Robert Hamerling
Aspasia
Robert Hamerling

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Vorwort.

Wenn dieser Roman, einem vielcitierten kritischen Mahnworte unserer Zeit entsprechend, ein Volk – das alt-hellenische – »bei seiner Arbeit aufsucht«, die weltgeschichtliche Arbeit des Hellenenvolks aber eine Künstler-, eine Dichter- und Denkerarbeit war, wird dieser Art von Arbeit und ihrer Schilderung nicht etwas Gedankenhaftes, Lehrhaftes anzukleben scheinen? Wird sie an frischem Reize des Eindrucks nicht zurückstehen hinter den Bildern, welche aus dem Borne eines naiven, urwüchsigen, in der Tatkraft aufgehenden, poetisch vielleicht noch gar nicht ausgenützten Lebens geschöpft sind? Und mußte ein solcher Versuch, so gut wie auf den Reiz des Naiven, Naturwüchsigen, nicht andererseits auch wieder verzichten auf den Reiz des in modernem Sinne Geistreichen, des realistisch-Pikanten, auf die bunten, grellen Lichter der heutigen Dichtung? Durfte hellenisches Leben anders dargestellt werden als mit hellenischer Einfachheit? Und durfte der Darsteller nach anderem trachten, als nach einem Hauche hellenischen Geistes, hellenischer Anmut? –

Ist es nicht überhaupt bedenklich, untergegangenes Leben zu schildern? Detailmalerei des modernen Lebens wird als anziehender Realismus der Darstellung gepriesen; die des antiken wird auf viele den fröstelnden Eindruck der Gelehrsamkeit machen. In der Tat, wer dieses Werk nur flüchtig durchblättert, merkend, daß die einzelnen Abschnitte Ausblicke auf verschiedene Seiten hellenischen Lebens eröffnen, der wird rasch zur Hand sein mit dem Urteil, er wird ein loses Skizzenbuch vor sich zu haben glauben, im besten Falle einen »kulturhistorischen« Roman, was nach der Anschauung der meisten beiläufig soviel besagt als kein Roman. – Und doch – wenn der Roman als künstlerisches Werk von der Biographie, der Geschichte, der bloßen Erzählung durch innere und äußere Gliederung sich unterscheidet, wenn er nicht bloß der Ausdruck eines sinnvoll in sich abgeschlossenen Lebens und Schicksals ist, sondern auch eines Konfliktes in folgerechter Entwicklung und Lösung, so ist das, was ich hier erzähle, ein Roman. Denn nicht bloß lebt in bestimmter Gestaltung darin die schöne, geistverklärte Sinnlichkeit sich aus, in ihrer Entfaltung, ihrer Blüte, ihrem Niedergang; der Widerstreit zwischen dem ästhetischen Lebensideal und dem sittlichen entspinnt und entscheidet sich in einem Einzelgeschick und in einem Völkergeschick zugleich. Immer hat dieser Parallelismus von Einzel- und Völkergeschick, von individuellem und allgemeinem Leben mir als das Kunstgeheimnis der epischen Dichtung, als ihr oberstes Prinzip, als ihr eigenstes Schema vorgeschwebt. Nicht so jedoch, daß das Detail des erzählten Einzellebens und das des allgemeinen eben nur neben einander herlaufen, eines gleichsam die Episode des andern, sondern daß beide soviel als möglich an einem und demselben Detail sich abspinnen, daß sie, soviel als möglich, einem organischen Gebilde gleich, lebendig ineinander verwoben und verschlungen sind.

Nur mäßig durfte, um den reinen, gefälligen Eindruck des Bildes nicht zu stören, der Konflikt angedeutet sein: nur sachten Schrittes durfte er fortschreiten, und so scheint vielleicht an dünnem Faden die Handlung sich hinzuziehen. Aber was an Gesprächen und Schilderungen als Abschweifung erscheint, das alles ohne Ausnahme rückt zuletzt in sein rechtes, volles Licht, zeigt sich in seiner Notwendigkeit, in seinem Bezuge zum Ganzen, zur Idee.

Aber nicht zu einer Idee in abstraktem Sinne des Wortes. Laß dich nicht zu dem Gedanken verleiten, geneigter Leser, irgend einer »Tendenz« zuliebe sei der Verlauf dieser Geschichte gedreht, gewendet, gemodelt worden, was ich erzähle, ist die ungefälschte, parteilose Wahrheit. Ich schildere die Menschennatur und den Weltlauf. Ich gebe das Tun und Treiben, das Ringen und Streben der Menschen wieder, und die Worte, mit welchen sie es verteidigen. Ich habe keine Tendenz im Auge, als die des Lebens, keine Moral, als die der Notwendigkeit, keine Logik, als die der Tatsachen, welche aus Stoß und Gegenstoß besteht, so beständig und so gleichmäßig, wie das Hin- und Widerwogen eines Fichtenwipfels im Winde. Die Weisen behaupten wohl mit Recht, daß die Idee niemals rein aufgehe in der Wirklichkeit. Der Tendenzpoet verfolgt sie bis zu einem Höhepunkt ihrer Entwicklung, hält sie da auf einem Punkte, den sie doch eigentlich nur im Fluge berührt, gewaltsam fest, läßt sie farbig schimmern und schillern zur Freude der Sterblichen, und macht die Seifenblase zum Fixstern. Die reine, absichtslose Poesie aber begleitet die Idee auf dem Wege der Verwirklichung am liebsten bis zu jenem Punkte, wo sie, um in ihrer Reinheit sich wiederherzustellen, phönixgleich dem Flammentode sich selbst überliefert.

Graz, am 1. November 1875.

R. H.


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