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XVI

Günther Filscher wunderte sich selbst über seinen Mut, dem Geheimrat nichts von seinen Entdeckungen mitzuteilen. Er gab lediglich einen kurzen Bericht über seine Unterredung mit Torner. Der Geheimrat hörte kaum zu. Er war völlig von der Neuordnung der Sammlungen im Palais des Prinzen Ferdinand in Anspruch genommen. Das riesige Schultergerüst beugte sich über Akten und aufgeschlagene Mappen.

Trotzdem hatte er jedes Wort aufgenommen. Sein Gedächtnisapparat registrierte den Vorfall mit Torner mechanisch. Wenn es an der Zeit war, würde er darauf zurückkommen. Er ließ die Ereignisse wie auf einem laufenden Band an sich vorübergleiten. Es genügte ihm, sie einmal betastet zu haben. Alles, was sich in der Berliner Museenwelt zutrug, lief wenigstens einmal durch diesen Raum, der sich ständig veränderte. Manchmal sah er kahl wie ein verlassenes Atelier aus. Die riesigen Glasfenster ließen nur kaltes Nordlicht ein, die weißen Flächen standen wie die ausgestülpten Flächen eines geometrischen Versuchswürfels. Dann wieder war er mit Gipsabgüssen erfüllt und machte den Eindruck einer gigantischen Welt, deren Farben erblichen waren. Dann wieder waren die Wände mit Stoffen bespannt und trugen dicht bei dicht über dem weinroten Untergrund die berühmtesten Gemälde der Kunstgeschichte. Es war ein Tanz ungeheurer Kapitalien und ungezählter Jahrhunderte, die durch diesen Raum gespensterten.

Der Geheimrat liebte das Veränderliche, Fließende. Deshalb wurde auch der neue Museumshochbau nie fertig. Er war wie die Kunst selber, an deren Dom unaufhörlich gearbeitet wurde. Die Treppengerüste und die Fahrstühle liefen durch leere Stockwerke, deren Betonwände soeben erst gegossen waren. In dem Stockwerk unter den Büros waren wenigstens die Zimmerleute schon eingezogen. In den Verwaltungsräumen selbst blieb alles improvisiert. Die Glasplatten des Kuppelhauses waren immer noch nicht fertig gelegt. Einige Korridore wurden durch Bretterverschläge mit darübergenagelter Dachpappe notdürftig vor Regen geschützt, und da an ein Funktionieren der Zentralheizung nicht zu denken war, standen in allen Zimmern kleine eiserne Öfen und steckten die Rohre nach Belieben ins Freie. Man nahm an, daß der Geheimrat diesen Übelständen seit etwa zwei Jahren hätte abhelfen können. Er wollte es anscheinend nicht. Die Atmosphäre von Schutt und Mörtel, von Betonklötzen und Malerleitern war ihm unentbehrlich. Nach außen schützte er Geldmangel vor, und vor irgendwelchen Kommissionen konnte er mit bewegter Stimme auf die Unbequemlichkeiten hinweisen, denen er und seine Mitarbeiter sich unterziehen müßten.

»Es ist gut«, sagte er, ohne aufzublicken. Filscher war entlassen.

Innerhalb eines Nachmittags hatte der Assistent Näheres über Erich Torner und die Damen Marcks erfahren. Die wenigsten Menschen wußten, daß die ehemalige Frau Marcks ihren Mädchennamen wieder angenommen hatte und in der Schöneberger Wohnung mit ihren Töchtern wohnte, aber auf die Ehetragödie selbst besannen sich fast alle, die mit den Personalien des Berliner Kunstlebens vertraut waren. Fast niemand konnte sich erinnern, Nora Velten in den letzten Jahren gesehen zu haben, und gleich ihr war Anton Marcks aus dem öffentlichen Leben verschwunden. Einer oder der andre hatte ihn durch Zufall in einem der kleinen Restaurants am Roseneck bei einer Flasche Wein sitzen sehen. Noch immer sollte er das breite strahlende Gesicht mit den freundlichen Augen haben, die allen Menschen vertraulich zuzublinzeln schienen. Aber es war doch etwas um ihn, daß man nicht recht das Wort an ihn zu richten wagte.

