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Epilog an die Kritiker.

(Zur zweiten Auflage.)


[252] [253]

Was würde man von einem Schauspieler sagen, der, nachdem er eben als König im Purpurgewand ein tragisches Schicksal würdevoll erfüllt, nach dem Fallen des Vorhangs noch einmal hervortreten und sich dem Publikum gegenüber in eine Auseinandersetzung der Ideen, die ihn bei seinem Spiele geleitet, einlassen wollte? Nicht viel weniger bedenklich wäre es vom Dichter, nachdem er kaum sein Lied zu Ende gesungen und während sein Antlitz noch von heiligem Feuer glüht, die Lyra bei Seite zu stellen und sich unter die Hörer zu mischen, um ihnen eine theoretische Vorlesung über das Werk seiner Begeisterung zu halten. Dagegen würde es, wie ich glaube, dem Mimen Niemand verargen, wenn er nach beendeter Vorstellung in engerer Gesellschaft, im Kreise von Freunden und Kritikern, sich durch Zustimmung oder Tadel anregen ließe, zur Motivirung seiner künstlerischen Auffassung Einiges vorzubringen. Ganz in derselben Manier erlaubter Selbstvertheidigung in engerem Kreise glaube ich als Dichter zu handeln, wenn ich die schlichten Bemerkungen, die ich hier im Anschluß an die zweite Auflage meiner Dichtung abdrucken lasse, nicht ans Publicum, sondern ausdrücklich an die Kritiker richte. In diesem engeren Kreise ist der Künstler, der Dichter ein armer Sterblicher, der keinen Nimbus zu verlieren hat. Um das [254] größere Publicum zurückzuscheuchen, werde ich mich in einer academischen und möglichst abstracten Stilart versuchen.

Aber auch eine Verständigung mit den Kritikern hat enge Schranken. Sein eigenes Werk zu erläutern, ist der Dichter nun einmal nur im geringsten Maße berufen. Er darf gewissermassen nur negativ und defensiv verfahren … Sei es mir erlaubt, ein wenig weiter auszuholen.

Poetische Meisterwerke, wie Dantes »Commedia,« oder Göthes »Faust,« werden durch die vereinigte Geistesarbeit der Gelehrten im Laufe der Zeit endlich gedeutet. Dunkles wird aufgehellt, die Grundideen werden erläutert, die Beziehungen des Details ins Klare gesetzt. Werke der Epigonen und der Zeitgenossen haben, schon der Anzahl wegen, in welcher sie auftreten, auf eine hingebende Vertiefung der Kritiker und Erklärer keinen Anspruch. Kann und darf nun der Autor in Person nachhelfen und das Verständniß seines Werkes dem zeitgenössischen Leser vermitteln? Ich denke, nein! Ich glaube zunächst, daß jedes echte Dichtwerk vieldeutig ist wie ein Naturwerk; daß nur Tendenzwerke eine schroff-einseitige und, wie man zu sagen pflegt, scharf zugespitzte Bedeutung haben; daß eine kiinstlerische Schöpfung so geheimnißvoll-tief ist, so wenig auszuerklären, als das Leben selbst; daß daher die Frage nicht sein kann, was der Künstler oder Dichter mit Bewußtsein hineingelegt, sondern was überhaupt darin liege. Nur Ersteres weiß der Dichter, über Letzteres ist seine Competenz nicht größer als die eines Andern. Er ist also sowenig als ein Anderer berufen, die Bedeutung seines Werkes ein für alle Mal durch eine authentische Deutung zu fixiren, alle weiteren Erklärungsversuche abzuschneiden. Im Gegentheil, er wird die Erklärer ruhig gewähren lassen und seine Freude daran haben, wenn sie, vielleicht für ihn selbst überraschend, [255] Manches in abstracto entwickeln, was er nur dichterisch empfunden und instinktiv verkörpert hat.

Insbesondere könnte der Dichter in dem Falle, wenn er gewisse tiefere und, was man so nennt, philosophische Ideen und Beziehungen in sein Werk gelegt hätte, ruhig das allmälig reifende Verständniß seiner Leser abwarten. Für den Genuß und somit auch den Erfolg eines wirklich poetischen Werkes, ist solch tieferes Verständniß – wie ich öfter habe versichern hören und nun selber glaube – nicht entscheidend.

Eins aber kann und darf den Dichter zum persönlichen Eintreten für sein Werk veranlassen: Mißverständniß des Thatsächlichen in demselben, veranlaßt durch ein leichterklärliches Uebersehen von Einzelheiten, die für den Zusammenhang der Begebenheiten wichtig sind. Das Haupterforderniß des Verständnisses ist ja, daß über das Ganze nicht ohne gewissenhafte Kenntnißnahme aller Einzelheiten, über die Einzelheiten nicht ohne den Hinblick auf die Idee des Ganzen geurtheilt werde.

Der Nothwendigkeit, zu seinem Werke früher oder später einen Epilog an die Kritiker zu schreiben, wird kaum Einer entgehen, der in Deutschland einen »Ahasverus« dichtet. Die Bedeutung mythischer Gestalten ist schwankend; und doch kennzeichnet man oft den Versuch des Dichters, dem Schwankenden feste Richtung zu geben, als ein Erkühnen, Feststehendes zu erschüttern. Aber wenn es bei historischen Charakteren, die doch feststehen, dem Dichter erlaubt ist, sie nach Belieben und Bedürfniß umzugestalten, warum sollte ihm dies bei den von Natur schwankenden mythischen Gestalten verwehrt sein? der Mythus darf nicht blos, er soll vom Dichter fortschreitend entwickelt, mit neuem, den Anschauungen der modernen Zeit entsprechendem [256] Leben beseelt werden. Er kann in der gemeinen Volkssage eine Bedeutung haben, die für die Poesie, und gar das Epos, nicht mehr ausreicht, also größere Vertiefung dringend fordert.

