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Aufzeichnungen in Fluth und Feld.

Erster Theil.
Im Felde.

Es war gegen das Ende eines Octobertags, daß ich mir bewußt zu werden anfing, wie unangenehm das Sacramento-Thal sei. Ich war von Sonnenaufgang an geritten, und meine Reise durch die niederdrückende Eintönigkeit der langgedehnten flachen Landschaft wirkte auf mich mehr wie ein dumpfer Traum bei Verstopfung als wie eine Geschäftstour, zurückgelegt unter jenem aufrichtigsten aller Naturphänomen – einem californischen Himmel. Die immer wiederkehrenden Strecken brauner, verdorrter Felder, die gähnenden Spalten im staubigen Wege, die harten Umrisse der fernen Berge und die Heerden langsam sich hinbewegenden Viehes schienen wie Züge eines hellglänzenden Stereotyp-Bildes, welches nie wechselte. Tüchtige Körperbewegung hätte diese Empfindung wegschaffen können, aber mein Pferd hatte zufolge eines feinen Antriebes schon lange jede ehrgeizige Anstrengung aufgegeben und war in einen stöckischen Bummeltrab verfallen.

Es war Herbst, aber nicht die Jahreszeit, die dem Leser am Atlantischen Meer unter diesem Titel vor die Augen tritt. Die scharf abgetheilten Grenzen der nassen und der trocknen Jahreszeit waren in den klaren Umrissen der fernen Berge vorgebildet. In der trocknen Atmosphäre war die Verwitterung der Vegetation zu rasch für die langsame Schwindsucht, welche eine östliche Landschaft ergreift, oder die Natur war zu praktisch für solche dünne Verhüllung. Sie zeigte dem Beobachter einfach das hippokratische Gesicht mit der alten Diagnose auf Tod in ihren scharfen, zusammengefallnen Zügen.

In der Betrachtung einer solchen Aussicht war wenig, was eine andere als eine krankhafte Phantasie angeregt hätte. An dem hartherzigen blauen Himmel gab es keine Wolken, und der Untergang der Sonne war von so wenig Ostentation begleitet, als zu der trocken praktischen Atmosphäre paßte. Bald folgte die Dunkelheit mit einem aufspringenden Winde, welcher in dem Maße stärker wurde, als die Schatten auf der Ebene sich vertieften. Der Saum von Erlen am Wasserlaufe stieg, als ich mein Pferd vorwärts trieb, am Gesichtskreise herauf. Eine halbe Stunde fleißiges Spornen brachte mich zu einer Einzäunung und etwas weiterhin zu einem Hause, welches so niedrig und breit war, daß es auf den ersten Blick halb in der Erde begraben zu sein schien.

Mein zweiter Eindruck war, daß es aus dem Boden herausgewachsen sei, wie eine ungeheuerliche Pflanze, so sehr stimmten seine düstern Verhältnisse zu der weiten Aussicht. An seinen rauh mit Bretern beschlagnen Seiten hin gab es keine Winkel für herumstrolchende nichtsnutzige Schatten, um sich darin beim täglichen Sonnenschein zu verkriechen. Kein Vorsprung am Bau für den Wind, an dem er hätte musikalisch werden, dem er hätte zuheulen, zupfeifen oder zuflüstern können; nur ein langer hölzerner Sims, der ein fröstelnd aussehendes Blechbecken und eine Abtheilung für die Seife enthielt. Seine vorhangslosen Fenster waren roth von der sinkenden Sonne, wie wenn sie von zu langem Dasein ohne Augenlider blutdurchschossen und entzündet wären. Die Spuren von Vieh führten zu seiner Vorderthür, die gegen den rasselnden Wind fest geschlossen war.

Um der Vermischung mit diesem Element der Familie zu entgehen, schritt ich nach der Hinterseite des Hauses, welche durch eine leichtgebaute Plattform mit einem kleineren Hause verbunden war. Ein grauhaariger Mann mit einem harten Gesichte stand dort und begegnete meinem Gruße mit einem fragenden Blicke und ging dann, ohne zu sprechen, nach dem Hauptzimmer. Als ich eintrat, änderten vier junge Leute, die neben dem Feuer lagen, ihre vollständige Ruhe ausdrückenden Stellungen ein wenig, verriethen aber darüber hinaus weder Neugier noch Interesse. Ein Jagdhund fuhr mit einem Knurren aus einem dunkeln Winkel, bekam aber augenblicklich von dem alten Mann einen Tritt, der ihn in die Dunkelheit zurücksandte und wieder schweigen hieß. Ich kann nicht sagen, warum, aber ich empfing augenblicklich den Eindruck, daß die Gruppe am Feuer lange Zeit kein Wort geäußert oder eine Muskel bewegt habe. Indem ich mir einen Sitz nahm, gab ich kurz an, was mein Geschäft sei.

»Wäre ein Landvermesser der Vereinigten Staaten. Wäre wegen des Espiritu-Santo-Ranchos gekommen. Wünschte die äußeren Grenzen der Township-Linien richtiger zu bestimmen, so daß sie mit den näheren Außentheilen der Privat-Landantheile in Verbindung kämen. Es hätte gegen die alte Vermessung Einspruch stattgefunden von Seiten eines Mr. Tryan, der durch Vorkauf anliegende« – »bebaute Landverleihungen,« unterbrach mich der alte Mann. »Ah richtig, Landverleihungen, und so wäre das wohl Mr. Tryan?«

Ich hatte mechanisch gesprochen; denn ich war in Gedanken mit der Verbindung andrer öffentlicher Linien mit Privatvermessungen beschäftigt, als ich ihm ins Gesicht sah. Es war wirklich ein hartes Gesicht und erinnerte mich an die eigenthümliche Wirkung jener Bergwerksoperation, die als »Grundstollen« bekannt ist; die härteren Schichten des darunter liegenden Charakters waren bloßgelegt, und was früher plastische Rundungen und sanfte Umrisse gewesen waren, war durch irgend eine mächtige Einwirkung verwischt.

In seiner Stimme lag eine Trockenheit nicht unähnlich der vorherrschenden Atmosphäre des Thales, als er zu einer einseitigen Darstellung des Streites mit einer Zungenfertigkeit ausholte, welche, wie draußen der Wind, häufig einen rückhaltslosen Ausdruck zeigte. Er sagte mir, was ich bereits in Erfahrung gebracht, daß die Grenzlinie der alten spanischen Landverleihung ein Bach sei, der in der liederlichen Phraseologie des Deseño als in der Valda oder am Hügelsaume beginnend beschrieben, dessen genaue Lage aber schon lange der Gegenstand eines Rechtsstreites sei. Ich hörte und antwortete mit wenig Interesse; denn mein Gemüth war noch vom Winde, der heftig am Hause vorüberfegte, und ebenso von seinem wunderlichen Gesichte abgezogen, welches wieder sich in der Aehnlichkeit abspiegelte, welche die schweigsame Gruppe am Feuer mit ihm zeigte. Er sprach immer noch, und der Wind wehte immer fort, als meine in Verwirrung gerathene Aufmerksamkeit durch eine Bemerkung geweckt wurde, die er an die daliegenden Gestalten richtete.

»Na denn, wer von Euch will morgen den Fremden am Bach hinauf nach Altascars führen?«

Es gab eine allgemeine abwehrende Bewegung in der Gruppe, aber keine entschiedene Antwort.

»Kannst Du gehen, Kerg?«

»Wer soll da nach dem Vieh auf der Erdbeer-Prairie sehen?«

Dies schien eine Verneinung einzuschließen, und der alte Mann wendete sich zu einem andern hoffnungsvollen Sohne, welcher die Pelzhaare aus einer abgeschabten Bärenhaut zupfte, auf welcher er lag, und dazu ein Gesicht machte, als ob es jemandes Kopfhaar wäre.

»Na, Tom, was hindert Dich am Gehen?«

»Mutter will mit Sonnenaufgang nach Browns Laden, und ich glaube, ich werde sie und das Kleine wieder aufpacken müssen.«

Ich glaube, der Ausdruck von Geringschätzung, den dieser unglückliche junge Mann gegen die kindliche Pflicht zeigte, in die er offenbar verlockt worden war, gehörte zu dem Schönsten, was ich je gesehen.

