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Sechzehntes Kapitel.

Pegasus unter dem Sattel.


Tom stürzte sich natürlich auf die nächstliegende und leichteste Erklärung.

»O, das ist Schwindel, erbärmlicher, frecher Schwindel. Sie haben uns eine durch und durch gefälschte Abrechnung geschickt. Nur dreitausendvierhundert Exemplare eines Romans, der der gelesenste des Jahres war? Das ist ja geradezu widersinnig! Sie haben – ich will dir sagen, was sie gemacht haben. Für je drei Exemplare, die verkauft sind, haben sie uns nur eines angerechnet oder so was Aehnliches. Ich habe immer gehört, daß Verleger dergleichen Kniffe anwenden. Aber von einem Haus wie Margate & Lee hätte ich das doch nicht erwartet – reich, angesehen, die ersten in diesem Geschäftszweig. Ich hätte nicht gedacht, daß sie sich so weit erniedrigen könnten. Der Gewinn dabei ist doch gar zu lumpig. Einen Schriftsteller um ein paar hundert Dollars zu beschwindeln, – sie, die Hunderttausende wert sind!«

»Aber, Liebster,« beruhigte Rose vorsichtig. »Nur der Absatz bis zum 1. Januar ist ja berechnet; das sind nicht ganz vier Monate. Wenn du die nächste Abrechnung erhältst, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, wird sie wahrscheinlich höher sein. Wann bekommst du die nächste?«

»Erst nach einem Jahr. Der Vertrag bestimmt, daß sie jeden 1. Februar abrechnen. Nachdem ich unterzeichnet hatte, habe ich gehört, daß Verleger gewöhnlich alle Halbjahr abrechnen. Allein sie sahen, daß ich noch grün und froh war, meinen Roman unter jeder Bedingung gedruckt zu sehen, und deshalb trafen sie die Bestimmung, daß jeden 1. Februar abgerechnet werden sollte. Dadurch sparen sie an Zinsen etwas weniger, als den Preis für einen neuen Hut. O, sie machen sich jeden Vorteil zu nutze, mag es auch noch so gemein und niedrig sein!«

»Aber, Tom, dreitausendvierhundert Exemplare in vier Monaten, das sind monatlich beinahe tausend – neunhundert –, und wenn das so weiter geht, ein ganzes Jahr lang, dann bekommst du ja nächsten Februar mehr als tausend Dollars.«

»So geht's aber nicht weiter. Was von einem kleinen, beliebten Tagesroman, wie der unsrige, überhaupt abgesetzt wird, das wird im wesentlichen in den ersten paar Monaten nach seinem Erscheinen verkauft. Dann hört kein Mensch mehr davon, niemand liest, niemand kauft ihn mehr. Er hat seinen Tag gehabt, und dann ist's vorbei. Ein neuer Roman nimmt seinen Platz ein, lenkt die Aufmerksamkeit ab und fischt die Dollars der Lesewelt. Der neue Roman ist's, der sich verkauft, gerade so wie ein Hut der neuesten Mode; das weiß alle Welt. Ausnahmen gibt's natürlich. Erstens große Romane, wie die von Howells oder der George Eliot, die verkaufen sich immerfort. Und zweitens kommt es wohl hie und da einmal vor, daß auch ein Roman, der nicht gerade zu den großen gehört, eine Weile, ein, zwei Jahre vergessen wird, und sich dann auf einmal wieder verkauft, wie frische Wecken. Aber, wie gesagt, in der Regel kommt's umgekehrt. Wenn ich noch hundert Dollars aus ›Träume in einem Traum‹ herausschlage, kann ich von Glück sagen.«

»Was willst du in der Sache thun, Tom? Wenn die Verleger uns wirklich betrogen haben, muß es doch irgend einen Weg geben, wie wir zu unserm Rechte kommen. Können wir sie nicht verklagen oder so etwas?«

»Da liegt der Hase im Pfeffer! Ich weiß nicht, ob wir etwas machen können. Ein Schriftsteller ist vollständig der Gnade seines Verlegers anheimgegeben. Ueberhaupt muß man bei jedem Geschäft im Leben irgend jemand Vertrauen schenken. Ist man Schriftsteller, dann muß man seinem Verleger trauen. Und wenn's ihm gefällt, einen anzulügen – was will man da machen? Jedenfalls kann ich eins thun: ich werde Mr. St. Marc besuchen und ihn zu Rate ziehen.«

Aber zu seiner großen Ueberraschung machte St. Marc Toms Schwindeltheorie erbarmungslos lächerlich. Die Ansicht, daß das große Haus Margate & Lee seine Rechnungen fälschen und sich auf diese Weise in die Hände seiner Angestellten – Buchbinder, Drucker, Verkäufer, Buchhalter – geben könne um einiger hundert Dollars willen, war, wie St. Marc behauptete, vollständig abgeschmackt.

