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Der Poet von Sierra Flat.

Als der unternehmende Herausgeber des »Sierra Flat-Berichterstatters« an seinem Setzkasten stand und Typen setzte für die Nummer von nächster Woche, konnte er nicht umhin, die Spechte zu hören, die auf seinem Dache geschäftig waren. Es kam ihm der Gedanke, daß die Vögel möglicherweise noch nicht gelernt hätten, in dem rohen Baue eine Verbesserung der Natur zu erkennen, und diese Idee gefiel ihm so sehr, daß er sie dem Leitartikel einverleibte, den er jetzt in doppelter Weise zusammensetzte. Denn der Herausgeber war auch der Drucker des »Berichterstatters«, und obwohl dieses merkwürdige Journal im Rufe stand, eine Macht auszuüben, die durch ganz Calaveras und den größern Theil von Tuolumne County gefühlt werde, so war doch strenge Sparsamkeit eine der Bedingungen seiner wohlthätigen Existenz.

Auf diese Weise in Anspruch genommen, schrak er zusammen durch das plötzliche Hereinfallen einer kleinen Manuscriptrolle, welche durch die offenstehende Thür hereingeworfen wurde und zu seinen Füßen niederfiel. Er schritt schnell nach der Schwelle hin und blickte den verschlungnen Pfad hinab, der nach der Landstraße hinunterführte. Aber es war nichts, was ihn auf die Anwesenheit seines geheimnißvollen Mitarbeiters hätte schließen lassen. Ein Hase hinkte langsam hinweg, eine in Grün und Gold gekleidete Eidechse ruhte auf einem Fichtenstumpf aus, die Spechte hörten auf zu arbeiten. So vollständig war seine Abgeschiedenheit im Walde, daß er es schwierig fand, irgend ein menschliches Thun mit dem Act in Verbindung zu bringen; nur der Hase schien eine unaussprechlich schuldbeladene Miene zu machen, die Spechte schienen ein bezeichnendes Schweigen zu beobachten, und die Eidechse von ihrem Gewissen getroffen in Stein verwandelt zu sein.

Eine Prüfung des Manuscripts indeß corrigirte diese Ungerechtigkeit gegen die vertheidigungslose Natur. Es war augenscheinlich menschlichen Ursprungs, bestand in Versen, und zwar in Versen von maßlos schlechter Qualität. Der Zeitungsmann legte es bei Seite. Als er dies that, war ihm, als sähe er ein Gesicht am Fenster. Indem er mit einer gewissen Entrüstung hinaussprang, durchdrang er das Dickicht um das Haus in jeder Richtung, aber sein Suchen war so fruchtlos wie zuvor. Der Poet, wenn er's war, war weg.

Ein paar Tage nachher wurde die Abgeschlossenheit des Herausgebers durch Stimmen gestört, die abwechselnd forderten und baten. Indem er nach der Thür ging, war der Herausgeber erstaunt, Mr. Morgan Mac Corkle vor sich zu sehen, einen wohlbekannten Bürger von Angela und Abonnenten des »Berichterstatters«, der sich bemühte, theils durch Gewalt, theils durch Ueberredung einen wunderlich aussehenden jungen Menschen nach dem Gebäude zu drängen. Als er schließlich sein Ziel erreicht und gleichsam seine Prise sicher in einem Stuhl gelandet hatte, nahm Mr. Mac Corkle seinen Hut ab, wischte sorgsam den schmalen Isthmus seiner Stirn ab, welcher seine schwarzen Brauen von seinem stoppeligen Haare trennte, und sagte mit einer erklärenden Handschwenkung nach seinem widerhaarigen Gefährten hin:

