Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

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XVIII. Der neue Gott und sein Blitzstrahl.

Nicht um die olympischen Wettläufer zum Ziele fliegen, die Ring- und Faustkämpfer sich im Sande tummeln zu sehen, nicht um den vieltausendstimmigen Zuruf des Hellenenvolkes zu hören, welcher die Sieger im Wettlauf, im Ring- und Faustkampf, im Sprunge, im Speer- und Diskoswurf, im Waffenlaufe begrüßte, waren Perikles und Aspasia nach Elis gewandert. Dem Freunde Pheidias schlugen ihre Herzen entgegen, als im Glanze eines taufrischen Morgens sie anlangten in der gefeierten, von des heiligen Stromes Alpheios Wellen durchrauschten Talebene von Olympia. Alle Straßen, welche aus den arkadischen Bergen heraus, oder aus dem Süden des Peloponnesos über Messenia her, oder von Norden über Achaia zum elischen Strande führten, vor allen aber die sogenannte heilige Feststraße, welche längs des Alpheios lief, fanden sie angefüllt mit Wanderzügen; auch über die Bahnen des nahen westlichen Meeres sahen sie die bekränzten Schiffe herankommen von Italiens und Sikeliens Küsten.

Sie gerieten ins Gewirre der zum pisatischen Kampfgefilde wallenden Festkarawanen, der Festgesandtschaften, wie sie kein größeres Gemeinwesen in Hellas zum großen, friedlichen Hellenenkampf in Olympia zu senden versäumte. Wo eine solche Festkarawane des Weges kam, da staute sich der Strom der übrigen Wanderer zu Fuß und zu Wagen, und alles bestaunte die Teilnehmer des Zuges, welche in Prachtgewändern, bekränzt auf bekränzten Wagen saßen, und die Wagen selbst, welche nicht selten mit Malereien verziert, vergoldet und mit Teppichen behangen waren, auch die herrlichen Opfertiere, das kostbare Opfergerät, das zahlreiche Geleite.

Unfern dem Bezirke der Zelte und Buden, dem Eingange des heiligen Hains beinahe gegenüber, befand sich eine große Bildhauerwerkstätte. In dieser Werkstätte war seit Jahren der hohe Pheidias tätig; hier trieb er im Vereine mit Alkamenes und anderen seiner Schüler in der Abgeschiedenheit der elischen Niederung, deren Ruhe nur in jedem fünften Jahre der olympische Festlärm unterbrach, die Vollendung des größten und tiefsinnigsten seiner Gebilde. Dem Banne des heiteren Athen entflohen, losgelöst von allen Einflüssen, welche die Erhabenheit seiner Gedanken mit Blumenketten zur Erde niederziehen wollten, schuf er hier in der Einsamkeit, von Bergeslüften angeweht und umrauscht von den Wassern des heiligen Stromes, seinen olympischen Zeus.

Von der Werkstätte des Pheidias her sieht man zwei Männer kommen und den Strand des Alpheus aufwärts gehen.

In dem einen dieser beiden Männer erkennen wir den feurigen Alkamenes. Sein Gefährte ist der gepriesene Polykleitos von Argos, durch seine Gebilde in Marmor und Erz wetteifernd mit dem großen Athener, aber mit dem nüchternen und ruhigen Geiste des Peloponnesiers bestrebt, das Menschliche als solches rein zu erfassen, vor allem aber das Männliche, das er am liebsten in Standbildern der Athleten verkörperte. Seine Schule war Olympia: hier übte und befruchtete er sein Auge und seinen Sinn an den lebendigen Umrissen einer harmonisch kräftigen Bildung.

Die Verschiedenheit der Kunstrichtungen des Pheidias und seines argivischen Nebenbuhlers begründete eine, wenn auch stille Gegnerschaft zwischen ihnen. Während der Athener glaubte, daß man die schwunglose Kunst des Argivers allzuhoch anzuschlagen beginne, fand dieser sich insgeheim verletzt, daß man seiner, des peloponnesischen Künstlers, uneingedenk, den Athener mit seinen Genossen herbeigerufen, um das größte und erhabenste Bildwerk auf peloponnesischem Boden zu vollenden. Es war dies einer jener athenischen Triumphe, welche Aspasia vorausgesagt hatte, als sie dem Perikles zu beweisen suchte, daß ein Gemeinwesen durch die Pflege des Schönen seine Nebenbuhler überflügeln könne ...

So war denn Polykleitos während seines Aufenthaltes zu Olympia ohne Umgang mit Pheidias und seinen Genossen, den Alkamenes ausgenommen, dessen offenes, heiteres und lebhaftes Wesen sich über kleinliche Bedenken immer gerne hinaussetzte, und der denn auch soeben jetzt, bei zufälliger Begegnung, unbefangenes Gespräch mit dem argivischen Kunstgenossen angeknüpft hatte.

Polykleitos, ein besonnener, verständiger Mann, bei welchem auch die Gegnerschaft dem Pheidias und seiner Schule gegenüber ohne leidenschaftliche Bitterkeit war, erkundigte sich nach Agorakritos, und fragte, warum dieser nicht seinem Meister gefolgt sei, um so, wie auf der Akropolis zu Athen, auch hier an der Seite desselben Rühmliches vollenden zu helfen.

»Du wunderst dich mit Recht«, sagte Alkamenes, »daß gerade der Lieblingsschüler des Meisters hier fehlt, während ich, der ich seit dem Siege, den ich mit meiner Aphrodite über diesen Lieblingsschüler errungen, der persönlichen Zuneigung des Meisters mich kaum mehr rühmen darf, ihm doch auch hierher gefolgt bin und fortfahre, an seiner Seite zu wirken. Nun, wenn man zusammen leben und wirken soll, so kommt es nicht darauf an, ob man mehr oder weniger sich liebt, sondern darauf, ob man verträglicher Natur ist. Ich für meinen Teil hätte die Genossenschaft des Agorakritos, obgleich er mir feindlich gesinnt ist, immerhin ertragen; nicht so er, und nur um mein verhaßtes Angesicht nicht mehr zu sehen, ist er seit der Vollendung des Parthenon seine eigenen Wege gegangen. Er hat inzwischen einen Zeus für Koroneia zu fertigen übernommen. Aber wie er damals, als er eine Aphrodite zu meißeln sich vorsetzte, eine Nemesis fertig brachte, so nahm man seinen Zeus, als er vollendet stand, für einen Gott der Unterwelt. So verliert er immer mehr sich im Düsteren, und da meine Kunstweise mehr und mehr die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen, so sind wir auf einem Punkte des Gegensatzes angelangt, wo wir allerdings nicht mehr dazu taugen, an der Lösung gleicher Aufgaben nebeneinander zu arbeiten.«

»Dein lebhafter Geist, Alkamenes«, erwiderte Polykleitos, »treibt dich, große Schritte in der Kunst zu machen, welchen deine Genossen überhaupt nicht leicht zu folgen vermögen.«

»Ich konnte mich hier freier bewegen, als bei den Werken auf der Akropolis zu Athen«, sagte Alkamenes. »Dort hielt des Meisters Geist nach festem Plane alles Schaffen zu strenger Einheit zusammen; hier überließ er mir und dem Paionios den äußeren Schmuck des Tempels ganz und gar, er selbst aber blieb völlig versenkt in seinen olympischen Götterbeherrscher.«

Als Alkamenes diese Worte gesprochen, hafteten seine Augen plötzlich auf einer entfernten Stelle im Schwarme derjenigen, welche das Ufer des Alpheus entlang wogten. Er schien dort jemand erkannt zu haben, und sein Wesen begann eine ungewöhnliche Aufregung zu verraten. Er wendete sich zu Polykleitos und sagte:

»Siehst du dort den stattlichen, würdevollen Mann, der an der Seite eines dichtverschleierten Weibes von reizender Gestalt im Gedränge sich Bahn zu machen sucht? Es ist Perikles aus Athen, begleitet von seiner Gattin, der schönen Milesierin Aspasia.«

»In der Tat«, sagte Polykleitos, »ich erkenne den Perikles wieder, ich habe ihn vor Jahren zu Athen gesehen. Aber fremd ist mir das schöne Weib.«

»Ein eben so gefährliches und schlaues, als schönes Weib!« sagte Alkamenes. »Man kann sie nicht lieben, ohne sie zu hassen, und nicht hassen, ohne sie zu lieben.«

Als Perikles und Aspasia den Alkamenes erblickten und an seiner Seite den Polykleitos und näher kommend das athenische Paar und die beiden Bildner bei der Begegnung sich herzlich begrüßten, erkundigte sich Perikles sogleich nach Pheidias.

