ... was hast du«, fragte sie erschrocken. »Du bist so aufgeregt ... hast du einen Streit gehabt mit den Leuten?«

»Hab ich im Leben schon einmal gestritten?« fragte vorwurfsvoll Gustav. »Da, schau her!« sagte er, und wies, ihr den grünlich schimmernden Scherben.

»Und was soll das?« fragte sie.

Gustav sah mit einer Miene unsäglicher Verachtung auf die naive Schwester.

»Hier ist ein Schatz begraben«, flüsterte er, »das ist ein Teil einer uralten Situla, eines Trinkeimers. Grabt vorsichtig weiter! Sehr vorsichtig!« wendete er sich zu den Arbeitern.

Diese gruben nun mit einer Langsamkeit und Vorsicht, die ihnen augenscheinlich großes Vergnügen machte. Nach wenigen Minuten brachte einer ein großes Stück grünes Blech zutage.

»Ah, ah ...« rief Gustav aus, »der Boden der Situla – bene optime!«

Das Stück wurde mit dem früher gefundenen sorgfältig in das Schaff gelegt. Dr. Thorn zeigte eine Aufregung, daß Pauline schon eine tüchtige Dosis Bromnatrium für den nervösen Herrn herbeischaffen wollte.

Die Ausbeute erwies sich als eine großartige. Das grüne Blech der Situla war mit schönen getriebenen Figuren verziert, soweit man das unter der Staub- und Sandschichte erkennen konnte. Dann kam ein großer, feinverzierter Bronzelöffel zutage, der dem Doktor fast Freudentränen entlockte.

»Dös is a Suppenschöpfer!« sagte der jüngste der drei Arbeiter.

Gustav warf ihm einen strafenden Blick zu wegen der infamen Profanierung des herrlichen Fundes. Ein großes, geschweiftes Hackmesser und drei an Größe verschiedene Lanzenspitzen aus Eisen und eine Menge tönerner Topfscherben kamen noch an die Oberfläche. Alles ward sorgsam in das Schaff gelegt.

Die weitere Grabung blieb erfolglos. Um zehn Uhr trugen zwei Arbeiter das Schaff in das Museum. Hinter ihnen schritt in feierlicher Stimmung Dr. Thorn. Er war ganz verklärt.

»Unerhört, unerhört, was ich für ein Glück habe«, sagte er. Das Schaff stand auf dem Tische im Museum; entzückt betrachtete er Stück für Stück seines Fundes, ging dann hinüber zu Pauline, schritt, die Hände auf die Hüften gestemmt, im Zimmer, auf und ab, und sagte immer vor sich hin: »Unerhört, unerhört, was ich für ein Glück habe!«

Frau Pauline sah besorgt nach dem aufgeregten Bruder.

»Aber beruhige dich doch!« mahnte sie.

»Du hast keinen Begriff, von welcher Bedeutung dieser Fund ist«, sagte er, »diese schöne, vollendete Arbeit! Die getriebenen figuralen Darstellungen zeigen die feinste Ausführung – es ist einfach unfaßbar, was für ein Glückspilz ich bin!«

Zu Mittag konnte er fast nichts essen. Er schickte nach dem Essen zum Herrn Pfarrer, zum Herrn Lehrer und zum Herrn Doktor die Nachricht von dem Funde hin und bat sie um ihren Besuch.

Er muß sich aussprechen über diese Sache – sonst – sonst wäre ihm das Herz zersprungen.

Und die drei Herren kamen fast gleichzeitig an. Doktor Thorn begrüßte sie mit tiefem Ernst.

»Ich muß den Göttern opfern, damit sie mir mein Glück verzeihen«, begann er und führte die Herren zum Tisch unter den Kastanienbaum. »Ich hoffe, sie mit diesem Trankopfer zu versöhnen.« Womit er eine große Flasche goldig strahlenden Gumpoldskirchner aus dem Eiskübel hervorzog.

