Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

»Träume in einem Traum.«


Die entzückende Beschäftigung, die nach Annahme von Toms Roman begann, kann ich nur leicht streifen. Seine Besprechungen mit St. Marc, seine Verhandlungen mit dem älteren Margate von der Firma Margate & Lee, der Empfang der ersten Korrekturbogen, die Frage des Einbands, die Prüfung der in Wasserfarben schön ausgeführten Zeichnung dafür, jede einzelne mit der Herausgabe des Buches in Verbindung stehende Arbeit, alles das waren ganz neue, auserlesene Genüsse für ihn. Dann begannen vorläufige Mitteilungen in den Blättern zu erscheinen. »Margate & Lee zeigen das demnächstige Erscheinen eines neuen Romans: ›Träume in einem Traum‹ an, der, wie man erwartet, einen ganz ungewöhnlichen Eindruck machen wird. Der Verfasser, Grandison Mather, ist ein junger New-Yorker, und der Roman schildert eine Phase des New-Yorker Lebens, worin die bekannten alltäglichen Züge der Stadt in romantischer und fesselnder Weise geschildert werden. Das Manuskript hat Mr. Everett St. Marc vorgelegen und ist von diesem hervorragenden Kritiker den Verlegern mit dem Ausdruck der höchsten Anerkennung, sowohl in Beziehung auf den Stil, als auf die Originalität der Verwicklung übergeben worden.«

So lauteten die vorläufigen Mitteilungen, die Margate & Lee in ihrem Bureau verfaßt und der Presse übersandt hatten, und in kurzer Zeit waren sie mit kleinen Aenderungen in sämtlichen hervorragenden Blättern erschienen. Gewohnheit stumpfte Toms Freude daran nicht ab, und die Verschwendung, mit der er sein Geld für die Nummern der Zeitungen ausgab, die diese Mitteilungen enthielten, war angesichts seiner sonstigen sparsamen Gewohnheiten ganz erstaunlich. Natürlich schnitt er jede dieser Mitteilungen, die ihm zu Gesicht kam, aus und klebte sie in ein dazu bestimmtes Buch. Ja, alle diese kleinen Einzelheiten der Angelegenheit waren reizend, aber sie waren nur der melodische Kontrapunkt zu einem cantus firmus tiefen und fröhlichen Glücks, denn wenn er sich in erster Linie sagte: »Du bist kein unbedeutender Schreiber mehr, du bist aufgenommen in die Reihen der berufsmäßigen Schriftsteller, denn ein von dir geschriebener Roman wird gedruckt und in üblicher Weise bezahlt,« – wenn er sich das sagte, dann hob sich, wie sich der freundliche Leser denken kann, sein Stolz: es war Balsam für seine lange mißhandelte Selbstachtung und entschädigte ihn für hundert Demütigungen. In zweiter Linie aber – und das war die Hauptsache – war das Problem seiner zukünftigen Beschäftigung und seines Broterwerbs gelöst, und all' die düstre Sorge und Angst, die er in dieser Hinsicht ausgestanden hatte, waren von ihm genommen worden. Das war vielleicht ein voreiliges Sicherheitsgefühl, aber mit vielen andern unerfahrenen jungen Leuten teilte er die Ansicht, daß in der schriftstellerischen Laufbahn der erste Schritt der schwierigste sei. Flott zu werden, das ist das Entscheidende – wer von uns bezweifelt seine Fähigkeit zu schwimmen, wenn das erst erreicht ist? Wenn ich nur einen Verleger für mein erstes Buch finde, dann macht mir die Zukunft keine Sorgen mehr. Alles, was ich dann noch zu thun habe, ist, zu schreiben und zu verwerten, was ich geschrieben habe. Das ist die Art, wie die meisten jungen »literarischen Streber« ihre Schlüsse ziehen.

