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Zweite Szene

Ein Saal im Palaste des Montezuma in Tenochtitlan. Die Wand entlang harren Diener. Die fürstlichen Jünglinge Cacamatzin und Guatemotzin schreiten auf und ab in Erwartung des Kaisers. Es ist früher Morgen.

Cacamatzin

Furchtbar ist's: nichts überzeugt ihn.

Guatemotzin

Welch ein Irrwahn. Mögen jene
Blitz und Donner mit sich führen,
brausend Sonnendrachen reiten,
unverwundbar sind sie nicht.

Cacamatzin

Nein! Das ist es! Was verröchelt
unter Feindesfaust, ist sterblich.
Sterblich aber und verweslich
sind die wahren Götter nicht.

Guatemotzin

Nichts von Göttern! Aas, nichts weiter
war das weiße Haupt im Tempel.
Eklen, blutverfilzten Haares,
schielenden, gebrochnen Blickes.
Der dies Haupt auf seinen Schultern
trug, von riesigem Geschlechte
mag er, mag ein Gottmensch sein:
doch er kämpfte, ward erschlagen,
litt und starb in seinem Blute,
er verzuckte so wie wir.

Cacamatzin

Überzeug ihn! Felsenstarre
hält des Kaisers Sinn gefesselt.
Grade das ist ihm Bestät'gung,
was du von dem abgeschlagnen
blutigen Haupt im Tempel sagst.
Götter, spricht er, sind's trotzdem.
Ihr seid Menschen, wißt von Menschen,
so erklärt er immer wieder:
Ich nur bin der Sonne Sohn,
bin ein Tonatiuh und kenne
Sonnenkinder und ihr Schicksal!

Der Kazike Qualpopoca tritt ein.

Qualpopoca

Junge Fürsten, gebt mir Auskunft:
Ist der Kaiser schon erwacht?

Guatemotzin

Nein!

Qualpopoca

So sagt mir, die ihr stündlich
in des Kaisers Dunstkreis atmet,
Zeugen jeder Laune seid,
die des Herrschers Antlitz streifet,
was bewog die Majestät
grade jetzt, mich herzurufen?
An der fernen Landesgrenze
bin ich nötiger als hier.

Cacamatzin

Herr, wir wissen's.

Qualpopoca

Ins entblößte
Nautla brechen fremde Räuber.
Riesen, die dem Blitz gebieten.
Doch es sei durchs Schwert, durch Blitze:
stirbt man doch nur einen Tod.
So vermocht' ich's, meinen Kriegern
Mut zu machen, bis sie standen,
mutig kämpften wie die Leuen.
Doch was soll ich hier, wo jeder
Augenblick, den ich verweile,
Städte, Land und Leute kostet ...

Guatemotzin

Herr, Ihr saht sie? Saht sie selber?
Saht sie lebend? Saht sie wirklich?
Reitend auf den Sonnendrachen?
Fernhin mordend durch den Blitz?
Ist es wahr, was man berichtet?
Oder hat die niedre Menge
Furchtgespenster ausgeheckt?

Qualpopoca

Sie sind sterblich! Sie sind sterblich!
Eh ich's wußte – sollt' ich lügen? –,
ward selbst ich von Furcht gelähmt.
Seit ich's weiß, bin ich entschlossen.
Jener Tag, wo ich's erfuhr,
jene Stunde sei gesegnet.
Unsre schwarzen Panther hatten
einen von den weißen Göttern,
von den Donnrern, heimgebracht.
Schaudernd nur band ihn der Priester
an den runden Block aus Jaspis;
wie der Mondgott, rund gebogen,
hing der Riese regungslos.
Und wir zagten! Zagten lange:
sollten wir die Trommeln rühren
und den Opferbrauch vollziehn?
Denn wie aus dem Kern der Sonne
schien in Wahrheit uns geschnitten
dieser rückgebäumte Leib.
Lichte Götterarme spreizend,
schien's, er warte eines Winkes,
um mit seinem Opferblocke
machtvoll sich emporzuheben
in den Strahlengrund des Lichts.
Doch ich winkte, und die Diener
stießen in die großen Muscheln!
Und des Teocalli dumpfe
Pauken kündigten dem Kriegsgott
unser kühnes Opfer an.
Sei es drum, mag sein, ich bebte,
als der Priester jetzt den Steindolch
zaudernd, wie mir schien, erhob:
doch nur einen Augenblick!
Dann entriß sich mir ein Brüllen,
als der weiße Gott sich färbte
und ein Blutstrahl schwarz hervorschoß. –
Und ich trat hinzu, ihr jungen
Fürsten, daß der heiße Regen
die Gewänder mir verdarb,
unverwandten Auges forschend
jede Regung des Gewaltigen,
als man ihm das Herz herausbrach.
Furchtbar schweigend war sein Blick,
als er seines eignen Herzens
rauchend Pulsen sah. Dann starb er.
Starb, wie jeder stirbt! Ward kraftlos,
wurde schwer und schlaff und starb.

