Hans Freiherrn von Hammerstein
Ritter, Tod und Teufel
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Christnacht

Die Psalmenmelodien der Christmette, von gedämpftem Orgelspiel begleitet, durchzogen ernst und hoch die steilen Steingewölbe der Kirche:

»Populus, qui ambulat in tenebris,
vidit lucem magnam.
Habitantibus in regione umbrae mortis,
lux orta est eis. . . . . . .
«

Der alte, engende Westchor, in den sie von der Südseite eingetreten waren, lag fast ganz im Dunkel. Die hohen, hellen Bündelsäulen des neuerbauten Ostchores sahen durch die Bogen des Mittel- und Seitenschiffes dämmernd herein, wie riesige Buchenpfeiler eines lichteren Hochwaldes in schattentiefe Laubgänge des Dickichts blicken. Dort brannten am Altar und um die Chorstühle schon Kerzen, und neue Lichtsternchen entglommen fortgesetzt aufstrahlend an der Berührung mit den langen Zünderstangen, die zwei Küster umhertrugen.

Aus dem Menschenstrom, der ihn hereingeschoben hatte, sich lösend, wand sich Mangold in der Menge langsam vor durch das Seitenschiff bis zur Stelle, wo der Ostchor die drei schmalen, düsteren Schiffe der alten Kirche zu einem lichten Bogensaal hebt und weitet. Hier fiel ihm ein seltsames, dunkles Gebilde in die Augen, das vor dem Ausgang des Mittelschiffs schon in der neuen Halle vom Boden mit schlanken Säulchen zu etwa doppelter 416 Manneshöhe aufstieg und, von drei zierlichen Kuppeln in reicher Architektur überwölbt, einer kleinen Kirche in der großen glich. Einer der Küster entzündete eben die Kerzen an den vier Ecken des kleinen Bauwerkes, das nun in erzenem Dunkelschein aufdämmernd vom Grund an den Kandelabern und Säulen empor bis zum dreiteiligen Gipfel hinauf eine Fülle großer und kleiner Figuren zeigte, die sich bei näherem Zusehen ins Verwirrende mehrten. Immer neue Erzgestaltungen blickten aus den Schatten der kleinen Pfeiler und Bogen hervor, bis das ganze Kapellchen von den wunderlichsten Wesen bevölkert war, die im schwankenden Lichtschein Leben und Regung anzunehmen schienen. In der Mitte des kunstvollen Baues aber erschimmerte geheimnisvoll durch die Säulchen ein silberner Sarg.

Mangold schloß, es müsse wohl Peter Vischers neuestes Werk, das Sebaldusgrab sein, von dem er schon viel des Lobes gehört hatte.

Während die westliche Hälfte der Kirche schon dichtgedrängt voll Menschen war, und immer neues Zuströmen durch die Brauttüre sowohl wie durch den südlichen Eingang die Massen aufeinanderschob, so daß sie in den äußeren Umgang des Ostchores hinter den Säulen überfluteten und auch diesen allmählich mit Gestalten und Gesichtern füllten, blieb die Mitte der neuen Halle, in der sich vor dem Altar die Stühle der chorbetenden Geistlichen und anschließend daran unter den Säulen bis zum Sebaldusgrab hin jene der Nürnberger Geschlechter reihten, noch frei. Nun aber schritten einzeln und paarweise die Patrizier herein, alte Herren und stattliche Männer in rauhwerkverbrämten Mänteln, Frauen in weiten, dunklen Überwürfen, Mädchen mit feinen Gesichtern halb von den Gugeln vermummt, die Augen züchtig niedergeschlagen, Büchlein und Tüchlein in den Händen, und junge, schlanke Gesellen mit gebrannten Locken, taftene Schauben mit Pelzkrägen um die Schultern, Degen an der Seite. Sie nahmen ihre Sitze in je zwei Reihen hintereinander ein, die Frauen hüben, die Männer drüben, die Nachbarn grüßten sich mit höflichem Verneigen, dort und da ward ein Flüstern, ein Lächeln getauscht. Und da saßen sie nun im Chor so würdig 417 und selbstbewußt, wie im Rate, die Tucher, die Ebner, Fürer, Kreß, Waldstromer, Pömer, Scheurl, Haller, Stromer, Holzschuher, Behaim, Tetzel und Ketzel und andere mehr, und ober ihnen an den Säulen und Wänden bis hoch ans Gewölb hinauf hingen ihre Wappenschilde und schimmerten in matten Farben aus den hohem dämmerigen Bogenfenstern herab und blickten aus manchem Votivbild, das Altäre oder Mauern zierte. Mangold musterte die Gesichter seiner Feinde, und so sehr er Habsucht, feiste Besitzlust und träge Schlemmerei darin suchte, er fand sie zumeist recht wacker und tüchtig, manches schöne und edle, manches kühne darunter, dem ein Helm wohl anstehen mochte, und schier alle in mancherlei Schnitt und Art, in Fett oder Hagerkeit, gut deutsch. Ja, er mußte sich sagen, daß eine gleiche Versammlung fränkischer Junker recht viele wilde und verdächtige Mienen oder von Trunk und Abenteuern zerstörte gezeigt hätte, es genügte, wenn er nur die seiner drei Schwäger, der Rosenberge, oder das des guten Nebukadnezar Voit, des Thomas von Absberg und einige andere sich vor die Augen treten ließ. Aber gerade die sichere Ruhe, die vornehme Kühlheit und sorgenfreie Wohlanständigkeit, die sich in den meisten Zügen und Gestalten dieses reichsstädtischen Adels ausdrückte, reizte und ärgerte sein streitbares Reiterherz, und er war eben im Begriff, die Glut seines Zornes auf das städtische Wesen mit allerlei näher oder ferner liegenden Begründungen aufzuschüren, als der Chorgesang verstummte, und zu seinem Erstaunen aus der Sakristei unter Vorantritt zweier Ministrantenknaben ein schmächtiger Mönch in der braunen Kutte des Ordens der minderen Brüder mit schmalem, blassem Antlitz erschien, und die ihm gerade gegenüberliegende, das Sebaldusgrab am Pfeiler des Mittelschiffes überhöhende Kanzel bestieg.

