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Die Prinzessin Bob und ihre Freunde.

Sie war eine Klamath-Indianerin. Ihr Titel war, glaube ich, ein Kompromiß zwischen ihrem Anspruch als Tochter eines Häuptlings und ihrer Dankbarkeit gegen ihren frühesten weißen Beschützer, dessen Namen sie nach Indianerbrauch angenommen hatte. »Bob« Walker hatte sie von der Brust ihrer todten Mutter genommen, zu einer Zeit, wo die ehrliche Freiwilligen-Soldateska der californischen Grenze des festen Glaubens lebte, daß Ausrottung die offenbare Bestimmung der indianischen Race sei. Mit Schwierigkeit hatte er den edlen Eifer seiner Landsleute lange genug zurückgehalten, um sie zu überzeugen, daß eine Ausnahme mit einem indianischen Wickelkinde diese Theorie nicht schwächen würde. Und er nahm sie mit nach seiner Heimstätte, einer einfachen Lichtung an den Ufern des Lachsflusses, wo nach Grenzersitte für sie gesorgt wurde.

Bevor sie neun Jahre alt war, hatte sie das dürftige Wohlwollen der magern, überarbeiteten Mrs. Walker erschöpft. Als Gespielin der jungen Walkers war sie unzuverlässig, als Wärterin für das Kleinste war sie unbrauchbar. Sie verlor die ersteren in den pfadlosen Tiefen eines Rothholzwaldes, sie verließ das letztere in einer aus dem Stegreif geschaffnen Wiege, die wie eine Chrysalis an einem passenden Busche hing. Sie log und sie stahl – zwei unverzeihliche Sünden in einer Grenzgemeinde, wo Wahrhaftigkeit eine Nothwendigkeit war und Lebensmittel das einzige Eigenthum ausmachten. Schlimmer als das, die Umgebung der Lichtung wurde bisweilen von den in Pferdedecken gehüllten Hallunken heimgesucht, mit denen sie geheimnißvoll vertraulich verkehrte. Mr. Walker bedauerte mehr als einmal seine unvorsichtige Menschlichkeit, aber sie befreite ihn bald von seiner Verantwortlichkeit und möglicherweise von der Schuld an Blutvergießen, indem sie ganz verschwand.

Als sie wieder erschien, war es in dem benachbarten Dorfe Logport und in der Eigenschaft einer Hausmagd bei der Frau eines Handelsmanns, die, ein wenig Bildung mit beträchtlicher Gewissenhaftigkeit verbindend, den Versuch machte, die ihr Anvertraute zu unterrichten. Aber die Prinzessin erwies sich als einen Zögling, der selbst eine so nachsichtige Lehrerin nicht befriedigte. Sie nahm das Abc mit vieler guten Laune hin, stets als eine angenehme und immer wiederkehrende Neuigkeit, an welcher am Ende jeder Lection alles Interesse erlosch. Sie fand tausend Wege zur Verwendung ihrer Bücher und Schreibmaterialien heraus, die aber alle anders waren als die, welche civilisirten Kindern bekannt sind. Sie machte sich ein wunderliches Halsband aus Stückchen von Schieferstiften, sie baute sich ein Miniatur-Canoe aus den Pappdeckeln ihres Abcbuchs, sie bog ihre Federn zu Angelhaken zusammen und tättowirte die Gesichter ihrer jüngeren Gefährten mit blauer Tinte. Den Religionsunterricht nahm sie gleich gutgelaunt hin und lernte den Namen der Gottheit mit einer heitern Familiarität aussprechen, die ihrer Lehrerin ein Greuel war. Auch ließ sie sich nicht durch Analogie zur Ehrfurcht gewöhnen; sie wußte nichts von dem großen Geiste und bekannte ihre gänzliche Unbekanntschaft mit den glücklichen Jagdgründen. Indessen wohnte sie dem Gottesdienste regelmäßig bei und bat ebenso regelmäßig um ein Gesangbuch, und erst infolge der Entdeckung, daß sie fünfundzwanzig von diesen Bändchen hinter dem Holzstoße versteckt hatte, geschah es, daß ihre Verbindung mit der ersten Baptisten-Kirche von Logport ein Ende hatte. Gelegentlich gab sie diese Privilegien der Civilisation und des Christenthums auf und verschwand von ihrer Heimstätte, um nach einigen Tagen der Abwesenheit mit einem Duft von Baumrinde und Fischen und einer Friedensgabe für ihre Herrin in Gestalt von einem Stück Wildpret oder andrer Jagdbeute zurückzukehren.

