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Ein großer abgeschlossener Platz vor dem Tempel des Sonnengottes Quetzalcoatl. Vor dem Eingang des Gebäudes eine Gruppe von Priestern mit Rosenkränzen im Haar und brennenden Fackeln in den Händen. Dem Tempel gegenüber, rechts, Montezuma mit Guatemotzin, Cacamatzin und Qualpopoca. Hinter ihm in geordneter Reihe ein großes Gefolge von Standesherren. Im Hintergrund, geradeaus gesehen, mündet eine Straße in den Platz. Bei der Einmündung stehen Wachen. Die Straße selbst, die rechts und links Tempel und stattliche Gebäude zeigt, wimmelt von Eingeborenen. Man vernimmt das Brausen der Volksmenge.
Montezuma
Botschaft! Botschaft! Sind die Läufer
      
 lahm und blind? Bedienen mich
      
 träge Raupen oder Schnecken? –
      
 Auf, und melde!
Erster Läufer
der atemlos erschienen war, sich zu Boden geworfen hatte, berichtet nun kniend
Majestät!
      
 Eben zieht der Sonnensohn
      
 aus der Stadt Culhuacan.
      
 Seine Schultern sind von Erz
      
 und sein Haupt von Erz umwachsen.
      
 Weiß von Antlitz, weiß von Locken,
      
 sitzt der Gott auf einem weißen
      
 ungeheuren Fabeltier.
      
 Und ihm folgen viele Götter,
      
 weiß von Locken, weiß von Antlitz
      
 und mit Leibern ganz aus Stahl.
      
 Und sie zucken ganz von Strahlen,
      
 und es scheint, als wenn die Sonne
      
 sie ernährte durch ihr Licht.
      
 Und sie lachen laut und prächtig,
      
 zeigen Reihen weißer Zähne,
      
 wiegen sich auf ihren Drachen,
      
 sicher sind's Unsterbliche.
Montezuma
Hörst du das, o Sonnenpriester?
Der Priester
Ja, ich höre, und ich schaudre,
      
 von dem Wunder ganz verzückt.
Qualpopoca
Töte mich! doch reden muß ich!
      
 diese Stunde ist entscheidend.
      
 Alles hab' ich vorbereitet.
      
 Gib ein Zeichen, und wir schnallen
      
 morgen alle diese Götter
      
 auf des Kriegsgotts Opferblock.
      
 Denn wenn sie den Damm betreten,
      
 der vom Ufer nach der Stadt führt,
      
 und wir Stadt und Ufer fest
      
 mit den Mauern deiner Krieger,
      
 undurchdringlich fest, verriegeln,
      
 halten wir sie in der Hand.
Montezuma
Qualpopoca, welcher Wahnsinn!
      
 Was denn haben deine Taten,
      
 deine Klugheit, deine Tücke,
      
 sage, gegen sie vermocht?
      
 Haben Flüsse, Felsenmauern
      
 diese Geister aufgehalten?
      
 Ritten sie nicht viele tausend
      
 Meilen übers große Meer?
      
 Haben sie denn die Gebirge
      
 nicht wie Adler überflogen,
      
 ruhten sie nicht, wie du selbst sagst,
      
 auf dem Haupt der Weißen Frau,
      
 deren Scheitel ew'gen Schnees
      
 kein Tolteke je erreichte,
      
 sich von Marsch und Mühsal aus?
      
 Bebte nicht der Berg im Innern,
      
 wie die Kundschafter berichten?
      
 Hast du selbst nicht zugegeben,
      
 daß sie Donnrer, Fernhintreffer,
      
 ja auch Fernhinwisser sind?
      
 Zeigten sie dein Opfer dir,
      
 das im Tempel du geschlachtet,
      
 dir im Bild den Tonatiuh nicht? 
      
Qualpopoca
Sei's. Es seien Fernhintreffer,
      
 Fernhinwisser meinethalben!
      
 Zauberkundige mögen's sein.
      
 Haben wir im Tempel wirklich
      
 statt des weißen Riesenleibes
      
 nur ein Blendwerk hingeschlachtet –
      
 ihrer Künste Gaukelspiel? –
      
 Trotzdem! meinem Lande wahr' ich,
      
 meinem Volk und Gotte Treue:
      
 diesen Göttern dien' ich nicht!
Cacamatzin
Bruder, so gib mir nun Urlaub!
      
