Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Die Aerzte sind uneinig.


Das Ungeheuer! Das Ungetüm!« rief Rose, die Mr. Oglethorpes Brief mit ausgestrecktem Arm, aufgeworfenen Lippen, flammenden Augen und am ganzen Körper vor Zorn und Entrüstung bebend, von sich abhielt. »Wie kann man etwas so Grausames in so flüchtiger, leichtfertiger, selbstgefälliger Weise aussprechen. Wenn er ein Mann wäre, wenn er wirklich glaubte, was er sagt, dann würde er sich niemals so ausdrücken – mit einer solchen süßlichen, lächelnden Insouciance! ›Ich war im höchsten Grade enttäuscht, weil ich mich der Hoffnung hingegeben hatte, ich würde einen neuen Stern am litterarischen Firmament entdecken und ihn der Welt zeigen können‹ O, ich – ich möchte ihn –! Aber nimm dir's nicht zu Herzen, Tom! Was er sagt, ist von Grund aus und vollständig ganz und gar falsch! Welches Recht hat er wohl, zu entscheiden, daß dein Roman einen ›erschrecklichen Mangel an schriftstellerischem Instinkt‹ beweist? Wer hat denn jemals etwas von ›Ihrem brüderlichen N. M. Oglethorpe‹ gehört? Wenn er so ein kritisches Wundertier ist, wenn sein Urteil über Bücher so zutreffend, sicher und maßgebend ist, weshalb hat man dann nie etwas von ihm gehört? Wer hat ihm denn Vollmacht erteilt, in dieser Weise Gesetze zu erlassen, mit einem flüchtigen Federzug die Frage über den Wert von Büchern zu entscheiden, die zu schreiben einem andern Monate gekostet hat? Nein, nein, nein!«

»Nun, mein Schatz, die Herren Carver & Comp. haben ihm ganz zweifellos die Vollmacht verliehen, zu entscheiden, ob sie ein Buch verlegen sollen oder nicht, und das genügt für den vorliegenden Fall vollständig.«

»O, aber wenn Carver & Comp. diese Geschichte erführen, dann – dann müßten sie ihn entlassen. Und wenn es von einer andern Firma gedruckt wird, und es hat einen großen Erfolg, und alle Welt liest es, dann wird er schon noch Ursache haben, zu bedauern, was er gethan hat; dann werden sie es ihm schon zu hören geben! O, ich hoffe, sie werden es erfahren! Ich hoffe, sie hören, daß ihm das Buch angeboten worden ist, er es aber zurückgewiesen hat. Aber – aber, ich kann gar nicht begreifen, weshalb er so boshaft gewesen ist; ich kann gar nicht verstehen, wie man einen jungen Mann bei seinem ersten Versuche so zerschmettern mag. Was konnte ihn nur dazu veranlassen? Er ist einfach ein – eifersüchtiger, neidischer, schlechter – psch!«

»Das ist's ja gerade, Rose. Er kann gar keinen solchen Beweggrund haben; im Gegenteil, im eigenen Interesse hätte er hundert Gründe, jedes Buch, das ihm einigermaßen brauchbar und zur Veröffentlichung geeignet erscheint, anzunehmen. Ein Mann in Oglethorpes Stellung weist keinen Roman zurück, wenn er glaubt, daß er die Bedingungen erfüllt, wovon der Erfolg abhängt. Lehnt er einen Roman ab, so thut er es, weil er ihn wirklich für schlecht hält. Und daß er das erforderliche Urteil besitzt, geht aus zwei Dingen hervor. Erstens, Mr. St. Marc sagt es, und zweitens gehören Carver & Comp. zu den erfolgreichsten Verlegern des Landes, und das könnte nicht der Fall sein, wenn ihr Lektor gute Bücher häufig zurückwiese. Nein, meine Liebe, es ist ganz unnütz, daß wir uns zu täuschen versuchen, und es hilft uns nichts, wenn wir unsern Zorn an Oglethorpe auslassen. Der langen Rede kurzer Sinn ist, ich habe gethan, was schon hundert andre Männer vor mir gethan haben, ich habe versucht, einen Roman zu schreiben, und es ist mir mißlungen.«

»Tom, hältst du mich für einen Dummkopf, für einen vollkommenen, absoluten, unverbesserlichen Dummkopf?« fragte sie erregt.