»Wise?«

Wise würdigte ihn keiner Antwort mit Worten, sondern machte in der Unterhaltung nur einen figürlichen Einwurf mit einem zerlaufnen und geflickten Stiefel. Der alte Mann erröthete rasch.

»Ich sagte Dir ja, Du solltest Brown dran kriegen, Dir ein Paar zu geben, das letzte Mal, wo Du unten am Flusse warst.«

»Sagte, er wollte nicht ohne Auftrag. Sagte, selbst dann wär 's Geldkriegen von Dir wie wenn man Backzähne auszieht.«

Dieser auf die Sparsamkeit des alten Mannes gemünzte Hieb war von einem grimmen Lächeln begleitet, und Wise, der offenbar der privilegirte Witzbold der Familie war, sank zurück in ehrenvolle Zurückgezogenheit.

»Na; Joe, wenn Deine Stiefeln neu sind und Du nicht mit Weibern und Kindern geplagt bist, so wirst Du vielleicht gehen,« sagte Tryan mit einem nervösen Zucken um einen nicht besonders zum Scherzen gemachten Mund, welches ein Lächeln sein sollte.

Tom zog ein Paar buschiger Augenbrauen empor und sagte kurz:

»Habe keinen Sattel.«

»Was ist weg von Deinem Sattel?«

»Kerg da –« er deutete auf seinen Bruder mit einer Miene, wie sie Kain beim Opfer gemacht haben konnte.

»Du lügst,« erwiderte Kerg fröhlich.

Tryan sprang auf seine Füße, ergriff den Stuhl, schwang ihn um den Kopf und blickte wüthend in die harten Gesichter der Jungen, die furchtlos dem seinen begegneten. Aber es war nur für einen Augenblick, sein Arm sank bald an seine Seite, und ein Blick hoffnungsloser Unterwerfung unter das Verhängniß ging über sein Gesicht. Er erlaubte mir, ihm den Stuhl aus der Hand zu nehmen, und ich versuchte ihn durch die Versicherung zu beruhigen, daß ich keinen Führer verlangte. Da erhob der unabweisbare Wise wieder seine Stimme:

»Da kommt Georg! Warum fragst Du den nicht? Der wird hingehen und Sie Don Fernando und auch seiner Tochter vorstellen, wenn Sie's nicht so genau nehmen.«

Das Gelächter, welches auf diesen Spaß folgte, der offenbar irgend eine Anspielung auf ein häusliches Vorkommniß hatte (die gewöhnliche Richtung ländlichen Scherzens) war verhallt, als sich von der Plattform her ein leichter Schritt hören ließ und der junge Mann eintrat. Als er sah, daß ein Fremder zugegen war, blieb er stehen und erröthete, grüßte schüchtern und erröthete wieder, zog eine Kiste aus der Ecke und setze sich nieder, indem er die Hände leicht zusammenfaltete und seine sehr hübschen blauen Augen treuherzig auf die meinen heftete.

Vielleicht war ich in der Verfassung, den romanhaften Eindruck, den er auf mich machte, aufzunehmen, und ich nahm es auf mich, um seine Begleitung als Führer zu bitten, und er willigte freudig ein. Aber irgend eine häusliche Pflicht rief ihn bald nachher ab.

Das Feuer flackerte hell auf dem Herde, und indem ich dem vorherrschenden Einfluß nicht länger widerstand, beobachtete ich schweigend die funkensprühende Flamme und lauschte dem Winde, welcher fortwährend an dem Hause rüttelte. Außer dem einen Stuhle, der in meinen Augen eine neue Wichtigkeit gewonnen hatte, entdeckte ich bald einen gebrechlichen Tisch mit einer Feder und einer Tintenflasche in der einen Ecke. Die Feder befand sich in jenem schmierigen Zustande der Zersetzung, der ländlichen Wirths- und Bauernhäusern eigenthümlich ist. Im Winkel stand eine tüchtige Reihe von Büchsen und Doppelflinten vorräthig, ein halb Dutzend Sättel und Decken lag in der Nähe, die einen sanften Pferdeduft um sich ausströmten. Einige Reh- und Bärenfelle vervollständigten das Inventar. Als ich so dasaß, die schweigende Gruppe um mich, Schatten und Düsterheit innen und den herrschenden Wind draußen, fand ich es schwer, zu glauben, daß ich je eine andere Existenz gekannt hätte. Mein Beruf hatte mich oft zu wilderen Scenen geführt, aber selten unter solche hier, deren ungeschlachte Gewohnheiten und deren leichtlebiges unbewußtes Wesen mir ein solches Gefühl der Einsamkeit und Unbehaglichkeit einflößten. Ich zog mich enger auf mich selbst zurück, nicht ohne schwere Bedenken – die, wie ich denke, den Menschen in gleichen Lagen natürlich aufsteigen – ob dies die allgemeine Regel der Menschheit sei und ich eine einsame und etwas unwillkürliche Ausnahme mache.

Es war eine Erleichterung, als die lakonische Ansage, das Abendessen sei bereit, die ein schwachsichtiges Mädchen machte, in der Familie eine allgemeine Bewegung hervorrief. Wir schritten quer über die dunkle Plattform, die nach einem andern Zimmer mit niedriger Decke führte. Seine ganze Länge wurde von einem Tische eingenommen, an dessen oberstem Ende ein schwachsichtiges Weib bereits ihr Mahl zu sich nahm, während sie zu gleicher Zeit einem schwachsichtigen Kinde Nahrung reichte. Da man von den Förmlichkeiten einer Vorstellung absah, und sie keine Notiz von mir nahm, so war ich in den Stand gesetzt, in einen Sitz zu schlüpfen, ohne sie zu stören oder zu unterbrechen. Tryan sagte ein Gratias aus dem Kopfe her, und die Aufmerksamkeit der Familie wurde von geräuchertem Speck, Kartoffeln und Backäpfeln in Anspruch genommen.

Das Mahl war ein ungenirtes. Sanftes Gurgeln am obersten Ende des Tisches verriethen oft, daß hier die »Urquelle der Freude« war. Die Unterhaltung bezog sich hauptsächlich auf die Arbeiten des Tages und vergleichende Mittheilungen über den Standort vermißten Viehes. Dennoch war das Abendessen im Vergleich mit der vorhergegangenen geistigen Speisung eine so ungeheure Verbesserung, daß, als ich zufällig auf den Zweck meines Besuchs anspielte, und der ältere Tryan zu reden begann, das Interesse ganz lebhaft wurde. Ich erinnere mich, daß er bitter gegen das System des Rancho-Haltens von Seiten der »Schmierfinken« loszog, wie er die eingebornen Californier zu bezeichnen beliebte. Da dieselben Ideen bisweilen unter anspruchsvolleren Verhältnissen vorgebracht worden sind, so mag es der Mühe werth sein, sie zu verzeichnen.

»Sehen Sie mal zu, wie sie das schönste Grasland besitzen, was jemals vor 'ner Thüre lag. Wo haben sie die Papiere dafür? Waren's etwa Besitztitel? Höllisch feine Besitztitel – die mehrsten erst gemacht, nachdem die Amerikaner hier Besitz ergriffen. Noch dümmere Kerls, die Amerikaner, daß sie sie ihnen gelassen haben. Womit sind sie bezahlt? Mit amerikanischem Blut und Geld.« –

»Mußten sie nicht was von dem Lande haben, in dem sie geboren waren? Warum denn? Haben sie jemals eine Verbesserung angebracht? Holten sich 'nen Haufen gelbhäutige Goldgräber, die nicht so übelnehmisch wie Niggers sind Er meint die in Californien importirten Chinesen., um nach dem Vieh zu sehen, und sie selber sitzen zu Hause und rauchen. Mit ihren goldnen und silbernen Leuchtern und Missionen und Crucifixen, Priestern und ausgehauenen Götzenbildern und dergleichen Kram. Solch Zeug wurde in Missouri nicht erlaubt.«

Bei Erwähnung der Verbesserungen erhob ich unwillkürlich die Augen und begegnete dem halb lachenden, halb verlegnen Blicke Georgs. Die Sache entging der Entdeckung nicht, und ich hatte sofort die Genugthuung, zu sehen, daß die Uebrigen von der Familie eine Offensiv-Allianz gegen uns geschlossen hatten.