 Selbst ein König, hab' ich Pflichten
      
 für mein Reich und meine Hauptstadt,
      
 die ich deshalb nur verließ,
      
 um vereinten Widerstand
      
 gegen diese fremden Teufel,
      
 lieber Bruder, zu beraten.
      
 Doch ich seh's: du gibst dich preis,
      
 und das gleiche liegt mir ferne!
      
 Denn wir Chichimeken werden
      
 kämpfen bis zum letzten Mann.
Montezuma
Armer Bruder, Blindheit schlägt dich!
      
 siehst du doch nur schwarze Schatten,
      
 wo die volle Sonne einbricht.
      
 Was geschieht, was sich ereignet,
      
 weiß im Tal von Anahuac
      
 jeder Bettler, nur nicht du.
      
 Durch die Mauern dringt die Freude,
      
 die mein ganzes Volk begeistert.
      
 Groß ist diese Zeit, und laut
      
 wahrlich redet ihre Stimme.
Zweiter Läufer
ist atemlos wie der erste hereingesprungen und hat sich vor dem Kaiser niedergeworfen.
Montezuma
Zweiter Läufer
Majestät!
      
 Durch Mexicaltzinco braust
      
 eben jetzt der Zug der Götter.
      
 Ruhig schreiten ihre Drachen,
      
 laut ausschnaubend, silberklirrend,
      
 stampfend, festen Gangs, einher.
      
 Und die Blondgelockten sitzen,
      
 schrecklich strahlend, obenauf.
      
 Auch die plumpen Donnertiere
      
 poltern hinterdrein auf Rollen,
      
 fromm, als hätte keines jemals
      
 von sich Blitz und Tod gespien.
      
 Und dein Volk in abertausend
      
 Barken wimmelt um den Damm:
      
 Zweige schwingend, Sträuße, Kränze
      
 schleudernd auf der Götter Weg.
      
 Zu des Dammes beiden Seiten
      
 schwillt vom Wasserspiegel Jubel,
      
 gleichwie eine Doppelbrandung
      
 alles unter sich begräbt.
Montezuma
Nun, was sagst du, Qualpopoca?
      
 Du, Cacama, trüber Ängstling:
      
 ich wohl galt dafür euch einstens,
      
 doch die Seelen sind vertauscht.
      
 Fasse Mut, und, statt zu flüchten,
      
 steig, Geliebter, in die Sänfte
      
 und begrüße vor der Stadt
      
 den so lang erhofften Retter!
Guatemotzin
Vater, welch ein fürchterlicher
      
 Irrtum herrscht in deinem Innern.
      
 Diese fremden Zaubrer haben
      
 fernhin dich mit Gift gelähmt.
      
 Sende mich hinaus, mein Vater,
      
 gib Befehl, daß alle Tempel
      
 mit dem dumpfen Laut der Pauken
      
 jeden Mann zum Kampfe rufen:
      
 noch ist's Zeit! – dann ist's zu spät. 
      
 In die Flut sie jetzt zu stoßen,
      
 sie im Wasser zu ertränken,
      
 unter Pfeilen zu begraben,
      
 unter Steinen zu verschütten
      
 muß uns jetzt ein leichtes sein.
Montezuma
Wenn Gedanken Früchten gleichen,
      
 wirst du, Baum aus meinem Samen,
      
 auch einst sehn den Tag der Reife!
      
 Bringt mir nun aus den Gewölben,
      
 von dem Schatz Axayacatls,
      
 meines sehr erhabenen Vaters -
      
 denn auch ich war einem Vater
      
 in Verehrung einst gehorsam! –,
      
 bringt Kleinodien mir herbei,
      
 von den schönsten Goldarbeiten,
      
 und der Edelsteine größte,
      
 daß wir sie zu Füßen legen
      
 unserm Gast, dem Sonnensohn!
Dritter Läufer
ist ebenso wie der erste und zweite erschienen und hat sich niedergeworfen.
Montezuma
Auf, und melde!
Dritter Läufer
Majestät!
      
 Niemals sah Tenochtitlan
      
 einen Jubel so wie diesen:
      
 denn die weißen Sonnenkinder
      
 zogen strahlend zu uns ein.
      
 Ihrem Zug voran die Sklaven,
      
 die im Auftrag deiner Hoheit
      
 deine fürstlichen Gesandten
      
 übergaben. Viele Träger
      
 mit den Lasten der Geschenke
      
 deiner heiligen Majestät.
Man hört lautes Jubeln der Volksmenge.
Montezuma
Wankt die Welt? Mich packt ein Schwindel.
      
