Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Von der großen Entdeckung der Sylvan Silver Hollow Mine schien Collinson bis jetzt nichts zu wissen. Keys Befürchtung, er möchte bei seiner Rückkehr von Skinner herumgeschnüffelt haben, war grundlos gewesen. Er hatte das weder bei dieser Gelegenheit getan, noch später die Stelle wieder aufgesucht. Ebensowenig erfuhr er jemals etwas von der Registrierung der Parzelle oder von dem Eintreffen der Arbeiter. Die wenigen Reisenden, welche ihren Weg bei der Mühle vorüber nahmen, kamen aus dem Tal, gingen auf der andern Seite der »Grenzmark« zu Skinner und kehrten auf dem zwar längeren aber bequemeren Weg der Poststraße über Gallopers Ridge zurück. Collinson blieb es versagt, an dem Segen teilzunehmen, welcher der Oeffnung der Mine entquoll und Skinners Ansiedelung fruchtbar machte; er lag zu weit ab, um auch nur gelegentlich von einem Besuch der Sonntags umherstreifenden Arbeiter Vorteil zu ziehen. Seine Abgeschiedenheit von der Zivilisation blieb ungestört, denn die, welche vom Tal her zu ihm kamen, waren rauhe Männer des Westens wie er selber. Die Einkehr Keys und seiner beiden Gefährten in sein bescheidenes Wirtshaus an jenem Abend war ein ganz ungewöhnlicher Fall gewesen; in seiner Einfalt lag es ihm durchaus fern, zu argwöhnen, daß sie das nur getan hatten, weil sie mit ihren leeren Taschen kein anderes Unterkommen zu finden wußten. Ihr Besuch bildete ein Ereignis, dessen er sich gern erinnerte, aber es störte seinen unverwüstlichen Gleichmut auch nicht, daß sich dergleichen nicht wiederholte. Seine Pökelfleisch- und Heringstonne hielt er sich nur für seine Gäste; seine eigenen Bedürfnisse waren gering.

Ein oder zwei Tage nach dem mitternächtlichen Besuch des Sheriffs galoppierte Key den steilen Hang zu Collinson hinab, und es belustigte ihn, daß dieser das entstandene Gepolter wie gewöhnlich nur dem Herabrollen losgelösten Gerölls zuschrieb. Erst sein lautes Hallo brachte Collinson vor die Tür.

Ihr Pferd steht mit gefesselten Vorderbeinen im Klee hinter der Mühle; es hat sich's da so gut schmecken lassen, daß es jetzt ganz dick ist, war seine Begrüßung, während er Keys Pferd am Zügel hielt, als dieser sich aus dem Sattel schwang. Sein Rücken ist auch hübsch zugeheilt.

Key vermochte nicht, ein ungeduldiges Achselzucken zu unterdrücken. Sie hatten sich drei Wochen nicht gesehen, drei Wochen voller Aufregungen, Arbeit und ungeahnten Glückes für ihn – merkwürdig – und dieser Ort und dieser Mann waren in derselben Zeit gänzlich unverändert geblieben. Einen Augenblick erfaßte ihn der schreckhafte Gedanke, daß dies die Wirklichkeit sei, daß er selber nur aus einem trügerischen Traum erwacht wäre. Doch Collinsons nächste Worte gaben ihm die Gewißheit des Erlebten.

Ich dachte, Sie würden vielleicht von Marysville an Skinner schreiben, daß er das Pferd holen lassen und Ihnen zuschicken sollte; daß Sie selber wiederkommen würden, hätt' ich mir mein Lebtag nicht träumen lassen.

Hieraus ging hervor, daß Collinson noch nichts gehört hatte; das paßte Key schlecht in seinen Kram. Nun blieb ihm nichts übrig, als die ganze Geschichte zu erzählen und dabei zu bekennen, daß er damals bei ihrem unvermuteten Zusammentreffen in der Tat das Gestein untersucht und Silber gefunden hatte. Letzteres umging er indessen gewandt, indem er das Experiment und die Entdeckung später datierte und nach Marysville verlegte. Trotzdem fand er es einigermaßen schwierig, Collinson mit seinem Glück bekannt zu machen. Er war von Natur kein Prahler und wünschte weder seinen Scharfblick glänzen zu lassen, noch wegen der zähen Energie bewundert zu werden, die er entfaltet hatte, um seine Aktiengesellschaft zustande zu bringen und die Mine zu eröffnen. Doch setzte es ihn ordentlich in Verlegenheit, die Sache so schlicht darzustellen und er trug seinem geduldigen Gefährten, dessen ernstes Gesicht dabei weder tiefes Interesse noch irgend welche Empfindung verriet, die Geschichte eigentlich recht stotternd vor. Als er endlich, wenig erbaut von seiner ungeschickten Erzählung, geendet hatte, sagte Collinson langsam:

So gewinnen also Onkel Dick und jener andre Bursche, der Parker, nichts durch Ihren Fund?

Nein, entgegnete Key schnell. Wie sollten sie? Wissen Sie denn nicht mehr, wir lösten ja unsre Partnerschaft an jenem Abend bei Ihnen und jeder zog seinen eignen Weg. Sie glauben doch nicht etwa, fügte er mit erzwungenem Lachen hinzu, daß, wenn Onkel Dick oder Parker einen guten Wurf getan hätten, nachdem ich weg war, sie sich bemüht haben würden, meiner wieder habhaft zu werden, um mit mir zu teilen?

So? Würden Sie das nicht?

Key lachte wieder hell auf. Natürlich nicht. Möcht' wissen, was Sie veranlaßt, dergleichen zu denken?

Ach, weiter gar nichts! brummte Collinson vor sich hin.

Demungeachtet kam er, als sie mit den Gläsern vor sich am Feuer saßen, wieder darauf zurück:

Ihr meintet, sie gingen ihren Weg und Ihr ginget Euern. Aber Euer Weg führte rückwärts auf den alten Weg, den ihr alle zusammen gegangen wart.

