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Zweiter Gesang.
Das Bacchanal.


[44] [45]        In Nero's Gärten singt, am Tiberstrand,
Am stillen Aventin, die Nachtigall
Ihr schönstes Lied; in Nero's Gärten rauschen
Die Bronnen wunderbar; in Nero's Gärten
Greift in die Lorbeerwipfel süß aufregend
Der Zephyr wie in goldne Lyrasaiten.
In Nero's Gärten ragt wie nirgend sonst
Der Kegel der Cypresse stolz und riesig
Im Goldazur. Granatbaumwälder wiegen
Auf unabsehbar'n Strecken wunderbar
Den Scharlachflor, als hätte stolz der Berg
Sich einen Kaisermantel umgeschlagen
Zu prunkend rother Zier. In Nero's Gärten,
Da stäubt die Blütenfülle von den Bäumen,
Wie Funken von der Esse des Vulkan.
In Nero's Gärten sprüh'n aus Marmorbecken
Viel tausend Stralen aufwärts, eine tolle
Verschwendung von Demanten, Tropfen Silbers,
Geschmolzen in der Sonne. Was da prunkt
In Nero's Gärten, übermüthig strebt
Es himmelan, und maßlos in die Weite.
Sieh, wie sich stolze, marmorblinkende
Terrassen himmelstürmerisch empor
In's Blaue thürmen: ihrer Stufen jede
[46] Trägt ein Blumenflur und weithin herrschend
Aufthut sich eine zaubervolle Schau.
Die Gipfel aber krönen Säulengruppen
Und Nero's erzgegossne Riesenbilder,
Denn überall ist Nero's Bild zu schaun:
Hier blühts in bunter Blumenmosaik
Auf weiter Flur, hier dräut es schreckbar fast
Aus grünem Gartenraum, in Buchs geschnitten,
Wie ein Gigant zum ehr'nen Himmel auf.
      Hold ruh'n im Glanz des Sonnentags die Gärten
Des Nero – doch wie lieblich nahet ihnen
Der stille Abend erst, wenn die Syringe
Berauschender den Duft streut und die Sonne
Hinuntergeht in sanfter Purpurglut!
Der Lorbeerwald, ein hellsmaragdnes Meer,
Wie wiegt er goldig nach dem Sommerregen
Im reinen Aether sein erfrischtes Grün!
Dann kommt der Vollmond freundlich-ernst herauf.
O wonnevoller Götterfriede, der
Dann ruht auf dieser Flur! – doch heute, horch!
Was für ein seltsam Leben kündigt heut
Sich in den Büschen an? die Nachtigallen
Sie schmettern feuriger, die Wasser rauschen
Geheimnißvoll. Der Garten harrt des Fest's,
Des Freudenfest's, das seine Räume noch
In dieser Nacht durchtoben soll! Er harrt
Der Tausende, die Nero bat zu Gast
Und tausendäugig schon beginnt's zu glühn
Im Dunkel, feurige Guirlanden schlingen
Um alle Beete sich, um alle Säulen,
[47] Um alle Giebel, alle Marmorbecken:
Hinauf bis in die Wipfel aufgehangen
Sind bunte Feuerballen: riesigen
Glühwürmern gleich im Dunkel schweben sie.
      Teppiche sind weichschwellend aufgeschlagen
Im Rasengrund; und hundert Purpurzelte
Erheben sich den Gartenraum entlang.
Die stillen Grotten, hold mit Moos und Epheu
Verkleidet und mit üpp'gen Schlinggewächsen,
Sind heute wundervoll von Purpurschein
Erhellt, mit kostbar'n Tüchern ausgelegt,
Zu bieten unbelauschte süße Rast.
Auf Weihern selbst ruhn weichverhüllte Gondeln,
D'rin sich verschwieg'ne Wonne schaukeln mag.
      Und sieh, den blauen Strom herunter kommt
Gezogen durch die stille Sommernacht
Auf Prunkfahrzeugen eine schwimmende
Armada aller Schönheit, alles Glanzes,
Den Rom in seinem weiten Schoße birgt.
Die schönsten Frau'n, sie alle sind geladen,
Was edel ist entstammt und reich, es kommt
Auf Nero's Wink. Doch auch der Freigelass'ne,
Der Lieblingssclave des Cäsaren, mischt
Sich in der edlen Gäste Reih'n und prunkt
Nicht minder stolz. – O sieh, wie fährt der Schwarm
So wohlgemuth den schönen Strom hinunter
Entlang den flüsternden Platanenstrand,
Und trinkt berauscht den Duft, der niederweht,
Und wähnt, es trage sacht ihn Charons Nachen
Vom ird'schen Thal zum Strand Elysiums.
