Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achte Szene

Ein Raum im Quartier der Spanier. Ein Teil ist abgetrennt durch ein hölzernes Geländer. Dort ist ein römisch-katholischer Altar errichtet mit dem Bilde Sankt Jakobs, einem silbernen Kruzifix und dem goldenen Gefäß für die Hostie. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich eine breite Tür, die, geöffnet, auf einen Altan führt. Von hier aus überblickt man den Hof des großen Teocalli, des Tempels Huitlipochtlis.

Es sitzen im Kreis um Pedro de Alvarado: Las Casas, Velasquez de Leon, Bernal Diaz, Jeronimo de Aguilar und einige andere Offiziere.

Es ist um die Mittagsstunde.

Pedro de Alvarado

Unsre Lage zu beraten,
hab' ich euch zu mir beschieden.
Denn vermöge jener Vollmacht,
die Fernando Cortez mir
gab, als er die Stadt verließ,
bin ich jetzt sein Stellvertreter.
Nun, wir wissen, welcher Anlaß
Cortez an die Küste rief.
Eine Flotte ist gelandet,
Spanier unter span'scher Flagge,
die uns, schmachvoll ist's zu sagen –
Spanier Spaniern! –, die Erobrung,
die wir machten, streitig machen.
Ein gewisser Don Narvaez,
den ich einen Mann von Ehre
mich zu nennen hüten werde,
führt ein Häuflein von Piraten,
einen wahren Menschenkehricht,
um uns Schritt für Schritt den Boden
abzustehlen, den wir uns
in Gefahren ohnegleichen
mit Dransetzung unsres Lebens
durch gerechten Sieg erwarben.
Nun, die schwere Hand des Cortez
trifft ihn, des bin ich gewiß.

Erster Offizier

Wie verhält es sich? Man sagt,
daß Narvaez Vollmacht führe
mit der Unterschrift des Kaisers.

Pedro de Alvarado

Wären aufgeblähte Reden
Zeugen für dergleichen Vollmacht,
er besäße sie gewißlich.
Zwar, daran ist nicht zu zweifeln:
seit der große Genuese
die westindische Küste aufschloß,
lungern alle Abenteurer
von ganz Portugal und Spanien
um den kastilian'schen Thron,
gierig, einen Freibrief sich
zu ergattern, unterm Namen
einer sogenannten Vollmacht,
der nichts weiter ist als eine
Sanktion von Raub und Mord.
Dies ist keine gute Praxis,
daß man immer neue Rudel
ungezähmter Wölfe losläßt,
Bestien, die den span'schen Namen,
die den Christennamen schänden
und sich schmählich unter Wilden
als die Wildesten am Ende
gegenseitig selbst zerfleischen.

Zweiter Offizier

Zehn Kanonen, achtzig Pferde
und achthundert Mann Soldaten
soll der Spanier mit sich führen,
der im Hafen von San Juan,
wie man sagt, vor Anker ging?

Pedro de Alvarado

Ja. Doch nun genug davon.
Dieses Wolfes Rachen macht
zahnlos bald Fernando Cortez.
Freilich nahm der General
nur die Hälfte der Besatzung
und ließ uns die fast zu schwere
Pflicht, die Stadt Tenochtitlan
mit der andren Hälfte unter
span'scher Fahne festzuhalten.
Nun, dies kann und muß gelingen,
ob die Gärung in der Stadt
sich auch täglich merkbar steigert.
Freilich kann es sich ereignen,
wenn Fernando Cortez fernerhin
noch mit der Rückkunft zögert,
daß wir in die Lage kommen,
einen allgemeinen Angriff
auf das spanische Quartier
mit der Waffe abzuwehren.
Fragen wir uns, was zu tun ist,
diesen Angriff hinzuhalten
und, im Fall er wirklich losbricht,
was schon jetzt geschehn kann, ihm
mit Erfolg die Stirn zu bieten.