»Nein, Rose, ganz gewiß nicht,« erwiderte er mit einem schwachen Versuch, zu lächeln.

»Nun, entweder bin ich das, oder Mr. Oglethorpe hat unrecht. Ist dein Buch so schlecht, wie er sagt, dann muß ich ein Dummkopf sein, weil ich es für so gut halte, wie ich das thue. So gut, wie es mir in allen Einzelheiten gefallen hat, ist es wohl nicht; es mag Fehler und Unvollkommenheiten haben, die ich nicht sehe. Aber wenn ich es für so gut gehalten habe, während es in Wirklichkeit so erbärmlich schlecht ist, wie er sagt, dann gibt's nur eine Erklärung für meinen ungeheuren Irrtum: Ich bin ein vollkommener, unverbesserlicher Dummkopf.«

»O, nein, das nicht, die Erklärung liegt viel näher: Du bist des Verfassers liebende Gattin.«

»Nein, das würde nicht hinreichen, mein Urteil so vollständig zu verblenden und zu verdrehen, als es geschehen sein müßte, etwas spricht das freilich wohl mit, aber so sehr doch nicht. Es kann mich nicht dahin bringen, vollkommen wertloses Zeug für eine glänzende, ansprechende Erzählung zu halten. Und wenn dein Roman so wertloses Zeug ist, so ohne jeden Geschmack und alles, dann genügt der Umstand, daß ich des Verfassers Frau bin, nicht, um mein entgegengesetztes Urteil zu erklären. Ich muß vernagelt sein, das ist alles.«

»An dir ist ein Sophist erster Klasse verloren gegangen. Du hättest Advokat werden sollen.«

»Nun, da du von Advokaten sprichst; da ist Pearse; er ist wohl auch vernagelt?«

»Nein, er ist nur der Freund des Verfassers. Nein, nein, Rose, wir wollen nicht mehr davon sprechen oder daran denken. Es kann zu nichts führen, die Geschichte ist vorbei. Ich habe meinen Platz in der Welt gefunden, und das ist: eine Schreiberstelle im Protonotariat. Wenn ich dort an die Luft gesetzt werde, kommt – die Sintflut. O, mein Gott!«

Sie eilte zu ihm, kniete neben ihm nieder und nahm seine Hände in die ihrigen.

»O, Tom, Tom, sprich doch nicht so! Warte nur, Tom, warte nur, bis Mr. St. Marc es auch gelesen hat. Er hat doch gesagt, er wolle es lesen. Warte nur, lieber, lieber Mann, warte und sieh, was er darüber denkt. Du darfst noch nicht verzweifeln, Tom. Ich bin von der Geschichte nicht im geringsten niedergeschlagen. Ich – soweit ich in Betracht komme – ich schere mich nicht so viel um Oglethorpe und seinen ganzen schriftstellerischen Instinkt! Wirklich nicht, Tom. Wir wollen warten, bis wir von St. Marc hören. Tom, sage nur, daß du die Hoffnung nicht aufgeben willst, bis du von St. Marc gehört hast; bitte, Tom, sage das.«

»Ach, liebe Rose, was kann das nützen?«

»Nein, nein, Tom. Widersprich mir nicht. Sage es. Sag's um meinetwillen, Tom, sage: ›Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, bis ich von Mr. St. Marc gehört habe.‹«

Tom gehorchte.

Bald darauf wurden sie durch ein Klopfen an der Thür aufgeschreckt. Rose lief vor den Spiegel und brachte ihr etwas verwirrtes Haar in Ordnung. Dann rief Tom: »Herein!«

Der Eintretende war Pearse.

»Nun, was führt dich zu dieser Stunde hierher?« fragte Tom.