Auf einem Tisch neben dem Kastanienbaum lagen die Fundgegenstände ausgebreitet. Ehe der Vortrag begann, wurden die Becher zum Trankopfer gehoben, welche feierliche Handlung der Herr Pfarrer mit den Worten einleitete:

»Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf.«

Dann wurden die Gegenstände bewundert: die drei rostigen Lanzenspitzen und das Hackmesser.

Herr Dr. Thorn erklärte, daß der Fund wahrscheinlich aus dem vierten Jahrhundert vor Christi stamme, und mit Ehrfurcht betrachteten die Herren das verrostete Gerät und dachten daran, daß sie nun mehr als dreiundzwanzig Jahrhunderte von jenen Menschen trennten, die einst die Lanzen geführt und das ungefüge Messer geschwungen hatten.

Der Herr Pfarrer wiegte sinnend das Haupt.

»Eine lange, lange Zeit ist es, daß diese Dinge da geschaffen wurden – in Griechenland lebte damals Alexander der Große, und das Weltreich Rom war noch eine kleine Republik –, wie viele, viele Menschenalter sind dahingegangen, seit diese Lanzenspitzen, dieses verrostete Messer und dieser uralte Löffel geformt wurden und dieses Gefäß aus Bronze! Wie mag es damals ausgesehen haben in dieser Gegend!«

Der Herr Doktor, ein starker, gesunder Mann mit gebräunten Wangeny die ein reichlicher brauner Bart beschattete, gab auch seinen Senf dazu.

»Die Klempner jener Zeit müssen geschickte Kerle gewesen sein«, sagte er. »Man ersieht's aus diesen grünen Scherben. Das Gravieren oder wie man's heißt, war damals schon erfunden.«

»Nein, das ist nicht graviert; das ist von innen aus mit Punzen getrieben«, erklärte eifrig Dr. Thorn und zeigte ein großes Blechstück her. »Das ist eine Situla, ein Eimer mit einem Henkel. Ich möchte die Herren noch ganz besonders auf diese Darstellungen aufmerksam machen. Doch vorher, bitte ich, sich zu stärken.«

Er schenkte ein, die Herren tranken und setzten sich behaglich zum Vortrag zurecht. Auch Pascha kam herbei, begrüßte die Herren, wozu er heftig nieste. Dann legte er sich nieder, um ebenfalls den gelehrten Ausführungen seines Herrn zu folgen.

»Soviel ich entnehmen kann«, begann Dr. Thorn seinen Vortrag, »ist es eine recht tröstliche Kunde aus jener fernen Zeit, die diese zierlichen Bildnisse uns bringen.« Er reichte dem Herrn Pfarrer ein Stück Blech hin, und alle Herren neigten sich neugierig darüber.

»Es stellt eine Wirtshausszene dar, geeignet, in jedem fühlenden Herzen Bewunderung zu erregen. Da ist der dicke Wirt. Er trägt eben zwei solche gehenkelte Eimer weg, und dadurch, daß er sie in der Luft schwenkt, zeigt er an, daß sie vollständig geleert wurden.«

»Bravo!« sagte der Förster, der ganz unvermutet zur Gruppe getreten war. Im. wissenschaftlichen Eifer hatten die Herren sein Kommen gar nicht bemerkt.

Nach kurzer Begrüßung fuhr der Herr Professor fort: »Und diese Figur hier, mit der gefüllten Situla und dem großen Löffel, dürfte der Oberkellner sein; er schenkt dem Süffling, der da behaglich in einem Lehnsessel sitzt, in seine Trunkschale ein. Der kleine Knabe dahier, mit der Tellerkappe auf dem Kopf, scheint nur mehr darauf zu warten, daß dem eifrigen Gast der große Hut infolge zunehmender Betäubung vom Kopf fällt. Diese genial eingerichtete Stellage mit den Haken, an denen sechs solcher Henkeleimer hängen, wirkt ungemein beruhigend und beweist, daß wir es mit einer guteingerichteten Restauration aus dem vierten Jahrhundert vor Christus zu tun haben.«

Die Herren nickten fröhlich zu den gelehrten Ausführungen.

