Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

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X. Die Trinkkönigin.

Als Perikles nach dem Siege des Hipponikos und dem darauf folgenden Gespräche mit Aspasia sich einige Tage lang den wechselnden Empfindungen überließ, welche die Freiheitsliebe der Milesierin in ihm erregte, war wiederholt der Gedanke in ihm erwacht: »Ich werde dem Liebeswink der reizenden Theodota folgen! warum soll jenes milesische Weib mich in Bande schlagen, die sie selbst nicht kennt?« – Immer aber ging dieser Gedanke wieder unter in dem stärkeren an Aspasia selbst, an die freie, stolze Seele dieses Weibes, an die Möglichkeit, ihres Alleinbesitzes verlustig zu werden. Neben der Wärme, zu welcher des Perikles Liebesneigung durch eben diesen Gedanken allmählich entfacht war, konnte die neue Regung nicht so leicht sich behaupten. Vorausgesehen, ja vorausberechnet war von Aspasia diese Wirkung. – Aber Perikles fuhr fort, mit sich selbst zu kämpfen, und an neuer Anregung sollte es diesem Kampfe nicht fehlen.

Hipponikos, der alles aufbot, um vom Glanze seines Reichtums und der Verschwendung seiner Feste reden zu machen, hatte nicht geruht, bis Perikles und auch Aspasia zugesagt hatten, bei seinem Siegesfestmahle sich einzufinden.

Als der bestimmte Tag herangekommen, sah man im Hause des Hipponikos die erlesensten Häupter, die glänzendsten Träger des athenischen Ruhmes vereinigt.

Perikles und Aspasia und die übrigen Geladenen hatten kaum sich eingefunden, so begann Hipponikos den Prunk seines Hauses vor ihnen zu entfalten. Er führte sie umher und wies ihnen seine Gemächer, seine Gärten, seine Bäder, seinen Ringplatz im Hause – ein Gymnasion im kleinen –, seinen Fischweiher, seine edlen Rosse, seine Hunde, seine seltenen Vögel, seine Hähne und Wachteln, die er zum Vergnügen hielt, um sie miteinander kämpfen zu lassen. Er zeigte ihnen das Grabmal, welches er einem verstorbenen Lieblingshündchen melitischer Rasse errichtet hatte. Er sagte, sein Haus sei eine Herberge, immer voll von Gästen, er füttere ein Dutzend Parasiten täglich an seinem Tische. Die »Bursche«, sagte er, »sind so fett gemästet, daß es mir leid tut, sie euch heute nicht zeigen zu können. Denn heute habe ich es mir in den Kopf gesetzt, nur die hervorragendsten Männer Athens an meiner Tafel zu sehen.«

Einer von den Gästen fragte ihn ein wenig boshaft nach seiner Gemahlin. Er erwiderte, daß sie sich wohl befinde, und daß er sie nicht stören wolle in ihren Frauengemächern. Alle Welt wußte, daß er diese Frau nur dazu benutze, sie des Prunkes wegen mit Edelsteinen und Perlen zu behängen, und sie in neumodischer Art zuweilen in einem zierlichen, mit sikyonischen Rossen bespannten Wagen durch die Straßen fahren zu lassen. Im übrigen hielt der alte Feinschmecker – ebenfalls nach neumodischem Brauche – sich eine ausländische Freundin, und man sagte, daß gegenwärtig die vielgepriesene Theodota seiner Huldigung sich erfreue.

Auch der Sprößlinge erwähnte er vor den Gästen, seines Söhnleins Kallias, das er soeben, wie er sagte, nach Delphi gesendet hatte, um das Knabenhaar desselben dort scheren und nach alter Sitte dem Apollon weihen zu lassen; seiner seines Töchterleins Hipparete, dessen Schönheit und sittiges Wesen er nicht genug rühmen konnte, und das er sehr zu lieben schien. »Dies Kind«, sagte er, »wächst heran zur schönsten und edelsten aller athenischen Jungfrauen, und es wird schwer fallen, einmal einen Bräutigam zu finden, der ihrer würdig, was Schönheit anlangt, wüßte ich keinen Knaben in Athen, von dem man sich versprechen könnte, daß er als Jüngling dieser Jungfrau zur Seite gestellt zu werden verdiente, es wäre denn dein Mündel, o Perikles, der kleine Alkibiades. Ich habe ihn ein paarmal in der Ringbahn gesehen, und dieser Knabe mag sich allerdings rühmen, unter den Knaben beinahe das zu sein, was Hipparete unter den Mägdlein. Was das Alter der beiden anlangt, so dürften sie darin so ungefähr zusammenstimmen. Nun, wer weiß, was die Götter verhängen, wenn diese beiden Knospen einmal aufgebrochen sind, was meinst du, Perikles? Doch, davon zu sprechen ist noch Zeit!« –

Nach diesen und ähnlichen Gesprächen führte Hipponikos seine Gäste in den großen, schön verzierten Speisesaal. Hier standen im weiten Kreise die Pfühle, auf welche man sich bei Tische hinzulagern pflegte. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die darüber gebreiteten Teppiche reich und buntdurchwirkt, die runden Kissen, auf welche man den Arm im Ruhen stützte, prächtig in Farben gestickt waren, die silbernen und goldenen, selbst mit Edelsteinen besetzten Gefäße auf den Schenktischen mehr noch durch die Zierlichkeit ihrer Formen, als durch ihre Kostbarkeit die Blicke auf sich zogen, daß in ebenso zierlichen Schalen Wohlgerüche dampften, den ganzen Raum mit einem die Sinne angenehm befangenden Hauche durchwürzend; daß die Wände bemalt waren mit Bildern der Lust, des Genusses. Gruppen und Scenen gab es da, zwischen welchen unzählige Liebesgötter dargestellt waren, alle in reizender Weise auf Tauben und Sperlingen reitend. Merkwürdiger noch war der Fußboden anzusehen. Er schien im ersten Augenblicke ganz bedeckt von den Abfällen einer reichen Tafel: von ausgekernten Fruchtschalen in den verschiedensten Farben, von Knochenstücken, von Brodkrumen, von abgeschnittenen Hahnenkämmen, von buntschillernden Federn gerupfter Vögel, von Speiseresten aller Art. Aber wenn man näher zusah, so fand man, daß alle diese Dinge auf dem Boden künstlich dargestellt waren, durch eingelegte farbige Steine in feinster Mosaik. Große, schön bemalte Gefäße waren zu weiterem Schmucke des ausgedehnten Saales an passenden Orten aufgestellt. Dem Eingange des Gemaches aber gegenüber stand ein blumenbekränzter Altar, auf welchem eine Wohlduft verbreitende Flamme brannte.

Hipponikos lud die Gäste ein, nach freier Wahl auf den Pfühlen sich zu gesellen. Sie ließen sich zuerst nur sitzend nieder; Sklaven kamen herbei mit schön geformten silbernen Becken und Kannen, um vor Beginn des Mahles den Gästen die Riemen der Schuhe oder der Sandalen zu lösen, ihnen die Silberbecken unter die entblößten Füße zu halten, und über diese den Inhalt der Silberkannen auszugießen. Dieser Inhalt aber bestand anstatt des Wassers aus duftigem Weine, noch würziger gemacht durch die Mischung wohlriechender Gele und Essenzen. Auch die Hände wurden so besprengt und dann mit seinen Tüchern getrocknet.

Die Gäste des Hipponikos hatten, der Einladung des Wirtes folgend, auf den einzelnen Pfühlen zu zweien sich gesellt, wie es der Zufall, oder die Befreundung der Männer untereinander mit sich brachte. Der Wahrheitsucher Sokrates hatte Platz genommen neben dem weisen Anaxagoras; der Bildhauer Pheidias neben seinem Freunde, dem Baumeister Iktinos; der Dichter Sophokles neben dem Schauspieler Polos, der Sophist Protagoras neben dem Arzte Hippokrates.

