Hans Freiherrn von Hammerstein
Ritter, Tod und Teufel
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Palmarum

Sind die Wolken blau? Ist der Himmel weiß?

Wolken halbgelöst, Himmel weich geflockt, erdnah über die Gipfel hin.

Grünende Kuppen kahl und laubloser Wald. Rötliche Wipfel starrend gestreckt, knospendes Astwerk fein himmelan.

Wanken die Zweige? Wandern die Wolken?

Keine Sonne. Traumklar das Land, dämmernd, als wollt es tagen erst.

Will es regnen? Lau die Luft. Lauschend die Stille.

Glocken? Glocken hinter blauen Bergen fern? Nein. Nur ein Hauch, der tönend die Kronen der Buchen streift.

Im kahlen Wald ein weißes Gewölk. Ein wilder Kirschbaum blüht. Sein Duft weht her. Der Hügel atmet. Junge Gräser wanken im Wind.

Der Hügel wölbt sich, ein grüner Himmel voll kleiner Frühlingssterne. Himmelschlüssel im Rasen golden verstreut. Er wölbt sich in Wolken, die Sonne verhalten. Blaß wie Mondsilber ihr Schein. Zwielicht überm Tal. Silbersäume um braune Gipfel. 172

Weiße Birken mit leisen Schatten im Gras. Zart hängt ihr grünendes Haar vom Lichtgewölk nieder. Weht hin, weht her wie traumgeregt.

Der Bach hügelab von Butterblumen umgoldet, munter murmelnd im Blattwerk verborgen, mit blanken Augen lustig auflugend aus Blatt und Gras.

Und auf dem Hügel unter leis wehenden Birken ins blasse Osterlicht gehoben das Mädchen, von Frühlingssternen einen Kranz im Haar, den Schoß voller Blumen.

Der lang Hans kommt vom Wald herauf, die Eisenhaube voller Blumen in den Händen.

Sein Roß geht ledig weiden. Harnisch und Sattel am Rain, Schwert und Spieß in die Erde gerammt, die Armbrust friedlich ins Gras versunken.

Er kommt heran und pfeift. Die Trudel flicht einen langen Blumenzopf. Der hängt ihr über den Knien. Sie singt.

Er leert den Helm über sie. Blumen regnet es ihr ins Haar, in den Schoß, auf die Knie.

»So wenig?« sagt sie ohne Aufblick.

»So wenig!« sagt er und macht runde Augen. »Steht mir der Schweiß auf der Stirn, worob sie baß erstaunt ist. Bin ich schier zur Saal hinuntergekrochen, an den nassen Hängen rumgeklettert, als wollt ich ein Molch werden. Die ganze Gegend ist kahl gerupft, aber sie hat zu wenig! Ei, Prinzeßlein, so will ich pfeifen, vielleicht kommen die Blümchen dann herfür, vielleicht kehrt der Herr Lenz um auf seinem Gang über die Berge und besinnt sich, daß er Frankenland zu wenig bedacht, oder zündt die Ginsterschöpf um vier Wochen früher an, weil das Fräulein mehr Blumen mag.«

Sie lachte, schüttelte sich die Blumen vom Haar und flocht weiter ihren Kranz.

Er warf den Helm ins Gras, kniete nieder und hockte sich auf seine Fersen.

»Hab ich dir doch so viel schöne Dinge gebracht,« sprach er. »Sieh da die Leberblümchen, die blauen Kinderaugen der Frühlings, die der Waldboden aufschlägt unterm dürren Laub. Da Lungenkraut aus der kühlen Buchenschlucht, da feingefiederte Buschwindröslein, die lichten Osterboten vom 173 Waldsaum. Und Hyazinthensternchen aus der Mooswiese am Fluß, und haarige Küchenschellen vom sandigen Sonnenhang am hohlen Weg, und weiße Glöckchen und weiße Anemonen und einen ganzen Sternenstrom von Himmelschlüsseln!«

Sie drauf: »Schon gut, und du bist ohnedem heut recht brav.«

Sie flocht weiter, hob den Zopf in die Höh, musterte ihn und summte ihr Liedchen dazu.