Zu ihren Nöthen kam noch hinzu, daß sie jetzt vierzehn Jahre zählte und nach den Gesetzen ihrer Race ein ausgebildetes Weib war. Ich glaube nicht, daß selbst die romanhafteste Phantasie sie hübsch genannt hätte. Auf ihre Gesichtsfarbe paßte kaum eins der doppelsinnigen Gleichnisse, mit denen Poeten unbewußt um Entschuldigung für irgend eine Abweichung von der kaukasischen Normalbildung bitten. Sie war weder wein- noch bernsteinfarben, wenn irgend etwas, so war sie verräuchert. Ihr Gesicht war mit weißen und rothen Linien auf der einen Wange tättowirt, wie wenn ein feinzähniger Kamm vom Backenknochen bis zum Kiefer gezogen worden wäre, und würde ohne die gute Laune, die aus ihren kleinen beerenartigen Augen strahlte und in ihren weißen Zähnen glänzte, abschreckend häßlich gewesen sein. Sie war kurz und stämmig. Mit ihrer dürftigen Bekleidung und ihrer ungezwungnen Freiheit war sie kaum etwas für den Bildhauer, und ihre weniger studirten Stellungen wurden durch die affenartige Gewohnheit beeinträchtigt, sich in Augenblicken des Nachsinnens mit den Zehen des rechten Fußes sanft am linken Knöchel zu kratzen.

Ich denke, ich habe bereits genügend nachgewiesen, daß ihre Existenz selbst zu dem niedern Stande der Civilisation nicht paßte, der im Jahre 1860 in Logport herrschte. Es bedurfte nur noch einer einzigen Thatsache, um die weitblickende politische Weisheit und die prophetische Moral jener ehrlichen Fürsprecher der Ausrottung darzuthun, deren Tugenden ich zu Anfang dieses Aufsatzes nur kärglich habe Gerechtigkeit widerfahren lassen. Diese Thatsache wurde von der Prinzessin bald beschafft.

Nach einem der periodisch wiederkehrenden Fälle des Verschwindens – der diesmal ungewöhnlich lange währte – setzte sie Logport in Erstaunen, indem sie mit einem Mischlingskinde auf den Armen, das eine Woche alt war, zurückkehrte. Diesen Abend wurde bei der Mrs. Brown eine Versammlung der hartblickenden ernsten Matronen von Logport abgehalten. Man forderte die unverweilte Verbannung der Prinzessin. Die sanftherzige Mrs. Brown bemühte sich vergebens, eine Milderung oder einen Aufschub des Urtheilsspruchs zu erlangen. Aber wie bei einer frühern Gelegenheit nahm die Prinzessin die Sache selber in die Hand. Ein paar Morgen nachher fand man eine Wiege aus Weidengeflecht, die einen indianischen Säugling enthielt, an der Thürklinke der ersten Baptistenkirche hängen. Es war der parthische Pfeil der fliehenden Prinzessin. Von diesem Tage an bekam sie Logport nicht wieder zu sehen.

*

Im Hochlande war ein heller, klarer Tag gewesen, so klar, daß die Wälle und der Flaggenstab des Forts Jackson zwölf Meilen weit sichtbar gewesen waren von der langen gekrümmten Halbinsel, die einen nackten weißen Arm um die friedlichen Gewässer der Logport-Bucht streckte. Es war ein klarer Tag am Seegestade gewesen, obwohl die Luft mit dem fliegenden Schaume und dem treibenden Sande eines vielgebrochnen Strandes gefüllt war, dessen niedrige Dünen von den langen Brandungswogen des Stillen Meeres niedergerissen und von den wirbelnden Passatwinden wieder aufgeschichtet wurden. Aber die Sonne war in einer Schicht flockigen Nebels untergegangen, der sich über den Strand zu rollen begann.

Allmählig verschwanden das bergige Vorland am Eingang der Rhede und der Leuchtthurm, dann wurde die Weidenfranse, welche die Linie des Lachsflusses bezeichnete, unsichtbar, und der Ocean war weg. Noch leuchteten ein paar Segel auf den Wassern der Bucht, aber der vordringende Nebel löschte sie eins nach dem andern aus, kroch über die stahlblaue Fläche hin, schluckte die weißen Mühlen und den einzigen Kirchthurm von Logport ein und zog, verschmolzen mit Verstärkungen aus den Sümpfen, feierlich auf die Berge zu. Noch zehn Minuten, und die Landschaft war gänzlich ausgetilgt. Gleichzeitig erstarb der Wind, und Todtenstille stahl sich über See und Gestade. Das schwache Kreischen ungesehner Rothgänse, hoch droben, der mehr aus der Nähe kommende Ruf unsichtbarer Regenpfeifer, das Lecken und Spülen von Gewässern, die nicht zu unterscheiden waren, und das eintönige Rollen des verschwundenen Oceans waren die einzigen Geräusche. Als die Nacht dunkler wurde, störte das ferne dumpfe Läuten der Nebelglocke auf dem Vorlande draußen von Zeit zu Zeit die dicke Luft auf.