Der Sophist Protagoras war eben in Athen anwesend und eingekehrt bei seinem Gastfreunde Hipponikos. Seine Ankunft zu Athen hatte großes Aufsehen gemacht, denn dieses Mannes Ruhm wuchs in Hellas von Tag zu Tag. Er war ein geborner Abderite, ein Thrazier also, und doch ein Ionier, denn Abdera war gegründet von Ioniern. Lastträger sei er in seiner früheren Jugend gewesen, hieß es, bis ein weiser Mann seine Fähigkeiten entdeckte und entwickelte. Viel war er dann umhergewandert, hatte selbst aus dem Weisheitsborne des Morgenlandes geschöpft, und ging nun am Himmel von Hellas auf als ein leuchtendes Meteor. Er verstand sich gleichmäßig auf die Wissenschaft aller Dinge; auf die Wissenschaft der Gymnastik, der Musik, der Redekunst, der Dichtkunst, der Erd- und Himmelskunde, der Mathematik, der Ethik, der Politik, und überall, wohin er kam, hatte er einen außerordentlichen Zulauf von wißbegierigen. Reiche Jünglinge gaben die größten Summen hin, um seines Unterrichts zu genießen. Er war eine Erscheinung, welche das Auge bestach, er hatte den Anstand eines Königs, ging prächtig gekleidet, und hinreißend wirkte die Gabe der Rede in seinem Munde.

Dieser Protagoras also gesellte sich dem noch jungen, aber sehr kundigen und scharfsinnigen Arzte Hippokrates, einem Neffen des Perikles.

Durch einen etwas wunderlichen Zufall hatte der zurückhaltende und hier nicht ganz sich behaglich fühlende Polygnotos den übermutigen, auch als Zecher berühmten Komödiendichter Kratinos zum Nachbar erhalten. Aber so unähnlich von Natur die beiden Männer erscheinen mochten, ein Punkt der Berührung und der Genossenschaft fand sich doch zwischen ihnen. Sie waren die einzigen, welche diesem ganzen versammelten Kreise nicht durch Bande der Freundschaft angehörten, und nur dem ehrgeizigen Wunsche des Hipponikos, die in jeder Art ausgezeichnetsten Männer Athens bei sich zu sehen, ihre Einladung verdankten. Kratinos war ein Spötter, dessen Witz, dem Blitze ähnlich, am meisten durch das Hervorragende angezogen wurde. Hatte er doch in seiner jüngsten Komödie auch den Perikles und die schöne Freundin desselben nicht verschont, Polygnotos aber, der Freund Elpinikes, nährte heimlichen Groll gegen Pheidias. Und so waren es denn auch diese beiden, Kratinos und Polygnotos, welche sich bedenklich ansahen, und sich leise Worte zuflüsterten, als sie Aspasia auf die Einladung des Hipponikos Platz nehmen sahen zwischen Hipponikos und dem Perikles, auf einem besonderen Pfühle, auf welchem sie nach Frauensitte aufrecht saß, während die männlichen Gäste, den linken Arm auf das Kissen gestützt, mit der linken Seite des Körpers auf die Pfühle hingelagert waren. Kratinos und Polygnotos fragten sich geheim, wie es komme, daß man hier einer Fremden, einer Hetäre solche Ehre erzeige. Anders dachten die übrigen Gäste. Sie waren Freunde des Perikles, sie bildeten die glanzvolle Schar der Seinen, sie kannten den Wert und die Macht Aspasias, und hatten aufgehört, über irgend etwas, was die Milesierin betraf, sich zu wundern, was den Protagoras anlangt, so sah er zwar Aspasia heute zum erstenmal, aber ihr Anblick hatte ihn vom ersten Augenblicke an so ganz bezaubert, daß ihm alles eher in den Sinn kam, als an ihrer Gegenwart Anstoß zu nehmen.

Auf den Wink des Hipponikos wurde nunmehr vor jeden Speisepfühl ein kleiner Tisch gerückt, die Speisen wurden zum Teil aufgetragen, zum Teil herumgereicht, und das Mahl begann.

Wie die Vereinigung von berühmten Gästen im Hause des Hipponikos einzig war, so hatte dieser es sich vorgesetzt, bei seinem Mahle es an nichts fehlen zu fassen, was dem athenischen Markte Ehre machen konnte.

»Wenn ich«, sagte Hipponikos, während seine Gäste die Hände zu dem lecker bereiteten Mahle erhoben, »es mir heute zur Pflicht gemacht habe, eine solche Schar von auserlesenen Männern an meinem Tische zu bewirten, so möchte ich sie wohl so gut als möglich bewirten. Aber ihr wißt, so weit wir Athener es gegenwärtig in den anderen Künsten gebracht haben, in der Kunst gut zu essen sind wir noch einigermaßen zurück. Die Kunst gut zu essen ist jedoch meines Bedünkens durchaus nicht eine solche, welche vor anderen vernachlässigt zu werden verdiente. Ich für meine Person habe mir immer eine Ehre daraus gemacht, für einen Feinschmecker zu gelten, und ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich etwas dazu beitragen könnte, um die attische Küche auf einen höheren Grad der Vollkommenheit zu erheben. Ich sehe einige von euch ein wenig spöttisch lächeln, als ob sie sagen wollten, daß unser Athen dergleichen nicht nötig habe, und daß es zwar in den anderen Künsten, nicht aber in dieser berufen sei, an der Spitze der Völker zu wandeln. Erlaubt mir, euch zu sagen, daß dies ein Irrtum ist. Denn wenn ihr euch auf unseren ausgezeichneten Marmor, unsere treffliche Tonerde und dergleichen beruft, so will ich euch leicht beweisen, daß ihr auch Salz und Oel und Essig, und aromatische Kräuter, welche ja doch immer die wirksamsten Kräfte bleiben in den Händen der Kochkünstler, unter keinem Himmelsstriche besser findet, als bei uns. Vom attischen Salze nicht zu reden, das in zwiefachem Sinne berühmt ist, weiß jeder, daß nichts zu vergleichen ist mit der Frucht des attischen Oelbaums, daß die Kräuter des Hymettos die würzigsten, und eben darum auch der Honig desselben Hymettos der köstlichste ist, den es gibt.

Ich bedaure, daß ich, um einen wirklich ausgezeichneten Koch zu haben, mir einen solchen aus Sizilien habe verschreiben müssen.

Dieser aber, Anarcharsis geheißen, ist nun wirklich ein Meister seltener Art und ich darf ihn wohl einen Pheidias oder Sophokles der Kochkunst nennen.

Keiner versteht wie er, die Vorkost zur Anregung der Eßlust zu würzen. Die Brühen, in welchen er uns da die Würstchen, die Gekröse, die Wildschweinslebern, die kleinen Vögel und ähnliches vorgesetzt hat, werden den Kenner befriedigen. Von seiner Geschicklichkeit, die Thunfische, Aale, Muränen auszuweiden, sowie auch die Ferkel, und sie aufs feinsinnigste zur Ergötzung des Gaumens wieder zu füllen mit Krammetsvögeln, Eiern und Austern, seid ihr ebenfalls hier euch ein Urteil zu bilden im stande. Seine Hasen und Rehe, seine Rebhühner, Schnepfen und Fasane werdet ihr ebenso trefflich finden, als seine Kuchen, mit Milch und Honig zubereitet, und mit Früchten verschiedener Art gefüllt.