»Ein geborner Poet und der verfluchtigste Narr, den Sie jemals gesehen haben.«

Indem er das Lächeln des Herausgebers für Anerkennung der Vorstellung nahm, holte Mr. Mac Corkle tief Athem und fuhr fort: »Wollte nicht kommen. Der Herr Redacteur mag mich gar nicht sehen, Morg, sagt er. Milt, sag' ich, freilich mag er. Ein geborner Poet wie Du und ein begabtes Genie wie er müssen gemüthlich zusammenkommen. Und ich holte ihn. Ha, wirst Du!« Der geborne Poet war, nachdem er Zeichen großer Angst von sich gegeben, aufgesprungen, um wegzulaufen. Aber Mr. Mac Corkle war rasch neben ihm, faßte ihn bei seinem langen Leinwandrock und drückte ihn wieder in seinen Stuhl. »Das Auskneifen hilft nichts. Hier bist Du, und hier bleibst Du. Denn Du bist ein geborner Poet – und wenn Du auch so scheu wie 'n Karnickel bist. Sehen Sie sich ihn jetzt mal an.«

Er war gewißlich kein anziehendes Bild. Es gab kaum einen bemerkenswerthen Zug in seinem weichen Gesichte, ausgenommen die Augen, die feucht und scheu und denen des Thieres nicht unähnlich waren, mit welchem Mr. Mac Corkle ihn verglichen hatte. Es war das Gesicht, welches der Herausgeber am Fenster gesehen hatte.

»Kenne ihn seit vier Jahren – seit der Zeit, wo er noch ein Knabe war,« fuhr Mr. Mac Corkle mit einem lauten Geflüster fort. »Immer derselbe, weiß Gott! Macht einen Reim im Handumdrehen. Hat niemals keine Schule gehabt, lebte sein ganzes Leben draußen in Missouri. Aber er steckte bis an den Hals voll Poesie. Erst diesen Morgen noch sag' ich zu ihm – er campirt nämlich bei mir – Milt, sag' ich zu ihm, ist's Frühstück fertig? und er ist gleich da und antwortet ganz frisch und flott: Das Frühstück, ja, 's ist fertig, und die Vögel die singen gut, und ihr Aufstehn in dem Morgenlicht, das macht mir frohen Muth. Wenn jemand,« sagte Mr. Mac Corkle, indem er seine Stimme zu tief feierlichem Ton sinken ließ, »solche Sachen wie das hier losläßt, ohne irgendwie dazu aufgefordert zu sein, und zu gleicher Zeit mit Plinsen über einem Kochofen hantiert, – ein solcher Mensch ist ein geborner Poet.«

Es folgte eine unbehagliche Pause. Mr. Mac Corkle warf mit Gönnermiene strahlende Blicke auf seinen Protégé. Der geborne Poet sah aus, als ob er über einen zweiten Fluchtversuch nachsänne – nicht über einen metaphorischen in höhere Sphären. Der Herausgeber fragte, ob er irgend etwas für sie thun könne.

»Natürlich können Sie,« erwiderte Mr. Mac Corkle, »das ist's gerade. Milt, wo ist diese Poesie?«

Der Herausgeber machte ein langes Gesicht, als der Poet aus seiner Tasche eine Rolle Manuscript zog. Er nahm sie jedoch mechanisch an und warf einen Blick darauf. Es war offenbar ein Duplicat des früheren geheimnißvollen Beitrags.

Der Herausgeber sprach dann kurz, aber ernsthaft. Ich bedaure, daß ich mich seiner Worte nicht genau erinnern kann, aber es schien, daß nie zuvor in der Geschichte des »Berichterstatters« seine Columnen einem solchen Andrang von Beiträgen ausgesetzt gewesen waren. Dinge von der allerhöchsten Wichtigkeit, welche den materiellen Fortschritt von Sierra Flat tief berührten, Fragen, welche die absolute Integrität von Calaveras und Tuolumne als sociale Gemeinschaften beträfen, erwarteten jetzt ihren Ausdruck. Wochen, nein, Monate müßten vergehen, bevor dieser Andrang beseitigt sein würde und der »Berichterstatter« sich mit irgendwelchen andern als den ernstesten Fragen beschäftigen könnte. Ferner hätte der Herausgeber mit Schmerz den tiefen Verfall der Poesie in den Vorbergen der Sierra bemerkt. Selbst die Werke von Byron und Moore zögen in Dutch Flat die Aufmerksamkeit nicht auf sich, und in Graß Valley schiene ein Vorurtheil gegen Tennyson zu bestehen. Aber der Herausgeber war nicht ohne Hoffnung für die Zukunft. Nach Verlauf von vier oder fünf Jahren, wenn das Land überall besiedelt wäre –«

»Was würde es kosten, das hier zu drucken?« unterbrach ihn Mr. Mac Corkle ruhig.