Es ist vollkommen wahr, was man gesagt hat, Ahasver, sei in meiner Dichtung nicht, wie in der Sage, der ewige Jude, sondern der ewige Mensch. Aber ich denke, mit dem ewigen Juden weiß das Epos nichts anzufangen; nur den ewigen Menschen kann es brauchen. Es ist nicht ganz unmöglich, daß die so überaus lebenskräftige jüdische Race alle übrigen Racen überdauert; aber so lang dies Schicksal sich nicht erfüllt, so lang die Angehörigen der übrigen Racen noch in der Mehrzahl sind, kann die Idee von der Unzerstörbarkeit des Judenthums nicht eine so allgemeine, reinmenschliche und welthistorische Bedeutung haben, daß ein christlicher Dichter es wagen dürfte, sie in einem Epos zu verherrlichen. Selbst wenn der Epiker das Judenthum des Ahasver sich allmälig zum reinen Menschenthum läutern ließe, so hätte er damit noch immer nur ein Werk von mehr jüdisch-nationalem, als allgemeinem Interesse geschaffen, denn nicht für die gesammte Menschheit ist das Judenthum Ausgangspunkt der Entwicklung.

Als epischer Held kann also Ahasver nur der ewige Mensch, die sinnbildliche unsterbliche Menschheit sein. Und die Sehnsucht Ahasvers nach dem materiellen, faktischen Tode kann (als Mythe, die nun einmal etwas bedeuten muß) nichts Anderes bedeuten, als die Ruhesehnsucht der Menschheit, die da ewig qualvoll ringt und strebt, während das Individuum sein Ruheziel im Tode findet. Aber sollte Ahasver wirklich die unsterbliche Menschheit bedeuten – wie es ja bisher in der Intention fast aller Ahasverusdichtungen lag, – so mußte er so alt sein als die Menschheit selbst. Darum versuchte [257] mein Gedicht eine kühne Neuerung und identifizirte ihn mit dem ersten Menschenkinde, mit dem Erstgebornen der Erschaffenen, mit Kain, der zum Dank und zur Strafe dafür, daß er den Tod in die Welt gebracht, von diesem verschont wird.

Ist Ahasver der ewige Mensch, nicht bloß der Jude von Jerusalem, so erhält auch sein Trotz gegen den Messias sogleich eine tiefere Bedeutung. Es ist der Trotz des in allem Wechsel Beharrenden gegen das Wechselnde, Vorübergehende, Zeitlich-Giltige, des Wesens gegen die Form. »Götter kommen und schwinden – ewig wandert Ahasver.«

Insoferne aber nun Ahasver die Menschheit weniger nach der activen Seite hin, als nach der Seite ihrer Ruhesehnsucht bedeutet, schien er mir zum ausschließlichen activen Helden eines Epos weniger geeignet. Die Sage gibt auch keine Anhaltspunkte einer größeren Action: des Ahasver Versuche, sich zu tödten, sind ein Stoff, der höchstens für eine Ballade ausreicht. Aber in eine menschliche Lebens- und Handlungssphäre als übergreifende Macht hineingestellt, konnte die Gestalt des ewigen Wanderers bedeutsam wirken. Ich stellte dem Vertreter der Menschheit das titanisch sich aufbäumende Individuum, der ewigen Todessehnsucht des Unsterblichen den unendlichen Lebensdrang des Sterblichen in Nero gegenüber. Solchergestalt machte ich den Versuch, einen Strom frischen, wirklichen Lebens in das abstrakte Gebiet der bisherigen Ahasverussage und Ahasverusdichtung zu leiten, realen Grund und Boden für ein wirkliches Epos zu gewinnen. Eine versifizirte Weltgeschichte schien mir nicht poetisch, nicht episch. Das Epos spiegelt die Weltgeschichte in einer besondern Begebenheit. Poesie ist ja Dichtung – Verdichtung – Concentration.

[258] Uebergreifend, überragend, geheimnißvoll-spornend und treibend, die Krisen beschleunigend, als das verkörperte ausgleichende Menschheitsleben hinter den strebenden und ringenden Individuen stehend – so dachte ich mir die Gestalt des Ahasver, und so erscheint er in meiner Dichtung.

»Zeitalter gibt es, trübe, wo nach neuer
Gestalt das Dasein ringt – da steigert sich
Die ruhe-sehnende Rastlosigkeit
In meiner Brust zur wilden Qual. Ich stürze
Mich in des Lebens vollste Strömung dann.
Ich fälle, was da schwankt, ich wecke, sporne,
Ans Rad der Zeit rühr' ich mit starker Hand,
Nicht hemmend, nein, beschleunigend; ich bin es,
Der den Entscheidungs-Augenblick beflügelt,
Daß nicht zu lang die Wirrsal hin sich schleppe:
Denn ist vorüber solche böse Zeit,
Und kommt in neuem Sein zur Ruh die Menschheit,
Winkt freundlich mir auch eine kurze Rast …«

Nachdem Ahasver (so schreibt ein einsichtiger und aufmerksamer Beurtheiler) im ersten Gesang dem Nero bedeutungsvoll als derjenige gegenüber getreten, der ihm »sein Geschick vollenden helfen wolle,« und der Wettstreit zwischen »Todessehnsucht« und »Lebensdrang« förmlich eröffnet worden, spornt Jener seinen Gegner zum höchsten, sich selbst überstürzenden Uebermuth, zur Verbrennung Roms, und er selbst schleudert an der Spitze der Bacchanten die erste Brandfackel. Denn Rom ist » todreif,« es soll untergehen, und Ahasver will ja die »lang sich hinschleppende Wirrsal abkürzen,« damit eine neue Zeit anbreche, in welcher die Menschheit und er mit ihr wieder zu einiger Ruhe komme. Aber nicht Rom allein will [259] Ahasver vernichtet sehen, auch den Nero, der ja der »Gipfel seiner todeswürdigen Zeit« ist, will er beugen. Unversehrt tritt er ihm aus den Flammen Roms entgegen zu titanischem Wettkampf, als Unzerstörbarer dem eitlen Vernichter trotzend. Noch nicht gebeugt ist Nero, aber der Fluch des Ahasver wirkt doch in seiner Seele nach. Vor seiner »inneren Unseligkeit« erblaßt und zerfällt die Pracht des »goldenen Hauses.« Nun aber führt der geheimnißvolle Greis noch einen entscheidenden Streich auf seinen Gegner. Durch die von ihm vorbereitete und vermittelte Grauenscene der Todtenbeschwörung wird Nero zum ersten Mal innerlich gebrochen! Das Grausen, das ihn niederwirft, zeigt ihn, den angeblichen Gott, als schwachen Menschen; er ist beschämt, und Ahasverus triumphirt. Zuletzt scheucht Ahasver als unheimlicher Begleiter und Verfolger den flüchtigen, entthronten Cäsar in die Katakombe zu den Christen, wo Angesichts des neuen Menschheitslebens, das hier sich ihm erschließt, der gestürzte Titan seine Stunde gekommen sieht, und das Werk der Selbstvernichtung an sich vollzieht. Ahasverus aber wandert hin in die Wälder des Nordens und spornt die Fürsten der Germanen »wie Geier sich zu stürzen auf das Aas des römischen Weltreichs.« –