Ihr hättet soeben, ich wiederhole es, Gelegenheit, die Leistungen dieses trefflichen Mannes zu würdigen; aber ihr alle, – und ich möchte sagen die Athener überhaupt – ihr seid in eurem Gemüte beständig zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um mit wahrem Feingefühl solches zu prüfen und den Wert dieser Kunst neidlos anzuerkennen. Im Grunde sind nur die Parasiten von Fach wirkliche, ausgebildete Feinschmecker und dankbare Tischgenossen. Zum Glücke wächst die Zahl dieser Fachmänner der Kunst, auf fremde Kosten gut zu essen, in Athen von Tag zu Tag. Ich habe, wie gesagt, ein Dutzend solcher Kenner täglich an meinem Tische, und ich kann sie nicht entbehren; denn es ist langweilig, das Beste ganz allein zu genießen. Ihr solltet sehen, mit welchem Ernste diese Leute ihrem Berufe obliegen, wie sie schnalzen mit der Zunge, wie sie die Augenbrauen in die Höhe ziehen, wenn mein Koch sie mit einer neuen Erfindung, oder mit einer seinen, nur dem Kenner merklichen neuen Schattierung des Bekannten überrascht. Von dieser Art seid ihr nun freilich nicht, sondern während ihr die besten Werke meines trefflichen Anarcharsis über die Brücke eures Gaumens gleiten lasset, denkt ihr der eine an dies, der andere an jenes, Perikles an seine Staatsgeschäfte, und an eine neue Kolonie, die er aussenden will, Sophokles an ein neues Trauerspiel, Pheidias an die Friese des Parthenon, Polygnotos erwägt, wie man die Wände dieses Speisegemachs noch besser hätte bemalen können, und Sokrates zergliedert im stillen einen Begriff, anstatt des Rebhuhns, das er auf dem Teller hat.«

In solcher Weise machte Hipponikos seinen Empfindungen Luft, und die versammelten Gäste belächelten heiter des Feinschmeckers gutmütigen Vorwurf.

Nun aber erhob sich Hipponikos und brachte die übliche Spende, mit einer Würde, die er als Daduch zu Eleusis kaum feierlicher entfalten konnte. »Dem guten Geiste!« rief er, goß einige Tropfen des ungemischten Weines aus der Schale auf den Boden, trank dann selbst, ließ den Becher neuerdings füllen und unter den Gästen rechtshin im Kreise herumgehen. Es herrschte während dieser Spende ein feierliches Schweigen, nur das Spiel zweier Flöten begleitete dieselbe mit ernsten, gedämpften Tönen.

Dann wurden die kleinen Tische hinweggehoben, und der Fußboden gereinigt.

Als hierauf die Trinkbecher gebracht und der große Mischkrug aufgestellt, zugleich der Nachtisch aufgetragen war, mit allerlei Naschwerk, bestimmt, die Lust des Trinkens anzuregen, auch Stirnbinden und duftige Kränze von Rosen, Veilchen, Myrten hereingetragen worden, mit welchen die Gäste ihre Häupter umwanden, wurde der Päan zu Ehren des Dionysos angestimmt, und auf dem blumenbekränzten Altare ward noch eine Spende gemischten Weines in die Flamme gegossen, zu Ehren den sämtlichen olympischen Göttern.

»Ihr wisset, werte Gäste und Freunde«, hub Hipponikos wieder an, »was die alte schöne Sitte von uns erheischt. Ist es euch genehm, den Symposiarchen zu wählen, oder zieht ihr vor, ihn durchs Los zu bestimmen?«

Pheidias, Iktinos, Anaxagoras und einige andere sprachen sich sogleich dagegen aus, daß man das Los werfe, denn sie müßten sonst fürchten, sagten sie, von demselben getroffen zu werden, und sie fühlten geringen Beruf in sich für das Amt eines Trinkkönigs, eines Lenkers und Ordners geselliger Freuden.

»Wenn es nötig ist«, sagte Protagoras, »den Symposiarchen zu wählen, so wüßte ich nicht, wem anders wir dieses Ehrenamt zuerst anbieten müßten, als dem ansehnlichsten unter so vielen ansehnlichen Männern, dem großen Perikles.«

Dieser lehnte lächelnd ab, und sagte: »Wählt den Sokrates! Dieser versteht es, kluge Gespräche zu leiten, warum soll er nicht auch ein Symposion zu leiten verstehen?«

Sokrates aber erwiderte: »Ich weiß nicht, ob ich kluge Gespräche zu leiten verstehe, oder nicht; dies aber weiß ich, daß, wenn es sich auch so verhielte, es doch eine unverzeihliche Ueberhebung von mir wäre, sei es bei einem Gespräche oder bei einem Symposion, mir eine solche leitende Rolle anzumaßen in Gegenwart meiner Lehrerin und Meisterin Aspasia, deren siegreiche Weisheit allen Anwesenden hier sattsam bekannt ist. Ich gebe zu, daß die Sitte verlangt, einen Trinkkönig zu wählen, und daß Aspasia ein Weib ist; aber ich wüßte nicht, was das Geschlecht mit der Rolle eines Symposiarchen zu tun haben sollte? Hipponikos will, daß dies Symposion einzig in seiner Art sei: wohlan, unterstützen wir ihn in seiner Absicht, und wählen wir statt des Symposiarchen eine Symposiarchin!«

Im ersten Augenblicke erschienen die Zechgenossen wie verblüfft, bald aber scholl von allen Seiten lebhafte Zustimmung dem Sokrates entgegen.

»Sonderbar, aber vielleicht weise ist es«, sagte Aspasia, »zum Trinkkönig jemand zu wählen, welcher selbst zu trinken nicht versteht.« »Welcher Wein ist es«, fuhr sie fort, »mit welchem da vorläufig unsere Becher gefüllt worden sind?«

»Es ist Wein von Thasos«, erwiderte Hipponikos; »thasischer Wein von der besten Sorte, wie sie gespendet wird im Prytaneion zu Thasos! Den köstlichen Duft hat der Wein von sich selber, die Süßigkeit aber von dem mit Honig angemachten Weizenmehl, das man nach kunstgerechtem Brauch in die Fässer geworfen hat.«

»Honigsüßer, würzig-duftiger Wein von Thasos!« rief Aspasia, »du bist würdig, getrunken zu werden auf das Wohl der beiden Männer, deren Sieg mit diesem Mahle gefeiert wird! Zechgenossen! Leert eure Becher auf das Wohl des sieggekrönten Choregen und des sieggekrönten Dichters der Antigone.«

Freudig taten alle im Kreise Bescheid und von neuem wurden die Becher gefüllt auf das Gebot der Trinkkönigin.

»Thrax!« rief Hipponikos einem der aufwartenden Sklaven zu, »bringe das Verzeichnis der Weine herbei, welche bereit stehen für das heutige Symposion, und übergib es der Trinkkönigin! – verzeichnet findest du, Aspasia, auf derselben Tafel die Spiele und Ergötzungen, über welche wir heute in diesem Hause verfügen. Möge es der Symposiarchin gefallen, für unser Vergnügen immer das, was ihr eben das Schönste und passendste dünkt, auszuwählen und es durch ein Wort oder einen Wink wie mit einem Zauberstabe herbeizubeschwören!«

»Willst du mir nicht eine Zither reichen lassen?« fragte Aspasia. »Ich möchte mir als Symposiarchin nichts weiter anmaßen, als den Grundton für die Stimmung und Harmonie dieses Symposions anzugeben.«

Sogleich ließ Hipponikos durch einen Sklaven eine mit Edelsteinen und Elfenbein reichverzierte Zither herbeibringen. Die schöne Milesierin ergriff sie und hub an zu den Tönen derselben folgende Verse zu singen:

»Lächelnd, violenbekränzt, von syrischer Narde durchduftet,
von dionysischem Tau golden und rosig besprengt,
Laßt uns mit Saitengetön und klingenden Stimmen verkünden,
Daß sie das schönste der Welt, daß sie das höchste: die Lust

Darauf ließ sie die Laute dem Sokrates reichen.