»O, ich bin von Grickels zum Essen eingeladen,« erklärte Pearse, »und ich dachte, es wäre besser, euch vorzubereiten, damit ihr nicht vor Schreck in Ohnmacht fallt, wenn ihr herunter kommt. – Nun, was gibt's Neues?«

»O, nicht der Rede wert. Hier ist ein kleines Billetdoux von Oglethorpe, das ich heute morgen erhielt.«

Pearse nahm Oglethorpes Brief und fing an zu lesen. Sein Gesicht spiegelte ein wachsendes Erstaunen, je weiter er mit dem Lesen kam. Er hatte den Brief gerade beendet, als ein abermaliges Klopfen ertönte und Lina Grickel eintrat. Viel konnte er also nicht sagen. »Entweder dieser Kerl, der Oglethorpe, ist ein Tollhäusler ersten Ranges, oder ich bin's!« war alles, was er bemerkte.

»Siehst du nun?« rief Rose. »Was habe ich dir gesagt?«

Dann erklang die Tischglocke, und sie stiegen die Treppe hinab.

Sie waren fast ans Ende der Mahlzeit gelangt, als der durchdringende Ton der Pfeife des Briefträgers von der Hausthür heraufschallte. Gleich darauf brachte das Dienstmädchen einen Brief, den es Tom überreichte.

Er nahm ihn und sah gleichgültig die Aufschrift an: »Thomas Gardiner, Esq., 53 Beekman Place.« Gleichgültig blickte er darauf, weil er keinen Grund hatte, einen Brief von Wichtigkeit zu erwarten. Allein seine Gleichgültigkeit war von kurzer Dauer, denn die Aufschrift zeigte Mr. St. Marcs Hand.

»Sie gestatten?« fragte er eilig Mrs. Grickel, und ohne auf Antwort zu warten, riß er den Brief auf.

 

»Nr. – West, 34. Straße, Montag morgen.

»Lieber Mr. Gardiner! – Ich habe einen großen Teil des gestrigen Tages dem Lesen von ›Träume in einem Traum‹ gewidmet und wünsche, mit Ihnen darüber zu sprechen. Wollen Sie mich nicht heute abend gegen acht Uhr besuchen? Oder wenn Sie heute nicht können, schreiben Sie mir ein paar Worte und bestimmen Sie selbst eine andre Zeit für Ihren Besuch. Mit Ausnahme des Donnerstags bin ich diese Woche jeden Abend zu Hause. Aber natürlich, je früher, je besser.

Aufrichtig der Ihrige

Everett St. Marc.

 

Als er diesen Brief durchgelesen hatte, saß Tom unbeweglich auf seinem Stuhl, das Papier mit offenem Munde anstarrend, als ob er hypnotisiert wäre. Verwunderung, Ueberraschung, Vermutungen, Hoffnung, Furcht, hundert heftige Empfindungen jagten durch seine Seele. Rose erkannte aus seinem Blick und seiner Haltung, daß er für den Augenblick seiner Umgebung entrückt sei.

»Wo ist der Brief her, Tom?« fragte Rose leise.

»Lies,« sagte er und reichte ihr das Blatt. Der Ton ihrer Stimme hatte ihn auf die Erde zurückversetzt. Er beobachtete sie, während sie las. Als sie fertig war, sah sie mit freudigem Blick empor, und ein: »O, Tom!« kam in innigem, zitterndem Flüstern über ihre Lippen.

Sie erhoben sich vom Tische. »Jetzt wir gehn nack mein Zimmer und macke Musik, wie?« sagte Professor Zacchanelli.

Auf dem Gang reichte Tom den eben erhaltenen Brief seinem Freund Pearse. »Was hältst du davon?« fragte er.

»Für St. Marc sehr viel,« rief Pearse, als er das Papier zurückgab. »Er hat einen klaren Kopf, und auf eins kannst du dich verlassen, er stimmt mit unserm blödsinnigen Freund Oglethorpe nicht überein.«

»Ah, Sie uns lasse im Stick?« fragte Zacchanelli, als er sah, daß Gardiners die Treppe hinaufstiegen, statt sich der übrigen Gesellschaft anzuschließen.

