Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

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IV. Die Pansgrotte.

Hoch und weit, in ungetrübter Bläue, wölbte der Horizont des Friedens sich über der Stadt der Athenäer. Ihr Ruhm wuchs zusehends, und ihre Macht schien kein Nebenbuhler mehr antasten zu wollen. Getrieben von einem starken Drange und mit einer Eile, als fürchteten sie, den rechten Augenblick zu versäumen, gingen die Männer von Athen an die Ausführung der Pläne des Perikles und des Pheidias. Aus allen Gegenden Griechenlands waren dem Pheidias geschickte und strebsame Kunstjünger zugeströmt. Viele Bildhauer waren nötig, um für die Bauten der Akropolis die ausschmückenden Werke des Meißels herzustellen. Für den Giebel des Hauses der Pallas galt es, eine nicht geringe Anzahl von Götterkolossen, für die Metopenfelder und Friese desselben lange Reihen sinnvoller Gebilde zu vollenden. Ueberdies wetteiferten die reichen Athener, bei den Bildnern Weihegeschenke zu bestellen, die sie gleichzeitig mit der Eröffnung des großen neuen Tempels auf der Akropolis aufzustellen gedachten. Und die Künstler selbst wetteiferten miteinander, für denselben Zeitpunkt und um desselben Zweckes willen ihr Schönstes und Bestes darzubringen. Unzählige Bau- und Zimmerleute waren bei den Bauten der großen Ringschule und des Odeion beschäftigt; noch mehr bei den Arbeiten auf der Akropolis. In den Steinbrüchen des Pentelikos erwachte jetzt ein doppelt reges Leben. Unablässig zogen von da die maultier- und rinderbespannten Lastwagen gegen die Stadt. Der Abhang des Felsberges der Akropolis widerhallte beständig von dem Rufe der Lasttiertreiber, denn es kostete große Mühe, die gewaltigen Marmorblöcke auf die Höhe des Berges hinauszuschaffen. Und wie nach ihrem Marmor auf dem Pentelikos, gruben die Athener jetzt fleißiger denn je nach ihrem Edelmetall in Laurion und nach ihrer vortrefflichen Töpfererde in dem heimischen Boden. Und was sie nicht schon hatten, das brachten ihnen die Kauffahrer übers Meer herüber: so das Cypressen- und das Ebenholz und manches Erz und Färbstoffe, und aus dem fernen Morgenlands das Elfenbein. Die Steine und die Hölzer mußten behauen werden, die Erze mußten geschmolzen werden, das Elfenbein mußte durch die Hände von Leuten gehen, welche es für die Zwecke der Kunst vorzubereiten und sogar geschmeidig zu machen verstanden; die Gold- und Silbersticker waren vollauf beschäftigt, allerlei Tempelschmuck und Weihegeschenke anzufertigen; die Seildreher mußten den Bau- und Zimmerleuten und den Führern der Lastwagen Taue von ungewöhnlicher Stärke liefern, die Wegmacher mußten Wege für den vielen Transport ebnen, und so gab es Arbeit überall, und alles wurde in den gärenden Wirbel der Betriebsamkeit mit hineingezogen. Für die beschwerlichste Handarbeit bei den Bauten wurden auch ausländische Helfer gedungen. Vor andern brauchbar erschien der schweigsam-ernste, zähe, geduldige Aegypter. Wie bei seinen heimischen Pyramiden, ermüdete er auch als Söldling in der Fremde nicht, mit der Ausdauer des Lasttiers geruhig Quadern auf Quadern übereinander zu türmen. Ganz Athen war in jenem Zeitpunkte eine große Künstlerwerkstätte.

Als der eigentliche Herd aber, auf welchem die Opferflamme des den Göttern wohlgefälligen neuen Bestrebens am mächtigsten emporloderte, stand die luftige Höhe der Akropolis da, ein altes Heiligtum, und eine feste Burg der Athener zugleich, um deren Fuß sich nach und nach die Behausungen der Ansiedler zur Stadt vereinigt hatten. Zur »Burg« machten diese Höhe nur ihre natürlichen Felsen und die gewaltigen Mauern, welche die nördliche und die südliche Seite derselben schützten.

Noch ist es kein dem Auge erfreulicher Anblick, was uns in diesem Augenblicke auf der Höhe begegnet, wüst und kraus erscheint die geräumige Hochfläche. Uralter Schutt liegt noch umher, mit Trümmern zerstörter Werke, zu neuer Verwendung ausgeschieden. Gegen den Südabhang ist zum Teil das Erdreich aufgegraben, und aus der Vertiefung sieht man schon einen massigen Quaderunterbau, zum größten Teil auf den Ueberresten eines alten, bis zur Bodenfläche und darüber empor sich erheben. Die übrige Fläche ist größtenteils verdeckt von Marmorblöcken, welche soeben zubehauen werden. Haufen von Erde, Geröll und Sand sind aufgeschüttet, Werkstätten verschiedener Art schließen im Hintergrund der Baustätte sich an. Ueberall ist das Klopfen der Hämmer zu vernehmen und das Knarren der Taue und der dumpfe, erderschütternde Hall gewälzter Steine und Balken, dazu die Rufe der Aufseher, welche das Heer der Werktätigen leiten und spornen.

Aber mitten in diesem wirren und unruhigen Getriebe des Werdenden auf der Akropolis steht noch ein festbegründetes ehrwürdiges Denkmal der alten Zeit, etwa wie ein grauer halbverfallener Turm am Meergestade, welchen die stürmischen Wellen umrauschen, begierig, ihn mit ihren Brandungen zu unterhöhlen, zu stürzen und hinwegzuschwemmen. Dies Denkmal war die Stätte des ältesten religiösen Dienstes der Athener; das geheimnisreiche, düstere Tempelhaus des schlangenfüßigen Erechtheus, des attischen Stammesheroen, zugleich den Kult des Meergottes Poseidon, der Kekropstochter Pandrosos und der Athene Polias in seinen Räumen umschließend, halb zerstört im Perserkriege und vorläufig nur zur Not wieder aufgerichtet.

Wundersam klangen die Sagen von Erechtheus aus den Urzeiten des attischen Landes und Volkes: wie in wohlverwahrtem Behälter Pallas Athene den Töchtern des auf der Akropolis herrschenden Königs Kekrops das neugeborne, schlangenfüßige Kind von ungewisser Herkunft übergab, mit dem ernstlichen Verbot, den Behälter zu öffnen, wie aber die Kekropstöchter – sie hießen Pandrosos, Aglauros und Herse – dennoch, von Neugier getrieben, die Kiste öffneten und das Knäblein fanden, von einem gräulichen Schlangenungetüm ganz umringelt; und wie dann, wahnsinnig vor Entsetzen über den Anblick, die Jungfrauen sich hinunterstürzten über die Felswände der Akropolis. Aber das Schlangenkind Erechtheus wuchs heran, in des Königs Kekrops Obhut, und ward zum gewaltigen Hort der Athener. Jener Tempelraum umschließt sein Grab, und noch immer gilt des Halbgotts wohlverwahrte Gruft als ein fester Schirm und Landeshort. Des alten Stammeshelden Seele aber lebt, nach dem Glauben des Athenervolks, in einer Schlange fort, welche beständig in dem Heiligtums genährt wird. Als des Tempels geheimnisvolle Hüterin gilt das Tier, und allmonatlich bringt man ihm Honigkuchen zum Opfer.