Dieser aber sagte:

»Da zum Amte des Symposiarchen auch dies gehört, Rätsel zur Ergötzung der Leser aufzugeben, so habe ich gleich vorausgeahnt, Aspasia werde unseren Scharfsinn mit solchen Dingen auf die Probe stellen, was sie da eben erst, um den Grundton für unser Symposion anzugeben, wie sie sagt, von der Lust des Lebens zu den Saiten dieser Zither scheinbar unverfänglich gesungen, was ist es, genau besehen, anders, als ein lockendes Rätsel, das sie uns hinwirft? Diese schöne Milesierin erscheint mir in der Tat wie eine Sphinx, einen Abgrund neben sich, in welchen sie uns alle stürzen wird, wenn wir ihre Rätsel nicht lösen, wie beneide ich jetzt den trefflichen Hipponikos! denn dieser erscheint doch wohl am meisten unter uns allen sich auf die Lust und den heiteren Genuß des Lebens zu verstehen, und so vielleicht einzig geeignet, das gesungene Rätsel der Aspasia im rechten Sinne zu deuten und zu lösen. Denn worin einer am geschicktesten ist in der Ausübung, darüber muß er wohl auch den besten Unterricht zu geben verstehen!« –

Lebhaft und heiter zustimmend riefen alle:

»So ist's! Hipponikos ist der Mann, uns über den Genuß des Lebens und über die Lust zu belehren.«

»Wenn schon die leidige Weltweisheit bei diesem Symposion nicht ganz vermieden werden kann und soll«, begann Hipponikos mit schelmischem Lächeln, »so danke ich den Göttern, daß wenigstens nur auf diesen und keinen anderen Gegenstand die Rede gekommen. Denn dieser ist in der Tat, wie Aspasia sagte, derjenige, bei welchem ich mir anmaßen darf, ein Wörtchen mitzusprechen. Ihr erinnert euch wohl noch, wie ich zuvor mich bemüht habe, euch zu Gemüt zu führen, daß man schwerlich irgendwo in der Welt es in der Kunst gut zu essen und zu trinken weiter bringen kann, als hier zu Athen, wenn man nur will. Es läßt sich überhaupt der Satz aufstellen, daß auf diesem Boden, unter diesem hellenischen Himmel die Menschen geboren sind, glücklich zu sein. Ich will euch aber auch beweisen, daß es bei uns in Griechenland leicht ist, das angenehmste Leben mit der Weisheit, der Tugend, oder Frömmigkeit, oder Götterverehrung, oder wie ihr es sonst nennen wollt, zu verbinden. Denn die Hellenengötter verlangen alles mögliche, nur nicht Entsagung oder Verzicht auf die Freuden des Lebens. Nicht einmal von mir verlangen sie das, obgleich ich von priesterlichem Geschlechte bin, und jährlich einmal bei der Feier der Mysterien zu Eleusis das Amt des Daduchen zu verwalten habe. Den übrigen Teil des Jahres lebe ich zu Athen dem Vaterlande und meinem Vergnügen, ohne daß es den Göttern oder sonst irgend wem in der Welt einfiele, mir daraus einen Vorwurf zu machen. Wenn der arme Schlucker Diopeithes droben auf der Burg mir feind ist, und Böses von mir sagt, so geschieht es nicht, weil ich eine gute Tafel und schöne Frauen liebe, und mir's wohl sein lasse, was er herzlich gern auch täte, wenn ihm nicht die Mittel dazu fehlten; sondern nur, weil das eleusinische Priestergeschlecht dem seinigen, die Eumolpiden den Eteobutaden, was Glanz und Ansehen betrifft, den Rang abgelaufen haben. Wenn Diopeithes als Duckmäuser lebt, so tut er es auf eigene Faust; die Hellenengötter kümmern sich nicht darum, und obgleich ich bessere Tafel halte als er, so rühme ich mich doch ein so frommer und den Göttern wohlgefälliger Mann zu sein als er. Ist irgend einer, der behauptet, daß ich nicht fromm bin und die Götter ehre wie irgend einer in Athen? Zeus Herkeios hat seinen Altar an meinem häuslichen Herde; in der Nische hinter der Tür steht Hermes Strophaios, der göttliche Hüter der Türangel; vor der Tür steht das übliche Hekate-Häuschen, und die kegelförmige Säule des Apollon Agyieus, des straßenbehütenden Gottes, und der dem Gotte heilige Lorbeerbaum daneben, zum Schutze gegen Zauberei und gegen die Fallsucht; an der Tür selbst bleibt von einem Pyanepsienfeste zum andern der Segensölzweig hängen, den man, mit weißer Wolle umwunden, im Apollotempel bei jenem Feste weihen läßt; es fehlt auch nicht die Inschrift an der Tür, welche das Haus unter den Schutz der Götter stellt, nebst dem gebräuchlichen Medusenkopfe darüber, welcher allem Bösen den Eingang wehrt. Ich versäume weder die geziemenden Götterspenden, noch die Reinigungen und Sühnungen, noch die Gebete, noch die Opfer, noch die reichlichen Beiträge, um den Glanz der Götterfeste zu erhöhen, und ich habe mir's eben wieder 5000 Drachmen kosten lassen, um den Chor, dessen unser Sophokles zu seiner »Antigone« bedurfte, so prächtig als möglich auszustatten. Wer also kann auftreten und sagen, daß ich kein frommer Mann bin, und die Götter nicht nach Urvätergebrauch ehre? Wir Griechen sind ein frommes Volk, und ich bin ein Grieche. Darum scheue ich die Götter, wie es recht ist, aber ich fürchte sie nicht, und wenn ich mir's noch so wohl sein lasse. Denn im Tartaros gibt es viele, welche unterschiedlicher Vergehungen wegen die ärgsten Strafen leiden, aber ich erinnere mich nicht, daß einer darunter wäre, der dort leidet, weil er ein Feinschmecker und ein Lebemann gewesen. Ist einer darunter? Nein! Nicht ein einziger! Also noch einmal: ich bin ein frommer Mann und brauche die Götter nicht zu fürchten. Ich fürchte nichts in der Welt, ausgenommen die Diebe und Einbrecher, welche mir meine Schätze, meine Perlen und Edelsteine, meine persischen Gold-Dareiken entführen könnten!«

Alle Tischgenossen begannen heiter zu lachen bei diesen letzten Worten des Hipponikos und klatschten Beifall; er aber fuhr fort:

»Da bauen sie wohlweislich ein Schatzhaus für die Staatsgelder droben auf der Burg, unter dem Schirme der Stadtgöttin. Wie soll aber ein patriotischer Mann, wie unsereiner, sein Wohlerworbenes in Sicherheit bringen? Ich leugne nicht, daß, seit ich sechstausend Sklaven in meinen Silberminen beschäftige, und meine Habe sich täglich mehrt, ich einigermaßen ängstlich bin« –

»Sei getrost, Hipponikos«, rief Perikles, »ich werde mich beim Volke verwenden, daß dir gestattet wird, ein Schatzhaus für deine Person auf der Akropolis zu bauen. Du hast solches, wenn nicht durch anderes, schon durch die treffliche Rede verdient, die du soeben gehalten.«

Wieder klatschten alle Tischgenossen beifällig und lobten den Hipponikos und seine Rede.