Mit geringer Mühe hatte Günther Filscher auch das Theater herausbekommen, an dem Sibylle Marcks beschäftigt war, und sie in ihrer Rolle gesehen. Sie war auf der Bühne genau so, wie er es erwartet hatte, von einem künstlerischen Ernst, der weit über den gegebenen Anlaß hinausschoß. Ich möchte sie wirklich gern unter andern Auspizien kennenlernen, gestand er sich, und bedauerte, daß er sie umschleichen mußte wie ein Wild. Er hatte sich klargemacht, daß es das taktisch Richtige war, wenn er über die junge Schauspielerin den Zugang zu den Menschen suchte, die in das Geheimnis verflochten waren. Auf welche Weise aber konnte er sich ihr nähern? Ich muß sie kennenlernen, schwor er sich jeden Tag und wartete vor dem Bühnenausgang auf sie. Er kannte bald die Minute, in der sie fast als Letzte das Theater verließ und mit dem Auto davonfuhr. Er wartete stundenlang vor ihrem Hause, um ihre Tageseinteilung kennenzulernen. In einer bestimmten Elektrischen konnte er sie am Morgen antreffen, wenn sie zur Probe fuhr. Manchmal sah er sie an der Haltestelle stehen und warten. Er war kaum fünf Schritte von ihr entfernt und wich ihrem Blick aus.

Er hatte keine Ahnung, wie dieses Spiel jemals zu Ende gebracht werden sollte. Torners Geburtstag setzte er sich als Termin, er wußte nicht wofür. Vielleicht konnte er sich bei der Eröffnung der Ausstellung ihr vorstellen lassen. Aber er wußte voraus, daß er alle Gelegenheiten unausgenutzt lassen würde.

Verbotenerweise ließ er sich von den spanischen Photos in der photographischen Abteilung Abzüge machen. Er wollte die Blätter zu Hause haben. Es war eine merkwürdige Vorstellung, daß er dadurch seinem Ziele näher kommen könnte. Er suchte sogar die entlegene Hagenstraße im Grunewald auf, promenierte an dem Garten vorüber, in dem das Atelierhaus zwischen Linden versteckt lag, und spielte mit der Kühnheit, einfach Anton Marcks seine Karte hineinzuschicken. Weshalb durfte man als Kunsthistoriker nicht einen Bildhauer besuchen? Als er das viertemal die lange Allee vom Roseneck hinuntergewandert war, klinkte er zu seiner eigenen Überraschung plötzlich die Gittertür auf, ging durch die Beerensträucher geradeswegs auf die braune Holztür los und drückte auf einen weißen Porzellanknopf. Eine blonde Frau mit dem Baby im Arm öffnete.

»Verzeihung, ich hätte gern Herrn Marcks meinen Besuch gemacht.«

Die blonde Frau sah ihn von oben bis unten an. Er wußte nicht, ob es einen Zweck hatte, die Visitenkarte vorzunehmen.

»Herr Marcks ist im Atelier«, sagte die Frau und ließ ihn eintreten. Sie langte hinter ihm her nach der Ateliertür und klopfte. »Hm!« brummte eine Stimme von innen. »Gehen Sie bitte hinein!« sagte die Frau.

In diesem Augenblick erst legte sich Günther Filscher die Arbeiten zurecht, die er von Marcks kannte. Es waren Öl, Graphik und Plastiken. Eigentlich hatte er diese Arbeiten nie besonders eingeschätzt. Er bewertete sie als einen Eklektizismus von sehr anständiger Haltung. In Windeseile ging ihm das durch den Kopf, ehe er die Tür aufmachte und eintrat.

»Verzeihen Sie die Störung, Herr Marcks!« Weiter kam er nicht, denn neben dem blonden Riesen sah er auf einem Holzblock Sibylle sitzen.

»Was wünschen Sie?« fragte der Bildhauer.

Filscher reichte ihm seine Karte. »Ich bin Kunstgeschichtler und bitte von Zeit zu Zeit einen der führenden Künstler um die Erlaubnis, mir seine Arbeiten betrachten zu dürfen.« Das kam sicher genug heraus.

»So«, sagte der blonde Riese, blinzelte ihn belustigt an und strich sich über den blonden Bart. »Bitte, sehen Sie sich um, wenn es Ihnen Freude macht.«

Die Augen der jungen Dame ruhten währenddes fragend auf Filschers Gesicht. Er wurde nicht daraus klug, ob sie ihn wiedererkannte. In diesem Augenblick kam ihm die Geschichte mit dem Taschenspiegel unsagbar dumm vor. Sibylle mußte glauben, daß er sie bis hierher verfolgte.