[48] Nun steigt beim Glanze duft'ger Cederfackeln
Die Schaar aus ihren Gondeln, wogt sodann
Durchs blumenüberhang'ne Prachtportal
Empor vom Strand die sanften Porphyrstufen,
Bis wo die herrlichste der Gartenfluren
Einladend grünt. Gleich einem Wanderzug
Von zwitschernd-heitern, bunten Vögeln, läßt
Der Schwarm sich nieder, harrend des Empfangs,
Den ihm der kaiserliche Wirth bereitet.
      Da hebt Musik in rauschend-wildem Klang
Ihr reizend Vorspiel an und füllt das Ohr
Mit einem hochgeschwellten Riesenstrome
Von stolzen Harmonie'n. Und während Alles
Den Klängen lauscht, da wandelt sich die Mitte
Des Plans, der hier sich dehnt wie ein natürlich
Amphitheater, in ein riesig Becken,
In eine colossalische Fontäne,
Die ungeheure Stralen wirft. Dann plötzlich
Inmitten dieses Wasserstralenspiels
Schiebt sich empor ein Hügel, ein Vulcan,
Und speit aus offnem Krater in den dunklen
Nachthimmel aus ein Feuerwerk. Es sprühn,
Vermischt mit den Krystallen der Fontäne,
Die ringsumher sie blitzend noch umtanzen,
Die Funken wundersam! welch' Leuchten, Blinken!
Welch' Glanzwettstreit von Funken und von Tropfen!
Und während Alles gaffend, staunend jubelt
Vor diesem unerhörten Wunderschauspiel,
Da schwindet's plötzlich und es wandelt sich
Der Schauplatz zur Arena, wo sofort
[49] Anhebt ein Fechterspiel. Und wie die Menge
Zujauchzt den Siegern, weggezogen wird
Der Boden plötzlich wieder, und es schimmert
Herauf die Spiegelfläche eines Sees,
Drauf eine stolze Naumachie beginnt.
      Und noch einmal – zum letzten Male nun
Sieh, wechselt diese wunderreiche Schau.
Ein weißer Nebeldunst erhebt sich plötzlich
Von duft'gem Rauchwert aus verborgnen Pfannen,
Wie leichte, dünne Schleier, und umhüllt
Für einen Augenblick die ganze Scene.
Doch bald, wie Morgennebel in der Sonne,
Zertheilt der duft'ge Rauch sich mälig wieder,
Und aus dem sanft verschwebenden Gewog
In wundersamer Pracht taucht überraschend,
Und augenblendend fast, ein täuschend Wunder,
Die heit're Gipfelfläche des Olymps.
Und auf des Gipfels sel'ger Au, gestickt
Mit goldnen Blumen wunderbarer Art,
Halb Prunksaal und halb Garten, ruhn vertheilt
In holden Gruppen die Olympier.
Sie ruhn auf Rosenlagern, ruhn auf Thronen,
Beim goldnen Mahl. Es wandelt Ganymed,
Es wandelt Hebe dienend auf und nieder.
Ambrosia und Nectar schlürfen sie,
Die Leichthinlebenden, die über Wolken
Und Winden sich in ew'ger Heit're freu'n.
Die Glücklichen! sie freu'n des Himmels sich,
Der ihnen angehört, der grünen Erde,
Die ihnen dient. Und keine Sorge naht
[50] Den sel'gen Häuptern je, und kein Gedanke
An Zukunft, Zeitengang und Schicksalswechsel …
So ruhn sie lächelnd. Horch, was tönt auf einmal
So dumpf von fern? Ist's eine Wetterwolke,
Die donnert auf den Wink des Jupiter?
Doch nein, – es klingt wie erz'ner Becken Laut.
Was stört die Ruhe der Olympier,
Die nie gestörte seit Jahrtausenden?
Ist's eine neue Schaar von Himmelsstürmern?
Horch! wüst' Geschrei und Cimbelklang! Es wächst
Zu ohrbetäubendem Gerassel – näher
Und näher kommt's, es drängt sich frech heran
In sel'ge Götterhöh' – da seht die Schaar!
Bacchanten sind's, geführt von Dionysos!
