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Erster Gesang.
Die Schenke Locusta's.


[2] [3]         Wär's noch vergönnt, ein Heldenlied zu singen?
O fürchtet nichts! Mein Lied will diesmal nicht
Auf hochpathetischem Kothurne schreiten;
Und keinen Helden hab' ich mir erwählt,
Um dessen Hüfte Schwert und Panzer rasselt;
Nein, einen, der so stumpf ist, so blasirt,
Und so ironisch als ihr's wünschen mögt!
Gesell' ich meinem zeitgemäßen Helden
Den ernsten Ahasver, nehmt an, es sei
Der vielbeliebten Contrastirung willen! –
Wollt ihr Pikantes? O, pikant sein will ich,
Wie eure Lieblingsdichter an der Seine!
Wollt Bilder ihr von reichstem Lebensprunk
Und tollster Schwelgerei? Ich gebe sie.
Wollt ihr titan'sche Laster und Verbrechen?
Ich gebe sie. Soll euren stumpfen Sinn
Ich stacheln? soll Calliope, die ernste,
Euch tanzen einen epischen Cancan
Auf leicht beschwingtem Fuß des Jambus? Nun!
Ich weiß nicht, ob ich es zu Dank euch mache:
Doch singen will ich eine Epopöe
Des Sinnentaumels, des Genusses euch,
Der Sättigung und – Uebersättigung,
Des Lasters – nah' dem Punct, wo sichs erbricht 
[4]       Den Prüden aber, denen meine Weise
Zu kühn erscheint, sag' ich: Zum Schattenriß
Hab' ich die Farben Juvenals gedämpft!
In meinem Liede soll kein Ton erklingen,
Den meinem Psalter nicht entreißt die Muse
Gebieterisch für ihres Sanges Wahrheit,
Für ihres Sanges Zweck, den großen Zweck:
Das Leben euch an einem Ziel zu zeigen,
Wornach vielleicht es wieder einmal steuert! –
      Empört euch manche Scene meines Lied's,
Und wendet ihr davon mit Unmuth euch,
Ich dank' euch – denn so hab' ichs ja gewollt!
Und wenn im Sang des Dichters euch entsetzt,
Was unbekümmert oft euch läßt im Leben,
So darf der Sang den Dichter nicht gereu'n! –
      Habt ihr gehört von Fliegen und von Spinnen,
Die man gefunden öfters hat in gelben,
Durchsicht'gen Stücken Bernsteins eingekrustet?
Die Masse, flüssig noch, ergriff das Leben,
Das Eintagsleben des Insects, und hälts
Erstarrt im helldurchsicht'gen Sarge fest:
Nun ist das Ungeziefer ein Juwel,
Und leiht dem Steine Werth, wie ihm der Stein.
So laßt mich gleicherweise denn das Grause,
Das Häßliche, das ich bezwingen soll,
Euch geben in durchsicht'ger Bernsteinhülle
Der Poesie!
                  Folgt mir in's alte Rom!
Wo trümmervoll sich die Campagna jetzt
Hinausstreckt gegen die Albanerberge,
[5] Da stand's in hoher Pracht; und nun noch einmal
Beschwör' ich's aus dem Grab: doch wahrlich nicht
Um mit dem Moderwust des Alterthums
Euch einzustäuben, nein: im Bilde Roms,
Im Spiegelbild neron'scher Eigensucht
Zu zeigen euch, was wieder sich erneut –
Nur daß, verglichen jenem Ueberschwang
Des Römerdaseins, jener Lebensfülle,
Wir schnöde Bettler sind und Hungerleider! –
      Da glänzt sie, seht, die kaiserliche Roma,
Die gold'ne – seht, da dehnt sie sich, die Prachtstadt,
Mit ihren blinkend weißen Marmortempeln,
Mit ihren Säulenhallen, riesigen
Amphitheatern, stolzen Mausolee'n,
Stadtgleich gedehnten Bädern, Gärten, Weihern!
Dies steingehau'ne Zauberlabyrinth
Von Säulen, Kuppeln, Giebeln, seht, wie schlingts
Von Hang zu Hang sich reizvoll prangend hin!
Geschwungen überall seht ihr das stolze,
Das holde Linienspiel, die heit're Curve
Des Römerbogens – süße Augenlust
Des Schönheitsfreundes! – In den Niederungen
Die prächt'gen Foren, wo der Springbrunn plätschert,
Und aus den Höhn die stolzen Colonnaden –
Dahier die Burg des Capitols, und hier
Die Kaiserzinnen auf dem Palatin,
Und hier der Tempel Jupiters am schroffen
Tarpejerfels! Und wie die Marmorbilder
Erschimmern, seht! Ein Volk von Statuen
Füllt neben einem Volk von Sterblichen
[6] Die weite Stadt! Und überall durchschlingt
Den weißen Quaderprunk das holde Grün
Der Gärten, Lorbeer und Platane säuselt,
Von Dächern und Balkonen selber streu'n
Die Blumen und die Sträucher süßen Duft.
Die Hügel Roms, sie schimmern und sie grünen;
Wohin das Auge blicken mag, nur Marmor
Und Blumen! Und dies üpp'ge Panoram,
Vom Glanz ital'schen Aethers übergossen,
Verbirgt dem Aug', was etwa häßlich noch,
Was arm und klein und schmutzig ist im Innern.
      Doch tauchen lieber wir in's Volksgewimmel!
Vom reichen purpurschimmernden Senator,
Der da mit Sclaven- und Clientenschwärmen
Vorüberprunkt, zum widerwärt'gen Triefaug',
Das an der hohen Tiberbrücke bettelt –
Und von der Dame, die in gold'ner Sänfte
Sich läßig wiegt, bis zu der phryg'schen Dirne,
Die mit getünchter Wang', erstorbnem Aug'
Noch schweifende Quiriten will berücken –
Welch' endlos reiche Zwischenstufenleiter!
Welch bunte, wildbewegte Menschenbrandung!
Sieh, wie hier auf dem lauten Markt der Wechsler
Neronisch' Silber schüttet auf den Tisch!
Sieh, wie dort vor dem Tribunal des Prätors
Die Togamänner zanken! Und dazwischen
Die Fremdlinge, so bunt an Farb' und Sprache:
Sabäersöhne hier, dort struppige
Sarmaten, Syrer hier und dort Sycambrer.
Da, siehe, sprengt ein schmucker Reitertrupp
[7] Hellblonder Nordlandssöhne von des Kaisers
Leibwache hin – wie glänzt die blanke Rüstung!
Da führen Mohrensclaven Elephanten
Vorüber aus den kaiserlichen Zwingern!
Hier steht ein Grieche, malerisch den Mantel
Um sich geschlungen, dort der tätowirte
Britanne, der die bunte Pracht bestaunt.
Da näselt der Hebräer, und da schleichen
Mit kahlgeschornen Köpfen, linnenem
Tatar, in Prozession, Gebete murmelnd,
Aegypter mit dem Bild der Isis.
                                                   Schlendern
Durch Romas Gassen weiter wir, und lassen
Des Abends Schatten dämmernd niedersinken.
      Ob auch ihr Netz die Dämmrung dichter spinnt,
Noch immer wälzt ein breiter Strom sich hin
Durchs weite Rom, ein Schwarm von Müssiggängern.
Der Abendhauch des Südens, o wie schmeichelt
Den Wangen er nach heißem Tagesbrand!
Wie summt und schwirrt es in den Säulengängen!
      Wer ist die edel-kräftige Gestalt,
Die dort durch's dichteste Gewühl sich drängt,
Das Antlitz voll-umrahmt von langem Bart,
Den Leib in einen Mantel dicht gehüllt?
's ist etwas Keckes, und doch Edles, ja,
Was Königliches ist im Gang des Mannes! –
Der lange Bart ist unecht, und der Mantel,
Der schlichte, dunkle Philosophenmantel,
Deckt einen Wandrer, der aus Prunkgemächern,
Aus einem stolzen Kaiser-Palast kommt,
[8] Vom Palatin herab … es ist mein Held,
's ist Nero. Ihm zur Seite wandeln drei,
Vermummt wie er, gehüllt in Mäntel, bärtig.
Zur Rechten ihm die Herkulesgestalt
Ist Burrus, Führer seiner Leibtrabanten.