»Herr Dr. Günther Filscher,« las Marcks von der Karte ab, »meine Tochter!«

Sibylle nickte mit dem Kopf. Er wußte nicht, ob sie ein klein wenig dazu lächelte.

»Was wollen Sie denn sehen? Hier ein Kriegerdenkmal für eine kleine rheinische Stadt. Dort ein Zentaur. Das ist eine Badende.«

»Sehr interessant«, sagte Filscher und ging um die Figuren herum. Sie waren stärker und eigenartiger, als er sie in Erinnerung hatte, wenn auch keine dieser Gruppen den Vergleich mit Torners Arbeiten aushielt. Aber es war schwer zu schauen, wenn man Sibylles Augen auf sich gerichtet fühlte.

Dem Bildhauer schien der Besuch angenehm. Er machte Filscher auf einige glücklich gelöste Probleme aufmerksam, holte aus einer Schublade Photos früherer Arbeiten und übersetzte sie mit großen Armbewegungen wiederum ins Plastische. Allmählich wurde es Filscher klar, daß dieser Anton Marcks ein erstaunliches Können hatte. Keine große vorwärtstreibende Persönlichkeit sprach sich in seinen Arbeiten aus, aber überall trat die urgesunde künstlerische Anlage hervor, vermischt mit einem kleinen spielerischen Hang zum technischen Spintisieren.

Filscher mußte an seinen Besuch bei Torner denken. Bei diesem war alles problematischer, brüchiger, zernervender gewesen. Man kam aus der zugespitzten Diskussion nicht heraus. Bei Marcks hingegen herrschte eine menschlich warme Atmosphäre. Dieser blonde Riese war wie ein gutmütiges Tier voll von den Geheimnissen der Tiere. Gewiß hatte er über keine der Fragen nachgedacht, die Torners Gehirn zermarterten, aber sie waren durch ihn hindurchgegangen und lagen nun groß und offen als Lebensresultate da.

Wenn das Gespräch abriß, war immer noch des Bildhauers freundliches Augenzwinkern im Raum. Die Marmor- und Tonmassen türmten sich beruhigend wie ein Labyrinth zum Versteckspielen. Zwischen den Blöcken stand man gewissermaßen im Windschatten und fühlte sich seltsam geborgen. Nur von Sibylle her griff eine prickelnde Befangenheit herüber und drückte das Herz ein wenig zusammen. Günther Filscher wagte nicht, das Wort an sie zu richten, und sie blieb schweigend mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ihrem Holzblock sitzen und folgte den Bewegungen der Männer mit großen Augen. Manchmal dachte er, daß sie vielleicht mit ihm zusammen fortgehen würde. Aber der Zeitpunkt, an dem er eigentlich hätte aufbrechen müssen, war längst vorüber.

»Kommen Sie gelegentlich wieder!« sagte Anton Marcks. Sibylle reichte ihm diesmal die Hand, als er sich vor ihr verbeugte. Er dachte, sie würde »Auf Wiedersehen!« sagen, aber sie sah ihn nur ernst an und nickte ihm zu.

Als er nach Hause kam, fand er die Vervielfältigungen nach dem Fund von Cati auf seiner Bude vor. Es erschien ihm als Symbol eines neuen Lebensabschnittes. Auf einmal, da nun die große Mappe an dem Schrank lehnte, war ihm sein lange vernachlässigtes Zimmer lieb. Er schob den Schreibtisch in die Fensternische, was er immer tat, wenn er sich vornahm, mehr zu Hause zu arbeiten, und schrieb noch vor dem Abendessen einige Briefe, an seine Eltern, an seinen alten Gymnasiallehrer, an eine Tanzstundenfreundin, die in einem Industriebüro Stenotypistin war. An diese Freundin schrieb er immer, wenn er keine Möglichkeit hatte, die Briefe zu schreiben, die er eigentlich schreiben wollte.