En heiliger Quell entspringt im Bezirk des Tempels; seine Flut ist salziges Meergewässer, als ob er unterirdisch mit dem Meere zusammenhinge, und beim Wehen des Südwinds, sagen die Athener, vernimmt man in demselben das leise Brausen der Meereswellen. Kein Wunder, denn diesen Quell entlockte, sagen die Athener, der Meergott Poseidon mit einem Schlage seines mächtigen Dreizacks dem Felsen der Akropolis, als er mit Pallas Athene sich stritt um den Besitz des attischen Landes. Noch sind im Felsgrunde die Dreizackspuren des Gottes vorhanden, und jeder kann sie schauen. Pallas Athene aber ließ dem Quell gegenüber einen Oelbaum aufsprossen, den Oelbaum, von welchem die andern Oelbäume in Attika alle, dieser Stolz und höchste Segen des attischen Landes, stammen. Durch den Oelbaum aber behauptete im Wetteifer der Segensspenden die weise Göttin Pallas Athene den Sieg über den gewaltigen Dreizackschwinger. Auch jenen uralt-heiligen Oelbaum umschließt noch der Tempelbezirk. Niederbrannte ihn der Perser: am nächsten Morgen aber war er durch Götterhuld schon wieder ellenhoch emporgegrünt. Das höchste Heiligtum aber im Bezirke des Erechtheions ist das uralte Bild der Athene Polias, aus Oelbaumholz, nicht von Menschenhand geschnitzt, sondern vom Himmel gefallen. Erechtheus selber hat es aufgestellt, und unverändert – so lehrt das Priestergeschlecht, das im Tempelhause des Erechtheus waltet – muß es an dieser Stelle aufbewahrt werden für immerwährende Zeiten. Eine ewige Lampe brennt vor demselben im düstern Raume des Tempels. Auch Weihegeschenke von merkwürdiger, Art sind da zu finden: ein aus Holz geschnitzter Hermes, beständig von lebendigen Myrtenzweigsn wurzellos umgrünt, aus den Zeiten der Kekrops herrührend, ein eigentümlich geformter Sessel, den der Tausendkünstler Dädalus in Urzeiten gefertigt, auch Trophäen aus den Perserkriegen: erbeutete Panzer und Schwerter besiegter persischer Heerführer. Vor dem Tempel aber im Freien steht ein Altar des Zeus. Nichts Lebendes darf auf diesem geopfert werden; auch keine Weinspende darf ausgegossen werden; nur Opferkuchen werden hier dem höchsten Gotte dargebracht.

So beschaffen ist das im Liede des Homeros erwähnte »Haus des Erechtheus«, welches, mehrere geschiedene Tempelräume für den Dienst der oben genannten Gottheiten umfassend, gegen den Nordabhang des Berges hin, ungleichmäßig auf ungleichem Boden, sich erhebt, und welchem gerade gegenüber man das neue Prachthaus der Pallas Athene zu errichten im Begriff ist.

Eine heilige Handlung wird eben in diesem Augenblicke vor dem Eingange des Tempels vollzogen.

Gereinigt und neu bekleidet wird von Zeit zu Zeit das alte Holzbild der Stadtschirmerin Athene, und in feierlicher Weise pflegt diese Reinigung zu geschehen. Ein religiöses Fest ist's wie ein anderes, und dieses Fest nun findet eben statt. Seinen Schmuck und sein Gewand hat man dem Bilde abgenommen, und eine Hülle wird über dieses gebreitet, während das Gewand eigens hierzu bestimmte Personen zu waschen beschäftigt sind. Und damit niemand während dieser Verrichtung den Tempel unberufen betrete, bleibt derselbe, solange die heilige Handlung dauert, mit einem gespannten Seil umzogen.

Die Reinigung ist nun vollbracht, die Göttin wird wieder bekleidet, ihr Haar – denn sie ist mit weiblich behaartem Haupte gebildet – wird sorgsam neu gekämmt und geordnet, ihr Leib aufs neue geschmückt mit Kränzen, Diademen, Halsketten und Ohrgehängen.

Die Personen, welche an dem heiligen Gebrauche teil genommen, entfernen sich. Bald sieht man nur mehr zwei Männer auf den Stufen vor dem Eingänge des Tempels stehen und sich unterreden. Der eine von ihnen ist der Priester des Erechtheustempels, Diopeithes. Seine Miene ist umdüstert, und er wirft von der Schwelle des Tempels grollende Blicke hinüber nach dem Schwarme der Werkleute, deren Getümmel und Gelärme als eine frevle Störung der heiligen Verrichtung ihm erschienen war.

Das Geschlecht der Eteobutaden, aus welchen seit Urzeiten der Priester des Erechtheus und die ihm zur Seite stehende Priesterin der Athene Polias stammten, war das älteste und lange Zeit auch das angesehenste Priestergeschlecht in ganz Attika. Aber in neuerer Zeit hatten die verwandten Eumolpiden, das Priestergeschlecht der Demeter zu Eleusis, mit deren Dienst die großen Mysterien verbunden waren, als Hierophanten oder Oberpriester dieser Geheimfeier von Eleusis zu einem noch höheren Range in der attischen Hierarchie sich emporgeschwungen. Nicht ohne geheimen Groll ertrugen die Eteobutaden diese Zurücksetzung. Aber dieser Groll war es nicht allein, was das Gemüt des Diopeithes, des nunmehrigen Priesters im Heiligtum des Erechtheus auf der Burg, verdüsterte.

Neuerdings einen Blick des Unmuts nach den Arbeiten des Parthenon hinüber werfend, begann er zu dem Manne, welcher mit der ergebenen Miene eines Vertrauten und Helfers neben ihm stand und welcher kein anderer als jener Lampon war, der Seher, der ins Haus des Perikles berufen worden, um das Wunderzeichen des einhörnigen Widders zu deuten:

»Der Friede«, sagte er, »ist gewichen von dieser geweihten Höhe, seit auf ihr jene lärmvolle Schar des Pheidias und des Kallikrates ihr Wesen treibt, und wundern sollt' es mich, wenn nicht bald die Götter selbst vor dem Getümmel jenes törichten und unfrommen Tuns sich entweichend zurückziehen. Denn töricht und unfromm ist, was jene beginnen, und niemals kann es den Göttern gefallen. Statt zu allererst das uraltheilige Haus des Erechtheus glänzender herzustellen, das nach dem Frevel, welchen der Perser daran verübt, vorerst nur notdürftig wieder aufgerichtet worden, beginnen jener Perikles und jener Pheidias damit, einen ganz neuen, unnützen Prunktempel diesem echten alten Heiligtum gerade gegenüber aufzutürmen. Schweifte mir bisher der Blick ungehemmt von dieser Stelle in die weite Ferne hinaus, so legt nun bald jenes Prunkgebäude sich wie ein Wall dahier vor meine Augen. O, ich weiß, wonach sie trachten, jene heimlichen Götterverächter! Sie wollen diesen altehrwürdigen Tempel und seine Götter in den Hintergrund drängen; ausrotten wollen sie den alten strengen Götterdienst und mit ihm den frommen Sinn; sie wollen an die Stelle der alten Tempel und der alten Götterbilder solche setzen, welche durch eitlen Prunk und leeren Glanz das Auge bestechen, aber kein Gefühl der wahren Götterfurcht in den Herzen erwecken. Was soll es werden, dieses »Haus der Jungfrau«, dieser Parthenon? Ein Tempel ohne Priester, ohne Dienst, ein prahlerisches Schaustück, ein Ziel- und Mittelpunkt bloß für das Festgepräng der Panathenäen, und daneben – doch nein, nicht nebenbei, sondern in seinem eigentlichen Wesen, o Schmach! ein Schatzhaus, ein Aufbewahrungsort für das Gold der Athener, das sie wohl oder übel an sich bringen! Nur als Hüterin dieses Goldes stellen sie im Tempelraume die Göttin auf! Und welche Göttin! Was will das Prunkgebild aus Gold und Elfenbein? Ein Machwerk wird es sein von Menschenhänden. Das alte Holzbild, welches dieser unscheinbare Tempel birgt, ist durch keines Sterblichen Ruhmbegier gefertigt worden – göttlich ist sein Ursprung und durch Götterhuld ist es den Athenern zu teil geworden!«

So Diopeithes. – »Es ist eine vermessene Zeit«, sagte zustimmend Lampon. »Das Einfache, das Alte, das Ehrwürdige, das Heilige ist bei manchen nicht mehr geachtet, und bald wird dünkelhaft das Menschliche über das Göttliche sich erheben wollen.«

Leiser und mit geheimnisvoller Miene begann jetzt Diopeithes wieder:

»Jener Perikles und jener Pheidias, welche die Athener zu dem neuen Bau beredet haben, wissen auch eines nicht, was wir Erechtheuspriester wissen, und was wir, immer hier oben wohnend auf der Höhe des Burgberges, vor anderen Menschen zu wissen im stande sind: daß gerade jene Stelle, gerade die Stelle dort, wo sie den schmuckreichen Giebel und den Haupteingang ihres neuen Tempels errichten wollen, zu denjenigen Orten gehört, welche man »unterweltliche« nennt, zu den Orten, wo niemals aus den Lüften ein Vogel sich niederläßt, oder derjenige, der es tut, verendend hinfällt, wie von einem giftigen Hauche getroffen. Laß sie nur bauen, die vorwitzigen, an jener Unglücksstelle; sie werden keinen Segen, sie werden nur Fluch davon haben! Es ist das Erbe der Männer von Athen, unbedacht zu handeln. Wenige wissen, woher es kommt. Wir Eteobutaden wissen es: Poseidon, besiegt im Wettstreit mit Pallas Athene, grollend ob seiner Zurücksetzung, verhängte für alle Zeit unweisen Rat den Athenern!« –

»Unweise sind sie«, versetzte Lampon, »und unweise sind ihre Führer, weil sie auf die Lehren derjenigen hören, welche sich Weltweise und Wahrheitsfreunde nennen. Auf Perikles hört das Athenervolk; Perikles selbst aber hört auf Anaxagoras, den Klazomenier, welcher die Natur erforscht, und welcher, weil er alles auf natürliche Ursachen zurückführen zu können glaubt, deshalb die Götter für entbehrlich hält. Kürzlich wurde ich in das Haus des Perikles gerufen, um ein Wunderzeichen zu deuten, das sich dort begeben hatte. Es war nämlich dem Perikles auf seinem Landgute ein Widder geboren worden, dem ein einziges Horn mitten auf der Stirn sproßte. Ich tat, was man verlangte, nach den Regeln meiner Kunst, und Perikles konnte mit meinem Seherspruche zufrieden sein. Aber ich hatte schlechten Dank dafür, denn Perikles schwieg völlig, und Anaxagoras, welcher ihm zufällig eben zur Seite war, lächelte, als ob mein Beginnen eitel und meine Rede töricht wäre!« –

»Ich kenne ihn«, erwiderte Diopeithes, und ein düsteres Feuer blitzte dabei in seinen Augen auf, »ich kenne ihn wohl, den Klazomenier; ich habe vorlängst auf dem Wege zum Piräus über Götter und göttliche Dinge ein Gespräch mit ihm gepflogen, und ich habe gesehen, daß seine Weisheit von der verderblichen Art ist. Solche Männer können in unserem Gemeinwesen nicht geduldet werden. Oder ist es so weit mit uns gekommen, daß die Gesetze zu Athen unkräftig sind gegen die Götterleugner? Nein! Noch erbebt die Mehrzahl der Athener in leisem Schauer bei diesem Namen!«

So sprach Diopeithes. Jetzt aber mit scharfem Auge rechtshin blickend, wies er auf einige Männer hin, welche, in lebhaftem Gespräch miteinander begriffen, den einzigen auf die Höhe der Akropolis führenden Weg über den westlichen Abhang des Berges hinaufgeschritten kamen. »Mich dünkt«, sagte Diopeithes, »ich sehe dort den unweisen Berater des Athenervolks, den Freund und Gönner des Anaxagoras, soeben heraufkommen. An seiner Seite geht, wenn mein Auge mich nicht trügt, einer von jenen neumodischen Schauspieldichtern, welche den ehrwürdigen Aischylos überwunden zu haben glauben. Wer ist aber jener dritte, die feine, geschmeidige Jünglingsgestalt, welche dem Perikles zur anderen Seite geht?«

»Das ist wohl«, erwiderte Lampon, »jener junge Zitherspieler aus Milet, den Perikles, wie ich höre, liebgewonnen, und der jetzt überall an seiner Seite gesehen wird.«

»Ein junger Zitherspieler aus Milet«, sagte Diopeithes, und musterte die Wohlgestalt des milesischen Jünglings; »ich habe bisher nur gewußt, daß Perikles ein Kenner und Liebhaber der Reize des anderen Geschlechtes ist; nun sehe ich, daß er das Schöne überall zu schätzen weiß. Denn dieser Jüngling, bei den Göttern, ist würdig, nicht bloß dem sogenannten Olympier Perikles, sondern dem Beherrscher des Olymps selber, dem höchsten Zeus, als Mundschenk zu dienen. Es wundert mich nur, daß dieser sogenannte Olympier, der würdevolle Perikles, kein Bedenken trägt, sich vor den Augen der Athener so ganz öffentlich mit erlesenen Lieblingen zu zeigen!« –

Während so der Erechtheuspriester den im Geleite des Perikles gehenden Jüngling mit Blicken der Mißgunst und der Lüsternheit zugleich musterte, waren jene drei näher gekommen. Immer anmutiger entwickelte sich die weiche, jugendliche Gestalt, welche Lampon dem Diopeithes als einen Zitherspieler aus Milet bezeichnet hatte. Der Tragödiendichter, welcher ebenfalls in der Gesellschaft des Perikles ging, warf zuweilen einen warmleuchtenden Blick auf das reizende Jünglingsbild und richtete auch mit Vorliebe sein Wort an den Milesier. Er selbst, der Dichter, war schön und stattlich von Ansehen. Seine reine Stirn schien wie von einem heiteren, ätherischen Lichte umflossen.

Jetzt trat den Ankömmlingen aus dem Schwarme der an dem Bau Beschäftigten Kallikrates entgegen, der wackere Meister, welchem die werktätige Ausführung dessen oblag, was Pheidias und Iktinos in der Zurückgezogenheit sinnend und grübelnd entwarfen. Man merkte es leicht an dem Manne, daß es seine Sache war, unablässig hin- und herzuwandeln im Sonnenbrande zwischen den Steinblöcken und den schweißtriefenden Arbeiterscharen auf der Höhe der Akropolis. Sein Gesicht war verbrannt, und die Farbe desselben hob von dem dunklen Barte, der es umrahmte, kaum sich ab. Das nicht minder schwarze, stechende und blitzende Auge schien gleichsam vollgesogen von der Sonnenglut. Die ganze sehnige Gestalt sah wie geröstet aus. Seine Gewandung unterschied sich kaum von der Gewandung derer, die ihn umgaben. Nachlässig und von unbestimmbar gewordener Farbe hing das Stück Zeug, das er seinen Chiton nannte, ihm um die schwarzbraunen Glieder. Und so wie er jetzt im Schwarme der Werkleute auf der Akropolis umherging, so war er vordem schon manches Jahr lang umhergegangen bei der mittleren langen Mauer unten, die sein Werk war, und die er kürzlich zur Freude des Perikles vollendet hatte.

Perikles tat an Kallikrates verschiedene Fragen, welche sich auf den Fortgang der Arbeiten bezogen. Mit Genugtuung wies Kallikrates hin auf den nun vollendeten Unterbau, gefügt aus riesigen Quadern von feinem, gelblichem Muschelkalk. »Ihr seht«, sagte er, »der Grund steht vollendet, mitsamt den drei großen Marmorstufen, die ihn umsäumen. Seht nur, wie sich's da schier die ganze Mittagsseite der Bergeshöhe entlang erstreckt! Schon sind auch die Zwischenweiten der Säulen abgesteckt, desgleichen die Umrisse der Innenmauern, sowohl des Gemachs für das Bild der Göttin, als des Hinterhauses für den Schatz, und auch an den Säulentrommeln wie an den Gebälkstücken wird gearbeitet; alles freilich vorerst nur aus dem Groben gehauen; denn die feinere Arbeit folgt erst nach, wenn das Ganze im allgemeinen Umriß wohlgefügt dasteht, und ihr dürft vorläufig nichts nach dem, wie es im Augenblicke sich darstellt, beurteilen. Ihr werdet euch gedulden müssen, denn Iktinos ist ein Zauderer und Pheidias desgleichen« ...