»Ich leiste in jeder Höhe für die persönliche Ehrenhaftigkeit jedes Mitglieds dieser Firma – des alten Margate, Mr. Hopkins' und des jungen Margate, für die ganze Gesellschaft – Bürgschaft. Nicht einer von ihnen würde seine Finger mit einer so schmutzigen Geschichte besudeln, wie Sie annehmen. Und dann, mein lieber Junge, hat sich Ihr Roman ganz überraschend gut verkauft. Den ungeheuren Erfolg, wie ›Ben Hur‹, oder ›Mr. Isaaks‹ hat er freilich nicht gehabt. Das hat aber auch niemand erwartet. Der größte Absatz, worauf ich gerechnet hatte, war zweitausendfünfhundert, und nun hat er meine Hoffnungen noch um tausend Exemplare übertroffen. Dreitausendfünfhundert ist für das erste Werk eines unbekannten Verfassers ein ganz ungewöhnlicher Absatz. Selbst wenn nur die Hälfte davon verkauft worden wäre, hätte es den Durchschnitt um eine gute Halslänge geschlagen. – Aber natürlich war Ihr Erfolg in erster Linie schriftstellerisch. Sie haben das Ohr des Publikums gewonnen, Sie haben einen litterarischen Eindruck gemacht. Das müssen Sie jetzt ausnützen und ihn mit etwas wirklich Großartigem befestigen. Thun Sie Ihr Bestes, streben Sie nach den höchsten Zielen, und ich bin überzeugt, Sie werden sich über Mittel und Wege zum Leben keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Ich habe so eine Art halb abergläubischen Vertrauens, daß, wenn der Mensch das thut – sich mit Leib und Seele der Arbeit hingibt, um sein Bestes zu leisten, die höchst möglichen Ziele zu erreichen, ohne an den Lohn, oder selbst daran zu denken, wo er am nächsten Tage sein Brot hernehmen soll – ich habe eine Art von Glauben, der nicht nach Gründen fragt, daß dann der Herr schon sorgen wird. Jedenfalls darf ein Künstler nur in diesem Geiste arbeiten, wenn er etwas Brauchbares schaffen will. Er muß alle seine Kräfte, alle seine Gedanken nur auf das Werk richten, das er unter den Händen hat, und sich keines andern Wunsches dabei bewußt werden, als des einen, es so ausgezeichnet als möglich zu machen. Dann werden Gottes Engel ihn ernähren.«

»Das ist ein sehr schöner und sehr ermutigender Gedanke,« gab Tom zu. »Aber wenn man eine Frau zu erhalten, Kostgeld zu bezahlen hat, dann drängt sich die Frage: wo soll ich's hernehmen? immer wieder ins Bewußtsein, trotz aller Anstrengungen, sie zu verbannen.«

»Mag sein, aber soweit sie das thut, soweit leidet auch der Wert der Leistungen, und der schließliche volle Erfolg wird hintangehalten.«

»Auf weiteren, irgend nennenswerten Absatz wird wohl nicht zu rechnen sein?« fragte Tom, ehe er sich empfahl. »Bei einem Roman, wie der – da hört die Nachfrage ja wohl nach ein paar Monaten auf?«

»In der Regel, ja, glaube ich. Wenn im Laufe des nächsten Jahres noch ein weiteres Tausend verkauft wird, so ist das alles, was man erwarten kann. Aber, natürlich, sobald Sie mit einem Meisterwerk herauskommen, werden auch Ihre früheren Arbeiten wieder verlangt,« erwiderte St. Marc.