Nun stand er oben, legte die feinen, abgemagerten Hände gefaltet auf die Brüstung und sah friedsamen Ausdrucks mit großen, dunklen Augen über die Menge hin. Der Schein einer Kerze, die an der Kanzel auf einem vorgestreckten Leuchterarm stak, beglänzte sein kahlgeschorenes Haupt mit dem Haarkranz über den eingesunkenen Schläfen. Die dünnen Lippen umspielte ein Zug entsagenden Leidens. Sie schienen 418 keines gewaltigen Wortes mächtig. Schier zaghaft und bebend erhob er die Stimme und sprach, während ein inneres Leuchten in seinen Blicken aufglomm, das mit jedem Wort glühender wurde:

»Puer natus est nobis, et filius datus est nobis, cuius imperium super humerum eius: et vocabitur nomen eius: magni consilii angelus. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt, auf dessen Schultern Herrschaft ruhet, und sein Nam wird sein: Engel des großen Rates. Jesaias, neun.«

Dann wandte er sich dem Altar zu, kniete hin und sprach das Vaterunser und den englischen Gruß, und die Gemeinde erwiderte.

Nun stand er wieder, tastete mit den wachsbleichen Fingern an der rotbehangenen Brüstung und harrte, bis das Geräusch des Niedersitzens, Hüstelns, Räusperns und Schnaubens in der Kirche sich etwas gelegt hatte. Trotzdem gingen seine ersten Worte fast unter in der leisschäumenden Regung der Menschenflut, die um die Pfeiler und die Wände entlang dunkel wallte und noch flüsternde Wellen hob, bis sie ganz in Lauschen erstarrte. Die Stimme des Predigers stieg und begann sichere Kraft zu entfalten. – Mangold vernahm:

»Fröhliche Weihnachten, lieben Andächtigen! Aus nördlichen Landen ist uns ein Brauch kommen und hat Nachahmung gefunden in unserer Heimat allenthalben, daß man zum Christfest ein Bäumlein aus dem Walde bringt, mit Früchten und Zuckerwerk behängt, mit Lichtlein besteckt und leuchten läßt am heiligen Abend den Kindern zur Freude. Eine uralte Sitt, mag sein noch aus finsterer Heidenzeit, ersonnen zur Feier der längsten Nacht, da die Sonne von winterlichem Abstieg sich wieder aufwärts wendet, und ein neues Jahr begonnen wird. Ein guter, sinnvoller Brauch für uns Christen auch, auf daß wir der seligen Nacht gedenken, da Gottes Sohn niedergestiegen, ein Menschenkind geworden und das Licht der Wahrheit hat aufgehen lassen in der Finsternis, der sündigen Erde zu neuem Leben, als die Propheten sungen und der Apostel spricht: Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber hat sich genahet: lasset uns also ablegen die Werke der Finsternis und anziehen die Waffen des Lichtes. 419

Auch unserer guten Stadt ist zum heutigen Fest ein Christbäumlein geworden. Ein gar eigen Bäumlein, ganz aus Erz, da unten steht es, unser frommer Meister Peter Vischer mit seinen fünf Söhnen hat es in mühevoller Arbeit durch lange Jahre gemacht, und itzt zum erstenmal leuchtet es uns in der Christnacht. Dem heiligen Sebaldus, dieser Kirchen und Nürnbergs Patron zu Ehren ist es erdacht und gebildet, seine kostbaren irdischen Reste enthält und umgibt es mit gar wunderlichen Werken. Wir wollen das schöne Stück ein wenig in Augenschein nehmen.

So ich seinen Meister recht verstanden hab, soll uns das Werk ein Bild sein vom großen Weltbau oder etwa vom Reich Gottes. Ein Ding, nehmt es, wie ihr wollt. Ihr mögt das römische Reich darin finden und die christliche Kirche, die sichtbare Welt und die unsichtbare darüber. Wie sich eines ins andere füget und wächst, eins dem andern Grund und untertan, so auch ist dies Werk in sinnvollen Stufen aufgebaut.

Da seht ihr zuerst vier Fische, an jedem Eck einen, und zwölf gewaltig träge Schnecken, die des Ganzen schwere Last müssen ertragen. Ich meine, die bedeuten Meer und Land, worauf alles beruht, die Urwelt und der Natur unterste Stufe. Und wie die Schneck aus ihrem Haus, so ist Leben aus dem toten Gestein hervorgekrochen, aber annoch ein träges, dummes Leben, das an der Erde und von Erde sich fristet.