Hart am Ufer der Bucht und halb verborgen von einem Flugsandhügel stand ein nicht zu definirendes Gebäude, zu dessen Zusammensetzung See und Land gleichmäßig beigetragen hatten. Es war zum Theil aus Baumstämmen, zum Theil aus Treibholz und getheertem Segeltuch erbaut. Mit einem Ende an das Hauptgebäude gelehnt, welches die gewöhnliche Blockhütte des Ansiedlers war, befand sich das halbrunde Lootsenhaus irgend eines gescheiterten Dampfers, während der andere Giebel mit der Hälfte eines zerbrochnen Walfischbootes endigte. An das Boot waren die getrockneten Felle wilder Thiere genagelt, und daneben lag umhergestreut das Strandgut und der Nothwurf, der sich seit vielen Jahren angesammelt hatte: Packkörbe aus Bambusrohr, Fässer, Luken, Blocks, Ruder, Schachteln, ein Theil von der Wirbelsäule eines Walfisches und die Hornklingen von Schwertfischen. Auf das Ufer einer kleinen Einbuchtung vor dem Hause heraufgezogen lag ein Canoe. Als die Nacht dunkler und der Nebel dichter wurde, wurden diese Einzelnheiten unerkennbar, und nur die Fenster des Lootsenhauses, erleuchtet durch ein prasselndes Feuer in der Hütte, strahlten röthlich durch den Nebel.

Bei diesem Feuer und unter einer Schiffslampe, die von der Decke herabhing, saßen zwei Gestalten, ein Mann und eine Frau. Der Mann, breitschultrig und vollbärtig, streckte theilnahmlos seine gewaltige Länge aus einem zerbrochnen Bambusstuhle hinaus und heftete die Augen auf das Feuer. Die Frau kauerte mit gekreuzten Beinen auf dem breiten irdenen Herde und hatte ihre Augen blinzelnd auf ihren Gefährten gerichtet. Es waren kleine, schwarze, runde, beerenartige Augen, und als das Licht des Feuers ihr verräuchertes Gesicht mit ihrer einen grell prächtig gestreiften Wange beschien, war es offenbar die Prinzessin Bob und keine andere.

Nicht ein Wort wurde gesprochen. Sie hatten so länger als eine Stunde gesessen, und es lag in ihrer Haltung etwas, woraus man schloß, daß Schweigen bei ihnen Gewohnheit war. Ein oder zwei Mal erhob sich der Mann und schritt in der schmalen Stube auf und ab, oder sah zerstreut aus den Fenstern des Lootsenhauses, niemals aber verrieth er durch Blick oder Geberde auch nur das leiseste Bewußtsein von der Gegenwart seiner Gefährtin. In solchen Fällen folgte ihm die Prinzessin von ihrem Nest am Feuer mit Augen voll hündischer Erwartung und Begehrlichkeit. Aber er kehrte ebenso unausbleiblich zu seiner nachdenklichen Betrachtung des Feuers und die Prinzessin zu ihrem blinzelnden Ausspähen seines Gesichts zurück.

Sie hatten schweigend und ungestört manchen Abend bei gutem und schlechtem Wetter dagesessen. Sie hatten manchen Tag in Sonnenschein und Sturm verbracht und die nicht zurückgeforderten Beutestücke von See und Ufer gesammelt. Sie hatten diese stummen Beziehungen, die nur durch die Ereignisse der Jagd oder magre Pflichten des Haushalts einige Abwechslung erfuhren, drei Jahre lang aufrecht erhalten, die ganze Zeit, seit der Mann, mürrisch über die einsamen Sandgegenden wandernd, auf das halbverhungerte Weib gestoßen war, das in der kleinen Senkung lag, wohin sie gekrochen war, um zu sterben. Es hatte geschienen, als ob sie niemals gestört werden würden, bis jetzt die Prinzessin plötzlich auffuhr und mit dem Instinct ihrer Race ihr Ohr auf den Boden legte.

Der Wind hatte sich erhoben und rasselte mit dem getheerten Segeltuche. Aber im nächsten Augenblicke kam deutlich von draußen vor der Hütte das Geräusch von Stimmen. Dann folgte ein Klopfen an der Thür, dann noch ein Klopfen, und dann wurde, ehe sie sich auf ihre Füße erheben konnten, rasch die Thür aufgestoßen.

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte eine angenehme, aber ziemlich entschieden klingende Contraaltstimme, »aber ich glaube, Sie hörten mein Klopfen nicht. Ah, ich sehe, Sie hörten es nicht. Darf ich eintreten?«

Es erfolgte keine Antwort. Hätte der zerstoßene Kopf der Göttin der Freiheit, der, von einem Schiffsgallion herrührend, tief eingebettet im Sande des Ufers lag, sich plötzlich an der Thür gezeigt und Einlaß verlangt, so hätten die Bewohner der Hütte nicht sprachloser und hoffnungsloser erstaunt sein können, als über die Gestalt, die in der offnen Thür stand.