»Nun, eins ist mir ziemlich klar,« sagte Tom zu Rose, »von Romanen allein können wir nicht leben. Wenn ich nur dreihundertundfünfzig Dollars an einem Roman verdiene, woran ich sechs Monate gearbeitet habe, dann thäte ich besser, mich als Arbeiter zu verdingen und Steine zu klopfen.«

»Aber deine kurzen Erzählungen, Tom.«

»Ja, meine kurzen Erzählungen. Wenn ich monatlich eine herausbringe und für hundert Dollars los werde, dann verhungern wir nicht gerade. Aber ich könnte die Geschichte ebensogut aufgeben und zur Maschine werden. Wie bringt das wohl ein Mensch fertig, was Mr. St. Marc empfiehlt – nicht einen Gedanken an etwas andres zu wenden, als daran, wie man die Arbeit so vollendet als möglich macht – wenn man ganz genau weiß, daß der Topf aufhören wird zu kochen, falls man nicht jeden Monat mindestens das hervorbringt, was ihn im Kochen erhält? Außerdem trage ich den Plan zu einem neuen Roman in mir, der darauf brennt, geschrieben zu werden. Aber ich kann's mir nicht erlauben, muß mein Verlangen unterdrücken, obgleich ich weiß, daß es meine beste Arbeit werden würde, die den höchsten Zielen zustrebt, wie Mr. St. Marc sagt. Ich muß ihn zurückdrängen und fortfahren, kurze Erzählungen aus mir herauszupressen. – Vielleicht müßte ich mich trotzdem freuen, daß ich unsern Lebensunterhalt wenigstens mit etwas verdienen kann. Nun laß uns mal sehen, wie wir stehen. Den kleinen Voranschlag, den wir neulich aufgestellt haben, müssen wir freilich etwas berichtigen. Nach meiner Rechnung sind wir genau sechshundertundfünfzig Dollars wert, Margates Anweisung und die drei kurzen Erzählungen, die ich an die verschiedenen Zeitschriften geschickt habe.«

»Ja, aber wir haben auch noch das, was ich von meinem Gehalt zurückgelegt habe, und außerdem die fünfunddreißig Dollars, die ich monatlich bekomme.«

»Ich habe dir schon gesagt, Rose, daß wir das nicht mitrechnen dürfen. Was mein ist, das ist auch dein, aber was dein ist, das ist und bleibt dein. Damit sollst du machen, was du willst. Nebenbei, ich bin etwas unruhig wegen der Erzählung, die ich an Jones' Rundschau geschickt habe. Es sind ja doch jetzt mehr als zwei Monate, und ich fürchte beinahe, sie ist auf der Post verloren gegangen. Ich denke, ich schreibe mal an die Leute und frage, ob sie das Manuskript erhalten haben.«

»Ja, das thäte ich an deiner Stelle auch.«

Hier folgt eine Abschrift seines Briefes.

 

»53 Beekman Place.
New York, 3. Februar 1885.

An den Herrn Redakteur von Jones' Rundschau.

Geehrter Herr! Vor etwa zwei Monaten habe ich mir erlaubt, Ihnen per Post eine kurze Erzählung: ›Ein irrender Ritter‹ zu überschicken. Da ich bis jetzt noch nichts von Ihnen gehört habe, fürchte ich, daß die Sendung verloren gegangen ist. Wollen Sie mich freundlichst wissen lassen, ob sie in Ihre Hände gelangt ist?

Hochachtungsvoll ergebenst
Thomas Gardiner (Grandison Mather).«

 

Nach ein oder zwei Tagen brachte der Postbote einen großen, dicken Brief, der in einer Ecke den Stempel »Jones' Rundschau« trug und dessen Inhalt nach seinem Umfang –

»Korrekturen!« rief Tom. »Sie haben die Korrekturen geschickt!«

Seine Eigenschaft als Schriftsteller war noch zu neu, als daß er nicht begierig gewesen wäre, sich gedruckt zu sehen. Mit flinken Fingern riß er den Umschlag ab und zog den Inhalt eilig hervor. Korrekturen? Nicht gerade das. Sein Manuskript und dabei ein Brief, ein gedruckter Brief, der folgendermaßen lautete:

 

»Der Redakteur von Jones' Rundschau dankt ergebenst für das ihm gütigst übersandte Manuskript, bedauert aber, keine Verwendung dafür zu haben.«

 

Tom schnappte nach Luft und war wie erstarrt. Dann ließ er Umschlag, Manuskript und alles zu Boden flattern, sank auf einen Stuhl, als ob ihn der Schlag gerührt hätte, und erst allmählich begann er sich zu sammeln und dem Ereignis ins Gesicht zu sehen.

»Nun scheint alles aus zu sein,« sagte er nach einer Weile. »Von Romanen können wir nicht leben, und nun stellt sich heraus, daß wir auch nicht von kurzen Erzählungen leben können.«

Rose gab keine Antwort.