Velasquez de Leon

Wichtig ist vor allen Dingen,
daß der Kaiser Montezuma,
den wir in Gewahrsam halten,
auch in unsren Händen bleibt.
Kommt er frei, erst dann wird unsre
Lage, wie mir scheint, bedenklich.
Diese Geisel sichert uns.
Aber um nicht diesen einzigen
starken Vorteil zu verscherzen,
trag' ich an, daß der Gefangne
peinlicher bewacht und strenger
in die Haft genommen werde.

Las Casas

Ganz unnötig, Don Velasquez:
denn für die Person des Kaisers
leist' ich Bürgschaft mit dem Leben.

Velasquez de Leon

Und was nutzt uns Euer Tod,
wenn der Wilde erst entschlüpft ist?

Las Casas

Ist er wild: ich kenne Spanier,
die weit wilder sind als er.

Velasquez de Leon

Nun, wir sind hier nicht Gelehrte,
die etwa zu Salamanca
um subtile Thesen streiten,
sondern halten einen Kriegsrat!
Und mein Auftrag ist: den Wilden,
stark gefesselt, stark bewacht,
sei's im engsten Kerkerloche,
ganz unfehlbar uns zu sichern.
Was soll's nützen, wenn er hier
im Quartiere frei umherläuft
und ein überflüssiger Hofstaat
Topf und Tasche uns durchschnüffelt?
Solchermaßen mästen wir
nur den Feind im eignen Hause.

Man hört die dumpfe Trommel des Tempels.

Erster Offizier

Kapitäne, eine Frage!
Steigt die Unruh' in der Stadt
und ist Rebellion im Anzug:
warum gab man die Erlaubnis,
in dem großen Teocalli
dieses Götzenfest zu feiern,
das zu Hunderttausenden
Wilde in das Weichbild zieht?

Pedro de Alvarado

Klug ist's, zu genehmigen, was
sonst, verweigert, doch geschieht.

Er steht auf und öffnet die Tür links. Man blickt über einen Altan hinweg in einen von Mauern umschlossenen Hof, der an das Quartier der Spanier stößt und zum großen Teocalli gehört, dessen Riesenpyramide man sieht.

Denn auf diese Weise hat
man den Schein von Macht gerettet.
Überdies ist zu erwägen,
ob der Götzenfesttumult
nicht Gelegenheit eröffnet,
unsre Lage zu befestigen.
Um dies näher zu erklären,
bitt' ich euch hierherzutreten
und gefälligst einen Blick
in den Hof hinabzuwerfen.

Die Spanier, mit Ausnahme von Las Casas, treten mit Pedro de Alvarado auf den Altan hinaus. Sie bleiben dabei sichtbar, und ihr Gespräch ist genau zu verfolgen.

Wie ihr seht, prangt dieser Hof
schon im Blumenschmuck des Festes.
Wenn die Priester ihren Moloch
in den feuchten Tempelkammern
mit dem Opferfraß gefüttert
und in jeder Tonart ihre
Teufelsmessen abgesungen,
führt die höllische Brüderschaft
die Gemeinde an die Sonne.
Aufgemerkt: nicht schlechtes Volk,
sondern einzig und ausschließlich
an sechshundert auserlesne
mexikan'sche Edelleute.

Velasques de Leon

Weiter, weiter, Alvarado!
Warum stockt Ihr? Fahret fort!

Pedro de Alvarado

Gut! So nehmt denn, bitt' ich, scharf
diesen Platz und diesen Hof
in Betrachtung und Erwägung,
anders nicht, als sei's ein Schlachtfeld!

Jeronimo de Aguilar

Wär's ein Schlachtfeld, wär's 'ne Falle.
Eine Falle mit zwei Türen:
eine hier und eine dort!
Denn, beim Heile meiner Seele,
außer dort der Tempelpforte
und hier unsrer Zugangstüre
seh' ich nicht das kleinste Schlupfloch.
Und wer nicht ein Sperling ist,
kommt nicht über diese Mauern.

Pedro de Alvarado

Auf den Punkt ganz Eurer Meinung.
Jetzt ersuch' ich Euch noch einmal,
unsre Lage zu erwägen.
Rosig, wahrlich, ist sie nicht.
Ist sie so, bleibt hier die Frage,
ob wir, ohne dran zu kauen,
einen Vorteil ohnegleichen
unbenutzt zu lassen, schon
weit genug im Vorteil sind?