Natürlich erwartete Tom das erste gedruckte und gebundene Exemplar seines Buches mit großer Ungeduld. Korrekturen waren ja recht schön, Zeichnungen für den Einband sehr unterhaltend, aber seine Seele konnte keine Befriedigung finden, ehe er das erste gebundene Exemplar vor Augen sah, mit den Fingern berührte. Margate hatte ihm versprochen, ihm eins nach dem Protonotariat zu schicken, sobald er selbst die ersten empfangen haben würde. Jetzt hatte Tom es seit einer Woche täglich, stündlich erwartet, und nun war Freitag, der 5. September und morgen, Sonnabend, der 6., der für die Herausgabe festgesetzte Tag. Er war im Begriffe, das Bureau zu verlassen, um nach Hause zu gehen. Jedesmal, wenn sich an jenem Tage die Thür geöffnet hatte, war er mit stockendem Atem emporgefahren, in der Hoffnung, Margates Laufburschen eintreten zu sehen, aber jedesmal war er getäuscht worden. »Ich begreife das gar nicht,« sprach er bei sich, »sie müssen doch jetzt Exemplare im Hause haben, wenn sie es morgen hinausbringen wollen. Ich werde auf meinem Heimweg vorsprechen und mir eins holen.« Das that er freilich nicht gern, denn unnötige Besuche bei Margate & Lee liebte er nicht. Er hatte eine unklare Abneigung dagegen, zu viel Ungeduld in Angelegenheiten seines Buches zu verraten, ein unbestimmtes, instinktives Bestreben, sie zu verbergen, sich ziemlich gleichgültig zu stellen. Und außerdem wollte er nicht aufdringlich erscheinen, sich nicht den Ruf eines lästigen Menschen und Plagegeistes erwerben. »Ich will auf dem Wege nach Hause vorsprechen,« wiederholte er trotzdem und setzte seinen Hut auf. In diesem Augenblick öffnete sich die Thür zum letztenmal und … Ja, wahrhaftig! Diesmal war es Margates Laufbursche und niemand anders.

Tom nahm dem Burschen das Päckchen aus der Hand, riß die äußere Umhüllung von braunem Papier ab und hielt endlich sein Erstgebornes in der Hand!

Es war ein sehr hübsches Buch, Sedez, mit schöner Schrift auf schneeweißes Hanfpapier gedruckt, in glänzende burgunderrote Leinwand gebunden, Titel und Verzierungen in Gold aufgepreßt; ein Buch, genau so, wie es ihm in seinen Träumen vorgeschwebt hatte – nur war die Wirklichkeit zehnmal schöner als der Traum. Selbst den Geruch fand der Verfasser köstlich, den frischen, unverfälschten Duft des Papiers und der Druckerschwärze. Heute ging er nicht zu Fuß nach Hause, und während seiner Heimfahrt auf der Straßenbahn fehlte es ihm nicht an Lektüre. Der schönste Augenblick aber kam, als er sein Heim erreichte und Rose das Buch zeigte. Ich fürchte, die beiden betrugen sich wie zwei sehr lächerliche Kinder, die ein funkelnagelneues Spielzeug erhalten haben. Daß es an Küssen, Umarmungen, vielem Lachen und ein paar kleinen Thränen, zahllosen blendenden Hoffnungen nicht fehlte, versteht sich von selbst.

Am nächsten Morgen unterrichteten auffallende Anzeigen das erwartungsvolle Publikum, daß »Träume in einem Traum« in allen Buchhandlungen, oder von den Verlegern durch die Post, frei gegen Einsendung des Betrages zu beziehen sei.

»Damit ist die Geschichte zunächst zu Ende,« sagte Tom. »Nun müssen wir warten und sehen, wie es ausgenommen und in den Kritiken besprochen wird. Inzwischen muß ich weiter arbeiten. Ich werde eine kurze Geschichte schreiben, dafür habe ich einen hübschen Gedanken, und jetzt, wo ich nicht mehr gänzlich unbekannt, – jetzt, wo ich der Verfasser eines gedruckten Romans bin, habe ich wohl besser Aussichten, daß sie von einer Wochenschrift angenommen werden wird.«

Am nächsten Montag nahm er seine frühen Arbeitsstunden wieder auf.

Von den kritischen Besprechungen erwartete er nicht viel. »Das Höchste, was ich hoffe, ist, daß sie es für eine ansprechende Erzählung erklären. Das ist alles, was es zu sein beansprucht, und ich meine, das können sie auch ganz ehrlich davon sagen. Natürlich kann man nicht wissen, wieviele Oglethorpes es unter den Kritikern gibt. Margate hat mir gesagt, er wolle mir alle Besprechungen, die er erhalte, zuschicken.« Er dachte nicht im entferntesten daran, daß ihm irgendwo mehr als etwa ein Dutzend Zeilen gewidmet werden würden.