»Wir sind«, sagte er, »gestern am späten Abend hier in Olympia eingetroffen, nicht um die Spiele mit anzusehen, welche für mich den Reiz der Neuheit längst verloren haben, und welchen als Zuschauerin beizuwohnen meiner Gattin, als einer Frau, versagt ist, sondern nur um des Pheidias und seines Gottes willen, von welchem man Wunderdinge schon jetzt erzählt. Nun sind wir eben daran, den Meister aufzusuchen, und du, Alkamenes, wirst uns ohne Zweifel gerne zu ihm geleiten.«

»Er befindet sich im heiligen Haine«, erwiderte Alkamenes, »im neuvollendeten Tempel des Zeus. Er hat sich dort mit Gehilfen und Arbeitern eingeschlossen und will niemand den Zutritt gestatten, teils um nicht in seinem Tun gestört zu werden, teils weil er sein Werk den Augen der Menschen nicht früher preisgeben will, als bis es an seinem Orte und in seinem vollen Glanze völlig aufgerichtet dasteht. Erst nach Beendigung der Spiele wird der Tempel eröffnet werden. So strenge nun auch der zurückgezogene und fast menschenfeindliche Mann alles von sich abwehrt, will ich es doch versuchen, in den verschlossenen Tempel zu ihm einzudringen und ihm Gäste anzukündigen, welche mit Freuden zu empfangen er gewiß nicht säumen wird.«

»Laß das, Alkamenes!« sagte Perikles; »auch von uns soll Pheidias nicht gestört werden in seinem Tun; und auch von uns wird er wünschen, daß wir sein Werk nicht anders als im Glanze der Vollendung schauen. Wir wollen uns ein wenig gedulden. Aber die feierliche Eröffnung des Tempels gedenke ich mit Aspasia nicht zu erwarten. Nicht im Gedränge unzähliger Hellenen möchten wir jenes Anblicks zum erstenmal genießen. Ich hoffe, daß Pheidias wenigstens einen Tag vorher uns in die Halle des noch einsamen Tempels führt und uns vergönnt, sein völlig aufgerichtetes Götterbild in der Stille zu betrachten.«

»Du wirst, o Perikles«, erwiderte Alkamenes, »mit diesem Wunsche gewiß dem Wunsche des Meisters selbst entgegenkommen. Wollt ihr also den Pheidias für jetzt in seinem Tempel ungestört lassen, so begnüget euch mit mir und dem wackeren Polykleitos hier, der auf dem Boden Olympias heimisch ist, wie kaum ein zweiter Hellene, und dessen Erz- und Marmorbilder dort zwischen dem Laube der Platanen und Oelbäume des heiligen Haines glänzen.«

Mit freundlichem Danke nahmen Perikles und Aspasia das Geleit der beiden kunstberühmten Männer an.

Sie durchschritten mit einander das unabsehbare Gewimmel des großen, freien Bezirks, welcher sich ausdehnte zwischen dem baumbeschatteten Ufer des Alpheus und dem heiligen Haine Altis, wo des olympischen Zeus neuer Festtempel sich erhob inmitten eines Waldes von Erz- und Marmorbildern.

Sie gingen vorüber an den Behausungen, bestimmt für die zahlreichen Personen, welche dem Dienste des Tempels angehörten, an den Herbergen, welche für die Fremden lange nicht ausreichten, an den Räumen zur Aufbewahrung der Kampfwagen, an den Behältern, in welchen die edlen Rosse und Maultiere wieherten. Den größeren Teil des herbeiströmenden Volkes sahen sie im Freien unter Zelten gelagert.

Nach wenigen Schritten stießen sie auf das Prachtzelt der Festgesandtschaft von Sikyon, etwas weiter hin auf das von Korinth, dann auf jene von Argos, von Samos, von Rhodos und andere. Um diese Zelte drängten sich viele, insonderheit die mit den Eignern durch Landsmannschaft verbundenen. Dann hieß es wieder: dies hier ist das Prachtzelt des reichen Periander aus Chios, das des reichen Euphorides aus Orchomenos, das des reichen Pauson aus Eretria. Die Bewohner der Zelte standen am Eingange derselben, schwatzend und sich lebhaft gebärdend, und grüßten ihre Freunde und luden sie ein, unter den Schatten ihrer Purpurlinnen zu treten. Fremde, sonnengebräunte Jünglinge näherten sich ihnen, und trachteten mit den Hälften zerbrochener Ringe, deren andere Hälften in den Händen der Angeredeten waren, als die Söhne und Angehörigen alter Gastfreunde sich zu erweisen.

Verkaufsbuden aller Art schlossen sich an die buntfarbige Zeltstadt.

Der Volksschwarm wogte. Man hörte die verschiedensten hellenischen Mundarten durcheinander schwirren. Man verstand einander nicht immer. Neben der härteren Rede des Peloponnesiers, der breiten des Thebaners, der plumpen des Megarers, erklangen die weichen ionischen und äolischen Laute. Aus dem Gewühl der Hellenen traten vor allen erkennbar die lebhaften, heiterblickenden Athener und die ernsten, finsteräugigen Sparter hervor. Oft sah man einen von diesen und einen von jenen zum mindesten mit einem feindseligen Blicke sich messen.

Auch die reckenhaften Gestalten der Athleten waren umherwandelnd zu sehen. Man wies mit dem Finger auf sie und nannte ihre Namen und ihre Siege.

Vor dem Zelte der chiotischen Festgesandtschaft erblickten Perikles und Aspasia einen weinenden Knaben, welchen ein hochbetagter Greis, sein Großvater vielleicht, vergebens zu trösten suchte. Perikles fragte nach der Ursache dieser vergossenen Tränen und erfuhr, daß der Knabe unter dem Vorwurfe der Weichlichkeit vom Wettkampfe der Knaben ausgeschlossen worden, weil er mit langem Haar und einem Purpurkleide nach Olympia gekommen. Mit halb spöttischen, halb erregten Worten tadelte Aspasia ohne Scheu vor denjenigen, die es hören konnten, die finstere, altväterische Strenge der elischen Kampfspielaufseher; dann streichelte sie tröstend das dunkle Lockenhaar des Knaben und sagte: »Weine nicht! Perikles von Athen wird sich für dich bei den Hellanodiken verwenden!« –

Immer dichter füllte sich mit Menschen der weite Bezirk. Hier und da stauten sich die Massen. Perikles und Aspasia trafen im Weiterschreiten auf Gruppen, sich drängend um Bildner, welche ihre Werke hier öffentlich ausstellten, oder um Rhapsoden, oder um einen hellstimmigen Mann, der eine Art von Rednerbühne bestiegen, dem horchenden Hellenenvolke die von ihm verfaßten Geschichten griechischer Städte und Inseln vorzulesen, oder um einen trefflichen Tonkünstler, oder um Männer in auffallender Purpurtracht und stolzer Haltung, welche durch die sie bestaunende Menge schritten, Sophisten, welche den Ruhm ihres Namens zu Olympia noch vermehren wollten, und welche der um sie versammelten Menge eine Prunkrede zu halten bereit waren über jeden beliebigen Gegenstand; oder um ein unscheinbares Männlein, auf dessen kahlem Scheitel unter der brennenden Sonne von Elis der Schweiß wie morgendliche Tautropfen funkelte, und welcher eine astronomische Tafel, ein Werk des Scharfsinns und mühevoller Berechnung, zur allgemeinen Besichtigung ausstellte.