Velasquez de Leon

nach einer allgemeinen gewissen Betretenheit, ergreift das Wort

Ist es denn nicht eine Schande,
dieses Molochfest zu dulden?
Diese Höllenpyramide
Belials nicht im Sturm zu nehmen?
Um so mehr, als wir darin
der gebenedeiten Jungfrau
und dem heiligen Herzen Jesu,
auch Sankt Jakob, dem Patrone,
Heiligtümer schon geweiht.
Seht, da kommt Olmedo eben
aus der Pforte hergeschlichen!
Das Hochamt zu zelebrieren,
hat er heut sich nicht getraut.
Ist es denkbar, ist's erträglich,
daß man in Mariens Tempel,
in dem Hause Jesu Christi
Götzengreul verübt und Menschen
an dem Opferblocke martert?
Denn trotzdem man uns versichert,
daß es nicht geschehen sollte,
so geschah's doch sicherlich.

Las Casas

Don Velasquez de Leon,
Ihr irrt! Es ist nicht geschehn!

Bernal Diaz

Warum wurdet Ihr nicht Priester,
Don Las Casas? Zum Geschäft des
Krieges habt Ihr nicht das Herz.
Warum rühren sich die Trommeln?
Um der Opfer herzzerreißend
Schmerzgebrüll zu übertönen.
Und ich will nicht selig sein,
wenn ich dies Gebrüll nicht hörte.

Christoval de Guzman

Teufel auch, ich hör' es immer!
hör' es tags und nachts im Traum!

Jeronimo de Aguilar

Wenn es nach Las Casas ginge,
wären wir zur höchsten Ehre
Huitlipochtlis heut die Opfer.
Schade, daß es nicht so ist!
Könnten wir am Nachmittag
doch, mit Sorgfalt aufgemästet,
in den Tiegeln der Azteken
als sehr delikate, zarte,
seltne Sonntagsspeise schmoren.

Las Casas

Nicht doch, meine Herrn, ihr irrt euch!
Sagten mir doch die Azteken,
bitter sei das Christenfleisch,
und sie fänden's ungenießbar.

Pater Olmedo tritt ein.

Velasquez de Leon

Was tut sich im Tempel, Pater?

Pater Olmedo

Ob ich's gleich nicht kann beeiden,
ist mir doch, als wenn sie opfern.
Dieses ungeheuren Steinmals
Quadern schienen stumm zu lauschen.
Und in einer Art von Wollust
schien der tote Steinberg plötzlich
gräßlich, wie mir schien, beseelt.

Pedro de Alvarado

Nun, auch ich bin's, bei Sankt Jakob!
wieviel mehr, da ich kein Steinberg,
sondern Pedro Alvarado
und ein Streiter Gottes bin,
und in einer Art von Wollust
fühl' auch ich mein Innres zucken.

Pater Olmedo

Soll ich euch die Wahrheit sagen?
Eine fürchterliche Angst
jagte mich, als würde oben
Jesus Christ ans Kreuz genagelt.

Pedro de Alvarado

Ei, Kam'raden, ihr seid blaß,
und ihr nagt an euren Lippen.
Etwas glimmt in euren Augen,
was kein echter Mann mißdeutet.
Was die Stunde will, ist klar.
Denkt, was Samuel gebot
einst dem König Saul: Zieh hin,
schlage die Amalekiter,
Mann und Weib und Greis und Säugling,
Ochsen, Esel und Kamele,
laß nichts leben, was da lebt:
denn der Herr hat dieses Volk
jetzt in deine Hand gegeben.

Pater Olmedo

Keine Übereilung, Pedro!

Las Casas

Darf ich Euch um Auskunft bitten,
um mich strikt danach zu richten,
was dies heißt und was Ihr vorhabt?

Pedro de Alvarado

Warum nicht? Doch tut's mir leid,
wenn ich Euren Wissensdurst
jetzt nicht kann durchaus befriedigen.
Denn die Ordres, die zu geben,
treffen dieses Mal nicht Euch.
Folgt mir!

