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VIII

Hildegard Durlacher las am Morgen eine Notiz in der Zeitung, daß man Erich Torner zu seinem fünfzigsten Geburtstag ein Bankett veranstalten würde. Sie nahm es zum Anlaß, ihn anzurufen, und erwischte ihn glücklich am Telephon. Sie fürchtete, daß er böse wäre, aber er war überraschend freundlich und lud sie nun auch zum Nachmittag ein.

»Wollen Sie mich etwa noch immer malen?«

»Gewiß will ich Sie malen! Jetzt aber Akt!«

Sie kämpfte mit sich, ob sie den Hörer hinlegen sollte. Sie fühlte, daß sie über und über rot wurde. »Davon kann natürlich keine Rede sein!«

»Wir werden uns darüber verständigen«, hörte sie seine Stimme. »Kommen Sie nur her!«

»Ich komme zu Ihnen zum Tee, so gegen sechs.«

»Gut!« sagte er.

Sie blieb noch einige Augenblicke am Apparat stehen. Ihr war, als ob er sie vor aller Augen entkleidet hätte. Sie hatte in den acht Berliner Wintern, die sie nun mitgemacht hatte, ihre Abenteuer gehabt. Mit sechsundzwanzig Jahren konnte man in Berlin einiges erlebt haben. Aber vor diesem Maler empfand sie etwas wie zitternde Angst. Es war, als ob er nach ihr griff und sie sich herlangte, ohne alle Umstände.

Sie ging von dem hinteren Korridor, in dem sich der Fernsprecher befand, langsam nach vorn, trat in das große Eßzimmer ein, ging durch den blauen und den roten Salon zum Wintergarten. Eigentlich wollte sie sich hier niederlassen, um ihr Buch weiterzulesen. Aber sie mußte vor den Spiegel treten. Das sollte sie sein: diese gemessene Dame mit der Perlenkette um den Hals? Durfte man vor diesem sorgfältig geordneten Gesicht etwas Unpassendes sprechen? Sie versuchte zu lächeln. Wie konventionell dieses Lächeln war! Lächelte sie eigentlich immer so? Sie hatte Torners Stimme im Ohr: »Jetzt aber Akt!« Natürlich würde sie sich nicht als Akt malen lassen, aber diese Worte hatten sie auf eine seltsame Weise aufgeregt. Sie fühlte die Haut an ihrem Körper, diese etwas gelbliche und duftende Haut, die unter Kleidern und Wäsche versteckt war. Sie hatte keine Lust mehr, diese Haut und ihre Brüste zu verstecken.

Dennoch saß sie zehn Minuten später mit ihrem alten Lächeln und in tadellos gerader Haltung einem Besucher gegenüber und sprach über die Berliner Theater. Der Besucher und sie hatten alle Feuilletons darüber gelesen, aber sie taten, als ob sie sie nicht kennten. Es war bequem und ersparte dumme Dilettantismen.

Als der Besucher gegangen war, rief Peplex, ihr Vater, von der Bank an. Sie zitterte davor, daß er sie während der Teestunde brauchen würde. Aber er wollte nur in acht Tagen eine Gesellschaft geben. Es tagte da eine Generalversammlung in Berlin, und er wollte den Aufsichtsrat bei sich haben.

Es wurde allmählich Zeit, sich fertig zu machen. Eigentlich war es noch lange Zeit. Komisch, daß heute nicht wie sonst jede Minute bei ihr besetzt war. Sie kannte es nicht anders, als daß es von einer Matinee rasch zu einem Frühstück und von dort zu einem Tee ging. Ihr fiel ein, daß sie heute eine Besprechung im Rot-Weiß-Klub ausgelassen hatte, und lächelte, als sie sich selbst darüber ertappte. Hatte sie damit gerechnet, sich für Torner freizuhalten? Es mußte wohl so sein.

Als sie sich schon ins Ankleidezimmer zurückgezogen hatte, ließ sich ihr Bruder melden. Sie warf einen Kimono über und ging in das Herrenzimmer, neugierig, was er wollte. Er wünschte ihre Gefälligkeit in Anspruch zu nehmen:

»Du besinnst dich auf meine heilige Katharina, die dir so gut gefällt?«

Natürlich besann sie sich darauf.