Es war ein Glück, daß der Himmel Thomas Gardiner mit einer guten Dosis unbefangenen Urteils ausgestattet hatte, sonst wäre ihm leicht der Kopf verdreht worden, als die Besprechungen von »Träume in einem Traum« zu erscheinen anfingen; er hätte leicht zu dem Glauben verführt werden können, er habe, ohne es zu wissen, ein Meisterwerk geschaffen, er sei schon das Land auf und ab berühmt; denn anstatt der gelegentlichen dutzendzeiligen Bemerkungen über das Buch, die er erwartet hatte, erschienen Abhandlungen, die an Länge zwischen einer halben und anderthalb Spalten schwankten, in denen es als ein Werk von seltener Gediegenheit und Originalität, feinem künstlerischem Aufbau, schätzbar nicht nur wegen seines Wertes an sich, sondern auch wegen der schönen Hoffnungen auf künftige Erzeugnisse derselben Feder, zu denen es berechtigte, gepriesen wurde. Und derartige Dinge waren in der Mehrzahl der gediegensten und am schwersten zu befriedigenden Zeitungen zu lesen. Allerdings fand es hin und wieder auch nur die oberflächliche Erwähnung, die er erwartet hatte. Hie und da wurde es auch von einem Kritiker, der Oglethorpe noch weit hinter sich ließ, unbarmherzig über langsamem Feuer geröstet, aber in der überwiegenden Mehrzahl der tonangebenden Zeitungen, im Norden, Süden, Osten und Westen wurde es in der lobenden Weise willkommen geheißen, die wir oben angedeutet haben. Als dieser Lobgesang an sein Ohr schlug, war Tom anfangs sprachlos vor Erstaunen, verwirrt, betäubt. »Ist es wirklich möglich, daß ich soviel besser gebaut, als ich selbst geahnt habe?« fragte er sich. Aber sehr bald kam ihm sein nüchternes Urteil zu Hilfe. »Ach was!« rief er, »Unsinn! Ich weiß ganz genau, was das Ding wert ist. Ich kenne seine schwachen und seine erträglichen Seiten. Jetzt, wo es kalt, wo es gedruckt, gebunden und heraus ist, kann ich es so unparteiisch beurteilen, als ob ich es gar nicht geschrieben hätte. Es ist nicht mehr und nicht weniger, als was es werden sollte, wie ich mich an die Arbeit machte, – nur ist's natürlich nicht halb so gut, als ich gewünscht hätte. Es ist eine ganz interessante Geschichte, erträglich erzählt, das ist aber auch alles. Es ist weder das verflucht dumme Zeug, wozu es Oglethorpe und Konsorten machen möchten, noch ist es das epochemachende Werk eines Genies. ›Feiner künstlerischer Aufbau‹ Seine Plumpheit und Ungeschicklichkeit und sein verschwommener Stil sind das Schlimmste daran. Und dann, ›Kraft, Leidenschaft, Frische der Darstellung, Kolorit‹ – wahrhaftig, wenn es das chef d'ceuvre eines anerkannten Meisters wäre, sie könnten nicht mehr sagen. Das ist ja alles sehr freundlich, aber was in aller Welt soll der ganze Rummel bedeuten?«

»Er bedeutet, mein Lieber,« erwiderte Rose, »daß dein Werk sich genug über die Durchschnittserzeugnisse der Gegenwart erhebt, frisch, neu genug ist, um diese Herrn in ungewöhnlichem Grade zu interessieren und ihnen zu gefallen, und freilich auch, daß sie großmütig sind, dich ermutigen, und dir vorwärts helfen wollen. Deshalb schreiben sie so, wie der Augenblick, die erste Freude und Begeisterung nach dem Lesen sie treibt, übersehen die Fehler und übertreiben seinen Wert. Und dann haben sie natürlich Mr. St. Marcs Meinung darüber gelesen und stehen unter deren Einfluß. Es ist wirklich eine sehr gute Erzählung, Tom, aber natürlich nicht den zehnten Teil so wundervoll, wie sie sagen. Anfänglich habe ich dasselbe geglaubt, aber jetzt, wo ich das Buch gedruckt vor mir habe, sehe ich ein, daß es nichts weiter, als ein sehr guter Anfang ist.«

»Nun,« entgegnete Tom, »eins ist jedenfalls gewiß: Das Buch hat Erfolg, größern Erfolg als die meisten Bücher, besonders mehr als die meisten ersten Bücher unbekannter Anfänger. Es wird sich gut verkaufen und uns ein hübsches Sümmchen Geld einbringen, und bei dem Ruf, den es mir verschafft hat, werde ich keine Schwierigkeiten haben, zu verwerten, was ich künftig noch schreiben werde. Die kurze Erzählung, woran ich jetzt arbeite, wird wohl nach diesen Vorgängen keine Zeitschrift abweisen. Wir können dem 1. Januar ohne Furcht und Zittern entgegensetzen.«

Daß er am 1. Januar seine Schreiberstelle im Protonotariat verlieren werde, war nicht mehr zweifelhaft. Mr. Van Blick hatte seinen Untergebenen bereits durch sein Sprachrohr, Mr. Clancey, mitteilen lassen, daß er eine Wiederwahl ablehnen werde. –

Ich will durchaus nicht behaupten, daß Toms Eitelkeit sich durch diese Lobeserhebungen nicht geschmeichelt gefühlt hätte, das wäre mehr gewesen, als man von einem Menschen erwarten kann. Aber seine eigene Ansicht über den Wert seiner Leistung wurde nicht dadurch geändert, und seine größte Befriedigung fand er in dem Gedanken, daß er, da sein erster Versuch nicht fehlgeschlagen war, das richtige Zeug in sich habe und er sich der Hoffnung hingeben dürfe, später etwas wirklich Hervorragendes zu schreiben, ebenso wie in der mehr materiellen Erwägung, daß ihm eine hübsche Summe an Honorar in Aussicht stehe und daß in Zukunft seine Arbeiten bereitwillige Abnehmer finden würden.

