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Vorwort.

Californien und Poesie klingt uns ungefähr wie Mond und Menschen darauf oder wie Wüste und Blumen darin. Schon zum Glauben an die Möglichkeit von wirklichen Dichtern im Lebenskreise der Vereinigten Staaten überhaupt fehlt den Meisten bei uns Neigung und Vertrauen, obwohl Cooper, Washington Irving und Edgar Poe sich mit den Früchten der von ihnen angebauten Gebiete recht wohl neben dem sehen lassen können, was gegenwärtig auf denselben diesseits des großen Wassers und namentlich in Deutschland geleistet wird. »Mit einem Worte,« so äußerte sich in diesen Tagen noch Strauß, »uns Deutsche spricht aus der Geistesbildung in diesen Republiken etwas Banausisches, etwas grob Realistisches und prosaisch Nüchternes an; auf ihren Boden versetzt, fehlt uns die feinste geistige Lebensluft, die wir in unsrer Heimath geathmet hatten.« Dies ist im Allgemeinen gewiß richtig, wenn auch der Beweis noch zu führen sein wird, daß die republikanische Staatsform diesem Mangel zu Grunde liegt, und wenn der Verfasser des Folgenden an seinem Theil auch gestehen muß, daß ein gewisser »grobrealistischer« Dichter der Schweiz, die Strauß bei seiner abfälligen Aeußerung mitmeint, ihm trotz seiner Schwächen ganz erheblich schwerer wiegt, ihn ganz erheblich mehr an seine Schöpfungen glauben läßt, ihm ganz erheblich tiefer das Herz bewegt, als seine sämmtlichen heutigen Collegen im monarchischen Deutschland, trotz ihrer sonstigen Vorzüge, und namentlich trotz der feinen, feineren und feinsten geistigen Lebensluft, die sie uns in ihren Werken zu genießen geben. Aber, wie gesagt, im Allgemeinen wird man Strauß beistimmen müssen. Der amerikanische Boden zwar ist der Poesie nicht weniger günstig, als der Boden der alten Welt. Die Natur ist dort so reich und schön wie hier. Aber das Volk, das jenen Boden bewohnt, ist zu jung und, wie es scheint, auch zu alt, um große Dichter zu erzeugen, zu alt, um noch naiv zu dichten, zu jung in seiner eignen Civilisation, um schon zu einer selbsterzeugten Kunstpoesie, wie sie die klassischen Zeiten der europäischen Völker bieten, befähigt zu sein. Man hat noch zu viel materielle Arbeit vor sich, noch zu viel zu thun mit Ueberwältigung und Ausbeutung der harten Wirklichkeit, um schon Träumen vom Reich der Ideale nachhängen zu dürfen, und man ist über jener Arbeit schon zu sehr ins Speculiren und Calculiren gerathen, um noch schwärmen zu können. Hastiger Erwerbstrieb beherrscht alle Kreise. Die Verschmelzung der Einwanderströme zu einer Nation ist noch unvollendet. Allenthalben ein Schwellen, Fluthen und Gähren, ein Ringen und Jagen ohne Ende, bei dem nur selten ein Gemüth die Ruhe gewinnt, in welcher allein die Blume der Poesie gedeiht. Gilt dies mit Einschränkungen und Ausnahmen beachtenswerther Art schon vom Osten, so gilt es fast uneingeschränkt und ausnahmslos vom Westen, und um so uneingeschränkter und ausnahmsloser, je weiter wir nach Westen kommen. Am meisten gilt es von Californien, jenem erst seit einem Vierteljahrhundert für die moderne Cultur eroberten Lande am Stillen Meer mit seiner aus spanischen, angelsächsischen, deutschen, indianischen, selbst starken chinesischen Elementen gemischten Bevölkerung, der die Entdeckung des Goldes den angebornen Trieb des Yankee nach raschem Zusammenschlagen von Vermögen zu fiebernder Gier steigerte, und der dieser Fund die Abenteuerlichkeit, Waghalsigkeit und Unbotmäßigkeit, das Gaunerthum und die Liederlichkeit der ganzen Welt so massenhaft und in solchen gigantischen Exemplaren zuführte, daß trotz fleißigster Arbeit des Richters Lynch noch heute nicht ganz damit aufgeräumt ist.

Man sollte meinen, in solchen Kreisen gäbe es überhaupt keinen Platz für den Dichter, sie könnten nur schale Gassenhauer und rohe Sensationsromane erzeugen, oder wenn ein Poet in sie gestellt wäre und sie schilderte, so müßte das Bilder geben, die uns anwiderten, wie die Mißgestalten und Fratzen Höllenbreughels. Und doch ist hier nichts von dem allen der Fall. Zunächst hat der Zustand der Gesellschaft, der hier geschildert wird, auch seine Lichtseite, der Kampf, dem wir zuschauen, etwas Großartiges, Reckenhaftes, wild Poetisches. Sodann aber ist Bret Harte ein echter Dichter von Gottes Gnaden mit einem großen, vornehmen, rein menschlich empfindenden Herzen, einem goldnen Humor und einem Feingefühl für das Schöne in der Natur und der Menschenbrust, welches auf den Leser stets erfreulich, oft hinreißend wirkt. Und wenn er mitten aus jenen verwegenen, halbbarbarischen, ungeschlachten Menschenkreisen heraus schreibt, wenn grade die besten seiner Bilder und Skizzen diese gemeine Welt mit einer Treue und sinnlichen Kraft zeigen, daß wir sie greifen können, so haben wir doch nirgends die Empfindung, daß er es grob-realistisch auf einen bloßen Abklatsch dieser Gemeinheit abgesehen habe. Im Gegentheil, sie wird ihm nur zur Folie für ein Höheres, sie dient ihm nur, theils direct, theils ironisch oder humoristisch zu zeigen, daß der göttliche Funke auch in ihr noch glimmt und nur der weckenden Gelegenheit bedarf, um selbstlos und anspruchslos in edlem, tapferem sich selbst beherrschendem, sich opferndem Thun und Leiden aus der rauhen und unsaubern Verhüllung hervorzubrechen. Die schönsten seiner »Argonauten-Geschichten« sind gerade die, in denen dieser Goldkern im ordinären Lehm am hellsten emporglänzt.