Es war die eines schmalschultrigen, zierlichen, elegant gekleideten jungen Frauenzimmers. Eine dunkelroth gefütterte seidne Kapuze wurde halb zurückgedrängt von der glänzenden Fülle schwarzen Haares, welches ihr Köpfchen bedeckte. Von ihren anmuthigen Schultern fiel ein Pelzmantel, der nur von einer Schnur mit Quaste festgehalten wurde, die sie in ihrer kleinen behandschuhten Hand hatte. Um ihren vollen Hals trug sie eine doppelte Kette von großen weißen Kügelchen, welche durch einen schlauen weiblichen Kniff mit ihrer Erinnerung an die Kinderwelt die auf dem untern Theile ihres Gesichts stark ausgeprägte Entschiedenheit milderte.

»Sagten Sie ja? Ah, dank' Ihnen. Wir dürfen eintreten, Barker.« (Hier folgte ihr ein Schatten in einem blauen Soldatenmantel in die Hütte, grüßte respectvoll durch einen Griff an seine Mütze und stellte sich dann schweigend und kerzengerade neben die Wand.) »Bitte, lassen Sie sich nicht im mindesten stören. Was für eine traurige unangenehme Nacht! Ist das Ihr gewöhnliches Klima?«

Indem sie halb gnädig, halb zerstreut das immer noch verlegene Schweigen der Gruppe übersah, fuhr sie fort: »Wir brachen von dem Fort vor mehr als drei Stunden auf – vor drei Stunden, nicht wahr, Barker?« (Der kerzengerade Barker griff an die Mütze.) »Um nach dem Quartier des Kapitän Emmons auf der Indianer-Insel zu gehen – ich glaube, Sie nennen es die Indianer-Insel, nicht wahr?« (Sie richtete diese Frage an die Prinzessin, die sie ehrfürchtig anstarrte.) »Und wir geriethen in den Nebel und verloren den Weg, das heißt, Barker verlor seinen Weg.« (Barker legte die Hand an die Mütze als Zeichen, daß er um Entschuldigung bitte.) »Und Gott weiß, wohin wir uns verirrten, bis wir Ihr Licht für den Leuchtthurm hielten und hier Halt machten. Nein, nein, bitte, behalten Sie Platz, bitte. Wirklich, ich muß darauf bestehen.«

Nichts konnte über die schmachtende Anmuth des letztern Theils dieser Rede gehen, nichts als die leichte Unbewußtheit, mit welcher sie an dem Stuhl, den ihr stammelnder, verlegner Wirth ihr anbot, vorüberglitt und neben den offnen Herd trat.

»Barker wird Ihnen sagen,« fuhr sie fort, indem sie ihre Füße am Feuer wärmte, »daß ich Miß Portfire, die Tochter des Majors Portfire bin, der den Posten befehligt. Ah! entschuldige mich, Kind!« (Sie hatte der Prinzessin unversehens auf ihre nackten gelben Zehen getreten.) »Ich wußte wirklich nicht, daß Du da warst. Ich bin sehr kurzsichtig.« (Zur Bestätigung ihrer Behauptung hielt sie ein niedliches doppeltes Augenglas, das von ihrem Halse herabbaumelte, vor die Augen.) »'s ist doch erschrecklich, wenn man kurzsichtig ist, nicht wahr?«

Wenn der Mann mit dem verschämten, verlegnen Gesicht, an den sie diese Bemerkung richtete, Worte hätte finden können, um den Gedanken zu äußern, der selbst in seiner Verwirrung sich seinem Gemüthe zu oberst aufdrängte, so würde er, als er in die kecken schwarzen Augen blickte, die ihn fragten, die Thatsache verneint haben. Aber er stotterte nur »Ja«. Im nächsten Augenblick jedoch hatte Miß Portfire ihn augenscheinlich vergessen und beschäftigte sich damit, daß sie die Prinzessin durch ihr Augenglas examinirte.

»Und wie heißest Du, Kind?«

Die Prinzessin, selig über die Augen und das Augenglas, zeigte alle ihre weißen Zähne auf einmal und kratzte sanft ihr Bein.

»Bob.«

»Bob? Was für ein eigenthümlicher Name!«

Miß Portfire's Wirth beeilte sich hier, ihr den Ursprung des Titels der Prinzessin auseinanderzusetzen.

»Dann sind Sie Bob?« (Augenglas.)

»Nein, mein Name ist Grey – John Grey.« Und er brachte richtig eine Verbeugung fertig, deren Unbehülflichkeit so ziemlich aussah, als ob er sich vergessener Gewohnheiten nur unvollkommen erinnerte.