»Wohl kann ich mir's vorstellen«, sagte Perikles, »daß der Grübler Iktinos niemals sich selber genug tut« –

»Und Pheidias desgleichen«, wiederholte Kallikrates beinahe mit Unmut. »Tagelang sitzen sie flüsternd beisammen und haben vor sich ihre beschriebenen Blätter und Tafeln und rechnen und messen, grübelnd über die rechten Zwischenweiten und Schwellungen und Neigungen der Säulen und über die Verhältnisse der Gesimse und Kapitäler, und gehen dann wieder zum Theseustempel hinab und messen dort herum an Säulen und Gebälk, und sehen sich auch dort nicht befriedigt, indem sie finden, daß dort das Gebälk ein wenig zu lastend, die Zwischenweite der Säulen ein wenig zu groß sei und daß man es hier besser machen müsse. Und dann rechnen sie wieder und zanken sich auch wohl ein wenig und stellen Versuche an, zu erproben, um wieviel die Ecksäulen stärker gebildet sein müssen als die übrigen, und um wieviel der für das Auge gar nicht merkliche Abstand der Ecksäule von der ihr benachbarten enger sein muß als der der übrigen von einander, und wie groß ihre leise Verjüngung nach oben und nach unten ausfallen muß, und wie viel hier von der dorischen, dort von der ionischen Art entlehnt werden muß, und um wie viele Linien die Ausladung an diesem Gebälk oder an jenem Gesims oder Kapitäl oder Fries stärker oder geringer gemacht werden muß, damit alles in einer bisher nie gesehenen Weise aufs schönste und wohltuendste zusammenstimme.«

»Wer möchte einen Iktinos nicht um sein feingebildetes Kenner- und Meisterauge beneiden!« rief Perikles.

»Es ist das Auge eines Falken!« sagte Kallikrates. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie wundersam gesteigert und ausgebildet die Wahrnehmung dieses Mannes ist. Er trägt immer den Maßstab in der Hand, aber er braucht ihn wenig, denn Sehen ist bei ihm schon Messen und Rechnen. Die eingeborne Meßkunst seines Auges ist so erstaunlich, daß er mit rechnendem Bewußtsein Wirkungen unterscheidet, von welchen die Laien kaum ein halbes Gefühl, kaum einen unbewußten Eindruck haben. Er sieht sozusagen mit tastenden Augen und tastet mit sehendem Finger. Und bei Pheidias ist's ebenso. Der pflegt zu sagen, und ihr habt es wohl schon aus seinem Munde vernommen: Gebt mir eine Löwenklaue, und ich stelle euch nach ihr den ganzen Löwen wieder her! – So scharf und wohlgeübt ist auch des Pheidias Betrachtung der Dinge und sein Sinn für alles, was man Form und Gestaltung und Zusammenstimmung nennt.«

»Warum sollte das Auge des Hellenen nicht auch so feinfühlig werden können, wie sein Ohr?« sagte der Dichter. »Empfinden wir Poeten und Musiker doch« – er blickte dabei den jungen Zitherspieler an – »die geringsten Feinheiten und Unterschiede des Rhythmus und hören Mitteltöne heraus, die für das Ohr des Laien verloren sind!«

»Es ist sehr rühmlich von Iktinos und Pheidias«, fuhr Kallikrates lächelnd fort, »daß sie alles so fein ersinnen und mit Strichen und Zeichen feststellen auf dem Papyros. Aber nun bedenkt, daß all' das Feingedachte, was diese Männer ergrübeln und entwerfen auf dem Papyros, auch ausgeführt sein will – ausgeführt in massigem, widerstrebendem Stoffe. Da seht die Tafel, auf welcher mir Iktinos die Maße und Berechnungen verzeichnet hat, wie er sie braucht und haben will – die soll ich nun im Quadergestein verwirklichen, in kolossalem Maßstabe und doch so genau, mit allen Feinheiten des Entwurfes, als ob ich sie mit einem feinen Messerchen aus Ebenholz schnitzelte.«

»Leicht ist die Mühe begreiflich«, sagte der Dichter, »die es kostet, all' die feinen Maße und schnurgeraden Linien jener Entwürfe in der Riesenschrift der Quadern und in wechselnder Formfülle überall festzuhalten« –

»Schnurgerade Linien sagst du?« rief Kallikrates mit einem beinahe spöttischen Lächeln. »Schnurgerade Linien? Wollten die Götter! Mit schnurgeraden Linien würde wohl auch ein Stümper fertig. Aber dergleichen gibt es nicht in den Maßen des Iktinos und des Pheidias. Wißt ihr was Iktinos sagt? »Um gerade zu erscheinen, darf die Linie in großen Verhältnissen es niemals wirklich sein!« – Seht euch einmal den Unterbau hier an, und die Stufen, welche zu seiner Oberfläche hinaufführen. Ihr meint wohl, daß diese Oberfläche wirklich so schnurgerade läuft, als sie eurem Auge sich darstellt? Ihr irrt: Die Linie dieser Oberfläche erhebt sich gegen die Mitte zu in leise schwellender, für das Auge unmerklicher und dennoch auf das Auge berechneter Krümmung. Und diese selbe leise, unmerkliche Krümmung könnet ihr später auch beim Gebälk, wenn auch in geringerem Maße, finden, ja überall, in der ganzen Außen-Architektur des Tempels will sie Iktinos durchgeführt wissen; und wie vom Kranzgesims bis zur Grundfeste herunter nichts wirklich Wagerechtes zu finden sein soll, so will er auch nichts völlig Senkrechtes dulden und die nach oben gekrümmten Linien ebenso leise nach innen geneigt wissen. Ohne dieses auf die Gesetze der Sehkraft und auf die Brechungen des Lichtes berechnete Spiel der leisen Krümmungen, sagt Iktinos, erschiene das Ganze schwunglos und hätte, statt frei und leicht emporzustreben, das Anseh'n, als wolle es in den Boden sinken. Haltet was ihr wollt von diesen und ähnlichen Kunstgeheimnissen der beiden Meister; aber bedenket nun, wie ich, um nur eins zu erwähnen, es anstellen soll, daß trotz jener leisen Krümmungen nach oben und unmerklichen Neigungen nach innen die einzelnen Werkstücke, die Quadern, die Säulentrommeln, nach jenen feinen Maßen verschieden berechnet und zugeschnitten, dennoch haarscharf und fest und sicher ineinander sich fügen?«

»Du wirst es vermögen, wackerer Kallikrates!« sagte Perikles lebhaft; »ich kenne dich! – Lassen wir im übrigen den Iktinos und den Pheidias mit ihrem feinfühlenden Auge messen und rechnen; es ist ja doch im Grunde ein inneres, göttlich begeistertes Schauen, welchem jene Männer messend und rechnend folgen. Ihnen ist es durch die Götter in die Seele gelegt worden, zu erkennen, auf welchem Wege und durch welche Mittel sie auch uns in äußerlicher Schau dasjenige rein zu genießen geben mögen, was sie im innerlichen Schauen uns gleichsam vorgekostet.«

»Solange ein Stein hier über dem andern ruht«, sagte der Dichter zustimmend, »wird wohl das, was gottbegeisterte Männer, wie diese beiden, erst mit der Seele geschaut und dann in Zahlen und Maßen ergriffen und begriffen haben, Sinn und Herz der Betrachter bewältigen.«

»Nur nicht Sinn und Herz des Lauschers da drüben«, fiel Kallikrates lächelnd ein, nachdem er eine Weile scharf den Erechtheuspriester und seinen Vertrauten ins Auge gefaßt, welche beide, lauernd und horchend, noch immer am Eingange des Erechtheions standen.