Ein hochbetagter, weißlockiger Sparter blickte recht finster und mißvergnügt auf dies ehrgeizige Treiben. »Ich lobe mir die Zeit«, sagte er zu dem Gefährten an seiner Seite, »wo Olympia nichts weiter war als der Kampfplatz für die Betätigung hellenischer Manneskraft, während es jetzt immer mehr zu einer Schaustellung weibischer und weichlicher Künste mißbraucht wird. Als ich noch ein Knabe war, da fand man hier nichts Verkäufliches außer den unumgänglichen Lebensmitteln und etwa noch den Gegenständen, welche unmittelbar zu dem Feste gebraucht wurden, wie Schmucksachen, Stirnbinden, Kränze. Jetzt strotzen die Verkaufsbuden von eitlem Tand; wir haben zur Festzeit eine große Messe von Hellas hier, bei welcher das Krämervolk von allen Städten und Inseln seine verlockendsten Waren ausstellen will. Auch wimmelt es immer mehr von Rhapsoden, Musikern, Bildnern, Sophisten und anderem Volke dieser Art und bald wohl verschwindet der große Zweck des altheiligen, olympischen Festes unter den Schaustellungen und Bezeigungen unmännlichen Wetteifers, mit welchen Athener und andere Hellenen des Flachlandes, der Inseln und der ionischen Küste sich vorzudrängen versuchen. Ehrsüchtige Toren! Jeder will mit etwas prunken, jeder will bemerkt sein. Dort, siehst du, ritzen einige Megarer ihre Namen in die Rinden der Pappeln am Alpheus, um doch auch etwas für ihre Unsterblichkeit zu tun.«

»Einige sehe ich dort auch beschäftigt«, versetzte der Gefährte, »die schönen, buntfarbigen Kiesel aus dem Sande des heiligen Stromes aufzulesen. Ich muß auch einige dort sammeln, um sie meinem Knaben zu bringen, damit er frühzeitig an Olympia denke.«

Damit verlor der Freund des Sparters sich unter den Pappeln des Alpheusufers.

In diesem Augenblicke erklang wieder die alles übertönende Stimme des Herolds, welcher von Zeit zu Zeit, die Zeltstadt und das Menschengewimmel durchschreitend, die Augen und Ohren aller Hellenen für einen Augenblick auf seine Person vereinigte. Er war der allgemeine Mund der Hellenen. Er verkündete die verschiedensten Dinge. »Die Panormitaner und Leoniter verständigen feierlich alle Hellenen von dem Friedensvertrage, welchen sie mit einander nach Beilegung ihrer Streitigkeiten geschlossen haben!« Und wieder: »Die Magnesier bringen den Hellenen zur Kenntnis, daß sie mit den Larissäern und Demetriern zur Verteidigung für immerwährende Zeiten sich verbündet haben!« –

Jetzt aber erscholl sein volltönender Ausruf: »Die Lechäer danken vor dem gesamten Hellenenvolke den Phliern für die ihnen im Streite mit den Kenchräern geleistete Hilfe!« –

»Das lohnte die Mühe!« rief ein anwesender Kenchräer mit spöttischem Lächeln. »Meinen die Lechäer in der Tat, daß wir uns vor ihnen und den Phliern gefürchtet? Beim Herakles! Sie werden am nächsten olympischen Feste ganz andere Heroldsrufe vernehmen!«

»Nur immer zu!« entgegnete spöttisch ein Lechäer, der unferne stand, »wir haben noch Pfeile genug, um die ganze Kenchräerstadt damit zu bedecken!«

»Und wir noch Lanzen genug«, versetzte der Kenchräer, »um die Nieren sämtlicher Lechäer darauf zu spießen!«

»Weg da«, rief zornglühend der Lechäer, »sonst erkennst du morgen dein Gesicht im Spiegel nicht wieder!« – Dabei erhob er die Faust.

Ein Athener fiel ihm in den Arm: »Was soll das? – Laß den Kenchräer, oder du hast's mit mir zu tun!«

»Ei, siehe da«, begann ein Samier unter den Zuschauern, welche um die Streitenden sich drängten; »die Athener wollen sich einschmeicheln sogar bei den Kenchräern, und man weiß, worauf sie bei ihren Gunsterschleichungen es immer absehen!«

»Ja wohl, man kennt das!« fielen einige Sparter und Argiver ein. »Seit einiger Zeit«, rief einer der Argiver, »bewerben sich die Athener wieder auffallend um gute Freundschaft auf der Landenge und an den Eingängen des Peloponnesos!«

»Haben sie denn Zeit?« rief einer der Sparter grinsend. »Ist denn der große Perikles, der Olympier, schon fertig mit seinen großen Prachttempeln und Propyläen und goldelfenbeinernen Pallasbildern? Und gelüstet's der Hera des athenischen Olympiers, ihr Reich auch jenseits der Fichtenwälder des Isthmos auszubreiten?«

»Ihre Freunde und Vorkämpfer hat sie ja schon vorausgesendet!« rief der Argiver, mit dem Finger über seine Schultern nach der Werkstätte des Pheidias hinüberdeutend.

Die anwesenden Athener wollten den Spott sich nicht gefallen lassen. Wilder und allgemeiner drohte das Wortgefecht zu entbrennen.

Da erklang plötzlich eine gewaltige und wohltönende Männerstimme, von so wunderbarer Eindringlichkeit, daß sie augenblicklich sich allgemeines Gehör verschaffte.

»Wessen ist die Hellenenzunge«, rief der gewaltige Sprecher, »die da spöttelt über die neuen Tempel und Götterbilder der Athener? Was rühmliches zu Athen geschaffen worden, das ist geschaffen zur Ehre des gesamten hellenischen Namens! Und bedenkt, daß seit Jahrhunderten immer Friede gehalten worden von unseren Vätern, wess' Stammes sie sein mochten, auf dieser Stätte, wo die heiligen Wasser des Alpheus den Takt rauschen zum olympischen Festreigen des gesamten Hellenenvolks. Zu friedlichem Wettkampfe haben wir immer hier uns eingefunden; hier war heiliger Boden, hier Gottesfriede. Im Tempelbezirk des gemeinsamen Gottes Zeus vereinigt uns das Panhellenenfest. Haltet Frieden, Stammesbrüder, auf der pisatischen Au! Nicht Waffen sollen hier zusammenschlagen, und kein Erzklang soll hier vernommen werden, als das Geklingel prüfend aneinander geschlagener Ringhälften, an welchen hellenische Gastfreunde aller Gaue sich liebend erkennen!« –

Der Ausruf »Perikles!« hallte nach diesen Worten hin durch die Menge. »Perikles von Athen! Perikles, der Olympier!« Väter hoben ihre Knaben empor, um ihnen den Perikles zu zeigen. Nur von wenigen war er vorher erkannt worden. Jetzt, nachdem er gesprochen, nachdem sein olympischer Rededonner erklungen, erkannte ihn das gesamte Griechenvolk. Und noch fand, was er gesprochen, ein Echo in den Herzen der beweglichen, leicht erregten Hellenen. Ein Beifallsruf widerhallte bis über den Alpheus, und die Wasser des Stromes schienen aufrauschend mit einzustimmen.