Aber man verstehe recht. Bret Harte heißt nicht Eugen Sue: er sucht das Edle nicht bloß, sondern auch im Gemeinen, er hat nichts von dem sentimentalen Pathos des Franzosen, er muthet uns nirgends ein Wunder zu wie die unbefleckte Marienblume. Er ist ferner ein echter Poet, und so moralisirt er nicht, sondern erreicht seinen Zweck erzählend und schildernd, durch das Thun und Leiden seiner Personen.

»Ich hoffe,« sagt der Dichter im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe scherzend, »daß ich mich in den folgenden Skizzen jeder positiven Moral enthalten habe. Ich hätte meine Schurken mit der schwärzesten Farbe malen können – in der That, so schwarz, daß die Originale derselben sie mit dem Erglühen vergleichsweiser Tugend betrachtet haben würden. Ich hätte es ihnen unmöglich machen können, eine tugendhafte oder großmüthige Handlung zu begehen, und würde auf diese Weise jene sittliche Verwirrung vermieden haben, welche leicht aus der Betrachtung gemischter Motive und Eigenschaften entsteht. Aber ich würde mich dann mit der Verantwortlichkeit für ihre Erschaffung belastet haben, wozu ich als bescheidener Romanschreiber und als zu keiner besondern Verehrung berechtigt keine Lust hatte.

»Ich fürchte daher, daß ich auf kein höheres Motiv Anspruch machen kann, als auf die Absicht, eine Aera zu beleuchten, von welcher die californische Geschichte häufiger die Ereignisse als den Charakter der Handelnden aufbewahrt hat – eine Aera, die der Panegyriker zu oft mit einem allgemeinen Compliment für die sie Ueberlebenden zu überbrücken zufrieden war, eine Aera, die immer noch so wenig weit hinter uns liegt, daß ich mir bei dem Versuch, ihre Poesie wieder zu beleben, bewußt bin, auch die prosaischeren Erinnerungen dieser selben Ueberlebenden zu erwecken, und doch eine Aera voll von einer gewissen heroischen griechischen Poesie, deren sich vielleicht niemand weniger bewußt war, als die Heroen selber. Und ich werde ganz zufrieden sein, wenn ich hier nur die Materialien gesammelt habe zu der Iliade, die noch zu singen ist.«

Der wahre Dichter wird vor Allem darin empfunden, daß er die Stimmung des Ausschnitts aus der Natur oder dem Menschenleben, den er uns vorführt, voll und rein in sich aufzunehmen und dann in uns hinüber zu leiten, in uns nachtönen zu lassen versteht. Bret Harte besitzt diese Gabe im hohen Grade. Seine Landschaftsbilder, seine Schilderungen der californischen Jahreszeiten, Morgen, Abende und Nächte, der Sierra und ihrer Vorberge, der dortigen Überschwemmungen, der webenden Nebel an der Küste, der Lager der Goldgräber und der kleinen Städte in der Minengegend sind eine Galerie von Cabinetsstücken, und die Art, wie er seine Erzählungen durch ein Stimmungsbild aus der Natur prächtig oder schwermüthig einleitet und ausklingen läßt, wirkt in den meisten Fällen geradezu bezaubernd. Durch eine scharfe Beobachtung gewonnen, die auch das Kleinste aufsaugt, wenn es nur charakteristisch ist, stehen ihm alle Farben und Formen des Landes, dessen Leben er uns malt, klar vor Augen, und obwohl er meist mit wenigen Strichen schildert, muthen uns seine Beschreibungen so treu und wahr an, daß man glauben möchte, man könnte aus ihnen seiner geographischen Kenntniß nachhelfen. Und dasselbe gilt von seinen Menschen und ihrer Geschichte. Bis auf den Branntweingeruch, den viele von ihnen – vielleicht zu viele – um sich verbreiten, wie die Bauern Jeremias Gotthelfs den bekannten Kuhstallsduft, stehen sie vor uns, gehaben sie sich, reden und handeln sie, ob Mann oder Weib, wie Menschen von Fleisch oder Blut sich zu gehaben, zu reden und zu handeln pflegen. Der Dichter, der sie uns, oft auch nur mit wenigen Strichen, zeichnet, ist ein Herzenskenner wie wenige, er hat sich offenbar an der Erfahrung geschult und ein großer Theil seiner Geschichten beruht augenscheinlich auf eignen Erlebnissen in einem bewegten Leben. Wir genießen so unter ihnen allerdings nicht die »feinste geistige Lebensluft« unsrer Salontiroler, aber bleiben auch verschont mit deren Unnatur und Impotenz, und zuletzt tragen wir mit den Bildern wirklicher Menschen immer die fröhliche Gewißheit heim, daß in der That etwas geschehen ist, was der Mühe werth war, gethan und von uns beobachtet zu werden, da in ihm jener göttliche Funke, uns erleuchtend, rührend und erhebend, zum Vorschein kam.

Der Uebersetzer.


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