Und hier, die dünne, schlangenhaft behende
Figur des Zweiten? Sie gehört
Dem Mohren Tigellin, dem schlimmsten Wicht,
Den ausgebrütet hat das heiße Nubien,
Und Rom gesäugt wie eine gift'ge Schlange;
Der sich gemach von Nero's Lieblingssclaven
Empor zum Freunde und Vertrauten schwang; –
Und jener dritte, hastig trippelnde
Unscheinbare Gesell ist Seneca,
Ein Männlein, das mit klugen Aeuglein blickt –
Von denen einer, die vom Hinterhaupt
Herauf das Haar, das spärliche, sich kämmen,
Die Glatze zu bedecken – Seneca,
Der immer trieft von stoischen Sentenzen,
Und zähe doch den Platz an Nero's Seite
Festhält als Rather und als – Zechgenoß.
      Die Vier, sie wandeln durch's Gewühl dahin.
Ein aufgeregtes Meer scheint dies Gewühl
Und wirft zuweilen sonderbare Wellen.
Auftaucht in Nero's Näh' ein Greis, gehüllt
In braun, zerrissen flatterndes Gewand.
Die Schläf' umfliegt ihm langes Silberhaar,
Sein Vorhaupt scheint verwittert Felsgestein,
Und seine Augen nisten d'rin wie Adler.
Urwüchsig scheint er, wild, cyclopisch fast,
[9] Ein Mann, der aufgewachsen, fremd den Menschen,
In Wüsten, Wäldern, rauher Bergesöde:
Wahnwitzig rollt sein Auge bald, bald scheu
Wie eines Bettlers, doch dann leuchtet's wieder
Wie Geistesmacht darin, schier übermenschlich.
Und zwischen Nero und den Seinen geht
Die wechselnde Vermuthung hin und her:
»Es ist ein Schiffer wohl, der unterm Mast
Weltfahrender Sidonier ergraut!« –
»Ein greiser Löwenjäger aus dem Atlas!« –
»Nein, ein Prophet, ein Seher muß es sein!« –
»Ein Charlatan vielleicht, vielleicht auch ist's
Ein fluchgetrieb'ner Mörder!« – »Nein, so wandelt
Nur ein entthronter König, den sein Unglück
In Wahnsinn stieß!« – Rasch wie die Rede wechselt
Des Fremdlings rastlos schreitende Gestalt.
»Seht, wie er groß, titanisch aufgerichtet
Hinwandelt!« – »Nein, er schleicht schon wieder tiefgebückt,
Hinfällig, hüstelnd.« – «Tiefer Gram durchfurcht
Sein Angesicht!« – »Nein, seht, es zuckt ein Stral
Geheimer Freude d'rin.« – »Uralt erscheint er!«
»Nein, nein, sein Aug' blitzt jugendlich!« – Ei, spielt
Der Widerschein der Lichter, die da wechselnd
Ihn treffen in der Dämmerung, so seltsam?
Ist dieses wunderliche Bild Natur,
Ist es nur Maske? Solcher Zweifel ist's,
Der allzumeist des Nero Neugier stachelt.
Er bleibt geheftet an des Alten Ferse
Mit seinen drei Begleitern. Immer sucht
Das dichteste Gewühl der Greis; wo leerer
[10] Die Straßen sind, beflügelt er den Schritt.
Und tiefer, immer tiefer wird das Dunkel.
Die Nacht ist eingebrochen. »Ei, wie munter
Der Alte schreitet!« ruft mit Lächeln Nero:
»'s ist ein vermummter Jüngling, etwa gar
Ausgehend auf ein Liebesabenteuer!« –
Da fällt ein Lichtschein plötzlich auf die Züge
Des Wanderers, und dieser flücht'ge Schein
Beleuchtet grell, gespensterhaft, ein Antlitz,
So grauverwittert, fahl und starr und beinern,
Wie eines modernden Aegypterkönigs,
Der seinem Pyramidengrab entstiegen,
Worin er ein Jahrtausend lang geruht.
Entsetzt zurück prallt Nero, gleich als blickt' er
In's Schreckensantlitz der Meduse –
                                                        Doch
Nur um so stärker fesselt jetzt ein Zauber
Ihn an die Spur des räthselhaften Wandrers.
Durchschritten ist das Marsfeld, ist das Forum,
Ist der Suburra lärmendes Gewog'.
Der Pfad wird öde, Roms Bewohner weilen
In den Behausungen, sie ruh'n bei späten
Gelagen, oder schon in Schlaf gesunken.
Doch unermüdlich wandelt noch der Greis,
Und unermüdlich folgt ihm Nero. Schon
Beginnt der müde Seneca zu seufzen:
»Den halben Tag,« so klagt er, »saßen wir
Am See, wie Frösche um den Sumpf, zu schau'n
Die Naumachie – beim Jupiter, ich holte
Mir einen Schnupfen in dem Wasserdunst –
[11] Und nun, nun laufen wir die halbe Nacht
Noch hinter diesem tollen Bettler her?«
Doch Nero lächelt nur und folgt der Spur
Des Fremdlings, der wie Proteus die Gestalt,
Wie das Chamäleon die Farbe wechselt.
Der Nachtwind fegt schon durch die öden Straßen
Und durch zerriss'ne Wolken bricht der Mond –
Einsam verhallt der Tritt – 's ist späte Nacht:
Der Alte wandert stets noch unermüdet.
      Zuletzt am öden Ende Roms, wo niedrig
Die Häuser stehn am breiten Weg gen Süden,
Tritt unser Greis in eine Weintaberne,
D'raus später Lärm noch schallt. Und hinter ihm
Setzt auf die Schwelle der Taberne stracks
Den Fuß auch Nero. Abmahnt Seneca
Vom Eintritt in den schmutz'gen Ort, doch folgt er
Zuletzt den Andern, wie er immer pflegt,
So oft er abmahnt. In dem Qualm der Stube,
Wo weingeröthete Gesichter glänzen,
Und wüst' Gelächter schallt und Sang und Lärm,
Wählt unbemerkt der Greis im stillsten Winkel
Sich seinen Platz. Ihm gegenüber lassen
Sich nieder die vermummten Vier. Der Blick
Des Nero schweift vom Alten zu den Zechern:
Da sitzen Lungerer und Tagediebe,
Roms feile, müßige Plebejerbrut;
Da sitzt der thierisch-rohe Gladiator,
Da sitzt der trunk'ne, prahlende Soldat,
Da Nautilus, der Dicke, dermaleinst
Seeräuber, jetzt ein angeseh'ner Schiffsherr;
[12] Hier ein brutaler Sclavenhändler; hier
Ein brauner, schweigsam lauernder Aegypter,
Der Tags, die volkbelebte Stadt durchwandernd,
Zur Flöte seine Schlange tanzen läßt.
Ein Abenteurer auch, Kleinasiens Sohn,
Sitzt hier, ein Mystagog für Geld, der Kranke
Heilt durch Besprechung, und dem Pöbel Roms
Verkauft Arcana, Gifte, Liebestränke.
Ein Griechlein auch, gesprächig, prahlerisch,
Ein fortgejagter Pädagog, ist hier,
Durch langen Philosophenbart ehrwürdig,
Und doch nichtsnutziger als all' die Andern.
      Es sputet in der Gäste Schwarm Locusta,
Die Wirthin, sich, ein zahnlos häßlich Weib,
Unheimlich zwinkernd mit den grauen Aeuglein.
Die weiß ganz andre Tränke noch zu brau'n,
Als die sie jetzt dem Zecherschwarm kredenzt,
Und oft sieht sie bei sich im tiefsten Schleier
Der Mitternacht vermummte Kundschaft, die
Goldstücke heimlich flüsternd rollen läßt
In ihre Knochenhand für winz'ge Fläschchen
Und für Verschwiegenheit. Man murmelt selbst,
Sie habe Kaiser schon und Kaiserinnen
Bei sich gesehn. –
                                                Es unterhalten lärmend
Locusta's Gäste sich von Thiergefechten
Und Wagenrennen, auch von goldnen Schätzen,
Die Dieser, Jener riesig aufgehäuft –
Sieh, wie's dabei in Aller Augen funkelt
Von Neid und Habgier! – doch die rechte Würze
Fehlt dem Gespräche noch.
