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I.

Es war sehr dunkel. Die böigen Windstöße hatten an Heftigkeit zugenommen. Dem letzten Stoß war ein dumpfes, unheimliches Brausen vorangegangen, welches an der ganzen Bergseite entlang zog und noch einige Zeit anhielt, nachdem die Bäume im Tal sich schon wieder beruhigt hatten. Ein kalter, feuchter Geruch – wie aus den Tiefen des Waldes aufgewühlt – erfüllte die Luft. In Augenblicken völliger Ruhe war es, als ob die Finsternis noch dichter und beinahe greifbar würde.

Durch diese rabenschwarze Nacht drang plötzlich das Klirren eines Sporenrädchens, das trockene Knarren von Sattelleder und der dumpfe Schlag eines Hufes auf dem aus dürrem Laub und Staub bestehenden Bodenteppich. Dann brummte eine Stimme, die trotz ihrer Rauheit das Geheimnisvolle der Finsternis noch erhöhte:

Das ist ja hier vorn schwarz wie die Hölle! Ich kann nichts mehr erkenn'n. Weiß der Teufel, wo wir hingeraten sind!

So mach mal Licht, erscholl eine zweite Stimme. He, paß auf, wo du hinreitest! – Jetzt ... Bitte, halt deinen Gaul zurück!

Wieder gedämpfter Hufschlag, dann Stille, das Rascheln von Papier, das Aufleuchten eines Streichhölzchens und endlich eine hochgehobene lodernde Flamme. Ihr Schein zeigte aber nur die Köpfe und Schultern von drei Reitern, umrahmt von einem nebeligen Lichtkreis, der ihre Pferde und selbst den unteren Teil ihrer eigenen Körper in dem undurchdringlichen Dunkel ließ; noch einmal flackerte die Flamme hoch auf und verlöschte zu ein paar Funken, die in Zickzackkurven zu Boden sanken, als eine dritte, wohlklingende Stimme sagte:

Paß auf, wo das hinfliegt; du warfst vorhin schon das brennende Streichholz auf diesen Zunder; das kann bei diesem Wind den schönsten Waldbrand geben.

Wär' mir ganz recht, da würden wir wenigstens sehn, wo wir sind. Trotz dieser Antwort lenkte aber der Sprechende sein Pferd nach jedem noch sichtbaren Funken und ließ ihn durch die Hufe des Tieres austreten.

Abermals völlige Finsternis und Schweigen. Die Leute schienen unschlüssig, was zu tun sei.

Endlich begann die erste Stimme wieder: Ich denke, 's ist das beste, wir warten hier, bis die nächste Bö die Wolken vom Himmel fegt. Aber, Holla! – seht doch, was ist denn das?

In der Dunkelheit vor ihnen erschien plötzlich ein schwaches Licht – ein matt leuchtendes aber deutlich abgegrenztes Viereck – das jedoch anscheinend nichts in seiner Umgebung zu erhellen schien. Plötzlich verschwand es wieder.

Dort muß ein Haus sein! Das Licht kam durch ein Fenster! rief einer der beiden andern.

Ach was, 'n Haus! laß dich nicht auslachen, ein Haus mit Fenstern auf Gallopers Ridge, 15 Meilen von jeder Verkehrsstraße! Du bist nicht recht gescheit!

Ungeachtet dieser absprechenden Antwort deuteten die wieder hörbaren dumpfen Hufschläge doch an, daß die Reiter die Richtung einschlugen, in welcher der Lichtschein sich gezeigt hatte. Dann eine Pause.

Hier ist nichts als ein felsiger Vorsprung, wo kein Haus stehen könnte, und wir sind wieder von unserm Weg abgekommen, sagte die erste Stimme ungeduldig.

Da! da ist es wieder!

Derselbe viereckige Lichtschein erschien von neuem, diesmal aber weiter zur Seite. Offenbar waren die Reiter in der Dunkelheit von der geraden Richtung abgewichen. Aber der Schein war deutlicher, und während sie noch nach dem Licht hinstarrten, trat ein Schatten auf die strahlende Fläche – das Profil eines menschlichen Gesichts ließ sich erkennen. Unmittelbar darauf erlosch das Licht wieder, und damit verschwand auch das Gesicht.

Und es ist doch ein Fenster, und dahinter war jemand, sagte der zweite Sprecher mit Nachdruck.

Es war ein Frauengesicht, sprach die wohlklingende Stimme.

Einerlei, wer es auch sein mag, wir wollen mal rufen, damit man uns den Weg zeigt. Los, alle zusammen: Hallo!

Der lang gedehnte Ruf verhallte. Aber es kam keine Antwort aus der Dunkelheit, und auch der nach einer Weile gespannten Lauschens wiederholte Ruf ergab kein besseres Resultat.