      Ein brüllend »Jo Bacche, Evoë!«
Mischt sich dem Sturm der Tympana: so leuchten,
Die Tags erfüllt sind von den tiefsten Schauern
Der Einsamkeit, die grausen Bergeswüsten
Des Hämus und des Atlas, in der Nacht
Von Feuern, widerhallen von dem Lärm
Der Pane, Satyrn, schwärmenden Mänaden,
Wie jetzo der Olymp aufflammt, aufbrüllt
Vor'm Tritt der Thyrsusstab- und Fackelschwinger,
Um deren Schultern das gefleckte Fell
Von Panther, Wolf und Löw' und Tiger flattert,
Indeß das Haar im Winde fliegt, umhängt
Von Weinlaub und von Epheuranken. Horch,
Wie tos't die Lärmmusik der Cimbeln, Flöten,
Der Hörner auch, die sich geblähten Backen
Entwinden in der Schreckgestalt von Schlangen
[51] Mit aufgesperrten Rachen. Hu, bei schrillem
Gequick der Flöt' und dumpfem Erzgedröhn
Geberdet toll und toller sich die Schaar.
Auf Luchsen, Panthern, reiten die Mänaden
Verkehrt, und spornen mit den Thyrsusstäben
Die Thiere, And're springen wie verzückt,
Und wiegen, winden sich in unerhörten
Bewegungen, gewaltsam, weit die Köpfe
Zurückgebeugt, die Augen vorgequollen.
Sie führen mit sich junge Wölfe, Böcklein
Und Kälber, und zerreißen sie, bekleiden
Mit ihren Fellen sich und werfen dann
Mit Stücken ihres Fleisches toll um sich.
Sie winden spielend Schlangen um den Leib sich
Und um die Stirn, und Manche bindet gar
In einen Knoten sich mit einer Natter
Das wallende Gelock.
                                    In ihrer Mitte
Auf prächt'gem Triumphatorwagen fährt
Der hauptumlockte Dionysos selbst.
Es schmückt ihn Stirnband, Mitra, Busengurt,
Und safranfarbiges Gewand umwallt
Fast weibisch-weich die herrliche Gestalt.
Den edelsteinbesetzten Wagen zieht
Ein Löwenpaar, deß' lange wilde Mähnen
Vergoldet gleißen: Elephanten schreiten
Daneben, fackelntragende, behängt
Mit Goldblech und mit breiten bunten Schärpen.
Der hauptumlockte Dionysos trägt
Bekannte Züge. Wir erkennen ihn:
[52] Es ist der edle Zecher aus der Schenke
Von gestern Nacht, 's ist der Gemahl Actäas:
Sie thront an seiner Seit' als Ariadne,
Bekränzt mit Rosen: als Silen daneben
Auf einem Langohr trabt der lust'ge Schuster
Von Benevent, als Priap Tigellin;
Als Hecate mitwandelt in dem Zug
Locusta, und die Zechgenossen alle
Der vor'gen Nacht, als Faune folgen sie,
Als Satyrn im Geleite der Mänaden.
      Als Herold wandelt jetzt voran Silen
Zum Thronsitz des erschrocknen Jupiter,
Den ängstlich bleich der Götter Schaar umdrängt.
»Hochweiser Jupiter!« so ruft der Herold,
»Vergib, wenn ich mit schlechter Botschaft dir
Die sel'ge Götterruhe stören muß!
Im Auftrag meines hohen Herrn und Meisters
Komm' ich dir zu verkündigen: Vorüber
Ist deine Zeit!
Vorüber ist die Zeit,
Wo deine Hand geführt die Herrscherzügel;
Ja, du bist alt geworden, Jupiter!
Die Welt ging allzulang den alten Trott.
Denkst du des Wort's, das der gefesselte
Prometheus sprach am Fels? wie Uranos
Dereinst dem Kronos wich, und Kronos dir,
So weiche du nun auch dem neuen Gott!
Siehst du, wie dein ehrwürd'ger Goldthron wackelt
Beim Festschritt unsrer Schaar, die ihm voraustanzt
Dem neuen Gott, durchdröhnend euren stillen,
Langweiligen Olymp mit frischem Leben?
[53] Der neue Gott, der kommt, um zu entwinden
Den Scepter deiner Hand, der altersschwachen,
Und zu begründen ein verjüngtes Alter,
Ein schöneres, ein freudenreicheres,
Der neue Gott ist Nero-Dionysos!
Wohlan, ihr habt's gehört, Olympier!