»Mein Mann muß ausgehen,« erklärte Rose, »aber ich komme gleich wieder herunter.«

Tom verwandte so viel Sorgfalt auf seinen Anzug, daß Rose ausrief: »Na, hör' mal, man sollte wirklich denken, ein Verliebter rüste sich zum Stelldichein mit der Dame seines Herzens.«

»Ich bin furchtbar aufgeregt, Rose,« sagte er, als er endlich fertig war. »Fühle nur, wie kalt meine Hände sind! Und mein Herz schlägt wie ein Schmiedehammer.«

»Ja, du hast gewiß das Gefühl, wie ich damals, als ich in der Kirche geprüft wurde. O, Tom, Tom! Ist's nicht reizend?!«

»Wir wollen die Kücken nicht zählen, bevor sie ausgebrütet sind, Rose. Ich meinerseits werde mich hüten, mir Hoffnungen zu machen. Er sagt nicht ein Wort, woraus man schließen könnte, ob ihm mein Buch gefallen hat oder nicht. Ich habe keine Idee, was er von mir will.«

»Aber, Tom, das ist's ja gerade. Er würde dich gewiß nicht sprechen wollen – besonders nicht sofort – wenn es ihm nicht gefallen hätte. O, Tom, eile dich doch, mach' doch, daß du fortkommst. Ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, bis du wieder da bist.«

Wenn er auch gesagt hatte, »ich werde mich hüten, mir Hoffnungen zu machen,« so war doch seine Einbildungskraft, während er den Weg nach St. Marcs Wohnung zu Fuß zurücklegte, eifrig damit beschäftigt, ein wundersames Luftschloß ganz aus Hoffnungen zu erbauen. Als er endlich das Haus erreicht hatte und die Glocke zog, war sein Herzklopfen so heftig, daß er wirklich zweifelte, ob er beim Oeffnen der Thür im stande sein werde, seine Stimme zu beherrschen und die nötige Zwiesprache mit dem Mädchen zu halten.

Seine Zweifel in dieser Hinsicht stellten sich indes als grundlos heraus, seine Stimme gehorchte ihm.

»Mr. St. Marc?« fragte er.

»Zu dienen, mein Herr.«

»Melden Sie ihm, daß Mr. Gardiner ihn zu sprechen wünsche.«

»Wenn Sie Mr. Gardiner sind, soll ich Sie gleich in sein Arbeitszimmer führen.«

Sie geleitete ihn eine Treppe hinan nach dem Hinterzimmer des ersten Stocks.

»Herr Gott! Was für 'ne Masse Bücher!« dachte Tom.

Die Wände waren mit Büchern verstellt, auf dem Fußboden waren Bücher verstreut, die Stühle waren mit Büchern bedeckt, die Luft roch nach Büchern. Die Mitte des Zimmers unter der Gaskrone nahm ein mächtiger Schreibtisch ein, auf dem hohe Bücherhaufen lagen. In bequemer Nähe stand ein kleinerer Tisch, an beiden Seiten zwei tiefe lederbezogene Armstühle; auf dem Tisch eine Cigarrenkiste, eine Schale mit Tabak, eine Handvoll Pfeifen, drei oder vier einladende Flaschen, ein halbes Dutzend Gläser und außerdem natürlich ein oder zwei Dutzend Bücher.

Als ihn die Dienerin in diesem Bücherzimmer allein gelassen hatte, setzte er sich auf einen der großen Lederstühle und wartete, aber er blieb nicht länger als etwa eine Minute allein.

»Also Grandison Mather!« rief eine tiefe, herzliche Stimme, und das nächste, was Tom empfand, war, daß seine Hand mit einem Griff erfaßt wurde, der die Knochen knacken ließ. »Also so sieht Grandison Mather aus!«

Tom murmelte etwas Unverständliches, aber es läßt sich wohl annehmen, daß es etwas Höfliches sein sollte.