Nur der spöttische Witzbold und unermüdliche Zecher Kratinos fragte den Feinschmecker: »Wenn du, edler Hipponikos, wirklich die Götter nicht fürchtest, sondern bloß die Diebe, und sonst gar nichts in der Welt als die Diebe, was hältst du von der Wassersucht und von anderen Folgen eines frommen und zugleich angenehmen Lebens? Und vom Zipperlein, welches, wie ich leider von mir selber weiß, an allzu reichliche Besprengung mit dionysischem Taue sich zu knüpfen pflegt? Hast du auch vor diesen keine Furcht? Oder vertraust du in diesem Punkte ganz auf deinen Freund Hippokrates, den trefflichen Arzt, den du weislich an deinen Tisch zu laden pflegst?«

»Du hast es erraten«, versetzte Hipponikos; »in diesen Dingen verlasse ich mich auf Hippokrates, mit welchem ich, wie mit den Göttern, auf gutem Fuß zu stehen liebe. Ihm überlasse ich es auch, zu entscheiden, ob Zipperlein und Wassersuchten und Schwindsuchten, und ähnliche Dinge wirklich von dem herrühren, was man die Lust des Lebens nennt.«

»Nicht so eigentlich«, sagte Hippokrates lächelnd. »Es ist zwar nicht zu leugnen, daß die Anfüllungen und Erschöpfungen, welche mit der Lust des Lebens verbunden sind, Wassersuchten und Schwindsuchten und ähnliches veranlassen können. Was aber die Lust an und für sich betrifft – und um diese allein, in ihrem Begriff an sich, handelt es sich doch wohl in gegenwärtiger Unterredung – so ist diese als ein der Gesundheit überaus Zuträgliches zu betrachten. Die Lust ist nämlich eine Körper- und Seelenstimmung von eigentümlicher Art, welche die Wangen rötet, die Augen erhellt, den Odem beflügelt, das Blut leicht durch die Adern treibt, das Stockende löst, das Zerfließende bindet, alle Lebensgeister weckt, alle Kräfte steigert, und des Menschen ganzes Wesen in einen Zustand schöner, wirkungsvoller Harmonie versetzt. Sogar dem Kranken ist die Lust eine so heilsame Arznei, daß ich nicht weiß, ob unter allen Kräutern, Pflastern und Tränken, welche wir Heilkundigen bei dem Kranken anwenden, ein zauberkräftigeres Mittel zu finden als dieses.«

Lachend und Beifall klatschend, gelobten alle Zechgenossen, niemals einem anderen Arzte sich anzuvertrauen, als dem Hippokrates.

»Weiser Heilkünstler!« rief der weinselige Kratinos, »du hast mich völlig beruhigt! Nun ist mir's klar: wie hätte ich, den sie den Freund der Flasche nennen, besonders seit ich eine Komödie geschrieben, in welcher gefüllte Flaschen, meine Freundinnen, den Chor bilden, wie hätte ich, sag' ich, den mit der Lust des Trinkens verbundenen Anfüllungen doch bis auf diesen Tag so leidlich getrotzt, wenn nicht die heilkräftige Lust des Trinkens an sich selbst mich aufrecht erhalten hätte? – Wäre ich Symposiarch statt jener schönen Fremden, welche sich vermutlich besser versteht auf die Werke der goldenen Aphrodite, als auf die des Bacchos, so würde ich augenblicklich einen Doppelumtrunk anordnen zu Ehren des weisesten aller Aerzte, des Hippokrates!«

»Thrax!« rief Aspasia dem neben ihr stehenden Sklaven zu, »reiche dem Kratinos einen Becher von der doppelten Größe der unsrigen! – Und nun lasset uns den Umtrunk halten zu Ehren des Hippokrates!« –

Als nun alle zu Ehren des Hippokrates getrunken und auch Kratinos seinen doppelt so großen Becher schmunzelnd geleert hatte, ergriff Polos das Wort:

»Ich weiß nicht, wie unter uns heute von der Lust gesprochen werden könnte, ohne daß man vor allem der Worte gedächte, welche ihr in der Tragödie, deren Sieg wir feiern, aus dem Munde des Boten vernommen:

»Sobald der Lust entsagt
Der Mensch, acht' ich sein Leben für kein Leben mehr:
Lebendig tot erscheint ein solcher meinem Aug'!
Sei mächtig, reich im Hause, leb' als König selbst:
Das alles ist doch Schatten bloß und eitel Dunst,
Gebricht dir eins in deinem Sein: die holde Lust!« –

»Ich preise die Lust«, sagte hierauf Sophokles, »nicht bloß, weil sie das Leben angenehm, sondern weil sie es schön macht. In der Tiefe des Lebens hausen viele Schrecken, und es ist oft die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht besser sei, nicht zu leben, als zu leben. Da wir aber nun einmal leben, so müssen wir den Abgrund des Lebens und seine Schrecken, so gut wir können, zu überdecken suchen mit Blumen der Schönheit und ihrer Zwillingsschwester, der Freude. Eng ist die Schranke um des Menschen Sein gezogen: aber innerhalb dieser Schranke Mensch zu sein, ist gestattet, und das reine Menschentum schön und edel im kleinen Kreise zu entfalten. Mensch sein aber heißt edel sein und mild, und dem Edlen, Heiter-Milden wird die Schranke holdes Maß, innerhalb dessen er sein Dasein göttlich empfindet. Wie schön und heiter, so auch edel und mild genannt zu werden, sei des Hellenen Stolz!« –

»Ich danke dir für diesen Ausspruch!« sagte Perikles. »Man hat mich im Kriege zuweilen allzu mild und nachsichtig gescholten, aber ich glaubte eben als Hellene zu handeln. Wenn es wieder Kämpfe gibt, ob zur See oder zu Lande, so werde ich mir vom Volke der Athener den Dichter der »Antigone« zum Mit-Strategen erbitten.«

»Den Sophokles als Strategen?« riefen einige im Kreise.

»Warum nicht?« sagte Sophokles lächelnd; »ist mein Erzeuger doch ein Waffenschmied gewesen. Dies deutet darauf hin, daß ich zum Strategen geboren sei.«

»Zu gutem Glück!« rief Hipponikos; »aber meinst du, Perikles, daß es nächstens wieder einmal Kriegsvolk einzuschiffen und in See zu stechen gilt?«

»Es ist wohl möglich!« erwiderte Perikles.

»Ich bin zufrieden«, rief Hipponikos, »aber ich hoffe, Perikles, daß du dir die neuen Lorbeern auf keinem anderen Admiralschiffe holst, als auf dem, welches ich als Trierarch ausrüsten werde!«

»Das will ich!« sagte Perikles. »Aber lassen wir nicht die kriegerische Begeisterung überhand nehmen bei einem so friedlichen Gelage. Unart wär' es, wenn wir nicht, bevor wir zu anderen Dingen übergehen, den weisen Anaxagoras fragten, ob er das, was hier von der Lust gesagt worden ist, verwirft oder billigt?«

»Wenn ihr meine Meinung zu hören wünscht«, sagte Anaxagoras, »so will ich sie euch nicht vorenthalten, was ihr da vorgebracht, beweist, daß euer Verlangen danach geht, von außen her so viel Schönes und Gutes und Angenehmes an euch zu bringen, als eben möglich. Aber ich behaupte, die wahre, die rechte Lust ist diejenige, welche nicht von außen kommt, sondern welche man als innerstes wesenhaftes Leben in seiner erkennenden Natur hat. Nicht eins mit dem Genusse ist die Lust; und so wenig besteht das Glück in den Dingen außer uns, daß es vielmehr am besten ohne sie besteht! Freiwillig sich der allgemeinen Weltvernunft unterwerfend, den Eigenwillen ertöten, ist Weisheit und Tugend und aller rechten Freude Hort zugleich, die feste Burg der Apathie, in welcher wunschlos thronend der Leidenschaftslose. Selbstgenügsame sogar den Schicksalsmächten gegenüber unüberwindlich sich erweist!«

Die Worte des Anaxagoras machten einen eigentümlichen Eindruck. Perikles hörte sie mit jener nachdenklichen Aufmerksamkeit an, deren er immer die Herzensergießungen seines alten Freundes würdigte. Ueber die Stirn Aspasias aber flog ein leichtes Wölkchen. Ihr Auge begegnete dem des Protagoras. Wie in geheimem Einverständnis trafen sich die Augen des schönen Weibes und des Sophisten. Und als nun der glänzende Redekünstler im schweigenden Kreise umhersah, bereit, dem Philosophen zu antworten, da schienen die Strahlen aus Aspasias Augen seine Gedanken befeuern, seine Worte beflügeln zu wollen.