»Circa fünfzig Dollars als Annonce,« erwiderte der Herausgeber mit freudiger Hast.

Mr. Mac Corkle legte die Summe in die Hand des Herausgebers. »Sehen Sie, das ist's, was ich zu Milt sage. Milt, sag' ich, bezahle, wenn Du hingehst; denn Du bist ein geborner Poet. Da Du nicht verpflichtet bist, zu schreiben, sondern es von selbst und aus freien Stücken thust, so bezahlst Du natürlich. Das ist's, weswegen der Herr Herausgeber Deine Gedichte nicht druckte.«

»Welchen Namen soll ich daruntersetzen?« fragte der Herausgeber.

»Milton.«

Es war das erste Wort, welches der geborne Poet während der Zusammenkunft gesprochen hatte, und seine Stimme war so süß und musikalisch, daß der Herausgeber ihn verwundert ansah und sich fragte, ob er wohl eine Schwester hätte.

»Milton, ist das Alles?«

»Das ist sein erster Name,« rief Mr. Mac Corkle aus.

Der Herausgeber gab hier zu bedenken, daß, da ein andrer Poet dieses Namens gelebt hätte –

»So könnte Milt für ihn gehalten werden! Das ist schlimm,« überlegte sich Mr. Mac Corkle mit einfältiger Würde. »Na, setzen Sie seinen vollen Namen drunter – Milton Chubbuck.«

Der Herausgeber notirte sich die Sache. »Ich werde es jetzt setzen,« sagte er. Dies war auch ein Wink, daß die Zusammenkunft beendigt war. Der Poet und sein Gönner zogen sich Arm in Arm nach der Thür. »In der Nummer von nächster Woche,« sagte der Herausgeber lächelnd in Beantwortung des kindlich fragenden Blicks in den Augen des Poeten, und im nächsten Augenblicke waren sie fort.

Der Herausgeber hielt Wort. Er begab sich sofort an seinen Setzkasten, rollte das Manuscript auf und begann seine Arbeit. Die Spechte auf dem Dache nahmen die ihrige wieder auf, und in einigen Augenblicken war die frühere Waldeinsamkeit wieder hergestellt. Es war kein Geräusch in dem öden, scheunenartigen Zimmer zu hören als die Vögel oben und unten das Klick Klick im Winkelhaken, als der Herausgeber die Typen in seinem Satz in Linien aufstellte und sie in eine dichte Columne im Setzschiff ordnete. Was auch immer seine Meinung von der Abschrift vor ihm sein mochte, sein Gesicht zeigte davon nichts, es trug die stumpfe Gleichgültigkeit seines Gewerks. Vielleicht traf sich das unglücklich; denn als der Tag sich neigte und die von seitwärts fallenden Strahlen der Sonne das benachbarte Dickicht zu durchdringen begannen, suchten und entdeckten sie eine ängstlich im Hinterhalt liegende Gestalt, die sich neben das Fenster des Herausgebers postirt hatte – eine Gestalt, die regungslos seit Stunden dort gesessen hatte. Drinnen arbeitete der Herausgeber so stetig und leidenschaftslos fort wie das Fatum. Und draußen saß der geborne Poet von Sierra Flat und beobachtete ihn, wie wenn er dessen Entscheidung erwartete.