Er sah sie an und faltete die Hände. Er sprach: »Du unheilige Jungfrau, du schuldlose Dirne, du reine Sünde. Ich bete dich an.«

»Du Narr! Du Schelm! Du Narrenschelm, du Schelmennarr! Weiß nit, was du mehr bist,« lachte sie, riß den Kranz entzwei, knüpfte ihn zur Krone und setzte sie ihm aufs Haupt. Schlug mit beiden Händen zu, daß er ihm fast bis an die Ohren rückte, klatschte und lachte hellauf.

Er sah sie an wie ein verliebter Hund, bog sich nieder, küßte ihren Barfuß und sprach: »Der Papst selber könnt mich nit lossprechen. Denn ich bin wahrlich ein Ungetüm von Schelm. Du weißt das Wort, das mich heilig macht. Sag es.«

»Ich sag es nicht, du Erzschelm. Deine Reu ist so falsch wie Märzschnee, deine Besserung windig wie Weibertreu. Es sei dann, du tätest schwere Buße.«

»Ich tu alles, was du mir auflädst.«

»Gut. Sattel deinen Gaul, bind dein Blech um, reit von hinnen und komm drei Wochen nit wieder.«

»Das ist zu viel.«

»Zwei Wochen.«

»Nein.«

»Acht Tag.«

»Nein.«

»Drei Tag.«

»Vielleicht.«

»Und morgen abend bist du wieder da.«

»Nein.«

»Doch übermorgen gewiß.«

»Das kann ich nit schwören.« 174

»O du Windbeutel! Und hast mir doch versprochen, morgen zu kommen und übermorgen zu bleiben.«

»Jetzt ist das wieder ungewiß.«

»Warum?«

»Weil du meiner Besserung nit glaubst und mir die Lossprechung weigerst.«

»Ich geb sie dir, ich geb sie dir.«

»Und die Buß?«

»Du bleibst heut bei mir.«

»Angenommen. Jetzt sprich das Wort.«

Sie legte ihre Hände auf seine Ohren und sah ihm nah ins Gesicht.

»Ich liebe dich,« flüsterte sie über seinen Kopf hin.

»Und den Segen.«

Sie bog sich vor und küßte ihn auf den Mund.

Er schnellte auf und umtanzte sie in verrückten Bocksprüngen. Er fiel über sie her wie ein umgewehter Baum und wälzte sich mit ihr im Gras.

Von Blumen überstreut saßen sie da und lachten.

Wieder sprang er in die Höh, spreizte die Beine, streckte die Arme aus und sprach großmächtig:

»Höre mich, versammelt Volk! Ich verkünde dir eine neue Botschaft. Ich hab einen neuen Gott gefunden, Gott, der alles, der nicht nur Mensch, der Unmensch, Tier, Kraut, Schelm, Dirne, Gift und Unkraut geworden ist, sich in der Welt, die Welt in sich zu erlösen. Wie betet ihr zu ihm? Indem ihr lebet. Wie opfert ihr ihm? Indem ihr liebet. Alles liebet, Sonne, Welt, Mensch, Tier, Untier, Unkraut, Schelm, Dirne, Tod. Wer nit über Rad und Galgen fährt, der kommt nit in Himmel.«

»Wann sie dich hörten, sie verbrennten dich als einen Ketzer.«

»Wann sie dich sähen, sie verbrennten dich als eine Hex. Daß ein Schelm Gott predigt, ließen sie etwa gelten für einmal, aber daß eine Dirne ohne Flecken ist, das wurd ihnen zu arg. Ihre Weisheit müßt erblassen vor meiner Narrheit, ihre Tugend aber müßt erröten vor deiner Reinheit. Ihr ganzes mühsames Gebäu von Sitt und Gesetz, so 175 fein ausgewogen, so klug aufgemauert, fiel ein vor solcher Erkenntnis. Wohl ihnen, daß sie taub sind und blind. Wir aber bleiben ihnen Schelm und Hur, so sind wir ohne Arg den Fürsten dieser Welt. Sie verachten uns, haben ihre Tugend und ihre Ruh.