Er geht ab. Velasquez de Leon, Bernal Diaz, Jeronimo de Aguilar, Christoval de Guzman und alle Offiziere folgen ihm. Las Casas und Pater Olmedo bleiben zurück.

Las Casas

Schade, Pater, schade!
Denn Ihr habt zu unsrem Unglück
in das Feuer Öl geträufelt,
dessen Flammen sonst vielleicht
nicht zur Brunst geworden wären.

Pater Olmedo

Wie denn meint Ihr das? Ich bin
sehr betroffen, das zu hören.
Was ist denn im Gange? Sprecht!

Las Casas

Wie ich fürchte, Pater, Schlimmes.
Hoffen wir, ich täusche mich!
Doch hier kann etwas geschehen,
wenn Ihr nicht mit ganzer Macht
den geheimen Plan bekämpft,
der im Kopfe Alvarados
jetzt wie eine Giftfrucht reif ist –
etwas kann geschehen, sag' ich,
das den span'schen Namen schändet
bis ans Ende aller Zeiten.

Pater Olmedo

Er ist rasch, und er ist unklug!
Doch er ist des Cortez Liebling,
wie er wunderlicherweise
auch im Volke dieser Wilden
allgemeiner Liebling ist.
Doch ich will – denn Ihr erschreckt mich –,
einen Fehler zu verhüten,
tun, was irgend möglich ist.

Er geht Alvarado und seinen Spaniern nach. Man kann aus Geräuschen entnehmen, daß sich der große Tempelhof mit einer Menschenmenge füllt, die in einer nicht lärmenden, aber heiteren Unterhaltung begriffen ist. Plötzlich ertönen wieder die Pauken des Teocalli. Als sie schweigen, beginnt eine wilde Musik, die verrät, daß die religiösen Tänze im Hof ihren Anfang genommen haben. Nun kommt Montezuma, sehr verfallen, mit kleiner Begleitung aus dem anstoßenden Raume. Bei ihm sind Marina, der Hausgeistliche des Cortez, Gomara, und einige aztekische Standesherren. Im ganzen nicht über fünf Personen.

Montezuma ist ungefesselt.

Marina

Hier kann Eure Majestät,
wenn sie wünscht, selbst ungesehen,
alles, was im Hofe vorgeht,
nach Belieben sich betrachten.

Montezuma

Was sagst du, Marina? Sprich!

Marina

Eure kaiserliche Hoheit
sprachen doch vorhin zu uns,
wie im jüngst verfloßnen Jahre
sie die heiligen Tempeltänze
mit Vergnügen wieder sahn.

Montezuma

Ja, ich sah sie mit Vergnügen.
Waren doch die schönsten Tänzer
meiner eignen Söhne vier
und an hundert Anverwandte.

Marina

Viel von Eurer Majestät
Anverwandten sind auch heut
unten bei den Maientänzen.
Also wollt geruhen, hier
Euch den Festtanz anzusehen!

Montezuma

Nein, Marina!

Marina

Nein? Warum nicht?

Montezuma

betrachtet nachdenklich seine Füße

Weil ich doch gefesselt bin.

Marina

Ihr seid nicht gefesselt, Herr.
Diesen Fehler der Soldaten
wollet gnädig doch vergessen!
Hat Malinche Euch nachher
nicht ersucht, ihn zu verzeihen?

Montezuma

wie vorher

Dieser Fehler der Soldaten
hinterließ mir brandige Ringe.

Marina

Nicht doch, Herr, Ihr seid ganz heil.

Sie ist niedergekniet und streichelt seine Knöchel.

Gomara

an der Altane, hinausblickend

Dieser Tanz ist lästerlich.

Las Casas

Meint Ihr? Tanzte nicht
David vor der Bundeslade,
kaum bekleidet, wie es heißt,
und mit aller Macht einher?
Tat er dies zur Ehre Gottes,
tun sie's einem fremden Götzen
doch mit gleicher Frömmigkeit.

Gomara

Hütet Euch, Ihr werdet sonst
noch am Ende zum Azteken!