Seht hinter mir die kampfbereite Schaar:
Denkt ihr zu streiten, nun so rüstet euch!« –
      So klingt des Herolds Wort. Erschreckt, verwirrt
Sind die Olympier, nicht kampfbereit.
Sie greifen zu den Waffen, doch die Waffen
Sind alt und morsch und eingerostet. Stumpf
Geworden sind die mächtgen Donnerkeile
Des Göttervaters, seine Blitze matt,
Sein Aar ist flügellahm und halb erblindet,
Stumpf sind Apollons Pfeile, seine Lyra
Verstimmt, am Schwert des Schlachtengottes frißt
Der Rost, trüb angelaufen ist der Glanzschild
Minervens und wurmstichig lehnt die Keule
Des lieben Zeussohns Hercules im Winkel.
      Ein kurz' Getümmel folgt, ein kurzer Kampf;
Das grelle Lodern der Bacchantenfackeln,
Der wüste Lärm der Becken und der Cimbeln,
Das rasende Geschrei der Corybanten –
Das Alles blendet, übertäubt, verwirrt
Das zage Häuflein der Olympier,
Und trägt den Schrecken in ihr stilles Reich:
In's Reich der Schönheit und der Lust, wo sonst
Nur klangen gold'ne Becher und der Musen
Helltönig Lied. Die Götter sind geschlagen.
[54] Besiegt, umzingelt nun erwarten sie
Mit schmerzgebeugtem Haupt ihr neues Loos.
      »Nicht fesseln will ich euch,« ruft Dionysos,
»Nicht werfen will ich euch in finst're Schlünde:
Ihr habt zu thun mit einem edlen Sieger.
Entwandelt frei, wo immer euch's beliebt!
Ihr wart ja doch ein fröhlich lebend Völkchen,
Und brachtet in die düst're Menschenwelt
Zuerst aus Himmelshöhn die heitre Botschaft
Der Schönheit und der Freude. Nur zu stolz
Wart ihr, zu adelstolz, und viel zu neidisch!
Ihr wolltet zwar, daß sich das Volk erlust'ge,
Doch nicht an eurem Tisch. Gern stiegt ihr selbst
Herunter, wo's ein Liebliches auf Erden
Zu holen gab, doch niemals littet ihr,
Daß arme Menschenkinder auch einmal
Zu euch hinauf in euren Himmel kämen,
Es wäre denn, daß 'mal ein schmucker Junge
Gefiel dem Donn'rer, oder ein Bastard
Von ihm, wie Hercules, ward aufgenommen,
Der überdies sich erst verdienen mußte
Den Himmel durch ein Dutzend Heldenthaten
Im Schweiß des Angesichts. Das ist vorüber:
Denn mein ist der Olymp fortan und Aller,
Die mirs gefällt zum Mitgenuß zu laden.
Kroniden, eures Schicksals Stunde schlug!
Gebt Raum, gebt Raum, und ziehet hin in Frieden:
Den freien Abzug gönnt man euch – zieht hin!« –
      Sie gehn, sie wandeln schweigend hin, die schönen,
In ihrem Sturze doppelt rührend-schönen
[55] Gestalten der Olympier. Die Häupter,
Die königlichen, still gesenkt, so gehn
Sie hin in die Verbannung. Von dem Gipfel,
Dem lichten, des Olympus, schreiten sie
Hinunter, langsam, Trauer in den Mienen,
Doch würdevoll. Da wandelt Jupiter,
Die königliche Juno, stolz noch jetzt,
Minerva, sie, die edle, Venus auch,
Die liebliche, um deren Lilienstirn
Zum ersten Mal ein trübes Wölkchen schwebt:
Sie wandeln hin – ein langer stiller Zug,
Der seltsam auch des Rohen Seele rührt.
Auch Nero's Sinn beschleicht's wie leise Wehmuth,
Indem er hinblickt auf den Götterzug,
Den stillhinwandelnden, mit dem die Welt
Der Schönheit untergeht. Dem Auge nun
Sind sie verschwunden und der Saum des Letzten
Hat ausgeschimmert in den Lorbeerbüschen
Der Niederung.
                         An ihre Stelle drängen
Die wüsten, lärmenden Gestalten sich
Der Faune, Satyrn, Nymphen, Corybanten;
Sie fallen über jenes Götterdaseins
Zurückgelass'ne Spuren her und treiben,
Muthwillig lachend, toll ihr Spiel damit.
In des Apollo goldne Lyra greift
Der Faun, der freche, wie ein Bänkelsänger.