»Es war gegen die Natur und gegen Gott,« fügte Tryan hinzu. »Gott hat niemals die Absicht gehabt, daß aus dem Golde in den Felsen heidnische Leuchter und Crucifixe gemacht werden sollen. Das ist's, warum er die Amerikaner hierher geschickt hat. Die Natur hat niemals ein solches Klima für faule Bummler gewollt. Sie hat niemals sechs Monate Sonnenschein gegeben, daß man sie verschlafen und verrauchen soll.«

Wie lange er fortredete und mit welchen weiteren Illustrationen, kann ich nicht sagen; denn ich ergriff bei Zeiten eine Gelegenheit, nach dem Wohnzimmer zu entwischen. Bald folgte mir Georg, der mich nach einer offnen Thür rief, die nach einer kleineren Stube führte, und auf ein Bett zeigte.

»Sie thäten besser, heut Abend hier zu schlafen,« sagte er, »Sie werden's behaglicher haben, und ich werde Sie frühzeitig abrufen.«

Ich dankte ihm und würde ihm verschiedene Fragen vorgelegt haben, die mich damals beunruhigten, aber er schlüpfte scheu nach der Thür und verschwand.

Ein Schatten schien auf das Zimmer zu fallen, als er fort war. Die »Jungens« kehrten einer nach dem andern zurück und latschten nach ihren alten Plätzen. Ein größerer Klotz wurde auf das Feuer geworfen, und der riesige Kamin glühte wie ein Schmelzofen, aber er schien nicht eine Linie der harten Gesichter zu schmelzen oder zu erweichen, die er beleuchtete. In einer halben Stunde übernahmen die Pelze, die am Tage als Stühle gedient, ihr nächtliches Amt als Matratzen, und jeder nahm die Gestalt seines Eigenthümers nach seiner vollen Länge auf. Mr. Tryan war nicht zurückgekehrt, und ich vermißte Georg. Ich saß da, bis ich, schlaflos und nervös, das Feuer zusammenfallen und Schatten an der Wand aufsteigen sah. Es war kein Geräusch zu hören als das Sausen des Windes und das Schnarchen der Schläfer. Zuletzt nahm ich, indem ich den Ort unerträglich fand, meinen Hut, öffnete die Thür und lief rasch in die Nacht hinaus.

Die Beschleunigung meines trägen Pulses im scharfen Kampfe mit dem Winde, dessen Gewalt fast der eines Tornados gleichkam, und die wohlbekannten Gesichter der hellen Sterne über mir empfand ich als eine segensvolle Erleichterung. Ich lief, ich wußte nicht, wohin, und als ich Halt machte, war der vierkantige Umriß des Hauses in den Erlenbüschen verschwunden. Eine ununterbrochne Ebene streckte sich vor mir aus, wie eine unermeßliche See, die von der Gewalt des Sturmes flach geschlagen ist. Als ich weiter ging, bemerkte ich eine kleine Bodenerhebung gegen den Gesichtskreis hin, und bald wurde mein Weiterschreiten durch den Abhang eines Indianergrabhügels gehemmt. Er machte auf mich lebhaft den Eindruck eines Eilands in der See. Seine Höhe gab mir eine bessere Aussicht über die unten sich ausdehnende Ebne. Aber selbst hier fand ich keine Ruhe. Die lächerliche Erklärung, die Tryan von dem Klima gegeben, klang mir, ich weiß nicht wie, in den Ohren und widerhallte in meinem pochenden Pulse, als ich, von dem Sternlicht geleitet, das Haus wieder aufsuchte.

Aber ich fühlte mich frischer und natürlicher, als ich auf die Plattform trat. Die Thür des niedrigeren Gebäudes war offen, und der alte Mann saß neben dem Tische und blätterte in der Bibel mit einem Gesichtsausdrucke, als ob er nach Weissagungen gegen die »Schmierfinken« auf der Jagd wäre. Ich wendete mich zum Eintreten, aber meine Aufmerksamkeit wurde von einer Gestalt angezogen, die, in eine Wolldecke gehüllt, neben dem Hause auf der Plattform lag. Es war Georg, der sein Bett für den Fremden unter seinem Volke hergegeben hatte. Ich war daran, ihn aufzuwecken, aber er lag so friedlich und ruhig da, daß ich scheu und still davon ablassen mußte. Und ich ging zu Bett mit einem freundlichen Eindruck von seinem hübschen Gesichte und seiner ruhevollen Gestalt, über dem ich allmählig ebenfalls einschlief.

Am nächsten Morgen wurde ich aus einem Gefühl sanften Eingeschläfertseins und dankbar empfundnen Schweigens durch die fröhliche Stimme Georgs geweckt, der neben meinem Bette stand und mit Ostentation eine »Riata« sich vor mir kräuseln ließ, als ob er meinen verschlafenen Augen die Pflichten des Tages zurückrufen wollte. Der Wind hatte sich wie durch Zauber gelegt, und die Sonne schien warm durch die Fenster. Ein Guß kalten Wassers mit einer Zugabe von Kühlung aus dem Blechbecken half mir die Augen erhellen. Es war noch früh, aber die Familie hatte schon gefrühstückt und sich zerstreut, und ein Wagen, der sich in weiter Ferne hinwand, zeigte, daß der unglückliche Tom seine Verwandten schon »weggepackt« hatte. Ich fühlte mich heiterer, es giebt wenig Verdrießlichkeiten, welche die Jugend nicht mit dem Aufbruch nach einer guten Nachtruhe hinter sich lassen kann. Nach einem tüchtigen Frühstück, welches Georg zubereitet hatte, saßen wir in wenigen Augenblicken zu Pferde und jagten über die Ebene hin.

Wir folgten der Reihe von Erlen, welche den Bach bezeichnete, der jetzt von der Sommerhitze trocken und ausgedörrt war, aber im Winter, wie Georg mir sagte, seine Ufer überschwemmte. Ich bewahre immer noch einen lebhaften Eindruck von diesem Morgenritte, den fernen Bergen, die sich wie Silhouetten vom stahlblauen Himmel abhoben, der harten trocknen Luft und der weitgedehnten Fläche vor mir, die oft von der wohlgebildeten Gestalt Georg Tryans belebt wurde, die mit klingenden Sporen musicirte und zugleich mit der flatternden Riata ein malerisches Bild vor mich hinwarf. Er ritt einen gewaltigen Rothschimmel von einheimischer Race, mit wilden Augen, nie müde im Lauf und von ungezähmter Natur. Aber ach! die Rundungen seiner Schönheit waren durch die schwerfälligen Machillas des spanischen Sattels verborgen, der Alles, wodurch ein Pferd vor dem andern sich auszeichnet, verschwinden läßt. Der einzige Zügel lag lose auf dem furchtbaren Gebisse, welches die Kinnlade, die es regiert, packen und im Nothfall zerbrechen kann.

Wieder steigt die schrankenlose Freiheit des Thales vor mir auf, wie wir wieder in den sonnenbeglänzten Raum hinabsteigen. Kann dies Chuchu sein, das gesetzte und achtbare Stutenfüllen von amerikanischem Stammbaum – Chuchu, die, uneingedenk, daß es über Knüppeldämme und Flußkiesel geht, toll vor Aufregung, schnell wie Augenzwinkern mit ihren kleinen weißen Füßen unter mir hintrabt? Georg lacht aus einer Wolke von Staub. »Lassen Sie ihr den Zügel, sehen Sie nicht, daß sie es gern hat?« Und Chuchu hat es wirklich gern, und ob nun von der eingebornen Tarantel zu eingeborner Barbarei gestachelt oder bestrebt, es dem Rothschimmel gleichzuthun, ihr edles Blut macht sich geltend, und in einem Augenblick ist die friedfertige Knechtsgesinnung in die Musik trappelnder Hufe verwandelt. Der Bach erweitert sich in eine tiefe Schlucht. Wir laufen in sie hinein und an der gegenüberliegenden Seite wieder hinauf, wobei uns eine fliegende Wolke feinen Pulvers nachfolgt. Ueber die Ebene hin grast ruhig zerstreutes oder in ungeheure ruhelose Heerden vereinigtes Vieh. Georg läßt seine Riata eine weite, unendliche Schwingung machen, als wollte er sie alle in seine Vaqueroschlinge einschließen, und sagt: »Unser!«

»Wie viele ungefähr, Georg?«

»Weiß nicht.«

»Wie viele?«

»Na, ungefähr dreitausend Stück,« sagt Georg nachdenkend. »Wir wissen's nicht, brauchen fünf Mann, um sie zu beaufsichtigen und zu treiben.«