»Grey? – Ah, lassen Sie mich mal nachsehen. Ja, gewiß. Sie sind Mr. Grey, der Einsiedler, der Eremit, der Philosoph und dergleichen Sachen mehr. Na, sicher, Doctor Jones, Ihr Arzt, hat mir Alles von Ihnen erzählt. Mein Gott, welch eine interessante Begegnung! Lebten ganz allein hier sieben – waren's nicht sieben Jahre? – ja, ich entsinne mich jetzt. Existirten ganz au naturel, möchte man sagen. Wie seltsam! Nicht daß ich dergleichen Dinge irgendwie kennte, wissen Sie. Ich habe immer unter Leuten gelebt und bin wirklich ganz fremd hier, kann ich Ihnen versichern. Aber ehrlich herausgesagt, Mr. – bitte um Entschuldigung – Mr. Grey, wie gefällt es Ihnen?«

Sie hatte ruhig seinen Stuhl genommen und ihren Mantel und ihre Kapuze über seine Lehne geworfen und zog jetzt nachdenklich ihre Handschuhe aus. Was auch die Gründe sein mochten – und sie waren unzweifelhaft zahlreich und tief – was auch die Erfahrung sein mochte – und sie war unzweifelhaft hart und überzeugend genug – durch welche dieser unglückliche Mann sein Leben in den letzten sieben Jahren gerechtfertigt hätte, sie wurden plötzlich gewissermaßen trivial und lächerlich vor dieser einfachen und praktischen Frage.

»Schon gut, Sie sollen mir Alles darüber erzählen, nachdem Sie mir etwas zu essen gegeben haben. Wir werden Zeit genug haben, da Barker heut Abend in diesem Nebel den Heimweg nicht finden kann. Jetzt aber machen Sie sich meinethalben keine Ungelegenheit. Barker wird Ihnen beistehen.«

Barker trat vor. Froh, der Ausforschung durch seinen Gast zu entgehen, ertheilte der Eremit der Prinzessin in ihrer Muttersprache ein paar rasche Weisungen und verschwand im Schuppen. Einen Augenblick allein gelassen, nahm Miß Portfire nach Frauenart rasch und halb hörbar die Inventur der Hütte auf. »Bücher, Gewehre, Felle, ein Stuhl, ein Bett, keine Bilder und kein Spiegel!« Sie griff ein Buch aus dem an Schnüren hängenden Bücherbrete heraus und nahm ihren Sitz am Feuer wieder ein, als die Prinzessin mit frischem Brennholz wieder eintrat. Aber während die Prinzessin am Herde kniete, blickte sie zufällig auf und begegnete den über den Rand des Buches auf sie herabschauenden dunkeln Augen Miß Portfire's.

»Bob!«

Die Prinzessin zeigte feixend ihre Zähne.

»Horch einmal. Hättest Du wohl gern schöne Kleider, Ringe und Glasperlen wie diese hier, und möchtest Du wohl Deine Haare sauber gekämmt und so wie diese aufgesteckt haben? Möchtest Du das?«

Die Prinzessin nickte heftig.

»Möchtest Du wohl bei mir leben und das haben? Antworte rasch. Sieh Dich nicht nach ihm um. Sprich für Dich selber. Möchtest Du? Still, jetzt nicht daran denken.«

Der Eremit trat wieder ein, und die Prinzessin zog sich blinzelnd in den Schatten des Walfischboot-Schuppens zurück, aus welchem sie auch dann nicht wieder auftauchte, als das einfache Mahl aus kaltem Wildpret, Schiffszwieback und Thee aufgetragen wurde. Miß Portfire bemerkte ihre Abwesenheit: »Sie müssen sich wirklich in Ihrer einfachen Weise durch mich nicht stören lassen. Wissen Sie wohl, daß dies für mich über die Maßen interessant ist, so ländlich und patriarchalisch und dergleichen Sachen mehr. Ich muß darauf bestehen, daß die Prinzessin zurückkommt, ich muß wirklich.«

Aber die Prinzessin war in dem Schuppen nicht zu finden, und Miß Portfire, die sie in der nächsten Minute ganz und gar vergessen zu haben schien, nahm Platz in dem einzigen Stuhle vor einem aus dem Stegreif gebauten Tische. Barker stand hinter ihr, und der Eremit lehnte sich gegen den Kamin. Miß Portfire's Appetit entsprach ihren Verwahrungen nicht. Zum ersten Male in sieben Jahren kam dem Eremiten der Gedanke, daß sein gewöhnliches Essen und Trinken der Verbesserung fähig sein möchte. Er stotterte etwas in dieser Beziehung hervor.

»Ich habe besser gegessen und schlechter,« sagte Miß Portfire ruhig.

»Aber ich dachte, Sie – das heißt, Sie sagten –«

»Ich verlebte ein Jahr in den Hospitälern, als Vater am Potomac stand,« erwiderte Miß Portfire gelassen, Nach einer Pause fuhr sie fort: »Sie erinnern sich, nach dem zweiten Treffen bei Bull Run – aber mein Gott! ich bitte um Verzeihung. Natürlich wissen Sie nichts vom Kriege und allen dergleichen Sachen mehr und kümmern sich nicht darum.« (Sie steckte ihr Augenglas auf und prüfte ruhig seine breitschultrige, muskulöse Gestalt am Kamin.) »Oder vielleicht machen Ihre Vorurtheile – aber dann, wissen Sie, als Eremit haben Sie natürlich keine politischen Interessen. Bitte, lassen Sie sich von mir nicht langweilen.«