»Der alte garstige Oglethorpe!« rief Rose. »Ich möchte wohl wissen, wie ihm jetzt zu Mute ist und was er nun denkt. Haben wir nicht einen glänzenden Triumph über ihn errungen?«

»Das weiß ich doch nicht. Wenn er auch nur eine Spur von einem Manne an sich hat, dann hat er auch Vertrauen in sein Urteil und betrachtet den Erfolg des Buches nur als einen weitern Beweis dafür, daß die andern Sterblichen Narren sind und ihr Geschmack entartet ist. Es gibt ja eine Masse wertlosen Plunders, der Erfolg hat. Dazu rechnet er meinen Roman auch, ein neuer Beleg für die Urteilslosigkeit der Menge und wie bereit sie ist, Tombak für Gold zu nehmen.«

»Aber – aber – wenn er sieht, daß Kritiker, die ebenso gebildet und schwer zu befriedigen und hundertmal hervorragender sind, als er – z. B. Mr. St. Marc – die Evening Despatch – alle – wenn er sieht, wie begeistert sie dein Buch loben, dann kann er doch gar nicht umhin, zuzugeben, daß er sich geirrt hat. Du meinst doch nicht, daß er eingebildet genug sei, zu glauben, er habe recht, wenn alle andern sagen, er habe unrecht?«

»Es ist gar keine Frage der Eitelkeit, Rose. Jedermann hat das Recht einer eignen Meinung, und der wäre wirklich. ein Schwächling, der sie aufgäbe, einfach, weil die Mehrheit nicht mit ihm übereinstimmt. Die Mehrheit ist gewöhnlich im Unrecht, wie du weißt. Nein, du kannst dich drauf verlassen, Oglethorpe hält an seiner ursprünglichen Meinung fest und hat noch keine Gewissensbisse gefühlt.«

»Na, jedenfalls glaube ich, wenn Carver & Comp. wüßten, daß dies Buch ihm angeboten worden ist, und er es abgewiesen und geduldet hat, daß es einem Konkurrenten überlassen wurde, dann würden sie ihm schön ihre Meinung sagen. Ich glaube nicht, daß sie seit Jahren ein Buch verlegt haben, das einen solchen Erfolg wie das unsrige gehabt hat. Sehr oft habe ich auf derselben Seite, wo dein Buch besprochen worden war, Kritiken von Romanen aus ihrem Verlag gesehen, und wenn das deinige eine halbe Spalte erhalten hatte oder eine ganze und manchmal noch mehr, dann waren sie mit ein paar Zeilen abgespeist, und wo du über die Puppen gelobt wurdest, sind ihre Bücher heruntergerissen oder höchstens als nicht gerade schlecht bezeichnet worden. Hat er diese Besprechungen nebeneinander gesehen, dann wird er sich schön geärgert haben, und wenn Carver & Comp. alles wissen – o, ich wollte, sie wüßten's!«

»Wahrscheinlich wissen sie's nicht, und selbst wenn sie's wüßten, kann uns das gleichgültig sein. Ich habe nicht deine schlechte und rachsüchtige Gemütsart – du böse kleine Italienerin, du! Oder vielleicht spricht nur das Weib in dir.«

»Die menschliche Natur spricht in mir, mein Herr. Und ich glaube, du fühlst ganz genau ebenso, du bist aber zu stolz, es zu zeigen, und spielst lieber den Großmütigen. Aber tief da unten in deiner Seele empfindest du gerade denselben entzückenden Jubel wie ich. ›Ein erschrecklicher Mangel an Geschmack, an schriftstellerischem Instinkt!‹ Na, ich muß wirklich sagen!«