Hier fühlte sich Key auf festerem Boden und er antwortete deshalb wahrheitsgetreu: Ja, aber ich ritt nur zurück, um mich zu vergewissern, ob nicht wirklich da, wo wir das Licht gesehen hatten, ein Haus stände, denn wenn es so war, wollte ich die Bewohner vor dem Feuer warnen.

Und 's gab wirklich da ein Haus? fragte Collinson gedankenvoll.

Allerdings, aber ich fand nur noch die Trümmer davon. Key stockte errötend, denn ihm fiel ein, daß er ja die Existenz desselben bei ihrem letzten Zusammentreffen geleugnet hatte. Er verbesserte sich deshalb eilig: Das heißt, wissen Sie, ich hörte von dem Sheriff, daß ein Haus dort gestanden hätte. Daß ich noch einmal hinritt, war nichts als Zufall, und daß ich mir dort von dem Gebröckel etwas in die Tasche steckte, war auch nur Zufall. Meine früheren Genossen hatten damit ebensowenig zu tun wie Sie. Ja, Sie würden sogar noch ein besseres Recht an meine Parzelle haben, wie jene, weil Sie im selben Augenblick dazu kamen, als ich ahnungslos meinen Fund gemacht hatte. Und hätte ich damals gewußt, was das Ding wert war, so würde ich Sie wohl beteiligt haben – wenn Sie nur Kapital und einige Erfahrung in der Sache besessen hätten. Key freute sich, auf diese Entschuldigung verfallen zu sein, sie war ihm erst eben in den Sinn gekommen. Er blickte Collinson freundlich an, aber dieser sagte trocken:

Nein, das würden Sie nicht – das würden Sie niemals nicht fertig gebracht haben.

Warum nicht? fragte Key fast ärgerlich.

Collinson schwieg. Nach einer Weile erst sagte er ernst: Weil ich von dem Orte nichts genommen hätte.

Das befriedigte Key. Nach dem, was er schon von den Grillen dieses Träumers wußte, glaubte er ihm. Er war doch sehr weise gewesen, ihn damals nicht gleich ins Vertrauen zu ziehen; der Einfaltspinsel würde es sicherlich für seine Pflicht gehalten haben, darüber zu reden.

Ja, sehen Sie, Collinsonchen, ich bin nicht so eigen, lachte er, das Silber in jenem Loch ist offenbar noch niemals berührt worden, ich behaupte sogar, kein Sterblicher hat je welches dort geahnt. Indessen es gibt da noch etwas anderes, was mit dem Felsloch zusammenhängt, und davon wollte ich mit Ihnen reden. Sie erinnern sich des Schuhs, den Sie fanden und mir gaben?

Ja.

Nun, in bezug auf den habe ich Sie belogen. Ich hatte ihn nicht verloren. Im Gegenteil, auch ich hatte einen gefunden, ganz nahe an der Stelle, wo Sie den dazu gehörigen fanden, und ich wollte gern wissen, wem er gehörte. Jetzt will ich's Ihnen gestehen, Collinson, ich glaubte damals wirklich an das Vorhandensein des Mädchens, dessen Gesicht ich am Fenster des Hauses gesehen hatte. Sie wissen doch noch, wie die andern mich damit aufzogen – na, vielleicht wollte ich mich nicht auch von Ihnen noch auslachen lassen, aber seitdem hat mir meine Lüge auf dem Gewissen gelegen. Sie drückte mich, weil ich bemerkt hatte, daß auch Sie sich für die Sache interessierten, und ich dachte, Sie könnten durch meine Schuld die Spur verloren haben. Wenn Sie irgend eine Vermutung hegen, wer die Besitzerin des Schuhs gewesen sein kann, so meine ich, könnten wir die Sache jetzt besprechen und unsere Ansichten austauschen. Mir ist, als sagten Sie – wenigstens schwebt mir so etwas vor, setzte er hastig hinzu, als ihm einfiel, daß er selbst es ja gewesen, der diese Bemerkung, und zwar im Spott gemacht hatte – mir ist, als wenn der Schuh Sie irgendwie an Ihre Frau erinnert hätte. Natürlich würde das gar keinen Anhalt gewähren, da Ihre Frau ja tot ist, es könnte immer nur eine zufällige Aehnlichkeit gewesen sein, die Ihr Erstaunen hervorrief, wenn nicht – Key stockte.

Haben Sie noch beide?

Ja, ich habe sie mitgebracht. Er zog sie aus der Tasche seines Reitjacketts.

Collinson griff danach; sein Gesicht nahm einen noch ernsteren Ausdruck an. Es ist mächtig wunderbar, sagte er sinnend, aber wenn man beide zugleich sieht, ist die Aehnlichkeit noch auffallender. Sehen Sie, meine Frau hatte einen geraden Fuß und trug niemals ihr Schuhwerk regelrecht rechts und links wie andere Frauen, sondern zog es an, wie's ihr gerade in die Hände fiel; und, sehen Sie, diese Schuhe hier sind richtig auf rechts und links gearbeitet, aber nie nicht danach getragen worden!

Na, diese Eigentümlichkeit mögen wohl noch andre Frauen haben, warf Key ein.

Ja, ja, das muß unbedingt so sein, erwiderte Collinson.