»Streng und herbe«, begann er, »klingen die Worte des Weisen von Klazomenä an dieser Stätte, wo eben noch unter dem Klange heiterer Skolien des Festmahls Lust den blumenbekränzten Altar des Dionysos umbrandete! Aber auch er – das merket wohl! – auch er, der strenge, herbe Weise, hat von der Lust als von des Menschen höchstem Ziele gesprochen. Nur über die Wege, welche zu ihr führen, denkt er verschieden. Und in der Tat, vielnamig ist die Lust und vielgestaltig, und vielerlei sind die Pfade, welche emporführen zu ihrer sonnigen Höhe. So manche finden ihr Genügen im Rausche der Sinne, andere, durch einen höheren Adel der Seele zum Schönen getrieben, erheben sich zu reineren Sphären der Lust, und ein drittes Geschlecht ist das der göttergleichen Menschen, welche über Wolken und Winden in ewiger Heit're wunschlos wohnen. Wißt ihr, welcher von diesen dreien Arten, der Lust nachzugehen, ich den Vorzug gebe? Keiner, sondern derjenigen, welche es versteht, nach Zeit und Ort einen jeden dieser verschiedenen Wege zu wandeln! wenn Becher winken und schöne Augen blitzen, dann lasset uns der fröhlichen Weisheit des Hipponikos folgen; wenn vor unsern Augen die Wunder des Schönen leuchten und das Menschliche seine edelste Blüte entfaltet, dann teilen wir die geistverklärte Freude des Sophokles; wenn der Himmel sich verdüstert, wenn unabweisbar Schmerz und Mißgeschick auf uns eindringen, dann ist es Zeit, zur schönbekränzten Freude gelassen zu sagen: Fahre wohl! und sich zu umgürten mit dem göttlichen Gleichmut und der schönen Ruhe des weisen Anaxagoras! Entbehren können ist rühmlich – aber wir wollen diese Kunst nur dort üben, wo wir ihrer bedürfen, wenn es Zeit ist sich zu freuen, wollen wir uns freuen, wenn es Zeit ist zu entbehren, wollen wir entbehren, wer weise zu genießen versteht, dem wird auch die Weisheit der Entsagung nicht fehlen. Er wird die Freude zu seiner Sklavin machen, nicht sich selbst zum Sklaven der Freude, Er wird die Dinge sich, nicht sich den Dingen unterwerfen. Und wenn das, was unserer Lust von der Weisheit als Schranke gesetzt wird, nichts ist als das naturgemäße rechte Maß der Lust, und die Lust, in ihrem Uebermaß erstickend, nicht mehr sie selbst ist, sondern ihr Gegenteil, so daß sie ihre Schranke und ihr Maß nicht außer oder neben sich, sondern in sich hat, wozu dann noch von Tugend reden und Enthaltsamkeit, als von etwas, das der Lust als eine fremde, gleichberechtigte, ja feindliche Sache gegenüber steht? Entbehrung, Entsagung, Tugend ohne Lust kann dem Gedanken des Hellenen, niemals seinem Gemüte vertraut werden. Selbst gemeines Schweißbemühen, handwerksmäßiges Treiben und Hasten in des gemeinen Bedarfes Dienst, erachtet er als seiner unwürdig. Darum arbeitet der Sklave, arbeitet der Barbar für den Hellenen. Der Menschheit unedlerer Teil muß sich für den edleren opfern, damit das Ideal wahrhaft menschenwürdigen Daseins verwirklicht werde, wäre ich ein Gesetzgeber, ein neuer Lykurgos und Solon, und würden des Gesetzes Tafeln unbeschrieben in meine Hand gelegt, ich würde sie fassen und mit goldnem Griffel an ihre Spitze die Worte setzen: Ihr Sterblichen, seid schön – seid frei – seid glücklich!« So sprach Protagoras, dabei unverwandt auf Aspasia blickend, und froh der zustimmenden Ermunterung, welche ihm unverkennbar aus ihren Mienen entgegenleuchtete. Diese Zustimmung ward eine fast allgemeine im Kreise, und Perikles sagte, er wolle dem Protagoras die nächste Kolonie zu führen geben, die von Athen ausgehen werde. Denn er scheine geeignet, ein Gemeinwesen in hellenischem Geiste zu ordnen.

»Glücklicher Protagoras«, begann jetzt Sokrates; »glücklicher Protagoras, dem es vergönnt, das Gold des Schweigens der Aspasia in die klingende Münze bestechender Reden umzusetzen! Wenn ich die Worte deines Mundes so gut verstanden habe, wie du die Sprache der Augen Aspasias, so scheinst du mir die Weisheit insofern als eines der Mittel zur Beförderung der Lust zu betrachten, als man sie sozusagen bereit halten, und aus der Tasche hervorziehen kann, wenn eben nichts Besseres zur Hand ist« ...

»Was ist Weisheit?« rief Protagoras. »Frage tausend Menschen, und was der eine Weisheit nennt, wird der andere Torheit nennen. Frage sie aber, was Lust und was Unlust ist, so werden alle derselben Meinung sein!«

»Meinst du dies wirklich?« versetzte Sokrates. »Es käme doch auf die Probe an«...

»Erlaube, Protagoras«, fiel hier Aspasia ein, »daß ich es auf mich nehme, dem Sokrates zu antworten: nicht mit Worten, denn wie könnte ich mich vermessen, solange es sich um Worte der Weisheit handelt, an des Protagoras Stelle treten zu wollen? Ich will dem ewigen Zweifler und Frager mit jenen Mitteln begegnen, welche mir als Symposiarchin zur Prüfung des von ihm zuletzt vorgebrachten Einwurfes zur Hand sind!«

»Fürs erste«, fuhr Aspasia fort, »lasset die Lippen, die vielleicht des Gespräches Hitze getrocknet, mit frischem Taue befeuchten!«

Auf ihr Gebot wurde neuer Wein im Krater gemischt und den Gästen kredenzt in neuen, größeren Bechern.

»Das ist Wein von Lesbos!« sagte Hipponikos, »die Blume der Rebe! er ist weniger wohlriechend als der thasische, aber sein Wohlgeschmack ist noch größer.«

»Er ist mild und feurig zugleich, wie die Seele seiner Landsmännin Sappho!« rief Protagoras, vorerst mit der Spitze der Lippen das Naß in seinem Becher vorkostend. Die Becher wurden geleert, aus Aspasias Geheiß, zu Ehren der mildfeurigen Sängerin von Lesbos, und wieder gefüllt, während die Augen der Zechgenossen in hellerem Feuer zu leuchten begannen.

»Nun erlaubet denjenigen einzutreten«, begann Aspasia wieder, »welche bereit stehen, um uns etwas von dem zu bereiten, worüber die Menschen nach des Protagoras Behauptung alle einig sind, nach des Sokrates Meinung aber nicht.«

Flötenbläserinnen, Tänzerinnen und Gauklerinnen betraten den Saal, alle jugendlich und reizend, alle bekränzt und duftig gesalbt und geschmückt und in verführerischer Gewandung.

Das Flötenspiel begann in weichen, süßen Tönen, und dazu wurden zuerst von den Tänzerinnen mimische Tänze ausgeführt. Was Sokrates bei Theodota bewundert, das hatte er nun vervielfacht, in einer Gruppe blühender Gestalten vor Augen. Nachdem diese Tänzerinnen durch ihre Kunst aller Augen entzückt hatten, übte das, was nach ihnen die Gauklerinnen vollführten, eine sinnverwirrende, bestrickende Wirkung. Wenn diese bei Flötenschall nach dem Takte der Musik eine Anzahl Reife oder Bälle zugleich während des Tanzes geschickt in die Höhe warfen und wieder auffingen, oder den sogenannten Kugellauf auf einer Töpferscheibe ausführten, lag in den windschnellen Bewegungen der jugendlich schlanken, geschmeidigen Mädchengestalten eine bezaubernde, ja berauschende Anmut. Wenn sie aber den erstaunlichen Schwertertanz anhuben, wenn sie zwischen den Klingen, die mit der Spitze nach oben in den Boden gesteckt waren, tanzend dahin gaukelten und über den blinkenden Stahlspitzen nach vorwärts und rückwärts sich überschlugen, da fühlten die aufgeregten Zuschauer von einer mit Grausen gemischten Lust sich durchzittert. Wenn eines dieser schlanken reizvollen Mädchen in leichtester, knapp anliegender Gewandung, die den vollen und reinen Umriß des Leibes hervortreten ließ, nach vorn mit den Händen auf den Boden sich stützend, von rückwärts in anmutigster Beugung des Leibes die Füße über Rücken und Haupt herüberstreckten, um damit aus dem vor ihr stehenden Mischkrug einen Becher zu füllen, während sie mit den Zehen des anderen die Handhabe des Schöpfgefäßes hielt oder in derselben Lage einen Pfeil vom Bogen schnellte – da war es nicht bloß das Erstaunliche der bewiesenen Fertigkeit, sondern zugleich das zu höchster Freiheit und fast übermenschlicher Leichtigkeit entwickelte Formenspiel der blühenden Glieder, was die Sinne der Gäste des Hipponikos in eine Art von Taumel versetzte.