»Mit Blicken des Ingrimms«, fuhr Kallikrates fort, »schaut jener beständig nach unserem Tun herüber, aber ich trage kein Bedenken, diese Blicke zu erwidern. Wir necken einander, und zwischen meinen Leuten und seinen Tempeldienern herrscht eine offene Fehde.«

»Es darf uns nicht wundern«, sagte Perikles, »wenn der Erechtheuspriester zürnt. Bauen wir doch, statt sein altes Tempelhaus wieder herzustellen, vor seinen Augen ein neues. Aber wer möchte es auch wagen, mit freigestaltender Hand an die altehrwürdigen Geheimnisse jenes düsteren Heiligtums zu rühren?«

»Ja«, sagte Kallikrates, »man tut besser, die Eulen dort weiter nisten zu lassen. Die sitzen unter dem alten Tempeldache Tag und Nacht. Jene da drüben wollen nichts wissen von den neuen Götterbildern des Pheidias. Sie wollen keine neuen Götter; sie waschen und kämmen die alten und behängen sie äußerlich mit neuem Kleidertand und glauben, so könnten sie ewig dauern. Diese Leute möchten die Pallas Athene am liebsten noch immer mit dem Eulengesichte gebildet sehen!« –

»Dort nähern sich Pheidias und Iktinos«, sagte der Dichter, nach der andern Seite blickend, »wir werden nun sie selber hören« –

»Ihr werdet nicht viel hören«, versetzte Kallikrates. »Pheidias ist schweigsam, wie ihr wißt, und Iktinos zürnt einem jeden, der ihn über sein künstlerisches Bestreben zu reden zwingen will. Beide Männer sind nur unter einander, aber mit sonst niemand in der Welt gesprächig.«

Inzwischen war Pheidias und Iktinos näher gekommen. Iktinos war ein unscheinbares, etwas gebücktes Männchen. Seine Züge waren schlaff, sein Antlitz gelblich, seine Augen matt, wie von vielem Wachen und Sinnen. Aber in seinen Schritten hatte er dennoch etwas Hastiges, Unruhiges, das auf Erregbarkeit und eine bewegliche Seele schließen ließ.

Pheidias erwiderte den Händedruck des Perikles, sowie des ihm gesellten Dichters. Auf den schönen Zitherspieler mit den jugendlichen und weichen Gliederformen warf er einen sonderbaren Blick, Er schien ihn zu kennen und doch nicht kennen zu wollen. Iktinos hatte das Ansehen eines Mannes, dem die Begegnung der Menschen selten erwünscht ist, und schien gesonnen, seinen Weg ohne Pheidias fortzusetzen.

Aber der Dichter wollte die Wahrheit dessen erproben, was Kallikrates gesagt, und wendete sich an den geschäftigen und eiligen Mann, um ihn zu versuchen, mit der Frage: »Meister Iktinos, willst du nicht als ein Kundiger eine Frage entscheiden, welche den Perikles und mich und den jungen Zitherspieler hier vor kurzem eine geraume Weile beschäftigt hat? Wir sprachen über die Gründe, welche wohl euch Baumeister veranlassen mögen, daß ihr den Architrav nicht unmittelbar auf dem Säulenschafte aufruhen lasset, sondern ein etwas breiteres Glied, sei es in der Form des dorischen Kapitäls oder der ionischen Schnecke, dazwischen schiebt? Einige behaupteten, dies geschehe, damit es das Ansehen habe, als ob die Last des Gebälks die Masse der Säulen gleichsam auseinanderdrücke – sie an der Spitze gleichsam breit quetsche« –

Iktinos lachte in sich hinein. »Also Säulen von Lehm, von Teig oder Butter?« rief er in sarkastischem Tone. »Schöne Säulen das – Säulen von Lehm, die sich breit quetschen lassen – ha, ha, ha – Schöne Säulen das« –

»Du spottest dieser Erklärer?« rief der Dichter. »Sag' also selbst, warum tut ihr so?«

»Weil das Gegenteil häßlich und abscheulich und unerträglich wäre!«

Diese Worte stieß Iktinos kurz heraus, warf dem Frager einen flüchtigen Blick aus seinen grauen Augen zu und huschte vorüber.

Die Männer lachten. –

»Ich sehe«, fuhr Perikles hierauf, zu Pheidias gewendet, fort, »daß die Arbeiten rüstig fortschreiten. Das ist erfreulich. Wir müssen rasch und mit Eifer arbeiten. Wir müssen die vielleicht nie so wiederkehrende Gunst der Zeiten benützen. Ein ausbrechender großer Krieg würde alles ins Stocken bringen, und bald würden uns vielleicht die Mittel fehlen, das Begonnene zu vollenden.«

»Schon wird auch an den Entwürfen und Tonmodellen der gewaltigen Giebelgruppe, sowie der Friese und Metopenbilder in den Werkstätten mit Eifer gearbeitet!« erwiderte Pheidias.

»Gedenkst du nicht«, fragte Perikles, »den Polygnotos heranzuziehen, damit auch hier, wie es unten am Theseion geschehen, Meißel und Pinsel in die Ausführung der Metopenfelder sich teile? Doch ich erinnere mich, du denkst nicht am besten von der Schwesterkunst des Pinsels, welche freilich noch ein wenig unbeholfen hinter den Riesenfortschritten des Meißels einherhinkt.«

»Habe ich doch selbst als Jüngling es mit dem Pinsel versucht«, erwiderte Pheidias; »aber es genügte mir nicht. Voll und rund und rein wollte ich das, was ich innerlich schaute, hinstellen, das konnte ich nur mit dem Meißel.«

»Wohlan!« sagte Perikles; »so möge am neuen Hause der Pallas nur die reifste Kunst sich betätigen, damit es ein Denkmal des Besten sei, was wir vermögen. Wir wollen den Polygnotos bei anderer Gelegenheit zu entschädigen suchen. Wir wollen späterhin auch erwägen, was sich etwa tun läßt für das alte Tempelhaus des grollenden Priesters und auch für das dort so keck auf die höchste Felsterrasse hingepflanzte, halbvollendete Tempelchen der ungeflügelten Siegesgöttin! Möchte doch, wenn ich dereinst vom Schauplatze abtrete, keinem Athener etwas zu wünschen übrig bleiben. So viele noch unzufrieden mit mir zu wissen, ist mir ein peinlicher Gedanke. Du lächelst? Freilich, der ernste, strenge Pheidias will nur sich selber genügen.« –

»Das ist eben das Schwerste!« erwiderte Pheidias.

»Die Gegner fürchtest du nicht?« fuhr Perikles fort. »Gib acht, es fehlt uns nicht an solchen! Auch du bist beneidet, und was du schaffst, ist nicht allen wohlgefällig!«

»Nie läßt mich zittern Pallas Athene!« erwiderte Pheidias mit den Worten des Homeros und wies mit der Hand nach dem ehernen Riesenbilde seiner Vorkämpferin, das mitten in diesem Wuste des Alten und Neuen auf der Akropolis so erhaben in den reinen, ruhigen Aether hinaufragte.

Dann entfernte sich Pheidias, um den Iktinos wieder aufzusuchen.

Perikles, der Tragödiendichter und der Jüngling aus Milet setzten ihren Rundgang über die Höhe der Akropolis fort.

Der tragische Dichter vertiefte sich in anmutige Gespräche mit dem jungen Zitherspieler. War er doch selbst ein trefflicher Meister des Saitenspiels. So fein und scharfsinnig wußte im Gespräch mit dem Dichter sich der Jüngling auszudrücken, daß jener zuletzt verwundert sagte:

»Ich wußte, daß die Milesier sehr liebenswürdig sind, aber ich wußte noch nicht, daß sie so weise sind.«

»Und ich«, entgegnete der Jüngling, »habe die tragischen Dichter der Athener immer für sehr weise gehalten, aber ich glaubte nicht, daß sie auch so liebenswürdig sein könnten. Ich schloß nämlich voreilig von den Werken der Dichter auf die Dichter selbst. Wie kommt es, daß eure tragische Poesie bisher den zarteren Regungen des menschlichen Herzens so wenig Rechnung trug? Großartig ist da alles, erhaben, nicht selten grauenerweckend; aber der zartesten und doch zugleich mächtigsten Leidenschaft, welche die Liebe benannt wird, gönnt ihr den Spielraum nicht, den sie verdient. Wissen doch Anakreon und Sappho, jener heiter und diese schmerzlich, so viel von ihr zu sagen; warum verschmähte es nur der tragische Dichter bisher, dem Großen und Uebermenschlichen nachtrachtend, Töne jener zärtlichen, echt-menschlichen Regung anzuschlagen?«