Die Wirkung des Gedichts auf Sierra Flat war merkwürdig und ohne Vorgang. Die absolute Erbärmlichkeit seiner Knüttelverse, der unwillkürliche Blödsinn seines Gedankenganges, und die Allem die Krone aufsetzende Kühnheit in der Thatsache, daß es das Werk eines Mitbürgers und im Grafschaftsblatte veröffentlicht war, machten es augenblicklich populär. Seit vielen Monaten hatte Calaveras sich nach einer Sensation gesehnt, seit dem letzten Ueberwachungs-Ausschuß war nichts passirt, um die achtlose Langeweile zu zerstreuen, welche der Stillstand der Geschäfte und die wachsende Civilisation erzeugten. In gedeihlicheren Momenten würde die Officin des »Berichterstatters« einfach ausgeräumt und der Herausgeber fortgejagt worden sein; jetzt aber wurde das Blatt so stark verlangt, daß die Auflage rasch vergriffen war. Kurz, das Gedicht von Mr. Milton Chubbuck kam wie eine specielle Gabe der Vorsehung nach Sierra Flat. Man las es an Lagerfeuern, in einsamen Hütten, in flimmernden Schenkstuben und lärmenden Salons vor und declamirte es vom Bock der Postkutschen. Man sang es in Poker Flat mit dem Zusatz eines localen Chorus, und es wurde als ein gottloser rhythmischer Tanz von der pyrrhischen Phalanx von One Horse Gulch getanzt, die als die »Lustigen Hirsche von Calaveras« bekannt war. Einige unglückliche Zweideutigkeiten im Ausdruck ließen eine Menge neuer Lesarten, Noten und Commentare entstehen, die, wie ich mit Bedauern sage, häufiger sich durch Witz als durch Zartheit des Gedankens und Ausdrucks auszeichneten.

Nie vorher erlangte ein Dichter so plötzlich localen Ruf. Aus der Abgeschiedenheit der Hütte Mac Corkle's und der Obscurität von Arbeiten in der Küche strahlte er hinaus in den glühenden Sonnenschein des Ruhmes. Der Name Chubbuck wurde mit Kreidebuchstaben auf unangestrichene Wände geschrieben und mit einer Hacke in die Seiten von Stollen eingegraben. Ein Getränk, welches unter verschiedenem Namen, als der »Chubbuck-Schlummerpunch« oder der »Chubbuck-Begeisterer«, bekannt war, wurde an den Schenktischen verzapft. Mehrere Wochen hindurch war ein roher Entwurf zu einer Chubbuck-Statue, welcher aus Illustrationen von Circus- und Concert-Anzeigen zusammengestellt war und den Genius von Calaveras im kurzen Röckchen auf einem dahinjagenden Rosse, im Begriff Chubbuck zu bekränzen darstellte, an Keelers Fähre zu sehen. Der Poet selbst wurde überladen mit Einladungen zum Trinken und ausschweifenden Beglückwünschungen. Das Zusammentreffen zwischen Oberst Starbottle von Siskyon und Chubbuck, vorher arrangirt von unserm Boston, der früher zum Brüllaten-Lager gehört hatte, soll unbeschreiblich rührend gewesen sein. Der Oberst umarmte ihn, unsicher auf den Füßen. »Ich könnte nicht zu meinen Wählern zu Siskyon zurückkehren, mein Herr, wenn diese Hand, welche die des begabten Prentice und die des vielbeklagten Poe gedrückt hat, nicht die Ehre gehabt haben sollte, die des göttlichen Chubbuck zu berühren. Meine Herren, die amerikanische Literatur erhebt ihr Haupt. Danke schön, ich werde Zucker in meinen nehmen.« Es war Boston, welcher Glückwunschschreiben von H. W. Longfellow, Tennyson und Browning an Mr. Chubbuck verfaßte, sie in dem Postamt von Sierra Flat abgab und artig einwilligte, die Antworten zu dictiren.