Im nächsten Stockwerk sitzet an jedem Eck ein starker, nackter Mann mit Waffen und erlegtem Ungeheuer unter sich. Man mag wohl den Herkules, den Theseus, den Nimrod und den Simson erkennen. Sie schauen gar wild und trutzig und sind die Bilder von Mut und Kraft, den frühesten und natürlichsten Tugenden, deren die Menschen bedurften, um sich wider wildes Getier und wider einander zu wehren, und die bald einer hat. Dazwischen an den Seiten hin werden schon edlere Gestalten offenbar. Da sitzt ein behäbiger Fürst, der alte Jupiter mit Kron, Szepter und Apfel, Adler und Gaisbock neben ihm. Er scheint zu schlummern, sein Reich ist vorbei, und hat keine Sorgen mehr. Weiter hin sieht man nebst Löwen und anderem Getier seine Vasallen und Gehilfen im 420 heidnischen Götterreich: Meergott und Meergöttin, den großen Pan, den Gott der Natur, mit seinem Weib, Apoll, den Gott der Musik und Poeterei, die Muse, den Hirten mit Flöte und Stieren und sonstige sagenhafte Gebilde, halb Mensch, halb Tier, halb Mann, halb Roß, halb Knab, halb Ziegenbock, halb Weib, halb Fisch, ein jedes mit Nebenfiguren, Gerätschaft oder Tieren, die sein Wesen und Hantierung erklären. Ihr seht da auch die Schönheit, die in den Spiegel schaut. Ihr stellt nach von einer Seit ein geiles Mannsbild, von der andern der Tod, der auf dem Teufelsdrachen reit. Weiter seht ihr die Nacht mit ihren Kindern, dem Zwillingspaar Schlaf und Tod, und einen Mann, der unter ihrem Mantel der Finsternis einen andern erschlägt. Kurz, ihr seht in allerlei Sinnbildern Welt und Leben, wie es ist, schön und schreckhaft, lustvoll und böse, halb noch Tier, halb schon was Bessers, und weil den Alten das Licht von oben verloren gegangen, nannten sie Götter die großen Kräfte des Lebens und der Erde und beteten sie beschwörend in Bildern an. Ihr erblickt da aber auch schon vier Tugenden höherer Art: die Mäßigkeit, ohne die die Kraft nichts taugt und nicht bestehen mag, die Gerechtigkeit, die der Herrschaft erst Bestand gibt, die Weisheit, die mehr ist als die Schönheit, auch sie schaut in einen Spiegel, aber nicht aus Eitelkeit, sondern um sich zu erkennen, und die Tapferkeit, die größer ist als der Mut. Ihr liegt nicht ein toter Löw zu Füßen wie dem Simson, sie ruht auf einem, der lebendig ist, und hält ihm sorglos die Hand in den Rachen. Solche Tugenden haben die Alten schon gekannt, geehrt und sich ihrer bemüht, wie in ihren Schriften zu lesen. Doch was ist alle Kraft und Tugend ohne das Licht des Glaubens, ohne die Gnade? Drum zeigt der Meister, der sich in dieser Höh an einer Seiten gar sprechend abgebildet, wie er in seiner Gießhütten umgeht und arbeit, nun auf weiterer Stufe auf der anderen Seite den Heiligen, den Siedler Sebald mit der Kirchen in der Hand, und dazwischen in Bildnissen die Wunder, die der Gottesmann gewirkt, da er noch auf dieser nürnbergischen Erden gewandelt: wie er das Weinfäßlein wieder gefüllt, das ihm sein schlimmer Famulus heimlich ausgetrunken, wie der Lügner, der Sankt Sebald der Ketzerei zeiht, von 421 der Erde verschlungen, aber auf des Heiligen Fürbitt gerettet wird, wie er Eiszapfen anzünd't und sich daran wärmet, da der Wirt ihm kein Holz gab, und wie er nachmalen diesen wieder sehend macht, da er vom Burggrafen geblendet worden, weil er wider Verbot Sankt Sebalden einen Fisch zu essen geben. Da seht ihr das Licht des Glaubens leuchten in die irrende, sündhafte Menschheit und Wunder tun in der Unvollkommenheit und Ungerechtigkeit des irdischen Lebens. Und wie die Kirche das Höchste ist unter den Gebäuden einer Stadt und die heilige christliche Kirche hinwiederum der höchste und köstlichste Bau auf Erden, so steht nun über dieser Stufe der Welt, getragen vom Sockel, den die Lebenswerke des Heiligen zieren, der silberne Sarg, einer Kirchen ähnlich an Gestalt, der die Gebeine des Heiligen birgt, wie auch die sichtbare Kirche uns zum Heiltum bewahrt, was von Christus und seiner Auserwählten Erdenwallen in Wort, Werk und irdischer Hülle uns geblieben.

Aber das Leben ist lustvoll und freudig denen, die reinen Herzens sind. Die schuldlose Natur und die unschuldigen Kinder erfreuen sich der Sonne und der schönen Erde. Unten zwischen und über den alten Gottheiten auf den Bogen, Giebeln und Kanten und auf dem Sims um des Heiligen Sarg, ja, bis in die Kuppeln hinauf, da treiben muntere Kindlein harmlos und frei allerlei Scherz und Kurzweil, necken die Löwen, reiten auf Delphinen, machen Musik, spielen mit Vögeln, Hündlein und Ballen, vergnügen sich auf alle Art. Und Brunnen aus Fischmäulern scheinen in die Becken hinabzurauschen, Vögel im Laub und Rankenwerk des Baues zu zwitschern, Lichterweiblein, lieblich wie die Wolken des Abends, halten Kerzenträger empor, das ganze Werk ist voller Gestalt und Leben, wie Gottes Werk, die Natur selbst, und umgibt so mit Freude und Munterkeit die großen, ernsthaften Dinge des Lebens, ja die Kirche selbst.