Für einen Augenblick fühlte sich Key angenehm berührt von der männlichen Sicherheit dieser Antwort, denn in Erinnerung an Onkel Dicks pikantes Geschichtchen war ihm der Gedanke gekommen, daß die unbekannte Bewohnerin der Räuberhöhle am Ende Collinsons Frau gewesen sein könne. Er fühlte sich daher durch Collinsons Antwort in diesem Punkte angenehm erleichtert und fuhr zuversichtlicher fort:

Sehn Sie also, diese Frau war zweifellos in der Nacht des Brandes im Hause. Sie floh offenbar in größter Hast, denn sie hatte nicht Zeit genug, ihre Schuhe mit Stiefeln zu vertauschen; sie rettete sich zu Pferde, und bei dem eiligen Ritt fielen ihr die Dinger ab. Das ist erklärlich. Nun aber frag ich, wie kam dieses Wesen unter solches Gelichter? – Wahrhaftig, Collinson, das Gesicht, das ich gesehn habe, sah so unschuldig aus, wie das einer Heiligen!

Glaub's schon, das Gesicht paßt Ihnen gerade so wenig dahin, wie mir der Fuß meines Weibes in einen Schuh, von dem Sie sagten, er wäre Ihnen geschenkt worden, bemerkte Collinson treffend, doch ohne Vorwurf.

Mag sein, brummte Key.

Ich hab' früher Geschichten von ital'schen Briganten gelesen, darin stand, daß sie Weiber rauben, sprach Collinson nachdenklich weiter, aber die Art kalifornischer Straßenräuber ist das nicht! Großer Gott! wenn so einer auch nur mal 'n Weib schief anzugucken wagte, würd' er gleich aus dem Staate rausgepeitscht werden. Nein! die Frau, die dort war, war freiwillig dort!

Da Keys Gesicht bei dieser Behauptung weder Zustimmung noch Befriedigung ausdrückte, fuhr Collinson mit einem freundlichen Blick fort: Ich seh' wohl, was Sie bekümmert, Herr Key; Sie haben gedacht, das arme Weib wär' nun vielleicht besser dran, wenn's 'n bißchen von dem Reichtum abkriegen täte, den Sie gerade unter der Stelle fanden, auf der ihre Schuhe so oft rumgetrippelt sind. Sie vermeinen, daß sie und ihre Genossen dann vielleicht von ihren bösen Wegen ablassen würden.

Herr Key hatte durchaus nichts derart gedacht. Ein kaum merkbarer Spott zuckte um seinen Mund. Aus irgend einem geheimen Grund ließ er aber ungesagt, was ihm auf der Zunge schwebte. Er stand ungeduldig auf. Nun, so scheint also keine Aussicht zu sein, jetzt noch irgend etwas zu entdecken; das Haus ist niedergebrannt, die Bande hat sich zerstreut und die Frau wird wahrscheinlich mitgegangen sein. Hierauf griff er in seine Tasche und legte drei große Goldstücke auf den Herd; das ist für unsre Zeche am Abend damals. Wenn Sie mal nach der Mine herüber kommen – ich hoffe doch, daß Sie uns einmal besuchen – so können Sie das Pferd mitbringen. Benutzen Sie es inzwischen; Sie werden finden, daß es etwas schneller ist als Ihr Maultier. Wie geht das Geschäft? setzte er in sorglosem Ton hinzu, während seine Blicke durch das leere Zimmer über den staubigen Schenktisch schweiften.

's kommt nicht viel des Wegs außer den Jungens aus dem Tal, und die sind immer in Geldnot, wenn sie hier einkehr'n, antwortete Collinson, indem er das Gold einstrich.

Key wunderte sich, daß er ihm keine Quittung anbot. Auch für die Vernichtung von Parkers Wechsel hatte er nur das Wort dieses sonderbaren Kauzes. Doch als er sein treuherziges Gesicht sah, vermochte er nicht, irgend welche Andeutung darüber zu machen. Er kam auf etwas ganz anderes und sagte: Hören Sie, Collinson, Sie leben hier doch sehr außerhalb der Welt. Ich hatte eigentlich den Plan, Ihnen Ihre Mühle abzukaufen und sie auf Dampfkraft einzurichten, um das Bauholz für die uns nötigen Gebäude darauf zu schneiden, aber Sie liegen so weit ab von der Fahrstraße, daß wir die Hölzer nicht würden abführen können. Das war der Haken, sonst würde ich Ihnen ein schönes Angebot gemacht haben.

Und hätten Sie mir noch soviel geboten, Sie hätten die Mühle nicht bekommen; ich werde sie nie verkaufen, erwiderte Collinson einfach. Als Key ihn darauf ungläubig ansah, fuhr er traurig fort: Sehn Sie, ich hab' das Ding aufgetakelt, als ich meine Frau von draußen aus den Staaten erwartete, und nun will ich's in Erinnerung an sie behalten.

Keys Mienen wurden freundlicher. Sagen Sie, wie in aller Welt sind Sie eigentlich dazu gekommen, eine Mühle hierher zu bauen, wo der Wasserzufluß so unsicher ist?

O, der war gar nicht unsicher, als ich hierher kam, Herr Key, es floß damals 'n voller Bach hier, der geradeswegs von den Schneegipfeln herunter gespeist wurde. Erst das Erdbeben hat's getan. Denken Sie doch, wenn 'n Erdbeben imstande ist, Silbergestein in die Höhe zu bringen – wie Sie uns neulich erzählten und wie Sie am nächsten Tage es selber fanden – so kann's doch auch, denk' ich, 'nen bloßen Mühlbach in 'n andres Loch schmeißen.

Aber die Umwälzungen, von denen ich sprach, fanden vor Jahrtausenden statt, damals, als diese ganze Bergkette überhaupt erst entstand, lachte Key.