»Nun, nehmen Sie Platz. Was ziehen Sie vor, eine Cigarre oder eine Pfeife?«

»Ich bitte um eine Pfeife,« antwortete Tom. Er hatte das Rauchen zwar aufgegeben, wollte aber nicht unhöflich erscheinen. Im stillen suchte er sich mit Mr. St. Marcs Erscheinung vertraut zu machen, die ganz anders war, als er sich vorgestellt hatte. Er hatte erwartet, eine pedantische, graue, alltägliche Persönlichkeit vom Gelehrtentypus zu treffen. Statt dessen sah er einen kräftigen Riesen vor sich, mit einer blonden Mähne, die von der Stirn zurückgestrichen war, einem gelben, lockigen Bart, großen, schönen blauen Augen, einem Griff, wie ein Schraubstock, einer Stimme, wie Orgelton und einem Wesen, frank und frei, wie das eines Seemanns, der letzte Mann in der Welt, dem man die gelehrten kritischen Abhandlungen Everett St. Marcs oder die fünfundfünfzig Jahre, die ihm die biographischen Wörterbücher zuschrieben, zugetraut hätte.

»Das freut mich,« entgegnete er, als Tom sich für eine Pfeife entschieden hatte. »Dadurch, daß Sie eine Pfeife vorziehen, beweisen Sie, daß Sie das besitzen, was unser Freund Oglethorpe Ihnen abspricht – schriftstellerischen Instinkt.«

Tom lachte, und sein Gastfreund stimmte ein. St. Marcs Gelächter schien das Haus in seinen Grundfesten zu erschüttern und ließ in der That die Glasglocken über den Gasflammen hörbar erklirren.

»Und nun, ehe wir uns in unsre Gespräche vertiefen, noch eine Frage: Was wollen wir trinken? Hier ist eine ganze Batterie von Getränken, Rum, alter Medford-Whisky, Blaugras-Kentuky – Gin, holländischer, – dort in jener Karaffe finden Sie Sherry, in der nächsten Portwein. Was mich betrifft, ich bin für Whisky.«

»Dann bitte ich auch um Whisky,« sagte Tom.

»Das ist ein edles Getränk, das Beste für den Menschen, wenn es mit Maßen genossen wird,« fuhr St. Marc fort. »So – die Pfeifen brennen, die Gläser sind gefüllt, nun können wir behaglich plaudern. Ich habe also Ihren Roman gelesen.«

Tom richtete sich etwas auf.

»Ja, ich habe ihn gelesen, und eins will ich Ihnen gleich sagen, er steckt bis zum Rande voll Fehler, er strotzt förmlich davon.«

Toms Mut sank.

»Aber ich will gleich hinzufügen, wenn er nicht voller Fehler wäre, hätte ich nicht die geringste Hoffnung für Sie. Wie alt sind Sie?«

»Vierundzwanzig.«

»Nun, wenn ein Mann von vierundzwanzig Jahren einen fehlerlosen Roman schriebe, dann würde ich den Fall als hoffnungslos aufgeben.«

Tom lächelte; seine Lebensgeister stiegen wiederum ein oder zwei Grad.

»Ja, er ist voller Fehler. Bizarr, übertrieben, überschwenglich, mit einem Wort – jugendlich. Ich kann mich nicht damit aufhalten, alle Fehler einzeln aufzuzählen. Zunächst ist er aber ungeheuer spannend. Ein Roman, den ein alter Praktikus wie ich nicht wieder hinlegen kann, nachdem er ihn einmal aufgenommen hat, muß wohl spannend sein. Ich habe ihn gestern in einer Sitzung durchgelesen. Ja, interessant ist die Geschichte, und als ich damit fertig war, sagte ich mir: »Wie jung muß das Kerlchen sein! Er hat alle Vorzüge, aber auch alle Schwächen der Jugend. Nie im Leben wird er wieder im stande sein, ein so abgeschmackt, so entzückend, so erfrischend jugendliches Buch zu schreiben. Er wird die Unreife der Jugend überwinden, aber er wird damit zugleich deren Frische und Reiz verlieren! Die Kehrseite der Fehler ist es, die das Verdienst des Buches ausmacht. Es ist ganz voll von der Einbildung, dem Ungestüm, den Täuschungen, dem Feuer Ihres Alters. Niemals werden Sie etwas Aehnliches zuwege bringen, aber – Sie werden das auch gar nicht wünschen; einmal ist gerade genug.«