[13]                                              Da, siehe, hält
Mit seinem Esel vor der Schenke draußen
Ein später Wandersmann, ein droll'ger Kauz;
Wer ihn erblickt mit seinem Langohr, meint
Silen zu sehen: ein Dickbauch, Spindelbeine,
Weinsel'ge Aeuglein, große Funkelnase, –
Ein spitzes Köpflein, dünn mit Haar besetzt,
Ein fertig-glänzend Vollmondangesicht.
Und wie er schmunzelnd in die Stube tritt,
Aufschreit Locusta: »Siehe da, mein Dickwanst,
Mein Söhnlein Saccus, treibt dichs einmal wieder
Nach Rom, von meinem Faß zu kosten? Ei,
Wo kommst du her?« – »Schnurstracks von Benevent,«
Versetzt der dicke Kleine, »doch, beim Bacchus,
Nicht Sehnsucht wars nach deinem Faß, du alte
Heuschrecke, was mich herzog; hast du nicht,
Obgleich du immer mich dein Söhnlein schiltst,
Das letzte Mal mich arg betrogen, da
Du ungewässert deinen herben Krätzer
Mir eingeschenkt, den erst des Wassers Mischung
Genießbar macht?« Die Zecher lachen herzlich,
Locusta aber schmäht, nicht träg, den Kleinen:
»O schnöder Bösewicht, o Weinschlauch, wandelnd
Auf dürrem Bocksfuß, taumelnd wie die Rübe,
Die man auf ihre schmale Spitze stellt …«
»Still, Alte,« ruft das Männlein, »liegt dir doch
Noch stets im Mund die böse Lästerzunge
Gleich einem gift'gen Drachen in der Felskluft!
Still, Rabenmutter! Hast du nicht mehr Haare
An Kinn und Nas' und Lippe als am Scheitel?
[14] Mehr Falten im Gesicht als im Gewand?
Sind deines Busens Ueberreste nicht
Ein hängend Spinngeweb? O Scheusal du,
Wenn sich im Nilstrom spiegelte dein Antlitz,
Meinst du denn nicht, daß alle Krokodile
Scheu würden, und ihr weitgeschlitzter Rachen
Respektvoll sich versteckte vor dem Deinen?« –
So neckt das edle Paar sich unterm Beifall
Des Zecherschwarms. Nun setzte sich zu den Gästen
Der Kauz, von denen Mancher ihn erkennt
Und grüßt mit Lachen als das immerlust'ge,
Großnas'ge Schusterlein von Benevent.
      Und nun beginnt ein wechselndes Gespräch.
»Wie geht das liebe Rom?« fragt Saccus. »Ei,«
Versetzt ein Witzbold ihm darauf: »wie du –
Just wie ein Schmeerbauch geht auf Schlotterbeinen!
Rom ist nur mehr ein Wanst, der nach und nach
So alle andern Glieder aufgefressen,
Die in der That, erwägt man es genau,
Entbehrlich sind für ein behaglich Leben.« –
»Und was macht Nero?« – »Der schlägt Köpfe ab,
Verführt die Weiber, musizirt, und läßt
Als Sänger sich vor allem Volke hören;
Er bläs't die Flöte, spielt den Pantomimus,
Und zeigt im Circus sich als Wagenlenker:
Ei, man muß einen langen Athem haben,
Um aufzuzählen Alles, was er thut!«
»Ja wohl,« fährt fort ein Zweiter, »'s ist erstaunlich
Was dieser Mann in sich vereint; er ist
Ein Bluthund und ein Lüstling, wie sichs eben
[15] Geziemt für einen Kaiser, doch zuweilen
Hat er ganz überflüßig-ernste Grillen;
Da sammelt er um sich die Astrologen,
Beguckt mit ihnen die Gestirne, gibt
Den Weisen Fragen auf und läßt sie köpfen,
Wenn sie nur eine halbe Antwort haben.« –
»Und welche Pläne,« fügt hinzu ein Dritter,
»Wie riesig, ungeheuer, wälzt sein Kopf!
Den griech'schen Isthmus will er heut durchstechen,
Das Meer denkt er bis Rom heranzuleiten,
Dann wieder trägt er sich mit einem Plane,
Roms sämmtliche Geschichten zu besingen
In einem unerhörten Riesenepos.
Zum Glücke kreuzen die Gedanken sich
Schneeflocken gleich in seinem Hirn – so kommt er
Zu keiner That – und das ist wahrlich gut:
Das Unterste zu oberst kehrt' er sonst.« –
»Er ist ein Narr,« fällt ein der Pädagog,
»Ein Narr vor Allem. Weiß doch jedes Kind,
Was in den Straßen Roms in später Nacht
Mit seinen wilden Spießgesellen er
Für Streiche macht! Verkleidet treibt er sich
Umher, die Leute neckend in den Straßen,
Sucht Händel, dringt sogar in Häuser ein
Zu schönen Weibern, mischt sich unter Strolche
Und zecht mit ihnen.«
                                   »Ists denn möglich,« ruft
Der dicke Schiffsherr Nautilus, »ists möglich,
Daß solch' verwöhnter Schlemmer sich bei Nacht
Fortstiehlt aus seinem schimmernden Palast,
[16] Verruf'ne Orte sucht und in Spelunken
Sich setzt, wie unsereins, um Stank
Und Flöhe unbekümmert? denkt er nicht
An seine Herrscherhoheit?« – »Ja das kommt,«
Versetzt der Grieche keck-verächtlich, »ja,
Das kommt davon, wenn man ein Römer ist!
Selbst eure großen Feldherrn waren Bauern;
Nur Hellas hatte Helden ...«
                                       »Ei,« fällt ihm
Mit Hohn ins Wort der Schiffsherr Nautilus:
»Ihr Griechen habt doch immer was voraus …
Rom ist jetzt überschwemmt von Hungerleidern,
Die eitel sind auf ihren griech'schen Ursprung
Und sich für echte Stamm-Athener halten,
Wenn auch in Cappadocien geboren –
Die hier in Rom an unsern Knochen nagen,
Und dennoch Alles besser wissen wollen …«
      Auffährt der Grieche zornig, doch es mischt
Begütigend sich drein das Schusterlein:
»Gemach, ihr Leute, haltet Frieden! Hier
Im Bann der Schenke ziemt kein andrer Wettstreit,
Als der im Trinken. Haltet Frieden, sag' ich!
Und auf den Nero wiederum zu kommen,
Ihr meint wohl, daß er immer unverwandt
In seinen goldnen Sälen sitzen soll,
Mit Kron' und Scepter, ein gemalter König?
Ein Kerl meint ihr, voll Lebensdrang, wie Nero
Dem's immerdar in allen Nerven zuckt,
Soll wie ein alter Dickwanst von Proconsul
Nur stets daheim im weichen Rollstuhl sitzen,
[17] Soll sich damit begnügen, wies jetzt Brauch
Bei Reichen, stundenlang sein Aug' zu laben
An kostbar'n Citrustischen, selt'nen Platten
Des Thujabaums, gefällt im fernen Atlas,
Mit Kennerblick zu prüfen ihre Masern,
Sich drum zu kümmern, ob sie tigerartig
Gefleckt sind, oder wellenlinienförmig,
Ob nach der Pfauenfeder Art gemustert?« –
      »Je nun,« versetzt ein Anderer, »ich denke,
Ihm blieben wohl noch sonst der Dinge g'nug,
Daheim sich zu ergetzen. Hat er doch
In seinem Haus vereint das Seltenste.
In seinen Hallen steht, so hört' ich oft,
Manch Kunstgebild des Phidias, des Zeuxis,
So sprechend, so lebendig, daß man es
Anbinden muß, damit es nicht davon läuft.
Er läßt von zahmen Elephanten sich
Bedienen und es folgt ihm wie ein Hündlein
Ein junger Löwe nach auf Schritt und Tritt.
Er hat sogar ein zahmes Krokodil:
Das naht auf seinen Ruf, sperrt auf den Rachen
Und läßt von ihm sich still mit Zucker füttern.