Cacamatzin

Und das abgeschlagne Haupt
ist das seine?

Qualpopoca

Ja, du sagst es.
Schrieb ich gleich, es sei im Walde
samt dem Helme aufgefunden.

Cacamatzin

Was, den Hergang nach der Wahrheit
zu berichten, hielt dich ab?

Qualpopoca

Vorsicht war's, um des Mexitli
Tempelpfaffen nicht zu kränken
in des Reiches erster Stadt,
denen dieses Opfer zustand.

Cacamatzin

Wißt ihr, daß der junge Priester
Quetzalcoatls, den des Kriegsgotts
blutige Priester tödlich hassen,
sei's durch Schlauheit oder Fügung,
in Besitz des Haupts geriet?
Und es, selbst wie eine Gottheit,
auf des Sonnengottes Altar
zwischen Gold und Blumen ausstellt?
Und so wies er's unserm Kaiser,
der, verfolgt von diesem Toten,
Fabelträumen unterliegt.

Montezuma, gefolgt von Dienern, tritt schnell ein.

Montezuma

Wovon sprecht ihr?

Schweigen.

Euer keiner
will das Wort dem andern rauben.
So viel Edelmut beschämt mich,
und um es euch gleichzutun,
schenk' ich allen euch die Antwort.

Er schreitet langsam und in sich versunken die Reihe der Diener ab. Diese sowie die Standespersonen haben um ihre kostbare Tracht beim Eintritt des Kaisers unscheinbare Überwürfe zusammengezogen.

Ich bin einsam. Frost umgibt mich.
Niemand liebt mich. Knechte schenkt mir
nur und Feinde diese Welt!
Meine Töchter!

Es werden drei schöne Mädchen zwischen elf und vierzehn Jahren gebracht. Schweigend stehen sie vor ihm. Er streicht nachdenklich über ihre Scheitel.

Kennt ihr mich?
Seht, sie zittern! – Nennt mich Vater! –
Nennt mich Vater! oder geht!

Die Töchter werden hinausgeführt.

Ich bin einsam. – Knechte seh' ich,
keine Freunde, keine Brüder,
keine Götter um mich her!

Qualpopoca

nähert sich in tiefer Devotion

Zwar nicht Götter, auch nicht Brüder
deiner Hoheit sich zu nennen
darf dem Rate der Vasallen
deines Reichs verstattet sein.
Auch der Freundschaft Ruf erreichet
nicht des Sonnensohnes Gipfel.
Doch was Ehrfurcht nicht verbietet:
Lieb' und Treue hegen wir.

Montezuma

Warum kehr' ich immer wieder
aus der Höhle meines Innern
in das falsche Licht zurück,
wo die Ohnmacht meines Daseins
mich aus ödem Raum umängstet?
Nichts vermag ich. Und das heilige
Gottesblut, das in mir rollt,
wenn ich schlummre, wenn ich träume,
stockt wie Blei am wachen Tag.
Helft mir, helft mir: ich bin elend!
Bin ein Bettler nur, kein Kaiser,
und der Leichnam meines Selbst. –
In den Schoß und Kern der Sonne
eingegangen, heimgenommen,
ruh' ich selig und bewußtlos
nachts in traumlos tiefem Schlaf
oder wirke in die Träume
schaffend mit der Lust der Gottheit.
Dann verbreit' ich schöpferischen
Winkes Welten, wölbe Himmel,
schleudre, wie der Sämann Körner,
Sternensaaten in den Raum.
So ins Große, so ins Kleine,
wünschend ohne Wunsch, mich wandelnd,
schalt' ich über Weltalls Grenzen
oder bilde diese Erde
frei zum Paradiese aus.
Täler, Ströme treten lautlos
aus dem Äther in ihr Dasein,
Inseln steigen, und ich bilde
glückbeschenkte Menschenvölker,
Vögel, Fisch und Wurm hinein.
Doch was red' ich! Mich umgeben
wachend widerliche Dinge,
die mir fremd und sinnlos sind. –
Qualpopoca, sei willkommen:
welche Sorge führt dich her?

Qualpopoca

Dein Befehl!

Montezuma

Befehl? Behüte
uns vor Hochmut! Mir befehlt ihr,
mächtige Fürsten! Nicht ich euch.
Denn bei euch ist Macht und Klugheit.