Na, habt ihr nun endlich genug von eurem Narrenspiel, polterte der erste Sprecher. Machen wir, daß wir hier fortkommen. Ob Haus oder nicht, ob Mann oder Weib, man will uns nicht, und ich hab' keine Lust, hier noch länger in dem vertrackten alten Wasserlauf, oder was 's sonst sein mag, herum zu trödeln und mir am Ende noch die Knochen zu brechen. Vorwärts also, Kehrt gemacht!

Pst! sagte die zweite Stimme, horcht!

Die Blätter der nächsten Bäume zitterten hörbar. Gleichzeitig sauste es in der Ferne. Es kam ein plötzlicher heftiger Windstoß, der die Gesichter der Männer mit den Wedeln der hohen Farne fegte und die Flanken der Pferde mit den schmiegsamen Gerten der Erlen peitschte. Ihm folgte ein am Berghang hinziehendes meergleiches Brausen.

He, Jungens! rief die erste Stimme vergnügt, ich glaube, unsere Aussichten bessern sich. Noch ein solch kräftiger Stoß und wir haben Licht. Und seht doch, da hinter uns, wo wir herkamen, wird es hell!

Die andern beiden sahen zurück. Ja, dort leuchtete es wie die erste Dämmerung. Ein matter Schein fiel auf den Berghang. Der feuchte Geruch des Waldes mischte sich mit einem scharfen Dunst.

Das ist das Streichholz, das du vor zwei Stunden weggeworfen hast, sagte die wohllautende Stimme nachdenklich. Es hat das trockene Unterholz und Gestrüpp am Weg, da bei der Biegung, in Brand gesetzt.

Meinetwegen, aber wir wissen jetzt wenigstens wo unser Weg ist, sprach die erste Stimme im Tone der Befriedigung. Vorwärts, während der Wind den Himmel rein fegt, damit wir aus diesem verdammten Höllenloch rauskommen.

Es war jetzt gerade um soviel heller, daß man die Gestalten der drei Reiter unterscheiden konnte. Aber zu beiden Seiten von ihnen war die Dunkelheit noch so undurchdringlich wie zuvor. Trotzdem schien das Profil des Reiters mit der angenehmen Stimme manchmal zurückgewandt zu sein, und plötzlich parierte er sein Pferd.

Da ist das Fenster wieder, sagte er. Seht – da! nun ist es wieder weg.

Zum Teufel mit deinem Fenster! erwiderte der Vorderste. Nur weiter!

Sie ritten schweigend geradeaus. Bald darauf konnte man unbestimmte Abstände zwischen den Bäumen am Wege unterscheiden; die Farne wichen niedrigem, dichten Buschwerk, welches wiederum einem sammetartigen Moos Platz machte. Diesem folgten lange Strecken wirren, harten Grases. Der regelmäßige Tritt der Pferde ertönte hier nur wie ein dumpfes rhythmisches Pochen. Da plötzlich stieß ein einzelner Huf mit einem scharfen Klang auf Stein und der erste Sprecher zügelte sein Pferd.

Gott sei Dank, wir sind jetzt oben und der Rest ist leicht. Jetzt will ich euch auch sagen, Jungens, daß mir das verdammte Totenlicht da unten gar nicht gefiel. Wenn's jemals einen Irrwisch in den Bergen gab, so war das einer. Ein Fenster war das nicht. Und meinte nicht einer von euch, er hätt' auch noch 'n Gesicht dahinter gesehn? War's nicht so?

Ja, und noch dazu ein sehr hübsches, antwortete die wohllautende Stimme bedächtig.

Aha, na ja, das ist so die Art, einen Menschen anzulocken. Seid froh, Jungens, daß ich euch abhielt, dem Spuk weiter zu folgen. Wahrhaftig, mich überläuft's noch ganz kalt, wenn ich dran denke. Wonach siehst du dich denn immer um wie Lots Weib? Ich glaube, beim Henker, das Gesicht hat dich behext!

Ich sah nur nach deinem Feuer aus, erwiderte der andere ruhig, und ob es wohl den Grund da unten erreichen könne.

Ich glaube, diesem Loch da würde es nichts ausmachen, und wenn es dazu Pech und Schwefel regnete. Glaub' mir, mein Junge, das Licht da unten kam aus keinem Hause. Das war 'n richtiges Stück dieser infernalischen Irrlicht-Zauberei, die uns ins Verderben locken wollte.

Die beiden andern lachten; dann ging es weiter. Die Ermüdung des langen Rittes machte sich geltend. Es fiel nur noch ab und zu eine gleichgültige Bemerkung.