Doch nun um den Sarg des Heiligen und ein wenig höher als dieser schon beginnet die unsichtbare Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. Da seht ihr außen an den Säulen die zwölf Apostel, schöne, würdige Männer, die größten Gestalten von allen, denn sie sind die Fürsten der Kirche. Teils scheinen 422 sie miteinander zu reden, teils in heiliges Sinnen versunken. Über ihnen auf den Kuppeln stehen Propheten, Kirchenväter und heilige Sendboten, so das Evangelium zu den Ungläubigen gebracht, darunter jene, die hier im Frankenland, da es noch heidnisch gewesen, das Christentum gepredigt haben. Und nun auf dem höchsten Gipfel in der Mitten, wer steht da als Herrscher über dem Bau der Welt, über dem Reich Gottes? Etwa Gott Vater, der Allmächtige, wie er die ganze Welt schuf mit einem Wort, mit einem Wink seiner gewaltigen Hand? Oder Gott der Herr, der auf Wolken thronet, Blitz und Donner unter sich, und seine Gebote den Menschen gibt und ihr Tun und Treiben regiert in ewiger Weisheit? Oder etwa Christus, der Gekreuzigte, oder Christus der Auferstandene Sieghafte, Triumphierende? Nein. Ein Kind, ein kleines Knäblein ist Gipfel und Kron und Herr der Welt. Seht nur, fast schwach und hilflos steht es da oben, aber es lächelt und trägt spielend auf dem Händlein den Weltenball.

Puer nobis natus est, cuius imperium super humerum eius. Cantate Domino canticum novum.‹ Ja, ein neu Lied hebet an. Kein Gott der Donner und Blitze ist unser Gott, wie jener, der den Alten Gesetze gab, oder jener, der da unten eingeschlafen sitzet mit Szepter und Kron. Wir Christen dienen einem Kinde, und Demut ist die Pforte und Liebe die Grundfeste seines ewigen Reichs. Und es hat zu uns gesprochen: Werdet wie die Kinder. Das heißt, schaut die Welt an mit reinem Herzen und den großen Wunderaugen des Glaubens, dann habt ihr mein Reich. In euch selber habt ihr es, und hoch über Trübsal, Unrecht und Tod der Erde wird es unzerstörbar stehen und unberührbar leuchten, wie über uns leuchten die frohen, ewigen Sterne der heiligen Nacht.«

Der blasse Mönch schwieg und schlug die Augen nieder, die geleuchtet hatten, als trüge er die ganze Sonne in der Brust. Und jetzt erst, als in den hohen, steinernen Bogen der Nachhall seiner Stimme zu verschweben schien, fühlte man, wie machtvoll sie getönt hatte.

Die Gemeine eratmete. Wieder erhob sich jenes leise Wellengelispel und flutende Regen und verlief an den Mauern. 423

Von neuem begann der Prediger:

»Nun wisset ihr, daß ich unseres Meisters Werk gar genau betrachtet und studiert hab. Ich hab es oft besehen und lieb gewonnen, denn es ist ein gar deutsch und christlich Werk. Sogar in meine Träume ist es gekommen, und da hatt ich vor Tagen einmal diesen Traum: Ich sah Sankt Sebalds Grab, wie es da steht vor unsern leibhaften Augen. Und wie ich schaute, wuchs es vor mir hoch und mächtig als ein ganzer Dom. Der Sarg des Heiligen aber stand als eine Kirche inmitten, und die Säulen wie Bäume umher. Und alle die hundert Figuren wurden lebendig. Die Propheten und Apostel redeten, die Kindlein spielten und lachten, Musik und Lieder überall, die Vögel sangen wie im Wald, und unten, wie in tiefen Schluchten und Felsgründen des Waldes bei rauschenden Brunnen saßen die alten Götter, ergingen sich die Fabelweiber, die Tiere und die starken Männer. Ja, wie das Wogen des Meeres war es um den Bau, und manchmal hörte man die Gottheiten der Flut auf ihren Muscheln blasen. Und es war überall ein Friede, wie im Paradiesgarten vor dem Sündenfall.