Die Raritäten aus der ganzen Welt
Versammelt er um sich – nein, er versammelt
Sie nicht, von selber kommen sie, sie fliegen
Ihm zu, wie Eisenspäne dem Magnet:
Demanten, groß wie Hühnereier, neues
Gethier und Pflanzenwerk wird aufgefunden –
Und Mißgeburten gabs noch nie so viel
Als seit in Rom regiert der große Nero!«
[18] »Möcht' er,« fährt fort ein wackerer Barbier,
»Möcht' er doch seinen tollen Launen folgen;
Wär' er nur nicht ein blutiger Tyrann
Und nimmersatter Weiberheld: so eng
Schloß Grausamkeit und Wollust nie den Bund
Auf Romas Kaiserthrone!« – »Seht einmal,«
Entgegnet drauf ein Spötter, «seht das Männchen,
Das spricht so angstvoll-zimperlich vom Morden,
Weils feig ist und kein Blut erblicken kann!
Ei, laßt den Nero die Patrizier köpfen,
Was thut das uns?« – »So ist's,« fällt Saccus ein,
»Weißt du denn nicht, o Freund Barbier, daß Leber
Und Galle Nachbarn sind? Der blut'ge Mars
Läßt mit der süßen Venus gern sich fangen
In Einem Netz. Im Tödten und im Küssen
Zeigt sich des Mannes höchste Kraft. Du schiltst
Ihn grausam, sagst, er schont kein Menschenleben.
Was ist ein Menschenleben werth in Rom?
Hier öffnet ja der Prasser, der Verschwender,
Mit Stoër-Gleichmuth sich die Adern selbst,
Sobald er nur mehr hundert Millionen
Sesterzen hat und nicht mehr Citrustische
So kostbar als sein reich'rer Nachbar zahlen,
Und nur mehr fünfzig Sclaven halten kann.
Und was betrifft die Liebesabenteuer,
Die du ihm schwer verargst, – o wackrer Mann,
Setz' du dich erst auf einen Kaiserthron,
Sei du an Kraft und Schönheit ein Apoll,
Laß du die Weiblein alle für dich schwärmen,
Und zeichne durch Enthaltsamkeit dich aus!« –
[19]       Der Schwarm der Zecher lacht. Ein Stadtkind Roms,
Ein eingeborner Müßiggänger ruft:
»Ja, lassen wir den Nero ungescholten;
Er thut so ziemlich, was wir Alle thäten,
Wenn wir nur erst an seiner Stelle wären.
Wenn uns're alten Herrn, die Consuln, Feldherrn,
Die Haut zu Markte trugen, ehrlich dumm,
Für Ruhm und für Vergrößerung des Reichs,
So machen es die neusten wahrlich besser,
Die lustig leben auf dem Kaiserthron.«
»Ja,« spricht noch Mancher in der Runde, »ja,
Laßt's ihn so treiben, wie er eben mag;
Gewiß ist's, daß wir unter keinem Kaiser
So glänzend reiche Circusspiele sahn;
's ist eine lust'ge Zeit fürs Volk.« –
                                                  »Was ist's,«
Fragt Saccus jetzt, »was ist's mit Agrippinen?
Mit diesem lockend schönen Ungeheuer,
Mit diesem Dämon, diesem Fabelwesen
In Weibertracht? führt sie noch stets das Ruder?
Ist die geheimnißvolle Zaubermacht,
Mit der sie selbst den wilden Sohn umstrickt,
Noch immer nicht gebrochen?« – »Endlich hat,«
Erwiedert Nautilus, »der mütterlichen
Zuchtruthe, die zum Zauberstab geworden,
Entwunden sich das wüste, wilde Söhnlein,
Und fern auf ihrem Landgut grollt sie jetzt,
Die stolze Kaisermutter; freilich nur
Um früher oder später triumphirend
Zurückzukehren; ist sie doch das schlau'ste,
[20] Ehrgeizigste, und – das muß auch der Neid
Ihr zugestehn – trotz ihrer vierzig Jahre
Noch stets das schönste Weib in Rom!« –
                                                            »Laßt das,«
Wirft Saccus ein; »in einem Weiberrock
Verfängt doch auf die Dauer sich kein Mann,
Der schon der ganzen Welt ein Schnippchen schlägt,
Und sich mit seinem Schatten raufen möchte,
Weil er es wagt sich neben ihn zu stellen …«
      »Ja, und doch voll ist,« wendet ein der Grieche,
»Von kleinlich-schnöder Künstlereitelkeit.
Er will vor aller Welt als großer Künstler,
Als unvergleichlich großer Sänger gelten,
Und alle Welt weiß doch, daß ihm vor Allem
Die Stimme fehlt, er krächzt ja wie ein Rabe …«
      Kaum ist das Wort dem Mund entfahren, arglos,
Da schnellt empor mit einem Wuthblick Nero
Von seinem Sitz. Er hat das Schlimmste lächelnd
Mit angehört, das man von ihm gesagt –
Doch bei dem Wort des Griechen fährt er auf,
Und faßt den schnöden Tadler an der Kehle:
So etwa dürfte wohl ein Panther fassen
Den Kläffer, der entgegen ihm gebelfert,
Wie sich der schreckensbleiche Kritiker
Gepackt von Nero sieht. Vorquillt sein Aug',
Die Kniee schlottern ihm und lautlos streckt er
Den Arm zur Abwehr aus, ein Jammerbild.
Nun aber werfen Andre sich dazwischen,
Faust prallt an Faust erbittert, und alsbald
Erdröhnt das weite qualmende Gemach
[21] Vom Lärmen einer wüsten Schlägerei.
Der starke Nero und der stärk're Burrus
An seiner Seite, wie ein Büffelpaar
Mit einem Hunderudel kämpfen sie.
      Wo bist du, Saccus? Komm, um Oel zu gießen
Mit heitrem Scherzwort in empörte Wogen!
Zufällig hat er vor des Streits Beginn
Sich in des Herdes Raum hinausgeschlichen
Zur emsigen Locusta. Sieh, der alten
Spürnase blüht ein Fund hier unverhofft:
Ein Mägdlein findet er, im Winkel sitzend,
Das kindliche Gesicht von Rabenlocken
Umflattert, träum'risch in die Kohlen blickend
Mit Augen, schwarz und feurig wie die Kohlen:
Ein wundersames, reizend schlankes Kind,
Zwölfjährig kaum, doch schön wie eine Hebe.
Hei, wie da mit erstaunten Aeuglein blinzelt
Der dicke Saccus: »Ei, wo kommst du her,
Du schmuckes Kind, erles'ne Augenweide?
Sieh mich doch an – was blickst du in die Kohlen?
Willst du mit deinen großen Feueraugen
Sie etwa noch zu heiß'rer Glut entfachen?
Komm mit!« Er ruft's, und schmunzelnd, augenzwinkernd,
Zerrt er, Locusta's Einspruch nicht beachtend,
Die Kleine mit sich fort ins Gastgemach.
Da findet er die Stube voll Tumult.
Unwillig ruft er in den Streiterknäu'l:
»Laßt ab, ihr Bursche, seid ihr toll geworden?
Seht, welch' ein Schätzchen ich hier aufgestöbert!«
      Ablassen von einander die Entbrannten
[22] Und plötzlich aller Blicke Mittelpunct
Wird jenes wundersame schlanke Kind.
Halb ängstlich und halb kindlich-trotzig schüttelt
Es aus dem feinen marmorblaßen Antlitz
Sein pechschwarz-glänzend wirres Haargelock'
Und blickt um sich im Schwarm der fremden Männer
Mit Augen, groß und schwarz und langbewimpert.
Fast größer scheint des Mädchens Feueraug',
Als seines zarten Mund's geschlossne Knospe.
Darüber schwungvoll ausgebreitet sind
Die dunklen Brau'n, geschwungen stolz und hoch,
Ein ausgebreitet Adlerflügelpaar
Ob einer Liljenflur. Doch kindlich herb
Erscheint noch dieser Mädchenblüte Reiz,
Und ein geheimer, melanchol'scher Hauch
Umschattet ihn – ist's stille Sehnsucht etwa
Nach einem fernen schönen Heimatland?
Ist's jene Schwermuth, jene unbewußte,
Die alle Schönheit wunderbar umschwebt,
Vorahnend, daß auf dieser Erdenflur
Das Los des Schönen stets ein Trauerlos? –
Schön ist, doch rührend fast des Mädchens Anblick,
Und ringsher steht die wilde Schaar erstaunt.