Das zunehmende Licht, welches mehr dem Boden als dem immer noch bewölkten Himmel zu entströmen schien, ließ die Reiter jetzt deutlicher erkennen. Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, trug den noch nie rasierten Bart und das lange fliegende Haar des kalifornischen Hinterwäldlers; er war augenscheinlich der Aelteste und offenbar der Führer. Der zweite Sprecher war ein hagerer Mann von kraftvollem Bau, mit glatt rasiertem Gesicht. Der dritte besaß außer seinem schönen Organ eine hohe, schlanke, biegsame Gestalt und schien der Jüngste zu sein.

Der Pfad, dem die drei jetzt folgten, lief als grau schimmernder Streifen auf einem Tafelland hin, dessen Helle sonderbar gegen die tiefe Dunkelheit abstach, welche die zu beiden Seiten der steil abfallenden Wände liegende Landschaft bedeckte.

Trotzdem schien der Aelteste nach Ablauf von etwa einer Stunde da unten etwas zu bemerken, denn er richtete sich plötzlich in seinen Steigbügeln auf und sagte mit befriedigtem Grunzen: Da ist das Licht von Collinsons Mühle! Es ist zwar nichts Prunkvolles und Prachtvolles an ihr zu sehn, aber sie ist wie 'n alter, zuverlässiger Leuchtturm, nach dem ein ehrliches Menschenkind steuern kann. In zwanzig Minuten sind wir da! Er deutete in die Dunkelheit, den schon allmählich abfallenden Pfad hinab.

Nur das Auge eines Hinterwäldlers konnte das schwache, sternähnliche Licht in der undurchdringlichen Ferne entdecken. Die beiden anderen erkannten die Ueberlegenheit ihres Genossen stillschweigend an, indem sie gläubig hinnahmen, was er sagte, ohne selbst etwas zu sehen.

Schon zehn Uhr, fuhr der Alte fort, nachdem er sich ein wahres Monstrum einer silbernen Uhr vor die Augen gehalten hatte. Eine volle Stunde haben wir mit dem verdammten Spuk da unten vertrödelt!

Na, na, Onkel Dick, lachte der Jüngste, können wir's nicht billiger machen? Das Licht hat uns höchstens zehn Minuten vom Wege abgeführt.

Nun, mein Junge, wenn du das so genau weißt, da schlag' ich dir vor, reit' schnell zurück und versuch' noch mal dein Glück mit dem Licht, vielleicht erwischst du noch deine Hexe von Endor; ich gehe dem Licht nach, von dem ich weiß, daß es kein niederträcht'ger Teufelsspuk ist.

Damit ritt der Alte wieder an und setzte sich, gefolgt von den beiden andern, in einen scharfen Galopp, obwohl der Pfad mit jedem Sprunge steiler abfiel. Das ist aber die Art der Kalifornier. Geborene Reiter, wissen sie sich mit ihrem Pferde eins. Tier und Mensch verstehen sich und überfliegen in rasendem Laufe Stellen, die kunstgerechtere Reiter nicht wagen würden, in schneller Gangart zu nehmen. Ohne auch nur ein einzigesmal den Lauf ihrer Pferde zu hemmen, stürmten die verwegenen Burschen, mitunter einen wilden Schrei ausstoßend, ohne Stolpern und Fehltritt, über Geröll und schlüpfrige Strecken bis hinunter ins Tal und weiter über das kiesige Bett eines ausgetrockneten Flüßchens, an dessen anderem Ufer sie endlich vor Collinsons Mühle anhielten.

Als Mühle bestand das schon baufällige Gebäude nur noch dem Namen nach. Das Räderwerk war schon vor langer Zeit mit dem plötzlichen Versiegen des Flusses zum Stillstand gekommen. Jetzt diente das Haus als Schenke; aber kein Schild noch irgend welche Aufschrift bezeichnet es als solche. Die Bekannten wußten Bescheid, und diejenigen, welche nur zufällig einmal des Wegs kamen, fanden sich auch bald aus und waren um so angenehmer überrascht.

Collinson saß, bedächtig seine Pfeife schmauchend, vor der Tür. Er erhob sich schwerfällig, als die drei heranjagten, trat auf sie zu, während sie aus den Sätteln sprangen, und sprach zu Dick gewandt langsam: Du, ich hab's mir jetzt zurecht gelegt, der Thompson kriegt meine Stimme nicht. Damit nahm er die Zügel der Pferde.

Die drei Gefährten kannten sein Wesen und wunderten sich nicht, daß er redete, als wenn er ein eben unterbrochenes Gespräch fortsetzte. Sie waren tags zuvor bei ihm gewesen und wußten, daß inzwischen niemand des Wegs gekommen war, er also auch mit niemand gesprochen haben konnte. Nichts hatte sein einförmiges Denken unterbrochen oder abgelenkt. Die Wildnis gewöhnt den einsam auf sich Angewiesenen, Zeit und Raum zu vergessen.