Da war es mir, ich vernähm unten irgendwo eine häßliche Stimm. Weiß nit, welcher von den Heiden es mag gewesen sein, klang schier wie das Meckern eines Bockes. Und die sprach so ungefähr: ›Was ist's, daß uns ein kleines Kind regiert? Was ist's, daß andere über uns stehen? Sind wir nit älter und weiser, dann sie, und hatten ein schöner Sein, da sie noch nit waren?‹ So sprach die kecke Stimm und machte sich lustig über das göttliche Kind oben, über die Apostel und Heiligen, verleumdete und verzerrte sie, bis alle lachten. Dann der Spott ist des Teufels Hinterpförtlein, durch das er einschlüpft als ein harmloser Narr, wenn er vornen das Tor verschlossen find't wider seine Gewalt. Dauert auch nit lang, so redeten sie die üblen Geschichten hin und wider, und ward ein immer lauter Gespött und Gemurr im Grunde, und schwoll wie Meergebraus und stieg wie Sturm im Wald. ›Holt sie herab,‹ rief es, ›die da oben regieren, stoßt sie herunter von ihren erschlichenen Thronen. Haben wir nicht einen älteren König da, der uns zur Lust beherrschte durch manches 424 Jahrtausend? Auf, aus dem Schlaf, du unser Fürst, und erobere wieder dein Reich und Erb, um das sie dich betrogen!‹ Da stießen sie den Jupiter aus seinem guten Schlummer, dem war wunderlich, rieb sich die Augen, wußt nit, was er sollt, aber ob er mocht oder nit, sie hoben ihn auf die Schultern und riefen: ›Es lebe unser König.‹ Und herauf klomm die wilde Schar und macht ein groß Geschrei. Der Meister Peter entsatzt sich gar, red't ihnen gut zu, sie sollten vernünftig sein, würden doch das ganze Werk zerstören. Den erschlugen sie zuerst und dann den heiligen Sebald, da er nit wollt mittun. Und dann die Tugenden, denn die kann man nit brauchen zu einer Empörung. Und die unschuldigen Kindlein packten und erschlugen sie, die ihnen zur Hand kamen, die andern ließen ihr Spiel stehen und liefen weinend umher. In den silbernen Sarg Sankt Sebaldi, der als eine Kirchen groß und herrlich stand, brachen sie ein und streuten die heiligen Gebeine umher und machten sich's bequem mit Saufen und Fressen, mit Tanz und Spiel als in einer schlechten Schenke. Die Apostel, Martyrer noch einmal, stießen sie von ihren Kanzeln. Aber nur ihre herrlichen Bilder waren es, die hinunterstürzten und zerbrachen mit Getös. Den Heiligen konnten sie nit an. Die erhoben sich geisterhaft und wunderbar in die Luft, und die alten Väter oben stiegen auf wie sie, der ganze Himmel erhob sich mit dem göttlichen Kindlein inmitten und verließ den entweihten Bau, ward emporgetragen von unsichtbaren Flügeln auf ein hohes, schneeweißes Gewölk und ruhte da. Sah zu und ließ es in göttlicher Weisheit geschehen, was greuliche Ding unten sich weiter zutrugen. Die Empörer indes, die Toren, riefen: ›Seht! Sie entfleuchen!‹ Und klommen mit großem Lärm und eitel Posaunenschall auf die Gipfel empor, da sie den alten Jupiter als einen König einsetzten, wo vordem das Christkind gestanden. Und hielt er wohl auch den Weltball in der Hand und das Szepter dazu, war aber seiner Herrschaft keine lange Frist. Dann welcher vordem unten die tiefen Gründe mit höhnischer Red aufgerührt und empört, einer mit Bocksfuß und Hörnlein an der Stirn, der sprach itzt alsbald: Der Alte ist fett und dumm geworden vor Schlaf. Gab ihm einen Stoß, daß ihm die Kugel entfiel 425 und herniedersprang mit Gepolter. Lachten die andern und warfen den König seinem symbolum nach als ein alt Eisen, daß er sich unten bei den Trümmern der Apostelbilder zerschlug. Und sprachen: Apoll soll unser Fürst sein. Setzten also den Apoll zum König. Der tat sein Bestes, das er konnt, hub zu schlagen an auf der Leyer, sang schön und führte weise Reden. Sagten sie bald: Das ist ein Schwätzer, mögen wir nit, und warfen ihn herab. Rief einer: Die Schönheit soll Königin sein. Also hoben sie das Frauenzimmer auf den Thron. Da wollt nun ein jeder den Kanzler und Kämmerer machen, und ward ein Gebalg um das Weib, bis daß einer schrie: Der starke Mann muß her. Schon gut. Waren aber ihrer viere und gab ein jeder sich vor den stärksten aus. Konnten nit eins werden, maßen sich immer grimmer mit den Augen, der Simson, der Nimrod, der Theseus, der Herkules, prahlten mit ihren Taten, hießen einander Lügner und Lumpen, fielen über einander her und hoben ein Geräuft.

Und während nun oben Krieg war von jedem wider jeden, daß der ganze Bau erzitterte und schwankte, geschah zutiefst unten abermals ein dumpfes Gemurr. Wurden die Fische, wurden die Schnecken redend und sprachen: Was tragen wir länger die Last dieser Schande? Da es ruhig war, spürten wir nichts von Last, nun schwingt und wankt der schwere Bau, daß unsere Gehäuse krachen. Wir sind auch wer, was sollen wir Sklaven sein? Und schwollen auf wie große Blasen und waren keine Schnecken und Fische mehr, sondern furchtbare Lindwürme, reckten, ringelten sich, sperrten auf schaurige Feuerrachen. Sieh, da brach der herrliche Bau und stürzt mit Gedonner ein zusammt denen, so oben noch um die Herrschaft rauften, und aus der offenen Höll, die alles verschlang, stieg mit Qualm und Geprassel der rote Brand hoch, hoch bis an die Wolken hinauf.

Von dem furchtbaren Schreien der Gestürzten aber erwacht ich, fand mich zittern für Schreck. War schon bald Tag, hob mich und eilt in Sankt Sebalds Kirchen, die Frühmeß zu lesen. Und da ich zum Altar schritt, konnt ich nit anders, zog's mir den Kopf herum, mußt schauen, ob das Grab noch stünd. Und sah es stehn in all seiner Herrlichkeit. Des ward ich getrost 426 und betete: Vor den Pforten des Abgrunds errette uns, o Herr.

Der böse Traum aber wollt mir nimmermehr aus dem Kopf. Sah immerzu das Bild, das liebliche zuerst, das schreckhafte hernach, und je mehr ich es betrachtete, desto klarer ward mir der Sinn.