»Was sind sie werth?«

»Ungefähr dreißig Dollars das Stück.«

Ich stelle rasch eine Berechnung an und werfe dem lachenden Georg einen Blick der Ueberraschung zu. Vielleicht ist in diesem Blicke eine Erinnerung an die Sparsamkeit des Tryanschen Haushalts ausgedrückt; denn Georg wendet sein Auge ab und sagt entschuldigend:

»Ich habe versucht, den Alten dazu zu kriegen, daß er verkauft und baut, aber, wissen Sie, er sagt, es nutzt nichts, sich gerade jetzt fest niederzulassen. Wir müssen immer weiterziehen. Er hat eigentlich die Bude nur gebaut, weil er denkt, die Besitztitel werden ungültig, und wir müssen uns aufmachen und unsern Aufenthalt weiter unten nehmen.«

Plötzlich entdeckt sein rasches Auge einen ungewöhnlichen Anblick in einer Heerde, die wir passiren, und mit einem Ausruf treibt er seinen Rothschimmel mitten in das Centrum der Masse. Ich folge, oder vielmehr Chuchu springt hinter dem Rothschimmel her, und in ein paar Augenblicken sind wir in der Mitte eines augenscheinlich unentwirrbaren Knäuels von Hörnern und Hufen. »Toro!« schreit Georg mit der Begeisterung des Vaquero, und die Heerde öffnet einen Weg für die geschwungene Riata. Ich kann ihren dampfenden Athem fühlen, und ihr Geifer fliegt auf Chuchu's bebende Flanken.

Es sind wilde, teuflisch aussehende Thiere, nicht solche Gestalten, wie sie Jupiter gewählt haben möchte, um eine Göttin zu freien, oder solche, wie sie friedlich sich auf den Strandhügeln, von Devon reihen, sondern magre und hungrige Cassius ähnliche Rinder, sparsam geschaffen, um den Ansprüchen eines Klimas, das sechs Monate keinen Regen hat, gewachsen zu sein, und gewöhnt, mit dem wegtreibenden Winde und dem blendenden Staube zu kämpfen.

»Das ist nicht unser Brandzeichen,« sagte Georg, »'s ist eine fremde Heerde,« und er zeigt auf etwas, worin mein wissenschaftliches Auge, tief eingenarbt in die braunen Flanken des von ihm gejagten Bullen, das astrologische Zeichen der Venus erkennt. Aber die Heerde schließt sich um uns mit dumpfem Brummen, und Georg nimmt wieder seine Zuflucht zu dem gebieterischen »Toro!« und theilt mit geschwungener Riata die »buckeligen Schilde« nach beiden Seiten hin. Als wir frei sind und etwas leichter athmen, wage ich Georg zu fragen, ob sie jemals jemand angreifen.

»Reiter niemals – Fußgänger bisweilen. Nicht aus Wuth, sondern aus Neugier. Sie denken, ein Mann und sein Pferd sind Eins, und wenn sie jemand zu Fuß treffen, so rennen sie ihn nieder und trampeln ihn unter die Hufe, aus Wißbegierde. Aber,« fügt Georg hinzu, »hier ist die untere Bank der Vorhügel, und hier ist Altascars Viehzaun, und das weiße Gebäude, welches Sie da drüben sehen, ist die Casa.«

Eine weißgetünchte Wand umschloß einen Hof, der ein zweites Gebäude aus Luftziegeln enthielt, welche die Sonnenstrahlen vieler Sommer gebrannt hatten. Indem wir unsere Pferde der Obhut einiger Peone im Hofe überließen, die träge in der Sonne sich sömmerten, traten wir in einen niedrigen Thorweg, wo ein tiefer Schatten und eine angenehme Kühle auf uns fielen, die in ihrem Contrast mit dem stechenden Licht und der Hitze draußen so plötzlich kamen und so dankbar empfunden wurden wie ein Sprung in kühles Wasser. In der Mitte eines Gemachs mit niedriger Decke saß ein alter Mann, der ein schwarzseidnes Tuch um den Kopf gebunden hatte; die wenigen grauen Haare, die dessen Falten entschlüpften, ließen die tiefgelbe Farbe seines Gesichts hervortreten. Der Duft von Cigarritos kam als Weihrauch zu der kathedralartigen Düsterheit des Gebäudes hinzu.

Als Señor Altascar sich mit wohlerzogener Würde zu unserm Empfang erhob, trat Georg mit einem Erröthen und einem Gemisch von Zärtlichkeit und Achtung in seiner Haltung vor, daß ich mich von so viel Hingebung in dem sorglosen Jüngling bis ins Herz gerührt fühlte. Aber meine Augen waren noch von der Wirkung des Sonnenlichts draußen geblendet, und so sah ich zuerst nicht die weißen Zähne und die schwarzen Augen Pepita's, die in den Corridor schlüpfte, als wir eintraten.

Es war keine angenehme Sache, dem alten Señor die geschäftlichen Einzelnheiten zu eröffnen, die ihn des größern Theiles des Landes berauben sollten, über das wir soeben geritten waren, und ich that dies in großer Verlegenheit. Aber er hörte gelassen zu – nicht ein Muskel seines dunkeln Gesichts regte sich – und der Rauch, der sich sänftiglich aus seinen Lippen hervorkräuselte, zeigte seine regelmäßigen Athemzüge. Als ich geendigt hatte, erbot er sich ruhig, uns nach der Grenzlinie zu begleiten. Georg war inzwischen verschwunden, aber eine verdächtige Unterhaltung in gebrochnem Spanisch und Englisch im Corridor verrieth seine Nähe. Als er, ein wenig geistesabwesend, zurückkehrte, verdeckte der alte Herr, bei Weitem der Kühlste und sich am meisten selbst Beherrschende von uns Allen, seine schwarzseidne Mütze mit jenem steifen, unschönen Sombrero, welchen alle eingebornen Californier tragen. Eine über die Schulter geworfne Serapa deutete an, daß er auf uns warte. Pferde sind in spanischen Ranchos stets gesattelt bereit, und eine halbe Stunde nach unsrer Ankunft jagten wir wieder in weit ausgreifendem Trabe in den grellen Sonnenschein.

Aber nicht so heiter wie vorher. Georg und ich waren von dem Gefühl der Zurückhaltung bedrückt, und Altascar war würdevoll und still. Um dem Stillschweigen ein Ende zu machen und in der Weise eines Versuchs, zu trösten, deutete ich ihm an, daß es noch eine weitere Dazwischenkunft oder Berufung geben könnte, aber das Anerbieten von Oel und Wein wurde nur mit einem nachlässigen Achselzucken und einem kurzen »Que bueno?« Eure Gerichtshöfe sind immer gerecht,« beantwortet.

Das Indianergrab, das ich in der vorhergehenden Nacht entdeckt, war ein wichtiges Merkmal der neuen Linie, und dort machten wir Halt. Wir waren überrascht zu finden, daß der alte Tryan uns dort erwartete. Zum ersten Male seit unserm Zusammentreffen schien der alte Spanier bewegt, und das Blut stieg ihm in die gelbe Wange. Ich beeilte mich, der Scene ein Ende zu machen, und bezeichnete die Winkel der Grenzen so deutlich, als meine Erinnerung mir zu Diensten stand.

»Die Deputirten werden morgen hier sein, um von diesem Anfangspunkte aus die Linien zu ziehen, und es wird dann, wie ich glaube, kein weiterer Streit sein, meine Herren.«

Señor Altascar war abgestiegen und sammelte mit seinen Händen ein paar Büschel dürres Gras. Georg und ich wechselten Blicke. Er erhob sich bald nachher aus seiner gebückten Stellung, und indem er bis auf ein paar Schritte vor Joseph Tryan hintrat, sagte er mit einer von Leidenschaft unterbrochnen Stimme:

»Und ich, Fernando Jesus Maria Altascar, setze Euch in Besitz meines Landes nach der Weise meines Vaterlandes.« Er warf einen Grasbüschel nach jeder der Hauptwindrichtungen.