Habt wohl nicht viel ausgericht', da ihr schon wieder runterkommt, setzte er mit gutmütigem Lächeln hinzu. Dann führte er, ohne eine Antwort abzuwarten, die Pferde nach dem Stall.

Als er von dort ins Haus zurückkehrte, fand er seine Gäste schon behaglich am Feuerherd sitzen. Sie hatten sich inzwischen selbst bedient, das heißt zwei Flaschen Whisky von dem Gesims hinter dem Schenktisch, mehrere geräucherte Heringe aus einer Kiste und Brot aus einer Lade genommen. Es schien, als ob er das gar nicht anders erwartet hätte und es ganz in der Ordnung fände. Unter allgemeinem Schweigen schob er noch ein Scheit Holz in den Ofen, setzte sich auf einen alten Kasten und sagte, den Blick wie zerstreut ins Feuer gerichtet: Also?

Also, wiederholte Dick, sich bequem in seinen Stuhl zurücklehnend, nachdem er die Schnalle seines Gürtels gelöst hatte. Also, alter Junge, das war nicht sehr anmutig. Jeden Fuß breit auf der »Grenzmark« haben wir abgeschürft, ohne auch nur 'ne Prise silberhaltiger Erde zu entdecken.

Ja, das stimmt – nicht 'ne Krume, brummte Parker, der Glattrasierte.

In düsterem Schweigen starrten alle ins Feuer.

Nach einer Weile begann Collinson wieder:

Mir kam's immer so vor, als hätt' die Schicht um den Felsvorsprung über dem langen Cañon etwas Glänzendes.

Ach, du Kindskopf! lachte Dick kurz auf, etwas Glänzendes – etwas Glänzendes hältst du für'n Anzeichen? Na, ebenso gut könnt'st du denken, daß Key Verstand besitzt wie ein Alter, bloß weil sein Kopf grau und silberfarben ist.

Dieser Vergleich berührte die sonderbare Tatsache, daß allerdings das Kopfhaar des jungen Mannes gar nicht mit seinem jugendfrischen Gesicht und dem ihm wohlstehenden dunklen Schnurrbart harmonierte. Weit entfernt aber, den Vergleich übel zu nehmen, fügte Key den Worten seines Gefährten lachend hinzu:

Oder daß er etwa Silber in der Tasche hätte.

Alle Vier blickten wieder stumm ins Feuer. Man vernahm nur den Wind, der an den Fenstern, den Türen und dem Dache rüttelte und im Schornstein heulte.

Endlich hub Onkel Dick wieder an:

Hört, Jungens! der Zauber hat 'n Ende; ich wenigstens hab' genug davon. Ich pfeife auf die Räubergeschichte von der verlassenen mexikanischen Mine. Mögen andere noch an das Ammenmärchen von dem gottseligen, gelehrten Scharp glauben, der in der »Grenzmark« nur Kräuter und Wurzeln sammelte, obgleich er wissenschaftlich herausgefunden hatte, daß die ganze Bergkette dort nur ein einziger massiver Silberklumpen wäre, und der aber mit »den Schätzen dieser Welt« seinen bigottischen Finger nicht besudeln wollte. – Ja, sag' ich, mag den Schatz heben wer da will, ich schenk' ihm meinen Anteil. Seht, ich hab gar nichts gegen die feine Ausklügelei von den vulkanischen Bewegungen, die silberhaltiges Gestein heraufgebracht haben sollen, und ich hab' auch gar nichts dagegen, daß du, Key, mein Söhnchen, daran glaubst, aber ich sage, ich seh' nichts davon. Na, und da vermut' ich, wird's wohl das Gescheit'ste sein, wir überlassen unsre Abbaustrecken und diese ganze gesegnete Gegend andern.

Dieser ungewöhnlich langen Rede folgte wiederum tiefes Schweigen. Nur das Toben des Windes und das Knistern des Feuers unterbrachen die Stille. Keiner fühlte sich aufgelegt, die Meinung des Alten zu bestreiten. Vielleicht empfanden alle den gleichen Mißmut getäuschter Hoffnung und so überließen sie es dem Erfahrensten unter ihnen, seine Gedanken darüber zu äußern. Dieser fuhr nach einer Weile fort:

Was sitzt ihr denn da und hängt die Köpfe; beklagen können wir uns nicht. Seit wir vor 'ner Woche Rawlin verließen, ist's uns gut und schlimm ergangen. Wir sind verschneit und halb ersoffen. Wegelagerer und Pferdediebe haben auf uns geschossen. Maultiere haben nach uns geschlagen und gebissen und Grizzlys haben uns beinahe gefressen. Was woll'n wir mehr? Wir haben 'ne Menge Spaß für unser Geld gehabt und kehren jetzt von unsrer Landpartie zurück. Das ist alles. Und da sag' ich, wir woll'n uns morgen nun die Hand schütteln und dann zieht jeder seines Wegs.