Lieben Gläubigen, als ich zu Anfang sprach und es der Meister des Grabes wohl gedacht, der Bau, der dort steht, und den ein Traum mir lebendig gemacht, ist ein Bildnis des Reichs, des heiligem römischen Reichs deutscher Nation sowohl wie des Reiches Gottes auf Erden. Denn wie die Kirche hier das Kunstwerk mit ihrem Gewölb umfängt, wie draußen der Himmel über der Erden steht, so ist eines im andern und alles im Weltall und das ganze Weltall enthalten in Gott. Und ist eine Ordnung wunderbar im Reich, so Weisheit und Gerechtigkeit regieren und christliche Demut und Liebe herrschen vom Gipfel bis zum Grund. Wie draußen in der Natur, da will der Fisch im Wasser kein Has auf dem Land, der Hirsch kein Vogel sein. Geht jedes Tierlein geruhig seiner Nahrung nach, frißt wohl eines das andere, so es Gott in solcher Art geschaffen, frißt aber doch keine Art die andere auf und tilgt sie weg vom Angesicht der Erde, das tut etwan erst der Mensch in seiner Bosheit und Gier nach Gewinn. So auch in einem Land und Reich, wo Ordnung waltet, baut der Landmann den Acker, hat Nahrung genug und läßt gern Zins einem guten Herrn, der ihn beschützt dafür, sieht der Handwerker mit Stolz den Bürger, den er kleidet und der ihm zu leben gibt, sieht der Bürger neidlos den Ritter, der das Reich verteidigt wider den Feind, und der Herzog führt im Krieg und ist ein weiser Fürst im Frieden, und dem Kaiser dienen alle als dem Gesalbten Gottes, der des Reichs heilige symbola: Kron, Szepter und Apfel trägt und mit starkem Schwert schirmt die Kirchen, das Reich Gottes auf Erden, wider die Ungläubigen und Barbaren. Geschieht wohl Unrecht da und dort und Gewalt, aber so Ordnung ist, ist auch ein Arm, der's rächt, eine Hand, die wieder Frieden schafft, und ein Mund, der Urteil spricht aus uraltem, weisem Gesetz, zu schlichten Zank und Streit. Denn wir sind Menschen, 427 unvollkommene Wesen, sündige Waller nach einem höheren Reich, und so keine Prüfung und Anfechtung wär auf Erden, es wurd uns gar zu wohl, vergäßen, daß wir nur Waller sind im Tal zur Stadt Gottes auf dem Gipfel in der Ferne.

So sieht es aus in einem christlichen Reich, das gegründet ist auf den Glauben und lebt in der Liebe. Dann der Glaube gebiert den Gehorsam, der macht, daß man dem Herrn vertrauet und ein jeder sich wohl hält und fühlt auf der Stufe, wo Gott ihn wachsen ließ. Und die Liebe macht zuschanden die Hoffahrt, also daß einer, der höher steht, seine Gewalt, ihm von Gott verliehen, übt zu Nutz und Frommen dem Ganzen, nit zum Vorteil ihm selber, durch den Glauben aber hinwiederum im Gehorsam vor höheren Herren und vor Gott, dem Höchsten. Aber der Böse geht um als ein Leu und sucht, wen er verschlinge. Er kriecht um als eine Schlange und sucht, wen er vergifte. Und zuvörderst hat er's auf den Glauben abgesehn. Ehdann er diesen nit zerstört, kann er nit an den schönen Bau, der ihm ein Ärgernis. Denn seht, ihr Christen, der Glaube ist das, was weltlich und geistlich Reich zusammenhält. Zu Nürnberg dahier werden verwahrt des heiligen römischen Reichs Insignia als ein köstlicher Schatz drüben in der Spittelkirchen zum heiligen Geist, und alljährlich zeigt man sie euch auf dem Markt von festlicher Schaubühne herab. Da kniet ihr hin und zieht die Hüt und ehret die wunderbaren symbola der kaiserlichen Macht. Denn der sie trägt, von euren Fürsten erkürt, ist der Gottberufene, der höchste und heiligste weltliche Herrscher auf Erden, der oberste Schirmherr des Glaubens und der Kirchen, der deutsche König und römische Kaiser. Uralt ist die Kron und heilig wie keine auf Erden. Aber käm nun einer und sagt: Was beugt ihr die Knie vor einem Stück Gold und ein paar eitlen Steinen? Und der sie trägt, was ist er anderes als ein Mensch wie ihr auch, und vielleicht gar nit der Gescheitest unter uns? Seht, der möcht euch den Glauben nehmen. Nur ein weltlich Stück des Glaubens und doch einen Grundstein vom ganzen christlichen Bau. Denn freilich, wie man ein Ding ansieht, so ist's: Schaut man die Kron an mit gewöhnlichem Aug, ist sie weiter nichts, dann ein güldener Reif und Tand. Der Böse nimmt das Aug des 428 Glaubens und setzt das des Zweifels dahin. Und mit eins ist alles verzogen, schal und gar lächerlich. Das Aug des Glaubens aber sieht die Dinge so, wie sie gen Himmel blicken, und schaut, was sie sind im höheren, ewigen Sinn und in der Gnade. Und schaut ein jeder mit solchem Aug, wie wunderbar steigt des Reiches Bau hinauf in den Bau der Kirchen und beide in das Reich Gottes hinein. Der Glaube kann Berge versetzen, wie der Apostel sagt, er kann auch ein Ding zu dem machen, was es sein soll. Es war einmal ein Mann, der hatt einen ungerechten Herrn, der ihm übel tät für seine guten Dienste. Kam ein anderer und sprach: Was lässest du dich schinden? Schlag ihn tot. Aber der brave Knecht erwiderte ihm: Der Herr ist nit so schlimm wie er tut. Und ist er schlimm, so liegt's etwan an mir, oder Gott läßt es zu, auf daß ich besser wurd. Mit Erschlagen ist ihm nit gedient und mir nit geholfen. Ich sag, er ist gut und sag's solang, bis er's wird, wenn er's noch nit ist. Und diente ihm weiter in Demut und Glauben. Sieh, allgemach ward der ungerechte Herr hinterdenklich und sanfter, ging in sich, ließ eines Tags den Knecht kommen und sprach: Wie kommt's, daß du so treu mir dienst, ob ich gleich deiner Dienste übel gelohnt? Sprach der Knecht: Ich glaub, daß Ihr gut seid. Von Stund an war's der Herr, hielt den Knecht als einen Sohn, und da er zu Sterben kam ließ er ihm alles, was er besaß. Glaubt mir, ein rechter Glaube tut Wunder, macht vollkommen das Unvollkommene, das Niedere hoch, das Böse gut. Und so ein ganzes Volk glaubt und jeder einzelne in ihm mit aller Kraft, was muß das für ein Reich sein! Es kann nit zugrund gehen in alle Ewigkeit. Dann der Glaube bringt die Gnade daher wie die Sonne den Frühling. Aber der Zweifel frißt wie der Schwamm im Haus, schwach wird die Seele eines jeden davon, morsch und faul der ganze Bau, und kommt der Sturm, fällt alles auseinander.