Perikles entzog sich der Menge, indem er mit Aspasia und den Freunden in den heiligen Hain Altis trat und dort sich verlor zwischen den Tempeln und Heiligtümern aller Art, den Standbildern, Dreifüßen, Denksäulen, umsäuselt vom Laub der Oelbäume, der Weißpappeln, Platanen und Palmen. Von der Giebelspitze des neuen Zeustempels funkelte ihnen eine vergoldete Siegesgöttin, zwischen zwei ebenfalls vergoldete Preisgefäße gestellt, augenblendend entgegen. Sie betrachteten auf dem hinteren Giebelfelde die Bildwerke des Alkamenes. Er hatte dort den Kampf der Lapithen und Kentauren ausgeführt und darin seiner Vorliebe für bewegtes Leben und mannigfachen Wechsel der Stellungen und Gebärden mehr als auf der Akropolis die Zügel schießen lassen.

Geführt von Polykleitos und Alkamenes, betrachteten Perikles und Aspasia hierauf die übrigen, zahllosen Wunder des heiligen Haines.

Zuletzt stiegen sie eine freie Treppe empor, welche aus der Altis nordwärts auf eine mächtige breite Terrasse hinaufführte. Diese Steinterrasse zog längs des südlichen Fußes des Kronoshügels bis zum Stadion sich hin. Auf ihr stand eine Reihe von sogenannten Schatzhäusern verschiedener Städte, in welchen diese ihre nach Olympia gestifteten Weihegeschenke hinterlegten.

Von den Schatzhäusern den Kronoshügel aufwärtssteigend, sahen Perikles und Aspasia die Heiligtümer, welche diesen Hügel schmückten. Vom Gipfel desselben aber hatten sie den schönsten Ausblick über ganz Olympia. Sie sahen unter sich den heiligen Hain Altis mit seinen Tempeln und Standbildern sich ausbreiten; sie sahen jenseits der Altis den majestätischen Strom Alpheios durch die Ebene dahinwallen; sie sahen zur Rechten den Fluß Kladeos, aus den pisatischen Bergen herabkommend, seine Wasser mit denen des Alpheus mischen; sie sahen zur Linken das Stadion und weiter abwärts den Hippodrom, die Schauplätze der olympischen Wettkämpfe, den heiligen Hain begrenzend. Zur Rechten vom Kronoshügel, näher dem nördlichen Ausgange der Altis, sahen sie Gebäude, welche die Mittelpunkte der Verwaltung Olympias bildeten, und wo sowohl die Kampfrichter, als die Athleten selbst das Gesetz des Rumpfes vor dem Standbilde des mit doppeltem Blitzstrahle bewaffneten Zeus Horkios beschworen. Darüber hinaus aber war von allen Seiten nichts zu erblicken als der Kranz ragender Berge, in deren Hut die heilige Feststätte von Olympia lag.

Das Auge der Männer weilte mit Behagen auf diesem Bilde. Aspasia aber begann über glutende Schwüle zu klagen und über die vielen Stechmücken, welche sie belästigten.

»Wie kommt es nur«, sagte sie, »daß die Hellenen für ihre Athletenkämpfe die Hochsommerzeit und diese schwüle, sumpfige Niederung des Alpheios sich gewählt?«

»Der Stifter Herakles hat an die Mücken nicht gedacht!« sagte Alkamenes lächelnd.

»Und wir Männer bisher auch nicht!« fügte Perikles hinzu. »Du hast nicht wohl getan, Aspasia, uns aufmerksam zu machen auf diese kleinen Blutsauger und ihre Frechheit!« –

Durch die Altis zurückkehrend, verweilten Perikles und Aspasia nur noch bei den Standbildern des Polykleitos.

Immer lebhafter war inzwischen in des Tages Verlauf das Getümmel und die Bewegung geworden zwischen der Altis und dem Alpheios. Zahlreiche Opfer wurden gegen Abend dargebracht bei den mit Blumen umkränzten Götteraltären der Altis. Man sah die Athleten nach Vorbedeutungen ihres Erfolges in den Eingeweiden der Opfertiere spähen. Den größten Schwarm von Zuschauern versammelte das festliche Brandopfer auf dem altberühmten Aschenaltare des Zeus.

Die Vollziehung dieser heiligen Gebräuche dauerte bis tief in die Nacht, unter dem Schalle der Musik und beim Scheine des Mondes, welcher sich seiner Vollheit näherte. Alles ging vor sich in pomphafter Weise und doch in schöner Ordnung zugleich, in Ehrfurcht gebietender Stille. Um Mitternacht erst erloschen die Fackeln im heiligen Haine, und die letzten Flammen auf den Opferaltären sanken verglimmend in sich zusammen. Jetzt aber eilte schon ein nicht geringer Teil des Volkes zu der Rennbahn hin, um dort, seiner Plätze sicher, die grauende Frühe und den Beginn der Spiele zu erwarten.

Am Morgen bestiegen Perikles und Aspasia wieder den Kronoshügel.

Das Auge des Perikles hing an dem menschenwimmelnden Stadion, dessen Anblick aus der Ferne sich darbot, mit dem Anteil, welchen eine solche Schau dem Griechen immer abgewann. Er hatte nur Aspasia zu Liebe dem Genuß entsagt, sich unmittelbar unter die Zuschauer im Stadion selbst zu mischen. Nicht mit dem gleichen Wohlgefallen wandte das Auge der Milesierin dem Schauplatze sich zu, wo mit gewaltsamem, zum Teil fast mörderischem Eifer gesteigerte Leibeskraft in Staub und Sonnenglut sich betätigte.

»Warum streift dein Auge beinahe verachtend jene schaulustige Menge?« fragte Perikles.

»Scheint es nicht«, sagte Aspasia, »als ob das Hellenenvolk, so groß geworden in vielem, was wahrhaft schön und herrlich, die höchste seiner Ruhmeskronen dem Athleten von Olympia vorbehielte? Soll in der Tat der Arme Kraft und der Füße Behendigkeit als der höchste aller Vorzüge gelten dürfen auf hellenischem Boden?«

»Ich begreife dich«, versetzte Perikles; »du bist die Vorkämpferin der Weiblichkeit und alles dessen, was das Leben verfeinert, veredelt, verschönert. Hier aber feiert die rauhe Männlichkeit ihre Triumphe.«

»Ein echtes Dorerschauspiel«, sagte Aspasia, »ist ein solcher Ring- und Faustkampf, bei welchem die Männer gegen einander wüten, bis das Blut ihrem Schlund entstürzt. Du hast recht, ich hasse diese Spiele; denn wo die Männlichkeit über ihr Ziel schweift, da scheint mir die Barbarei nicht ferne. Ich fürchte, daß der rohe Reiz dieses Schauspiels den Sinn der Menschen immer mehr bestrickt und sie aufs neue der Verwilderung cntgegenführt.«

»Du gehst zu weit!« versetzte Perikles lächelnd.

Der Widerstreit in den Meinungen des Perikles und seiner Aspasia sollte noch vor Ablauf dieses Tages durch eine kleine Scene, von welcher sie Zeugen wurden, einen weiteren Sporn erhalten.