Außer den kritischen Besprechungen über »Träume in einem Traum«, die in dem der Litteratur gewidmeten Teil der Zeitungen veröffentlicht wurden, erschienen auch unter den Tagesneuigkeiten zahllose kleine Bemerkungen, die sich mit der Frage beschäftigten, wer sich hinter Grandison Mather wohl verbergen möge. Daß das ein Pseudonym sei, wurde allseitig angenommen, und nun tauchten die abenteuerlichsten Vermutungen auf, wer wohl dahinter stecke. Natürlich belustigte das unsre beiden Freunde im höchsten Grade. Grandison Mather sollte bald »ein wohlbekanntes New Yorker Klubmitglied«, »ein ausgezeichneter, bekannter Dichter und Schriftsteller«, »eine junge Dame, die kaum den kurzen Kleidern entwachsen sei«, »die Tochter eines hervorragenden Bankpräsidenten«, »ein demokratisches Kongreßmitglied«, »eine wohlbekannte Dame der ersten Gesellschaftskreise«, »ein Reporter, ein Universitätsprofessor, ein Börsenmakler, ein Schauspieler, ein Geistlicher der bischöflichen Kirche, ein katholischer Priester« sein – mit einem Wort alles, was soweit als möglich am Ziele vorbeischoß. Neben diesem Zeitungsklatsch erhielt Tom durch Vermittelung seiner Verleger Dutzende von Briefen von Frauen und Männern aller Stände, aus allen Ecken und Enden der Vereinigten Staaten, die auf alles Erdenkliche hinausliefen: Bitten um Autographen, Gesuche, den Erzeugnissen junger Schriftsteller und Schriftstellerinnen und solcher, die es werden wollten, den Weg in die Oeffentlichkeit bahnen zu helfen, Bitten um Geldunterstützung von seiten bedürftiger, aber würdiger Witwen, lange, manchmal wertvolle Kritiken oder auch überschwengliche Lobeserhebungen seines Werkes von Leuten, von denen er nie im Leben etwas gehört hatte, die aber Ton und Haltung unfehlbarer Sachkenner annahmen, und endlich Fragen, Fragen, Fragen, – wie der und der Gedanke ihm gekommen, was er sich bei dem und dem Satz gedacht habe, ob der und der Charakter nach dem Leben gezeichnet oder lediglich ein Erzeugnis seiner Einbildungskraft sei, und so weiter, und so weiter. Auch das bereitete Tom und Rose viel Unterhaltung, obgleich die Sache ein andres Gesicht erhielt, als es sich darum handelte, die Briefe zu beantworten; denn Tom ließ in seiner Gutmütigkeit keinen unerwidert, keinen, mit Ausnahme der reinen Bettelbriefe. Inzwischen wurden die Zeitungsberichterstatter »heiß«, wie man im Ratespiel sagt. Sie stimmten endlich alle dahin überein, »Grandison Mather sei ein junger Mann, Sohn eines verstorbenen hervorragenden Rechtsanwalts, zur Zeit im Bureau einer der Behörden der Stadt beschäftigt«. Tom konnte sich nicht erklären, wie so viel von der Wahrheit herausgesickert war, aber seine Betroffenheit kannte keine Grenzen, als er eines Tags folgende Auslassung im redaktionellen Teil des »Crescent« las: »Wir wetten Dollars gegen Pfannkuchen mit jedem unsrer geschätzten Zeitgenossen, daß Mr. Grandison Mather, der Verfasser von ›Träume in einem Traum‹, niemand anders ist, als Mr. Thomas Gardiner, Schreiber in der Buchhalterei des Protonotariats. Wenn ihr's nicht glauben wollt, dann streicht einmal alle beiden Namen gemeinsame Buchstaben an und seht, was übrig bleibt.« Er hatte keine Ahnung, wie der Mord an den Tag gekommen sei, und er weiß es bis zur Stunde noch nicht. Ganz gewiß waren weder er, noch Rose, noch Pearse, noch St. Marc zum Verräter geworden. Vielleicht jemand aus dem Geschäft von Margate & Lee? Tom schrieb Mr. Margate ein Briefchen und fragte ihn. »Nein,« erwiderte dieser Herr, »ich kann für die Verschwiegenheit aller meiner Angestellten einstehen.« Jedenfalls war die Sache am Tage und ließ sich nicht mehr in Abrede stellen, und da der Erfolg des Buches nicht mehr zweifelhaft war, machte sich Tom nicht viel daraus. Auf das große Publikum schien die Enthüllung auch wenig Eindruck zu machen, wenigstens waren die Briefe, die Tom durch Vermittelung seiner Verleger empfing, nach wie vor an Grandison Mather gerichtet. Aber in seinem nächsten Bekanntenkreise verbreitete sich die Nachricht mit unglaublicher Schnelligkeit. Lina Grickel gestand Rose, es sei ihr von Anfang an kein Geheimnis gewesen. Pearse hatte ihr das Buch geliehen und dabei gesagt: »Es ist von einem Freund von uns geschrieben, aber Sie dürfen sich nicht bemühen, ihn zu erraten, und wenn Sie es doch herausbringen, lassen Sie keinen Hauch über Ihre Lippen kommen.« »Gott meiner Väter!« rief Mrs. Grickel, »keine Idee haben mer gehabt, daß mer 'n berühmten Mann haben unter unsern Hausgenossen!« und Mr. Grickel sagte: »Da Sie sich der Schriftstellerlaufbahn gewidmet haben, Mr. Gardiner, nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch an und mögen Sie in den Worten des Psalmisten von sich sagen können: Mein Herz dichtet ein feines Lied, ich will singen von einem Könige, und meine Zunge ist ein Griffel eines guten Schreibers!«'