Er berichtete ihr von dem Zusammentreffen mit Zwingermann in dem Café und von der Sitzung bei Schabrack. Es waren da altspanische Sachen im Kunsthandel aufgetaucht, die viel von sich reden machten. Er dachte daran, ein oder das andre Stück zu erwerben. Dann kam er auf Sibylle Marcks und ihre fabelhafte Ähnlichkeit mit einigen dieser spanischen Sachen zu sprechen. »Ich habe sie im Theater gesehen und ihr geschrieben. Sie wird mich heute abend am Bühneneingang erwarten. Ich möchte gern, daß du dabei bist.«

Sie dachte darüber nach, wo sie den Namen Marcks gehört hatte. Hieß nicht jener Maler und Bildhauer, von dem Alex Schrötter ihr erzählte, Marcks? Sie besann sich: Anton Marcks hieß er und war ein Rivale von Erich Torner. Vielleicht hatte er eine Tochter Sibylle. Komisch, daß ihr Bruder nun gerade diese Sibylle kennenlernen mußte!

»Du bist herrlich!« lachte sie. »Als ob es heute etwas Besonderes ist, wenn eine Dame einen Herrn aufsucht!« Aber sie schwieg über ihren Besuch bei Torner.

»Immerhin!« sagte er. »Ich halte es für besser, wenn du dabei bist. Wo darf dich mein Wagen abholen?«

Sie hatte beinahe Lust zu sagen: von Erich Torner! beherrschte sich aber. Ihr Bruder verstand gewisse Sachen nicht. Sie verabredeten sich für zweiundzwanzig Uhr vor dem Theater.

Als er gehen wollte, fragte sie ihn nach Anton Mareks. Er hatte den Namen noch nie gehört. Es gab so viele Maler und Bildhauer! Er ging fort. Zum erstenmal fiel ihr auf, daß Hans häßlich war, und nicht nur häßlich, sondern daß etwas Unangenehmes in seinem Aussehen, etwas Verwischtes in seinen Zügen war. Es kam ihr erst zum Bewußtsein, als sie sich ihn mit einer jungen Schauspielerin zusammen dachte. Er kann kein Glück bei Frauen haben, dachte sie, und ging an den Spiegel ihres Ankleidezimmers, um festzustellen, ob sie Ähnlichkeit mit ihm hatte. Nein, stellte sie beruhigt fest. Aber sie zog zur Sicherheit die Augenbrauen noch einmal nach und gebrauchte den Lippenstift. Als sie sich die Pelzjacke angezogen hatte, kam sie sich ein wenig wie ein Tier vor, das durch die Wälder streift. Vielleicht ist der Unterschied nicht allzu groß, dachte sie, ob man mit einem Auto durch die Straßen fährt oder sich in Sumpfwäldern herumdrückt. Immer steht der gleiche Drang dahinter. Sie erzitterte leise. Vielleicht sollte sie doch nicht zu Torner fahren!

Aber bei Torner war es ganz anders, gewissermaßen noch Vormittagstimmung. Die große Zäsur des Tages gab es bei dem Maler zwischen zwanzig und zweiundzwanzig Uhr. Bis dahin stand noch sein Frühstücksgeschirr auf dem Tisch, und die Morgenzeitung war kaum angeblättert. Er erhob sich spät, schrieb, bevor er sich rasierte, beim Kaffeetrinken einige Briefe, sah Zeitschriften durch, machte einige Pinselstriche, um dem Tag das Pensum vorzuzeichnen, und zog sich dann erst richtig an. Es wurde gegen vierzehn Uhr, bis er an der Staffelei stand, und wenn jemand um achtzehn zu ihm zum Tee kam, mußte er zusehen, wie Torner ein paar Eier in die Pfanne schlug und von der Schlackwurst einige Scheiben abschnitt. Selbst das harte Nordlicht in dem Atelier hatte etwas Vormittägliches an sich, und man fröstelte fast vor Frühe, wenn er die Deckenbeleuchtung andrehte. Hildegard Durlacher war ein wenig ernüchtert.

Er fing ihren Blick auf. »Sehen Sie ein, daß Sie neulich ruhig zu mir hätten kommen können?« fragte er.

»Es ist scheußlich bei Ihnen!« sagte sie. »Man sollte überhaupt nicht zu Ihnen kommen!«

Das Atelier war groß, fast ein Bildhaueratelier, und er hatte auch gerade eine Plastik in Arbeit: eine Gruppe von fünf Arbeitern, eingehüllt in eine eigene Atmosphäre von Schweiß und Dampf. Vornübergeneigte Gestalten, wie an Lasten hängend, die sie hinter sich herschleppen. Die Köpfe schienen in den Halsgelenken zu schnappen, und die Adamsäpfel waren wie Schraubmuttern.

