Hans Freiherrn von Hammerstein
Ritter, Tod und Teufel
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Der Feindsbrief

Mangold ging ihm nach und rief: »Der Schuler soll heraufkommen, Schreibzeug mitbringen, so er's hat.«

»Der schlaft schon lang,« antwortete der Pfeifer.

»So schmeiß ihn aus 'm Nest, wird ihm nit schaden.«

Der lang Hans ging in die Reiterstube, wo Knechte bei Bier, Würfeln und Karten saßen.

»Wo ist der Schuler?« fragte er.

Der Schau deutete zur Kammer nebenan: »Der schlaft wie ein Stein.«

Der Pfeifer öffnete die Kammer und ließ das Licht einfallen. Auf dem Bettstroh lag Jörg Dietz in einen Kotzen und sein Mäntelchen gewickelt und rührte sich nicht.

Der Pfeifer nahm ihn bei einem Bein und zerrte ihn unsanft halb über die Bettkante herunter. Jörg riß die Augen auf und blinzelte gequält in den Lichtschein.

»Jesus Maria!« lallte er auffahrend.

Der Pfeifer grob: »Ja, bet nur. Dein letztes Stündlein ist da. Auf! Du sollst vor die Herren kommen, du wirst umbracht.«

Jörg entsetzt: »Heiliger Gott! Umbracht! Gnade! Was hab ich getan?«

Der Pfeifer: »Nichts hast du getan, das eben ist deine Schuld. Hier, wer nit einen besseren Totschlag oder Diebstahl oder Schändung ausweist, der wird aufgehängt.«

Der Jörg stand wankend auf den Beinen und hielt sich am Bettpfosten. 153

»Mord – Diebstahl – ich – ich – ich hab so einem Bauern Eier gestohlen . . .« wimmerte er.

Der Pfeifer schlug ein helles Lachen an: »Sieh, was da alles herfür kommt! Jetzt pack dich zusamm, hast du Schreibzeug?«

Der Jörg war in seinen Rock gefahren. »Schreibzeug? Hier, hier im Täschle . . .« stammelte er, nach seinem Wetschka tastend.

Der Pfeifer: »Das sollst du mitnehmen, wirst vorerst deine Beicht und dein Urteil schreiben.«

Der Jörg war nun ganz munter geworden.

»Ach, die Herren wollen Schindluder mit mir treiben, ich bitt dich, steh mir bei!« bettelte er weinerlich.

Der Pfeifer: »Weiß ich's? Mach, daß du hinaufkommst. Sonst holen sie dich.«

Jörg kramte das Schreibzeug hervor, torkelte durch die Reiterstube in den mondhellen Hof hinaus, zog sich am Treppengeländer hinauf und blieb zitternd vor der Tür im Turm stehen. Vom Stock herunter scholl ein gewaltiger Lärm. Das Herz klopfte ihm wie toll. Fast kamen ihm die Tränen. Da polterte es die Haustreppe herab. Er fuhr zurück. Zwei Junker erschienen im Türbogen.

»Wiltu dich ernähren,
du junger Edelmann,
folg du meiner Lehre,
sitz auf, trab zum Bann.
Halt dich zu dem grünen Wald.
Wann der Bur ins Holz fährt,
renn ihn freislich an.«Ludwig Uhland: Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder. Stuttgart und Tübingen, Cottascher Verlag, 1845.

So grölte der eine. Der war Kunz von Rosenberg. Pfeifend folgte ihm Hektor Behaim und wankte in den Hof hinaus.

»Ach, der Schuler,« rief Kunz. »Du sollst da hinaufkommen in die Eßstub.«

»Heut hat mich der Teufel,« lallte der andere. »Schon elf Gulden verspielt. Bin zu voll. Muß Platz machen.« 154

Er lehnte sich über den Mauerabsatz, steckte den Finger in den Hals und erbrach sich in den unteren Hof hinab.

Kunz torkelte lachend die Treppe hinunter. Jörg Dietz lief rasch im Turm hinauf, klinkte die Stubentür auf und drückte sich scheu durch die finstere Kammer in die Eßstube.

Da standen Mangold von Eberstein, Lorenz von Schaumberg, Fritz von Thüngen und Philipp von Rüdickheim ins Gespräch vertieft, des Eintretenden kaum achtend.

»Nein, ist am besten so. Ist nit mehr als das Punktum hintern Satz,« sagte Mangold, der die Hände in die Hüften gestemmt hatte.

»Ich sag auch, nimmer lang umgeschissen und kurz und gut abgesagt,« meinte der von Thüngen. »Ist der Handel faul, so laßt er sich immer noch vertragen.«

Lorenz von Schaumberg drauf: »Ich dächt nur, du würdest Roß und Mann bald besser für des Sickingen großen Anschlag brauchen können.«

Philipp von Rüdickheim: »Das geht in einem hin. Gibt's was Bessers, so ist das eine Übung zuvor. Eine öde Zeit. Das ganze vergangene Jahr kein rechter Hader gewest. Man muß sich dazu halten.«

Mangold: »Wohl dann. Du, Kleiner, komm her. Setz dich an Tisch. Hast Schreibzeug und Papier? Gut. Los auf und schreib fein nach, was ich sagen werd.«

Jörg tat, wie ihm geheißen, stellte das Tintenfläschchen vor sich, öffnete es, putzte hastig den Kiel und entfaltete mit zitternden Fingern ein Blatt.