Montezuma

hat Las Casas entdeckt, geht auf ihn zu, wie Hilfe suchend, und legt treuherzig seine Hand in die des Spaniers. Er ist bewegt. Seine Lippen zittern.

Oh, ich bin sehr krank, Las Casas.
Und ich habe nicht gewußt,
daß ein Mann je kann so krank sein.

Gomara

Es ist Sitte, bester Fürst,
vor dem Altar unsrer Kirche,
vor den Bildern unsrer Heiligen,
vor dem Leichnam Jesu Christi
ehrfurchtsvoll das Knie zu beugen.

Montezuma

zu Las Casas

Freund, was sagt er?

Gomara

Eure Hoheit
wolle sich dazu bequemen,
um des eignen Seelenheiles
und um der Gebräuche willen
dem Altar des wahren Gottes
schuldige Ehrfurcht zu erweisen.
Eine Christenseele schaudert
immer, wo dies nicht geschieht.

Montezuma

stampft mit dem Fuße auf, wendet sich weg

Laßt mich!

Las Casas

zu Gomara

Schlecht gewählt, Hochwürdiger,
ist die Stunde, diesen armen
großen König zu bekehren.
Auch das Mittel scheint nicht gut mir.

Gomara

Nun, so führt das Wort allein,
doch Ihr werdet zu bedenken
haben, ob Ihr weiter guttut,
der Verbreitung unsres Glaubens
hemmend in den Weg zu treten.

Er entfernt sich in merkbarer Entrüstung.

Montezuma

lehnt seine Stirn an Las Casas und beginnt heftig zu schluchzen

Freund, wer fasset die Erniedrung,
die ich zu erdulden habe!
Und wer fasset den Verlust!
Und wer fasset meine Martern!?

Las Casas

gütig

Blickt auf ihn, der dort am Kreuz hängt!

Montezuma

Grauen packt mich, seh' ich ihn,
denn er rächt sich grausam, grausam.

Las Casas

Wie meint Eure Hoheit? Sprecht!

Montezuma

Grausam rächt er sich und tückisch,
und er zieht mich in den Abgrund.
's ist ein mörderischer Zaubrer,
der das Leiden Gottes nachäfft.
Er betrog mich um mein Land.
Er betrog um meinen Gott mich.
Er betrog mich um mich selbst.

Ein mächtiges, allgemeines Freudengeschrei aus dem Tempelhofe unterbricht die Worte des Königs.

Marina

Herr, sie haben Euch erblickt,
und die reiche Festversammlung
jauchzt Euch mit Begeistrung zu.

Montezuma

wendet sich ab, fröstelnd

Schließt die Türe!

Zwei Soldaten der spanischen Wache schließen die Tür.

Erster Soldat

Um so besser,
daß er selbst darauf verfallen.
Denn wir haben zu verhindern,
daß das Pack ihn zu Gesicht kriegt.

Montezuma

Oh, ich bin zum Tod verwundet,
wie der pfeildurchschoßne Kondor
hüpf ich kläglich auf der Erde,
meine blut'gen Flügel schleifend
unbeholfen, wie ein lästiges,
viel zu großes, überflüss'ges,
kläglich lächerliches Kleid.

Las Casas

Ohne Zweifel wird Euch Cortez
nach der Rückkehr von der Küste,
wie ich sicher bin, die alte
volle Freiheit wiedergeben.