Sprechen konnte Tom nicht. Er konnte nur flüstern: »Sie – sind – sehr gütig.«

»Und nun,« fuhr St. Marc fort, »um auf Oglethorpe zu kommen. Vor ein oder zwei Stunden erhielt ich Ihren Brief, worin Sie die Ansicht aussprechen, Oglethorpe habe wahrscheinlich Recht. Von seinem Gesichtspunkt aus hat er das allerdings. Sehen Sie, ich hatte das Ding noch nicht gelesen, und aus dem, was mir Jack Pearse darüber mitgeteilt hatte, schloß ich, es sei gerade etwas von der Sorte, die Oglethorpe gefällt. Deshalb brachte ich's zu ihm und ließ es in seinen Händen. Mein lieber Junge, hätte ich's vorher gelesen, ich würde ebensowenig daran gedacht haben, es Oglethorpe zu übergeben, als ich ihm eine Kiste voll Dynamit geben würde. Gott sei seiner zaghaften Seele gnädig! Ich kann mir seine Empfindungen vorstellen, als er den Deckel lüftete und hineinsah. Denn Oglethorpe, ein Mann der auserlesensten Bildung und feinsten Empfindung, hat vor allem Bizarren, die breiten, ausgetretenen Pfade des Herkömmlichen Verlassenden, einen Abscheu, wie ein toller Hund vor dem Wasser. Und wie ich gesagt habe, wenn etwas, dann ist Ihr Werk bizarr, ungewöhnlich. Ja, Oglethorpe war von seinem Standpunkt aus vollständig berechtigt, so zu schreiben; und es freut mich, daß Sie verständig genug waren, das ebenfalls einzusehen.«

»Dann meinen Sie also,« wagte Tom einzuschalten, »es sei zu bizarr, um es zu veröffentlichen?«

»O, nein, nein, langsam, mein Freund. Sie müssen nicht so hitzig mit Ihren Schlußfolgerungen sein. Ich will Ihnen genau sagen, wie ich darüber denke. Nein, ich halte es nicht für zu bizarr zur Veröffentlichung. Man kann ja mancherlei Einwendungen dagegen erheben, daß ein junger Mann zu früh etwas drucken läßt, und ich vergesse keine davon; aber wenn er überhaupt jemals etwas der Oeffentlichkeit übergeben soll, dann muß er doch einmal mit irgend etwas anfangen, und ich bin der Ansicht, es wäre gut, wenn Sie hiermit begännen. Es ist eine große Hilfe, wenn man sich gedruckt sieht, kritisiert wird und sich en rapport mit dem Publikum fühlt. Es trägt dazu bei, daß man den richtigen Maßstab an sich selbst legt, sich selbst verstehen lernt. Das fördert die Entwicklung, das Wachstum. Ja, ich gebe Ihnen den Rat, dies Buch unter allen Umständen drucken zu lassen, vorausgesetzt, daß Sie einen Verleger finden. Es wäre ja auch ganz hübsch, wenn Sie etwas Geld als Entschädigung für die darauf gewandte Mühe und Zeit damit verdienten. Ich nehme an, daß Sie über die Geldfrage nicht erhaben sind, wie?«

»Nein, wahrhaftig nicht, – das ist für mich ein Hauptpunkt. Allein die Wahrscheinlichkeit, einen Verleger zu finden, ist wohl ziemlich gering?«

»Nun, das weiß ich doch nicht. Nicht alle Verleger haben Oglethorpes als Lektoren. Wäre ich ein solcher Lektor, ich würde es annehmen, und zwar erstens wegen seines Werts an sich, hauptsächlich aber wegen dessen, was es für die Zukunft verheißt; das will sagen, ich bin der Ansicht, Sie beweisen hier, daß Sie das richtige Zeug in sich haben, und daß Sie mit etwas mehr Erfahrung und Uebung fähig sein werden, etwas durch und durch Tüchtiges zu schaffen. Bis jetzt haben Sie erst einen Fuß auf den Weg gesetzt. Kommen Sie erst weiter, dann erwarte ich etwas Ueberraschendes von Ihnen. Wenn ich ein Verleger wäre, dann würde ich mir, in der Hoffnung, daß Ihr nächstes Buch etwas Durchschlagendes sein wird, durch Herausgabe dieses ein Pfandrecht an Ihnen erwerben.«

Tom sank auf seinen Stuhl zurück und holte tief Atem.

