Hans Freiherrn von Hammerstein
Ritter, Tod und Teufel
Hans Freiherrn von Hammerstein

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Burgfrühling

Ein Morgen so rein, daß man fern, ganz fern die Glocken von Fulda hörte. Der leichte Nordwind hob sie durchs maiene Blau der kristallenen Stille in sanften Wellen herüber, an und ab, jetzt wie verschwimmende Orgeltöne, jetzt schwellend und klarer der dunkle Schlag der schweren Glocke des heiligen Bonifaz, die nur an hohen Festen ihre große Apostelzunge rührte. Dann wieder ein klingendes Verlieren im Wald des Escheberges, der nichts als die lautlose Bläue über sich ließ, und abermals ein leises Herüberwallen der Feierklänge, wunderbar wie das Fließen und Fallen eines tönenden Stromes von Himmelsfernen her.

Aus allen Wäldern der goldgrüne Frühling des Buchenlaubes hervorgebrochen, und die sieghafte Sonne der Osterwochen spielend um meilenklare Gipfel, schleierig schattend über dem blauen Geheimnis der Schluchten, ferne Kirchtürme, Schlösser blitzend erhoben, die Hügel der Täler selig ruhend im Grün ihrer Weiden, und wenn die Glocken schwiegen, im kleinen Wellengeflimmer der Luft das Geperl unzähliger Lerchentriller.

Alle Wege voll bunter Kirchgänger, vor und hinter ihnen buntere Reiter mit flatternden Lanzenfähnchen und Schabracken.

Und Fahnen, Wimpel, Banner vom Turm und Giebel des Brandenstein, als hätte auch das alte grautrotzige Schloß über Nacht einen ritterlichen Frühling geboren. Adelige Farben im Morgenwind hingerollt, die Hanauischen, die Fuldischen, 226 die Hessischen, zuhöchst vom Bergfried aber und vom Haupttor herab und in Wimpeln und Bändern immer wieder dazwischen das Blau und Weiß der Ebersteiner wie der Maienhimmel selbst.

Zwischen dem Schloßberg und dem Hügel, der Giebel genannt, in der Wiese am Bach eine Vierung ausgesteckt, hohe Fahnenstangen kranzumwunden an den Ecken, bekränzte Schranken mit blauweißem Tuch behangen, am Hang des Giebel hinauf Sitzreihen terrassenförmig übereinander, in der Mitte ein laubgebauter Söller fähnleingeschmückt, bunte Wappendecken vom Geländer niederhängend.

Knechte, noch mit dem Ausbau des Turnierplatzes beschäftigt, ein Mann zu Pferd anweisend unter ihnen, andere Reiter ab- und zusprengend und im ausgesteckten Raum zur Übung die Pferde tummelnd.

Der innere Burghof oben lag noch in schattenkühler Stille. Die fernen Glockenklänge zogen im Blau über die Dächer hin, näher schlugen die vom Stift zu Schlüchtern, hell und mahnend sprangen die von der Elmer Pfarre herauf. Noch wollte sich im Schloß nichts regen. Die Baumwipfel flüsterten und rauschten, die Banner rauschten und knatterten über den Giebeln und sanken, wenn der Wind sie fallen ließ, wehend auf die Dachziegel herab.

Jetzt erschien im Eingang des Treppenturmes Adelhard von Miltitz, ein blauweiß geviertelter Festherold. Blau die linke, weiß die rechte Hälfte des Wamses, blau das rechte, weiß das linke Bein, auf der Brust gestickt das Ebersteinische Wappen, die fränkische Lilie im blauen Feld, auf den Locken ein blaues Barett mit weißen Straußfedern, in der Hand einen blauweißen Stab. Jung und schlank, ein Maigott, stand er in der Tür, zupfte was am Gürtel, besah wohlgefällig seine seidenen Beine, sprang mit ein paar federnden Sätzen über den Hof und die kleine Treppe herab, rannte zum Stall und stieß die Tür auf.

»Heraus, ihr Schlafhauben!« rief er in das dumpfe Gewölbe. »Satteln! Rüsten! Von Schlüchtern reiten schon viele Herren herauf.«

Der Schau, noch keineswegs festlich, in schmutzigem Hemd, 227 Reithosen und Pantoffeln, trat ihm entgegen und gähnte ihn mächtig an.