Meinethalben, murrte Parker. Wohin wird denn der deine gehn?

Ja seht, ich will auspacken und dahin gehn, wo es besseres Futter, veilchenduftende Seife und weiche Betten gibt, in denen man behaglich mit ausgezog'nen Stiefeln liegen und sterben kann. Ich brauche mal wieder Zivilisation. Ich vermute, ich werde selbst gegen das Geläut der Kirchenglocken nichts haben, wenn's nur daneben 'n Wirtshaus und 'ne Schauspielbude gibt. Der Wildnis bin ich überdrüssig.

Kann ich mir vorstellen, lachte Parker. In sechs Monaten bist du wieder da, wenn's dich nicht eher treibt.

Onkel Dick antwortete nichts. Schweigen war eine Eigentümlichkeit dieser Männer. Der Stoff für ihr Mitteilungsbedürfnis hatte sich in ihrer Abgeschlossenheit völlig erschöpft. Sie blickten nach wie vor, wie durch die Glut gebannt, ins Feuer, als ob sie von diesem eine Eingebung erwarteten.

Sagen Sie, Collinson, erklang plötzlich Keys Stimme, wer wohnt in dem Grund da auf dieser Seite der »Grenzmark«, etwa zwei Meilen von dem ersten Felsenvorsprung über dem großen Cañon?

Keine Seele.

Wissen Sie das gewiß?

Sollt's meinen. Auf den 25 Meilen zwischen Bald-Top und Skinner wohnt kein Mensch als ich.

Sie würden es natürlich bemerkt haben, wenn sich unlängst jemand dort niedergelassen hätte? beharrte Key.

Denk' wohl. Noch keine Woche ist's her, daß ich denselben Weg ging, den ihr kamt.

Und hört mal, Collinson, warf Dick ein, dann spukt da um den Weg herum ein verzaubertes Schloß mit erleuchteten Fenstern, aus denen Feenprinzessinnen herausgucken.

Collinson hielt das für einen ungehörigen Scherz, hinter dem er noch irgend etwas anderes argwöhnte. Er verließ deshalb mürrisch seinen Feuerplatz und begab sich ohne ein Wort der Erwiderung nach der Küche, um dort das Abendbrot zu bereiten. Bald kehrte er aber zurück und sagte:

Das Pökelfaß ist leer, Jungens. Kann euch bloß gedörrtes Rindfleisch, Kartoffeln und Eierfladen geben. Seit 'ner Woche ist niemand aus Skinners Laden rüber gekommen.

Tut nichts, gib nur her, was du hast, mehr könn'n wir nicht verlangen, erwiderte Dick gutmütig, aber sei flink, alter Bursche, ich hab's verdammt eilig, mich aufs Ohr zu legen, mit Sonnenaufgang muß ich fort.

Hierauf wurde es wieder still, so still, daß die drei Gefährten bemerkten, daß es auch bei Collinson in der Küche ganz still geworden war.

Onkel Dick stand leise auf und schlich nach der Küchentür. – Collinson saß vor dem Herd und starrte, mit einer Gabel in der Hand, in Gedanken versunken vor sich hin. Er schrak auf, als er sich beobachtet fühlte und zog hastig einen Topf vom Feuer. Dick kehrte auf seinen Platz zurück, neigte sich Parker zu und sagte leise:

Er war wieder mit seinen Gedanken Gott weiß wo.

Woran mag er nur immer denken?

Na, ich schätze, an sein Weib.

Was ist's denn mit dem? tuschelte Key neugierig.

Die drei steckten die Köpfe dicht zusammen.

Ja, seht ihr, flüsterte Dick, das ist so 'ne Sache. Als Collinson hier die Mühle gebaut hatte, da wollt' er seine Frau aus den Staaten nachkommen lassen und schickte nach ihr. Während eines ganzen Jahres fuhr kein Auswandererwagen durch den Paß, bei dem er nicht nach ihr gefragt hätte. Sie kam aber nicht. Eines Tags sagte man ihm, sie wär' tot.