Als diese Tänze und Spiele beendet waren, und die Tänzerinnen, die Gauklerinnen und Flötenbläserinnen unter dem lebhaftesten Beifall der Tischgenossen sich wieder entfernt hatten, sagte Aspasia:

»Es scheint, daß uns allen das, was wir gesehen, Vergnügen bereitet hat, und daß wir einig sind in dieser Lustempfindung, während wir doch früher, wo es sich um Lehren der Weisheit handelte, nicht einig werden konnten. Die Probe, auf welche es ankam, wie du sagtest, o Sokrates, ist also gemacht«...

»Du weißt sehr wohl, Aspasia«, entgegnete Sokrates, »daß niemand in der Welt sich lieber belehren läßt, als eben ich. Erlaube mir nur noch eines von Protagoras zu erfragen. Wenn es, wie er uns lehrte, verschiedene Arten der Lust gibt, und wir das, was Lust gewährt, ein Gut nennen, so gibt es wohl auch verschiedene Güter und unter diesen ein höchstes. Um aber dieses höchste Gut, aus anderen Gütern herauszufinden, und somit auch die höchste Lust aus anderen Lüsten – denn die Lust ist ja, wie wir gesagt, nicht selbst das Gut, sondern wird erst durch den Besitz des Gutes hervorgebracht – bedarf es da nicht doch wohl ein wenig der Einsicht, oder der Erkenntnis, oder der Weisheit, oder wie man es sonst nennen will?«...

Lächelnd sagte Aspasia: »Du siehst, Protagoras, daß dieser Mann dich in die Enge treibt; aber es ist meine Pflicht, zu sorgen, daß der Streit nicht allzu heftig entbrenne. Schon seit einer halben Stunde habe ich einen kleinen Anschlag gegen diesen kampflustigen Sokrates im Sinne. Es dünkt mich nicht gut, daß Sokrates denselben Lagerpfühl hier teilt mit Anaxagoras, und so aus dem Anhauche seines Meisters beständig neue Kraft und Streitlust schöpft. Es scheint mir überhaupt, daß des Hipponikos Gäste sich hier zum Teil in einer Weise gesellt haben, welche gefährlich für das Allgemeine und geheimen Verschwörungen günstig ist. Ich merkte früher wiederholt, daß Pheidias und Iktinos leise zusammen flüsterten. Auch den Kratinos sehe ich öfter, als es nötig scheint, sich mit gespitzten Lippen zum Ohre seines Nachbars, des Polygnotos, neigen. Kraft meiner Vollmacht als Symposiarchin werde ich einen allgemeinen Wechsel der Plätze und der Genossenschaft anordnen.«

»Immerhin!« riefen die heiter gelaunten Tischgenossen; »wir wollen dir gerne gehorchen. Laß hören, wie denkst du uns neu zu gesellen?«

»Wohlan!« sagte Aspasia; »der Feinschmecker Hipponikos heiße den Sokrates aufstehen und lagere sich neben den weisen Anaxagoras; der beredte Polos nehme Platz neben dem schweigsamen Iktinos; der übermütige Kratinos erhalte zum Nachbar den milden, frommen Sophokles. Pheidias finde sich endlich einmal mit Polygnotos zusammen. Wie aber geselle ich den Sokrates? Unmöglich kann ich ihn dem Protagoras zur Seite ruhen lassen, im Gegenteil, ich muß diese beiden Gegner so weit als möglich von einander entfernen. Was bleibt also übrig, als daß ich dich, Protagoras, bitte, meinen Platz hier einzunehmen, während ich selbst bis zur Beendigung des Streites mich zu Sokrates setze?«

Damit stand Aspasia auf und setzte sich an den unteren Rand des Lagerpfühls, auf welchem Sokrates seinen Platz hatte.

Willig hatten inzwischen die Tischgenossen die Weisung der Symposiarchin vollzogen; nur beneideten sie jetzt geheim und laut den Sokrates um seine Genossenschaft.

Auf diesen selbst übte die unmittelbare Nähe der Schönen eine eigentümliche Wirkung. Hatte früher der Anhauch des Anaxagoras, wie Aspasia sich ausdrückte, ihn zur Streitlust befeuert, so mochte jetzt der Anhauch des reizvollen Weibes ihn friedlich und versöhnlich stimmen...

»Was ist das?« rief Aspasia, sich zu Sokrates neigend und seinen Kranz betrachtend, »dem Kranze auf deinem Haupte sind schon viele Blätter entfallen. Das gilt als ein Wahrzeichen geheimer Herzensqualen des Trägers! Ist es etwa dein jüngster Freund, der mutwillige Knabe Alkibiades, der dir Verdruß bereitet? Doch, ich bin ja gekommen, um dir Rede zu stehen. Welche Bedenken waren es, o Sokrates, die du noch gelöst haben wolltest?«

Sokrates, bestrahlt von den Augen Aspasias, umweht vom Hauche ihres Mundes, umrauscht vom Geknister ihres Gewandes bei jeder ihrer Bewegungen, erwiderte:

»Aspasia! ich hatte Bedenken – und sie waren in meinem Haupte hintereinander schön gereiht wie in Schlachtordnung. Aber man hat mir, als ich sie eben in bester Ordnung ansprengen lassen wollte, eine schönbekranzte Barre vorgeschoben, so daß es scheint, als müßten sie, darüber setzend, die Beine brechen. Was ich bedenklich finde, soll ich äußern, o Aspasia? Ich finde in diesem Augenblicke nur dies eine bedenklich, daß du neben mir sitzest.«

Ein wenig spöttisch lächelnd blickte der alte Anaxagoras, der inzwischen schweigend dem Becher zugesprochen hatte, auf seinen so schmählich die Waffen streckenden Freund herüber.

»Du siehst, Anaxagoras«, sagte Sokrates, »ich bin im Kampfe für eine gute Sache gefallen, und du, der Greis, für den ich eigentlich das Schwert gezogen, muß jetzt mich, den jüngeren Mann, aus dem Kampfe tragen. Räche mich, wenn du es vermagst, o Anaxagoras!«

»Warum nicht?« versetzte Anaxagoras, nachdem er einen Trunk aus seinem Becher getan hatte; »ich fühle mich durchaus nicht so sehr als altersschwacher Priamos, um vor der jungen Weisheit dieses Achilleus zitternd zu verstummen. Ich will noch ein Wörtchen mit dir reden, Protagoras...«

»Halt!« rief Aspasia; »wenn gewichtige Worte zu sprechen deine Absicht ist, so erlaube mir zuvor, daß ich meiner Symposiarchen-Pflicht nachkomme, und mit einem Trunke des feurigsten und köstlichsten aller Weine, welcher aufgehoben worden bis zuletzt, mit den Wonnefluten der Traube von Chios, deine Zunge noch besser beflügle!«

Damit ließ Aspasia den gefeiertsten aller Griechenweine kredenzen.

Die Becher wurden geleert, und von diesem Augenblicke an gab es keinen mehr im Kreise, der nicht, weit hinausgehoben über die Sphäre des nüchternen Verstandes, verfallen gewesen wäre den begeisternden Gewalten des Dionysos...