Fast wörtlich habe ich diese Auseinandersetzung der Activität des Ahasverus dem Kritiker entlehnt, der mit hingebendster Aufmerksamkeit dem Gange der Handlung in meiner Dichtung gefolgt ist. Noch eine andere kritische Bemerkung hier einzuflechten, kann ich mir nicht versagen. »Während dem Egoismus und der Genußsucht der neronischen Welt« sagt ein anderer Beurtheiler– »die Liebes- und Entsagungsreligion des Christenthums gegenüber gestellt wird, erscheint auch diese wieder dem Ahasver gegenüber, der das Bleibende, Un [260] sterbliche in allem Wechsel repräsentirt, als das, was sie in ihrer historischen, concreten Erscheinungsform ist: als eine Phase, die weitere Aussichten in eine unendliche Entwicklung offen läßt. So gewinnt die Dichtung durch die Gestalt des Ahasverus das, was ihr gefehlt hätte, wenn sie mit der Hinweisung auf das Christenthum abgeschlossen hätte: die welthistorische Perspective.«

Ich wiederhole den Wunsch, daß von diesen gelehrt klingenden Erörterungen eben nur der Kritiker Kenntniß nehme; der einfache Leser aber durch dieselben das Vergnügen, das er etwa am Realismus meiner Dichtung findet, sich nicht verderben lasse. Ohnehin hat man gesagt, »Ahasverus in Rom« sei eine »allegorische« Dichtung, bei welchem Worte Viele sogleich von einer Gänsehaut überlaufen werden. – Allegorisch ist das Gedicht allerdings in so fern, als eine mythische Gestalt hinein verwoben ist, deren Existenzberechtigung immer nur darauf beruht, daß sie etwas bedeutet. Denn jeder Mythus ist eine durch die Volksphantasie verbildlichte Idee. Aber, sagt man, auch Nero will ja etwas »bedeuten« – den »Lebensdrang!« Nun ja, er bedeutet den Lebensdrang; aber nicht anders, als Molières »Geiziger« den Geiz, Shakspears »Romeo« die Liebe bedeutet. Es gibt allerdings poetische Gestalten, die gar nichts weiter sind, als allegorische Schemen und nichts an sich haben, als ihre innere abstrakte Bedeutung, – dem kranken, magern Canonicus bei Heine vergleichbar, der zuletzt aus nichts Anderem bestand, als aus »Geist und Pflastern.« Aber für eine mit realem Leben erfüllte dichterische Figur ist die innewohnende »Bedeutung«« kein Vampyr, der ihr das Blut aussaugt. Existirt überhaupt etwas, das nichts »bedeutet?« Ich möchte doch wissen, wie es ein Bettler anstellen sollte, um nicht die [261] Armuth, und ein Crösus, um nicht den Reichthum zu bedeuten? Wir sind also sämmtlich wandernde Allegorien, – ohne Beeinträchtigung unserer Gesundheit. Ich glaube nun, daß der lebensdurstige Nero dadurch, daß er dem todessehnsüchtigen Ahasver gegenüber den Lebensdrang »bedeutet«, an seiner Realität so wenig einbüßt, als ein reicher Banquier an seiner blühenden Wohlbeleibtheit einbüßen würde, wenn er zufällig neben einem Bettler zu stehen käme, und so nothgedrungen den Contrast von Armuth und Reichthum in einer allegorischen Gruppe versinnlichte.

Insoweit die Allegorie vom Uebel ist, habe ich, weit entfernt sie in die Ahasverusmythe einzuführen, ganz im Gegentheil die von Hause aus allegorische und abstrakte Sage zum ersten Mal mit realem Leben zu durchdringen versucht, indem ich sie mit einem andern, lebensvollen Stoffe verschmolz und mein vornehmstes Bestreben darauf richtete, diesen Stoff zu einem einheitlichen, organisch gegliederten Ganzen zu gestalten.