Hildegard stand entgeistert vor der Gruppe, von der er stumm die nasse Leinwand abhob. »Na?« sagte er. »Merken Sie den Zusammenhang mit meinem Farbenauftrag?« Er feuchtete die Tücher an und legte sie wieder über die grauen Tonmassen.

»Es ist kalt hier!« sagte sie.

»Sie haben eine ungeschickte Zeit gewählt. Nachts bin ich wirtlicher. Dann rolle ich das Sofa herein. Zwei Bärenfelle! Stellen Sie sich vor: zwei Bärenfelle! Man flüchtet in sie wie in eine Hütte. Und ich kann die Deckenbeleuchtung rötlich abdämpfen.«

Ein Teil des Ateliers war durch einen Vorhang abgeteilt. Sie wollte wissen, was dahinter ist. »Allerlei Geheimnisse!« sagte er. Nun erst erblickte sie an den Wänden etwa zwanzig Skizzen des immer gleichen Aktes. Von allen Seiten hatte er ihn durchgezeichnet. Er schien sich langsam in die Runde zu drehen. Immer war eine besondere Partie mit Liebe durchgearbeitet, einmal die Schulterblätter, einmal der Rücken. Nur der Kopf oder das Gesicht fehlte bei allen. Er war einfach fortgelassen.

»Das sind die Entwürfe zu Ihrem Bild in der Akademieausstellung!«

Er nickte.

»Ein vollendeter Akt! Und der Kopf dazu?«

»Manche Akte haben keinen Kopf«, lachte er.

Sie mußte sich einige Blätter genauer ansehen. Auf einmal fiel ihr sein fünfzigster Geburtstag ein. »Sagen Sie, wird das nicht eine große Feier werden? Sie werden Auszeichnungen bekommen, ein Bankett wird stattfinden.«

»Ja«, sagte er gedankenvoll. »Vor dem Bankett wird eine Kollektivausstellung von mir feierlich durch Liebermann und Bock eröffnet werden. Stellen Sie sich vor, daß ich viel darüber nachdenken muß. Es ist doch eine eigentümliche Sache mit der Psyche des Künstlers. Im Grunde bin ich ein Verbrecher. Ich lege mir nicht viel Hemmungen auf, um meine ganze Kraft für die Arbeit freizuhalten, und meine Arbeit ist eigentlich eine Art Exzeß. Ist nicht jedes Werk von mir ein Exzeß: ein Vorstoß ins Ungewohnte, Ungekannte? Nun gibt es im Leben dieses eine eigentümliche Gebiet, auf dem man ungestraft Exzesse begehen kann: die Kunst, Wer sich durch eine zufällige Veranlagung auf dieses besondere Gebiet beschränkt, kommt zu Ehre, Ansehen und Vermögen. Komisch, was?«

»Sie halten sich eigentlich für einen Verbrecher? Haben Sie richtige Verbrechen begangen?«

»Nein, das ist eben das Merkwürdige: Ich wirke fortgesetzt meine verbrecherischen Instinkte aus, aber was herauskommt sind keine Verbrechen, sondern Kunstwerke.«

»Vielleicht begehen Sie doch Verbrechen? Haben Sie nicht Ihre Frau unglücklich gemacht?«

»Haben Köhnens Ihnen das erzählt?« fragte er mit bösem Ausdruck. »Natürlich habe ich meine Frau nicht unglücklicher gemacht, als sie von Natur ist. Wissen Sie, es gibt Menschen, denen etwas fehlt, wenn sie nicht unglücklich sind. Meine Frau ist so. Sie wäre einfach trostlos, wenn sie nicht unglücklich sein könnte.«

»Ja,« sagte Hildegard, »das gibt es! Aber machen Sie nun dafür wenigstens jene andere Frau, mit der Sie jetzt leben, glücklich?«

»Meinen Sie Nora Velten?«

»Heißt sie Nora Velten? Ich meine die Frau von Anton Mareks!«

»Das ist Nora Velten. Nein, die mache ich nicht glücklich. Ich glaube sogar, daß ich ihr Leben zerstört habe, wie man es so schön nennt.«