So, aber mein Erdbeben war vor zehn Jahren, als ich erst eben hergekommen war. Ich mein wohl, daß ich das nicht vergessen werde. Sehn Sie, 's war 'n sonderbarer Tag im Herbst, trocken und heiß, als ob die Wälder in Feuer ständen. Kein Lüftchen wehte; nirgends auch nur 'n Hauch. Die Blätter der Erlen hingen so gerade herunter wie 'n Senkblei. Nur der Bach und das Rad zeigten Leben, alles andre war wie tot. Kein Vogel schwebte über dem Cañon, nicht mal 'n Eichhörnchen huschte im ganzen Walde; sogar die Eidechsen unter den Felsen waren starr und steif wie steinerne Chinesengötzen. Es wurde immer stiller und stiller, mir wurde angst, ich lief 'naus auf den Fels da und dacht', ich müßt' schreien, bloß um wenigstens meine eigne Stimme zu hören. Ein schwüler Dunst lag über allem, und mitten drüber stand die Sonne so fest, als wär auch sie erstarrt, 's war, als ob die ganze Natur auf etwas wartete, wartete, wartete! – Da plötzlich schien sich was zu rühren! Mit wundersamem Rollen schwankte auf einmal alles hin und her, als wenn die Welt aus ihren Fugen ginge. Ich seh' nach oben und denk', nun werd' ich gleich kopfüber, kopfunter, holterdipolter die ganze Bescherung von Felsblöcken den Berg herunter rasseln sehn, aber – gerbt mir's Fell – wenn auch nur einer kam. Während ich so noch steh' und passe, knattert's und rasselt's plötzlich über dem Cañon. Die eine Seite seines steilen Randes neigte sich vornüber, sachte, ganz sachte, als wenn sie sagen wollt': Lebwohl! und verschwindet reineweg, noch eh' ich begreife, was vorgeht. Sie kennen den mächtigen Wall an der Seite des Cañons? – Na, tausend Fuß unter dem da stehn noch Bäume, dreihundert Fuß hoch und aufrecht. – Sie wissen, wie die Fichten drüben an dem fernen Berge immer höher und höher zu steigen scheinen, immer höher über einander bis zum Gipfel? – Nun, Herr Key, ich sah sie steigen! Und als ich das sah, rannt' ich wie sinnlos zurück in die Mühle. Dort war alles still – grabesstill – auch das Mühlrad. Der Bach, der hatte kaum noch zwei Zoll Wasser!

Und was dachten Sie von alledem? fragte Key, interessiert, trotz seiner Ungeduld.

Nun, Herr Key, ich dachte – nein, so darf ich nicht sagen, denn ich wußt' es – ich wußte, daß meiner Frau was geschehn war!

Key lachte nicht; er fühlte sogar einen abergläubischen Schauder. Beide schwiegen.

Nach einer Weile begann Collinson wieder: Einen Monat später hört' ich, daß sie um diese Zeit samt dem ganzen Auswandererzug, mit dem sie reiste, in Texas am gelben Fieber gestorben war. Ihre Familie schrieb, die Leute wär'n gestorben wie die Fliegen, keiner wär übrig geblieben, sie wär'n alle mitsammen, bunt durcheinander in derselben Grube verscharrt. – Ja, ja, Herr Key, meine Frau entschwand mir, wie der steile Rand über dem Cañon, und das war das Ende! –

Aber warum denn? sie könnte doch vielleicht noch am Leben sein! rief Key, sich im Eifer vergessend.

Collinson schüttelte den Kopf: Dann würde sie hier sein. –

Key brach nun auf; er drückte dem treuen Mann herzlich die Hand, schritt sinnend zur Tür hinaus, sattelte sich selbst sein Pferd und ritt weg, ärgerlich, enttäuscht und unzufrieden mit sich. Der eigentliche Zweck seines Besuches war verfehlt. Er machte sich ernstliche Vorwürfe, daß er seinem romantischen Verlangen, etwas über die Eigentümerin der Schuhe zu erfahren, so weit nachgegeben hatte. Das war des Präsidenten der Sylvan Silber Hollow Company unwürdig gewesen. Er war keineswegs sicher, ob die Collinson gemachten vertraulichen Mitteilungen nicht vielleicht gar das Interesse der Gesellschaft gefährden könnten. Seine Torheit ärgerte ihn, und um seine mißmutigen Gedanken zu zerstreuen, beschloß er, den Rückweg über Skinners Ansiedlung zu nehmen und dort noch einige Geschäfte zu erledigen. Er schlug einen Seitenpfad ein, der die Poststraße durchschnitt, und hatte ein sonderbares Erlebnis.

Als er eben in die Poststraße eingebogen war, hörte er die klappernden Hufschläge und das klingelnde Geschirr der ankommenden Kutsche hinter sich. Bald darauf sausten die sechs galoppierenden Pferde mit dem schwerfälligen Gefährt an ihm vorüber. Einen Augenblick empfand er den Dunst der schwitzenden Pferde und den Geruch von Lack und Leder und sah am Wagenfenster ein weibliches Profil. Aber so blitzähnlich der Vorgang auch gewesen, so hatte er doch das Gesicht aus dem abgebrannten geheimnisvollen Hause erkannt!

Verwirrt und wie betäubt hielt er einen Augenblick in dem aufgewirbelten dicken Staube; dann, als der Wagen wieder sichtbar wurde, jagte er ihm ohne weiteres Besinnen nach. Seine vorher empfundene Enttäuschung, seine Selbstanklage, seine Absicht, zu Skinner zu reiten, alles, alles war vergessen. Nur ein Gedanke erfüllte ihn – diese Begegnung war keine zufällige, ein höherer Wille hatte sie herbeigeführt. Die Aufklärung des Geheimnisses lag vor ihm; jetzt durfte er nicht von der Spur lassen.

Indessen, so viel Verstand besaß er noch, sich zu sagen, daß die Post nicht anhalten würde, um einen Passagier zwischen den Stationen aufzunehmen, und daß sich die nächste Station drei Meilen talabwärts von Skinner befand. Er konnte diese noch rechtzeitig erreichen, wenn er das ihm bekannte trockene Bett eines Wasserlaufs benutzte, um den Weg abzukürzen; der Postwagen war ihm zwar gedrängt voll erschienen, er zweifelte aber nicht, daß er doch noch Platz finden würde, sei es auch auf dem Verdeck.