»Mein Ruf scheint gar nicht mitzusprechen,« fuhr er fort. »Sie haben mein Anerbieten mit genau derselben kurzen gedruckten Antwort zurückgewiesen, die sie einem völlig Unbekannten schicken würden. Wenn ich in Betracht ziehe, daß ich den erfolgreichsten Roman des Winters geschrieben habe, meine ich, sie hätten mir wenigstens die Ehre einer Zeile in ihrer Handschrift zu teil werden lassen können.«

»Es ist wirklich – es – ich meine –« begann Rose, aber sie fuhr nicht fort.

»Eine Ungezogenheit ist's, nichts andres, wozu sie auch nicht die mindeste Berechtigung hatten. Ich war so sicher, daß sie meine Arbeit annehmen würden, wie ich im Augenblick sicher bin, hier zu sitzen. Daß es nicht das Werk eines Genies war, wußte ich freilich, obschon ich glaubte, es wäre mindestens ebensogut, wie die Sachen, die sie gewöhnlich bringen, und dann kommt doch auch der Ruf in Betracht, den ich mir mit meinen ›Träumen‹ erworben habe. Der Gedanke, daß sie es ablehnen würden, ist mir nie in den Sinn gekommen. Und weißt du, was die Folge ist? Die Frage unsres Lebensunterhalts, die wir auf immer für erledigt hielten, ist wieder auf dem alten Punkt angelangt. Ich kann mein Brot weder mit kurzen Erzählungen, noch mit Romanen verdienen: was auf Gottes Erdboden sollen wir anfangen?«

»Aber deine beiden andern kurzen Erzählungen, die du an Browns Monatshefte und Robinsons Novellenzeitung geschickt hast? Vielleicht ist der Redakteur von Jones' Rundschau ein Oglethorpe in vermehrter und verbesserter Auflage. Langweilig genug ist seine Rundschau dazu. Ich würde mich nicht so entmutigen lassen, bis wir von Brown und Robinson gehört haben.«

»Nun, natürlich werden wir warten, bis wir von ihnen hören, ehe wir die Flinte ins Korn werfen. Aber wenn sie Jones' Beispiel folgen, dann sieht die Geschichte ziemlich trübselig für uns aus.«

»Ja, aber wenn sie dem schlechten Beispiel nicht folgen, dann werden sie vielleicht froh sein, wenn sie diese Erzählung auch noch bekommen können,« meinte Rose. »Mit dem Roman war es gerade so, wie du weißt. Carver & Comp. lehnten ab, Margate & Lee nahmen an. Es würde mich gar nicht wundern, wenn es hiermit gerade so ginge.«

»Vielleicht, möglicherweise,« erwiderte er, und diese Auffassung der Sachlage richtete ihn etwas auf. »Das einzige, was wir jetzt thun können, ist, daß wir unsre Seelen in Geduld fassen, fleißig drauf los arbeiten und warten, bis wir von Brown und Robinson hören.«

Von Robinson kam am Montag den 9. Februar morgens Nachricht. Der Redakteur »erlaubte sich, Mr. Gardiners Manuskript mit bestem Dank für die Uebersendung zurückzuschicken und bedauerte, daß es für die Novellenzeitung nicht geeignet sei.«

Am Nachmittag erholte sich Tom soweit, daß er sprechen konnte.

»Es wird wohl am besten sein, wenn ich meine ursprüngliche Beschäftigung wieder aufnehme, Rose. Die Schriftstellerei werde ich an den Nagel hängen müssen, man kann nicht sagen, daß sie sich bezahlt macht.«

»Was meinst du mit deiner ›ursprünglichen Beschäftigung‹, Tom?«

»Nun, mich nach einer Anstellung umsehen. Darin habe ich große Uebung, und ich schmeichle mir, das ungewöhnlich gut zu machen. Wir haben Geld genug in Händen, uns drei Monate oder so über Wasser zu halten, und das ist ungefähr die Zeit, die ich gewöhnlich brauche, um etwas zu finden. Ich werde mein Abonnement auf den ›Herald‹ erneuern und mich dem besonderen Zweig der Litteratur widmen, der unter der Ueberschrift: ›Arbeitskräfte gesucht – männliche‹ zu finden ist. Ein bißchen komisch ist es freilich, wenn man sich's recht überlegt, daß die Thatsache, einen ungewöhnlich erfolgreichen Roman geschrieben zu haben, bei den belletristischen Zeitschriften zu gar nichts hilft.«

»Ich kann's nicht begreifen; sie müssen, – ich weiß nicht, – sie müssen sich zusammengethan haben, um – um –«