Als nämlich Perikles und Aspasia am Abende desselben Tages im Geleit des Polykleitos und des Alkamenes in der Nähe des Stadions umhergingen, und Aspasia die ihr fremden Räume betrachtete, so geschah es, daß, während sie eben zur Rast auf eine Steinbank sich niederließen, ein Schwarm von Athleten, welche an den Kämpfen des Tages teilgenommen, einem anderen Schwarme begegnete, worauf der gesamte Haufe, zum Teil auf den Boden sich hinwerfend, in ein sehr lebhaftes Gespräch sich verwickelte. Die Kämpfe des ersten Tages wurden mit Worten noch einmal durchgekämpft, und jeder Erfolg einem scharfen Urteil unterzogen. Jene, welche unterlegen waren, setzten auseinander, durch welchen Zufall ihre Gegner Meister geworden, und wie der Sieg nur eben an einem Haar gehangen, oder sie beschuldigten die Gegner geradezu, daß sie gegen die Regeln des Kampfes gesündigt hätten. Aber es half ihnen meist doch wenig, und sie mußten zuweilen auch noch den Spott der Genossen vernehmen.

»Gleich viel, guter Theagenes«, hieß es, »du mußt die Püffe tragen, die du von Nikostratos erhalten. Ganz erbärmlich bist du anzusehen mit dem ölgetränkten Lappen um das zerschlagene Haupt und verbreitest den Geruch eines Laternenpfahls!«

»Spottet nur!« sagte der so Angeredete, ein noch jugendlicher Ringer und Faustkämpfer, welcher übel zugerichtet war und daher den Kopf mit einem ölgetränkten Tuche umwickelt trug.

»Spottet nur!« sagte er; »ich habe jetzt erprobt, was Fleisch und Bein zu ertragen im stände ist. Püffe habe ich erhalten auf das Haupts welche, glaube ich, einen Quaderstein zermalmt hätten. Und meint ihr, daß ich außer einer kleinen Erhitzung ein Ungemach im Haupte verspüre? Höchstens ein paar unschädliche Beulen sind aufgelaufen. Aber das Rückgrat fängt nachgerade an, mich ein wenig zu schmerzen – es mag wohl von der Gewalt herrühren, mit welcher ich im Ringkampf rücklings auf den Boden hinstürzte.«

»Man sieht, daß du ein Neuling bist!« sagten die andern, »da du noch nicht weißt, daß das Haupt der unempfindlichste, das Rückgrat aber der empfindlichste Teil des Menschen ist!«

»Dein Rückgrat wird sich in drei Tagen erholen«, sagte einer, »aber sieh mich an: woher soll ich nun gleich meine Zähne wieder bekommen? Hätte ich sie ausgespuckt, als ein Faustschlag des Meleager sie mir traf, so hätte ich meine Schlappe damit eingestanden; so habe ich sie lieber hinabgeschluckt. Es ist eine unangenehme Sache, seine Zähne, statt im Munde, im Magen mit sich herumzutragen.«

»Du wirst sie verdauen!« sagte der Böotier Knemon. »Ein Athletenmagen muß auch Zähne verdauen.«

»Davon werde ich schwerlich so viel Fleisch auf die Glieder bekommen, wie du hast!« versetzte Theagenes. – Knemon war in der Tat ein ältlicher, ungeschlachter Geselle, welcher das Mark vieler Rinder, Kälber und Lämmer in sich gesogen. Die Ohren waren ihm zerquetscht von Faustschlägen; ehern schien sein Fleisch an der breiten. gewölbten Brust und am Rücken; er glich einem hammergeschmiedeten Erzbilde. An den Armen strotzten die Muskeln rund und fest gleich Steinen im Flußbette, welche die Flut in ihren Wirbeln lange Zeit gewälzt und gerundet hat.

»Meint ihr«, rief er, »daß ich einem von euch nachstehe, weil ich ein wenig schwerfällig bin und nicht so leichtfüßig wie ihr? Nun, ein Schnelläufer bin ich nicht, aber ich bin der Mann, den man so wenig umwirft als eine eherne Säule. Und wenn die Erde selber bebt – ich bleibe stehen!«

Dabei legte Knemon eine Wurfscheibe auf den Boden und fuhr fort:

»Wohlan! ist einer unter euch, der mich hinunterstößt?«

Vergebens erprobten die Athleten einer nach dem andern ihre Kraft. Nun ließ Knemon die Wurfscheibe mit Oel begießen, so daß sie sehr schlüpfrig wurde. Aber auch jetzt behauptete er sich auf derselben.

Dann streckte er seine rechte Hand gerade aus und hielt die ebenfalls ausgestreckten Finger der Hand fest aneinander geschlossen. »Nun versucht es einmal«, rief er, »den kleinen Finger da von den übrigen loszureißen!« –

Sie versuchten es, aber der Finger schien wie mit Erz an die andern gelötet.

»Das will nichts sagen!« rief prahlerisch der Argiver Sthenelos. »Ich halte, wenn es sein muß, ein Viergespann in vollem Laufe fest, indem ich ihm mit der Hand in die Speichen greife!«

»Und ich«, sagte der Eleer Thermios, »ich habe zu Pylos einmal einen Hengst beim Hufe gefaßt, und als er sich losriß, behielt ich den Huf in der Hand.«

»Das sind Kraftstücke«, sagte der Thessalier Euagoras; »aber tut mir einmal nach, was ich zu Larissa getan: ich habe dem berühmten Schnelläufer Kresilas im vollen Wettlauf die Sandalen von den Füßen gestohlen!«

»Wie!« rief der Sparter Anaktor, »der thessalische Leichtfuß will vor Männern der Faust sich brüsten? Was helfen dir deine geschwinden Beine, wenn ich dich da mit dem Gesicht in den Boden pflanze?«

»Meine Fäuste sind nicht schlechter als meine Beine!« rief der Thessalier; »und wenn ich dich anrühre, so magst du deine Knochen hier aus dem Sande zusammenlesen!« »Schweig!« rief der Sparter, »sonst quetsche ich dir die Augen aus, wie der Koch dem Tintenfisch!«

»Ich zerzause dich«, entgegnete der Thessalier, »daß dich die Ameisen brosamenweise hinwegtragen!«

»Ihr kämpft mit Worten!« rief der Böotier Knemon dazwischen. »Das ist nicht Athletenbrauch. Laßt es doch auf eine Probe ankommen!«

»Das wollen wir!« riefen die beiden.

»Sehr gut!« sagte der dicke Thebaner; »aber was wollt ihr eigentlich? Wollt ihr miteinander wettlaufen, oder wollt ihr euch mit der Faust bearbeiten? Lauter nicht zu verachtende Proben. Indessen, wißt ihr, was des Athleten beste Probe ist, und worin sich alle Athleten, seien sie nun Schnelläufer oder Faustkämpfer oder was immer, wie auf einem gemeinsamen Gebiete begegnen?«

»Nun?« fragten der Sparter und der Thessalier zugleich.

»Des Athleten beste Probe«, sagte der Thebaner, indem er dabei sich den Bauch strich, »bleibt die Kraft der Verdauung. Denkt an Herakles; er erwürgte die Löwen nur so dutzendweise im Gebirg, aber er war auch der Mann, der einen Stier auf einem Sitze verzehrte. Hier ist Rhodos, ihr Männer, hier tanzet! Laßt, ich will nicht sagen ein Rind – denn was wäre Herakles, wenn er nicht der einzige in seiner Art bliebe? – aber doch einen großen, fetten Hammel braten, und teilt ihn in zwei gleiche Hälften und verzehrt ihn auf einem Sitze! Wessen Magen früher seinen Dienst versagt, der gebe sich besiegt, denn er ist der schwächere von euch beiden.«

»Ganz recht«, scholl es in der Runde; »Anaktor und Euagoras sollen die große Athletenprobe vor unseren Augen bestehen! Wir bringen sogleich den Hammel herbei und braten ihn am Spieße.« Anaktor und Euagoras waren einverstanden. Und zugleich entfernten sich einige, um den stärksten Hammel, der zu finden sein würde, herbeizuholen.