Wie schwer es sei, aus einer Biographie, wie hier aus der des Nero, ein episches Ganzes zu machen, das wissen die Dichter, die darum auch in der Regel vorziehen, einen Romanzenkranz zu liefern. Neros Biographie gibt eine Reihe von Gräueln, die fast als ebensoviele räthselhafte Verrücktheiten erscheinen. Hier hatte zunächst der Psycholog eine ungeheure Aufgabe vor sich, und nachdem dieser den inneren leitenden Faden gefunden, hatte der Dichter die nicht geringere, alle diese Einzelnheiten auch äußerlich in einen solchen Zusammenhang zu bringen, daß sie als nothwendige Momente einer fortschreitenden einheitlichen Handlung erscheinen. Ich gestehe, daß der weitaus größte Theil des Bemühens, den die Ausführung des »Ahasverus in Rom« gekostet, nicht dem [262] Detail oder der Form , sondern der Gliederung des Ganzen zugewendet wurde. Man hat mit einer gewissen Verwunderung davon Notiz genommen, daß die ganze Handlung im »Ahasverus,« wenn man die einzige, unbedingt nicht zu vermeidende Verzögerung abrechnet, welche der Wiederaufbau des abgebrannten Rom erheischt, sich mit dramatischer Continuität und Raschheit binnen wenigen Tagen abspinnt. Ein Beweis, wie sehr das Streben des Dichters auf eine straffe Composition gerichtet war. Und daß, während Manche ihren Blick nur auf die Einzelheiten richteten, die Dichtung eben erst als Ganzes tiefere Betrachtungen anregt, beweisen vielleicht die folgenden Reflexionen eines Kritikers, der im Verhältniß Neros und Agrippinas den Kern- und Angelpunkt der ganzen Handlung findet. »Eine Zeit der crassesten Selbstsucht«, sagt derselbe, »soll geschildert werden. Nero ist die höchste Potenz dieser Selbstsucht, dieser maßlosen Subjectivität, welche die ganze Welt nur als einen Gegenstand ihres genußsüchtigen Beliebens betrachtet. Aber eben einer solchen schrankenlosen Genuß- und Selbstsucht muß die volle, unbedingte, willenlose Hingabe einer Seele – die Liebe – als die begehrenswertheste Befriedigung – als das ›süßeste Arom im Weihrauchfaß der Huldigungen‹, wie Nero sagt, erscheinen. Nero hat also ein tiefes Bedürfniß nach Geliebtsein. Aber gerade diese höchste Befriedigung kann ihm nicht zu Theil werden, da er, wie er gesteht, an keine wirkliche Liebe glaubt und jedes Dasein für einen ›Egoismus‹ hält. Nur an den Instinct der Mutterliebe glaubt er noch und freut sieh, daß es doch wenigstens ein Wesen gibt, für das es ›Naturnothwendigkeit ist, ihn zu lieben.‹ Dies ist ein nicht zu übersehender Zug seines Charakters, durch den er noch mit der menschlichen Em [263]pfindungswelt zusammenhängt. Als er sich aber selbst hierin getäuscht und in dem Augenblick von der eigenen Mutter verrathen sieht, in welchem er erkannt, daß sie die einzige ihm ebenbürtige Gestalt der Römerwelt ist, und er durch einen Fluch der Natur in unnatürlicher Leidenschaft für sie entbrennt – da hört er auf, Mensch zu sein, da wird er ganz zum Ungeheuer: mit wilder dämonischer Rachelust ergreift er den Gedanken, Rom anzuzünden, der ihm in einem Gespräche mit Ahasverus von diesem nahegelegt wird. Es hat einen tieferen Sinn, daß Nero, der große Egoist, gerade durch Versagung der Liebe gestraft wird, und daß durch das Grollen hierüber jener psychologische Proceß, der im Gemüthe dieses Uebermenschen zuletzt bis zur innern Selbstvernichtung fortschreitet, seinen ersten Anstoß erhält.« –

Furchtbare psychische Abgründe sind es, an welche »Ahasverus in Rom« die Leser führt. Aber es lag im Plane des Ganzen, das Excentrische der sittlichen Verhältnisse, das Maßlose eines selbstsüchtigen, entgötterten Menschendaseins, das unter veränderten Formen immer wieder möglich ist, bis zu einem Grade fortgeführt zu zeigen, der Schrecken und Grauen einflößt. Das Gräßliche war ein nothwendiges Ingrediens meiner Dichtung.

Davon abgesehen, sollte nicht außer Acht gelassen werden, daß ich das Entsetzliche, das »Ahasverus in Rom« enthält, nicht erfunden, daß es mir als ein überlieferter historischer Stoff vorlag, den ich nirgends greller gestaltet, sondern überall, so weit es nur möglich war, gemildert und in eine poetische Sphäre gerückt habe. Meine Aufgabe konnte nicht sein, das Geschichtliche zu negiren, sondern es zu deuten. Wer die Gräuel der Cäsarengeschichten im Suetonius lies't, der fragt [264] entsetzt: »Wie war so Ungeheuerliches möglich?« – Der Historiker bleibt die Antwort schuldig; der Dichter gibt sie. Aber darf das Ungeheuerliche, das Abnorme jemals Gegenstand der Poesie werden? Ich antworte: Ja! wenn dies Ungeheuerliche trotz seiner Abnormität doch zugleich typisch ist. Die Entartung der Römerwelt kann in ihrer historischen Form nie wiederkehren: nichtsdestoweniger bleibt sie in ihrem Wesen typisch für alle sittlichen Verfallsepochen auf der tiefsten Stufe des Falles.

Niemand sollte über »Ahasverus in Rom« ein Urtheil sprechen, der nicht wenigstens die Biographie des Nero im Suetonius gelesen und sich überzeugt hat, wie ich alles Schreckliche gedämpft, in so weit dies geschehen konnte, ohne ihm seine Bedeutung an zu rauben. In widerlicher Roheit stellt der Historiker das unnatürliche Verhältniß zwischen dem jugendlichen Nero und Agrippina hin. In meiner Dichtung dagegen tritt das sinnliche Moment in Neros Verhältniß zu der dämonisch-reizenden Agrippina nur ein einziges Mal blitzartig und unter außerordentlichen Verhältnissen hervor. Nero entbrennt nur in die Reize der maskirten, unerkannten Mutter, und nachdem er sie erkannt, macht die Begier dem Rachegedanken gegen die Natur Platz: »Ich habe nie ein Weib gesehn, das mir das Herz bezwang, und nun, – nun muß es dieses sein? Natur, so äffst du mich? Nun wohl, – so soll mir auch das Unnatürlichste das Liebste sein!« – Aber auch diese Regung ist nur das Aufblitzen eines flüchtigen Moments, und wenn Nero die sofort entfliehende Agrippina verfolgt, so geschieht es weit weniger im Taumel seiner Begier, als im Taumel seines aufflammenden Zorns über das Weib, das seiner spottet und den an unbedingten Gehorsam Gewöhnten durch ihre Flucht beschämt.