»Jetzt redest du wieder tolles Zeug, das ich gar nit versteh.«

»Du sollst auch gar nichts verstehn davon, du heiliger Unverstand. Ich hab doch zum Volk gesprochen und nit zu dir. Du hast schön zu sein und gar nichts zu wissen, gar nichts zu sagen. So bist du weise und heilig wie die Blumen. Wer dich anschaut, wird gut, wer dich lieb hat, der hat den Glauben, und wen du lieb hast, der wird frei und selig.«

Er kauerte sich wieder neben sie hin.

»So, jetzt sag du was Gescheites.«

»Ich darf ja nichts sagen.«

»Das ist richtig. Du sollst eigentlich nur singen oder stumm sein wie meine Leier da.«

Er langte nach der Laute, die hinterm Baum im Gras lag, nahm sie in die Arme und schlug die Saiten an.

»Ich hab dir einmal ein Lied gemacht. Kannst du's noch?«

Er spielte die Weise. Sie schüttelte den Kopf und begann wieder, Blumen zu flechten.

Er sang:

»Meinen Vater hat keiner gewußt.
Meiner Mutter war ich der Tod.
Gezeugt hat mich der Wein mit der Lust
und geboren die Not.«

Sie sang leise mit:

»Mein Leib ist wie Sonne, die blank
blitzt im Morgentau.
Meine Seel ist ein Saitenklang
im lauen Mondblau.«

Und allein:

»Meine roten Lippen küß, wer mag.
Ich hab sie dazu.
Lieb schlägt mein Herz mit jedem Schlag.
Trifft 's dich, bist es du.« 176

Er zur Begleitung: »Weiter! Weiter!«

Sie schüttelte den Kopf: »Weiß nit mehr.«

Er sang:

»Ich hab keine Sorg und Scham.
Schön bin ich, das ist mein Brot.
Eh mich freien Alter und Gram,
freit mich ein junger Tod.«

Sie schwiegen und sahen in die Wolken. Der Pfeifer ließ die Saiten weiterklingen, lustig und traurig, wie's kam.

Die Trudel schlang den Arm um seinen Hals, sah ihm in die Augen und sagte: »Bist du der junge Tod?«

Er brach das Spiel ab und blickte sie erschrocken an: »Da sei Gott vor. Ich mag nimmer sein ohne dich.«

»Das sagst du jetzt. Und, wer weiß, eh die Blätter von den Birken wehn, bist du dahin, wie der Wind, dein Vater.«

»Und du, was tust du dann?«

Sie sah in die Wolken und dachte nach.

»Was sonst? Gäns hüten.«

»Bis wieder einer kommt und dir pfeift.«

Sie zuckte die Schultern. Aber ihre Augen standen voll Tränen.

Er nahm sie um den Leib und drückte sie fest an sich.

»Mein Vater ist der Wind. Aber wenn er mich wegweht, nehm ich dich mit. Wie ein Blättlein sollst du mit mir wirbeln. Wir fliegen durch die Welt. Ich pfeif, du tanzest dazu. Wir lassen uns nimmer. Wir spielen und tanzen miteinander, bis der große Herbstwind kommt, der keinen Klang und keine Blume läßt und uns aus der Welt weht.«

Sie küßten sich.

»Jetzt mußt du tanzen,« sprach er und hob wieder zu spielen an.

»Ich kann aber nit,« lachte sie mit einem Tropfen auf der Backe.

»Ei, versuch's nur. Steh auf. Ich spiel dir was, das treibt dich um, wie ein Blatt im Wind.«

Sie sprang auf. Er griff stark und lustvoll in die Laute. 177

Sie hob die blanken Füße und tanzte in Blumen und Gras zwischen den Birken umher.

Er spielte wild und begann zu singen:

Ȁuglein wie Sterne,
Füßlein so fein,
Sag mir, mein Schätzel,
wo bist du daheim?«

Sie drehte sich und sang zurück:

»Liegt ein Weiler in Bergen,
schwarz Forchen umher,
sechs Häuslein, sieben Diebe,
da bin ich her.«

Er:

»Ei, Schätzel, was bringstu,
Mädel, was kannstu?
Webst oder spinnstu?
Singst oder tanztu?«

Sie:

»Ich webe nit, spinne nit,
es sei denn eitel Dunst.
Singen, springen, lieb haben
ist all meine Kunst.«

Er:

»Dir springen ja die Blumen
um die Füße im Gras,
dir klingt ja um die Glieder
die Luft wie fein Glas.«

Sie:

»Und singt, schwingt die Erde
unter meinem Tritt,
schwingen alle Hügel
und die Wälder drehn mit.«

Er:

»Jetzt hab ich's gesehn,
jetzt weiß ich's zur Stund:
du bist von den Elben
im Mondscheingrund.«

Sie:

»Und bin ich von den Elben,
und hast du's gesehn,
du bist mir verfallen
mit Leib und mit Seel.« 178

Er.