»Junger Freund«, sagte lächelnd der Dichter, »keinen Würdigeren als dich hätte der zarte, geflügelte, pfeilbewährte Gott finden können, sich seiner anzunehmen. Wenige Tage sind es, daß mir der Gedanke einer Tragödie durch den Kopf gelaufen, in welcher demjenigen, zu dessen Anwalt du dich machst, wohl ein Spielraum gegönnt werden könnte. Ich weiß nicht, ob mir der flüchtige Gedanke wiedergekehrt wäre: aber es trifft sich schön, daß ich von dir in dieser Art daran erinnert werde. Ich denke jene Tragödie jetzt wirklich zu schreiben, so sehr haben deine Worte, und mehr noch deine leuchtenden Blicke, zu Gunsten der Sache, die du vertrittst, mich entflammt und begeistert!«

»Vortrefflich!« erwiderte der Jüngling; »ich würde dir den duftigen Kranz für den Siegestag einer Tragödie bereit halten« –

»Einen Kranz von roten Rosen!« rief der Poet, »weil ich ja in meinem Gedichte den Allsieger Eros zu preisen gedenke!«

»Gewiß!« erwiderte der Jüngling, »und da sieh! der dankbare geflügelte Gott scheint zu wünschen, daß ich die Rosen für jenen Kranz sogleich pflücke.« Damit schwang die weiche, behende Gestalt des Jünglings sich auf einen hervorragenden Fels hinauf, in dessen Spalte ein vielleicht jahrhundertealter mächtiger Strauch grünte, der ganz von blühenden Rosen bedeckt war.

»Gib acht, junger Freund«, sagte der Dichter, »du weißt nicht, an welcher Unglücksstätte du stehst! Von der Spitze dieses Felsens hat der Athenerkönig sich ins Meer hinabgestürzt, weil sein herrlicher Sohn, von der Bekämpfung des Untiers heimkehrend, versäumte, im Angesicht Athens als Lebens- und Siegeszeichen das weiße Segel aufzuspannen! Freilich kann der Fuß auf dieser geweihten Höhe keine Stelle betreten, wo nicht Funken der Vergangenheit unter dem Tritte aus dem Boden stäuben und uralte Sagen den Waller umflüstern.«

»Doch während der Fuß im Staube der Vergangenheit wandelt«, sagte Perikles, »schweifen die Blicke von dieser Höhe frei hinaus und schwelgen in aller vollen Schöne und Frische der Gegenwart. Bist du so kühn und so behend, milesischer Freund, so folg' uns über den Fels zur weitschauenden Quaderfläche, in welche hier die gewaltige Schutzmauer der Akropolis ausläuft!«

Lächelnd eilte der Jüngling voran und bald standen die drei auf der hochragenden Warte.

»Horche doch einmal hin«, sagte Perikles, »was dir diese schön geschwungenen attischen Gestade, diese leuchtenden Golfe, diese Inseln erzählen, die mit ihren Bergeshäuptern aus dem schönsten Meeresblau ins schönste Aetherblau sich erheben! Dort steigt aus den Wellen des saronischen Busens vielgegipfelt Aegina. Im Geklüft bargen sich dort die wilden »Ameisenmenschen« der Urzeit. Heut' aber ragt auf des Eilands höchstem Berge in waldschattiger Einsamkeit, unser Volk zu einem seiner schönsten Feste versammelnd, der Tempel des panhellenischen Zeus. Näher da zur Rechten in derselben Meereswoge grünt Salamis, die Heldenwiege. Aber braucht der späte Enkel vor dem Schatten des unsterblichen Helden zu erröten, der von dort gen Ilion auszog? Ward nicht eben dort im schimmernden Sunde, der jetzt so friedlich herübergrüßt, von uns die ruhmvollste aller Meeresschlachten geschlagen? Und mitternachtwärts, wo Kithairon und Pentelikos und Parnesos wallartig als Schutzwehr vor das attische Land sich legen, auf der Seite des Sonnenaufgangs dem von der Mittagsseite her sich erstreckenden Hymettos die Hand reichend, dort erzählt Urvätersage von Löwen, welche in den Waldschluchten hausten. Aber unsere Väter haben die Löwen erwürgt und ihre am Feuer geschmorten Herzen gegessen, damit sie Löwenmut und Löwenkraft ihren Enkeln vererbten. Und es war wohl jener so vererbte Löwenmut, durch welchen unmittelbar hinter jenen Höhen, auf dem Gefilde von Marathon, dem schönsten aller Meeressiege der schönste aller Festlandssiege gesellt ist! Die Löwen und Wölfe jener Schluchten sind erlegt, die Barbaren von jenem Wall des attischen Landes für immer weggescheucht, ruhig graben wir auf der Stätte der alten Löwenjagd den prächtigen pentelischen Marmor und sammeln den Honig der gepriesenen Hymettosbienen. Dort hinter Akrokorinth steht das mächtige Kyllenegebirg in Silberduft, und wenn die letzten Nebelschleier der westlichen Ferne zerreißen, so zeigen sich wohl auch noch die Zinnen von Korinth samt der blauschimmernden Meeresenge den Blicken. Aber vergessen wir der ernsten Grüße nicht, die uns über Aegina und Salamis der nicht allzuferne Peloponnesos herübersendet. Siehst du jene vielbuchtigen Küsten mit den zackigen Höhen von Argolis und hinter ihnen Arkadias Berge? – So oft ich über die Denkmäler und Stätten athenischen Ruhmes hinweg nach jenen Bergen des Peloponnesos blicke, faßt mich stets ein Drang von seltsamer Art, und mir ist, als sollt' ich die Hand an den Griff eines Schwertes legen – mir ist, als reckte sich hinter jenen Bergen das finstere Lakedaimon empor und blickte drohend herüber« ...

»Daß doch der Blick der Staatsmänner und Feldherren immer so in die Weite schweift!« fiel der Dichter ein. »Sollen wir statt der fernen Berge des Peloponnesos nicht lieber erst völlig betrachtend genießen, was uns ganz nahe vor Augen liegt? Jüngling, laß dich nicht nach dem Peloponnesos und seinen drohenden Bergeshäuptern locken! Versenke dich in das heitere Bild des welligen, besonnten Binnenlandes da unten, wo zahllos im Gefild die Marksteine der attischen Gaue stehen und wo überall in der Runde die weißen Weiler blinken, der Landbesitz des niemals wegmüden Atheners, der, wenn möglich, Tag für Tag hinausgeht aus der Stadt zu seinen Fruchtbäumen und Saatfeldern und nachsieht, wie die Sklaven seiner Rinder warten und seiner Lämmer und Ziegen. Und wie lieblich schlängeln zwischen den Weilern, Fluren, Oelbaumhainen, offenen Götteraltären, steinernen Denkmälern nach allen Seiten die Wege sich hinaus! Nach dem Piräus hier, und dort nach Rhamnos und Marathon. Am schönsten aber geht abendwärts der Weg nach Eleusis, der heiligen Mysterienstadt, zwischen unzähligen weiß glänzenden Heiligtümern und zwischen Silberpappeln und Oel- und Feigenbäumen hin. Und wie glanzhell liegt die Stadt selber da unten verbreitet zwischen dem Ilissos und dem Kephissos, den kristallklaren, aber freilich kurzlebigen Flüßlein: in den nahen Bergen entspringen sie, und gelangen doch nicht einmal hinunter bis in das nahe Meer, sondern begnügen sich, als Rieselwelle und Sprengtau die Blumengärten der Athener zu netzen, oder tanzend in tausend Springbrunnen ihr junges Leben schön zu verschwenden. Am Ilissos grünen die Gärten, von Menschen gepflanzt; aber ein Garten von Natur und eine liebliche Schatten-Oase im sonnigen Land Attika sind die Täler, wo aus dem hellen Grün der Olive die schönen Gewässer des Kephissos blitzen. Dies Gelände preis' ich mit Stolz, denn es ist mein Heimatgau, der Gau von Kolonos! Dein kriegerischer Freund Perikles würde dir erzählen, daß in diesem Gau die schönsten Rosse gedeihen, und daß es die wilden Prachtfüllen von Kolonos waren, für welche in Urzeiten der Meergott die Zügel erfunden; ich aber sage dir, daß in jenem Tal des Kephissos niemals rauhe Winde wehen, daß dort der Weinstock und die Feige grünen, daß, befeuchtet vom reinsten Taue, dort die Narzissen blühen und die Veilchen und goldiger Krokus und weichrankender Efeu ...«