»Jedenfalls werde ich es Margate & Lee anbieten,« erklärte St. Marc, »und sehen, wie der Hase läuft. Zunächst aber möchte ich Sie bitten, ein oder zwei Aenderungen vorzunehmen.«

»O, natürlich werde ich alle Aenderungen machen, die Sie vorschlagen,« entgegnete Tom. »Ihre Andeutungen werden von größtem Wert für mich sein.«

»Also hier,« fuhr St. Marc fort, der an seinen Schreibtisch getreten war und Toms Manuskript aus dem Wirrwarr herausgefischt hatte, »Kapitel dreizehn – das müßte folgendermaßen geändert werden.«

Er deutete die Aenderungen, die er für notwendig hielt, eingehend an und belegte sie mit Gründen, und Tom versprach, sie mit möglichster Eile zu erledigen.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll,« sagte er. »Was Sie angedeutet haben, wird das Ding ungeheuer verbessern. Mir wäre das nie eingefallen. Gewiß wird wenigen jungen Schriftstellern so unmittelbar die praktische Hilfe eines Meisters, wie Sie es sind, zu teil.«

»Es trifft sich auch nicht oft, daß ein alter Kerl, wie ich, einen jungen Mann findet, der so bereit ist, seinem Rat zu folgen,« antwortete St. Marc. »Aber nebenbei, wegen Ihres Pseudonyms –«

»Nun, Mr. St. Marc?«

»Warum wollen Sie nicht mit Ihrem eigenen Namen hervortreten?«

»Ich – ich möchte lieber Grandison Mather auf den Titel setzen. Wenn das Buch Fiasko macht, wissen Sie –«

»Dann wollen Sie nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Aber ich vermute, Sie finden im Geheimen Vergnügen an Ihrem geschickten Anagramm, und es wird wohl auch nicht von Belang sein. Also nehmen Sie diese Aenderungen vor und lassen Sie mich dann das Manuskript sobald als möglich wieder haben.«

Als Tom sich empfahl, begleitete ihn St. Marc bis zur Hausthür. Dort legte er ihm die Hand auf die Schulter.

»Es hat mir wohlgethan, Sie kennen zu lernen, Mr. Gardiner,« sagte er, »und Sie würden mir eine große Freude machen, wenn Sie recht oft bei mir vorsprächen. Für einen Mann meines Alters ist es erquickend, mit jungem Blut und junger Begeisterung in Berührung zu kommen. Vielleicht ist auch der Grund der, daß ich niemals ganz aufgehört habe, ein Knabe zu sein, und ich liebe die Gesellschaft andrer Knaben. Ha, ha, ha!«

»O, aber Tom!« rief Rose, als sie seine Erzählung zu Ende gehört hatte, »warum bist du ihm nicht um den Hals gefallen? Ich sollte denken, du hättest gar nicht anders gekonnt, als ihn zu – zu – zu – ich kann's nicht begreifen, daß du dich zurückhalten konntest.«

»Ich hatte auch große Lust, ihm um den Hals zu fallen,« gab Tom zu. »Ich wußte nur nicht recht, wie ich's anfangen sollte. Ein ganzer Haufen von Gedanken und Gefühlen ging mir im Kopf herum, – aber ich weiß nicht – ich konnte nichts thun und nicht viel reden. Es war, als ob meine Zunge irgendwie festgebunden wäre. Hoffentlich weiß er, was ich empfand; er wird mich doch nicht für undankbar und unempfänglich gehalten haben, und glauben, daß ich seine Güte nur als das, was mir gebührte, hingenommen habe? Es war zu großartig, – ich konnte nicht sprechen.«

»Das kommt davon, weil du ein alter Angelsachse bist. Die können ihre Gefühle nicht ausdrücken. Aber wenn er die menschliche Natur überhaupt versteht, so muß er wissen, was du – was wir empfinden. O, Tom! Ist er nicht ein – ein – ein –. Es gibt gar keine Bezeichnung, die gut genug für ihn ist. O, o, o!« Und sie wirbelte in tollem Jubeltanz im Zimmer umher.