[265] Ebenso ist es in meiner Dichtung nicht der kaltblütige Frevler, wie bei Suetonius, sondern der im Tiefsten erregte, aus der Trunkenheit des Gelags nur zum Wahnwitz der Leidenschaft ernüchterte Nero, der die Reize des halbenthüllten Leichnams seiner Mutter preis't. Durch frivole Reden will er seine Seelenqual niederkämpfen, sein erschüttertes Götterbewußtsein will er befreien vom Alpdruck peinvoller Affekte, indem er die menschliche Natur in sich zur äußersten Maßlosigkeit aufstachelt. Ich glaube, daß einem ungeheuren Thun hier ungeheure Motive entsprechen. Neros titanischer Charakter bleibt auch hierin verständlich – und nur für das Unverständliche im Thun seiner Helden, nicht für das Außerordentliche, ist der Dichter verantwortlich.

In einem Punkte habe ich die Wirkung des Gräßlichen im »Ahasverus« auf die Leser unter meiner Erwartung gefunden. Ich hatte gehofft, im Gräßlichen werde das beste Gegengewicht gegen einen frivolen Eindruck des Unsittlichen in meiner Dichtung liegen. Ich hatte mir die Wirkung der Lectüre des Bacchanals und ähnlicher Partien so vorgestellt, daß diese Scenen das Gemüth des Lesers mit einer unheimlich-schwülen, drückenden Atmosphäre belasten würden, in welcher kein leichtfertiges Gelüst aufkommen könnte.

Aber man sagt, ich schildere zu verführerisch, ich umkleide das Laster mit allzu gefälligem Reiz, male die Frauenschönheit in allzu glühenden Farben. Die Wahrheit ist, daß ich jeden Gegenstand lebendig und naturgetreu zu schildern mich ästhetisch verpflichtet glaubte. Ich habe als Dichter cuique suum gegeben: ich habe das Schöne so schön, das Grausige so grausig geschildert, als ich es eben vermochte. Ich habe für die Reize der Agrippina nicht mehr poetische Mittel aufgewendet, als für [266] die Schrecken des Brandes und das Grausen der Todtenbeschwörung. Den inspirirten Dichter beherrscht der Gegenstand und verlangt von ihm sein Recht.

Wenn man mir vorwirft, daß ich meiner persönlichen Entrüstung über die erzählten Gräuel nicht im Gedichte Ausdruck gegeben, so möchte ich an einen witzigen Ausspruch Gottschalls erinnern, der irgendwo beiläufig sagt, jede Geschichte müsse zwar eine Moral haben, wie jeder gebildete Mensch ein Sacktuch, aber Sacktuch und Moral brauche nicht »hinten herauszuhängen.« –

Ob es möglich, daß ein Dichter von nur einigermaßen höherem Streben sich so weit erniedrigen könne, verführerische Schilderungen zum Behufe einer niedrigen Speculation in ein ernstes Werk einzuflechten, will ich nicht erörtern; soviel aber ist gewiß, daß eine solche Speculation eine verfehlte wäre. Das Schlüpfrige muß gemein auftreten, wenn es ein großes Publikum anziehen soll. In einem Werke, das mit tieferen Gedankenelementen verquickt ist, verlieren die gewagtesten Situationen ihren verführerischen Reiz für den großen Haufen. Die Buchhändler bezeugen, daß Leute, die eine frivole Lectüre suchen, nicht Hebbels »Judith,« sondern leichtfertige französische Romane kaufen. Der kleine Rest von Vortheilen, der einem ernsteren Dichtwerk aus einzelnen picanten Scenen erwachsen könnte, wiegt die unzweifelhaften Nachtheile nicht auf. In vielen Kreisen, namentlich weiblichen, wird dadurch Anstoß gegeben und übelgelaunten Beurtheilern die bequemste Waffe geboten, das ganze Werk verächtlich zu machen. Hätte ich dem Erfolg und äußeren Rücksichten mehr Rechnung getragen als meinem ästhetischen Gewissen, so hätte ich das Anstößige von Anfang an vermieden oder doch bei dieser zwei [267]ten Ausgabe getilgt. Tagelang erwog ich, wie manchem wohlmeinenden Wunsch und Rath in dieser Beziehung entsprochen werden könnte. In der That strich ich einige Stellen – aber ich fügte sie bei der Correctur wieder ein. Zu wohl erwogen war ja von Anfang an jede Einzelheit, zu bedeutsam eingefügt in den Organismus des Ganzen, als daß ich es wirklich hätte über mich gewinnen können, mit dem Messer in lebendigen Gliedern wie in »wildem Fleische« zu wüthen.

Ich bin sehr ausführlich geworden über das Thatsächliche, über den Stoff meiner Dichtung. Fast erschrecke ich, wie das Material mir unter den Händen anschwillt. Aber ich darf hier noch nicht abbrechen. Man soll nichts halb thun, auch nicht, wenn man einen Epilog an die Kritiker schreibt.

Frauen haben die Unart, hinter den Reden des Helden einer Dichtung immer den Dichter zu suchen, und achten in dieser Beziehung auch nicht den entschiedensten Protest. Manche Kritiker theilen leider diese kleine weibliche Unart. Wenn der Held mancherlei Bemerkungen macht, von denen einige nicht zu bestreiten sind, andere wenigstens einen sophistischen Schein der Wahrheit haben, so liegt für Viele der Argwohn nahe, der Dichter habe diese Gestalt benützt, um sie wie eine Statue des Pasquino mit seinen Einfällen zu bekritzeln. Aber die Frage sollte niemals sein, ob das, was die handelnde Person einer Dichtung sagt, an sich wahr oder falsch, ob es zugleich die subjective Ansicht des Dichters sei oder nicht, sondern einzig, ob diese Ansichten, diese Reden dem Charakter jener handelnden Person entsprechen oder nicht. Ich müßte die redliche Mühe, die ich mir gegeben, den Nero durch die Aeußerungen, die ich ihm in den Mund lege, zu charakterisiren, als eine schmählich verlorne beklagen, wenn man diese Aeußerungen als [268] lyrische Floskeln betrachten wollte, weil sie gerade nicht absurd, vielleicht sogar groß und zum Theil poetisch klingen. Sollte man Bösewichter und Tyrannen nur dadurch charakterisiren können, daß man sie ausschließlich Falsches und Niederträchtiges sprechen läßt? Ich glaube vielmehr, daß jeder dichterische Bösewicht nur dann kein Popanz ist und auf das Lob der Objectivität Anspruch hat, wenn der Dichter seinem Wesen soviel scheinbare Berechtigung leiht als möglich.