»Ich kenne Eure Gerichtshöfe, Eure Richter, oder Eure Corregidoren nicht. Nehmt hin den Llano und nehmt Folgendes dazu. Möge die Dürre Euer Vieh treffen, bis seine Zunge heraushängt soweit als die Eurer verlognen Advocaten! Möge es der Fluch und die Qual Eurer alten Tage sein, wie Ihr und die Eurigen es zu dem der meinigen gemacht habt!«

Wir traten zwischen die Hauptpersonen dieser Scene, welche nur die Leidenschaft Altascars zu einer tragischen machte. Aber Tryan unterbrach ihn mit einer Demuth, welche seinen Triumph übel verhehlte:

»Laßt ihn nur weiter Flüche ausstoßen. Er wird sehen, daß sie eher ihm zu Hause und zu Hofe kommen, als das Vieh, das er durch seine Liederlichkeit und seinen Stolz verloren hat. Der Herr ist auf Seiten der Gerechten, wie er gegen alle Verleumder und Verunglimpfer ist.«

Altascar errieth nur halb die Meinung des Missouriers, aber genügend, so daß aus seinem Gemüthe Alles, nur nicht die überschwängliche Gewalt der ihm angebornen Schimpfwuth wich.

»Räuber des Sacraments! Oeffne sie nicht! öffne Deine verlognen Judaslippen nicht gegen mich, sage ich Dir. Ha, Du Halbblut mit der Seele eines Cayote! – Car-r-ramba!«

Mit dieser Leidenschaft, die unter den Consonanten widerhallte wie ferner Donner, legte er seine Hand auf die Mähne seines Pferdes, wie wenn sie die grauen Locken seines Gegners gewesen wäre, schwang sich in den Sattel und galoppirte davon.

Georg wendete sich zu mir:

»Wollen Sie heut Abend mit uns zurückgehen?«

Ich dachte an die freudlosen Wände, die schweigsamen Gestalten am Feuer und den brüllenden Wind und zögerte.

»Nun dann leben Sie wohl.«

»Leben Sie wohl, Georg.«

Noch ein Händedruck, und wir schieden.

Ich war noch nicht weit geritten, als ich mich umwendete und mich umsah. Der Wind war diesen Nachmittag zeitig lebendig geworden und fegte über die Ebene. Eine Staubwolke flog vor ihm her, und eine malerische Gestalt, die bisweilen daraus auftauchte, war mein letzter unbestimmter Eindruck von Georg Tryan.

*

Zweiter Theil.
In der Fluth.

Drei Monate nach der Besichtigung des Espiritu Santo Rancho war ich wieder im Thale des Sacramento. Aber eine allgemeine furchtbare Heimsuchung hatte die Erinnerung an jenes Ereigniß so vollständig ausgelöscht, wie sie meiner Vermuthung nach die Grenzmarken verwischt hatte, die ich aufgerichtet hatte. Die große Fluth von 1861 zu 62 war auf ihrer Höhe, als ich, einer unbestimmten Sehnsucht nachgebend, meine Reisetasche nahm und mich nach dem überschwemmten Thale einschiffte.

Aus dem hellen Kajütenfenster der »Golden City« war nichts zu sehen als über dem Wasser dunkelnde Nacht. Das einzige Geräusch war der prasselnde Regen, und der war die letzten zwei Wochen eintönig geworden und störte den nationalen Ernst meiner Landsleute nicht, als sie schweigend um den Kajütenofen saßen. Einige, die auf Rettung von Freunden und Verwandten ausgingen, zeigten ängstliche Gesichter und unterhielten sich trocken über den einzigen, Alles in Anspruch nehmenden Gegenstand. Andere, wie ich von Neugier hergeführt, lauschten eifrig auf neue Einzelnheiten. Aber mit jener im Menschen liegenden Neigung, sich jedes Umstandes zu bemächtigen, welcher der übertriebenen Wichtigkeit des Antriebes etwa einen Zweck verschaffen könnte, war ich mir halb bewußt, daß es etwas mehr als bloße Neugier war, die mich bewegte und antrieb.

Der tröpfelnde Regen, das leise Gurgeln des Wassers und ein bleifarbner Himmel begrüßten uns den nächsten Morgen, als wir neben dem halbüberschwemmten Ausladeplatz von Sacramento lagen. Hier enthielt indeß die neue Thatsache, daß Boote uns nach den Gasthöfen bringen mußten, eine Aufforderung, die unwiderstehlich war. Ich ergab mich einem Schiffer in einem triefenden Gummimantel, Namens Joe, und nachdem ich mich in einen glänzenden Ueberzieher von gleichem Material gehüllt, der ungefähr so sehr nach Wärme aussah, als Asphaltpflaster darnach ausgesehen haben möchte, nahm ich meinen Sitz im Hintertheil des Bootes ein. Es erforderte keinen geringen innern Kampf, von dem Dampfer zu scheiden, welcher für die meisten Passagiere das einzige sichtbare Verbindungsglied zwischen uns und der trocknen und bewohnbaren Erde war, aber wir ruderten fort und betraten die Stadt, wobei wir beim Hinschießen über den Ausladeplatz einer reißenden Strömung entgegenruderten.

Wir glitten die lange Fläche der K.-Straße hinauf – einst eine heitere, geschäftige Durchfahrt, jetzt ein Jammer in ihrer schweigenden Verödung. Das strudelnde Wasser, welches bis an den Rand des Horizonts vor uns zu gehen schien, floß in rechten Winkeln in trägen Strömen durch die Straßen. Die Natur hatte sich an dem Localgeschmacke gerächt, indem sie die regelmäßigen Rechtecke durch Zusammen- und Durcheinanderschieben von Häusern an Straßenecken, wo sie der Strömung schroff abfallende Giebel zukehrten, oder durch Umstürzen derselben und vollständige Zertrümmerung in Unordnung gebracht hatte. Fahrzeuge aller Art glitten durch niedrige Thorwege mit Bogenwölbung aus und ein. Das Wasser stand höher als die Spitzen der Zäune, welche wohlgehaltne Gärten umgaben, in den ersten Stockwerken von Gasthöfen und Privatwohnungen, wo es seinen Schlamm auf Sammetteppiche ebenso gut hinschleppte wie auf Dielen mit rauhen Bretern.

Und ein Schweigen, das ebenso viel andeutete als die sichtbare Verwüstung, war in den lautlosen Straßen, die nicht mehr das Wagenrad und den Fußtritt widerhallen ließen. Das leise Plätschern von Wasser, das gelegentliche Klatschen von Rudern oder der warnende Ruf von Bootsleuten waren die wenigen Zeichen von Leben und Bewohntheit.

In solche Scenen vor meinen Augen und solche Laute in meinen Ohren mischt sich, während ich träge im Boote liege, der Gesang meines Gondoliers, welcher zu der Musik seiner Ruder singt. Er ist nicht ganz so romantisch wie der, welchen sein Berufsgenosse vom Lido vielleicht improvisiren würde. Aber mein Yankee-Giuseppe hat den Vortheil ernst und energisch zu sein und giebt eine sehr deutliche Beschreibung der Schrecken der verflossnen Woche und von edlen Thaten der Selbstaufopferung und Hingebung, indem er gelegentlich auf einen Balkon hindeutet, von welchem eine californische Bianca oder Laura halb bekleidet und halb verhungert heruntergezogen worden ist. Giuseppe ist auch sonst eigen und weist das dargebotene Fahrgeld zurück; denn – bin ich nicht ein Bürger von San Francisco, welches zuerst auf den Hülferuf Sacramento's antwortete? und ist er, Giuseppe, nicht ein Mitglied der Howard Societät? Nein, Giuseppe ist arm, kann aber mein Geld nicht nehmen. Indeß, wenn ich's durchaus ausgeben muß, so ist da die Howard Societät und die Weiber und Kinder ohne Kleider und Nahrung in der Ackerbau-Halle.

Ich danke dem großmüthigen Gondolier, und wir gehen nach der Halle – einem trübseligen, öden Orte, wo die Erinnerungen an die Fülle und den Reichthum des vorigen Jahres wie ein Spuk hausen, und hier wird Giuseppe's Fahrgeld durch das Scherflein des Fremden vermehrt. Aber hier erzählt mir Giuseppe von dem Rettungsboote, welches nach dem überschwemmten Bezirk im Innern abgeht, und hier fasse ich, indem ich von der Lection, die er mir ertheilt, Vortheil ziehe, den Entschluß, meine Neugier für Rechnung Andrer thätig sein zu lassen, und werde von denen angenommen, welche fortgehen, um den Heimgesuchten Unterstützung und Hülfe zu bringen. Giuseppe beladet sich mit meiner Reisetasche und trennt sich von mir nicht eher, als bis ich auf dem schlüpfrigen Deck vom »Hülfsboot Nummer 3« stehe.