Anaxagoras leerte seinen Becher und begann etwas verwirrt durcheinander zu sprechen von Lust und Tugend und Erkenntnis und allgemeiner Weltvernunft...

Wie um ihn anzuregen zu größerer Sammlung des Geistes, bot ihm Aspasia selbst noch einen Becher des allbezwingenden Chiers dar.

Er trank, und die Rede des Weisen wurde noch verwirrter; er begann zu stammeln und mit dem Haupte bedenklich zu nicken. Zuletzt sank das Haupt ihm völlig auf die Brust herab. Wenige Augenblicke noch, und der Greis war ruhig entschlummert.

Ein heiteres Lachen ging durch die Reihen der Zechgenossen.

»Was hast du getan, Aspasia?« riefen sie, »die letzten Vorkämpfer der strengen Weisheit hast du entwaffnet und in Schlummer gewiegt!«

»Bei fröhlichem Gelage«, erwiderte Aspasia, »geziemt es der strengen Weisheit, einzunicken. Aber nicht ohne die Charitinnen ist dieser Edle entschlummert. Da seht! wie schön ist der Anblick des in ruhigem Schlummer atmenden Greises! Ich stelle den Antrag, daß wir alle die Kränze von unseren Häuptern nehmen, um sie auf das Haupt und die Schulter des Schlafenden niederzulegen und in solcher Art zu bestatten die so schon und friedlich entschlummerte Weisheit!«

Die Tischgenossen taten, wie Aspasia geboten und in wenigen Augenblicken war das Haupt des Weisen unter Blumen begraben.

Sokrates fuhr fort zu trinken, ohne trunken zu werden, aber er stellte sich trunken, um ungestraft die wunderlichsten Dinge ins Ohr der neben ihm sitzenden Aspasia flüstern zu dürfen.

Der ernste Pheidias sagte dem Knaben, welcher ihm den Becher füllte, daß er ihn als Modell für eine seiner Ephebengestalten im innern Friese des Parthenon verwenden wolle. Kratinos stieß heimliche Verwünschungen aus und sagte zu seinem Nachbar Sophokles: »Dies Zauberweib, diese Circe, diese Omphale soll meiner gedenken! Sie läßt mich sogar den Chier aus dem großen Becher trinken! So lange ich nüchtern war, merkte ich nichts; jetzt aber ist mir klar, worauf sie es abgesehen hat!« – Polygnotos versicherte seinen Nachbar, daß er mit Ausnahme der jugendlichen Elpinike ein so wohlgestaltetes Weib wie Aspasia nicht gesehen habe. – »Perikles«, sagte der weinrote Hipponikos gerührt, »Perikles, du weißt, daß ich dich immer geehrt habe, dir auch großen Dank schulde, insofern du nämlich vor Jahren mich von der damals noch schönen aber zänkischen Telesippe befreit hast. Tue mir nur den Gefallen von wegen des Schatzhauses auf der Burg – denn ich beschäftige sechstausend Sklaven in den Silberbergwerken, und meine Habe mehrt sich täglich, und man ist vor Dieben nicht sicher. Und wenn dein Mündel Alkibiades heranwächst – mein Töchterlein Hipparete – die schönste aller Jungfrauen« ...

»Laß es nur gut sein!« sagte Perikles gutmütig lächelnd. Er war der einzige von der Gewalt des Bacchus völlig Unberührte im ganzen Kreise; nicht weil er weniger getrunken, sondern weil seine Natur ebenso stark war, als seine Seele mild. Er unterhielt sich mit Protagoras über politische Dinge, über die Wandlungen der Volksherrschaft zu Athen, über die auszusendende Kolonie, über die Möglichkeit eines baldigen Feldzuges. Protagoras aber blickte viel nach der schönen Milesierin hinüber. Zuletzt überraschte der schweigsame Iktinos, vom Chier begeistert, die Zechgenossen, indem er einen Päan auf den Dionysos anstimmte, welcher dann im Chore von allen gesungen wurde. – So bewegte sich bei dem Symposion im Hause des Hipponikos die Woge der geselligen, von des Bacchos Gaben, vom lieblichen Reiz der Sinne, vom Zauber der Milesierin beflügelten Festlust, gewürzt mit der Blume hellenischen Geistes, bis zum grauenden Morgen. Dann erhob sich der glänzende Protagoras und sagte: »Die Symposiarchin Aspasia hat, wie ihr wißt, ihren Platz mir abgetreten. Ich benütze dies, um einen Augenblick auch ihre Symposiarchen-Würde mir anzumaßen und euch aufzufordern, diesen letzten Becher zur Ehre Aspasias selbst zu leeren. Hoch hat sie als Trinkkönigin das Panier der schönen Freude gehalten, hat mit spielender Hand siegreich das Reich der holden Lust verteidigt gegen des Ernstes Androhen und gegen die Strenge der Weisheit – hat immer in wohlberechnetem Augenblicke, jetzt mit des Bechers Gaben, jetzt mit lieblichem Reiz der Sinne, jetzt mit des Eros und der Charitinnen Beistände angekämpft gegen das Feindliche, hat mit sanfter Narkose die Fragen des Wahrheitsuchers eingelullt und das vom Jugendfeuer verlass'ne greise Haupt des Weisen unter Blumen begraben – hat uns alle gemach auf die hohe See der dionysischen Freudenwelle hinausgesteuert! Aber gefahrlos ist die holde Trunkenheit für edle Hellenenstirnen, und nicht verderblich in die Tiefe des Hauptes dringt sie ein, sondern aufgefangen schlägt ihr Silbernebel als Tau sich nieder auf die Blätter der Kränze, mit welchen wir kühlend unsere Stirne beschatten! – Und so leert denn die letzten Becher zu Ehren der schönen und weisen Symposiarchin Aspasia!«

So sprach Protagoras, und Bescheid taten ihm die erlesenen Männer, welche beim Mahle des Hipponikos vereinigt waren als bekränzte Zecher, auf dem Felde des Ruhmes aber um Perikles und Aspasia sich reihen als die leuchtenden Sterne von Alt-Hellas!

Und als die letzten Becher geleert waren, gingen die Männer mit Händedrücken hinweg aus dem Hause des Hipponikos im Morgengrauen. –

»Bist auch du zufrieden mit der von Protagoras gepriesenen Symposiarchin?« – So fragte Aspasia den Perikles, als sie mit ihm sich allein fand. »Ich bewundere dich noch mehr von heute an«, sagte Perikles; »aber fürchtest du nicht, daß ich dich etwas weniger liebe?«

»Warum das?« fragte Aspasia.

»Du hast immer etwas für jeden«, erwiderte jener; »was hast du übrig für Perikles?«

»Mich selbst!« erwiderte Aspasia.

Er küßte sie auf die Stirn und sie umschloß ihn mit beglückenden Armen.

»Ich weiß nicht«, sagte Perikles, als er von ihr schied, »ich möchte mich entweder ins Feld der Taten stürzen, getrennt von dir, oder ungestörter als je einen Honigmond der Liebe mit dir in idyllischer Ruhe durchleben!«

»Vielleicht gewähren dieses oder jenes, oder beides zugleich zur rechten Zeit die Himmlischen!« versetzte Aspasia.

Die Milesierin schloß an jenem Morgen die müden schönen Augen mit dem Bewußtsein, daß sie wieder näher gekommen dem Ziele. Sie gedachte der Stunde, wo sie gedemütigt entweichen mußte aus dem Hause des Perikles; sie gedachte der stolzen Telesippe, die sich so unangreifbar wähnte, so unerschütterlich in ihrem Herrschertum am Herde des Hauses – sie sagte sich, daß ihre verschwiegenen und offenen Pläne der Erfüllung entgegenreiften, und daß sie triumphieren werde in ihrer Sendung, auf den Trümmern des Herkommens und des Vorurteils das Banner der Freiheit, der Schönheit und der Freude für immer aufzupflanzen.


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