Ich habe einiges künstlerische Gewissen, welches mich immer hindern würde, einen physiognomielosen Schwätzer für einen epischen Helden einzuschwärzen. Wenn ich als Epiker subjectiv bin, so ist es nicht in diesem Sinne. Aber eine andere Art von Subjectivität kann man mir vielleicht vorwerfen. Es gibt Dichter, die in den Begebenheiten mit Vorliebe das subjective Leben hervorkehren, denen nicht die That Hauptsache ist, sondern der Thäter, und die sich nur durch Stoffe angezogen fühlen, welche eine tiefere psychologische Behandlung zulassen. Ich glaube, ich gehöre zu diesen. In großen Massenbewegungen, im Völkerwanderungsgetümmel etwa, in welchem die kriegerische Muse Hermann Linggs sich wohlgefällt, würde die meinige sich nicht heimisch fühlen. Beim flüchtigen Kommen und Gehen der Gestalten fände sie ihre Rechnung nicht: sie will in ihre Helden sich vertiefen; sie will die Herzschläge, die Lebenspulse derselben im wilden Wirrwarr und Lärm der Begebenheiten heraushören.

Aber eben der Dichter, dem das subjective Leben so wichtig ist, wird es überall achten, und der fremden Subjectivität nicht die seinige unterschieben. Zwischen seiner eigenen Subjectivität und der seiner Gestalten wird kein anderer Zusammenhang bestehen, als jener allgemeine, geheimnißvolle, [269] der das subjective Leben aller Individuen überhaupt verknüpft. Dieser Zusammenhang, diese Urverwandtschaft der Geister, ist freilich niemals wegzuläugnen, und es ist mit Recht gesagt worden, daß die Subjectivität des Dichters alle möglichen Subjectivitäten in embryonischen Keimen umfaßt und aus sich heraus zum Leben gestaltet. In solchem Sinne haben dichterische Gebilde, weit entfernt im Durchgang durch das Gemüth des Dichters ihr objectives Leben einzubüßen, gerade in diesem Gemüth das Prinzip ihrer Beseelung, ihren hüpfenden Lebenspunkt. In der That! man glaube nicht, der Dichter könne eine wahrhaft lebendige Gestalt schaffen, die sich nicht als Embryo von seinem Herzblute genährt hat.

Subjectiv ist auch noch in anderem Sinne jede Dichtung, insoferne sie nämlich als Ganzes der Eigenart des Dichtergemüths immer wenigstens ihren ersten Impuls verdankt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob das Dichtergemüth sich bloß in der Wahl des Stoffes, und in der Grundidee, die es hineinlegt, verräth, oder ob es die volle Flut seiner eigenen Subjectivität in denselben einbrechen läßt und durch diese allen festen Umriß und Bestand der dichterischen Gestaltung unterwäscht.

Subjectiv ist die Grundidee einer Dichtung: darum aber müssen es nicht auch die particularen Ideen der handelnden Personen sein. Eben an meinem Nero hat man ein Beispiel, wie es sogar geschehen kann, daß die particularen Ideen des Helden einer Dichtung der Grundidee dieser Dichtung gerade entgegengesetzt, und nicht bloß nicht das Spiegelbild, sondern der Gegenpol der persönlichen Anschauungen des Dichters sind. Während Nero einen titanischen Egoismus in sich großzieht, der die ganze Welt wie eine Perle im Freudenwein [270] des Genusses auflösen möchte, predigt die Dichtung als Ganzes eben jene Liebe und Hingebung an die heiligen Mächte des Gemüths, die ich in »Venus im Exil,« in »Sinnen und Minnen,« im »Schwanenlied der Romantik« gepredigt, und zuletzt noch im »Germanenzug« als den edelsten Lebenskern des deutschen Volks gepriesen. Nur daß in jenen Dichtungen das Ideal lyrisch gefeiert wird, in »Ahasverus in Rom« aber objectiv die Schrecken einer entgötterten Welt geschildert werden, welche das Ideal über Bord geworfen hat.

Fest und sicher steht auf der dauernden Erde das ragende Gebirg, und doch behaupten Gelehrte, es sei ursprünglich vulcanische Masse gewesen, die aus den Eingeweiden der Erde hervorgebrochen und zu fester Form erstarrt ist Warum sollten nicht ebenso die Gebilde des Dichters feste Form gewinnen können, selbst wenn sie aus feurigflüßigen Gemüthsgründen hervorgegangen? – Ich glaube also nicht, einem Gegner Waffen geliehen zu haben, wenn ich andeutete, daß »Ahasverus in Rom«, wie jede nicht ganz dilettantische Dichtung, den ersten Impuls vom Gemüthsgrunde aus erhalten. Ich glaube dies um so mehr betonen zu dürfen, da es die Kritik weniger gethan, sondern, in freilich sehr ehrender und freundlicher Weise, immer viel von »Geist« und »Phantasie« gesprochen …

Das Wort »Gemüth« ist allerdings vieldeutig. Viele verstehen darunter ausschließlich jene Sorte, welche die sogenannten »Gemüthlichen« besitzen, und welche ihren Eignern erlaubt, mit gesunden rothen Wangen umherzulaufen, mit frischen, fröhlichen Augen in die Welt zu blicken. Mögen diese Glücklichen niemals jene andere Sorte von Gemüth kennen lernen, die aus ihren gährenden Tiefen vulkanische Gebilde der Dichtung emporwälzt, und bei welcher man nicht bloß die »Gemüthlich [271]keit« einbüßt, sondern es auch erleben kann, von Physiognomikern »kalt« gescholten zu werden!

Die Reden meines Nero sollen, wie man sagt, zuweilen eine allzu »moderne Färbung« haben. Ich für meine Person wüßte mich keiner solchen Stelle zu erinnern. Die Gedanken selbst verstoßen kaum irgendwo in gröblicher Weise gegen die Zeitepoche, und moderne Ausdrücke (wie »Kokette« oder »Phlegma«) gebrauche ich ungefähr mit demselben Recht, mit welchem ich die Personen meiner Dichtung deutsch und nicht lateinisch sprechen lasse.