Eines Morgens begrüßte ihn Mr. Temple im Protonotariat mit folgender Rede: »Mein junger Freund! Ich habe den Nachmittag und Abend des gestrigen Tages dem Lesen einer der neuern Erscheinungen der Litteratur dieser glorreichen und großen Republik gewidmet, betitelt: ›Träume in einem Traum von Grandison Mather‹. Der Wahrheit gemäß kann ich versichern, daß Erbauung und Genuß die Früchte dieser Beschäftigung waren, und da ich glaubhaft in Kenntnis gesetzt worden bin, daß Sie der Verfasser sind, so gestatte ich mir hiermit, Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu dem Erfolge auszusprechen, den Sie so reichlich verdient und so rasch geerntet haben. Die Glut Ihrer Phantasie, der Umfang Ihres Wortschatzes, die Eleganz Ihres Stiles werden nur durch die Bescheidenheit übertroffen, welche Sie veranlaßt, Ihr Erröten hinter einem nom-de-guerre zu verbergen. Ich darf wohl noch hinzufügen, daß ich es als eine Ehre und einen Vorzug ansehe, mich als einen Ihrer amis intimes betrachten zu dürfen. Ha, ha, ha, ha!«

Und schließlich hielt Tom jetzt seine Abrechnung mit jenen Schulfreunden, gegenwärtig aufstrebenden jungen Advokaten, die es für angemessen gehalten hatten, ihm gegenüber eine herablassende Gönnermiene anzunehmen. Einer nach dem andern kam in das Bureau und ging mit ausgestreckter Hand und vor Freundlichkeit ordentlich strahlendem Gesicht, die Fleisch gewordene Liebenswürdigkeit, auf ihn zu und feuerte einen Salut ab, der etwa so lautete: »Ah, Gardiner, gratuliere auch zu Ihrem Buch. Kolossal, alter Kerl, wirklich famos, und was für betäubende Besprechungen. Ich wollte, wir kriegten mehr voneinander zu sehen, aber das Leben ist so unruhig, wissen Sie. Kommen Sie doch heute mit mir frühstücken, wie?« Dann blickte Tom zerstreut von seiner Zeitung oder einem Aktenstück, worin er anscheinend völlig vertieft war, empor, und die freundlich dargebotene Hand übersehend, näselte er nur halb verständlich: »O, danke, Mr. – Mr. – hm – Jenkins. Freut mich, wenn es Ihnen gefallen hat. – Verzeihung! – Mit Ihnen frühstücken? – O, danke. Ganz unmöglich! Immer eingeladen!« Dann vertiefte er sich wieder in seine Zeitung oder sein Aktenstück und überließ es. dem etwas begossenen Jenkins, sich so anmutig als möglich zu drücken. Das war nicht sehr edel; es war thöricht, kleinlich, unter seiner Würde, aber wenn man die Verhältnisse, vergangene und gegenwärtige, in Betracht zieht, sehr menschlich gehandelt.

Am 4. November traten die Bürger von New York an die Wahlurnen und wählten unter andern auch einen neuen Protonotar als Nachfolger Mr. Van Blicks. »Dank einer Spaltung in den Reihen der demokratischen Partei,« wie es die Zeitungen ausdrückten, »trug der republikanische Bewerber den Sieg davon, und dies ließ nicht den geringsten Zweifel mehr aufkommen, daß die gegenwärtigen Nutznießer der Gunst des Protonotars ihre Stellen verlieren würden.«