Qualpopoca

Mein Gebieter, was verbrach ich?
So verhöhnt man Missetäter,
deren Urteil schon gefällt ist.

Montezuma

Urteil fällen steht bei dir.
Ich bin nur ein Tor und kindisch.

Qualpopoca

Herr, du strafst mich grausam.

Montezuma

Oh,
hätt' ich Macht, ein Haar zu krümmen!
Oder wo in meinen Reichen
lebt ein Mann so frei von Tücke,
daß er zehnmal nicht des Tages
heimlich mich bei sich verrät?

Qualpopoca

Herr, wär's auch mein eignes Blut,
wär's mein Sohn, der nur von ferne
dächte, was du jetzt gesagt hast,
schleppt' ich ihn vor deine Henker
oder schlüg' ihm selbst das Haupt ab.

Montezuma

Du bist heftig!

Qualpopoca

Mehr als heftig.
Denn ich fürchte nicht den Tod
halb so sehr als eine Meinung,
die, wie deine, mich ins Herz stößt.

Montezuma

Trotz! Ich kenn' ihn! Meine Henker
sollen seine Söhne würgen:
er erwürgt den Willen mir.
Du bist falsch, denn du betrogst mich.
Oder ward der Sonnensohn
nicht im Tempel hingeschlachtet?

Qualpopoca

Ja! Es ist geschehn! Ich log!

Montezuma

Auf den Richtblock!

Cacamatzin

Sonnenkaiser!
Auch mein Leben nimm, auch mich!

Montezuma

Giftiges Gewürm umkriecht mich,
feig und falsch und blind den Grund,
den ich trete, unterwühlend:
Ihr seid Schlangen! Säulen nicht.
Säulen brauch' ich, Fundamente
meiner Herrschaft, Pfeiler! Balken!
die den Tempel meines Hauses
gründen, türmen, tragen, halten
wider Zeit und Ewigkeit!

Guatemotzin

Herr, das ist es: wir sind Pfeiler!
Doch du gräbst uns aus dem Grunde,
und so sinken wir dahin.
Aber lieber will ich selber
in die Nacht des Todes eingehn
als in jene, die herannaht,
wenn der fremde Teufel siegt.

Montezuma

Er wird siegen! Stürzt denn köpflings
in die Gräber eures Glücks,
Toren, die ein Irrwahn blind macht!
Wer bin ich, und wer seid ihr,
die ihr meinem höh'ren Wissen,
meinem göttlichen, zu trotzen
blöden Sinns euch unterfangt.
Überschritten unsre Grenzen
hat der Gott, hat Quetzalcoatl,
meines Hauses heiliger Urahn:
jede Fiber meines Leibes,
froh erschauernd, sagt es mir.
Und ihr wollt wie Gottverlaßne,
wie Verdammte ihn bekriegen?
Ihn, der donnernd kommt, im Lichthelm,
überschleichen, morden, opfern,
schlachten wie ein jagdbar Tier?

Qualpopoca

Herr, in meiner letzten Stunde
sag' ich noch, du bist im Irrtum.
Jenes Rudel weißer Wölfe
hat der Abgrund ausgespien,
und ihr Leitwolf ist kein Gott.

Montezuma

Ruft den Priester Quetzalcoatls!

Qualpopoca

Quetzalcoatls? Seine Priester
hassen Krieg und meiden Blut.
Ihnen scheint ein Bettler göttlich.

Montezuma

Und die Völker? Ihr seid Frevler!
Und es lebt der wahre Glaube
in den Tiefen nur des Volks.
Dort herrscht Frömmigkeit, herrscht Ehrfurcht.
Doch von euch, wer wollte leugnen,
daß ihr Zweifler und Verächter,
heimlich Gottesleugner seid!?

Qualpopoca

Gottesleugner? – Erst Verräter,
dann gar einen Gottesleugner,
Sohn der Sonne, nennst du mich?
So verkennst du deinen Diener,
der wie keiner treu dir anhängt.
Der den strengen Dienst der Götter
schützt und der in dir, dem Kaiser,
Gottes echten Sohn verehrt?
Du, ja du bist eine Gottheit!
Allerleuchtenden Gestirnes
unverfälschter Kraft teilhaftig.
Ob auch Wolken dich umnachten,
du bist Gott! Der andre nicht,
dessen abgetrenntes Haupt
pestverbreitend jetzt verwest.