Da es in meiner Absicht lag, ein Zeit- und Sittenbild zu liefern, so habe ich wenigstens geflissentlich nirgends die Wahrheit des Gemäldes durch ein Hineintragen moderner Elemente gestört. Nebenbei will ich nicht verschweigen, daß ich, auch wenn ich nicht so gehandelt hätte, doch nicht glauben würde, ein unbedingt verwerfliches Werk geschrieben zu haben. Es sei mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit einmal auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der sonst nicht viel erwogen wird. Ich glaube bemerkt zu haben, daß es eine doppelte Weise der poetischen Behandlung historischer Stoffe gibt: eine streng historische, und eine solche, bei welcher die Begebenheit, alles zeitlichen und örtlichen Colorits entkleidet, zum Motiv einer reinmenschlichen Lebensdarstellung gemacht wird. Alle älteren Literaturen kennen nur diese letztere Behandlungsweise. Nicht bloß der naive altdeutsche Heldenfang macht Griechen und Römer zu germanischen Recken; das stilvolle, seiner Richtung sichere spanische Drama bildet die Helden aller Zonen zu wackeren spanischen Rittersleuten um; Shakespears römische Volksmänner sprechen unbedenklich den Jargon, den die getreuen Unterthanen der Königin Elisabeth verstanden. Von [272] den Helden der französischen Bühne will ich gar nicht reden. Das eigentliche historische Drama mit strenger Localfärbung ist eine schätzbare Erfindung der Deutschen, die bei der Zerfahrenheit ihrer Richtungen, bei ihrem Mangel an einem feststehenden nationalen Formenstil in der Literatur, zum Experimentiren und Erfinden immer besonders aufgelegt sind. Es gibt aber auch in Deutschland noch immer Dichter, die auf jene ältere Weise zurückgreifen. Die Versuche der Romantiker sind bekannt. Hebbels Holofernes und Golo haben den Hegel gelesen. Es sind keine Assyrer oder mittelalterliche Deutsche, sondern Idealmenschen – außer aller Zeit. Ich selbst habe, wie gesagt, eine solche romantische Licenz für mein Werk nicht in Anspruch genommen. Ich bin zufrieden, wenn man in dieser Beziehung nicht mehr von mir verlangt, als von allen andern Dichtern, und nicht ganz vergißt, daß »historische Treue« im Epos und Drama immer etwas Conventionelles an sich hat, und daß ein Dichtwerk, in welchem der Held nur ganz genau so denkt und spricht, wie sein historisches Original denken und sprechen konnte, schwerlich irgendwo gefunden wird.

Unmöglich ist es heutzutage, daß der Held einer Dichtung pessimistische Ansichten ausspricht, oder ein Wort vom »Willen«« fallen läßt, ohne daß der Leser ausruft: »Aha, Schopenhauer!« Aber ein Blasirter, wie Nero, wird immer auch Pessimist sein, und was den Willen betrifft, so beruht ja die Tyrannis eben auf der übergreifenden, dämonischen Willensenergie in einem Individuum, sozusagen auf einer Superfötation des Willens; sie wird also nothgedrungen und unabsichtlich, wenn sie in einer gewaltigen und tiefen Natur, wie Nero, ihrer selbst bewußt wird, an die Grundsätze einer Philosophie zu gemahnen scheinen, die den Willen als oberstes Prinzip der Individualität und alles Seins überhaupt erfaßt.

[273] Gegen die » Beschreibungen«, welche »Ahasverus in Rom« enthält, ist Lessings ehrwürdiger Schatten citirt worden. Aber diese Beschwörung hat für mein Gewissen nichts Erschütterndes. Was sagt der Autor des »Laocoon«? daß der Maler das Nebeneinander, der Dichter das Nacheinander am besten schildern könne und daher auch solle. Wie aber, wenn ich als Dichter das Nebeneinander in ein Nacheinander auflöse? Wollte ich die Toilette der schon angekleideten Agrippina stückweise beschreiben, so würde ich gegen Lessing sündigen. Aber wenn Agrippina sich vor den Augen des Lesers ankleidet und ich das Bild in eine Reihe successiver Momente auflöse, die von Aeußerungen des subjectiven Lebens durchweht sind, so mache ich mich keiner Verletzung der Grenzen zwischen Malerei und Dichtkunst schuldig, und Lessing kann in seinem Grabe ruhig schlafen. Daß die Scene so ausführlich geschildert wird, hat seine Berechtigung darin, daß der gleich darauf folgende Untergang der Agrippina, wie ich glaube, von doppelt erschütternder Wirkung ist, nachdem sich das herrliche Weib so sorgsam, und mit so hochfliegenden Erwartungen geschmückt. Die Herrlichkeiten des goldenen Hauses benütze ich ebenfalls nicht als todtes Inventar, sondern als Hebel psychologischer Darstellung, indem ich die Seelenstimmungen Neros an denselben sich entwickeln und zum Ausdruck gelangen lasse.

Es ist viel Beschreibung im »Ahasver«, aber nicht mehr, als gerade dieser Stoff erforderte. Wie wäre es möglich gewesen, den Leser wirklich einzuführen in die neronische Welt und jene Charaktere zu motiviren, ohne auch das so hochbedeutsame Detail des äußern römischen Lebens in den Kreis zu rücken? Ich denke, so lange das Detail charakteristisch ist und so lange [274] das subjective Leben nicht darunter verschwindet, sondern vielmehr an Deutlichkeit dadurch gewinnt, ist »Beschreibung« nicht vom Uebel.