Soweit war die Scene vor den Augen des Perikles und seiner Gefährten vorgeschritten, als Aspasia sich von ihrem Sitze erhob mit den Worten: »Laß uns gehen, Perikles; ich habe nicht länger Kraft genug, diese olympischen Wettkämpfe mitanzusehen!« –

Lächelnd erhoben sich nun auch die übrigen Männer und schlugen mit Aspasia den Rückweg ein.

»Das Gefühl Aspasias diesen Athleten gegenüber«, sagte Alkamenes, »scheint mir nicht mehr und nicht weniger zu sein, als das Gefühl eines Weibes, welches gesund ist an Leib und Seele, und welches von einem natürlichen und rechten Antriebe geleitet wird. Wozu sind sie denn eigentlich nütze, diese Kraftmänner? Sind sie denn im Kriege tüchtiger als andere? Mähen sie Reihen der Feinde nieder, wie die homerischen Helden? Nein! Die Erfahrung spricht dagegen. Sind sie geeignet, sich um die Verbesserung der menschlichen Rasse Verdienste zu erwerben? Nein! Auch dagegen spricht die Erfahrung. Sie taugen zu nichts, als zu dem, was sie im Stadion betreiben unter dem Beifallsjauchzen der Zuschauer.«

»In der Tat«, versetzte Perikles, »nicht an den Personen der Athleten selbst verwirklicht sich das Nützliche der Kunst, die sie betreiben. Aber groß und unschätzbar ist der Gewinn, der aus jener Schaustellung von ungebildeter Kraft und aus der dafür im Uebermaß gezollten Ehre hervorgeht, insofern das Hellenenvolk dadurch aufs lebhafteste daran erinnert wird, daß man des Körpers Fähigkeiten nicht weniger als die der Seele steigern und entwickeln könne. Größer ist die Gefahr, daß der Mensch sein Körperliches, als daß er sein Geistiges vernachlässige, denn zu geistiger Uebung und Betätigung fühlt er beständig durch einen inneren Drang und durch die Notwendigkeit sich getrieben. Die Ausbildung des Körpers aber pflegt er der Natur zu überlassen, wenn er nicht von außen dazu gespornt wird.«

Bei diesen Worten des Perikles hatten die Lustwandelnden eben den heiligen Hain erreicht und standen neuerdings einigen Standbildern berühmter Sieger von der Hand des Polykleitos gegenüber.

Aspasia sagte, den Blick auf diese Bilder gewendet:

»Wenn ich die Werke des Polykleitos hier betrachte, so scheint mir der Bildner in dieser Streitfrage auf meiner Seite zu stehen. Denn nicht das Uebermaß der Kraft oder die ungefüge Wucht der Glieder hat er darzustellen gewürdigt, sondern Bilder und Typen des rechten Maßes, der harmonisch, voll und rein entwickelten Gestalt stellt er vor Augen. Immerhin scheint mir der treffliche Polykleitos zu loben, daß er nicht wie Pheidias die sterbliche Natur beinahe verachtet, sondern ihr die Ehre gibt, die ihr gebührt, und daß, wie Pheidias das Göttliche am erhabensten darstellt, so er das anspruchlos Menschliche am klarsten verwirklicht.« Weniger angenehm, als Aspasia dachte, berührte dieser Lobspruch das Gemüt des Polykleitos.

»Der Künstler«, sagte er, »hängt ab von den Wünschen und Bedürfnissen derjenigen, welche seine Kunst in Anspruch nehmen. Daß es in Hellas nur dem Pheidias verliehen sei, die Götter würdig darzustellen, scheinen allerdings auch die Eleer zu glauben, indem sie ihn nach Olympia beriefen, nicht aber die Argiver, welche es mit mir, dem einheimischen Manne versuchen wollen und mir das Gold- und Elfenbeinbild der Hera in ihrem großen Tempel zu Argos zu fertigen aufgetragen.«

So sprach Polykleitos, und es gelang Aspasia nicht mehr, die sichtliche Verstimmung des Meisters auszugleichen. Er entfernte unter irgend einem Vorwande sich nach kurzer Zeit.

»Du hast, o Aspasia«, sagte Alkamenes lächelnd, »nun auch dem Polykleitos als Sporn gedient, damit er sein Bestes tue, und die Hera von Argos des Zeus von Olymipa würdig sei.«

»Ein treffliches Werk mag er, dem Pheidias nacheifernd, vollenden«, sagte Aspasia. »Aber so wie Pheidias, nachdem er mit seiner lemnischen Pallas einmal sich zur Erde herabgelassen, rasch wieder zum Olymp sich aufschwang und seither Buße tut zu den Füßen des olympischen Zeus, so, glaube ich, wird Polykleitos vom Olymp rasch wieder auf die Erde und auf sein eigenstes Gebiet heruntersteigen. Allerdings deutet der schwunglose Peloponnesier in seinen Gebilden des seelischen Lebens Bewegtheit und Tiefe wenig an; aber lassen nicht auch die athenischen Künstler noch etwas zu hoffen und zu wünschen übrig? Darf ich es euch gestehen, daß ich zuweilen Göttergestalten im Traume erblicke, die bisher kein Pheidias, kein Alkamenes, kein Polykleitos mit dem Meißel verwirklicht hat? In verwichener Nacht erschien mir Apollon, mir der liebste von allen Göttern, der Gott des Lichtes und der Töne. Er erschien mir in wunderbarer, schlanker, kühn und doch anmutvoll hinschreitender, sieghafter, bezaubernder Jünglingsgestalt. Tödlich getroffen krümmten vor seiner bloßen Erscheinung und vor dem Bogen in seiner ausgestreckten Hand sich die Drachen der Finsternis. Wer meißelt mir den Gott, wie ich ihn gesehen? Auch du nicht, Alkamenes! Aber du bist der feurigste unter den Bildnern, und mit beständig jugendlich bewegter Seele gibst du dem Leben und seinem Reiz dich hin. Darum erschließt wohl auch das Leben dir sein Geheimnis, und sein mächtiger Anhauch kräuselt in deinen Gebilden die allzu ruhige Fläche der reinen Gestaltung.«

Die Augen des Alkamenes erglühten in Begeisterung bei diesen Worten.

»Deinem Lieblingsgotte«, sagte er, »gedenken die Arkadier seit langer Zeit einen großen Tempel zu bauen; und um seinen Fries mit Bildwerken zu schmücken, wandten sie sich an Pheidias. Dieser wies sie an mich. Aber bedächtig ist der arkadischen Männer Sinn und wohl manches Jahr warten sie noch, bis etwa der Gott mit den tödlichen Geschossen sie zur Erneuerung des Gelübdes veranlaßt. Wenn sie aber dann ihres Planes und meiner gedenken, so sollen die Bildwerke jenes Frieses für alle Folgezeit von der Flamme Zeugnis geben, welcher freien Lauf zu lassen du mich ermunterst, Aspasia!«

»Sei ganz du selbst«, sagte Aspasia, »und horche nicht auf das Wort der Kalten und Strengen, und du wirst etwas schaffen, was selbst die Tadler staunend bewundern.«

Von diesem Augenblicke an erlosch der letzte Funke des Grolles gegen Aspasia im Herzen des Alkamenes.

Er suchte immer aufs neue ihre Gesellschaft, sprach mit ihr von seinen Plänen und Entwürfen, begeisterte, belehrte sich an ihrem Worte, und sie versagte ihm nicht, was er so eifrig suchte.