Eine Stunde später bin ich im Lootsenhäuschen und blicke hinab auf das, was einst der Kanal eines friedlichen Flusses war. Aber seine Ufer werden jetzt nur durch hin- und herpeitschende Weidenbüsche bezeichnet, welche von dem langen Schwall überspült werden, der sich über einen unermeßlichen Binnensee ergießt. Striche von »Tule-Land«, von seinem einst regelmäßigen Kanal fruchtbar gemacht und mit blühenden Ranchos bedeckt, sind jetzt rein ausgetilgt. Das cultivirte Profil der frühern Landschaft ist verschwunden. Punktirte Linien in symmetrischer Perspective markiren Obstgärten, die in der wirbelnden Fluth begraben und durchkältet sind. Die Dächer einiger Farmhäuser sind sichtbar, und hier und dort zeigt der aus Schornsteinen halbüberschwemmter Gebäude sich emporkräuselnde Rauch ein unerschrocknes Leben im Innern. Rindvieh und Schafe haben sich auf Indianergräbern angesammelt und erwarten das Schicksal ihrer Gefährten, deren Leichname vorbeitreiben oder sich in Strudeln mit den Wracks von Scheunen und Nebengebäuden drehen. Wagen sind überall gestrandet, wohin die Fluth sie tragen konnte. Als ich das feuchtgewordene Glas abwische, sehe ich nichts als Wasser, das aus den sich senkenden Wolken auf das Deck herabprasselt, gegen das Fenster peitscht, von den Weiden trieft, neben den Rädern vorbeizischt, das überall spült, sich windet, sich höhlt, in Stromschnellen hinjagt oder sich zuletzt in tiefere und weitere Seen hinauswälzt, die in ihrer vielsagenden Stille und Verborgenheit unheimlich sind.

Als der Tag zur Nacht hinschwindet, wird die Einförmigkeit dieser seltsamen Aussicht niederdrückend. Ich suchte den Maschinenraum auf, und in Gesellschaft einiger der halbertrunkenen Dulder, die wir bereits von rasch gebauten Flößen aufgenommen haben, vergesse ich den allgemeinen Anblick der Verwüstung in dem Elend, das sie als Einzelne betroffen. Später begegnen wir dem San Francisco Packetboot und setzen auf dasselbe eine Anzahl unsrer Passagiere ab. Von ihnen hören wir, wie nach dem Innern bestimmte Fahrzeuge berichten, daß sie den wohlbegrenzten Flußkanal des Sacramento fünfzig Meilen über der Barre befahren haben. Es wird ein freiwilliger Beitrag unter den großmüthigen Reisenden für unsere Heimgesuchten eingesammelt, und die Gesellschaft trennt sich mit einem herzlichen »Gehabt Euch wohl!« auf jeder von beiden Seiten. Aber unsre Signallichter sind noch nicht weit weg, so kommt ein wohlbekannter Laut zu uns zurück – ein unbändiges Yankee-Hurrah – daß die Finsterniß davon zerberstet.

Unser Cours wird geändert, und wir dampfen über die verschwundenen Ufer weit in das Innere hinein. Ein oder zwei Mal tauchen schwarze Gegenstände nahe bei uns auf – die Trümmer von Häusern, die vorüberfluthen. Nach Norden hin zeigt der Himmel einen kleinen Spalt und ein paar Sterne, die uns als Leiter über die Wasserwüste dienen können. Als wir in seichteres Wasser eindringen, wird es für rathsam gehalten, unsere Gesellschaft in kleinere Boote zu vertheilen und uns über die überschwemmte Prairie zu verbreiten. Ich borge mir von der Mannschaft eine Seemannsjacke, und in dieser praktischen Verkleidung werde ich, wenn auch mit zweifelnder Miene, in einem der Boote zugelassen. Wir schlagen die Richtung nach Norden ein. Es ist noch ganz dunkel, obwohl der Spalt in den Wolken sich erweitert hat.

Es muß ungefähr drei Uhr gewesen sein, und wir lagen auf unsern Rudern in einem Strudel, der von einer Gruppe von Baumwollenbäumen erzeugt war, und das Licht des Dampfers war ein einsamer heller Stern in der Ferne, da wird das Schweigen plötzlich durch das »Bugruder« unterbrochen:

»Licht voraus!«

Alle Augen wenden sich nach dieser Richtung. In einigen Secunden erscheint ein blinzelndes Licht, scheint fest fort und verschwindet wieder wie durch die sich ändernde Lage eines schwarzen Gegenstandes, der offenbar dicht vor uns und auf uns zu treibt.

»Ins Heck, alle! Ein Dampfer!«

»Feste sitzen geblieben. Verdammt soll der Dampfer sein!« ist die Antwort des Bootsmanns. »Es ist ein Haus, und zwar ein großes.«

Es ist ein großes Haus, das im Sternenlichte wie ein gewaltiges Stück Finsterniß vor uns auftaucht. Das Licht kommt von einer einzigen Kerze, welche durch ein Fenster scheint, als das große Ding vorüberschwankt. Einige Erinnerung treibt mit ihm zu mir zurück, während ich mit klopfendem Herzen lausche.

»Beim Himmel, da ist Einer drin! Macht Platz, Jungens, legt längs an. Hübsch ordentlich, jetzt los! Die Thür ist zugeschlossen, versucht's mit dem Fenster; nein, hier ist noch eine.«

Im nächsten Augenblick trampeln wir in dem Wasser, welches die Diele mehrere Zoll tief überspült. Es ist ein großes Gemach, an dessen fernstem Ende ein alter Mann sitzt, der sich in eine Wolldecke gewickelt hat, in der einen Hand eine Kerze hält und offenbar in ein Buch vertieft ist, welches er in der andern hat. Ich springe mit einem Ausruf auf ihn zu:

»Joseph Tryan!«

Er rührt sich nicht. Wir treten näher an ihn heran, und ich lege sanft meine Hand auf seine Schulter und sage:

»Blicken Sie auf, alter Mann, blicken Sie auf! Ihre Frau und Ihre Kinder, wo sind sie? Die Jungen – Georg! Sind sie hier? sind sie in Sicherheit?«

Er erhebt sein Haupt langsam und wendet seine Augen auf die meinen, und wir weichen unwillkürlich vor seinem Blicke zurück. Es ist ein gelassener und ruhiger Blick, frei von Furcht, Zorn oder Schmerz, aber es liegt ein Etwas drin, was uns das Blut in den Adern gerinnen läßt. Er beugt seinen Kopf wieder über sein Buch und nimmt weiter keine Notiz von uns. Die Leute sehen mich mitleidsvoll an und verhalten sich schweigsam. Ich mache noch eine Anstrengung:

»Joseph Tryan, kennen Sie mich noch? Der Landvermesser, der Ihren Rancho besichtigte – den Espiritu Santo Rancho? Blicken Sie auf, alter Mann!«

Er schauderte und wickelte sich dichter in seine Decke. Bald nachher wiederholte er gegen sich selbst: »Der Landvermesser, der Ihren Rancho besichtigte – den Espiritu Santo« immer und immer wieder, wie wenn es eine Lection wäre, die er seinem Gedächtnisse einzuprägen versuchte.

Ich wendete mich traurig zu den Leuten des Bootes, als er mich plötzlich furchtsam bei der Hand ergriff und sagte:

»Bst!«

Wir schwiegen.

»Horch!« Er legte seinen Arm um meinen Hals und flüsterte mir ins Ohr: »Ich ziehe weg.«

»Sie ziehen weg?«

»Bst! Nicht so laut sprechen. Ich ziehe weg. Ha! was ist das? Hören Sie's nicht? Da – horchen Sie mal!«

Wir horchen und hören das Wasser unter der Diele gurgeln und glucksen.