Der einfältige gute Glaube und die aufrichtige Freude, mit denen diese Kundgebungen von dem Poeten und seinem Gönner aufgenommen wurden, hätten die Herzen dieser grimmigen Meister in der Ironie rühren können, wenn sich nicht plötzlich in Beiden gleich stark die Spielarten schwacher Naturen entwickelt hätten. Mr. Mac Corkle sonnte sich in der Popularität seines Protégés und spielte abwechselnd den Hochmüthigen und den Gönner der Bewohner von Sierra Flat, während der Poet mit sorgfältig geöltem und gekräuseltem Haare und bedeckt mit wohlfeilen Juwelen und einem grellbunten Halstuche vor dem einzigen Hotel herumparadirte. Wie man sich vorstellen kann, gereichte diese neue Aeußerung von Schwäche Sierra Flat zu einiger Genugtuung, gab dem Poeten für eine weitere Frist Beliebtheit und ließ dem scherzhaften Boston eine andere Idee einfallen.

In dieser Zeit spielte eine junge Dame, die unter dem Volke wie unter ihren Berufsgenossen unter dem Namen »Californiens Liebling« bekannt war, vor den begeisterten Zuhörerschaften des Innern. Ihre Specialität lag in der Darstellung jugendlicher männlicher Charaktere: als Straßenbube war sie unwiderstehlich, als tanzender Neger eroberte sie die Herzen der ehrlichen Goldgräber mit Sturm. Eine derbe, hübsche Brünette, hatte sie sich einen bewundernswerthen moralischen Ruf bewahrt, selbst unter den jupiterartigen Anreizungen von goldnem Regen, die ihr Erscheinen auf der Bühne von Sierra Flat begrüßten. Ein hervorragendes und entzücktes Mitglied dieser Zuschauerschaft war Milton Chubbuck. Er war jeden Abend zugegen. Jeden Tag trieb er sich an der Thür des Union Hotels herum, um einen Blick von »Californiens Liebling« zu erhaschen. Es dauerte nicht lange, so empfing er ein Billet von ihr – in Bostons deutlichster und anerkannt weiblicher Handschrift – welches seine Bewunderung dankbar anerkannte. Es dauerte nicht lange, so wurde Boston ersucht, eine passende Antwort zu verfassen. Zuletzt wurde es zur Förderung seines scherzhaften Planes für Boston nöthig, der jungen Schauspielerin einen Besuch zu machen und sich ihrer persönlichen Mitwirkung zu versichern. Ihr entwickelte er einen Plan, dessen erfolgreiche Ausführung, wie er fühlte, seinen Ruf als praktischer Humorist sicher auf die Nachwelt bringen würde. Die schwarzen Augen von »Californiens Liebling« funkelten zustimmend und boshaft. Sie machte sich nur aus, daß sie den Mann erst sehen sollte – ein Zugeständniß an ihre weibliche Schwäche, welche jahrelanges Juba-Tanzen und Tragen von Hosen und Stiefeln aus ihrer eigensinnigen Brust nicht völlig ausgerodet hatten. Und die Zusammenkunft wurde für die nächste Woche arrangirt.

Man darf nicht glauben, daß in dieser Zwischenperiode der Popularität Mr. Chubbuck seiner poetischen Eigenschaften uneingedenk gewesen wäre. Jeden Tag war er eine gewisse Zeit lang abwesend – »im Verkehr mit die Natur«, wie Mr. Mac Corkle das ausdrückte – und irrte auf den Gebirgspfaden herum oder lag auf seinem Rücken unter Bäumen oder sammelte duftige Kräuter und die hellfarbigen Beeren der Marzanita. Diese nebst seiner Gesellschaft brachte er gewöhnlich spät am Nachmittag in das Bureau des Herausgebers, häufig zum größten Verdruß dieses unternehmenden Journalisten. Ruhig und ohne irgend eine Mittheilung zu machen, pflegte er geduldig dazusitzen und ihn bei der Arbeit zu beobachten, bis die Stunde zum Schluß der Officin kam, wo er sich ebenso ruhig wegbegab. Es lag etwas so Bescheidenes und Unaufdringliches in diesen Besuchen, daß der Herausgeber es nicht übers Herz bringen konnte, sie abzulehnen, und daß er, indem er sie wie die Spechte als einen Theil seiner Waldnachbarschaft annahm, oft sogar vergaß, daß er da war. Ein oder zwei Mal fühlte er sich, durch einen schönen Ausdruck in den feuchten, scheuen Augen gerührt, wie angewandelt, seinem Besuch ernstlich wegen seiner eitlen Thorheit Vorstellungen zu machen, aber wenn sein Blick auf das geölte Haar und das prunkende Halstuch fiel, dachte er jedes Mal besser darüber. Dieser Fall war offenbar ein hoffnungsloser.