Um genau mit sich im Einklang zu sein, hätte der Eremit keine Theilnahme an diesen Gegenständen zeigen sollen. Vielleicht lag es an irgend einer Eigenschaft der Erzählerin, daß er sich genöthigt sah, sie in solcher Redeweise, wie sie seine damit nicht vertrauten Lippen leisten konnten, zu bitten, fortzufahren. So gab denn Miß Portfire Bischen für Bischen die Ereignisse und ihre persönlichen Beobachtungen in dem Kampfe, der damals wüthete, zum Besten. Mit derselben halb zerstreuten, halb theilnahmlosen Manier, die bei ihr Gewohnheit zu sein schien, erzählte sie die Geschichten voll Entbehrung, voll Leiden, voll Ausdauer und voll Opfer. Mit derselben Miene schüchterner Anheimstellung, die ihr großes Selbstgefühl verhüllte, sprach sie von Grundsätzen und Rechten. Anscheinend ohne Enthusiasmus und ohne die Absicht, wirken zu wollen, die seine krankhafte Natur mißtrauisch gemacht haben würde, sang sie die große amerikanische Iliade in einer Weise, welche die Tiefen ihres einsam lebenden Zuhörers bis hinab zu ihren massiven Grundlagen aufregte. Dann hielt sie inne und fragte ruhig: »Wo ist denn Bob?«

Der Eremit erhob sich. Er wollte nachsehen, wo sie wäre. Aber Bob kam aus irgendwelcher Ursache nicht zum Vorschein. Man suchte in und außerhalb der Hütte, aber vergeblich. Zum ersten Mal diesen Abend bezeigte Miß Portfire einige Aengstlichkeit.

»Gehen Sie,« sagte sie zu Barker, »und finden Sie sie. Sie muß gefunden werden. Doch halt, geben Sie mir Ihren Mantel, ich werde selber gehen.«

Sie warf den Mantel über ihre Schultern und schritt in die Nacht hinaus. In dem dichten Nebelschleier, der sie plötzlich einzuhüllen schien, blieb sie einen Augenblick unentschlossen stehen. Dann ging sie auf den Strand zu, indem sie dem dumpfen Anklatschen der Wasser an die Sanddünen folgte. Sie hatte noch nicht viele Schritte gethan, als sie über einen dunkeln, sich an den Boden schmiegenden Gegenstand strauchelte. Indem sie mit der Hand hinabreichte, fühlte sie die grobe drahtartige Mähne der Prinzessin.

»Bob?«

Keine Antwort.

»Bob? Ich habe mich nach Dir umgesehen. Komm!«

»Geh weg.«

»Unsinn, Bob. Ich will, daß Du die Nacht bei mir bleibst. Komm!«

»Indianer-Squaw nicht gut für Waudschi-Frau. Geh fort!«

»Horch mal, Bob. Du bist die Tochter eines Häuptlings, ich bin das auch. Dein Vater hatte viele Krieger, der meine auch. Es ist gut, daß Du bei mir bleibst. Komm!«

Die Prinzessin kicherte und ließ sich aufheben. Ein paar Augenblicke später traten sie Hand in Hand wieder in die Hütte.

Mit den ersten Streifen der Morgendämmerung grüßte am nächsten Tage der kerzengerade Barker an der Thür der Hütte durch Griff nach der Mütze. Neben ihm stand der Eremit, der gleichfalls eben erst aus seinem Pferdedecken-Nest in den Sanddünen aufgestanden war. Aus der Hütte kam, frisch wie die Morgenluft, Miß Portfire, welche die Prinzessin an der Hand führte. Hand in Hand gingen sie auch nach dem Ufer, und als die Prinzessin sicher auf der hintern Bank des Bootes untergebracht worden war, wendete sich Miß Portfire um und hielt ihrem bisherigen Wirthe ihre Hand hin.

»Ich werde natürlich aufs Beste für sie sorgen. Sie werden oft kommen, um sie zu besuchen. Ich sollte Sie auch bitten, zu mir auf Besuch zu kommen, aber wissen Sie, Sie sind ein Eremit und dergleichen mehr. Aber wenn das ein correctes Verfahren für einen Anachoreten ist und geschehen kann, so wird mein Vater sich freuen, sich für die Gastfreundschaft dieser Nacht abfinden zu können. Aber thun Sie meinetwegen ja nichts, was mit Ihren einfachen Gewohnheiten nicht im Einklang steht. Leben Sie wohl.«

Sie händigte ihm eine Karte ein, die er mechanisch annahm.

»Leben Sie wohl.«

Das Segel wurde aufgehißt, und das Boot stieß ab. Als die frische Brise des Morgens das weiße Segeltuch faßte, schien es sich zum Abschiedsgruß zu verbeugen. Ein rosiges Erröthen wie eine Verheißung lag auf dem Wasser, und als das leichte Fahrzeug der aufsteigenden Sonne entgegenfuhr, schien es einen Augenblick in deren Glorie emporgehoben.