Montezuma

Wer seid ihr? Sagt mir, Las Casas!
Selbst mir selbst zur Last in langsam
langen Stunden langer Tage,
bleibt dies meiner Grübeleien
letzter, bittrer Gegenstand.
Gottes Kinder nennt ihr euch,
und ihr gleicht an Macht den Göttern.
Gleich wie Huitzi-ton, dereinst
mit den ersten Sonnensöhnen,
trug euch her die große Flut.
Und ihr wußtet uns in diesem
heiligen Bergtal der Verbannung,
wohin unsres Himmelsvaters
Wille sorglich uns verborgen,
wußtet uns hier aufzufinden.
Mit euch brachtet ihr gefesselt
eben jenes Fabeltier,
das vor vielen hundert Jahren
Huira-cotscha mit sich führte,
als er auf der Welt erschien.
Euer Führer nennt sich Diener,
nennt sich Mittler eines Höhren,
und er führet Blitz und Donner
mit sich als Beglaubigung.
Und noch mehr scheint ihr beglaubigt
durch das heilige Kreuzeszeichen,
durch das Bild des Gottes, der
leidend stirbt und dann, begraben,
glorreich gen den Himmel flammend
aufersteht zu neuem Leben.
Und ihr ehrt die Göttermutter,
ehrt die Gottgebärerin,
die des Nachts mit bleichem Haupte
niederglänzt auf ihres Schoßes
bebende, bewegte Schöpfung.
Dazu sagt ihr selbst: ihr brächtet
einer Gottheit frohe Botschaft.
Doch nun zeigt es sich, ihr seid
eine Schar hartherziger Räuber,
die mit List und mit Gewalt
groß und klein im Land berauben.
Ihr stopft Säle voller Schätze,
stehlt das heilige Gold der Tempel,
zeigt den Göttern keine Ehrfurcht,
sondern schändet sie und stoßt sie
ruchlos nieder in den Staub.
Waffenlos wie dieser Heiland,
liebend kam ich euch entgegen.
Bruder nannt' ich euren Führer,
gläubig hört' ich eure Botschaft,
froh begrüßt' ich meinen Mittler:
doch zum Lohn für Lieb' und Glauben
schloß man mich mit Eisenringen
und, mich schaudert's, ließ mich kosten
ein Getränk von Schlangengeifer
aus dem Kelch, den ihr verehret,
aus dem Kelch der Niedertracht! –
Sagt mir, wer ihr seid, Las Casas?

Las Casas

Wer wir sind, ist schwer zu sagen.
Christen und getauft im Namen
des dreieinigen Gottes zwar,
schwanken wir zeit unsres Lebens
trotzdem zwischen Höll' und Himmel.
Und wir werden erst am Tage
des Gerichtes es erfahren,
ob die ewige Seligkeit,
ob der Abgrund uns bestimmt ist.

Montezuma

Wider Willen muß ich lächeln
über das, was du gesagt hast.
Über eure frohe Botschaft
vom Gericht des Höllenrichters,
dem ihr zwischen Höll' und Himmel
eingesperrt entgegenwartet.
Dank für diese frohe Botschaft,
denn nun ist sie's, ward sie's mir.
Und so wahr ein Gott im Himmel
lebt, der ein gerechter Richter,
wird er mir am großen Tage
des Gerichts Fernando Cortez
Aug in Aug genüberstellen.
Dieses Tages warte ich!
Öffne mir die Tür, Marina!
Jetzt will ich mein Volk begrüßen,
denn die Worte dieses Ritters
haben mir die Brust erfrischt.
Wohl, der Himmel überzieht sich,
einzeln fallen schwere Tropfen,
es umfinstert sich der Gott.
Doch der Weinende wird blitzen!
Und der Blitzende wird reden!
Und der Redende wird richten!
Und der Richtende wird retten!
Und der Retter wird die Welt,
auf den Thron des Glanzes steigend,
wird die Welt und mich erneuern.

Erster Soldat

zu Marina, die im Begriff ist, die Tür nach der Altane wieder zu öffnen

Mit Verlaub, Donna Marina!
Streng verboten ist das Öffnen.

Las Casas

Ich bin hier der Offizier
und erteile die Erlaubnis!

Zweiter Soldat

Diesen Wilden zu bewachen
ist die Marter unsrer Nächte,
ist die Mühsal unsrer Tage.
Immer werden wir gerüffelt
seinetwegen und gepiesackt,
bald von dem und bald von dem.

Die Tür ist geöffnet worden, und man hört die Musik und die Laute der religiösen Tanzraserei. Montezuma tritt mit einem Fuß auf den Altan, aber nicht ganz hinaus.