»Also begehen Sie doch Verbrechen!«

»Das sind keine Verbrechen«, sagte er in seinem immer etwas befehlenden Tonfall. »Ich habe vielleicht hier und da etwas ein wenig sichtbarer gemacht, als es ohne mich geworden wäre. Ein Erlebnis, an das die Gedanken sich halten können, ist nicht schlimmer, als jeden Tag drei Stunden schlechter und freudloser Gedanken in einem leeren und unbewegten Dasein. Lassen Sie mich aus mit den unglücklich gemachten Frauen!«

Er hatte die Staffelei vorgezogen und ließ den Pinsel auf ihr tanzen. Hildegard wußte, daß er sie jetzt auffordern würde, sich auszuziehen. Ganz sachlich und selbstverständlich würde er es tun. Aber sie wußte nicht, wie sie darauf antworten sollte. Sollte sie dann das Atelier verlassen? Sollte sie ihm einfach gehorchen? Wenn er sie nackend malte, dann würde sie ihm gehören, vielleicht heute, vielleicht in einigen Tagen! Auf einmal sehnte sie sich danach, von diesem Manne genommen zu werden. Sie wollte auf der Chaiselongue zwischen seinen beiden Bärenfellen liegen. Sie wollte ihm auf der Feier seines fünfzigsten Geburtstages zuwinken, und dann würden sie sich fortschleichen und für sich allein, sie beide, ein Fest feiern, von dem niemand etwas ahnte. Dieser Mann war unglücklich. Man konnte ihn nicht glücklich machen. Für ihn gab es nur kurze Feststunden. Die mußte man ihm schenken und dann fortgehen.

In dieser Richtung gingen ihre Gedanken. Seine Hand spielte noch immer mit dem Pinsel. Es gab bereits merkwürdige Umrisse auf der Leinwand. Es konnte ihre Gestalt sein, aber nicht nackend, sondern auf eine phantastische Weise bekleidet. Man konnte nicht klug daraus werden. Sie wunderte sich, daß er noch immer nichts zu ihr sagte. Vielleicht hatte er Hemmungen und kämpfte mit sich. Es war schwer zu glauben, daß dieser sichere Mann Hemmungen hatte und vielleicht sogar ein ganz klein wenig schüchtern war. Zehn, zwanzig Sekunden schon hatte er nichts zu ihr gesagt. Sie wußte noch immer nicht, was sie ihm antworten würde, wenn er jetzt den Mund auftat.

»Wie ist eigentlich Anton Marcks?« hörte sie sich plötzlich fragen. Ihre Unruhe drängte nach Ausweichen und Hinzögern.

Er sah sie erstaunt an. »Anton Marcks? Wie kommen Sie auf Anton Marcks?«

»Sie haben ihm doch die Frau fortgenommen! Was ist das für ein Mensch?«

»Ein wundervoller Mensch und ein sehr großer Künstler«, sagte er ernst. Aber sie merkte doch, daß er irgend etwas zurückhielt. Es ist etwas mit Marcks, dachte sie, was er nicht sagen will. Aber sie durfte jetzt nicht nachdenken, sonst stürzte sich seine Frage auf sie: Darf ich Sie Akt malen?

»Ist es nicht merkwürdig,« sagte sie schnell, »daß Sie beide sowohl malen wie bildhauern? Es gibt doch wenig Künstler heute, die das vereinen.«

»Es gibt noch andre,« sagte er, »ich bin überzeugt, daß jeder Maler auch ein wenig Bildhauer ist und umgekehrt. So wie jeder Romanschreiber auch lyrische Gedichte macht. Es ist nur eine Sache des Zufalls, ob diese Betätigung öffentlich wird.«

»Hat er eine Tochter Sibylle?«

»Zwei Töchter: Sibylle und Gabriele.«

»Sibylle Marcks, die Schauspielerin?«

»Ja, es ist seine Tochter. Kennen Sie sie?«

»Nein, aber mein Bruder hat ihre Bekanntschaft gemacht. Denken Sie sich, aus einem ganz sonderbaren Grunde.« Sie war froh, dieses Thema gefunden zu haben, das Viertelstunden ausfüllen konnte. Dabei sprang Torners Pinsel noch immer auf der Leinwand herum.