»Ja, so ist's. Verschwörung, einen aufsteigenden Stern zu unterdrücken. Das ist die Erklärung, mit der die Leute gewöhnlich bei der Hand sind, deren Waren mit Dank zurückgewiesen werden. 'ne ganz hübsche Erklärung und so wohlthuend für den verletzten Stolz. Die Sache hat nur ein Häkchen, sie ist nicht wahr. Die richtige Erklärung ist, daß die Ware nichts taugt. Eine blinde Taube findet manchmal auch eine Erbse, und so ist's mir mit meinem Roman ergangen. Nein, mein Schatz, die Redakteure des Landes haben keine Verschwörung gegen mich angezettelt, aber meine Erzählungen erscheinen ihnen nicht brauchbar, und da das der Fall ist, so müssen wir den hübschen kleinen Traum, unser täglich Brot mit der Feder zu verdienen, aufgeben. Ich muß mich nach einer neuen Stelle umsehen und – – will zu Gott hoffen, daß ich eine finde!«

Rose schwieg, und Tom versank wieder in stummes Grübeln über seine Niederlage. Roses Herz sehnte sich danach, ihn zu trösten, aber was sollte sie sagen, was konnte sie thun?

Nach einem langen Schweigen sprach sie endlich, aber mehr im Tone eines Menschen, der laut denkt, als in dem eines solchen, der einen andern anredet.

»Nun, es bleibt immer noch die eine Erzählung bei Browns Monatsheften, wir haben darüber noch keine Entscheidung.«

Tom sprang auf, rannte im Zimmer hin und her und ließ eine kleine Rede los.

»O, um Himmels willen, Rose, höre doch auf mit den einfältigen Hoffnungen; du setzest dich nur frischen Enttäuschungen aus. Nein, nein, laß uns stark genug sein, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Ich leiste nichts als Schriftsteller, das ist alles, was sich darüber sagen läßt. Die wahre Probe des Erfolgs für einen Schriftsteller hierzulande ist die, daß seine Arbeiten den belletristischen Zeitschriften annehmbar erscheinen. Kein Mensch auf der Welt ist so befähigt, den Grundwert schriftstellerischer Erzeugnisse zu beurteilen, wie der Redakteur einer solchen Zeitschrift. Er liegt fortwährend auf der Lauer nach neuen Autoren, und wenn er einen erwischt, der ihm gefällt, dann ist er bereit, ihn zu verschlingen. Wenn er aber den und den Schriftsteller nicht mit einer Feuerzange anrühren will, dann kannst du dich darauf verlassen, daß des betreffenden Herrn Arbeiten gänzlich unbrauchbar sind. Und das ist genau mein Fall. ›Träume in einem Traum‹ verdankt, glaube ich, seinen Erfolg einzig und allein der günstigen Besprechung, die Mr. St. Marc darüber geschrieben hat, dem die Zeitungskritiker einfach nachbeten. Die Redakteure der belletristischen Zeitschriften fallen aber darauf nicht hinein, sie durchschauen die Sache, prüfen selbst und kommen zu der Ueberzeugung, daß ich nicht der Mann bin, an den sie ihr Geld zu verschwenden Lust haben. Ich bin ein vollendeter einfältiger –«

Wofür er sich hielt, sollte ewig ein Geheimnis bleiben, denn er wurde durch ein Klopfen an der Thür unterbrochen.

»Herein!« rief Rose.

Susan, das Dienstmädchen, trat ein und reichte Rose eine Karte. »Mrs. Gardiner, da is jemand unnen in der Stube, un der fragt nach Mr. Gardiner.«

»Mr. Christopher G. Ladd,« las Rose laut und blickte ihren Gatten fragend an. »Wer ist Mr. Christopher G. Ladd, Tom?«

»Keinen Schimmer. Zeig' mal her.«

Er nahm die Karte und studierte sie mit verblüffter Miene. »Mr. Christopher G. Ladd,« las er auch laut. »Nein, ich kenne niemand dieses Namens. Sie haben sich doch nicht verhört, Susan? Hat er wirklich nach mir gefragt?«

»Ja, Mr. Gardiner. ›Wohnt hier Mr. Gardiner?‹ fragte er, un da sagte ich: ›Gewiß, Herr‹ sagte ich, un da sagte er: ›Der is es, den ich sprechen will,‹ sagte er.«

»Schön, gehen Sie hinunter, Susan, ich komme gleich,« entgegnete Tom, und Susan verschwand.

»Wer mag es sein? Was kann er wollen?« fragte Rose verwundert.