»Das ist sicherlich gelogen,« sagte er langsam und schläfrig. »Die Herren, so zu Schlüchtern quartieren, haben im Löwen bis ans Tagen fortgezecht, und dahier im Schloß hat's Räusch geben, die auch vor zehn nicht ausgedünstet sind. Der Herr ist auf, sonst hab ich noch keinen erblickt.«

»Aber ich muß nach Schlüchtern,« drängte der Miltitz. »Sattel mir den Zelter. Ich reit heut den Zelter der Frau.«

Der Schau, höhnisch hindehnend: »Was wiltu dann in Schlüchtern, du Jackenaff?«

Miltitz: »Zur Kirche muß ich.«

Der Schau: »Ei, für dich wird der Pfarr zu Elm auch noch weise genug predigen. Aber freilich, du kannst es halt nimmer derwarten, daß die Mädels deine bunten Beinchen begaffen.«

Miltitz: »Ei denn, ich laß es gelten. Gönn's mir und ihnen, sehen sie doch sonst das ganze Jahr nur hin und wieder einen schmierigen Schnapphahn wie dich. Sattel mir, ich bitt dich.«

Der Schau: »So sattel dir selber, Junkerlein. Mußt es sonst auch können.«

Miltitz: »Ich mach mich schmutzig.«

Der Schau: »Ich muß des Herrn Streithengst rüsten.«

Miltitz: »Der Herr reit erst nach Mittag. Ich geb dir zwei Groschen.«

Der Schau: »Die behalt nur, du Windbeutel. Meinethalben, ich schirr dir das Lämmlein.«

Miltitz: »Den weißen Zaum, die Zügel mit den Silberschellen und die blaue Decke . . .«

Der Schau: »Und dir eine Schellenkappe über die Ohren und einen Pfauenwedel in den . . .«

Durch das Tor vom äußeren Hof herein kam Mangold geschritten, festlich auch er in einem tafftenen Wams von schwarzer Farbe, das in den aufgeschlitzten Puffen die Wappenfarben schön gezwickelt durchblicken ließ, eine ärmellose Schaube mit breitem Zobelumschlag über den Schultern, einen mächtigen, künstlich zerhauenen Hut aus schwarzem Sammt mit 228 Schnürlein verziert und Straußenfedern besteckt über der Kappe in den Nacken gestülpt.

Der beiden, die in der Stalltür standen und grüßten, kaum achtend, ging er über den Hof und beschleunigte seine Schritte. Denn in der Tür zur Kemenate erschien jetzt die Odheimerin, zum Kirchgang bereit, eine hohe, steife Leinenhaube, die das Kinn umschloß, auf dem Haupt, in den weiten Faltenwurf eines dunklen Mantels gehüllt, Gebetbüchlein, zusammengelegtes Tüchlein und Rosenkranz in der Hand. Hinter ihr, verschlafen und mißmutig fröstelnd Helena. Doch eben langte der erste Sonnenstrahl über die Dächer der niederen Seitengebäude herein, und die grünlichen Äuglein des Mädchens trafen sich mit den Blicken des jungen Miltitz über den Hof hin. Sie machte sich schlanker und war wie eine buntschillernde Eidechse, als sie den Schritt mit einem Hüpferchen beschleunigend in die wärmende Helle neben die Mutter trat. Die Odheimerin sah mit Vorwurf an ihr herab.

»Ich hab dir doch gesagt, du sollst den Mantel nehmen. So bunt und mit bloßem Hals geht man doch nit zur Kirch.«

»Der Mantel ist schon so schäbig,« maulte die Kleine. »Soll ich aussehen wie ein Bettelmädchen?«

»Dein Mantel ist nit schäbig, und du bist nun ein Bettelmädchen, das merk dir in all deiner Eitelkeit,« sprach die Odheimerin und wollte recht ernst dabei sein. Da trat ihr aber im Treppenabsatz Mangold entgegen, und sie mußte lächelnd seinen Morgengruß erwidern.

Er stand ein paar Stufen niedriger, als er ihre Hand an die Lippen führte.

»Der Himmel gibt für unser Fest seinen schönsten Tag her,« sprach Mangold, indem er neben der Nürnbergerin die Treppe wieder hinabschritt.

»Das freut mich recht. Da werdet Ihr's lustig haben,« versetzte die Odheimerin mit leichtem Erröten, den Blick zur Erde wendend.