Brennend vor Neugier gab er seinem Pferd die Sporen. Als er den Wagen eingeholt hatte, tat er so, als wenn er vorüber wollte, betrachtete dabei aber genau das Gesicht der Fremden, welches über ein Buch gebeugt war. Es war unverkennbar das nämliche Profil, das er gesehen, aber das volle Gesicht fand er ganz anders, als er sich vorgestellt hatte. Er fühlte sich enttäuscht, ja beinah abgestoßen, doch hielt er sich noch immer neben dem Wagen und blickte hinein. Unstreitig war die Frau ungewöhnlich hübsch: da war das schön gerundete Kinn, die kleine gerade Nase und die fein geschwungene Oberlippe, die ihm bei dem Profil an dem erleuchteten Fenster aufgefallen waren – aber doch – doch – es war nicht das Gesicht seiner Träume. Mit einem sonderbaren Gefühl der Ernüchterung flog er dem Wagen voraus, ritt dann aber wieder langsamer, um ihn vorüber zu lassen. Diesesmal hob die schöne Unbekannte die langen Wimpern und sah den so beharrlich an ihrer Seite erscheinenden Reiter an. Ein seltsamer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Die großen, dunklen, schmachtenden Augen blickten forschend und erwartungsvoll. Mit einer eigenen, Key ganz unverständlichen Bedeutsamkeit erwiderten die fest auf ihn gerichteten Pupillen seinen Blick. Verwundert, verwirrt und fast verlegen blieb er ein Stück zurück. Gleich darauf ließ ihn das plötzliche Erscheinen eines Reiters die Bedeutung der ihm rätselhaften Augensprache des jungen Weibes erraten.

Der Fremde kam überraschend aus einem waldigen Pfad zur Rechten und sprengte, der Postkutsche folgend, an ihm vorüber. Er war ein kraftvoll gebauter Mann und ritt einen Hengst, dessen Qualität die der gewöhnlichen Reisepferde bei weitem übertraf. Ohne Key eines Blickes zu würdigen, ritt er bei ihm vorbei, als ob er den Wagen überholen wollte, aber Key, wie von einer Eingebung getrieben, jagte ihm rasch entschlossen nach und traf mit ihm noch gleichzeitig bei der Kutsche ein, so daß er bemerken konnte, wie die Frau beim Erblicken des Fremden erschrak und unverkennbar demselben ein Zeichen gab – ein Zeichen, welches Key für eine Warnung vor seiner Person hielt. Er wurde darin um so mehr bestärkt, als der Fremde, nachdem er noch eine kurze Strecke der Post voraus geritten war, bei einer Biegung des Weges dieselbe vorüber ließ und seine Gangart so verlangsamte, als wenn er sich auch von Key überholen lassen wollte. Dieser begriff instinktiv, daß der Mann dabei die Absicht hatte, sich ihn näher anzusehen, um ein Urteil über ihn zu gewinnen. Da Key seinerseits aber den gleichen Gedanken hegte, so verkürzte auch er sein Tempo und gewann dabei Zeit, den Fremden zu mustern. Dieser trug einen weiten, braunen, leinenen Staubmantel über einem anscheinend höchst eleganten Anzug. Kopf und Gesicht waren zum Teil mit einem weißseidenen Tuch verhüllt, welches unter dem Hut herabhing, augenscheinlich um Kopf und Hals vor Sonne und Staub zu schützen. Hierdurch hatte der Mann bei der gegenseitigen Beobachtung einen Vorteil. Key erhaschte nur das Blitzen von zwei stahlgrauen Augen, als der Reiter nach erreichtem Zweck seinem mutigen Hengst wieder die Zügel schießen ließ, an der Kutsche vorbei ritt und dann in einer Staubwolke vor derselben verschwand.

Doch Key hatte jetzt den ausgetrockneten Wasserlauf erreicht, welcher den Weg nach der Poststation wesentlich abkürzte. Wenn der Fremde mit ihm die gleiche Absicht verfolgte und sich ebenfalls noch einen Platz auf der Post sichern wollte, so kannte er entweder den Richtweg nicht, oder er verschmähte ihn bei seinem vortrefflichen Renner. Das Wettrennen mußte bei dem Vorsprung des Unbekannten ein heißes werden, und Key nahm es unverzüglich auf.

Während er so dahinjagte, kam ihm die etwas abenteuerliche Natur seines Unternehmens zu vollem Bewußtsein. Falls sein Verdacht zutraf, daß die Dame dem Fremden ein Zeichen gegeben hatte, so war es außerordentlich wahrscheinlich, daß er nicht nur die schöne Bewohnerin der Räuberhöhle, sondern auch noch ein Mitglied der Bande, oder wenigstens einen Verbündeten und Helfershelfer derselben entdeckt hatte. Sollte ihn das von dem weiteren Ausbau seines Romans abschrecken? Nein, im Gegenteil; die Sache wurde jetzt noch viel spannender – sie wurde kriminell. Schon im Interesse des Gesetzes und der Gerechtigkeit mußte er sie weiter verfolgen. Es war ein Abenteuer, wie es nicht schöner sein konnte. Allerdings hieß es, die Bande der Wegelagerer hätte sich zerstreut; seit drei Wochen war in der Tat keine Postkutsche mehr beraubt, kein Gespann mehr weggeführt worden, aber von den Räubern hatte man bisher noch keinen gefangen. Die Gegend war also noch bedroht, und damit auch die Sicherheit seiner Mine, seiner Arbeiter und das Interesse seiner Teilhaber. Das allein schon machte es ihm zur Pflicht, die entdeckte Spur nicht mehr aus den Augen zu lassen. Was die Frau anging, so konnte er, trotz der Enttäuschung, die er noch nicht zu verwinden vermochte, sich großmütig zeigen. Sie war vielleicht die Geliebte des fremden Reiters; – vielleicht entfloh sie auch jetzt nur mit seiner Hilfe der verhaßten Gesellschaft. Nur eins blieb ihm rätselhaft; offenbar waren ihr die einzelnen Persönlichkeiten der Bande nicht bekannt, denn ohne Zweifel hatte sie ihn anfänglich für ein Mitglied derselben gehalten und erst das Erscheinen ihres Geliebten beseitigte diesen Irrtum.