Montezuma

nachdem er einige Zeit, hingenommen von dem Anblick, geschwiegen hat, bewegt und entzückt

Oh, wie groß ist dieser Anblick.
Des uralten Göttertempels
Hof unkenntlich fast in seines
Blumenschmuckes bunter Fülle.
Seht, dort ist der Stolz des Landes
an den Wänden aufgereiht!
Welches Blitzen der Geschmeide,
welches Leuchten schweren Goldes!
Grün gewandet dort die Großen
mit den farbigen Federkronen!
Dort die Priester: rote Kreuze
eingewebt ins weiße Kleid.
Unter ihnen ragt der alte,
göttlich weiße, heilige Vater,
selbst ein Fels, des Felsens Hüter,
dieses Tempels, den die Gottheit
himmelnah getürmet hat.
Und der Hahn, der heilige Vogel,
glänzt von seines Stabes Kreuz.

Las Casas

Gerne wüßt' ich, wißbegierig,
was wohl dieses Tanzes Sinn ist?

Montezuma

Fast packt selber mich der Wirbel.
Springen möcht' ich in den Reigen
und zur Ehre Gottes rasen.
Drehender Glanz ist unsre Sonne!
Drehender Glanz sind die Gestirne!
Drehende Finsternis der Sturm!
Drehende Finsternis der Gottheit
Blitz und Hagel speiender Zorn!
Glühend pulst das Herz der Erde,
nur dem Wissenden vernehmlich,
bis sein rotes Blut hervorspritzt,
donnerwirbelnd aus der weißen
heiligen Schneegebirge Gipfel.
Sieh den Popocatepetl,
wie er aus unnahbarer Höhe
unsrem Gottesdienste zuschaut!
Er ist stumm: einst sprach auch er,
und der Himmel gab ihm Antwort.
Goldmilch floß aus seinen Flanken.
Drehende Wut umzuckte ihn.
Rasend zeuget Tod und Leben
sich, vollzieht die Schmerzenspaarung
sich des zorngebornen Daseins!
Worte sind verwirrte Sprache.
Schrei ist Klarheit, Schrei ist Wahrheit!
Wahre Lust und wahre Pein!
Wutgeheul und Lustgestöhne
pressen Götter aus den Seelen.

Las Casas

Furchtbar, furchtbar klingt des Tempels
Paukenton durch Mark und Bein.

Montezuma

Was da dröhnt, das ist die Gottheit.
Durch der heiligen Pauken Mund
spricht sie mit erhabner Stimme.

Marina

die starr in den Hof blickt, plötzlich erschrocken

Was begibt sich dort, Las Casas?
Seh' ich dort nicht viele Spanier?
Streit ist, scheint es, ausgebrochen.

Las Casas

Nichts, Marina, tritt zurück!
Komm, und schließen wir die Tür!

Man hört einen ganz andersgearteten, durchdringenden Todesschrei.

Marina

Seh' ich Schatten, oder hat
Don Velasquez de Leon
eben dreien, vieren, fünfen
der Kaziken seine Waffe
durch den Rücken, durch die Brust
oder durch den Hals gestoßen?

Las Casas

Schließ die Türe, schließ die Türe!
Denn was hier geschieht zu sehen,
das macht uns vielleicht zu Stein.

Marina

Woher kommen all die Spanier?
Seht, sie stürzen auf die Tänzer!
Alles flieht, kreischt durcheinander,
sucht den Ausgang! Doch der Ausgang
ist gespickt mit span'schen Schwertern.
Seht doch, seht doch, wie sie stolpern!
Stehn sie denn nicht wieder auf?
Nein! Und einer fällt zum andern!
Was sind das für Menschenhügel?
Was sind das für rote Brunnen?
Was sind das für schwarze Lachen?
Teufel, Teufel sind erschienen
und der Untergang der Welt!

Sie läuft besinnungslos davon. Las Casas schließt eilig die Tür. Man hört nun gedämpft das Geschrei der Blutarbeit, die im Hofe des Tempels verrichtet wird. Montezuma faßt sich wie abwesend an die Stirn.

Montezuma

Was geschah mit ihr, Las Casas?
Hat sie oft dergleichen Krämpfe?

Las Casas

Ja, es scheint. Herr, fort von hier!


 << zurück weiter >>