Mit diesem Nachmittag war alles anders geworden. Er hatte über eine Stunde mit Sibylle in demselben Raum verbracht. Wenn er ihr jetzt begegnete, konnte er sie grüßen und sogar ansprechen. Aber er würde es in den nächsten zwei, drei Tagen nicht tun. Vielleicht würde er nun sogar Torners Geburtstag vorübergehen lassen, ehe er etwas unternahm. Er richtete sich wie auf ein langes Warten ein. Wenn er die Mappe mit den Photos durchsah, überraschte er sich dabei, wie er nicht die Züge von Frau Velten, sondern von Sibylle auf den Blättern suchte. Er brauchte nur die Stirnpartie ein wenig zu überdecken und die Perspektive der Mundpartie zu verändern, so wurde Sibylle auf den Blättern sichtbar und schaute ihn in schmerzlicher Erhöhung aller Sinne an. Vielleicht hatte Nora Velten die Leidensstationen dieser Heiligenbilder durchschritten, von den beseligenden Entzückungen heiliger Verkündung bis zu den Tränen, die in schweren blutigen Tropfen über die versehrten Wangen liefen. Vielleicht hatte der Meister sie in Wirklichkeit so gesehen, wie er sie hier dargestellt hatte. Dann war es so, daß Torner, der eigenwillige und stahlharte Künstler, in diesen Schöpfungen seine Tränen geweint hatte, die er sonst seinen scharfen Augen nicht abpressen konnte. Manchmal wurde Günther Filscher von einer scheuen Ehrfurcht vor diesen Blättern erfaßt, und über alle Erschütterungen vor dem Schicksal dreier Menschen hinaus, das hier Gestalt gewonnen hatte, ergriff ihn mit fast körperlicher Gewalt die ungeheure Kunst dieser Werke. Hatte er nicht einmal von feiger Flucht in einen fremden Stil gesprochen? Jetzt schien ihm hinter diesen Fälschungen ein Gestaltungswille und eine Tiefe der Erfindung von solcher Kraft zu stehen, daß sie notwendig die Formen der Zeit sprengen und sich in gotterfülltere Jahrhunderte einsenken mußte.

Er wußte: es war Nora Velten, die hier dargestellt war. Aber gerade Sibylle erschien ihm im Spiegel dieser magischen Erhöhung. Ihm war, als wäre auch sie in das seltsame Schicksal eingeflochten, das zu entwirren ihm bevorstand. Welch ein seltsames Band hielt ihn jetzt mit diesen Menschen zusammen! Vielleicht schuf Torner in der Stille der Nacht noch immer Werk auf Werk. Ein geheimnisvoller Apparat arbeitete über Länder und Meere hinweg, um diese Schöpfungen vorsichtig in den Handel zu bringen. Das spannte von Detroit, Chicago, Buenos Aires über London, Paris und Rom bis hierher. Da standen Marmorkolosse in dunklen Schuppen, da fuhren Frachtkisten in unauffälligen Eisenbahnwaggons durch ganze Erdteile. Und gleichzeitig war die Gegenkraft an der Arbeit mit chiffrierten Depeschen, Späheraugen, die die Hinterzimmer der kleinen Kunsthandlungen zu durchwühlen versuchten, mit Röntgendurchstrahlungen, chemischen Analysen, Stilvergleichungen. Und nun stand er, Dr. Günther Filscher, hier, und ein Zufall hatte ihm das Geheimnis offenbart.

Das Blinkzeichen rief ihn nach einigen Tagen in das Zimmer des Geheimrats.

»Was Neues mit den spanischen Sachen?«

Zögernd verneinte der Assistent.

»Behalten Sie diese Angelegenheit im Auge!« Von Bock reichte ihm den Ausschnitt aus der Mittagszeitung über die Madonna der abgebrannten fränkischen Kapelle herüber.

»Ich habe es schon registriert.«

»Meiner Meinung nach ist da das gleiche Fälscherkonsortium am Werk. Es sollte mich wundern, wenn die Madonna nicht die uns wohlbekannten Züge trägt.«

»Ich habe daran gedacht.«

»Gut!« Der Geheimrat begann bereits in Papieren zu kramen. Aber er fing noch einmal an: »Übermorgen ist dieser fünfzigste Geburtstag von Torner. Die Geschichte mit dem doppelt gemalten Bild hat mir nicht gefallen. Wie denken Sie darüber?«

»Ich möchte mir kein Urteil anmaßen.«

»Ich möchte es auch nicht, Verehrtester, aber ich muß. Liebermann und ich werden beide bei der Eröffnung der Ausstellung nicht sprechen, und bei dem Bankett werden Sie mich vertreten, nicht wahr? Zur Feier eines Herrn, der seine Bilder doppelt verkauft, schlinge ich keinen solchen Fraß ein. Das werden Sie also für mich tun!«

»Sehr wohl, Herr Geheimrat!«

»Alles übrige sagt Ihnen Meyerholt. Sehen Sie sich auch einmal die Tischordnung an, die Meyerholt fabrizieren sollte. Die faule Akademie hat das Arrangement bekanntlich wieder einmal in unsre Hände gelegt.«

»Sehr wohl, Herr Geheimrat!«

Filscher blieb draußen aufatmend stehen, ehe er zu Kanzleirat Meyerholt in die Personalabteilung ging. Er würde das Bankett mitmachen! Er würde vielleicht neben Sibylle sitzen können!