Des Dichters Züge hatten sich feurig belebt, indem er, in die hellen Augensterne des Jünglings blickend, die Reize seines Heimatgaues pries. Zuletzt faßte er die Hand desselben und sagte: »Komm doch selbst einmal in meinen schönen Gau, oder noch besser, folge mir sogleich und verlebe den Tag in meinem ländlichen Hause am Kephissosufer; ich werde dir meine Zithern und Lyren zeigen, und wenn es dir beliebt, können wir in der Weise arkadischer Hirten einen kleinen Wettstreit anstellen mit Saitenspiel und Gesang!«

Der Zitherspieler lächelte, und Perikles sagte nach einer kleinen Pause: »Ich selbst werde nächstens einmal dem jungen Aspasios als Wegweiser zu deinem ländlichen Hause dienen; auch bedürft ihr für euren Wettstreit in Saitenspiel und Gesang doch wohl eines Kampfrichters?«

»Aspasios nennt sich der Jüngling?« rief der Dichter; »der Name erinnert mich an den einer schönen Milesierin, von welcher ich in letzter Zeit habe sprechen hören« –

Der Zitherspieler errötete.

Dies Erröten befremdete den Dichter. Er hielt noch immer die zum Abschied ergriffene Hand des Jünglings in der seinigen. Und siehe, in diesem Augenblicke war eine Empfindung in ihm lebendig, die er ohne Zweifel schon früher gehabt, aber ohne sich derselben voll bewußt zu sein.

Er fühlte nämlich mit einem Male überaus deutlich, daß die Hand des jungen Milesiers sehr fein, sehr warm und sehr weich war. Einen Augenblick später war er sogar überzeugt, daß diese Hand zu fein, zu warm und zu weich war, um einem männlichen Arme, und war's auch der jugendlich-zarteste, anzugehören.

Die eine Hälfte des schönsten Geheimnisses las er in Purpurschrift auf den Wangen des Zitherspielers, die andere Hälfte desselben hielt er sozusagen in der Hand ...

Der Dichter irrte nicht. Die Hand, welche er in der seinigen hielt, war nicht die eines Jünglings. Es war die Hand der schönen Aspasia.

Perikles und die Milesierin hatten sich im Laufe der Monde wiedergesehen seit jener ersten Begegnung im Hause des Pheidias, zuerst bei Hipponikos selbst, dem gutmütigen Schwelger, welcher dem Perikles befreundet war. Sie sahen oft sich wieder und zuletzt wären sie am liebsten unzertrennlich gewesen. Aspasia warf sich in männliches Gewand und begleitete den Freund zuweilen unter der Maske des »Zitherspielers von Milet«. So war sie heute mit ihm auf die Akropolis gegangen. Auf dem Wege hatte sich der tragische Dichter ihnen angeschlossen. Und dieser offensten, empfänglichsten aller Griechenseelen war es wunderbar ergangen. Durch einen Zauber hatte der Dichter sich in dieser Gesellschaft bestrickt gefunden, der ihm selbst ein Rätsel war. Nun sah er dies Rätsel gelöst. Verwirrt ließ er die feine, weiche Hand fahren. Bald aber faßte er sich wieder und sagte mit bedeutsamem Lächeln zu Perikles: »Ich merke, daß der Seher- und Dichtergott Apollon mir noch immer günstig ist. Er hat den weiten Weg nach Delphi mir erspart, und nicht einmal mein nächtliches Einschlummern hat er abgewartet, um mir mit Offenbarungen im Traume zu erscheinen, sondern plötzlich hat er mir die Gabe verliehen, untrüglich aus der Hand des Menschen wahrzusagen und insonderheit sein Geschlecht daraus zu bestimmen, auch wenn er es noch so sehr verbergen will.«

»Du bist von jeher ein Götterliebling«, sagte Perikles, »und vor dir haben die Olympier keine Geheimnisse.«

»Daran tun sie wohl«, versetzte der Dichter. »Ich rechne zu ihnen auch den Olympier Perikles« ...

»Was auch immer deine cheiromantische Kunst dir über das Geschlecht des milesischen Zitherspielers verraten haben mag«, sagte Perikles, »gewiß ist, daß derselbe ein Recht hat, in männlichen Kleidern zu gehen und sich einen männlichen Namen beizulegen. Der Frauen Art ist's, sich überall empfangend und leidend zu verhalten. Dieser hingegen ist von einer durchaus tätigen und befruchtenden Natur, und du kannst dich ihm nicht nähern, ohne daß er auf dich wirkt und ein Samenkorn in deiner Seele zurückläßt.«

»Ich kann es bezeugen«, sagte der Dichter; »auch in mir hat er soeben einen dichterischen Funken so leichthin und gleichsam spielend, mit ein paar hingeworfenen Worten, zu hellen Flammen angefacht. Es ist wunderbar, welche Kraft weise Gedanken aus schönem Munde haben! – Wie verlockend wär' es, sich so erwünschten Wirkungen noch länger preiszugeben! Aber die Sonne neigt sich hinter den Höhen von Akrokorinth zum Niedergange. In jenem Busch schlägt eine Nachtigall, von welcher ich glaube, daß sie aus dem Gau von Kolonos herüberflog, mich zur Heimkehr zu mahnen. Von der höchsten Warte der Akropolis bis zu jenem Weiler, den ihr dort auf dem Abhange des kleinen, von den Wellen des Kephissos umsäumten Hügels aus dem Laube der Oliven blicken seht, ist ein ziemlich weiter Weg zurückzulegen. So nehme ich denn Abschied von euch, und trotz der Verwandlungen, welche inzwischen vorgefallen, und welche anmutiger sind als alle, von welchen unser Mythos berichtet, wiederhole ich das Wort: »Kommt hinüber nach dem Gau von Kolonos! Flüchtet dorthin, wenn euch der Menschen Nähe lästig wird, und lebt einen Tag lang in schöner Einsamkeit!« –

»Wir werden deines Wortes gedenken!« sagte Perikles. »Einstweilen laß die Muse dir folgen in deine Einsamkeit. Im Wettstreit aller Künste muß auch die tragische zum höchsten Gipfel emporstreben. Du hast sie von der herben Strenge deiner Vorgänger weitergeführt zur Milde und zu reiner Menschlichkeit. Laß dein neues Werk des Schöpfers der »Elektra« würdig sein, damit wir es bald als die mildeste und reifste Frucht der sophokleischen Muse preisend genießen!«

»Schwebe nur über mir«, versetzte der Dichter, »der Geist dieses Zitherspielers, von welchem ich zwar noch keinen Laut auf der Zither gehört, der mich aber doch schon bezaubert hat. Es scheint, daß er sich die Herzen der Staatsmänner und Dichter auserwählt, um seine Melodien darauf zu spielen« ...

So sprach der Mann mit der hellen Stirne und den klaren, warmbeseelten, freundlichen Augen, drückte seinem Freunde die Hand, neigte sich vor der verkleideten Milesierin und wendete sich dann, um langsam, nicht ohne sich noch einmal umzublicken, die Akropolis hinabzugehen.

»Fürchte nichts von diesem Mitwisser unserer Geheimnisse!« sagte Perikles zu Aspasia.

»Ich wollte soeben die gleiche Mahnung an dich richten!« erwiderte lächelnd Aspasia.

»Du hast diese edle Dichterseele rasch durchschaut?« fragte Perikles.

»Sie ist so heiter und spiegelklar bis zum Grunde, wie die Wellen des Kephissos«, erwiderte Aspasia.

»Aber laß uns nun auch den Abhang hinunter gehen«, fuhr sie fort, »denn ich fühle mich durchströmt von der ganzen Schwüle des Sommerabends, und meine Lippen lechzen nach erfrischender Feuchte.«

»Komm!« sagte Perikles; »wir wenden uns nur wenige Schritte rechtshin, außerhalb der Mauer da hinab, und wir haben die Pansgrotte mit der gepriesenen Quelle vor uns, die deinen Lippen unverweilt das erwünschte Labsal bieten wird.«

Perikles und Aspasia stiegen eine Anzahl von Stufen, die in den Felsen gehauen waren, hinab. Da kamen sie an die Grotte und an die Quelle, welche vor derselben aus dem Boden sprudelte.