»Man darf aber nicht glauben«, setzte der gelehrte Freund fort, »daß man sich in jenen fernen Zeiten nur einem gewissenlosen, körperzerstörenden Schlemmerleben hingegeben hat: wie sehr schon damals der Sport blühte, beweisen die weiteren Teile des Streifens. Hier sehen Sie einen veritablen Faustkampf; zwei splitternackte Männer schlagen mit Instrumenten aufeinander los, die eine große Ähnlichkeit mit den Hanteln zeigen, die heute die Turner gebrauchen. Sie scheinen es sehr ernst zu nehmen, denn sie machen bitterböse Mienen, und der Kampfrichter, der etwas wie eine Wünschelrute in der Hand hält, schaut sehr strenge darein. Dann sieht man ein Wettreiten und ein Wagenrennen abgebildet. Die dazu verwendeten Pferde müssen einer ganz eigenartigen, heute nicht mehr gezüchteten Rasse angehören, sie haben alle so schmale Wespentaillen, daß man fürchten muß, sie werden bei der ungeheuren Anstrengung auf einmal mitten auseinander brechen. Die Mäuler der Pferde sind etwas unförmlich geschwollen, als wenn die Gäule Zahnschmerzen hätten, und ihre Ohren sind so lang, daß man fast auf Maultiere schließen könnte. Ein höchst ordinärer Kerl muß der Kutscher sein – hier bitte, der allen voran ist und der sich nun spottend auf seinem Wagensitz zu den anderen umdreht.«

Dr. Thorn hielt erschöpft einen Moment inne.

»Großartig – nicht war?« fragte er dann mit leuchtendem Angesicht. »Dieser herrliche Löffel hier gleicht ganz jenem, mit dem der Oberkellner da hier einschenkt. Meine Herren, ist das nicht ein Glückszufall sondergleichen? Nicht genug, solch einen erlesenen Fund zu machen, auch die Aufklärung dazu ist gleich mitgegeben!«

In diesem Moment betrat ein neuer Gast den Hofraum, der Herr Bürgermeister. Auch er hatte von dem rätselhaften Funde gehört und kam nun in offizieller Eigenschaft, um sofort eventuelle Anrechte des Staates, des Landes, allem zuvor aber der Gemeinde, festzustellen. Er betrachtete die ausgestellten Dinge mit einer sehr weisen, aber höchst geringschätzigen Miene.

»Ich werde doch in Betrachtung der mir obliegenden Pflichten bezüglich dieser Sache eine amtliche Anzeige an die hohe Statthalterei machen«, begann er dann mit tiefem Ernst.

»Lassen Sie das«, sagte Herr Thorn, verheimlicht wird nichts; ich selber werde die Anzeige an die diesbezügliche Stelle machen und außerdem in gelehrten Zeitschriften eingehend den Fund beschreiben. Es wird weder Staat, noch Land, noch die Gemeinde durch mich geschädigt werden.«

Der etwas gereizte Ton dieser Erwiderung fand sein Echo in den Herzen der Gäste.

»Da soll einem doch der leibhaftige ...« fing zornig der Förster an.

Der Herr Pfarrer schüttelte mitleidig lächelnd den Kopf, und der Herr Lehrer klopfte unter einem infamen Lächeln seine Pfeife aus. Ein allgemeiner Ausbruch des Unwillens war zu befürchten.

»Aber meine Herren«, bat der Doktor, »der Herr Bürgermeister meint es gar nicht so! Sie werden es sofort sehen! Herr Bürgermeister, was sagen Sie zu dieser Situla?« fragte er den Gestrengen mit fröhlichem Lächeln.