»Und?«

»Diese Sibylle Marcks soll eine ganz merkwürdige Ähnlichkeit mit einigen altspanischen Skulpturen und Bildern haben, die mein Bruder besitzt oder kaufen will oder doch wenigstens kennt.«

»Eine Ähnlichkeit mit der Sibylle? Die Sachen aus diesem sogenannten Fund von Cati?«

»Fund von Cati? Das weiß ich nicht.«

»Es sollen da einige Sachen in einem spanischen Kloster in Cati aufgefunden sein. Sehr interessante Stücke. Ich habe sie noch nicht gesehen. Und Ähnlichkeit mit Sibylle Marcks, sagen Sie?«

»Ja, meinem Bruder fiel es auf.«

»So, na ja, es gibt manchmal merkwürdige Ähnlichkeiten. Eine Kusine von mir sieht aus wie von Velasquez, und wenn man die Ähnlichkeit der Renaissance-Putten verfolgen wollte, – na ja.«

Er schien sich ganz auf die Staffelei zu konzentrieren. Jetzt, dachte sie, jetzt wird er mich fragen! Sie suchte nach einem neuen Anfang.

»Sagen Sie,« fragte sie aus einer merkwürdigen Ideenverbindung heraus, da sie gerade an Geheimrat von Bock und das Gespräch mit ihrem Bruder denken mußte, »halten Sie es für möglich, daß diese Sachen gefälscht sind?«

»Welche Sachen?«

»Die aus dem Fund von – – –«

»Fund von Cati? Ich wünsche allen Sammlern, daß alle Sachen gefälscht sind. Es kann sein. Hören Sie, ich will Sie malen, und zwar – – –«

Er machte eine lange Pause. Sie fühlte, wie ihr Herzschlag aussetzte. Die Deckenbeleuchtung ließ ein merkwürdig zischendes Geräusch hören. »Ich habe da eine Idee«, fuhr er fort. »Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie ein Tier, das durch die Wälder streicht. Es begegnet Festen von saftig grünen Wiesen, Delikatessen von braunen Baumrinden oder jungen Haselnußtrieben. Manchmal läuft es mit andern im Rudel zusammen, wo es dann ein endloses Getratsch gibt. Immer schaut es dabei ein wenig nach Liebe aus, ohne allzuviel darauf zu geben. Aber es nimmt sie gerade so mit. Es ist wie alle Tiere nicht gerade ein Raubtier, aber jedes Tier ist für bestimmte Tiersorten eben doch auch ein Raubtier. So möchte ich Sie malen. Ziemlich nackend, oder nur in einem kurzen und vielfach zerschlitzten Gewand. Dabei soll jeder sehen, daß es sich um eine mondäne junge Dame der Gesellschaft handelt. Gewissermaßen genau so, wie Sie sind, nur der konventionellen Hülle entkleidet. Verstehen Sie?«

»Ja, ich verstehe. Merkwürdigerweise habe ich heute etwas Ähnliches empfunden, als ich mit Ihnen telephoniert hatte. Sie hatten gesagt, daß Sie mich als Akt malen wollten, und ich war doch in meiner Behausung eine so vollendete Dame der Gesellschaft. Als ich meinen Pelz anzog, dachte ich geradezu – – –«

»Pelz!« rief er erfreut aus. »Natürlich Pelz! Ich male Sie im Pelz. Nackend und im Pelz. Der Pelz muß fast so aussehen, als wäre er Ihnen angewachsen. Und so gehen Sie durch eine moderne Straße, an einem Schaufenster vorüber.«

»Und dazu brauchen Sie gerade mich als Modell?«

»Sie haben etwas von einem Tier, gutmütig und herzlos. So ein bißchen als weiblichen Faun werde ich Sie malen, die Beine frei, den Pelz von den Oberschenkeln an eng anschließend und oben die Brüste frei. Brüste und Hals und Kopf, das muß wie eine wundervolle Blüte oben herausbrechen.«

»Sehr schön!« sagte sie lächelnd, »nur kann ich mich leider zu so etwas nicht hergeben.«

Er sah sie ernst an, und sie stand mit rotem Gesicht da. Jetzt! dachte sie. Da hatte er sie umklammert, preßte seinen Mund auf ihre Lippen, brach sie durch, warf sie nieder und war über ihr wie ein Gott. Sträubte sie sich, ergab sie sich? Sie wußte es nicht. Der Raum brach über ihr zusammen, sie versank in grenzenlosem Stürzen. Und dann tauchten sie zusammen auf, Gesicht auf Gesicht, und lächelten sich gelöst an.

»Darf ich dich malen?« fragte er in ihr Ohr hinein.

»Ja,« antwortete sie, »wie du willst.«


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