*

Miß Portfire hielt Wort. Wenn überlegsame Fürsorge und kluge Güte die Prinzessin bessern konnten, so war ihre Zukunft gesichert. Und es schien wirklich, als ob sie zum ersten Male geneigt wäre, auf die Lehren der Civilisation zu achten und von ihrer neuen Lage Vortheil zu ziehen. Zunächst bemerkte man eine erfreuliche Veränderung in ihrem Aeußern. Ihr wirres Haar wurde in ein Netz gefaßt und hing ihr nicht mehr die Kreuz die Quer über ihre niedrige Stirn. Ihre lose hängende Brust wurde durch ein französisches Schnürleibchen gerichtet und gestützt, ihr schleppender Gang über die große Zehe wurde beschränkt durch Stiefelchen mit Absätzen. Ihre Kleider waren sauber und rein, und sie trug eine doppelte Halskette von Glasperlen. Mit dieser physischen Verbesserung schien ein moralisches Erwachen verbunden zu sein. Sie stahl und log nicht mehr. Mit dem Besitz persönlichen Eigenthums stellte sich die Achtung vor dem von Andern ein. Mit dem gewachsenen Vertrauen auf das Wort Derer, die sie umgaben, kam ein überlegtes Achthaben auf ihr eigenes. In Betreff ihres Verstandes war sie noch immer schwach, obwohl sie tapfermüthig mit den kleinen Lectionen kämpfte, die Miß Portfire ihr aufgab. Aber ihr Eifer und ihre einfältige Eitelkeit waren stärker als ihre Ehrlichkeit, und oft saß sie stundenlang mit einem offnen Buche vor sich, welches sie nicht lesen konnte.

Sie war ein Liebling der Offiziere des Forts, vom Major an, der die Vorurtheile seiner Tochter theilte und oft ihrem mächtigen Eigenwillen nachgab, bis zu den Subalternen, welche sie deshalb nicht weniger gern hatten, weil ihre natürlichen Feinde, die Freiwilligen der Grenze, ihrer hülflosen Schwesterschaft den Krieg erklärt hatten. Der einzige Zwang, der ihr angethan wurde, war die Beschränkung ihrer Freiheit auf die Schranke des Forts und Paradeplatzes, und nur einmal brach sie in dieser Hinsicht die Regel und wurde von der Schildwache angehalten, als sie am Landungsplatze in ein Boot stieg.

Der Einsiedler machte von Miß Portfire's Einladung keinen Gebrauch. Aber nach dem Weggang der Prinzessin verbrachte er seine Zeit weniger in der Hütte und wurde häufiger in den entlegnen Sümpfen des Aalflusses und auf den Hügeln des obern Landes gesehen. Eine fieberhafte Unruhe, ganz entgegengesetzt seinem gewöhnlichen Phlegma, ließ ihn eigenthümliche Streiche begehen, die nicht zu seinen gewohnten Sitten und seinem Rufe paßten. Der Kassirer des Dampfers, der gelegentlich mit den Postsachen in Logport anhielt, berichtete, daß er, als er gerade am Schenktisch gewesen, von einem fremden bärtigen Manne angehalten worden sei, der nach einer Zeitung mit den letzten Kriegstelegrammen gefragt hätte. Er zerriß sein rothes Hemd in schmale Streifen und verbrachte zwei Tage mit seiner Nadel über den Stücken und dem zerfetzten Rest seines einzigen weißen Kleidungsstücks, und ein paar Tage darauf sahen die Fischer der Bucht mit Erstaunen Etwas, das beim Näherkommen sich als eine rohe Nachahmung der Nationalflagge erwies, von einer Spiere über der Hütte flattern.

Eines Abends, als der Nebel über die Sandhügel zu treiben begann, saß der Einsiedler allein in seiner Hütte. Das Feuer erstarb unbeachtet auf dem Herde; denn er hatte lange dort gesessen, vollständig aufgegangen in den abgegriffnen Blättern einer alten Zeitung. Bald nachher erhob er sich, faltete sie wieder zusammen – eine Operation, die bei ihrer zerfetzten Beschaffenheit viel Sorgfalt und Genauigkeit beanspruchte – und schob sie unter die Decken seines Bettes. Er nahm seinen Sitz am Feuer wieder ein, begann aber bald mit den Fingern auf den Arm seines Stuhles zu trommeln. Allmählig nahm dies den Takt und Accent einer Melodie an. Dann fing er leise und zögernd zu pfeifen an, wie wenn er sich eine vergessene Weise zurückzurufen versuchte. Endlich gewann diese Gestalt in einer ungeschickten Aehnlichkeit mit dem Yankee Doodle, die diesem ungefähr in dem Maße glich, wie seine Flagge dem Nationalbanner. Plötzlich hielt er inne.