»Ich werf dir mein Herz zu,
es ist gar nit schwer,
fangs und behalts,
und ich brauch's auch nit mehr.

Ich hab auch nit mehr,
kein Haus, Feld und Geld.
Ich schieß einen Purzelbaum
über alle Welt.«

Er warf die Laute weg und schlug mit den langen Beinen hoch durch die Luft ein paar Räder um sie her.

Da wurde es plötzlich hell. Die Sonne brach hervor und übergoß das tanzende Mädchen mit einem Strom von heißen Goldstrahlen.

Sie lachte und klatschte in die Hände. Ihr kurzes Lumpenröcklein flog um die nackten Knie. Sie drehte sich wie ein rasender Kreisel und ließ sich lachend und ganz außer Atem auf den Pfeifer fallen. Der küßte zu, wo nur Platz war.

Nun saß sie auf seinem Knie und strich die wirren Locken aus der Stirn. »Jetzt schimpft die Bärbel, daß ich die Gäns nit eintreib. Jetzt wird mein Süpplein kalt. Jetzt kommt der Saubub heim und macht einen traurigen Hals.«

»Jetzt flucht der Schau schon drei Stund lang hinterm Strauch. Und der Herr Kunz von Rosenberg schimpft mit. Der Kaspar schimpft, und der Hampas macht seine Sprüch dazu. Sie müssen ihren Anschlag allein machen, denn ich komm heut nimmer.«

»Ich laß die Gäns weiden bis morgen. Haben Atzung genug im nassen Grund.«

»Der Spitz paßt schon auf.«

»Das war gut, daß du mir den Spitz bracht hast.«

»Ich traf ihn bei einem Bauern nächst Salmünster. Er hütete Säu und war es leid. Er wolle lieber zu Gänsen, sagte er mir, sei ein sauberer Dienen. Da nahm ich ihn mit.«

»Wir bleiben in der Waldhütte zur Nacht. Ich koch uns ein Süpplein.«

»Die Gäns müssen uns Eier legen. Ich schieß einen Häher, den braten wir. Brot hab ich im Pack.« 179

»Komm zur Hütte. Ich will Feuer machen.«

Sie waren aufgestanden. Er fing sie um die Hüften. Sie entwand sich ihm lachend und lief voraus.

»He! Halt!« rief er. »Der Schimmel muß mit.«

Er hob den Sattel, schleppte ihn zum Pferd, warf ihn auf und zog flüchtig die Gurten an. Dann legte er Zaumzeug, Harnisch und Waffen auf den Sattel und verschränkte es mit Riemen. Den Helm stülpte er auf, nahm die Laute vom Boden, griff in die Saiten und ging. Der Gaul zog weidend hinter ihm her.

Die Trudel hing sich an seine Schulter und sprang trällernd im Gras. Er schlug Tanztakt auf der Laute und schritt schwingend aus. Sie sangen über den Hügel hinab zum Wald verschwindend:

»Gloria, gloria.
Die Welt ist auferstanden,
der Frühling da.

Läuten alle Blumenglocken
im Morgenwind.
Alle Drosseln schlagen, alle Finken frohlocken,
weil die Buchen grün sind.

Wer will noch Stubenhocken?
Alles Junge heraus!
Gloria! Mich brennt's in den Socken,
mir schlagen die Bein aus.

Gloria! Schlingt um die Locken
den Maienkranz.
Gloria! Laßt Spindel und Rocken,
reiht um die Linde zum Tanz.

Gloria, gloria!
mein Herz ist auferstanden.

Er:

Mein Mädel da.

Sie:

Mein Liebster da.« 180

 


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