Drum seht euch vor. Es gehn heutzutag viel Stimmen um, jener gleich, so ich im Traum vernommen unter den Göttern des Sebaldusgrabes. Sie schleichen in Wort und Schrift, sie lästern und brüllen gar, sie spotten und rühren auf Zweifel, böse Lust und Hoffahrt. Sie wollen den Glauben euch 429 abtun, den Glauben ans heilige deutsche Reich wie an die heilige, christliche Kirchen, den Glauben an euch selber wie an Gott den Herrn. Und fällt der Glaube, dann stürzt die Hoffnung mit ihm und das Vertrauen. In Gleichnissen sehen wir dahier auf Erden, in Bildern nur, die gar oft dunkel scheinen und hart zu deuten als schlimme Rätsel. Der Glaube gibt den Sinn dazu, die Deutung nach oben, die Lösung für jene Welt, wo wir schauen werden nicht mehr im Gleichnis, aber von Angesicht zu Angesicht. Und Hoffnung ist unsere Führerin da hinauf und Vertrauen ist, was sie Trostreiches zu uns spricht vom Morgen in Nacht und Nebel unseres Weges. Ist nun der Glaube dahin, da schwindet die Hoffnung mit ihm und schweiget. An ihrer Statt aber hebt gar hämisch der Zweifel zu reden an. Und mit ihm kommen zwei Weiber, die Hoffahrt und die böse Lust, denen ist er ein Kuppler. So spricht er: Was sucht ihr da oben in Nebel und Nacht? Wer weiß, was dahinter steckt? Etwan eitel Nichts. Aber hier ist Schönheit und Genuß. Was einer weiß, das weiß er, was einer verzehret hat, das entreißt ihm keiner mehr. Da vermeint der Betrogene, er wüßt was Rechtes, bläht sich gar eitel und hält sich zu der Lust, und weil ein jeder sie auch will haben, gibt's alsbald Hader und Zank. Es kommt aus der Lust der Haß, wie aus dem Vertrauen die Liebe. Nun ist mit Glaub und Hoffnung auch die Lieb dahin, sieht einer im andern nur mehr den Widersacher, im Vater den alten Toren, im Lehrer einen Betrüger, im Herrn den Tyrannen. Der Glaube ist weg, die Bilder haben keinen Sinn mehr, die Hoffnung ist hin und der Weg verloren, der Zweifel macht eitel und hungrig, da stürzt der Mensch sich als ein wildes Tier auf die Lust, stürzet in Streit und Krieg, mordet die Liebe, und am Ende ereilet ihn der Fluch, der gesprochen ward über die alte Verführerin, die Schlange, und er kriecht auf dem Bauch und frißt Erde wie sie. Hütet den Glauben! Verschließt ihn zutiefst in euren Herzen, wie die Insignia des Reichs verschlossen sind im Schrein und an Ketten hängen im Gewölb der Kirchen vom heiligen Geist. Soviel Spott und Hohn ist noch nit dagewesen auf der Welt. Der ganze Markt schreit davon, als wär die Buchdruckerei, die schwarze 430 Kunst, allein vor die Spötter erfunden. Und die Saat geht schon üppig auf allenthalben, die da gesäet wird. Hört ihr's, wie's unten murrt und braust in den Gründen? Wie kein Stand mehr bleiben will, wo er steht? Der Fisch will ein Has, der Ochs ein Vogel sein, der Bauer ein Junker, der Lehrling ein Meister. Alle Natur ist aus dem Gewicht, alle Ordnung aus den Fugen. Des Hasses Feuerzeichen rauchen auf da und dort, wie die Brände hergehn vor dem Krieg, und indes sich im Reich einer wider den andern kehrt, berennt der Feind seine Pforten, an welchen kein Wächter steht. Ja, wird der und jener sagen, wär nit so manniges faul und schlecht im Reich und Kirchen, so tät die Ordnung schon halten. Reformieret muß sein, Reform an Haupt und Gliedern, die tut uns not. Schon gut. Wo dann soll die Reform anheben? Am Haupt zuerst oder an den Gliedern? Ich weiß gar wohl eines jeden Antwort auf solche Frag. Sagt ein jeder: da und dort soll sie anheben. Sagt gar kein einziger: bei mir selbsten fang ich an damit. Der Splitter im Aug des Nächsten, der Balken im eigenen – es ist alleweil die alte Geschicht. Lieben Christen, lieben Deutschen, so ein Mann siech ist an üblem Geschwär, macht ihn einer damit gesund, daß er ihm neue Gewänder anzieht? Er wird siech sein und sterben in Samt und Seiden. Just so die Reform, nach der männiglich itzt schreit, daß schon einer vermeint, vor einen Tölpel zu gelten, wann er sie nit im Mund führt. Da inwendig in dir, da ist des Siechtums Keim und Herd, von dem Reich und Kirchen befallen dich dünken. All deine eigene Falschheit, Wollust, Neid, Haß und Zweifel tritt vertausendfältigt heraus am Leib des Volks in stinkendem Geschwär, und ist Reich und Kirchen siech davon. Kehr du aus das Stüblein deines Herzens, den Hof deiner Gedanken, heb an damit, so wird den Nachbarn ein Schämen angehn und er tut's auch, und der nächste tut's aber, und rein wird das Dorf, sauber die Stadt, gesund das Reich und heilig die Kirche, wie Christus sie erbaut und die Apostel sie uns hinterlassen.