Wenn übrigens selbst der naive Homer einen langen »Schiffscatalog« in Verse bringt und den Schild des Achill in aller Breite beschreibt, so muß das Beschreiben dem Wesen des Epos nicht so ferne liegen. Sollten das nicht schon die Aesthetiker anerkannt haben? Ich schlage Vischer auf und finde bezeichnende Stellen: »Man will im Epos überall sehen«, heißt es da, »wie der Mensch sich gebahrt, im Umgange sich bewegt, Gott verehrt, baut, bildet, malt, fährt und reitet, kämpft, welche Geräthe er gebraucht, wie er gekleidet ist, ißt und trinkt.« Und ferner: »Wer sich nicht um Körperformen, Kleider, Geräthe, Arten der sinnlichen Bewegung in allem Thun bekümmert, der ist zum epischen Dichter verloren.« –

Homers Beispiel beweis't, daß es bei dieser epischen Freude am Aeußerlichen zuweilen nicht ohne eine etwas längere »Beschreibung« abläuft. In einer Hinsicht aber haben die Tadler volles Recht: Beschreibungen sind eine undankbare Dichterarbeit: die Bewunderung der schönsten ist eine kalte. Der Schwerpunkt dichterischer Wirkungen liegt immer im Seelenleben, und, soweit meine persönliche Erfahrung reicht, haben Stellen im »Ahasverus«, wie die Scene zwischen Nero und Agrippina, oder der leidenschaftliche Monolog des Nero im zweiten Gesange den Leser weit wirksamer ergriffen, als alle Beschreibungen des Werkes, die man »glänzend« genannt hat.

Zur Vertheidigung des Metrums , das ich für meine Dichtung verwendet habe, würde ich kaum etwas sagen, wenn es nicht den Vorwurf abzuwehren gälte, daß ich mir die Sache habe leicht machen wollen, indem ich den reimlosen fünf [275]füssigen Jambus wählte. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß es leichter ist, ein wirksames Gedicht in klingenden Reimen, als in schlichten reimlosen Jamben zu schreiben. Ich wählte die schlichte Versform im Interesse der Kraft und Präcision des Ausdrucks, und mit besonderer Rücksicht auf die dramatischen Stellen der Dichtung: die zahlreichen Zwiegespräche und Monologe. Daß in solchen der klappernde Reim unangenehm ist, weiß der Dramatiker und meidet ihn deshalb. Wer »Ahasver in Rom« gereimt sehen möchte, den ersuche ich nur, den Monolog des Nero nach der Scene mit Agrippina im zweiten Gesang zu lesen, und mir zu sagen, ob er sich diesen in Reimen denken könnte? – Der reimlose Fünffüßler hat als episches Maß in den Literaturen fast aller neueren Culturvölker seine Geltung. Die Engländer haben ihn, die Franzosen fangen an, ihn ihrem Alexandriner vorzuziehen, und selbst der klangfrohe Südländer, der Italiener, bedient sich seiner mit wachsender Vorliebe. Wenn der klangfrohe Südländer so thut, wie ists zu glauben, daß nur das nordische Ohr so sehr am Klingklang hänge? – Welches Metrum darf der deutsche Epiker wählen? Der Hexameter ist uns zu antik, die Stanze zu romanisch, der Nibelungensvers – zu altväterisch. Was bleibt als etwa die buntwechselnden Versmaße in Lenaus Art? Aber diese gewähren nicht die schöne Gleichform des Tones, die würdevolle Getragenheit des Epos.

Der Plan zu »Ahasverus in Rom« ist bis ins Kleinste Jahre lang im Geiste gehegt, aber ziemlich rasch ausgeführt worden. Daher kommt es, daß ich bei dieser zweiten Auflage an dem wohlerwogenen Thatsächlichen des Gedichts nur hie und da zu ändern fand, in formeller Beziehung aber auf jeder Seite die Feile anzulegen hatte. Möchte das Werk [276] fortan nur in seiner gegenwärtigen Gestalt gelesen – nur in dieser beurtheilt werden!

Mit einer gewissen Beschämung überblicke ich die trivialen Herzensergießungen, zu welchen ich mich hier genöthigt sah. Ich lasse ihnen die ganze Anspruchslosigkeit und die flüchtige Form des Hingeworfenen; sie sollen sich auf den ersten Blick darstellen als das, was sie sind: als ein gelegentliches »Impromptu,« bestimmt, wieder zu verschwinden, wenn »Ahasver« zum dritten Abdruck gelangen sollte. Ich habe nichts gesagt, wozu ich nicht in ganz bestimmter Weise veranlaßt war. Einen polemischen Ton anzuschlagen, hatte ich jedoch keinen Grund, da von Seite der Kritik, wenn sie auch nur selten auf den Kern der Sachen einging, mir häufig die wohlthuendste Wärme, nirgends ein herausforderndes Uebelwollen entgegentrat.

Wird diese günstige Stimmung sich nicht vielleicht gerade durch den gegenwärtigen Epilog zu einem Umschlag veranlaßt finden? – »Das heiße ich doch die Kritik mit Gewalt in eine oppositionelle Stellung drängen!« rief ein Freund mir warnend zu, als er mein Vorhaben bemerkte; »welcher Kritiker kann es wagen, gelten zu lassen, was der Autor selbst über sein Buch gesagt hat, ohne den Schein der äußersten Unselbstständigkeit auf sich zu laden!« – Das wäre schlimm! Aber ich will nichts fürchten; ich lasse den Epilog abdrucken und vertraue meinem Sterne.

Februar 1866.
R. H.

[277]

Zur dritten Auflage.

Der ausgedrückten Absicht zuwider, kann ich mich nicht entschließen, bei diesem revidirten Neudruck des »Ahasverus in Rom,« welcher der durchgehends verbesserten zweiten Auflage folgt, den Epilog an die Kritiker zurückzuziehen. Die dem Werke geschenkte Aufmerksamkeit läßt mich die Hoffnung nicht aufgeben, dieser Epilog werde früher oder später Einiges dazu beitragen, daß die Beurtheilung mehr als es bisher geschehen, sich der Composition des Gedichts zuwendet. Mag man »Ahasver in Rom« sodann anerkennen oder verdammen, jene Auffassungen wenigstens werden verschwinden, die mit dem thatsächlichen Inhalt des Buches im Widerspruche stehen, und einzig auf einem Uebersehen der Einzelheiten desselben beruhen.

August 1867.
R. H.

 

Die erste Auflage erschien 1865.
Der Titel wurde in späteren Auflagen
zu »Ahasver in Rom« geändert.


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