Es war ihm eine große Erleichterung, als das mit Geröll und Tang bedeckte gewundene Bett des Wasserlaufs ihn endlich wieder auf die Fahrstraße brachte und er kaum eine Viertelmeile vor sich die Postkutsche erblickte, die eben an der einsamen Station vorfuhr. Er hatte zwar noch Zeit, denn er wußte, die Pferde mußten gewechselt werden, aber die Befürchtung, die schöne Unbekannte könnte die Post verlassen und ein anderes Fuhrwerk nehmen, veranlaßte ihn, sein abgehetztes Tier noch weiter anzuspornen. Als er die Station erreichte, spähte er eifrig nach dem andern Reiter umher, aber dieser war nirgends zu sehen. Key wußte nicht, was er davon halten sollte – war der Fremde voraus geritten, oder welchen Zweck verfolgte er?

Wieder erschien es ihm als eine Fügung der Vorsehung, als er auf der Station noch einen Platz im Innern des Wagens fand. Er saß der hübschen Frau schräg gegenüber und konnte ihr Gesicht studieren. Sie hatte sich wieder über das Buch gebeugt, dessen Blätter sie jedoch kaum umdrehte. Nach dem ersten unwillkürlichen Aufschlag ihrer Augen zu dem neu einsteigenden Passagier schien sie ihn nicht mehr zu beachten, und Key fing an zu überlegen, ob er ihren gewissermaßen fragenden Blick bei seinem Erscheinen auf der Fahrstraße nicht mißverstanden hätte. Vorderhand war dies der einzige ihn beunruhigende Zweifel. Er empfand jetzt, da er ihr Gesicht aufmerksamer prüfen konnte, dieselbe Ernüchterung wie in dem Augenblick, als er es erkannt und nur flüchtig hinter dem Wagenfenster gesehen hatte. Ohne Frage war sie sehr hübsch. – Wenn ihr auch die Frische der Jugend fehlte, so besaß sie doch den unbeschreiblichen Reiz der Dreißigerin und damit das Anziehende und die zarten Linien gereifter Weiblichkeit. Das Gesicht zeigte aber auch Spuren, besonders um den Mund und die befransten Augenlider, welche herber Kummer gezeichnet zu haben schien, und das Kinn verriet Entschlossenheit, trotz seiner gerundeten Fülle. Ihre Kleidung – soweit der braune leinene Staubmantel sie sichtbar werden ließ – war geschmackvoll, wenn auch nicht hervorragend elegant.

Neben ihr saß ein grauhaariger Mann, der wie ein Farmer aussah. Als die Kutsche endlich die Station verließ, stieß dieser ein so komisches, befriedigtes »Ah« der Erleichterung aus, daß er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Dies bemerkend, wandte er sich mit gutmütigem breitem Grinsen an seine schöne Nachbarin:

Mit Vergunst, Fräulein, Sie werden entschuldigen! Nach Ihrem Aussehn sind Sie wohl fremd hier in der Gegend und ich weiß nicht, wie Ihnen zumute ist, aber als wie ich, sehn Sie – ich will's Ihnen nur sagen – ich fühle mich hier nie ganz geheuer, als bis ich Skinners Station glücklich im Rücken habe. Wissen Sie von wegen dem Kroppzeug, den Wegelagerern und Posträubern. Den ganzen Gallopers Ridge entlang muß man ja jeden Augenblick fürchten: Nu kommen sie! Ist man aber erst bei Skinnern vorbei, na, dann ist alles gut; sie wagen sich nämlich nicht weiter, als bis da herunter. Wenn Sie's darum nicht für ungut nehmen wollen, weil's doch in Ihre werte Gegenwart geschieht, da zieh' ich mir jetzt meine Stiebeln 'ne Wenigkeit runter, damit ich von dem verflixten Drücken 'ne Weile Ruhe kriege.

Weder das Ueberraschende dieser sonderbaren Bitte, noch das Lächeln, das sie bei den andern Fahrgästen hervorrief, schien die Dame ihrer Zerstreutheit zu entreißen. Kaum die Augen von ihrem Buch aufschlagend, drückte sie ihre Einwilligung nur durch gleichgültige Neigung des Kopfes aus.

Sehn Sie nämlich, Fräulein, und Sie Herren, fuhr der Mann die ganze Gesellschaft ins Vertrauen ziehend fort: Ich trage über vierzig Unzen reinen Goldstaub in den Stiebeln – nämlich zwischen der obern und untern Sohle, und das macht sie für meine Füße mächtig knapp. Da! – Sie können mal selber heben, grinste er, als er einen Stiefel ausgezogen hatte und ihn hinhielt. Ja, ja, man muß nur schlau sein! – Denn, wissen Sie, diese Ritter auf der Landstraße sehn's immer nur auf die Taschen und den Leibgurt ab, die Stiebeln aber vergessen sie oder sie haben keine Zeit, sie zu durchsuchen. – Selbstzufrieden sah er umher.