Dick rückte seinen Stuhl den andern beiden noch näher; die Köpfe berührten sich beinahe. Drüben in der Bar sagen sie, das wär' nicht wahr, sie wär' mit dem Burschen, der sie hätt' bringen sollen, davongelaufen. Na ja, wißt ihr, 3000 Meilen und drei Wochen mit einem andern Mann ist eben für manches Weib zu viel. Der Collinson weiß hiervon nichts; er hofft noch immer auf sie und ist durch das ew'ge Gegrübel schon ganz verdreht geworden und manchmal wie gar nicht bei sich.

Hier hielt Dick plötzlich inne und schob seinen Stuhl schnell zurück; die Köpfe flogen auseinander.

Collinson trat mit dem Essen ein. Sein Gesicht zeigte den ihm immer eigenen traurigen, in Geduld ergebenen Ausdruck als er sagte:

Na, Jungens, nun kommt und langt zu.

Der bescheidene Imbiß wurde hastig verzehrt, kaum daß zwischendurch eine Bemerkung über das Elend des Erzsuchens fiel. Nach zehn Minuten saßen schon alle wieder mit ihren Pfeifen am Herde.

Hör' mal, Collinson, unterbrach Dick die gewöhnliche Pause, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm, hör' mal, alter Knabe, da wir mit Sonnenaufgang aufbrechen müssen, könn'n wir dir ebenso gut schon jetzt gestehn, daß wir keinen roten Heller in der Tasche haben. Die letzten Wochen lebten wir bereits von Keys Kleingeld, und auch das ist nun alle. Du wirst uns unsre Schuld also ankreiden müssen.

Collinson kraute sich hinterm Ohr und verzog das Gesicht, ohne daß dieses jedoch seinen gutmütigen, still ergebenen Ausdruck verlor. Jungens, ihr tut mir leid und – na – na ja, ich tu' mir auch leid. Seht, ich dacht', morgen 'nüber zu Skinner zu machen, um die Pökeltonne füllen zu lassen und meine Stimme für Herrn Mesick und die Fahrstraße abzugeben, Skinner aber wird mir nichts mehr ablassen wollen, wenn ich ihm nicht wenigstens was auf Abschlag gebe.

Was? rief Onkel Dick grimmig, du kannst doch nicht denken, daß ein Mann in den Bergen so ein gemeiner, schofler Kerl sein wird!

Brauchst nicht gleich auf den Mann zu schimpfen, erwiderte Collinson sanft, er kriegt doch auch nichts umsonst. Die Leute in Sakramento verlangen ihr Geld, und wenn Skinner nichts einnimmt, kann er auch nichts bezahlen.

Ja, ja, freilich, das ist richtig, murmelte Dick nachdenklich – aber, brauste er gleich wieder auf, die Hölle über das ganze Sakramento, über diese Gauner, Diebe und Halsabschneider! Hab' diese gesott'nen Halunken auch kennen gelernt! Ja, 's ist 'ne schuft'ge Bande!

Die andern widersprachen nicht, sie schienen die schwefelduftenden Flüche des Alten zu billigen.

Plötzlich erhellte sich Dicks Gesicht. Jetzt weiß ich, was ich tu'. Ich werde bei Skinner vorsprechen – nein, verdammt, das geht nicht, liegt mir doch zu weit vom Wege – aber Key, mein Junge, du kannst hin, du hast Zeit. – Skinner kennt mich, sage ihm, ich würd' dem Lump in Sakramento das Geld schicken. Das wird die Sache in Ordnung bringen.

Collinsons Gesicht klärte sich wieder auf. Jeder schien zufrieden, und Parker fügte den Worten Dicks noch hinzu:

Und ich, Collinson, werde Ihnen der Sicherheit halber noch einen Wechsel auf Frisko (San Franzisko) ausstellen.

Was soll das heißen? fragte Collinson, der plötzlich rot wurde.

Na, lachte Parker, so kleine Zechschulden geraten leicht in Vergessenheit.

Das laßt doch meine Sorge sein, grollte Collinson; mit dem verdammten Papier mag ich nichts zu schaffen haben!

Aber Colly, mischte sich Dick ein, was hast du dich denn auf einmal so? Der Parker ist 'n Geschäftsmann und nimmt die Sache geschäftsmäßig. Siehst du, wir könnten zum Beispiel unterwegs ermordet werden, und da hast du dann den Wechsel in der Hand.

Zu was denn? knurrte Collinson.

Na, zum Teufel, verstehst du denn nicht? um – Dick stockte einen Augenblick – um dein Geld zu bekommen, wenn du den Wechsel unsern Erben, unsern Verwandten vorzeigst.

So, also das denkt ihr von mir? Ich soll, wenn man euch umgebracht hat, zu eurer Sippschaft gehn und mir den Happen bezahl'n lassen, den ich euch gab? Nee! – er spuckte ergrimmt aus – laßt mich zufrieden, ich mag mit euch nichts mehr zu tun haben!