Die Zusammenkunft zwischen Mr. Chubbuck und »Californiens Liebling« fand in einem Privatzimmer des Union Hotels statt. Der Anstand wurde beachtet, indem jener Erzhumorist Boston dabei zugegen war. Diesem Herrn sind wir Dank schuldig für den einzig wahrhaften Bericht über die Begegnung. Wie schweigsam Mr. Chubbuck auch in Gegenwart seines eignen Geschlechts gewesen sein mag, gegenüber der schönern Hälfte der Menschheit war er, wie die meisten Poeten, über die Maßen gesprächig. So gewöhnt der »Liebling Californiens« an übertriebene Complimente war, so war sie doch billig verblüfft über die ausschweifenden Lobeserhebungen ihres Besuchs. Er sprach besonders lange und mit eifriger, aber aufrichtiger Bewunderung von ihren Darstellungen von Knabencharakteren und ihrem »Boxertanz«. Zuletzt elektrisirte ihn der »Liebling Californiens«, indem sie ihre Keckheit wiedergewann und durch die Gegenwart Bostons ermuthigt wurde, durch die Frage: ob sie als Knabe oder als Mädchen der Gegenstand seiner schmeichelhaften Bewunderung wäre?

»Das brachte ihn aus dem Texte,« sagt der entzückte Boston in seinem späteren Berichte von der Zusammenkunft. »Aber glauben Sie wohl, daß der verdammte Narr sie richtig bat, ihn mitzunehmen, er wolle in die Gesellschaft eintreten?«

Der Plan, den Boston auf diese Weise kurz entwickelte, war folgender. Man wollte Mr. Chubbuck bewegen, in (einem von dem Erfinder bereits entworfenen und zurechtgemachten) Costüm vor einer Zuhörerschaft von Sierra Flat aufzutreten und in der Halle unmittelbar nach Schluß der Vorstellung des »Lieblings Californiens« ein Originalgedicht vorzutragen. Auf ein gegebnes Zeichen sollte die Zuhörerschaft sich erheben und ein Bombardement mit unsaubern Geschossen abgeben, welche der Urheber des Planes vorher beschaffen würde. Dann sollten einige Auserwählte auf die Bühne stürzen, den Poeten ergreifen und, nachdem sie ihn in einem triumphirenden Aufzug durch die Stadt geführt, ihn an den äußersten Grenzen derselben mit der strengen Weisung absetzen, nie wieder zurückzukehren. Für die erste Rolle in diesem Plan war der Poet bestimmt, für den letzteren Theil war es leicht genug, Theilnehmer zu finden.

Der ereignißvolle Abend kam, und mit ihm eine Zuhörerschaft, welche den langen schmalen Raum mit einer einzigen Masse menschlicher Wesen vollstopfte. Der »Liebling Californiens« war nie so lustig, so frech, so bezaubernd und so keck gewesen. Aber der Applaus war zahm und matt, verglichen mit dem Ausbruch von Ironie, welcher das zweite Aufgehen des Vorhangs und das Auftreten des gebornen Poeten von Sierra Flat begrüßte. Dann folgte ein erwartungsvolles Schweigen, der Poet schritt an die Lampen vor und blieb hier mit seinem Manuscript in der Hand stehen.