»Das sind die, welche er geschickt hat! Die der alte Altascar geschickt hat. Sie sind die ganze Nacht schon hier gewesen. Ich hörte sie zuerst im Bache, wo sie kamen, um dem alten Manne zu sagen, er müßte weiter wegziehen. Sie kamen näher und näher. Sie flüsterten unter der Thür, und ich sah ihre Augen auf der Schwelle, ihre grausamen, harten Augen. Ach warum gehen sie nicht weg!«

Ich sage den Leuten, sie sollen das Zimmer durchsuchen und nachsehen, ob sie irgendwelche andre Spuren der Familie auffinden können, während Tryan seine frühere Haltung wieder einnimmt. Sie hat so viel von der Gestalt, deren ich mich von jener stürmischen Nacht her erinnere, daß mich rasch ein abergläubisches Gefühl überkommt. Als sie zurückgekommen sind, erzähle ich ihnen kurz, was ich von ihm weiß, und der alte Mann murmelt wieder:

»Warum gehen sie nur jetzt nicht? Sie haben ja das Vieh – alles – alles hin, blos die Häute und Hufe bleiben,« und er stöhnt bitterlich.

»Es giebt noch andere Boote, unterhalb von uns. Die Hütte kann nicht weit getrieben sein, und die Familie wird jetzt in Sicherheit sein,« sagt der Bootsmann hoffnungsvoll.

Wir heben den alten Mann in die Höhe; denn er ist ganz hülflos, und tragen ihn nach dem Boote. Er umklammert immer noch seine Bibel mit der rechten Hand, obwohl ihre stärkende Gnade seinem seelenlosen Blicke ein leeres Blatt ist, und er kauert im Heck, während wir langsam nach dem Dampfer rudern und ein bleicher Schimmer am Himmel den kommenden Tag zeigt.

Ich war müde vor Aufregung, und als wir den Dampfer erreichten und Joseph Tryan bequem untergebracht gesehen hatten, hüllte ich mich in eine Wolldecke in der Nähe des Kessels und schlief ein. Aber selbst dann stieg oft die Gestalt des alten Mannes vor mir auf, und ein Gefühl der Beunruhigung wegen Georgs bildete zu meinen dahintreibenden Träumen eine starke Unterströmung.

Gegen acht Uhr Morgens wurde ich von dem Maschinisten geweckt, der mir sagte, daß man einen von den Söhnen des alten Mannes aufgenommen hätte und derselbe jetzt an Bord wäre.

»Ist es Georg Tryan?« frage ich rasch.

»Weiß nicht, aber es ist ein netter Kerl, wer er auch sein mag,« fügt der Maschinist mit einem Lächeln über eine saftige Erinnerung hinzu. »Sie werden ihn vorne finden.«

Ich eile nach dem Bug des Bootes und finde nicht Georg, sondern den nicht todt zu machenden Witzbold Wise, der auf einer Rolle Tau sitzt, ein wenig schmutziger und ziemlich mehr aus den Fugen gerathen, als ich mich ihn gesehen zu haben entsinne.

Er prüft mit augenscheinlicher Bewunderung einige grobe trockne Kleider, die ihm zur Verfügung gestellt worden sind. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Umstände seine gewöhnliche heitere Stimmung gesteigert haben. Er macht mir's bequem, indem er mich sogleich anredet:

»Das sind ja allerliebste Zeiten, nicht? Hören Sie mal, was denken Sie wohl, das aus den Grenzmarken geworden sein mag, die Sie abgesteckt haben? Ah!«

Die Pause, welche diesem Ausbruch seiner guten Laune folgt, ist die Wirkung einer krampfhaften Bewunderung eines Paars hoher Stiefeln, welche er mit großer Anstrengung zuletzt an seine Füße gezogen hat.

»So haben Sie also den Alten in der Bude rein verrückt aufgelesen? Er muß verdreht im Kopfe gewesen sein, daß er dort stecken geblieben ist, statt mit der Alten auszureißen. Konnte mich nicht von Adam unterscheiden, hielt mich für Georg.«

Ueber dieses rührende Beispiel väterlicher Vergeßlichkeit hatte Wise offenbar Empfindungen, die zwischen Ergötzen und Verdruß getheilt waren. Ich benutzte diesen Kampf der Gefühle, um nach Georg zu fragen.

»Weiß nicht, wo er ist. Wenn er sich um's Vieh gekümmert hätte, statt auf der Prairie herumzulaufen und Weiber und Kinder wegzupacken, so hätte er vielleicht was gerettet. Ich will wetten, der hat jeden Huf und jede Haut verloren. Sagen Sie mal,« wendete er sich an einen vorübergehenden Mann vom Boote, »wann werden Sie uns was zu schnabeliren geben? Ich bin so hungrig, daß ich ein Pferd abledern und aufessen könnte. Rechne, werde Fleischer werden, wenn die Geschichte aufgetrocknet ist, und Häute, Hörner und Talg retten.«

Ich konnte nicht umhin, diese unvertilgbare Thatkraft zu bewundern, die unter milderen klimatischen Einflüssen so tüchtige Frucht getragen haben würde.

»Haben Sie irgend eine Idee, was sie thun werden, Wise?« frage ich.

»Da ist jetzt nicht viel zu thun,« sagt der praktische junge Mann. »Ich werde auf Arbeit gehen müssen, bis die Sache wieder glatt wird. Das Land ist jetzt nicht viel werth und wird, glaub' ich, eine Zeitlang nicht viel werth bleiben. Möchte wissen, wo der Alte zunächst sein Nest bauen wird.«

»Ich meinte Ihren Vater und Georg mit meiner Frage, Wise.«

»O, der Alte und ich, wir werden zu Miles gehen, wo Tom letzte Woche die Alte und die Kinder hingethan hat. Georg wird sich irgendwo zwischen hier und Altascars Gehöft wiederfinden, wenn er nicht schon dort ist.«

Ich frage, wie viel die Altascars gelitten haben.

»Na, ich rechne, er hat nicht viel Verlust an Vieh gehabt. Ich sollte mich nicht wundern, wenn Georg ihm geholfen hätte, sie auf die Vorberge hinaufzutreiben. Und seine Casa ist zu hoch hinaufgebaut. O Sie können wetten, da giebt's nicht viel Wasser. Ja,« sagt Wise mit nachdenklicher Bewunderung, »diese Schmierfinken sind nicht die verdammten Narren, für die sie die Leute halten. Ich will wetten, daß in ganz Californien nicht ein einziger in die Patsche gerathen ist.« Aber das Erscheinen von etwas zum »Schnabeliren« schnitt diese Rhapsodie kurz ab.

»Ich werde noch ein wenig weitergehen,« sage ich, »und versuchen, Georg zu finden.«

Wise stierte einen Augenblick auf diese Excentricität, bis ihm ein neues Licht aufdämmerte.

»Ich glaube nicht, daß Sie viel retten werden. Wie viel Procent geben Sie – arbeiten auf Antheil, he?«

Ich antworte, daß es bei mir blos Neugier ist, was, wie ich merke, seine gute Meinung von mir vermindert, und mit einem traurigeren Gefühle, als seine Versicherung, daß Georg in Sicherheit sei, verbürgen konnte, gehe ich hinweg.

Von Andern, die wir von Zeit zu Zeit aufnahmen, hörten wir von Georgs aufopfernder Hingebung mit der Lobeserhebung der Vielen, denen er geholfen und die er gerettet. Aber ich fühlte mich nicht geneigt, zurückzukehren, bis ich ihn gesehen hätte, und machte mich bald bereit, ein Boot nach der unteren »Valda« der Vorberge zu nehmen und Altascar zu besuchen. Ich vervollständigte rasch meine Vorkehrungen, sagte Wise Lebewohl und warf einen letzten Blick auf den alten Mann, der ganz ruhig und gefaßt bei den Kesselfeuern saß. Dann schwang sich die Spitze unseres Bootes herum, gerudert von kräftigen und willigen Händen.

Es regnete wieder, und ein unangenehmer Wind hatte sich erhoben. Unser Cours lag nahezu westlich, und bald erkannten wir an der starken Strömung, daß wir uns in dem Bache von Espiritu Santo befanden. Von Zeit zu Zeit waren die Wracks von Scheunen zu sehen, und wir passirten viele halb überschwemmte Weiden, die mit Ackerbaugeräthen behangen waren.