Das Gemurmel bewundernder Beistimmung wurde von einem bärtigen Goldgräber unterbrochen, welcher den Mittelplatz einnahm. Das ist soweit sehr hübsch, schmunzelte er verschmitzt, aber ich schätze, es würde Ihnen nicht viel helfen, wenn's gälte, sich auf die Socken zu machen. Ich hab's einfacher angefangen, und weil die Gefahr vorüber ist und wir hier ganz unter uns sind, will ich's Ihnen sagen. Sehn Sie, das erste, was diese Banditen tun, nachdem sie den Postillon unter die Gewehrmündungen genommen haben, ist, daß sie den Passagieren befehlen, auszusteigen und die Hände in die Höhe zu halten. Das geschieht nämlich, Ma'am – wandte er sich erklärend an die junge Frau, welche nur ein recht mäßiges Interesse an der Sache zeigte – um die Männer zu hindern, nach den Revolvern zu greifen. Ein Revolver ist nämlich das letzte Ding, wonach ein Wegelagerer Verlangen trägt, weder in der Hand eines Mannes, noch in seinem Futteral. So sagt ich mir also, wenn 'n Sechsläufiger doch unnütz ist, wozu sollst du dich da mit ihm schleppen? Und darum pack ich mein Schießeisen, wenn ich reise, in meinen Koffer, und meine Revolvertasche fülle ich mit meinem Goldstaub. So mach ich's! Es ist ja freilich ein verteufeltes Stück schwerer als ein Revolver, aber mir verschlägt das nichts; die Hauptsache ist, daß die Satansbrut dort danach nicht sucht. Ich bin dies Jahr schon zweimal auf der andern Seite der Sierra angehalten worden, und bin jedesmal glücklich durchgekommen!

Alle männlichen Fahrgäste gaben, als der Goldgräber nunmehr seine Revolvertasche herumzeigte, in der und jener Weise ihre ungeheuchelte Hochachtung über den listigen Einfall kund. Alle waren der Meinung, daß er die von dem Farmer befolgte Praxis weit überträfe, und daraus entspann sich eine Debatte über noch andere Arten, sein Eigentum zu sichern. Jeder ließ seinen Scharfsinn leuchten, den Vogel schoß aber ganz zuletzt ein Fahrgast ab, der bisher eine fast so große Zurückhaltung wie die schöne Unbekannte beobachtet hatte. Seinem Anzug und seinem Aussehen nach schien er ein Rechtsanwalt zu sein, auch seine Sprache und sein Wesen bestätigten diese Vermutung.

Meine Herren, begann er mit überlegenem Lächeln, ich glaube nicht, daß einer unter uns sich gern einen Feigling nennen lassen möchte; wenn man aber einen Feind vor sich hat, der niemals anders angreift oder auch nur sichtbar wird, als wenn er den wohl vorbereiteten Vorteil auf seiner Seite hat, so bin ich der Meinung, ein Mann handelt nicht nur weise, einen ungleichen Kampf zu vermeiden, sondern er ist auch berechtigt, jede List anzuwenden, den Gegner um den Kampfpreis zu betrügen. In gegenseitigem Vertrauen haben Sie sich soeben offen zur Sache ausgesprochen. Ich will nicht hinter Ihnen zurückstehen und Ihnen – wenn ich auch vielleicht etwas mehr riskiere wie Sie – doch mit demselben Vertrauen verraten, wie ich mich schützte. Ich habe mir nicht nur die wohlbekannte Gewohnheit der hiesigen Räuber zunutze gemacht, daß sie alle Frauen und Kinder mit ihren Plünderungen verschonen – was sie natürlich nur tun, um sich bei allen Kaliforniern den Nimbus der Ritterlichkeit zu geben – sondern ich habe auch von der unschuldigen Güte einer Angehörigen dieses bezaubernden und mit Recht verschonten Geschlechts Gebrauch gemacht. Hier hielt er einen Augenblick inne und verneigte sich galant gegen die schöne Unbekannte. Dann fuhr er fort: Meine Herren! Als ich einstieg, hatte ich ein starkes Paket bei mir, welches für meine Taschen zu groß, gleichzeitig aber zu klein und zu wertvoll war, um dem gewöhnlichen Gepäck anvertraut zu werden. Als unsre reizende Reisegefährtin – wiederum eine verbindliche Verneigung – meine Verlegenheit bemerkte, erbot sie sich mit der ihrem Geschlecht eigenen Liebenswürdigkeit, mein Paket in ihrer Reisetasche unterzubringen. Dieses gütige Anerbieten nahm ich freudig an. Und, meine Herren, wenn ich Ihnen nun sage, daß das Paket wertvolle Staatsschuldscheine in bedeutendem Betrage enthielt, so tue ich das nicht, um Ihre Bewunderung für mein Verfahren zu ernten, sondern weil ich glaube, diese öffentliche Anerkennung unsrer schönen Reisegefährtin schuldig zu sein, ihr, der ich es verdanke, mein Eigentum in der bis jetzt erfahrungsmäßig vollkommensten Weise vor den Straßenräubern gesichert zu sehen.

Nach dieser Rede des Advokaten wurde die Dame von allen Seiten mit Lobpreisungen überschüttet, und Key, der kein Auge von ihr verwandt hatte, sah eine schwache Röte in ihr sonst unbewegtes Gesicht steigen. Er fühlte sich plötzlich in eine ihm fast unerträglich scheinende qualvolle Lage versetzt. Was sollte er tun? Hier saß die, welche er für eine tätige Gehilfin der Banditen hielt, und neben ihr schwatzten ernste Männer in knabenhaft prahlerischer Weise alle ihre Geheimnisse aus, mit denen sie die Räuber zu überlisten hofften. Konnte er es diesen Männern gegenüber, vor sich selbst und vor dem Gesetz verantworten, wenn er es unterließ, dieses Weib zu entlarven – oder wenigstens jene vertrauensseligen Menschen im geheimen zu warnen? – Aber war er denn seiner Sache auch sicher? – War eine undeutliche Erinnerung an ein Profil, das er nur einen Augenblick gesehen – und welches, wie er auch jetzt wieder zugeben mußte, mit dem vollen Gesicht ihm gegenüber, nicht übereinstimmte – hinreichend für eine so schwere Beschuldigung? – Und mehr als das: stand die Gefälligkeit, die sie dem Sachwalter erwiesen hatte, im Einklang mit ihrem Verhältnis zu den Verbrechern?