Sein Gesicht war leichenblaß. Entweder kündigte ihm etwas in den Gesichtern des Publikums sein Schicksal an, oder ein geheimnißvoller Instinct sagte ihm von seiner Gefahr. Er versuchte zu sprechen, stockte aber; stotterte und taumelte nach der Bühne zurück.

In Furcht, seine Beute zu verlieren, gab Boston das Zeichen und sprang auf die Bühne. Aber in demselben Augenblicke schoß eine leichte Gestalt aus den Coulissen hervor, versetzte ihm einen Fußtritt, daß der verblüffte Humorist unter die Musikanten zurückflog, tanzte eine Pirouette, führte einen Doppelrutscher aus und sagte dann, indem sie an die Lampen vortrat, mit jenem unnachahmlichen Blicke, jenem dreisten Losschwadroniren und jenem vollendeten Sichgehenlassen, die einen Augenblick vorher sie so durchkitzelt und bezaubert hatten: »Weshalb wollen Sie jemand noch niederschlagen, wo er schon liegt, he-e-e?«

Der Blick, das langgezogne He, das rasche Handeln, die Entschlossenheit und vor Allem der stramme Muth des Frauenzimmerchens thaten ihre Wirkung. Ein sympathisches Beifallsgebrüll folgte der That. »Fort und ausgerissen, so lange Sie können,« flüsterte sie hastig über ihre eine Schulter, ohne die schnippische und trotzig herausfordernde Haltung der andern nach den Zuschauern hin zu ändern. Aber sie sprach noch, als der Poet taumelte und ohnmächtig auf die Bühne sank. Dann flüsterte sie verzweifelnd die Worte hinter die Coulisse: »Laßt den Vorhang fallen!«

Im Publikum ließ sich eine leise Bewegung der Opposition spüren, aber unter ihnen erhoben sich die breiten Schultern Yuba Bills, die lange gerade Gestalt Henry Yorks von Sandy Bar und das farblose entschlossene Gesicht von John Oakhurst. Der Vorhang fiel.

Hinter demselben kniete »Californiens Liebling« neben dem hingestreckten Poeten. »Bringt mir etwas Wasser. Lauft nach einem Doctor. Halt! Packt Euch hinaus – alle miteinander!«

Sie hatte das grellbunte Halstuch losgeknüpft und das Vorhemdchen der besinnungslosen Gestalt vor ihr geöffnet. Dann brach sie in ein hysterisches Lachen aus.

»Manuela!«

Ihre Aufwärterin, eine Mexikanerin von gemischtem Blut, kam auf sie zu.

»Hilf mir, ihn nach dem Ankleidezimmer zu bringen, rasch. Dann bleib vor der Thür und warte. Wenn irgend jemand Dich fragt, so sag' ihm, er wäre auf und davon. Hörst Du? Auf und davon ist er.«

Die alte Frau that, wie ihr geboten worden. In einigen Augenblicken war die Zuschauerschaft weggegangen. Ehe der Morgen kam, hatten »Californiens Liebling«, Manuela und – der Poet von Sierra Flat sich ebenfalls entfernt.

Aber ach! mit ihnen war auch der gute Ruf des »Lieblings Californiens« verschwunden. Nur wenige, und zwar, wie zu fürchten steht, Leute, die sich selbst nicht des besten moralischen Charakters erfreuten, hatten noch Glauben an den fleckenlosen Ruf ihrer Lieblingsschauspielerin. »Es war eine höllische Albernheit, so was zu machen, aber 's wird Alles noch richtig werden.« Andrerseits bewunderte und lobte die Mehrheit durchaus ihr rasches Dreinfahren und ihren tapfern Sinn, beklagte aber, daß sie diese Eigenschaften für einen unwürdigen Gegenstand weggeworfen habe. Sich zum Liebhaber den verachteten und verspotteten Herumtreiber von Sierra Flat zu wählen, der nicht einmal den Mannessinn besaß, zu seiner eignen Vertheidigung in die Schranken zu treten, war nicht blos ein Zeichen angeborner sittlicher Verdorbenheit, sondern eine Beleidigung für die Gemeinde. Oberst Starbottle sah darin nur ein neues Beispiel der Schwäche des schönen Geschlechts, er hatte ähnliche Fälle gekannt, und erinnerte sich genau, mein Herr, wie eine wohlbekannte Erbin in Philadelphia, eins der schönsten Weiber, die je in einer Kutsche fuhren, wie, bei Gott, mein Herr, die ein Congreßmitglied aus dem Süden bei Seite geworfen, um sich mit einem verdammten Nigger zusammenzuthun.