Am folgenden Tage war Perikles durch einen Zufall veranlaßt, einen kleinen Weg ohne Aspasia zu machen und sie in der Gesellschaft des Alkamenes, des Polykleitos und einiger anderen Freunde, welche er zu Olympia gefunden, zurückzulassen. Nach einem längeren Gespräche entfernten sich alle jene Männer bis auf Alkamenes, welcher die Unterredung mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit fortsetzte.

Immer feuriger wurden die Worte des Alkamenes, immer belebter seine Blicke.

Aber nicht bloß entflammt zeigte sich Alkamenes der Gattin des Perikles gegenüber, als er nun mit ihr sich allein fand, sondern er schlug auch unbewußt, wie es schien, und unwillkürlich einen Ton an, welcher etwas von Vertraulichkeit an sich hatte. Berechtigte ihn dazu die Willfährigkeit, mit welcher einst die kunstbegeisterte Milesierin in einen freundlichen Verkehr sich eingelassen mit dem begabtesten Jünger des Pheidias?

Aspasia empfand jenen Ton der Vertraulichkeit mit einem Gefühle gekränkten Stolzes. Der entflammte Alkamenes begann Vergleiche anzustellen zwischen den Formen ihrer reifen und denen ihrer früheren jugendlichen Blüte und sprach dabei von diesen Formen, wie man von Dingen spricht, mit welchen man gründlich vertraut ist.

Auch dies verletzte die hochgemutete Aspasia.

Alkamenes ergriff ihre Hand, musterte sie mit Kennerblicken, pries die Reize derselben und sagte, sie sei ihm ein unerschöpflicher Quell der künstlerischen Belehrung.

Aspasia entzog ihm die Hand und erinnerte ihn daran, daß Theodota nicht weniger unerschöpflich sei an belehrenden Reizen.

»Du zürnst mir, weil ich Theodota gepriesen!« rief Alkamenes.

»Habe ich es dich je entgelten lassen?« erwiderte Aspasia kalt; »hast du mich feindselig gefunden, als wir hier uns wiedersahen? Habe ich aufgehört, Hoffnungen, die dich ehren, auf dich zu setzen und dich, als den Fähigsten, zur Erreichung der höchsten Ziele zu spornen? Ich wußte, daß du mich haßtest, aber mir sind die Kunst des Alkamenes und Alkamenes selbst gesonderte Dinge. Ich habe weder die Liebe, noch den Haß des Alkamenes erwidert.«

»Kühl und verständig«, sagte Alkamenes, »möchten deine Worte klingen, aber sie sind in heimlicher Erregtheit scharf und bitter zugespitzt. Du zürnst mir dennoch um Theodotas willen! Vergib, was ich gegen dich verbrochen! was du meinen Haß nennst, es war die Rache der Liebe!«

»Lange bevor mir dein Haß offenbar wurde«, erwiderte Aspasia, »sagte ich dir schon, was ich dir soeben zu bedenken gab: daß eine Grenze gezogen ist zwischen dem Anteil, welchen der Geist des Menschen an etwas nimmt, und seinem Herzensanteil.«

»Auch beim Weibe?« fragte Alkamenes mit verwegenem Lächeln. »Ich wiederhole dir: du zürnst um Theodotas willen! Und ein Werk der Rache war es vielleicht auch, daß du in mir die alten Flammen wieder angefacht! – Noch einmal, vergib! verdamme nicht in diesem Augenblicke das Feuer, das du doch selber sonst im Wesen des Alkamenes gepriesen!«

Bei diesen Worten umfaßte der Ungestüme in auflodernder Leidenschaft das Weib des Perikles.

Die stolze Schöne traf den Angreifer mit einem Blicke, der ihm die verlorene Besinnung zurückgab.

In diesem Augenblicke trat Perikles herein. Er las, was vorgefallen, im Antlitze des Alkamenes.

Dieser nahm verwirrten Abschied und stürzte fort, mit neuerdings verwandeltem Herzen, beschämt, von Unmut gegen Aspasia erfüllt.

Perikles war bleich.

»Bedarf es einer Erzählung?« sagte Aspasia; »du hast in den Mienen des Alkamenes gelesen« ...

»Es scheint«, versetzte Perikles, »daß Alkamenes dich behandelt hat, wie man ein Weib behandelt, das man« ...

»Vollende nicht!« sagte Aspasia.

»Ich weiß«, sagte Perikles, »welche Grenze du ziehst, im Sinne des Protagoras, zwischen deinen Reizen und deiner Person. Ich kenne jene Lehre, nach welcher die Schleier des Weibes zusammenschrumpfen dürfen auf ein Feigenblatt. Du siehst, Alkamenes hat eine andere Ansicht als du von der Unangreifbarkeit eines Feigenblattes. Er irrt, sagst du; aber seine Ansicht von der Sache, und nicht die deinige, ist bestimmend für seine Art und Weise, dir zu begegnen. Du kennst des Mannes nicht unedles, aber leidenschaftliches Wesen. Er wird von nun an doppelt gegen dich erbittert sein, er wird die Zahl deiner offenen Gegner vermehren.«

»Er findet, wie es scheint, bei dieser Gegnerschaft einen unverhofften Bundesgenossen!« sagte Aspasia.

Noch ein paar herbe Reden und Gegenreden fielen. Perikles verließ das Gemach Aspasias.

Unmutsvoll stieß Aspasia mit dem Fuße gegen den Boden.

»Dieser verwünschte Boden des Peloponnesos«, sagte sie, »bringt mir Unheil.«

Bald aber faßte sie neuen Mut. Es ist leichtes Gewölk, dachte sie, wie es unschädlich durch den heitern Himmel der Liebe segelt. Heller lodert die Glut nach der neuen Erwärmung auf, als vor der Erkaltung.

Aspasia täuschte sich nicht. – Aber bleibt hinter jenen heller auflodernden Flammen nicht doch vielleicht ein unbequemer Rest der alten Asche in der Brust zurück? Und vergißt die Liebe alles, was sie vergibt? –

Perikles und Aspasia waren zu Olympia die Gastfreunde des Pheidias. Er hatte ihnen Gemächer in einem der weiten Gelasse seiner Werkstätte zur Behausung eingeräumt. Er selbst aber blieb unsichtbar. Unablässig war er im Tempel mit der Vollendung und Aufrichtung des gewaltigen Gold- und Elfenbeinbildes beschäftigt. Er verweigerte jede Begegnung, aber er hatte durch Alkamenes versprechen lassen, daß Perikles und Aspasia die ersten im gesamten Volke der Hellenen sein würden, welchen er das größte Werk seiner Hände enthüllen würde.

Die mit Spannung erwartete Stunde kam heran.

Einem glutenden Sommertage war ein gewitterschwüler Abend gefolgt. Fliegendes, dunkles Gewölk hatte sich über den himmelanstarrenden Gipfeln der Berge gesammelt. Nach Einbruch der völligen Dunkelheit kam ein Sklave des Pheidias und meldete dem Perikles, daß er beauftragt sei, ihn und Aspasia ins Innere des Zeustempels zu führen. In ihrer Begleitung war, auf Aspasias Wunsch, das arkadische Mädchen. Sie durchschritten, dem Sklaven folgend, den heiligen Hain der Altis, der unter umwölktem Nachthimmel in tiefem Schatten lag. Einsam war es rings, und nur ein leises Rauschen ging schauernd durch die Wipfel der Bäume.

Nun erreichten sie den Tempel. Der Sklave schloß die Pforten auf und führte sie in das innere Tempelgemach. Dort lenkte er ihre Schritte auf einen etwas erhöhten Platz im Hintergrunde, wo sie sich niederlassen konnten. Dann entfernte er sich, die Pforte neuerdings hinter sich schließend, und ließ die drei allein im Dunkel. Ein schwacher Lichtschimmer fiel vom nächtlichen, wolkenumhangenen Himmel durch die Oeffnung der Tempelbedachung. Aber er drang nicht in die Tiefe des Raumes.