Damit legte er erregt ein Stück glühende Kohle auf die ihm ausgegangene Pfeife und schritt zur Tür hinaus in das Kiesbett des Flusses, wo er mit gesenktem Kopfe auf und ab wanderte.

So hab ich ja den alten Jungen noch nie gesehn, brummte Dick. Parker zuckte die Achseln und Key lächelte. Dick stand auf und ging zu Collinson, um ihm noch einmal klar zu machen, daß Parkers Gedanke mit dem Wechsel nur einem Geschäftsgebrauch entspräche und nichts Beleidigendes für ihn haben könnte.

Als die beiden nach einiger Zeit in die Stube zurückkehrten, raunte Dick Parker zu: Laß den Wechsel auf dem Schenktisch zurück, wenn du fortgehst.

Weiteres wurde über die Angelegenheit nicht mehr gesprochen. Es fiel überhaupt kein Wort mehr. Jeder starrte ins Feuer, die Pfeife im Munde und ab und zu eine dicke Rauchwolke ausstoßend. Collinson, der Parker den Rücken zugewandt hatte, schien wieder vollständig seinen Gedanken nachzuhängen.

Aus dieser Stille wurden die drei Gefährten plötzlich durch ein wütendes Gerassel aufgeschreckt, das den Berg herunterkam, entlang dem Steig, den sie vor kurzem geritten waren.

Es kam näher und wurde immer lauter, bis es den feinen Kies aus dem Flußbett gegen das Haus zu schleudern schien, und dann verwandelte es sich in einen Windstoß, der an dem Dach rüttelte und heulend durch den Kamin fuhr.

Dick, Parker und Key sprangen auf und eilten vor die Tür, sahen aber nichts als die Finsternis, die wie eine eiserne Tür vor ihnen stand. Sie traten wieder ein.

Da muß doch jemand vorüber gekommen sein, sagte Dick zu Collinson, der sich nicht vom Fleck gerührt hatte.

Keine Seele, erwiderte dieser ruhig, ohne umzusehen.

Na, zum Henker, was war's denn dann?

Nur Geröll, das ihr beim Herunterreiten gelockert habt. Das ist immer so. Als ich hierher kam, da ging ich auch hinaus, weil ich dacht', 's käm' einer. Ich schrie und rief, 's antwortete aber niemand. Nu hab' ich mich dran gewöhnt und laß es poltern. Die eine Nacht war's mir wohl mal so, als ob ich 'nen Schrei hörte und als ob es an die Tür pochte. Ich wollt' aufstehn, überlegt' mir aber dann, daß wenn einer zu essen oder zu trinken haben wollte, er wohl hereinkomm'n würde; 's kam aber niemand. Am andern Morgen fand ich 'n Felsstück so groß wie die Kiste da, dicht an der Tür.

Prebel Key trat noch einmal hinaus, kam nach einer Weile wieder und sagte mit einem bedeutsamen Blick auf Onkel Dick:

Ueber dem großen Cañon ist der Himmel ganz rot.

Das hab ich schon vor 'ner Stunde gesehn, bestätigte Collinson gleichmütig. Der Wald überm Cañon auf der andern Seite der Biegung muß wohl brenn'n. Da wird man zu Skinner 'nen Umweg machen müssen.

Key wandte sich bei diesen Worten Collinson zu, als wenn er etwas sagen wollte, änderte aber seine Absicht und folgte seinen Gefährten, die inzwischen eine Schlafstelle aufgesucht und sich in ihre Decken gehüllt hatten. Sie lagen in einer Art von Kojen, die wie in einer Schiffskajüte um die Wände eines Raumes gereiht waren, der früher der Mühle als Meßkammer gedient hatte.

Bald nachdem die drei sich zur Ruhe begeben, verließ Collinson die Stube, und nächtliche Stille lagerte auf dem Hause.

Alles war dunkel, nur das flackernde Feuer warf die riesenhaften Schatten der davorstehenden Stühle auf die Wände. Nach Verlauf von etwa einer Stunde war der eine Stuhl wieder besetzt. Das groteske Profil des schlummernden oder sinnenden Collinson zeichnete sich gespenstisch auf dem Balkenwerk ab. Doch auch dieses Bild verblaßte allmählich, das letzte Fünkchen im Herde erlosch und die Dunkelheit, welche draußen das Haus umgab, drang langsam durch jede Ritze und Spalte des schlecht gefügten Gebäudes. Mit ihr zog die kühle Luft des Waldes ein; ihr reiner Hauch verscheuchte bald die Ausdünstung menschlicher Kleidung und die Gerüche der Speisereste. Eine Stunde später – und die Wildnis herrschte hier wieder unumschränkt.