Der Oberst hatte auch einen eignen Blick im Auge des Hundekerls bemerkt, den er sich nicht ganz blos einbildete. Er wollte durchaus nichts gegen die Dame sagen, mein Herr, aber er hatte bemerkt, – hier wurde der Oberst auf einmal so geheimnißvoll und dunkel vertraulich, daß er für die Umstehenden unverständlich und unhörbar war.

Ein paar Tage nach dem Verschwinden Mr. Chubbucks erreichte Sierra Flat eine seltsame Nachricht, und es wurde bemerkt, daß Boston, der seit dem Fehlschlagen seines wohleinstudirten Spaßes selbst noch mehr niedergedrückt umhergegangen war, als dies große Humoristen an der Gewohnheit haben, plötzlich fand, daß seine Gegenwart in San Francisco erforderlich war. Aber bis jetzt war noch nichts als die vagsten Vermuthungen im Umlaufe, und nichts Bestimmtes war bekannt.

Es war ein angenehmer Nachmittag, als der Herausgeber des »Sierra Flat Berichterstatters« von seinem Setzkasten aufblickte und die Gestalt Mr. Morgan Mac Corkle's in der geöffneten Thür stehen sah. Das Gesicht dieses würdigen Herrn zeigte eine bekümmerte Miene, welche sofort die mitfühlende Aufmerksamkeit des Herausgebers auf sich lenkte. Er hielt, als er nach der Mitte des Zimmers vorschritt, einen offnen Brief in der Hand.

»Als ein Mann, der immer in gutem Rufe gestanden hat,« begann Mr. Mac Corkle langsam, »möchte ich gerne, wenn das anginge, Herr Herausgeber, etwas in den Spalten Ihres schätzbaren Blattes corrigiren.«

Der Herr Herausgeber bat ihn fortzufahren.

»Sie werden es nicht vergessen haben, daß ich vor etwa einem Monate jemand hierher brachte, den wir mal 'nen jungen Mann nennen wollen, dessen Name gleichsam so was wie Milton – Milton Chubbuck hieß.«

Der Herr Herausgeber erinnerte sich vollständig daran.

»Dieser Selbige, den hatte ich vier Jahre gekannt, zwei davon waren wir draußen in einem Lager beisammen. Nicht, daß ich ihn die ganze Zeit über gekannt hätte; denn er war scheu und mitunter wunderlich und hatte närrische Manieren, von denen ich meinte, daß sie einem gebornen Poeten natürlich wären. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich sagte, er wäre ein geborner Poet.«

Der Herausgeber erinnerte sich daran genau.

»Ich las diesen Selbigen in St. Jo auf, weil ich Gefallen an seinem Gesichte fand und so was wie den Gedanken hatte, er müßte von daheim weggelaufen sein – denn ich bin ein verheiratheter Mann und habe selber Kinder – und dachte, der möchte wohl ein geborner Poet sein.«

»Nun, und?« sagte der Herausgeber.

»Und wie ich vorhin sagte, ich möchte jetzt gerne was in den Spalten Ihres schätzbaren Blattes corrigiren.«

»Was corrigiren?« fragte der Herausgeber.

»Ich sagte, ob Sie sich erinnern thäten an meine Worte, daß er ein geborner Poet wäre?«

»Ja wohl.«

»Nach Angaben in diesem Briefe hier scheint es, als ob ich Unrecht gehabt hätte.«

»Nun?«

»Sie war ein Frauenzimmer.«

 

Ende des ersten Bandes.

 


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