Mangold sah sie ein wenig erstaunt an.

»Ich hoff, Ihr sollt viel wackere Ritter und ein gutes Stechen sehen, auch schöne Frauen dabei,« fuhr er fort.

Die Odheimerin an seiner Seite fortschreitend mit einigem 229 Zögern: »Ich? Was sollt eine arme Wittib und vertriebene Bürgerin bei dem adligen Fest?«

Mangold, indem er verblüfft stehen blieb, mit einem fast unwilligen Auflachen: »Meint Ihr, werte Base, ich hätt das Stechen etwan allein denen Junkern zugericht, auf daß sie sich tüchtig verbeulen und darnach besaufen könnten? Nein, davor wär mir Zeit und Geld zu rar. Turniere gibt's genug an den Fürstenhöfen. Es ist meine Art nit, es in solchem den großen Haufen gleichtun zu wollen. Aber, daß Ihr einmal Kurzweil und ein buntes Spektakel hättet, auch seht, was der Adel an Prunk und guter Art aufbringt, darum hab ich sie zusammengeruft, und ich hoff, Ihr sollt Eure Lust daran haben, wanns auch vielleicht nit ganz so schön sein kann wie der Reichstag oder das Schembartlaufen oder das Zunftschießen zu Nürnberg.«

Sie waren in die Mitte der unteren Abteilung des Hofes gekommen. Adelhart von Miltitz hatte den Schau beim Stall stehen gelassen und sich so zierlich, als er's konnte, an Helena gemacht.

Lebhaft setzte Mangold seine Rede fort: »Und nit bloß schauen sollt Ihr, auch einen Dank müßt Ihr austeilen. Den schönsten hab ich für Eure Hand bestimmt: ein silbernes Lorbeerkränzlein, ein Augsburger Meisterstück. Zum wenigsten drei Lanzen müssen darum gebrochen werden.«

Die Odheimerin schwieg.

Ein nacheilender Tritt ließ den Miltitz umblicken. Jörg Dietz kam über den Hof hinter ihnen her getrabt, riß das Hütlein ab und buckelte verlegen vor Helena. Er hatte sich ein gar schönes Sprüchlein zurechtgelegt, mit dem er sie heute begrüßen wollte. Nun sah er sie mit Verdruß schon im Bann des seidenen Junkerleins, und der Vers fand nicht über die stotternde Zunge. Helena erwiderte seinen Gruß mit steifem Kopfnicken, zog die Mundwinkel herab und beachtete ihn nicht weiter. Adelhard wandte sich und lächelte ihr überlegen zu. Dem Jürgen schoß das Blut ins Gesicht. Sein armes Mäntelchen um die Schultern raffend und hilflos in seinem versagenden Hirn nach irgendeiner artigen Bemerkung suchend, zog er ihnen nach. 230

Sie gingen nun unterm Torgang hin. Mangold öffnete das schwere Tor zum äußeren Hof, der schon in vollster Sonne lag.

»Mir, als Herrn des Hauses und Festes ziemt es nit, selber zu reiten,« sagte er. »Die Jüngeren müssen sich um Euren Preis raufen und werden's gar grimmig tun, wenn sie Euch erst gesehen haben.«

Unter der Brücke gähnten und jaulten die Hunde sich aus dem Schlaf. In der Mitte des Hofes standen Knechte um einen mächtigen Rapphengst, dem eine schwarze, mit Silber verzierte Rüstung aufgelegt war. Von den steif abstehenden, rockartig gewölbten Panzerstücken überdacht, den Nacken in einem gegliederten Eisenkamm, den Kopf in einer Stahlmaske mit spitzem Horn an der Stirn, glich das Pferd einem schildkrötenhaften Märchentier. Sie führten es im Schritt und Trab auf und nieder, um zu sehen, ob es die Last nicht drücke oder an der Bewegung hindere. Die zottigen Fesseln und breiten Hufe in schwerem Stampfen hebend, zog das ungefüge Wesen wie eine rollende Festung plump und mühsam einher.

Helena, da der Knecht eben das eiserne Ungeheuer den Vorüberschreitenden entgegenführte, tat verschreckt und barg sich mit leisem Schrei an Miltitz, dessen Arm sie ergriff, während Jörg Dietz selbst mit allen Zeichen der Bestürzung zurückgesprungen war.