 Welch Getöse! Haltet mich!
Qualpopoca und Cacamatzin treten herzu, und er stützt sich auf sie. So bleibt er bis zum Schluß.
Am Eingang des Platzes erscheint jetzt der Zug der Spanier. Voran Cortez und seine Offiziere, die abgesessen sind. Der Eintritt der Spanier mit der Fahne des Kreuzes wirkt äußerst imposant. Alle sind reich mit Blumen geschmückt. Cortez selbst trägt einen Kranz von roten Rosen um den Hals.
Cortez
bleibt stehen und bringt dadurch den ganzen Zug zum Stillstand, dessen Spitze natürlich nur sichtbar ist
Welcher ist nun hier der König?
Pedro de Alvarado
Doch nicht der, den sie dort tragen,
      
 einem kranken Raben gleich?
Cortez
Wenn sie wollen, sind wir hier
      
 in der allerschönsten Falle.
Pedro de Alvarado
Die Musketen sind geladen.
      
 Jeder Kerl ist kampfbereit.
      
 Treiben sie uns in die Enge,
      
 gilt ein Spanier tausend Wilde.
Cortez
Nennst du diese Leute wild?
      
 Welch ein Glanz und welch ein Reichtum!
Pedro de Alvarado
Bei Sankt Petro! Pedro heiß' ich:
      
 Petrus ist mein Schutzpatron.
      
 Und, bei meinem Leben, hier
      
 schmeck' ich was von Petri Fischzug.
Cortez
Laß die Späße. Er bewegt sich. 
      
 Wirklich scheint der kranke Vogel
      
 mir der Kaiser selbst zu sein.
      
 Nun Geduld, wir können warten.
Montezuma
immer den Blick wie gebannt auf Cortez gerichtet
Haltet, Füße! Brich nicht, Auge!
      
 Denn so wahr ich selbst von Göttern
      
 stamme, dieser ist unsterblich.
      
 Hingeschlachtet auf dem Blocke,
      
 tritt er stolz und unversehrt,
      
 unverwundbar unter uns.
Guatemotzin
halblaut zu Cacamatzin
Eine Armbrust, einen Bolzen:
      
 und das Gegenteil beweis' ich.
Gonzalo de Sandoval
Gibt es hier nicht Gold zu wiegen,
      
 so, ich schwör' es bei Sankt Jakob!
      
 fehlt die Waage, nicht das Gold!
Montezuma
hat sich bis auf einige Schritte, immer gestützt, dem Cortez angenähert. In abgemessenem Abstand folgen seine Leute. Jetzt macht er die Zeremonie der Begrüßung, mit der Hand den Boden berührend, dann sie küssend. Cortez erwidert militärisch.
Fremdling – und seit meiner Kindheit
      
 mir Vertrauter, hochwillkommen!
      
 Wär' ich nicht ein finstrer Grämling,
      
 ungesunden Leibes Sklave,
      
 hätt' ich eine Tagereise
      
 vor der Stadt dich eingeholt.
      
 Doch nun ich dich hier erblicke,
      
 fühl' ich Reue, zeihe mich
      
 erdgebunden groben Sinnes.
      
 Zwar ich sah dein weißes Haupt
      
 überall vor meiner Seele.
      
 In den Teichen meiner Gärten,
      
 in den Spiegeln meines Silbers 
      
 sah ich's jede Nacht im Traum,
      
 ja, im Wachen sah ich es
      
 lächeln aus dem Kern der Sonne.
      
 Doch nicht stark genug im Glauben,
      
 trug ich mich mit Zweifeln noch.
      
 Dies bereu' ich, dies beklag' ich!
      
 Selbst der Zauber deines toten
      
 Gotteshaupts voll Blut und Wunden,
      
 selbst dein Helm in meinen Händen
      
 hob die letzten Zweifel nicht.
      
 Herr, vergib mir: Zweifel, Glaube
      
 stieben nun weit fort von mir.
      
 Was mich jetzt erfüllt, ist Wissen.
      
 Sündenfluch, jahrtausendalter,
      
 hat mich nicht so sehr entartet,
      
 daß ich meines Blutes Bruder
      
 nicht sogleich erkennen sollte.
      
 Nein! Daß du gelebt hast, wüßt' ich,
      
 ob ich auch nicht wußte, wo.
      
 Bruder, meine Brust zerreißen
      
 Quellen, die auf einmal quillen,
      
 steigend von lebend'gem Wasser.
      