»Was – Situla – was heißt das?« fragte verwirrt das Oberhaupt der Gemeinde. »Direkt etrurische Zeichnungen – und dieses Gefäß – dieser Schöpfer – diese Fibula da; was glauben Sie, was das ist?« Er hob das verrostete Hackmesser in die Höhe. »Wenn Sie einen Bericht an die Statthalterei absenden, müssen Sie diese Dinge mit ihrem wissenschaftlichen Namen bezeichnen. Können Sie das?«

Der Herr Bürgermeister ward verwirrt; die unangenehme Manier des Doktors, mit ihm zu reden, hatte ihn verstimmt.

»Ich werde den Herrn Lehrer ersuchen ...« stammelte er.

Der Herr Lehrer steckte seine Pfeife zusammen und probierte umständlich, ob sie Luft hätte. Dann erklärte er, daß er von diesen Dingen nur eine unbestimmte Ahnung habe, keinesfalls aber so genaue Kenntnis besitze, um darüber einen Bericht an die hohe Statthalterei verfassen zu können.

»Herr Bürgermeister – zuerst ein Glas –« sagte der Herr Pfarrer und reichte dem Gestrengen ein volles Weinglas. Die Obrigkeit knickte zusammen.

»Wir gratulieren unserem Freunde Dr. Thorn, wir gratulieren dem Herrn Bürgermeister; Herr Dr. Thorn wird in seinem Berichte nicht verfehlen, auch den Namen des Herrn Bürgermeisters zu erwähnen, der dem glorreichen Orte vorsteht, in dessen Weichbild der so bedeutungsvolle Fund gemacht wurde!«

»Selbstverständlich – selbstverständlich«, murmelte Dr. Thorn, ohne jedoch im Moment zu wissen, wie er dies bewerkstelligen werde.

Dem Herrn Bürgermeister ward zugetrunken. Er verbeugte sich verbindlichst und kam sich in diesem Moment ungeheuer wichtig vor. Nun kam auch Pascha herbei, in seiner Herzensfreude hatte er eine ungefähr zwei Meter lange Stange erfaßt und präsentierte sich nun damit vor den Gästen.

»Brav, Pascha!« lobte der Herr Förster.

Dieses Lob erfreute Pascha so, daß er eine rasche Wendung machte, um zu dem Förster hinzugelangen und dabei mit der Stange dem Bürgermeister den Hut vom Kopfe schlug.

»Aber, Pascha!« schrie zornig Dr. Thorn.

Pascha ließ die Stange fallen und ging entrüstet in sein Haus.

Die Herren empfahlen sich, nicht ohne Dr. Thorn das Versprechen abgenommen zu haben, abends gewiß im Gemeindegasthaus zu erscheinen. Er sagte in verbindlichster Weise zu.

Die Fundgegenstände wurden wieder unter ganz besonderen Vorsichtsmaßregeln in das Museum geschafft.

»Nun, was sagt Herr Sauer dazu?« fragte Doktor Thorn den Kernbeißer, der dick und übelgelaunt auf seiner Sitzstange im Käfig saß. »Das heiß' ich ein Glück!«

Der Vogel warf erst einen schiefen Blick auf seinen Herrn und drehte dann verächtlich seinen Kopf weg.

»Du bist glücklich, Gustav«, sagte Frau Pauline.

»Ja, Schwester, mein Lebensabend fängt gut an. Ich glaube, das Beste hoffen zu dürfen.«

Der Abend im Gemeindegasthaus war ganz und gar wissenschaftlichen Gesprächen gewidmet. Dr. Thorn fühlte sich infolge der Aufregungen des heutigen Tages sehr ermüdet, und als der Förster nach dem elften Krügel anfing, von seinen Ausgrabungen zu reden, empfahl er sich unter wiederholten Glückwünschen seiner Freunde.

Er konnte lange nicht einschlafen. Sein Glück glänzte auch in seine Träume hinein. Erst spät konnte er ruhigen Schlaf finden.


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