      Doch keifend drängt sich schon heran Locusta,
Die Kleine bei der Hand erfassend: »Ei,
Das ist kein Bissen für Plebejergaumen;
's ist eine junge Gaditanerin,
Ja, ein hesperisch' Früchtchen aus Hispanien,
Das, wie ihr wißt, dem kunstverständ'gen Rom
Die feurigschönsten der Sylphiden sendet.
[23] Des Mägdleins Mutter auch war Tänzerin:
Die sucht' in Rom ihr Glück, und ließ, wegsterbend,
Dies Töchterlein hier nackt und bloß zurück
In fremder Leute Hand. Mitleidig nahm ich
Mich seiner an. Manch' schöne Gabe hat
Das Mädchen von der Mutter, tanzt auch schon
Wie eine kleine Göttin, sag' ich euch!
Nur fühlt es sich nicht heimisch noch in Rom,
Spricht oft im Traum von Strömen fremden Klangs,
Und von Granatbaumgärten seiner Heimat,
Ruft Schwestern und Gespielen. Und dann tröstet
Am Morgen sichs mit Tänzen und mit Liedern.
's ist auch ein Schönheitswunder, wie ihr seht,
Nur noch nicht flügg': ein Jährchen mag die Kleine
Bei mir noch weilen im Verborgenen,
Dann werden wohl die Götter ihr verhelfen
Zu einem Glück, wie sie's verdient, und auch
Mir armem Weib zu den Erziehungskosten.«
      So spricht Locusta und will an der Hand
Entführen rasch die Rabenlockige.
Doch stürmisch durcheinander ruft der Schwarm:
»Halt! laß sie uns ein kleines Pröbchen geben
Von ihrer Tänzerkunst!« – Locusta schüttelt
Das Haupt versagend: »Sucht euch and're Waare!"
Da wirft ein Goldstück der vermummte Nero
Der Alten zu, ausrufend: »Laß die Kleine!
Sie soll uns tanzen!« – »Tanzen!« wiederholt
Der Stube jubelnd Echo, bis willfahrend
Die Alte grinst, dem Zwang unwillig weichend.
      Actäa – dies des holden Kindes Name –
[24] Verschwindet einen Augenblick, hinweg
Geleitet an Locusta's Hand; doch bald
Kehrt in verschoß'nem leichtem Flitterkleid
Sie wieder – einem mütterlichen Erbstück –
Und hochgeschürzt, wie's ziemt der Tänzerin.
      Inzwischen hat der Schlangenzauberer
Das Flöteninstrument hervorgeholt,
Zu dem er seine Schlange tanzen läßt.
      Und sanfter erst zu sanften Tönen regt
Die kleine Gaditanerin die Glieder;
Doch mehr und mehr den sich beflügelnden
Accenten der Musik folgt, selbst beflügelt,
Mit freud'gem Schwunge sie – ihr Auge blitzt,
Ihr dunkelglänzend Haargelock', es wallt
Um's Haupt ihr, ihre zarten Glieder schwellen,
Und ihres Leibes Formen ründen sich.
Ist dies das ernste, stille, blasse Kind,
Das eben noch fast schüchtern um sich blickte?
So innig folgt sie mit des Tanzes Schwung
Der lieblich weichen Flötenmelodie,
Daß fast es scheint, als ob sie selbst erklänge,
Als ob mit ihres Leib's Bewegung sie,
Wie Kunde geht von gold'nen Himmelssphären,
Im Umschwung klingend wirkte die Musik.
Fragt nicht, wer sie den bacchschen Schwung gelehrt?
Nicht Kunst ist, nein, Natur ihr Schwebetanz,
Natur, wie ihres Auges reiner Schimmer,
Und ihrer Locke Dunkel. – O Hispanien!
O Land, worin wie nirgends zur Bacchantin
Die Grazie wird, und stets doch Grazie bleibt!
[25] War deine Sonne doch, die feurige,
Des glüh'nden Blutes Amme, das pulsirt
In dieser kleinen, holden Tanzmänade!
Seht, wie die reine Formenmelodie
Der kindlich zarten Glieder plötzlich nun
Aufwogt in einen lebensfreud'gen Hymnus!
Doch dieses Hymnus Weise, sie versteht
Sich selbst noch nicht – es singt das Herz des Mädchens
Den Text noch nicht zu dieser Melodie –
Noch unbewußt gibt sie dem Gott sich hin,
Dem schönen Gotte der Begeisterung,
Der ihren frischen Jugendreiz berührt
Zu eig'ner Wonne, wie ein Saitenspiel!
Nur halb ist sie Mänade – halb noch Kind!
Der süße Hauch der Unbewußtheit ruht
Noch über der bewegten Huldgestalt,
Und würzt mit höher'm Reiz die holde Schau! –
      Geendet ist der Tanz. Mit Beifallsjauchzen
Belohnt die kleine Herzbezwingerin
Der Schwarm, vor den sie Schönheitszauber streute,
Wie Perlen vor der Circe Herdentroß
      Fortführen will Locusta sie. Die Zecher,
Berauscht von Wein und von dem Wunderschauspiel,
Verwehren ihrs. In ihre Mitte ziehn
Das zarte Mädchen sie. Der Frechste reißt es
An sich und hebt es lüstern auf sein Knie -
Und drückt den strupp'gen Bart ihm in's Gesicht,
Ein wüster Polyphem, der eine Nymphe
Des Meer's gehascht und plump und roh sie küßt.
Aufschreit das Kind erschreckt – in seinen Gliedern
[26] Nachzittert noch der wildbewegte Tanzschwung,
Und doppelt jetzt vor Angst erzittert es;
Erglühend, athmend, sträubt sich's wie die Taube –
Da fällt ein Schlag, von kräft'ger Faust geführt,
Auf den Verwegnen nieder. Nero ist's,
Der mit dem Schlag befreit die scheue Taube.
Nun aber drängen auf den Unbekannten,
Der sich so keck in alle Dinge mischt,
Die Zecher ein, ein neuer Streit entbrennt –
Ein wüst' Geschrei durchgellt den Raum aufs Neue.
Gehob'ne Stühle drohn, und Becher fliegen,
Und Jener steht fast überwältigt schon
Im Handgemeng': der stramme Nautilus
Hebt einen Mischkrug, und das Steingefäß
Will beinzerschmetternd eben niederkrachen –
Da schreit, von Schreck ergriffen, Seneca,
Der bleiche Zeuge dieses wüsten Kampfes,
Wie unwillkührlich auf: »Halt ein, halt ein,
Du triffst das Haupt des Nero!« – Innehält
Der Drohende – und jetzt erschrickt er erst
Vor'm Funkelblick des unerschrock'nen Gegners –
Und in den ganzen Kreis fällt dieser Blick
So blitzend, daß am Wort des Seneca
Rings in erstarrter Gruppe Keiner zweifelt …
      Ja, die noch eben, drohend wilde Kämpen,
Gedrängt sich um den Einen, sind gelähmt,
Versteinert, eine stumme Tafelrunde.
Und wer sich eines freien Worts bewußt ist,
Gesprochen über Nero, der erbleicht …
      Doch Einer, seht, ist in dem Schwarme noch,
[27] Der gute Miene macht zum bösen Spiel:
Das lust'ge Schusterlein von Benevent.
Schuldunbewußt, und darum muthig tritt er
Vor Nero hin und spricht mit keckem Scherz:
»Der Götter Segen auf dein hohes Haupt,
Erhab'ner Herrscher! Sei uns demuthsvoll
Gegrüßt in dieser schlechten Weinspelunke,
Die deiner ist so wenig werth, und wo
Du sauren Wein nur fand'st und obendrein
Noch unbedacht' Geschwätz verschlucken mußtest
Von uns armsel'gen Schuften, die wir Alle,
Bezecht, umnebelt durch den schlechten Krätzer
Locustas, faselten ich weiß nicht was.
Locusta, Herr, sie trägt allein die Schuld;
Denn ihr Getränk hat uns den Sinn verwirrt,
Und darum siehst du auch sie reuevoll
Hier vor dir stehen, bebend, stumm, als ob
Sie sagen wollte: Herr, nimm meinen Kopf,
Den Kopf der todeswürd'gen alten Vettel,
Für all' den schnöden Frevel, der gescheh'n!
Thu' ihr den Willen, Herr, und laß sie köpfen!
Die Alte gibt sich anders nicht zufrieden.