Es klopfte etwas an die Thür, das war nicht zu verkennen. Das Blut, welches ihm zuerst ins Gesicht gestiegen, wich jetzt aus demselben und zog sich langsam um sein Herz zurück. Er versuchte aufzustehen, konnte aber nicht. Dann wurde die Thür aufgestoßen, und eine Gestalt in einer scharlachroth gefütterten Kapuze und einem Pelzmantel stand auf der Schwelle. Mit einer gewaltigen Anstrengung that er einen einzigen Schritt nach der Thür. Im nächsten Augenblicke sah er den weiten Mund und die weißen Zähne der Prinzessin und wurde mit einem Kusse begrüßt, der wie ein Taufbad schmeckte.

Ihr die Kapuze und den Mantel abreißen in der plötzlichen Wuth, die ihn ergriff, und sie grimmig nach der Ursache dieser Maskerade fragen, war seine einzige Erwiderung auf ihren Gruß.

»Was führt Dich hierher? Hast Du diese Kleidungsstücke gestohlen?« fragte er nochmals in den Gurgeltönen ihrer Sprache, indem er sie rauh am Arme schüttelte. Die Prinzessin hing den Kopf. »Hast Du das gethan?« schrie er, indem er wild nach seiner Büchse griff.

»Ich hab's gethan.«

Sein Griff ließ nach, und er taumelte zurück gegen die Wand. Die Prinzessin fing an zu wimmern. Zwischen ihrem Schluchzen versuchte sie ihm zu erklären, daß der Major und seine Tochter weggingen, und daß sie sie nach dem den seßhaft gewordnen Indianern reservirten Lande schicken wollten. Aber er schnitt ihr das Wort ab. »Leg' diese Sachen ab!« Die Prinzessin gehorchte zitternd. Er rollte sie zusammen, legte sie in das Canoe, welches sie soeben verlassen hatte, und sprang dann in das gebrechliche Fahrzeug. Sie wollte ihm folgen, aber er stieß sie mit einem schweren Fluche von sich und schoß mit einem einzigen Schlage seines Ruders in den Nebel hinaus und war verschwunden.

»Jessamy,« sagte der Major einige Tage nachher, als er mit seiner Tochter bei Tische saß, »ich glaube ich kann Dir was erzählen, was dem geheimnißvollen Verschwinden und Zurückkehren Deiner Garderobe gleichsteht. Dein wunderlicher Freund, der Einsiedler, ist diesen Morgen in das vierte Artillerie-Regiment eingetreten. Er ist ein prächtiger Kerl, und wenn ich nicht irre, steckt in ihm das richtige Zeug zu einem Soldaten. Er meint es auch ganz ernsthaft; denn er tritt in das Regiment ein, welches nach Washington zurückbeordert ist. Ei der Tausend, Kind, schon wieder ein Trinkglas zerbrochen; auf die Art wirst Du den Offizierstisch zu Grunde richten.«

»Hast Du etwas Weiteres von der Prinzessin gehört, Papa?«

»Nichts weiter. Aber vielleicht ist's ebenso gut, daß sie fort ist. Diese verfluchten Ansiedler kommen wieder mit ihren alten Klagen über das, was sie Indianerplünderungen nennen, und ich habe soeben vom Hauptquartier den Befehl erhalten, die Niederlassung von allen herumschweifenden Ureingebornen zu säubern. Ich fürchte, meine Liebe, daß eine strenge Auslegung des Ausdrucks Deinen Günstling einschließen würde.«

Die Zeit für den Abmarsch der Leute vom vierten, Artillerie-Regiment war gekommen. Die Nacht vorher war dicker Nebel. Um ein Uhr rief ein Schuß von den Wällen die Wache heraus und weckte die schlafende Garnison. Die neue Schildwache, der Gemeine Grey, hatte eine dunkle Figur, die auf dem Glacis hinkroch, angerufen und, als er keine Antwort erhielt, Feuer gegeben. Die ausgesandte Wache kam bald zurück. Sie trug in ihren Armen eine leblose Gestalt. Der Diensteifer der neuen Schildwache, verbunden mit der Schützengeschicklichkeit eines Exgrenzers, war verhängnißvoll.

Sie legten die hülflose zerlumpte Gestalt vor die Thür des Wachthauses hin und sahen jetzt erst, daß es die Prinzessin war. Bald darauf öffnete sie die Augen. Sie fielen auf das entsetzte Gesicht Dessen, der sie unwissentlich getödtet hatte, aber glücklicherweise ohne daß sie es wußte und ihm Vorwürfe machte.

»Georgy!« flüsterte sie.

»Bob!«

»Alles Eins jetzt. Ich bald sehr wohl befinden. Ich kein' Dummheit mehr treiben. Ich ins reservirte Land gehen.«

Dann hielt sie inne. Ein Zittern lief durch ihre Glieder, und sie lag still. Sie war in das reservirte Land gegangen. Nicht in das, welches die Klugheit der Menschen geplant hat, sondern in dasjenige, welches von der Gründung der Welt an abgesondert worden ist für die weisesten sowohl wie für die niedrigsten seiner Geschöpfe.


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