»Wahrscheinlich ein Bücheragent,« antwortete Tom, während er sich seines Hausrockes entledigte und seinen Oberrock anzog. »Nun, ich gehe hinunter, und dann werden wir ja sehen. Wenn es ein Bücheragent ist, thut er mir leid, denn ich bin furchtbar, wenn ich gereizt werde. Vielleicht ist es auch der Vertreter einer großen Verlagsbuchhandlung, der mir zehntausend Dollars für meinen nächsten Roman bieten will; oder vielleicht –«

»Vielleicht wird er des Wartens überdrüssig und geht fort, wenn du dich nicht eilst, und dann erfahren wir nie, was er gewollt hat. Und ich bin so furchtbar neugierig. – Da! Nein, weiter keinen, mach daß du fortkommst.«

Als Tom das Sprechzimmer betrat, erhob sich ein großer, noch ziemlich junger Herr, der sein Haar in der Mitte gescheitelt hatte und einen Kneifer trug.

»Mr. Gardiner?« fragte er, dem Eintretenden die Hand bietend.

»Zu dienen, Mr. Ladd?« entgegnete Tom, die Hand ergreifend. »Bitte, behalten Sie Platz.« – »Er sieht aus, wie ein nachgemachter Engländer und ein Einfaltspinsel,« bemerkte er bei sich. »Vielleicht ist er einer von meinen aufrichtigen Bewunderern!«

»Ich muß damit anfangen, mich Ihnen bekannt zu machen, Mr. Gardiner. Ich bin der Redakteur von Browns Monatsheften,« begann Ladd das Gespräch.

»O!« antwortete Tom sehr geistreich. Sein Herz zog sich plötzlich zusammen und setzte sich dann in einen rasenden Galopp.

»Ich möchte eine kleine Angelegenheit mit Ihnen besprechen und habe mir daher die Freiheit genommen, Sie aufzusuchen. Ich bin noch nie an Beekman Place gewesen. Reizende Gegend. Einstweilen habe ich Ihre Aussicht nach der Terrasse in der 50. Straße bewundert; etwas Aehnliches ist mir in New York noch nicht vorgekommen.«

»O, ja, ganz hübsch,« stimmte Tom zu.

»Eine so reizende Umgebung ist für Sie gewiß eine sehr wirksame Hilfe beim Schreiben, so anregend. Uebersehen Sie von Ihrem Arbeitszimmer ebenfalls den Fluß?«

»Ja, von meinem Schreibtisch aus kann ich bis zur Marinewerft in Brooklyn sehen.« – »Ob der wohl hierher gekommen ist, um sich mit mir über die Aussicht zu unterhalten?« fragte sich Tom innerlich. »Vielleicht wünscht er einen Artikel über die Wasserseite von New York.«

»Wir haben vor etwa acht Tagen eine kurze Erzählung von Ihnen erhalten,« fuhr Ladd fort, »›Der bessere Teil der Tapferkeit‹.«

»Ganz recht,« sagte Tom, und seine Wangen begannen zu brennen.

»Unter anderm habe ich Ihnen eine Anweisung dafür mitgebracht. Wir waren der Ansicht, daß zwanzig Dollars pro Tausend ein ganz angemessenes Honorar wäre. Erscheint Ihnen das annehmbar? Die Erzählung ist etwa fünftausend Wörter lang, und wir haben demnach unsre Anweisung auf hundert Dollars ausgestellt.«

»O, danke bestens,« entgegnete Tom, »gewiß, ganz annehmbar.« Er versuchte, gleichgültig zu erscheinen, als ob er an derartige Vorkommnisse vollständig gewöhnt sei, aber seine Stimme war doch etwas unsicher.

»Das ist indessen nicht die Veranlassung meines Besuchs, müssen Sie wissen. Ich wollte Sie sprechen, und da dachte ich, ich könnte die Anweisung auch gleich mitnehmen. Nebenbei, hier ist eine Quittung; wollen Sie so gut sein, zu unterzeichnen?«

Tom setzte seine Unterschrift unter die Quittung, aber sein Namenszug fiel nicht so fest aus, als wünschenswert gewesen wäre.

»Danke,« sagte Ladd, die Quittung zusammenfaltend und in seine Brieftasche legend. »Und nun zum Gegenstand meines Besuches. Ich habe Ihren Roman, ›Träume in einem Traum‹ gelesen und bin entzückt davon, ganz entzückt. Ich entsinne mich nicht, jemals etwas Frischeres, Flotteres, Befriedigenderes in der Art gelesen zu haben.«

»Sehr liebenswürdig,« entgegnete Tom.