Uns aber, Herr, gewähre Amnestie!
Verschmäh' es, dich an solchen armen Schuften,
Wie wir es sind, zu rächen – und damit
Besiegelt sei die tröstliche Versöhnung
Mit feierlichem Unterwerfungs-Act,
So liefern wir demüthig dir hiermit
Den Gegenstand des Streites aus, die kleine
Hispanierin, das reizend liebe Kind.
[28] Herr, nimm sie hin zur Sühne für uns Alle;
Und wenn du's nicht verschmähst, wir führen dir
Die Kleine feierlich für diese Nacht
Als Bräutchen zu mit allen Römerbräuchen.
Das sollte werden eine lust'ge Nacht!
Zwölfjährig ist sie, das ist eher wohl
Ein Vorzug als ein Mangel – o du liebes
Arom der Jugend! Glattgespannte Haut
Wie eine Apfelschale – morgenfrisches
Und spiegelklares Aug' – das ganze Mägdlein
Frisch, reinlich wie ein Mandelkern – fürwahr
Ein Bräutchen ist's, nicht unwerth eines Kaisers!« –
So spricht der schlaue Possenreißer, sich
Geheim verbündend gegen Nero's Zorn
Mit Nero's Lüsternheit. »Als Bräutchen?« ruft
Mit Lächeln dieser, dem des Kauzes Rede
Geglättet schon die zorngefurchte Stirn;
»Hör', Tigellin, mich dünkt, es überbietet
Der Kahlkopf dich in glücklichen Gedanken!
Solch' prächt'gen Einfall hatt'st du lange nicht,
Und manche Nacht durchgähnt' ich schon! – Dies Mägdlein
Mir angetraut hier in Locusta's Schenke?
Wohl gäb' es eine lust'ge Nacht! – Es sei!
Zu Liebe dieser lieblich-schlankem jungen
Gazelle, die wie unter Wölfen ich
Gefunden unter euch, sei euch verziehn!
Mit feinem Kennerblick, o Saccus, hast du
Die Würdigkeit des Bräutchens mir entwickelt:
So scheu sie blickt, der Kleinen Mund vergeistigt
Die Charis schon – frühreif ist stets die Schönheit.
[29] Ich will sie nicht verschmäh'n, die würz'ge Blüte
Vom goldnen Tagusstrand – ich will ihn schlürfen,
Den jungen Schaum von diesem Feuerwein:
Dies reizend frische Kind, dies edle Blut,
Dies unerschloss'ne, reine, süße Leben –
Das Alles ist ja eben gut genug,
In Nero's Sein ein Stündchen auszufüllen.
Nach Römerbrauch will ich mich ihr vermählen
Und ihr sollt meine Hochzeitgäste sein!
Locusta, spute dich, uns zu bereiten
Ein Hochzeitsmahl und schenke Wein in Strömen;
Du, Saccus, ordne mir den Hochzeitsbrauch!«
      Ein Jubelruf der schreckerlösten Gäste
Begleitet Nero's fröhlichen Entschluß.
»Hoch,« rufen sie, »hoch Nero und Actäa!«
Verschüchtert blickt das holde, schlanke Mägdlein
Um sich im Schwarm der Rufer, unbewußt
Des Schicksals noch, das seiner harrt; empor
Zu Nero blickt mit stillem Grau'n die Zarte,
Zum Jüngling, der so schön, und doch so furchtbar,
Zum Jüngling mit den tiefen, glüh'nden Augen,
Und mit dem Zug des Hohnes auf der Lippe –
Der jetzt so seltsam ihr ins Auge schaut,
Daß Blut und Seele schüchtern ihr zurück
Bis in das Innerste des Herzens flieht …
      Berechnet hat indeß Locusta still
Was ihr für heut an blankem Golde wohl
Abwerfen mag die kaiserliche Kundschaft.
Doch eifert sie verstellt: »das arme Kind!
Was wollt ihr doch mit solch unreifer Traube?
[30] Noch ist sie grün und herb!« – »Ei, siehe da,«
Fällt ein der Schuster, »einen kaiserlichen
Brautwerber denkst du abzuweisen? Ha,
Du faselst! Unreif sagst du? dauert dich
Vielleicht so früh gepflückte Jungfrauschaft?
Je nun, man muß sich eben sehr beeilen,
Will man die Frucht noch frisch vom Stengel pflücken;
Die Mädchen reifen heutzutage früh.
Zu jung Actäa? Kennst die Mädchen schlecht!
Denk' an die Göttin Isis, welche schon
Im Mutterleib von ihrem Zwillingsbruder
Osiris schwanger ward!« –
                                                                   Des Männleins tollen
Erguß belächelnd, zieht von seinem Finger
Der heit're Nero einen Demantring
Und wirft ihn in den Schoß der Alten. Grinsend
Gibt ihren Segen zur Vermählung sie.
»Nur seht,« so fügt mit widerlichem Lachen
Locusta noch hinzu: »nur seht euch vor:
So sanft sie scheint – oft ist ein Tollkopf sie,
Geberdet störrig sich und eigenwillig,
Und in den Finger biß sie jüngst den reichen
Fabullus, der die Wang' ihr streicheln wollte.« –
Fortführt Locusta nun das stumme Mädchen,
Um bräutlich es zu schmücken; ihr gesellen
Sich Saccus, Tigellin, vorzubereiten
Der Brautnacht Posse. – Fröhlich lagern wieder
Die Zecher sich indeß, und Nero's Wort
Entfesselt aller Feuerweine Quellen,
So viel beherrscht die häßliche Najade
[31] Locusta. Preis und Lob erschallt dem Kaiser
Im Kreise rings, und sieh, der Grieche, bang
Noch denkend seiner frühern bösen Rede,
Schreibtafeln zieht er und den Griffel jetzt
Hervor, und nur ein wenig sich besinnend,
Zu hören gibt er einen Hochzeitshymnus
Voll Griechensuada, eine schmeichlerische
Palinodie. Wie tummelt er das Roß
Der Musen, wirbelt auf bei jedem Schritt
Staubwolken von Metaphern und Hyperbeln,
Zur Lust des Hörerschwarms!
                                                Bald kehrt zurück
Der lust'ge Saccus, meldend, hold geschmückt
Sei schon die Braut und harre des Entführers.
Vom Zechertroß geleitet jetzo stürmt
Gewaltsam Nero – so will's Romas Brauch –
Die Thür der Kammer, wo Actäa sich,
Die liebliche, verwundert selbst betrachtet
In Kranz und Schleier, bräutlich, um den schlanken
Aether'schen Leib den jungfräulichen Gürtel
Geschlungen.
                     Nachgeäfft wird nun die Sitte
Der Väter; scherzhafte Auspicien
Beginnen, Neros und Actäas Hände
Legt ineinander man mit Segenssprüchen.
Dann wird die Braut entführt. Mit Blumen ist
Bestreut die Schwelle, drüber man sie hebt,
Und eine Fackel trägt man bis zur Thür
Des Thalamus voran der Lieblichen,
In deren großem, rührend schönem Aug'
[32] Die Frage glänzt, was dieses Spiel bedeute?
Noch blasser als zuvor ist jetzt ihr Antlitz
Wo bleibt er nun, der kecke Mädchentrotz,
Den des Fabullus Finger blutend spürte?
Das arme Kind – es steht in Nero's Bann!
Wie vor der Riesenschlange Blick das Vöglein,
Das Blümlein vor der stürzenden Lavine,
Steht sie vor dieses Mannes Blick, worin
Ihr unverstanden aufblitzt eine Welt
Von Lieb' und Haß, von Gier und Ueberdruß,
Von Weichlichkeit und von Titanenstolz,
Von Lebensdurst und von Vernichtungslust! …
      Horch, vor der Thür des Thalamus alsbald,
Die hinter diesem selt'nen Paar sich schloß,
Wird angestimmt von den bezechten Gästen
Priapisch-keck ein wüster Hymenäus,
Wie Nero's Zeit ihn nur ersinnen mochte.
Seltsame Götter sind es, die sie rufen:
Den Subigus, die Prema, die Pertunda,
Priap und Venus nennt ihr Scherzgesang
Und feiert den Moment, zu überbieten
Bemüht mit frechstem Wort die frechste That …
      Dem Tigellin ward heimlich Nero's Auftrag:
Zu wachen, daß kein Gast den Ort verlasse
Vor Tagesgraun und seiner Wiederkehr.