Montezuma

Und mein Volk? Ist dir's verborgen?
Wie zugleich von tausend Orten
mächtig das Gerücht heranschwillt?
Wie in nah- und fernen Gauen
meine Völker sich erregen?
Wie sie mit dem Freudejauchzen:
Götter kommen! sich erheben
und in langen Pilgerzügen
gen den Sonnenaufgang hinziehn?
Nach Cholula! nach Cholula!
ruft der eine zu dem andern,
jeder weiß es, jeder fühlt es,
zu Cholula zog der Heiland
in den Sonnentempel ein.
Der Erlöser kehrte wieder,
um uns aus der Nacht der Schrecken,
aus dem Blutsumpf unsres Daseins
heimzuretten in sein Licht.
Und dies köstliche Erschwingen
aller Seelen, aller Herzen,
hungernder, gequälter Menschen
in die klare Offenbarung,
in die endliche Erfüllung
der Verheißung Quetzalcoatls,
blinde Tiere, spürt ihr nicht?
Nach Cholula!

Qualpopoca

Herr und Kaiser!
Wolle deine Heiligkeit
nur ein Weilchen sich gedulden.
Bald genug, wenn du nicht tapfre
Krieger stellst wie Sand am Meere,
zahlreich, zäh, unüberwindlich,
zwischen jenen Gott und dich,
pocht er selbst an deine Tür!

Der Priester Quetzalcoatls erscheint.

Montezuma

Meine Arme reichen weit,
meine Ohren hören vieles,
nun bestätigt der Vasall,
was ich mich zu glauben sträubte:
In dem Tempel Huitlipochtlis
endete der Tonatiuh
und ward nicht im Wald erschlagen.

Der Priester

Wenn des Kriegsgotts blutgewohnte
Priesterschaft den Sohn der Sonne
opfert auf dem Opferblocke,
so erfüllt sich die Verheißung
zwiefach deutlich, zwiefach klar.
Doch sie kreuzigten den Leib,
nicht den Geist und nicht die Gottheit:
diese kann nicht untergehn,
und der Tag steht vor der Türe
ihrer letzten Offenbarung.

Qualpopoca

Knabe, träumst du?

Der Priester

Nein, ich wache!
Doch ihr schlaft den Schlaf des Todes,
während sich der Herr des Lebens,
sich der liebevolle Hirte,
sich der Friedensbringer naht.

Qualpopoca

Schwächling! Welche Amme hat
dir dies Märlein aufgebunden?
Friedensbringer! Ihre Augen
schleudern Pest, ihr Atem Mord.
Ihre schwarzen Rachen donnern,
und mit Feuerzungen fressen
sie die Erde menschenleer.
Es sind Zaubrer! Sind des Kriegsgotts
ungehorsame Dämonen,
die aufstanden wider ihn.
Mörder sind's von Ewigkeiten.

Der Priester

Könnt ihr leugnen, daß der fremde
Mörder in den Sonnentempel
zu Cholula friedlich einzog,
hinter ihm der Sonnenkinder
sieggewohnte lichte Schar?
Haben sich die Cholulaner
ihm nicht freudig unterworfen?
Schmücken Quetzalcoatls Priester
nicht die furchtbarn Flügeldrachen
mit Girlanden bunten Laubs?
Wirft das Volk sie nicht mit Blumen?

Qualpopoca

Ja, Cholula ist gefallen,
Priester, doch geh hin und sieh,
sieh den Damm von Menschenleichen,
über den dein Heiland einzieht.
Hingelagert vor der Stadt,
Frieden heuchelnd, lag der Teufel.
Friedlich durch des Lagers Gassen
drängten sich Cholulas Bürger,
zahllos, freudigen Gewimmels,
da erdonnerte ein Schrecken,
und die weißen Schlächter warfen
sich mordrasend über sie. –
Welch ein Metzgen, welch ein Würgen,
Schlagen, Stechen, Pfählen, Morden! –
Keine Gnade kannten sie.
Dies, o Herr, ist meine Botschaft!
Und geeignet, den zu wecken,
der vom Sonnenheiland träumt.
Herrscher! Kaiser der Tolteken,
die des wahren Gottes Kinder,
Huitlipochtlis Söhne sind.
Nichts von Frieden, nichts von Blumen!
Laß des Kriegsgotts Muscheln blasen!
Trau dem alten, treuen Gott!
Ihm allein ist Kraft beschieden,
uns zu retten! Diesen weißen
Abgrundwölfen Halt zu bieten,
ruf dein Volk zum Kampfe auf!
Und man wird am Friedensfeste
deine falschen Sonnengötter,
Priester, grüßen, wie sich's ziemt.
Nicht mit blumigen Gewinden,
sondern mit den starken Riemen,
die sie kreuzigen und fesseln
an des Tempels Opferblock.

Montezuma

Ich bin Herr! Und was geschehn wird,
steht allein in meinem Willen,
steht bei mir und nicht bei dir!


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