»Ja, es war mir ein riesiger Genuß. Ich habe eine kleine Besprechung darüber für unsre Monatshefte geschrieben, die in der nächsten Nummer erscheinen wird.«

»O – danke bestens,« stammelte Tom. »Worauf in aller Welt will der Kerl hinaus?«

»Er verkauft sich wohl recht gut, wie?« fragte Ladd. »Ich sehe ihn in allen Buchhandlungen und auf der Hochbahn.«

»O, ja. Er hat sich soweit ziemlich gut verkauft,« gab Tom zu. »Meine Verleger sind mit dem Absatz sehr zufrieden.«

»Er hat in schriftstellerischen Kreisen entschieden Aufsehen erregt, und es ist nicht gerade häufig der Fall, daß eines jungen Schriftstellers erster Versuch so eingehend und so günstig besprochen wird. Sie haben wohl einen neuen Roman auf Lager?«

»Nein, noch nicht. Ich habe mich mit kurzen Erzählungen beschäftigt.«

»O, in der That? Das thut mir eigentlich leid. Wenn Sie mir meine Offenheit nicht übel nehmen wollen, möchte ich sagen, Sie sollten beim Roman bleiben, das heißt, wenn ich nach der kurzen Erzählung urteilen darf, die Sie uns geschickt haben. Sie ist sehr gut, wissen Sie, außerordentlich ansprechend, aber doch mit ›Träume in einem Traum‹ nicht zu vergleichen. Ihre Eigenart, sollte ich denken, bedarf einer großen Leinwand; ich meine, Sie müßten sich beengt, einen gewissen Mangel an Freiheit, an Bewegungsraum fühlen, wenn Sie eine kurze Erzählung schreiben. Die Form ist so eng begrenzt, so unbiegsam, – gerade wie das Sonett unter den Dichtungsformen.«

»Ja, die Form ist sehr begrenzt,« stimmte Tom etwas zerstreut bei.

»Und dann ist ihr Feld doch recht beschränkt. Man kann eigentlich nur eine Episode eingehend behandeln, es sei denn, daß eine Meisterhand sich daran versucht. Aber ich kenne keine kurzen Erzählungen im Englischen, die wirklich gut sind, als die von Hawthorne. George Elliots Scenen aus dem Leben der Geistlichen sind mehr Novelletten. Und da ich von Novelletten, kurzen Novellen spreche, so komme ich auf das, was mich hierher führt. Wir möchten in unsre Weihnachtsnummer für dies Jahr etwas ganz Neues, eine vollständige Novelle von einem amerikanischen Schriftsteller bringen. Natürlich etwas Kurzes, nicht über fünfzigtausend Wörter. Und ich bin gekommen, um Sie zu fragen, ob Sie uns etwas Derartiges liefern können.«

»O, natürlich, mit dem größten Vergnügen,« antwortete Tom mit etwas unvorsichtigem Eifer. Er ward sich dessen auch sofort bewußt und fügte, um seinen Fehler wieder gut zu machen, hinzu: »Wenn es mir möglich ist.«

»Haben Sie einen Gedanken, ein Motiv für eine derartige Novelle – wovon Sie mir eine Vorstellung geben könnten?« fragte Ladd.

»O, ja. Ich habe in meinem Kopf eine Novelle vollständig entworfen. Sie soll den Titel führen: ›Seltsame Abenteuer eines Ich‹. Wie gefällt Ihnen das?«

»Ich weiß nicht, ein bißchen bizarr. Ich sage indes nicht, daß er mir mißfällt; es kommt darauf an, ob er zu der Geschichte paßt.«

»Ich glaube, er paßt sehr gut. Ich könnte Ihnen die Geschichte ja erzählen – in den Umrissen – jetzt – wenn Sie Zeit haben und Ihnen etwas daran liegt, sie zu hören.«

»Das ist es gerade, weshalb ich gekommen bin.«

Tom begann die Umrisse seiner noch ungeborenen Novelle zu entwerfen. Das nahm vielleicht eine Viertelstunde in Anspruch. »Ausgezeichnet!« rief Ladd am Schluß. »Sogar besser als ›Träume in einem Traum‹. Ja, das gefällt mir sehr gut, und der Titel paßt wie der Punkt aufs I. Wenn Sie das in fünfzigtausend Wörtern schreiben können, dann ist's genau das, was wir brauchen.«