Es war die Quelle Klepsydra, deren Gewässer sich zuweilen ganz verloren, dann plötzlich wiederkamen.

Aspasia schöpfte Wasser in ihre hohle Hand und trank.

Hierauf schöpfte sie neuerdings und bot die Handvoll des klaren, erfrischenden Nasses mit neckischer Anmut dem Perikles. Und dieser trank das Wasser lächelnd aus ihrer hohlen Hand.

»Kein Perserkönig«, sagte er, »hat jemals aus einer so köstlichen Schale getrunken! Nur ist sie so klein, daß ich schier fürchten muß, sie mit dem Trunke hinabzuschlucken!«

Aspasia lachte und wollte den Scherz erwidern, erschrak aber im selben Augenblicke, denn sie bemerkte plötzlich ein Gesicht, das aus dem Hintergrunde der dämmernden Grotte mit einer Art von gutmütig bäurischem Lächeln auf sie herausblickte. Näher tretend fand sie ein ziemlich roh gearbeitetes Standbild des Gottes Pan, dem die Grotte geheiligt war.

»Fürchte nichts!« sagte Perikles; »der Hirtengott ist von gutmütiger Art!«

»Zuweilen auch von boshafter!« gab Aspasia zurück; »die Erzählungen der Hirten von ihm lauten verschiedenartig.«

»Unserm Schnelläufer Pheidippides wenigstens«, versetzte Perikles, »der nach Sparta lief, um die Sparter eiligst zum Mitkampfe gegen die Perser herbeizurufen, begegnete er sehr gutmütig auf dem Grenzgebirge von Argolis und Arkadien, wo er ja heimisch ist; es gefiel ihm, daß der Bursche aus Vaterlandsliebe so atemlos über die argolischen Berge lief, und er gewann eine gute Meinung von den Athenern, um welche er sich früher nicht viel gekümmert hatte. Er kam selber, uns zu helfen, nach Marathon.«

»Pan mag so gutmütig sein als er will«, sagte Aspasia, »diese Grotte aber ist zu anmutig für den Bauern- und Hirtengott.«

»Du hast recht«, erwiderte Perikles, »und mehr noch, als du denkst: wenn es nämlich wahr ist, was die alte Kunde berichtet, daß eben diese Grotte die Stätte des bedeutungsvollsten Brautlagers gewesen, das jemals innerhalb der hellenischen Welt gefeiert worden: daß hier in der traulichen Dämmerung der Grotte sich der Lichtgott Apollon liebend zur rosigen Erechtheustochter Kreusa gesellte, und daß als die Frucht ihrer Liebesstunde Ion hervorging, der Ahnherr unseres ionischen Stammes!«

»Wie?« rief Aspasia erregt, halb scherzend und halb ernst, »dies hier ist die Wiege des edelsten der Griechenstämme, der da blüht in den Gauen Attikas und drüben auf den Gestaden meiner Heimat? Und die Jungfrauen Athens behängen die Wände dieser Grotte nicht Tag für Tag mit Kränzen von Rosen und Lilien? Und statt des leuchtenden Gottes Apollon steht hier mit breitem Gesichte grinsend der plumpe Arkadier, ein Fremdling aus jenen feindselig-düsteren Bergen des Peloponnesos?«

Lächelnd erwiderte Perikles: »Warum ereiferst du dich so sehr wider den Gott der Berg- und Waldesstille? Wüßte ich doch keinen, unter dessen Schutze sich ein feurig Paar traulicher begegnen könnte, als unter dem des idyllischen Friedens- und Freudenspenders« ...

»Nun«, rief Aspasia, »für eines zum mindesten, für die Schattenkühle, die er hier in seiner Grotte mir spendet, bin ich ihm dankbar!«

Damit zog sie den Thessalerhut vom Haupte und setzte ihn auf das Haupt des Hirtengottes. Die goldbraunen, herrlichen Locken fielen ihr herab über die Schultern.

»O könnt' ich doch bald«, fuhr sie lächelnd fort, »des Zitherspielers ganze Gewandung dem ehrlichen Pan opfern, wie diese Kopfbedeckung! Wahrlich, sie belästigt mich, wie lange muß ich mich diesem Zwange noch fügen? O, ihr Männer von Athen, wann gestattet ihr dem Weibe Weib zu sein? Gib es nur zu, Perikles, ihr Athener seid nicht die würdigsten der Söhne des Ion, der in dieser Grotte seines Daseins Ursprung nahm. Ihr habt zu viel des dorischen Wesens in euch gesogen. Ihr solltet euch beugen vor den Enkeln der Auswanderer eures eigenen Stammes, die drüben auf den Küsten Asias sich reiner, freier, feuriger entwickelt haben.«

»Tun wir es nicht?« sagte Perikles mit bedeutsamem Lächeln, zu Aspasia sich niederlassend, welche zur Rast auf ein breitvorragendes, mit Moos bedecktes Felsstück der Grotte sich gesetzt. »Tun wir es nicht?« wiederholte er und zog ihr duftiges Lockenhaupt an seine Brust.

»Pan ist tückisch!« sagte Aspasia; »er versprach Erfrischung in seiner Grotte, aber er scheint mit seinem Odem insgeheim die Schwüle des Abends hier noch anzufachen.«

»In der Tat«, sagte Perikles; »fast berauschend wehen die Lüfte herein, vom Gedüft des Thymians und wilder Rosen geschwängert.«

Während Perikles und Aspasia so sprachen, hatte das Blau des Himmels sich in glühend Rot verwandelt. Der langgestreckte Hymettos war ganz in Rosenglanz getaucht. Langsam war die Sonne hinter die Berge Arkadias hinabgesunken. Über den Hängen des Brilessos zuckte aus dunstigem Gewölk von Zeit zu Zeit durch den schwülen Äther hin ein mattes Wetterleuchten.

»Aspasia!« rief Perikles, »die Botschaft, die du als Griechin zu Griechen aus dem heitern Ionien herüberbringst, sie wetterleuchtet, gleich jener sommerabendlichen Gewitterwolke, schwül und segenschwanger in meiner Seele und über allen Geistern Attikas! Sie soll verwirklicht werden, diese Botschaft: im engsten Kreise von mir und dir, im weitesten vom gesamten Volke der Athener! Wir fühlen alle eine neue Kraft, ein neues Feuer in uns, und wir sehen, das hellenische Leben trachtet empor zu seinen Gipfeln!«

So sprach Perikles und drückte einen Flammenkuß auf die Lippen Aspasias. Es war eine und dieselbe Glut, es war ein und derselbe Überschwang, es war die Würze einer und derselben Lebensblüte und Lebensschöne, welche die Faust des Marathon-Kämpfers, den Meißel des Pheidias, den Griffel des Sophokles, den Rededonner des Perikles auf der Pnyx, und seinen Flammenkuß auf den Lippen des schönsten Hellenenweibes beseelte ...

Wenn traut gesellt ein Paar wie dies, in welchem das menschliche Dasein zur reinsten, üppigsten und edelsten Blüte entfaltet ist, im Kusse sich berührt, so ist dies des höchsten Lebens Feier und Vollzug, und ein Freudenschauer zuckt geheim durchs Herz der Welt von einem Pole zum anderen – auch er vergleichbar jenem Wetterleuchten des schwülen Sommerabendgewitters über den Hängen des Brilessos.

Seelen begegnen sich wie funkenschwangere Wolken.

Aber die Wolken entladen sich – des Menschen Seele nährt die Glut. Trunken war die Seele des Perikles, als er mit Aspasia den Abhang des Berges beim blitzenden Gefunkel des Abendsterns herunterstieg. Er drückte die Schöne leis an sich und sagte, den Blick zum mondbeglänzten Riesenbilde der Göttin des Pheidias zurückgewandt:»O Pallas Athene, leg' ab den Erzhelm und gönn' es den Nachtigallen der Kephissostäler, in seinem Raume zu nisten!« –

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