 Ich muß schweigen: Graun und Liebe,
      
 Schmerz und Jubel töten mich.
      
 Aus dem finstern Fluch der Zeiten,
      
 aus der Öde der Verbannung,
      
 aus dem Nebel leerer Fremde
      
 ist die Heimkehr nicht so leicht.
      
 Und der ausgestoßnen Väter
      
 Nachgeborner, der nicht einmal
      
 mehr die fürchterliche Schuld
      
 kennt, für die er Strafe duldet,
      
 duldet schwerer noch als sie.
      
 Bruder, diese Welt der Fremde
      
 ist von Sünden überwuchert.
      
 Unterm Schutze der Verdammnis
      
 pflanzt sich Greul auf Greuel fort.
      
 Wärst du nicht gekommen, würde
      
 bald der letzte Tropfen heiligen
      
 Bluts in deinen Brüdern, unrein. 
      
Qualpopoca
Herr, erlaube, daß ich unsres
      
 Herrschers Rede dir eröffne.
      
 Er ist streng, doch ist er gastfrei.
      
 Seine Majestät genehmigt
      
 euch drei Tage Aufenthalt.
      
 Und es soll in dieser Zeit
      
 euren Leuten an nichts mangeln!
      
 Freilich unter der Bedingung,
      
 daß im Weichbild dieser Stadt
      
 sich kein Friedensbruch ereignet:
      
 denn wir ahnden ihn mit Blut.
Cortez
Unbesorgt! Wir sind's zufrieden.
      
 Doch die Rede deines Kaisers
      
 mißverstandest du, mein Fürst.
      
 Er und ich verstehn uns besser,
      
 glaube mir, als er und du.
Montezuma
zu Qualpopoca
Sprich! Was sagt er?
Qualpopoca
Dreiste Lügen!
      
 Eurer Majestät Begrüßung –
      
 spricht er gleich kein Wort Toltekisch –
      
 sei ihm deutlich Wort für Wort.
      
 Seine Antwort strotzt von Hochmut.
Marina
auf einen Wink des Cortez, nach der vorgeschriebenen Begrüßung
Herr, Erhabner und Großmächtiger!
      
 Ich bin dieses Sonnensohnes
      
 Seele! Und auf seinen Wink
      
 steht sie zu Gebote dir.
      
 Nicht so leicht ist Kastilianisch.
      
 Eine Göttersprache ist es!
      
 Der Kazike Qualpopoca
      
 faßte das an ihr, was menschlich,
      
 doch, was mehr als menschlich, nicht. 
      
Qualpopoca
Schweig, Geschmeiß! Verfluchte Dirne
Marina
unbeirrt
Allzu hoch stehst du, o Herrscher,
      
 allzu hoch der, dessen Seele
      
 zu dir spricht, als daß wir andern
      
 zwischen dir und ihm zu stehen
      
 jemals könnten würdig sein.
      
 Wir sind nichts, und ihr seid alles.
      
 Wir sind Fremde, ihr seid Brüder.
      
 Und der Bruder grüßt den Bruder,
      
 tiefbeglückt und liebevoll.
Montezuma
Wie Musik sind deine Worte,
      
 süße Seele meines Gastes.
      
 Doch, o Mädchen, sage mir,
      
 die du meines Volkes Kind bist,
      
 wie erlangtest du dies hohe,
      
 ja dies köstliche Geschick?
Qualpopoca
Herr, dies Weib ist eine Schlange,
      
 doppelzüngig, gift'gen Zahnes,
      
 sie zertreten ist Verdienst!
      
 Abgefallen und entartet,
      
 haßt sie ihre eigne Mutter,
      
 ja, verrät ihr Volk und Land.
Montezuma
Schweig, Verblendeter, Verlorner!
      
 Und du rede weiter, Kind!
Marina
Nicht gerecht und auch nicht weise
      
 dünkt mich deines Fürsten Rede.
      
 Der Kazike von Tabasco
      
 starb, ein Fürst so gut als jener,
      
 und ich blieb, ein Kind, zurück.
      
 Nein: nicht hass' ich meine Mutter, 
      
 doch die Mutter haßte mich.
      
 Denn sie war's, die mich verkaufte,
      
 mich in öde Fremde ausstieß.
      
 Selig kehr' ich nun zurück.
      
 Und ich bringe meinem Volke
      
 nicht den Geist, der rachelechzend,
      
 sondern bringe die Erlösung
      
 und des Sonnenheilands Gnade
      
 meinem armen Vaterland.