Stumm, fast ängstlich harrten Perikles und Aspasia und das Hirtenmädchen, Plötzlich zerriß vor ihren Augen der Schleier der Finsternis, und sie erschraken, geblendet durch eine plötzliche, unbeschreibliche Glanz-Erscheinung. Der Vorhang, welcher den Hintergrund des Tempelgemachs vom vorderen Raume getrennt hatte, war hinweggezogen worden, und die drei erblickten im hellen Lichte vor sich den Gold- und Elfenbeinkoloß des olympischen Gottes. Auf schimmerndem, reichgeschmücktem Throne war er sitzend gebildet und dennoch hinaufreichend bis zur Decke des Tempels mit jenem erhabenen Haupte, das in seiner göttlichen Ruhe schon durch eine Vorwärtsbewegung der Locken, nach dem Worte des Sängers, die Höhen des Olympos erschüttert.

Um die Elfenbeinglieder des Götterkönigs schlang sich golden der Mantel, die linke Schulter samt dem Arme und den unteren Teil des Körpers umhüllend. In buntfarbigem Email funkelte der goldene Mantel, der Zierat kleiner Figuren und blühender Lilien war in seine Fläche gleichsam eingestickt. Aus grün emailliertem Golde war auf die Locken des Olympiers der Oelbaumkranz gedrückt. In der Linken hielt er das, aus verschiedenartigen, edlen Erzen kunstvoll gearbeitete, bunt glänzende, ruhig nach vorn auf den Boden aufgestützte Scepter. Auf der ausgestreckten Rechten aber trug er eine Siegesgöttin, aus denselben Stoffen, wie die Gestalt des Gottes selber gebildet. Auf vier pfeilerartigen Füßen, zwischen welchen auch noch kleine Säulen standen, ragte der schmuckreiche Thron, strahlend in buntem Wechsel von Gold und Marmor, Ebenholz und Elfenbein. Dunkelblau war des Thronsitzes flache Vorderwand gefärbt, ein wohlberechneter Hintergrund für den Glanz des Goldes und des Elfenbeins.

Bedeutungsvoll umgab von allen Seiten reiches Bildwerk die Gestalt des Gottes und den Thron. Auf des Scepters Spitze saß ein Aar, goldne Löwenbilder schmückten die Stützen des Schemels, auf welchem die Füße des Götterbeherrschers ruhten. Sphinxe trugen des Thronstuhls Armlehnen, Sinnbilder der unerforschlichen Ratschlüsse Kronions. Auf den Seitenflächen des Thronsitzes erglänzten, von der Hand des Panainos gemalt, in heller Farbenglut die Taten des ruhmvollen Zeussohnes Herakles. Anderes Heldenhafte schloß sich an: auch die Bilder aller Kampfarten von Olympia.

Auf der breiten Fläche des Sockels aber, über welchem der Thron sich erhob, stieg die herrlichste der Zeustöchter, die goldene Aphrodite, aus dem Schaume des Meeres.

Göttlich mild erschien des Olympiers Angesicht, und doch voll unbeschreiblich erhabenen Ernstes. Die milde Güte war mit strenger Macht und ernster Weisheit wunderbar vereint. Vorwaltend aber war und überwältigend der Eindruck höchster Macht.

Aspasia barg fast erschrocken ihr Haupt an der Brust des Perikles. Schier unheimlich ergriff sie diese leuchtende Uebergewalt. Hier war nichts weibliches mehr dem Göttlichen beigemischt, wie in der Gestalt der Jungfrau Pallas Athene. Zu ihrem Gipfel emporgeführt war hier die männlich ernste, strenge, hohe Kraft des Götterbeherrschers.

Aspasia fühlte bei diesem Anblick etwas wie einen fliegenden, jähen Schmerz in ihrer Brust ...

Auch das Mädchen aus Arkadien war im ersten Augenblicke heftig erschrocken: gleich darauf aber zeigte es sich gefaßt und blickte zu dem Gotte empor mit der Zuversicht eines Kindes.

Das Gewitter war leise und allmählich heraufgezogen. Man sah durch des Tempels obere Oeffnung Blitze am Himmel zucken und hörte ferne Donner rollen.

Aspasia wollte den Perikles mit sich fortziehen. Er aber blieb in stummem Anschauen festgewurzelt. Auch er war gewohnt, von der Bildkunst einen anmutenden Eindruck zu empfangen. Hier aber sah er sich dem Erhabenen in nie geahnter Gestalt gegenüber. Es lag etwas wie eine neue Offenbarung in diesem Götterbilde.

Draußen rollten die Donner näher und näher.

Plötzlich fuhr ein Blitz durch die Oeffnung des Tempeldachs herab.

Perikles und Aspasia verloren für einen Augenblick die Besinnung.

Als die Blendung ihrer Augen vorüber war, sahen sie eine Marmortafel im Räume des Tempels, auf welcher die zwölf olympischen Götter in erhabener Arbeit gebildet waren, vom Blitze gespalten und geschwärzt ...

Das Antlitz des Zeus hatte im Schein des Blitzes einen Augenblick titanisch furchtbar aufgeleuchtet. Es war, als hätte seine Hand den Blitz geschleudert, der seine olympischen Nebengötter zermalmte ..

Aber nun glänzte das Antlitz des Gottes wieder in so ruhiger Hoheit fort, daß bei seinem Anblicke die Schrecken jener Blitzerscheinung besänftigt zerrannen. So groß erschien der Gott, daß ihn selbst die Blitze nur wie ein leichtes, mattes Funkenspiel umgaben.

»Dieser Gott des Pheidias«, sagte Perikles, verloren in tiefes Sinnen, »ist hinausgewachsen über die Tempel der Hellenen. Er strebt mit dem Haupte hinauf ins Unerreichliche, Unendliche« ...

Nur halb gezwungen folgte endlich Perikles der drängenden Aspasia.

Sie suchten den Pheidias auf.

Dieser aber hatte ungesehen die beiden beobachtet, während sie vor dem Bilde des Gottes betrachtend standen.

Jetzt verlor er sich und wich den Worten aus.

Er blieb verschwunden.

Als Perikles und Aspasia sinnend zurückgekehrt waren in ihre Behausung, da schüttelte Aspasia den Eindruck der ernst-erhabenen Schau von ihrer Seele ab, wie ein Vogel funkelnde Regentropfen von seiner leichten Schwinge schüttelt.

Nicht so Perikles.

Aber Aspasia ruhte nicht, bis sie den olympischen Ernst auf seiner Stirne gemildert hatte.

Zuletzt trat auch ihm das Unheimliche, ernst Erhabene des unter Blitz und Donner Geschauten in den Hintergrund, und des unvergleichlichen Bildners Bewunderung gewann in seiner gehobenen Seele die Oberhand.

Noch mit geschlossenen Augen sah im Schlummer jener Nacht das Mädchen aus Arkadien sich umwogt von Lichtströmen, aus Goldglanz, Elfenbeinschimmer und Blitzgefunkel wundersam gemischt.

Aber Perikles fuhr ein paarmal unruhig aus dem Schlaf empor. Er hatte geträumt, der sitzende Gott des Pheidias habe sich in seiner ganzen Größe aufgerichtet und mit seinem Haupte die Decke des Tempels in Trümmer gestoßen.

Und Aspasia hatte einen andern wunderlichen Traum.

Sie sah den Adler des Zeus, wie er von der Spitze des Scepters herunterflog gegen den Sockel, und dort mit seinem Schnabel den Tauben der goldenen, heiterlächelnden, wonnigen Aphrodite die Augen aushackte ...

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