» Una scopa nuova spazza bene,« bemerkte Temple, »und wir müssen uns alle darauf vorbereiten, uns aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Ha, ha, ha, ha! Ah, mein junger Freund, hätte ich nur mir selbst mit dem halben Eifer gedient, womit ich dem Staat gedient habe, dann wäre ich à ce momong nicht der von der Armut heimgesuchte alte Mann, der ich bin. Wenn ich die Beträge, die ich mich in meiner Schwachheit überreden ließ, den ›Jungen‹ im Bureau zu borgen, gespart und für künftige Bedarfsfälle zurückgelegt hätte, Mr. Gardiner, dann würde ich mich jetzt des Besitzes einer Summe erfreuen, welche hinreichend wäre, mich länger als drei Jahre in, wenn auch bescheidenen, so doch behaglichen Verhältnissen zu erhalten. Denn, mein Herr, während der zwölf Jahre, die ich diese Stelle bekleide, bin ich von meinen stets geldbedürftigen confrères um den Betrag von etwas über dreitausendsechshundert Dollars, oder siebenhundertzwanzig Pfund Sterling erleichtert worden, da dreihundert Dollars mein jährlicher Durchschnittsverlust durch faule Schuldner war. Ich kann nicht behaupten, Mr. Gardiner, daß ich als reicher Mann in den Dienst des Staates getreten wäre, und ich ziehe mich als Bettler daraus zurück; und somit kann ich sagen, daß ich ebenso arm zurücktrete, als ich eintrat. Wein, Weiber, Würfel und die Unfähigkeit nein zu sagen, sind die Klippen, woran schon manch ein ehrlicher Kerl gescheitert ist. Die letzte allein, mein junger Freund, ist für den traurigen naufrage d'une vie, dessen Zeuge Sie sind, verantwortlich zu machen. Ha, ha, ha, ha!«

Allein Tom erwartete, wie wir wissen, den 1. Januar ohne Beklemmungen, und als er am 31. Dezember den nachfolgenden Brief erhielt, machte ihn das weiter nicht unglücklich:

 

»New York, 30. Dezember 1884.

Mr. Thomas Gardiner,
Hilfsschreiber des Unterbuchhalters.
Protonotariat, New York.

Mein Herr! Ich bin vom erwählten Protonotar Duncan angewiesen, Sie davon in Kenntnis zu setzen, daß Ihre Dienste unter seiner Verwaltung nicht erforderlich sein werden.

Achtungsvoll
D. B. May, Sekretär.«

 

Um vier Uhr setzte Tom wie gewöhnlich seinen Hut auf, zog seinen Ueberrock an, verließ zum letztenmal die Räume des Protonotariats und wanderte leichten Herzens nach Haus.

»Nun wollen wir mal einen Ueberschlag machen,« sagte er am Abend zu Rose. »Wir wollen sehen, wie wir stehen. Zunächst sind hier meine hundert Dollars Gehalt.« Damit übergab er ihr das Geld, wie er das jeden Monat gewissenhaft gethan hatte. »Was für Schulden müssen wir davon bezahlen?«

»Eine Woche Kostgeld, etwas für Wäsche und einige andre Kleinigkeiten, – im ganzen nicht mehr als – fünfundzwanzig Dollars.«

»Schön. Also der erste Posten unsres Haben ist fünfundsiebenzig Dollars. Schreib das, bitte, mal auf.«

Rose holte Bleistift und Papier und schrieb gehorsam: »Doll. 75,00.«

»Dann,« fuhr er fort, »kommt die kurze Erzählung, die ich an Jones' Rundschau geschickt habe. Weniger als hundert Dollars können sie mir dafür nicht bieten, doch ist natürlich alle Aussicht vorhanden, daß sie viel mehr zahlen werden – gewiß wenigstens hundertfünfzig. Wir wollen aber bei unsern Berechnungen immer einen Mindestbetrag zu Grunde legen. Also sagen wir hundert. – Hast du das?«

»Ja,« entgegnete sie, während sie die Zahl niederschrieb. »Aber – aber – es ist doch eigentlich sonderbar, daß sie gar nichts von sich hören lassen. Meinst du nicht? Es ist doch schon über einen Monat her, daß du das Manuskript abgeschickt hast, nicht wahr? Und du hast noch kein Wort von ihnen gehört?«

»O, das ist durchaus nicht auffallend; die großen Wochenschriften nehmen sich immer viel Zeit. Sie bekommen so viele Manuskripte, daß es immer ein Jahrhundert dauert, ehe eins an die Reihe kommt. Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Nach dem Erfolg, den mein Buch gehabt hat, werden sie's schon annehmen. Sicherlich. Und sie werden bei Annahme auch anständig bezahlen. Sie warten nicht, bis es gedruckt worden ist, wie du weißt, sie zahlen gleich. Hast du hundert dafür angesetzt? Nun schreibe weitere hundert für die Erzählung, woran ich jetzt arbeite. Diese Woche werde ich fertig, und ich werde sie an Robinsons Monatshefte schicken. Wir könnten natürlich, wie gesagt, hundertfünfzig für jede rechnen, aber wir wollen vorsichtig sein und nur hundert annehmen. Wieviel macht das soweit?«