Key schlief unruhig. Er erwachte früh. Die Dämmerung meldete sich eben erst durch zwei matte Lichtvierecke, die am andern Ende des Raumes aus der Dunkelheit herauszuwachsen schienen, da wo die Fenster aufs Tal hinaussahen. Dies erinnerte ihn an die Erscheinung des letzten Abends. Er lag und blickte nach ihnen, bis sie immer lichter wurden und ihn die Gestalten seiner schlafenden Genossen erkennen ließen. Bald regte sich auch das erwachte Leben. In munteren Sprüngen huschte ein Eichhörnchen über das Schindeldach, ein leises Dahinstreichen aus unsichtbaren Schwingen ließ sich im Balkenwerk vernehmen und Rascheln und Quieken unter dem Fußboden. Darüber versank er wieder in festen Schlaf und als er erwachte, stand die Sonne bereits hell am Himmel.

Sie schien auf die leeren Lagerstätten. Seine Gefährten waren schon fort.

Sie waren auseinandergegangen, wie sie zusammengekommen waren – mit der sorglosen Unbekümmernis der Tiere – ohne Bedauern, kaum eine Erinnerung aneinander mitnehmend. Die Gefährten waren von ihm gezogen, wohlgemut den Mißerfolg ihres Unternehmens ertragend, heiter in die Zukunft blickend, voller Hoffnung auf besseres Glück an anderem Ort. Wenn sie ihm jemals wieder begegneten, würden sie sich lachend seiner erinnern, wenn nicht, würden sie ihn ohne Gram vergessen.

Eilig stand er auf und ging hinaus, sich Gesicht und Hände zu waschen. Die herrliche Bergluft, der blendende Sonnenschein, der wunderbar klare Umblick hoben sein Herz und übten eine beinahe berauschende Wirkung auf ihn aus. Selbst die alte Mühle bot einen fesselnden Anblick. Sie stand vor ihm in der ganzen Düsterheit ihres vorzeitigen Verfalls. Die Speichen des Wasserrades von langen Gräsern und Gerank umschlungen, blickten unter einem Gewirr von Strauchwerk und Treibholz hervor. Hügel von Sägespänen und Abfällen, mit sammetartigem Moos überzogen, erhoben sich aus faulenden, buntschillernden Sümpfen, welche der sickernde Schlamm des verschwundenen Flusses gebildet und die das Rotholz gefärbt hatte.

Und weiter glitt das Auge über das stetig abfallende, sich lang hinstreckende Tal, welches abwechselnd in Sonnenschein gebadet, oder hinter treibenden weißen Rauchgewinden versteckt dalag. Das obere Ende des langen Cañons und die Felsstämme über ihm waren von diesen flockigen Wolken eingehüllt, die zeitweilig die Berggipfel zu überfluten und gleich träge fließenden Kaskaden die Abhänge herabzurieseln schienen. Nur nach einer Seite war es klar; dort schienen die grünen Kiefern sich zu langen Wellenzügen aufzutürmen, die unablässig vorwärts und aufwärts drängten, bis sie endlich sich am hohen Himmel brachen.

Unter dem Reiz der frühen Morgenstunde und der kräftigen Höhenluft wurde Key von der Sehnsucht nach Tätigkeit ergriffen, und in dem Wunsche fortzukommen bemerkte er es kaum, als er in die Stube zurückkehrte, daß Collinson traurig sein Pökeltönnchen hervorgeholt hatte und für ihn die letzten geringen Ueberreste zusammenkratzte. Erst als er gefrühstückt hatte und Collinson ihm das Pferd vorführte, kam ihm seine und seiner Gefährten herzlose Selbstsucht zum Bewußtsein. Dies machte ihn beim Abschied zwar etwas verlegen, indessen tröstete er sich mit dem Gedanken, daß er dem guten, freundlichen Menschen durch seine Fürsprache bei Skinner einen Dienst erweisen würde, und dann hatte ja auch Parker den Wechsel auf den Schenktisch gelegt. So stieg er nach einem herzlichen Händedruck in den Sattel und galoppierte den felsigen Abhang hinauf, den er am Abend vorher mit den beiden andern herabgekommen war. Als er die Höhe erreichte, sah er sich noch einmal nach der Mühle und ihrem einsamen Bewohner um. In der reinen Luft konnte er ihn deutlich vor der Haustür erkennen. Der alte treue Bursche schien ihm noch einen Scheidegruß zuzuwinken. Dabei flatterte es wie Schneeflocken über seinem Kopf. Es waren die Schnitzel des zerrissenen Wechsels, welche dieser schlichte, ehrenfeste Mann der Sierra in alle Winde fliegen ließ.


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