»Ich vertrete den Geheimrat bei dem Tornerbankett«, sagte er zu dem alten Herrn.

Der Alte sah ihn über die Brille hinweg an. »Herr Professor Torner ist in Ungnade gefallen!« konstatierte er.

»Ich hörte, Liebermann wird auch nicht erscheinen.«

»Nein, der offizielle Glanz ist dahin.« Es machte dem Kanzleirat Spaß, daß einer dieser Modernen nicht höchster Ehren teilhaftig ward.

Es war einiges über die Reihenfolge der Toaste zu verabreden. Und dann die Tischordnung! Der Kanzleirat hatte schon in Zeiten kaiserlichen Glanzes Tischordnungen gemacht. Er kannte Alter und Rang von allen Maßgebenden und witterte sie bei andern.

Auch ohne des Geheimrats Geheiß hätte Günther Filscher diese Tischordnung durchflogen. An nichts anderes hatte er gedacht, seit er wußte, daß er nun an dem Fest teilnehmen würde. Sibylle würde dort sein! Natürlich würde sie dort sein! Er sah den Namen einer jungen Malerin neben dem seinen.

»Hier muß jemand anderes sitzen«, sagte er zu dem Kanzleirat. Er suchte Sibylle in den langen Reihen und fand sie. »Hier, Fräulein Sibylle Marcks sitzt neben mir!«

»Recht!« sagte der Alte lächelnd und tauschte die Namen um.

Aufgeregt kam Günther Filscher in sein Büro zurück. Er konnte nicht arbeiten, sondern trat ans Fenster. Da lag noch immer Berlin wie ein Sinnbild des Lebens hinter der großen Scheibe. Im Glast des sonnigen Oktobermittags verlor sich das Gebrodel der westlichen Vororte. Das Dächermeer und die grünen Plätze dazwischen dampften in Perlmutterfarbigkeit. Noch immer dachte er mit einem leisen Schauer den einen Namen: Berlin! So war es damals gewesen, als die erste Nachricht über den Fund von Cati zu ihm gekommen war. Wenige Tage waren seitdem vergangen. Das Wetter hatte sich kaum verändert, noch immer hielten diese sonnigen Oktobertage an. Nur mit ihm war alles anders geworden. Er hatte das Ende des einen Fadens erfassen können und würde es nun nicht mehr loslassen. Er hatte nichts mehr zu tun, als die Zeit auszulöschen, bis er vor Sibylle stand.

Als er abends in seinem Zimmer saß, konnte er es nicht ertragen, Sibylle an diesem Tage nicht wenigstens einmal gesehen zu haben. Er stellte aus der Zeitung fest, daß sie spielte, und stand in zwanzig Minuten vor dem Theater. Es war noch früh. Er kannte dieses Bild nun schon: das innere Vibrieren des dunklen Baus, die glimmenden Zigaretten der Chauffeure, das Auf- und Abgehen wartender Menschen. Dann das Aufzischen der Bogenlampen und endlich das Herausschießen der ersten Eiligen aus dem Torgang.

Er sah Sibylle kommen, den Mantel hochgeschlagen, das Gesicht in dem Pelzkragen versteckt. Er stand im Dunkel. Es war unmöglich, daß sie ihn erkannte. Aber lächelte sie ihm nicht zu? Plötzlich stand ein Herr bei ihr und zog den Hut. Günther Filscher zuckte zusammen. Wer war das? Er erkannte im Licht der Laterne das bleiche unschöne Gesicht mit den fast ausgelöschten Augen. Das war der Herr, der mit Zwingermann und Schabrack im Café Elsenheim zusammengesessen hatte! Dr. Durlacher von dem bekannten Bankhaus Düsen & Durlacher sollte es sein. Was hatte der mit Sibylle zu tun? Aber das hing alles zusammen! Das kreiste alles geheimnisvoll um den »Fund von Cati«.

Er folgte den beiden mit den Augen. An der Straße stiegen sie in ein Auto und fuhren davon.


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