Der Edelknabe lachte erfreut und sprach, stolz aufgerichtet, mit wichtiger Miene beruhigende Worte.

Die Odheimerin, indem sie über den Hof gingen, sagte. »Wie werd ich mich ausnehmen unter so viel Prunk und edlen Damen in der ärmlichen Gewandung einer ins Elend Verjagten?«

Mangold sah lächelnd an ihr herab, da ihr Schritt, an Seide streifend, unter der dunklen Hülle des Mantels prächtigen Samt und einen Schuh von zierlichster Nürnberger Arbeit enthüllte.

»Ich denk, die arme Vertriebene wird mancher Edelfrau Neid erregen,« versetzte er. »Unsere Frauen tragen an solchen Tagen gemeiniglich die Festgewänder ihrer Großmütter zur Schau.« 231

Die Odheimerin: »Ich hab nichts Besseres als das Gewand, in dem Ihr mich fandet, da mich die schlimmen Vettern zu Farrnbach überfielen.

Mangold: »Wenn's dem Meister Albrecht gfallen hat, wird es in einem ländlichen Fest herfürleuchten wie eine seltene Blume unter den Kräutern eines Dorfgartens.«

Er hatte sie quer durch den Hof zu einem Pförtchen geführt, das zwischen den Vorgebäuden auf den westlichen Abhang der Burghöhe hinausging. Nun, als sie ins Freie traten und den schmalen Pfad schritten, der auf dem niedersinkenden Kamm des Berges gegen Elm hinunterzog, umfing sie der wunderbare Feiertag mit dem ganzen morgensonnigen Blau seiner waldigen Weiten. Die Glocken waren verstummt, aber aus der Gegend, wo die spitzen Türme des Klosters zu Schlüchtern zwischen den Hügeln aufsahen, kamen festliche Fanfarenstöße in langhingezogenen, strengen Tönen her. Und auf der Straße flatterte und flimmerte es weiß und farbig um einige Reitergestalten.

»Ihr sollt schauen und geschaut werden,« sagte Mangold, indem er der Nürnbergerin die Hand reichte, um ihren Schritt auf dem steinichten Pfad zu stützen. »Sie sollen sehen, daß ich nit um Unedles streite.«

Die Odheimerin hatte sich umgewendet und sah nach den Jungen. Adelhard und Helena standen an einem Schlehbusch, der um und um blühte, brachen Zweiglein und tauschten sie, während Jörg Dietz ein wenig abseits gebückt stand und das Gras absuchte, ob vielleicht ein paar Veilchen sich zeigen wollten. Mahnend rief sie dem Mädchen, da eben die Elmer Glocken zum letzten Läuten vor der Messe ausholten.

Unter allerhand Geplauder waren sie den Berg hinuntergekommen und schritten nun zwischen bäuerlichen Kirchgängern dem Dorf zu. Vor der kleinen Kirche, einem altgrauen, steilstrebenden Steinbau, drängte sich viel Volk auf dem Platz. Gerade war eine Reitergruppe die Straße von Schlüchtern herangekommen, Junker, zum Stechen gerüstet, in zwiefarbenen Wappenröcken, Knechte mit flatternden Wimpeln auf den Lanzen hinter ihnen. Über die Köpfe der Menge hin riefen die Ritter dem Ebersteiner zu, er 232 antwortete mit Winken und Zeichen und geleitete die Odheimerin bis zum seitlichen Pförtchen der Kirche. Dort empfahl er sich, dem Miltitz heißend, daß er die Damen führen und bei ihnen bleiben solle. Noch sah er durch die geöffnete Pforte das dämmernde Gewölb mit den grauen Pfeilerbogen, an denen hölzerne Wappenschilde hingen, das farbige Licht in den frommen Malereien der schmalen Fenster, die Häupter des gepferchten Volkes, hörte die Orgel verklingen und die predigende Stimme des Pfarrers. Er wandte sich und ging den Weg, den sie gekommen waren, zurück. Aus der Schmiede kam eben der Knecht Klaus mit einem gesattelten Pferd. Mangold winkte ihn herbei, saß auf und ritt dem Turnierplatz zu. Auf der Wiese ließ er das Pferd in Galopp fallen und blickte heiter zum Brandenstein hinauf, der mit den windig hinausrollenden Bannerzungen festlich in den blauen Tag erhoben stand.

 


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