»O, ja. Es würde gerade einen Umfang von etwa fünfzigtausend Wörtern bekommen.«

»Und können Sie's bis Mitte September – den 15. – liefern? Um diese Zeit muß unsre Weihnachtsnummer in die Presse.«

»Lassen Sie sehen. Heute ist der 9. Februar; das wären also eins, zwei, drei – das wären ja sieben Monate. O, ja, bis dahin kann ich's fertig haben, sogar noch früher.«

»Schön. Je früher, desto besser. Ich habe den 15. September als den spätesten Termin genannt. Bis dahin müssen wir das Manuskript haben, oder wir können's überhaupt nicht brauchen. Also abgemacht, Sie schreiben das für uns.«

»Hm,« entgegnete Tom zögernd, »ich muß natürlich wissen, was Sie dafür zahlen würden. Ich würde mich sehr freuen, es zu schreiben, wenn Sie – wenn ich's übernehmen kann.«

»O, ich glaubte, ich hätte schon zwanzig Dollars für tausend Wörter vorgeschlagen, das würde also tausend Dollars machen, zahlbar bei Ablieferung des Manuskripts. Sie können sich ferner das Recht vorbehalten, die Novelle nach einer gewissen Zeit in Buchform herauszugeben, – sagen wir nach sechs Monaten. Würde Ihnen diese Abmachung genehm sein?«

Tom erklärte sich damit einverstanden.

»Sehr schön,« schloß Ladd, sich erhebend. »Ich werde die Verträge alsbald ausfertigen und Ihnen zugehen lassen. – Es hat mich sehr gefreut, Sie persönlich kennen zu lernen, und ich hoffe, recht viel von Ihnen zu sehen. Wollen Sie mich nicht gelegentlich mal auf meinem Bureau besuchen? Wir haben einen gemeinschaftlichen Freund, müssen Sie wissen, Mr. St. Marc. – Nun leben Sie wohl!« –

»Nun ist der Winter unsrer Unzufriedenheit durch den Redakteur von Browns Monatsheften in strahlenden Sommer verwandelt worden,« rief Tom, als er in das Zimmer sprang, wo Rose seiner harrte, »sieh mal hier, Frauchen,« Browns Anweisung wie eine Fahne über dem Kopfe schwenkend, »und dann höre mal zu!« Darauf berichtete er ihr seine Unterredung mit Mr. Ladd Wort für Wort. »Und nun,« fuhr er übermütig fort, » permettez moi de vous expliquer un peu la situation, ma mignonne. Wir haben Geld genug in Händen für fünf Monate zum mindesten. Eh bien, – ich weiß gar nicht, warum ich immer ins Französische gerate, wahrscheinlich, weil ich so lustig bin – eh bien, fünf Monate – so lange brauche ich keinenfalls, um diese Novelle zu schreiben. Fünfzigtausend Wörter, figurez vous, zehntausend Wörter im Monat. Das brächte ich mit gebundenen Händen fertig! Dann liefere ich das Manuskript ab. Tiens! Dagegen erhalte ich eine kleine Anweisung auf tausend Dollars. Eintausend Dollars für fünf Monate, zweihundert Dollars pro Monat, gerade noch einmal so viel, als ich im Protonotariat erhielt. Ladd sagte – er sieht wie ein Einfaltspinsel aus, ist's aber keineswegs, sondern ein ganz ausnehmend gescheiter, aufgeweckter, junger Mann – er sagte, kurze Erzählungen wären nicht meine starke Seite. Ich denke, ich bleibe bei den Romanen. He, carina mia? Und ich wette, wenn dies ihnen gefällt, bestellen sie etwas Neues, einen langen Roman, der durch einen ganzen Jahrgang läuft. Hör' mal, du – was wollen wir anfangen? Wir wollen tanzen, wir wollen einen, – wie sagt man doch? – einen Triumphgesang anstimmen; wir zwei allein! Kein Pearse und keine Lina, danke schön. Komm, wir wollen hinunter in die Stadt gehen und das Ereignis bei Moretti feiern. Al nostro Moretti ritorneremo!« Dies sang er nach der Melodie: » Ai nostri morti«. »Komm, setz' deinen Hut auf. Wir wollen uns ein üppiges Mahl à deux genehmigen.«

Am nächsten Tag begann er seine »Seltsamen Abenteuer eines Ich« und fing damit allen Ernstes an, sich der Aufgabe zu widmen, mit seiner Feder sein täglich Brot zu verdienen, mit leichtem Herzen, stolzen Hoffnungen, ohne daß ein Schatten von Besorgnis sein Gemüt beunruhigte.


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