»Zweihundertfünfundsiebzig Dollars, Tom.«

»Gut. Und schließlich kommt noch mein Roman. Am 1. Februar erhalte ich eine Abrechnung und eine Anweisung auf mein Honorar, das mir aus dem Verkauf bis zum 1. Januar zusteht. Das sind vier Monate. Natürlich weiß ich nicht genau, wieviel ich zu erwarten habe. Margate sagte neulich: ›Sehr hübsch verkauft's sich, sehr hübsch‹, aber er nannte keine Zahlen, und ich hatte keine Lust, ihn mit Fragen zu quälen. Indessen nach dem Aufsehen, das er macht, nach dem Gerede darüber und den vielen Briefen, die wir bekommen haben, mit einem Wort, nach der Thatsache zu schließen, daß er einen ungeheuren und ungewöhnlichen Erfolg hat, sollte ich denken, daß er unmöglich weniger als tausend Dollars abwerfen kann. Das entspräche einem Absatz von zehntausend Exemplaren, und es ist kaum anzunehmen, daß weniger verkauft worden sind, ja vielleicht viel mehr. Ich wäre über nichts überrascht – zwanzig-, dreißig-, fünfzigtausend. Wir wollen aber sicher gehen und nur zehntausend sagen. Schreibe also tausend Dollars. – Da stehen wir also mit einem Guthaben von zwölfhundertfünfundsiebzig Dollars und sind dazu noch Herren unsrer Zeit. Was sagst du nun?«

»Herrlich, Tom, wirklich ganz herrlich, und außerdem haben wir doch auch noch hundertundsiebenunddreißig Dollars, die ich von meinem Kirchengehalt gespart habe. Das macht –« sie hielt inne, um ein kleines Rechenexempel anzustellen – »das macht eintausendvierhundertundzwölf Dollars. – Denk nur mal!«

»O, dein Geld wird nicht mitgerechnet, Rose. Das gehört dir, damit machst du, was du willst. Aber stelle dir nur mal vor: zwölfhundertundfünfundsiebzig Dollars im voraus! Das heißt mindestens – wahrscheinlich mehr. O, wie mich das froh macht, ich möchte tanzen! Und jetzt, wo ich mich ordentlich dran halten und alle meine Zeit und Kraft aufs Schreiben verwenden kann und keine Bureauarbeit mehr habe, kann es doch gar nicht ausbleiben, daß ich mindestens ebensoviel im Monat verdiene, als mein Gehalt betrug, hundert Dollars. Wahrhaftig, wir haben mehr Glück, als wir verdienen. Denke nur mal, wir haben zwölfhundertfünfundsiebzig Dollars eingepökelt, worauf wir im Fall der Not zurückgreifen können! Natürlich müssen wir zunächst die laufenden Ausgaben davon bestreiten. Aber so viel als wir brauchen, werde ich auch verdienen, so daß unser Haufen thatsächlich nicht abnehmen wird. Ja, diese Woche werde ich mit dem Ding fertig, woran ich jetzt arbeite, und werde es an Robinsons Monatshefte schicken, dann fange ich sofort etwas Neues an, das gebe ich an Browns Novellenzeitung. Ich habe da einen Plan, den ich dir mal erzählen will.«

Hierauf begann er ihr den Plan zu seiner neuesten Erzählung auseinanderzusetzen. –

So kam der 1. Februar heran. Tom hatte immer noch nichts von dem Manuskript gehört, das er Jones' Rundschau angeboten hatte, und insgeheim fing er an, sich etwas beunruhigt darüber zu fühlen. »Es ist doch kaum möglich, daß es auf der Post verschleppt worden ist,« überlegte er. »Acht Tage will ich noch warten. Höre ich bis dahin nichts, will ich ein paar Zeilen schreiben und anfragen.« Sein zweites Manuskript hatte er an Robinsons Monatshefte, sein drittes erst gestern fertig gewordenes an Browns Novellenzeitung geschickt.

Am 2. Februar erhielt er, wie erwartet, eine Abrechnung und eine Anweisung von Margate & Lee. Es war ein höfliches Schreiben der Firma beigefügt, worin sie ihm und sich selbst zum Erfolg seines Buches Glück wünschten und die Hoffnung aussprachen, daß er einen neuen Roman für den Frühjahrsmarkt bereit habe. Die Abrechnung lautete folgendermaßen, und die Anweisung war natürlich über den sich daraus ergebenden Betrag ausgestellt.

Vom Buchbinder erhalten 4000 Exemplare
Recensionsexemplare versandt 300 "
  _____________
bleibt 3700 Exemplare
Am 1. Januar 1885 auf Lager 218 "
  _____________
Mithin verkauft 3482 Exemplare
     

Honorar 10% des Ladenpreises (à 1 Dollar) 348,20 Dollars.


 << zurück weiter >>