Die Ritter sprachen noch einiges.

»Nun laßt euch nimmer aufhalten,« sagte dann Mangold. »Den Feindsbrief schaff ich schon allein. Ist der erste nit. Ich dank euch für guten Rat, und daß ihr dazu halten wollt. Soll euer Schaden nit sein.«

»Am Donnerstag reit ich los,« sagte Fritz von Thüngen.

Lorenz von Schaumberg: »Gottesfrieden! Treuga dei! Erst am Montag kannst du reiten.«

Der Thüngen: »Da kommst du weit, wann du nur vom Montag früh bis Mittwoch abend reiten tust, würden die 155 Nürnberger von Donnerstag bis Sonntag reisen, und du hättst das Nachsehn.«

Philipp von Rüdickheim. »Ich scher mich auch nit um Gotts- oder Teufels- oder Landfrieden. Ich reit auch am Donnerstag.«

Damit gingen die drei in den Saal zurück. Mangold blieb allein.

Auf und ab schreitend, dachte er lange nach. Jörg strich das Papier glatt, schnuppte das Licht und blickte manchmal furchtsam nach der finstern Stirn des Ritters. Gewaltig war er, wie er da, die Hände auf dem Rücken, hin und her ging, einem Leuen im Zwinger gleich, und der schwache Lichtschein in seinem scharfen Antlitz schattete, und hinten der Schatten seiner Gestalt unheimlich erhöht an der Wand entlang zog.

Endlich hob er zu diktieren an, und der Jörg hatte ein solches Beben in den Fingern, daß er den langsam gesagten, oft durch Nachdenken unterbrochenen Worten kaum nachkam und fortwährend Fehler und Kleckse machte.

»Ich Agatha und Helena Odhamerin thun euch Burgermaister und Rate und gantz gemain der Stat Nürmberg kunth zu wissen, nachdem Ir unnser hab und gut eine Lannge Zeit wider got, ere und Recht genomen und Innhabt, das nu auf den heutigen tag uber unnser erlanngte Recht von euch nit bekomen mögen, das wir als arm Witbe und wais got clagen und anruffen, unns und unnser gut freundt und guter Gesellen gnad zu erleyhen, die unns darjnn beholffen sein, unnser habe und gut von euch einzupringen, das wir frey einem jeden gestenndig sein wollen, von unnserwegen tettlich gegen euch, euren verwandten leib, habe und gut zu hanndeln so lanng wir unser anfordrung von euch gestattung erlanngen und euch deszhalben für uns, unnser helffer und Irer helffers – unnser und Ir aller ern hiemit nach noturfft zubewarn geschrieben haben. Und wes Ir oder euer verwanndten also von unsernwegen schaden erlanngt, wie der gethon oder gehaissen wird, nichts ausgenommen, das wollen wir einem yeden von unsernwegen euch gethon gestaenndig sein und weiter zu antworten nit schuldig sein. Des wollen 156 wir euch und verwandten zugeschriben haben zu Richten. Des unser aigen hanttschrifft. Zu urkundth haben wir unser Innsiegel zu ende diser schriffth getruckth. Geben auf montag nach Laetare im Neunzehnten Jar.«

Mangold stand hinter ihm still.

»So, das wär's,« sprach er nach einer Weile tiefen Nachdenkens. »Laß sehn.«

Er beugte sich über das Blatt.

»Schön hast du das nit geschrieben.«

Dem Jörg sauste das Blut in den Schläfen. Er wollte was stammeln, schluckte und brachte kein Wort hervor.

»Das mußt du morgen noch einmal sauber abschreiben,« sagte Mangold ruhig. »Aber zu Mittag muß es fertig sein. Dann bring mir's. Jetzt lies es nochmals.«

Jörg atmete auf. Seine Stimme wurde fester, indem er las.

»Gut,« sprach der Ritter nach dem letzten Wort. »Jetzt pack zusamm und mach dich wieder in die Federn,« setzte er lächelnd hinzu. »Wo schläfst du?«

»In der Kammer bei der Reuterstube,« versetzte Jörg.

Mangold war zum südlichen Fenster getreten und hatte es geöffnet.

Über dem tiefschwarzen Zug der Morgenhöhen stand schon ein Streifen durchsichtig tagender Luft. Eine braunbrandige Wolke hing hinein, über der ein großer Stern flackerte.

»Du sollst ein eigenes Stüblein haben,« sagte Mangold, sich wieder umwendend. »Drüben beim Kapellan. Mit dem kannst du auch dein Latein weitertreiben, damit du's nit vergißt. Nun gut Nacht, soviel noch davon übrig.«

Jörg machte eine linkische Verbeugung und hüpfte überglücklich davon.

Mangold betrat den Saal, wo es indes stiller geworden war.

Bei tief herabgebrannten Lichtern saßen noch einige Spieler beisammen, Haufen von Münze vor sich auf dem Tisch. Am andern Ende der Tafel lümmelten Wolfgang von Nisika, Kunz von Rosenberg und Hektor Behaim, alle drei schwer trunken und gleichzeitig mit albernem Lachen oder heftigen Worten redend und lallend, ohne daß einer dem andern 157 zuhörte. Nebukadnezar schlief lang hingestreckt über drei Stühle.

»Es geht auf Tag, ihr Herren,« sagte Mangold vernehmlich und schritt durch den Saal in den Gang hinaus.

 


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