Seinen Bedenken wurde er plötzlich entrissen, um in andrer Richtung peinvollen Gedanken anheimzufallen, denn die junge Frau sagte zu dem Advokaten, während sie sich bückte, um ihre Reisetasche unter dem Sitz hervorzuziehen: Da die Gefahr jetzt vorüber ist, darf ich Ihnen Ihr Paket nun wohl zurückgeben?

O, bitte, wehrte dieser ab, Sie würden mich außerordentlich verbinden, wenn Sie mir erlaubten, noch länger Ihr Schuldner zu bleiben, wenigstens bis zur nächsten Station, wenn es Sie nicht belästigt.

O, das durchaus nicht, antwortete sie ruhig und schickte sich an, in ihrer Lektüre wieder fortzufahren. Key merkte, wie ihm vor Scham und Verlegenheit über seinen offenbaren Irrtum das Blut ins Gesicht schoß. Welche Lächerlichkeit! Da saß er nun hier – auf dem Wege nach Marysville – um einer Frau zu folgen, die ihm gleichgültig geworden war, und die, im öffentlichen Interesse noch ferner zu beobachten, er nicht mehr den mindesten Grund hatte. Es war wirklich zu dumm!

Habe ich recht verstanden, daß Sie schon zweimal den Wegelagerern begegnet sind? spann der Jurist, zu dem Goldgräber gewandt, das Thema weiter. Natürlich würden Sie imstande sein, sie wieder zu erkennen?

I bewahre, keinen Schimmer; nicht einen Mann. Denn, sehn Sie, sie haben alle Masken vor und nur einer spricht immer, sonst keiner auch nur ein Wort.

Gewiß der Anführer oder Hauptmann?

Nein, der Redner!

Wie denn, der Redner? wiederholte der Rechtsanwalt erstaunt.

Ja, sehn Sie, ich nenn' ihn den Redner, denn er ist mit der Zunge mächtig glatt und haspelt alles, was er zu sagen hat, runter, als wenn er's auswendig gelernt hätte. Manchmal wird er auch mächtig grob zu einem, trotz all' seiner Feintuerei. Wenn er vermeint, man versteckt was, so skalpiert er einen förmlich mit seiner Zunge, und ich will verdammt sein, wenn ich nicht glaube, der Kerl freut sich, wenn er Gelegenheit dazu findet. Er hat 'n ganzen Sack voll Reden und läßt sich's nicht nehmen, sie alle auszukramen, selbst wenn er damit alles aufhält und Gefahr läuft, gefangen zu werden. Der Hauptmann ist er aber nicht; ich hab' sogar sagen hören, 's könnt ihm niemand nichts anhaben, wenn sie ihn kriegen, denn er berührt nichts und niemand, weder Mann noch Geld. Ich denk mir, wird wohl so 'ne Art verbummelter Advokat sein.

Das scheint mir kaum, lächelte der Rechtsanwalt, denn er wird wohl noch mal zu seinem Schaden erfahren, daß er sich betreffs seiner Verantwortlichkeit in einem starken Irrtum befindet. Aber es ist jedenfalls eine sehr schlaue Art, die Person des eigentlichen Anführers zu verbergen.

Ja, hol's der Teufel, es ist die pfiffigste Bande, die jemals die Sierra heimsuchte. Erst neulich drehten die verdammten Kerle dem Sheriff eine Nase. Sie ließen ihm auf irgend eine Art stecken, daß sie 'n Schlupfloch in den Wäldern hätten, wo sie ihren Raub aufbewahrten, und richtig, der zieht mit seiner ganzen Macht kampfgerüstet auf die Suche, und was findet er? Unschuldige grüne Jungens, die gerade auf dem Fleck auf Silber schürfen, wo er die Räuberhöhle vermutet hatte! Na, er hat seitdem den Kopf nicht mehr so hoch getragen.

Key warf einen schnellen Blick auf die hübsche Frau, um die Wirkung der Erzählung zu beobachten, doch ihr Gesicht verriet weder Neugier noch Interesse. Sein Auge senkte sich unwillkürlich auf den eleganten Stiefel, der unter dem Kleide hervorguckte, aber hier eine Aehnlichkeit mit dem von ihm gefundenen Schuh zu entdecken, kam ihm bald ebenso lächerlich vor wie alle seine anderen Irrtümer. Verstimmt lehnte er sich auf seinen Sitz zurück.

Die Dämmerung hatte sich herabgesenkt und das Gespräch verstummte. Allmählich begann die Anstrengung und Ermüdung des Tages die Sinne wohltätig zu betäuben. Als es dunkler wurde, legte die Dame ihr Buch auf den Schoß und schloß die Augen. Key tat dasselbe und versank in einen Traum, der ihm wieder das Profil zeigte, wie es ihm damals in der Finsternis am Fenster erschienen war, nur verwandelte es sich diesmal in ein Gesicht, welches weder dem seiner Reisegefährtin, noch irgend einem andern glich, das er jemals gesehen hatte. Dann sprang das Fenster rasselnd auf und wieder atmete er den kühlen Duft des Waldes. Er erwachte und bemerkte, daß die Dame das Fenster an ihrer Seite geöffnet hatte und die frische Luft hereinströmte. Es war nah an acht Uhr, also dauerte es noch eine Stunde, bis die Post an der nächsten Station zum Abendbrot hielt. Alle Passagiere nickten schläfrig; auch er schloß noch einmal die Augen und sank in einen tieferen Schlaf als vorher. – Plötzlich schreckte er auf. –

Die Kutsche hatte angehalten! –


 << zurück weiter >>