Ihn kümmert es, den Alten noch zu finden,
Den wunderbaren Alten, deß' Geheimniß
Sich seine Neugier spart zum Morgenimbiß,
Und der, in seinem Winkel einsam sitzend,
Aus dunklen Höhlen unter busch'gen Brau'n
Die Blicke flattern läßt wie nächt'ge Vögel.
[33]       Indeß die frevle Brautnacht Nero feiert,
Bezechen lustig sich die Hochzeitsgäste.
Daß nicht der Schaum dem Trank der Orgie fehle,
Ruft man herbei auch Citherspielerinnen,
Und Tänzerinnen, schweifend' Buhlgezücht.
Und die soeben jungfräulicher Schöne
Liebreizend' Glanzgebild geschaut, bejauchzen
Noch dankbarer Hetärenfrechheit jetzt,
Und eines Tanzes Ausgelassenheit,
Die nicht den Geist der Wonne wiedergibt,
Nein, ihre thierisch-rohen Zuckungen.
So geht dem Zecherschwarm in trunkner Lust
Und wildem Taumel Stund' um Stunde hin.
Gelächter schallt, Gesang und roher Scherz,
Dann wieder kurzer Zank, den stets beschwichtigt
Mit seiner unbezwinglich heitern Laune
Das kluge Schusterlein von Benevent.
Der schwimmt im Moste wie ein Weinbeerkern:
Krebsroth im Angesicht, weit vorgequollen
Das weinig-triefende Glotzaugenpaar,
Singt er mit schwerer Zunge schmutz'ge Lieder,
Durch glucksend Rülpsen öfters unterbrochen,
Wobei von einem Ohr zum andern ihm
Das Hütlein drollig an dem Kopfe schwankt –
Ein Anblick, den die ganze Zecherschaar
Bejubelt stets mit wildem Lachgewieher.
Je mehr vorrückt die Nacht, der Morgen naht,
Nur um so mehr wächst Lärm und Uebermuth
Der wüsten Scenen in Locusta's Schenke:
Und wer in dies verthierte Treiben blickt,
[34] Blickt in die Römerwelt: Locusta's Schenke
Ist nur ein kleiner bunter Wassertropfen
Der ungeheuren röm'schen Lasterpfütze;
Doch in dem kleinen bunten Wassertropfen
Abspiegelt schon die ganze Roma sich.
      Nur vier der Zecher haben sich dem Braus
Entzogen, willig oder unfreiwillig:
Der Grieche liegt schon schnarchend unter'm Tisch,
Wohin er sank, besiegt von Saccus, der
Den Lästerer des Römervolks zum Wettkampf
Im Trinken keck herausgefordert: Hellas'
Und Roma's Ehr' vertraten sie voll Eifer
In diesem Saufduell – und glänzend siegte
Für diesmal Rom. Abseits vom Schwarm der Gäste
Still mit Locusta flüstert Tigellin:
Und wer den Mohren sieht mit diesem Weibe,
Der schwört, daß nimmer wohl sie flüstern können
Von Anderm als von Gift und Zaubertränken.
Als Dritter sitzt vom Schwarm der Zecher abseits
Der weise Seneca: ihm gellt der Lärm
Ins Ohr verhaßt und widerlich – er liebt
Gelage, doch auf weichen Purpurpolstern,
Nicht in Plebejerdunst. Mißmuthig schweigend
Dasitzt er, zeichnet meditirend sich
Von Zeit zu Zeit in seine wächserne
Schreibtafel einen glänzenden Gedanken,
Mit dem ihn Langeweil' als Muse segnet,
Und schielt nur dann und wann mit halbem Blick
Nach einer hochgeschürzten Tänzerin,
Die feiner als die andern ihn bedünkt.
[35]       Und noch ein Vierter sitzt im lärmdurchhallten
Gemache schweigsam, doch nicht unaufmerksam:
Der düst're, bleiche, wildumlockte Greis:
Es fällt manch neugierkecker Blick der Zecher
Auf diese seltsam brütende Gestalt,
Die selbst im bunten Volksgewimmel Roms
Das Auge des Betrachters überrascht.
Man mustert den beharrlich Schweigenden,
Und Scherz und Spott wagt sich an ihn heran
      »'s ist ein verrückter Bettler,« spricht der Eine,
»Und ein Hebräer,« fügt hinzu der Andre;
»Man liest's an seiner Nase, seinen Augen,
Und seinem Bart.« Und nun erwacht der Spott
Nur um so kecker gegen ihn, als Sohn
Vom Stamme der verachteten Judäer.
Man schilt ihn Jüdlein, neckt ihn mit dem Sabbath,
Am Bart ihn zupfen die Hetären – doch
's ist wunderbar, wie Graun befällt die Spötter,
Sobald sein Blick dem ihrigen begegnet.
Und die Gestalt noch immer wechselt er:
Harmlos erscheint er jetzt und jugendlich, -
Dann wieder zeigt er plötzlich, wie zum Hohn,
Den Frechen mit gespenst'ger Neckerei
Das grauverwitterte Medusenantlitz,
Das einen Nero selbst zuvor erschreckt.
Und weichen dann sie scheu, da ist's, als kläng'
Aus seiner Brust ein dumpfes wildes Lachen
Herauf, wie Wahnsinn oder Rache lacht …
Was schlängelt dort sich aus dem Dämmerwinkel
Des nächtlichen Gemachs, was ringelt sich
[36] Am Boden hin in langen, wechselnden
Kreiswindungen? Was klingt dazwischen, horch,
Für ein bedrohlich Zischen? Siehe da!
Die Schlange des Aegypters, die zu tanzen
Pflegt in den Straßen Roms zum Klang der Flöte,
Sie hat sich losgemacht aus dem Behälter
Und züngelnd kriecht sie hin durch das Gemach.
Entsetzt bemerkt zuerst sie Seneca,
Und auf den Schrei des zagen Stoikers
Kehrt sich der Zecher Blick, so weit ein Blick
Noch lebt in ihren weinverglasten Augen,
Nach jenem giftigen Gewürme hin.
»Sieh da,« ruft Saccus, weinestrunk'ner Laune,
»Sieh da, du Schlänglein auch erscheinst als Gast
Zu Nero's Hochzeitsfeste? sei willkommen,
Du glatter Schleicher – du geborner Höfling!
Es ist vom Mahl dir noch ein Rest geblieben
Und auch ein Becher Weins sei dir kredenzt!«
Er ruft's mit tollem Uebermuth und stellt
Hinunter auf den Boden seinen Becher,
Den vollgefüllten, in den Weg der Schlange.
Und nun, ha, seht das wundersame Schauspiel:
Das Thier, es schleicht heran und naht dem Becher,
Und hebt den Kopf und taucht ihn in das Naß,
Das röthlichfunkelnde, des Weins, und gierig
Hinunter schlürfts die edle Bacchusgabe.
Nun aber plötzlich wie benebelt, seltsam
Beginnts zu taumeln und, unsicher wiegend
Das weinbeschwerte Köpflein, strebts zu tanzen:
Und immer mehr zu wunderlichen Sprüngen
[37] Und Wendungen hebt die berauschte Natter
Den Leib, daß halb mit Graus, halb mit Gelächter
Die Zecher auf sie blicken. »Selbst die Schlange,«
Ruft Saccus lachend, »selbst die Schlange, seht,
Bezechte sich zu Nero's Hochzeitsfest!«
Hoch die betrunk'ne Schlange! hoch wir selbst,
Die Trunk'nen, und mit uns das ganze Rom,
Das selber eine alte trunk'ne Schlange,
Berauscht vom Göttertrank der Weltherrschaft,
Und zur Verdauung jetzt bacchantisch taumelnd!« –
Wildlachend thut der ganze Schwarm Bescheid.
»Willst du die Flöte blasen, oder willst du
Den Thyrsus schwingen, schmiegsame Bacchantin?«
So rufend reizt den Wurm bedachtlos Einer
Mit vorgehalt'nem Stab, da fangen plötzlich
Des Thieres Augen gräulich an zu funkeln,
Den Rachen sperrt es auf, und streckt die Zunge
Bedrohlich vor – und geht nun wie ein Krieger
Hochaufgerichtet auf den Nächsten los –
Es packt der Schreck die wilden Zecher – bebend
Ausweichen sie, nun schier ernüchtert; Weiber
Besteigen angstvoll-kreischend Stühl' und Tische.