»Paß auf!« mahnte Tom. »Du weckst das Haus aus dem Schlafe. Es ist schon elf Uhr vorüber. Und jetzt – jetzt werde ich mich sofort hinsetzen und das dreizehnte Kapitel umarbeiten.«

»Was? Jetzt? Diese Nacht? Warum willst du nicht bis morgen warten? Du darfst deinen Schlaf nicht opfern.«

»O, an Schlafen ist ohnehin nicht zu denken, dazu bin ich viel zu aufgeregt. Und jetzt ist mir noch alles, was er sagte, in frischer Erinnerung, ich bin ganz voll davon; ich fühle, daß ich niemals wieder so arbeiten könnte, wie diese Nacht. Ich werde sofort flott beginnen.«

»Gut. Dann werde ich bei dir sitzen bleiben, Tom, und dir Gesellschaft leisten. Du kannst mir die Blätter zuwerfen, jedesmal, wenn du eins fertig hast; ich will die Kommas hineinsetzen.«

Am nächsten Morgen gab er das abgeänderte Manuskript in St. Marcs Wohnung ab, und abends erhielt er folgenden Brief:

 

»Lieber Mr. Gardiner! Sie haben bewiesen, daß Sie den Wert der Zeit wohl zu würdigen wissen, und Kapitel dreizehn ist jetzt bedeutend besser. Noch heute nachmittag werde ich Margate & Lee aufsuchen. Wer für sie liest, weiß ich nicht, aber ich bin mit dem ältern Margate sehr gut bekannt, und ich werde ihm recht ans Herz legen, daß der Roman eine schleunige und wohlwollende Berücksichtigung verdient.

Ihr aufrichtiger
Everett St. Marc.

Dienstag, den 29. Juli.«

 

»Womit die Sache für jetzt erledigt ist,« sagte Tom. »Ich denke, wir werden in etwa drei Wochen von Margate & Lee hören, und wenn sie ihn annehmen sollten –«

»Das werden sie wohl, Tom, daran zweifle ich gar nicht, jetzt, wo Mr. St. Marc ihn gelesen und sich günstig darüber ausgesprochen hat. O, wie wird sich der alte eklige Oglethorpe ärgern!«

Aber die Herren Margate & Lee ließen keine drei Wochen auf sich warten. Spät am Sonnabend nachmittag erhielt Tom ein paar Zeilen von St. Marc, denen eine Mitteilung der genannten Firma beigeschlossen war.

 

»Nr. – West, 34. Straße,
Sonnabend morgen.

Lieber Mr. Gardiner!

Einliegende Mitteilung habe ich soeben von Margate & Lee erhalten. Sie werden wohl Montag hingehen müssen, aber da ich Ihnen einige Winke in Beziehung auf Ihre Verhandlungen mit der Firma geben möchte, könnten Sie vielleicht morgen nachmittag nach drei Uhr einmal bei mir vorsprechen.

Ihr ergebener
Everett St. Marc.«

 

Die beigefügte Mitteilung lautete:

 

»Margate & Lee, Verlagsbuchhandlung.
New York, Nr. – West, 14. Straße, 1. August 1884.
Everett St. Marc, Esq.

Geehrter Herr. – Wir haben das uns übersandte Manuskript »Träume in einem Traum« von Mr. Grandison Mather gelesen, und es gefällt uns ganz ausnehmend. Wir übernehmen mit Vergnügen den Verlag und bieten dem Verfasser ein Honorar von zehn Prozent des Ertrags nach dem Ladenpreis berechnet, wenn diese Bedingungen ihm annehmbar erscheinen. Bitte, setzen Sie uns thunlichst bald mit Mr. Mather in Verbindung, da wir die Angelegenheit gern beeilen und das Buch am 6. September, dem ersten Sonnabend des Monats auf den Markt bringen möchten. Die Verträge werden zur Unterschrift bereit liegen, sobald er uns mit seinem Besuche beehrt.

Ihre sehr ergebenen
Margate & Lee.«

 


 << zurück weiter >>