Wir tauchen zuletzt herauf in eine breite, schweigende See. Es ist der Llano de Espiritu Santo. Wie der Wind an mir vorüberpfeift und das seichtere Süßwasser zu theatralischen Wellen aufhäuft, gehe ich in Gedanken zurück zu dem langen Ritte, den wir im October über diese endlose Fläche machten, und rufe mir die scharfen Umrisse der fernen Berge zurück, welche jetzt in den tiefer ziehenden Wolken verborgen sind. Die Leute rudern schweigend, und ich finde, daß meine Seele, von ihrer Spannung befreit, so benommen und bedrückt wird wie damals. Das Wasser ferner wird seichter, als wir die Ufer des Baches verlassen, und indem ich meine Hand achtlos über die Ruderbank sinken lasse, entdecke ich die Spitzen von Prairiegras, was mir zeigt, daß die Fluth etwas gefallen ist. Wir sind vor einem schwarzen Hügel, der von der Erlenreihe nördlich liegt und eine Gegenströmung erzeugt, und den ich, als wir, um der Strömung auszuweichen, nach rechts hin schwenken, wiedererkenne. Wir rudern dicht längs desselben hin, und ich rufe den Leuten zu, Halt zu machen.

In der Nähe seines Gipfels war ein Stab mit den Anfangsbuchstaben: »L. E. S. I.« eingetrieben. In der Mitte desselben war eine seltsam gearbeitete Riata angebunden. Es war die von Georg. Sie war mit einem scharfen Instrumente zerschnitten, und der lockere kiesige Boden des Grabhügels war mit tiefen Spuren von Pferdehufen bedeckt. Der Stab war mit Pferdehaaren beklebt. Es war ein Merkzeichen, aber kein Schlüssel.

Der Wind war heftiger geworden, als wir immer noch unsern Weg weiter kämpften. Es wurde abwechselnd geruht und gerudert und häufiger über die seichtere Fläche mit Staken geschoben, aber die alte Valda oder Bank liegt immer noch fern. Meine Erinnerung an die frühere Besichtigung setzt mich in den Stand, die relative Lage der Windungen des Baches zu errathen, und ein gelegentliches einfaches berufsmäßiges Experiment zur Bestimmung der Entfernung giebt meiner Mannschaft den vollsten Glauben an meine Befähigung. Die Nacht überrascht uns auf unsrer vielfach gehinderten Fahrt. Unsere Lage sieht gefährlicher aus, als sie in Wirklichkeit ist, aber ich treibe die Leute, von denen viele in dieser Art von Navigation noch Neulinge sind, zu größerer Anstrengung an, indem ich ihnen versichere, daß vor uns vollständige Sicherheit und baldige Erlösung ist. Wir fahren in dieser Weise weiter bis etwa acht Uhr, wo wir bei den Weiden auf den Grund kommen. Wir müssen ein paar hundert Schritte durch Koth waten, bevor wir auf einen trocknen Pfad stoßen und zu gleicher Zeit die weißen Wände von Altascars Haus wie eine Schneewehe vor uns sichtbar werden. Lichter bewegen sich im Hofe, aber sonst bezeichnet das Gebäude die alte Grabesruhe.

Einer der Peone erkannte mich wieder, als ich in den Hof trat, und Altascar begegnete mir auf dem Corridor.

Ich war zu schwach, um mehr zu thun, als ihn um gastliche Aufnahme für die Leute zu bitten, die sich mit mir müde geplagt hatten. Er sah auf meine Hand, welche noch immer unbewußt die zerbrochne Riata hielt. Ich begann in müdem Ton von Georg und meinen Befürchtungen zu erzählen, aber mit einer sanfteren Höflichkeit als selbst seine Gewohnheit war, legte er ernst seine Hand auf meine Schulter.

»Poco a poco, Señor – jetzt noch nicht. Sie sind müde, Sie haben Hunger, Sie sind kalt. Es ist nothwendig, daß Sie Ruhe haben.«

Er führte uns in ein kleines Zimmer und schenkte etwas französischen Cognac ein, den er den Leuten gab, die mich begleitet hatten. Sie tranken und warfen sich dann vor das Feuer in dem größeren Zimmer. Die Ruhe des Gebäudes war diesen Abend intensiver, und ich bildete mir sogar ein, daß die Fußtritte auf dem Korridor leichter und leiser seien. Das gewohnte würdevolle Wesen des alten Spaniers hatte einen tieferen Ton, wir hätten hinter diesen alten Mauern mit ihrem von der Zeit verwitterten Erbherrn so gut wie der pfeifende Wind von der Welt abgeschlossen sein können.

Bevor ich meine Erkundigung wiederholen konnte, zog er sich zurück. In einigen Minuten wurden zwei rauchende Schüsseln mit »Chupa« nebst Kaffee vor uns hingesetzt, und meine Leute aßen wie die Wölfe. Ich trank den Kaffee, aber meine Aufregung und Müdigkeit hielt die Instincte des Hungers zurück.

Ich saß traurig am Feuer, als er wieder eintrat.

»Sie haben gegessen?«

Ich sagte ja, um ihm zu gefallen.

»Bueno, iß wenn Du kannst, Nahrung und Appetit sind nicht immer beisammen.«

Er sagte dies mit jener sanchoartigen Einfalt, mit welcher die meisten seiner Landsleute ein Sprichwort aussprechen, wie wenn es mehr eine Erfahrung als ein Spruch wäre, und indem er die Riata vom Boden aufhob, hielt er sie fast zärtlich vor sich hin.

»Ich habe sie gemacht, Señor.«

»Ich bewahrte sie als einen Schlüssel zu ihm auf, Don Altascar,« sagte ich. »Wenn ich ihn finden könnte –«

»Er ist hier.«

»Hier! und –« aber ich konnte nicht sagen: »gut!« Ich verstand den Ernst im Angesicht des alten Mannes, die gedämpften Fußtritte, die Grabesstille des Gebäudes – wie ein elektrisches Aufblitzen wurde ich mir bewußt, daß ich endlich den Schlüssel zu der zerbrochnen Riata hatte. Altascar nahm meine Hand, und wir schritten über das Zimmer nach einem düstern Gemache. Einige hohe Kerzen brannten in Leuchterschaften vor dem Fenster.

In einem Alkoven war ein tiefes Bett, welches an seiner Decke, seinem Kopfkissen und seinen Betttüchern in all jenem glänzenden Luxus, welchen die Bescheidensten von diesem seltsamen Volke auf dieses einzige Stück ihres Haushalts verschwenden, schwer mit Spitzen besetzt war. Ich trat daneben, und sah Georg liegen, wie ich ihn schon einmal gesehen hatte, in friedenvoller Ruhe. Aber ein größeres Opfer, als das, welches er damals gebracht, war hier gebracht, und sein großmüthiges Herz war auf ewig still geworden.

»Er war ehrlich und tapfer,« sagte der alte Mann und wendete sich ab.

Es war noch eine Gestalt in dem Zimmer. Ein schweres Umschlagetuch war über ihre anmuthigen Umrisse gezogen, und ihr langes schwarzes Haar verbarg die Hände, in die sie ihr niedergebeugtes Antlitz begraben hatte. Ich that, als bemerkte ich sie nicht, und indem ich mich bald darauf zurückzog, ließ ich die Liebende und den Geliebten beisammen allein.

Als wir wieder neben dem prasselnden Feuer in dem wachsenden Schatten der großen Stube waren, erzählte mir Altascar, wie er diesen Morgen das Pferd von Georg Tryan auf der Prairie schwimmend angetroffen, wie er weiterhin ihn ganz kalt und todt, mit keinerlei Narben oder Beulen an seinem Körper daliegend gefunden habe, wie er wahrscheinlich sich im Durchreiten des Bachs erschöpft und er ebenso wahrscheinlich den Grabhügel nur erreicht habe, um aus Mangel an der Hülfe zu sterben, die er so freigebig Andern erwiesen, wie er als letzten Act sein Pferd freigemacht hatte. Diese Thatsachen wurden von vielen bestätigt, die sich diesen Abend in dem großen Zimmer versammelt hatten – Weiber und Kinder, die meisten gerettet durch die hingebende Thatkraft dessen, der kalt und leblos drüben lag.

Er wurde in dem Indianergrabhügel begraben – dem einzigen seltsamer Weise ewig grün bleibenden Orte, welchen die armen Ureinwohner über der staubigen Ebene aufgeschichtet hatten. Eine kleine Platte von Sandstein mit den Anfangsbuchstaben »G. T.« ist sein Denkmal und einer der Richtpunkte des Anfangswinkels der neuen Vermessung des »Espiritu Santo Ranchos«.


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