Wo ist der Magier, der die Schlange wohl
Zu bannen wüßte? Ei, der liegt gefesselt
Im schweren Bann schlafsücht'ger Trunkenheit,
Und keine Hand vermags ihn aufzurütteln.
Heran tritt jetzt der Mohr mit wucht'gem Holzstück
Und will das Unthier tödten – da erhebt
Sich plötzlich von dem Sitz der düst're Gast
Und schreitet ruhig auf die Schlange los,
[38] Packt an dem Hals die Widerstrebende
Und steckt zurück in den Behälter sie
Mit sich'rer Hand. Hat nicht sie, zornvoll geifernd,
Erfaßt den Finger ihm und ihn gestochen?
Der Greis doch achtets nicht. Mit Staunen blicken
Und mit vermehrter Scheu die Zechgenossen
Hin auf den Wundersamen, der schon wieder
So still, so stumm an seinem Platze sitzt,
Wie er die ganze lange Nacht gesessen.
Nun spötteln sie nicht mehr – ein Magier ist's,
Und, ängstlich von der Seite nach ihm blickend,
Zuflüstern sie sich grause Spuckgeschichten
Von bösen Zauberern und Zauberinnen …
      Doch bald obsiegt des Weines Macht der Angst.
Es schöpft das Laster aus der trüben Hefe
Geleerter Krüge seine letzte Kraft:
Verdreifacht sieht die letzte der Vigilien
Den wilden Zechergraus. Und als von außen
Durchs Fenster bricht der erste Stral, und still
Aus seinem Thalamus der Bräutigam
Der lieblichen Actäa tritt – da blickt er
Beim Scheine matter, übernächt'ger Lampen,
Die mälig mit verkohltem Dochte flackernd
Erlöschen, in die wüste Schenkenscene
Auf ihrem Gipfelpunct. Im Bann des Bacchus,
Der Venus sieht er Alle, sieht nun auch
Den weisen Seneca mit keckem Arm
Die Hüften jener Tänzerin umschlingend,
Die er so lange wählerisch gemustert …
      »Sieh da,« ruft er, »ihr habt als wackre Bursche
[39] Dem Freudengott geopfert mir zu Ehren
Und meinem süßen Bräutchen. Habet Dank.
Und, wenn ich jetzt von euch mich trenne, wißt,
Daß wir uns wiedersehen. Denn so wie
Für diese Nacht ich euer Gast gewesen,
Sollt ihr die meinen für die nächste sein.
Ein Bacchanal in meinen Gärten feir' ich,
Ein Freudenfest, wie keins noch Rom gesehn.
Da will erscheinen ich als Dionysos,
Und ihr sollt als Bacchanten um mich sein!
Was fröhlich jetzt umschloß Locusta's Schenke,
Sobald der Abend graut, vereine sichs
In meinen duft'gen Gärten an der Tiber,
Wo Tigellin, mein wackrer Festanordner,
Euch lehren wird – sofern ihr nüchtern seid –
Was Nero, seine Gäste zu ergetzen,
Von eurem Muth, von eurer Laune heischt!« –
      Es jauchzt die Zecherschaar: aus heisern Kehlen
Erschallt ein stürmisch' Lebehoch dem Cäsar.
      Nur Einer sitzt noch abseits, schweigend, ernst.
Da wendet Nero lächelnd sich zu ihm:
»Willst du nicht auch bei meinem Fest erscheinen,
Du Schweigsamer? Wie, oder nennt man besser
Wahnwitzig dich?« –
                            Aufrichtet sich der Greis –
Und Jeder blickt mit Scheu nun auf die hohe,
Titanische Gestalt, die kurz zuvor
Dasaß gebückt und tief in sich versunken.
      »Wer bist du?« fragt, den Blick des grausen Fremdlings
Mit stolzer Festigkeit erwiedernd, Nero.
[40] »Ich bin,« versetzt der Greis, »ich bin ein Mann,
Der sterben will.« »Wie, sterben?« lächelt Nero,
»Und ich, sieh, bin der Mann, der leben will:
Es treibt mich unermeß'ner Lebensdrang!« –
»Und mich treibt unermeß'ne Todessehnsucht:
Mein Auge flieht der Tod und selbst der Schlaf.
Nun komm' ich, rastlos wandernd und die Spur
Des Tod's verfolgend, her nach Rom: Hier ist
Todreifes viel – ich ahn' ein großes Sterben,
Ein Sterben, zehrend an dem tiefsten Mark
Des Seins, wenn auch von Glanz noch übertüncht.
Vielleicht, vielleicht gelingt mir's, mitzusterben …«
      »Du wirst erfahren, lebensmüder Graukopf,«
Spricht Nero d'rauf mit Lächeln, »daß sich's hier
In Rom noch immer besser lebt als stirbt.
Du solltest mein Begleiter sein. Wir sollten
Hinwandeln so vereint durch unsre Zeit:
Die tiefste Todessehnsucht, zugesellt
Dem höchsten Lebensdrang
!« – »Nicht dein Begleiter,
(Versetzt der Greis), nicht dein Trabant und Sclave
Denk' ich zu werden, doch dir nah sein will ich –
Denn deinetwillen kam ich, Herrscher Roms!
Mich zu verfolgen durch die Straßen Roms
Vermeintest du, und warst doch selbst mein Wild;
Ich zog mit einem Zauberbann dich nach,
Und fortan bleibst du mit geheimen Fäden
An mich geknüpft!« – »Ei, und was willst du mir?« –
» Ich will dir dein Geschick vollenden helfen!« –
»Wie? mein Geschick? ich bin nicht alt genug …«
»Und doch ist nah' die Zeit, wo sich's erfüllt …
[41] Als du durch einen unbewußten Drang
Gefesselt wardst an meine Spur, da sagte
Dir's schon des Herzens Ahnung, daß zusammen
Wir eine Sendung haben zu erfüllen!« –
      »Du sprichst geheimnißvoll und düster, Freund,«
Ruft Nero, »und ich danke dir dafür,
Daß mein Begleiter du zu sein verschmähst.
Da lob' ich doch den lust'gen Saccus mir,
Das dicke Schusterlein von Benevent,
Das eben erst so wacker mich vertheidigt.
Wohlauf, begleite mich, mein lieber Saccus,
Du sollst mit mir an meinem Hofe leben;
Dein rundes Angesicht, es soll mir dienen
Als eine Sonnenuhr der Fröhlichkeit,
In der die festlich rothe Jubelnase
Als Zeiger steht. Verkürze mir die Zeit:
Der Dinge bestes ist ja Zeitverkürzung …«
»Ei freilich wohl,« versetzt der Schuster, »wer uns
Die Zeit verkürzt, verlängert uns das Leben.
Nun, Herr, wie dir's beliebt, ich bin der deine!
Doch willst du, daß mein rundes Angesicht
Und diese festlich rothe Jubelnase
Dir leuchte stets in ungetrübtem Licht,
So wisse, dieser Schein ist nur der Abglanz
Der Feu'rung, die mit Speis und süßem Trank
Muß unterhalten werden im Kamin
Des edlen Menschenleibes, Bauch genannt.« –
»Sei unbesorgt,« versetzt ihm lächelnd Nero:
»Plagt mich zu sehr der Drang in's Unermess'ne,
So soll des Mannes Anblick mich beschwicht'gen,
Deß' Streben ganz im Bauche sich vereinigt …«
[42]       Der Morgensonne voller Glanz bescheint
Die Straßen Roms.
                              Aufbricht mit Tigellin,
Mit Burrus und dem weisen Seneca,
Und seinem neu geworbenen Begleiter,
Dem Saccus, Nero jetzt. Aufbrechen auch
Mit wein- und schlummertrunk'nen Augen alle
Die Zechgenossen, taumeln durch die Helle
Des frischen Morgens heimwärts, um zu ruh'n.
Aufbricht nun auch der finstre Greis, doch nicht
Um auszuruh'n: hinwandelnd sucht er still
Die neubelebten Straßen wieder auf,
Und stürzt sich in des Forums Volksgewimmel.

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