Und so ihr mich nun fragt: woher dann nehmen wir den Sinn und die Kraft, daß wir erkennen unsere eigene Krankheit und anheben mit der Heilung und Heiligung in uns? Wo 431 wächst das Wunderkräutlein Glaube, wo fließt der Wunderborn Hoffnung und Vertrauen, wo blüht die Wunderros Liebe, daß wir ihrer Macht genesen?

Carissimi! Apparuit gratia dei salvatoris nostri omnis hominibus. Geliebteste, es ist erschienen die Gnade Gottes, unseres Heilandes allen Menschen. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend, die hüteten und Nachtwache hielten bei ihren Herden. Und siehe, ein Engel des Herrn stund vor ihnen und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volke widerfahren wird: denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippen liegen.«

Der Prediger, der die Worte der Engelsbotschaft mit laut hintönender Stimme, erhobenen Händen und seherhaft in die Ferne verlorenen Blicken gesprochen hatte, hielt inne. Am Altar waren während der letzten Minuten zahllose Kerzenflammen, in zwei hohe Dreiecke rechts und links des Kreuzes geordnet, erglommen. Alle Gewölbe füllten sich mit Licht. Und alle die hundert und aber hundert Gesichter unten waren leuchtend reglos zur Kanzel gewendet.

Der Mönch fuhr fort: »Mit den Hirten zur Krippe müßt ihr gehen. Da zwischen Ochs und Esel in Windeln werdet ihr finden ein Kind. Kniet ein Zimmermann daneben, sitzt eine Jungfrau dabei, die heut Nacht Mutter ward. Und die dunkle Winternacht um den armseligen Stall, und der Stern Gottes darüber, und die Klarheit des Herrn um sie. Seht, das Kindlein ist arm und klein, armer, kleiner Leute Kind. Aber es blickt euch an mit den allmächtigen Wunderaugen des Glaubens, lächelt euch zu mit dem allgewaltigen Lächeln der Liebe. Und so ihr glaubt als die frommen Hirten, dann seht ihr, daß es auf den Händlein spielend trägt den ganzen Ball der Welt. Kniet hin in Demut, als die Hirten des Feldes, denen zuerst die Gnade ward, und betet zu Gott, dem Kinde, um den Glauben, um die Hoffnung, um die Liebe. Auf daß in euch drinnen werde das Reich und aus euch herausstrahle heiligend 432 Glaube und Liebe ins Land eurer Väter, ins Reich der Welt, in die Kirche auf Erden, daß eines im andern stehe und alles zusammt in Gottes Frieden fest begründet, hoch gebaut für Zeit und Ewigkeit. Amen.«

Das Amen war noch kaum verhallt, da klangen die Schellen innen, da schlugen außen in den Türmen die Glocken an dumpf und dröhnend, da schwankten Lichter, schimmerten rot und weiß Chorröcke aus der Sakristei hervor. Da flutete die Menge gleich aufschäumenden Wogenreihen vor auf die Knie, und von oben her Orgelklang über sie hin.

Und die Kanzel war leer, der blasse Mönch versunken in der lichtüberflimmerten Flut.

Akolythen und Leviten paarweis mit Leuchtern dem Altar zuschreitend. Die drei Priester dann in silbernem Weiß, und ihnen zur Seite in goldschweren, wappenbestickten Vespermänteln, Fackeln in den Händen, je sechs graue Männer aus Nürnbergs ältesten Geschlechtern. Der Zug breitete und teilte sich vor dem strahlenden Hochaltar. Die drei Priester an den Stufen in der Mitte neigten die Häupter. Psalmengesang auf Orgelwellen vom Chor: »Dominus dixit ad me: Filius meus es tu, ego hodie genui te. Qua re fremuerunt gentes: et populi meditati sunt inania?

Kyrie eleison, Christe eleison . . .«

Und jetzt vom Altar die Stimme des Zelebranten: »Gloria in excelsis deo.«

Da war es, als öffne sich oben das strebende Steingewölbe und blicke wehend die Nacht herein, dunkelblau. Und hoch, hoch oben stand es wie ein Stern und klang: eine himmlische Knabenstimme fern und klar »Gloria . . .«

Sank nieder in funkelnden, tönenden Kreisen »Gloria!« zog mit ein, zwei, drei leuchtende Stimmen »Gloria«. Wuchs in einen Engelchor, nahte eine strahlende, singende Wolke der Erde: »Gloria . . .« Da erwachten die Flöten, da sprangen die Schalmeien auf aus der Nacht. Da ging es von Hirt zu Hirt in singendem Fernruf und lief herbei von allen Seiten in steigendem Jubel: »Gloria!« Und schwoll Runde um Runde brausend, donnernd ins Volk hinaus: »Gloria in excelsis deo . . .« 433

Und wieder stand es oben, ein strahlender Ton, zog selig silberne Kreise, eine weiße Taube in sicherem Falkenflug: »Et in terra pax . . .«

Stieg herab in den melodisch durcheinander sich schlingenden Feuerbändern der schwellenden Fuge. ergriff Stimme um Stimme der Himmlischen, zog die Irdischen sehnsüchtig, flehend empor: » . . in terra pax . . .«

Wuchs in der Kraft des Glaubens über die Erde hin, stieg zum Himmel empor und jauchzte, Himmel und Erde vereint, auf Orgelflügeln, flötenwindumspielt, geigenflugumschwebt, posaunenschallumzogen ein meeresmächtiger Chor: »Et in terra pax hominibus bonae voluntatis.«

 

 


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