Den Nektar zapft aus schimmernden Gefäßen
Silen in seinen Lederschlauch, und läßt
Die wüsten Satyrn sich darin bezechen.
[56] Wie vordem Kalb und Böcklein ward zerstückelt,
Wird von den wüthigen Mänaden jetzt
In tollem Uebermuth gerupft der Aar
Des Jupiter, die Eule der Minerva,
Der Venus Tauben und der Juno Pfau.
      Zum wundervollen leckern Göttermahle,
Das laßen mußten die Uranionen
Halb unberührt, winkt Nero-Dionysos
Die Seinen jetzt, und nicht die schwärmenden
Mänaden nur, die Faune, Corybanten,
Nein auch der Gäste Schwarm, der staunend sich
Das wunderbare Festspiel angesehn,
In den eroberten Olympos ladet
Er Alle nun zu sich und heißt sie schwelgend
Sich's wohl sein lassen, jenen neidischen
Olympiern zum Trotz, den jetzt gestürzten,
Zu freuen sich mit Nero-Dionysos.
      Dem Wink des Herrschers folgend, mischt sofort
Der Gäste Schwarm sich in der Bacchen Schaar.
Ein tausendstimmig Evoë erschallt.
Die Frauen legen Kränze, reich und duftig,
Dem neuen Gott zu Füßen, schwärmerisch
Entbrennend in verstohl'ner Glut für ihn,
Den schönen, hauptumlockten Dionysos.
Die Bacchen zünden Feuer an, zu schmoren
Das saft'ge Wild, das rasend sie zerstückt.
Mit Thyrsusstäben aus bemoosten Felsen
Goldströme süßen Weines schlagen sie,
Dem eine Würze beigemischt, die heimlich
Den kält'sten Sinn entflammt zur Raserei.
[57] Ausstreu'n sie Früchte, süsse, goldig schimmernd,
In deren Säften Liebeszauber glüht.
Musik erschallt entzückend: Silberbronnen
Erklingen drein und schleudern duft'gen Regen,
Die Luft mit lieblicher Narkose würzend,
Die alle Sinne wunderbar befängt.
Bald hier, bald dort aufsteigen in den stillen
Nachthimmel aus den Büschen Feuergarben,
Raketen, gleich als ob das Dunkel selbst
Aufjubelte in heller Glutentzückung.
So mälig schlägt, indeß die köstlichen
Amphoren schäumen, Wonnetaumel hoch
Ob Aller Häuptern meeresgleich zusammen.
Inmitten des Getümmels aber thront
Der hohe Nero-Dionysos: zechend
Singt er der Lust, dem Leben, dem Genuß,
Der Freude einen wilden Dithyrambus.
      »Nun herrsche,« ruft er, »schrankenlose Lust!
Im neuen Alter soll der Mensch nicht erst
Im Schweiß des Angesichts verdienen müssen
Sein ew'ges Anrecht auf Elysium:
Dem Kühnen ist's erschloßen. Neue Botschaft
Bring ich den Sterblichen: die des Genusses,
Der Freude. Wie das Licht vordem den Menschen
Prometheus brachte, bring' ich euch die Lust.
Wozu wär' aller Reichthum dieser Welt
Zusammen hier geströmt im goldnen Rom,
Wenn wir in süßem Rausch ihn nicht verpraßten?
Wir Cäsar'n sind Fortunens Säckelmeister! –
Sagt nicht, ich bring' euch ein saturnisch' Alter,
[58] Ich bring' euch mehr. Die goldne Zeit Saturns,
Wo Wein und Milch in Bächen floß, und Honig
Von Bäumen troff, wo Schlange, Wolf und Mensch
In Frieden lebten – wir sind nicht mehr harmlos
Genug für so idyllisch-sanftes Glück;
Nein, unsre Nerven fordern stärkern Reiz:
Sie fordern statt der Freude heißen Taumel,
Sie fordern Cimbellärm statt Lerchenliedern,
Statt heitrer Tänze unterm Lindenbaum
Bacchantisch wilden, heißen Taumelreigen:
Nicht angesäuselt nur will unser Wesen
Vom Hauch der Wonne sein, nein aufgewirbelt
Und aufgewühlt in seinen tiefsten Tiefen.
Der Mensch will göttlich werden durch die Lust,
Und schicksallos – und ein Naturbeherrscher.
Ihr saht es: wie der Vorwelt stillen Menschen,
So werden meinen wilden Corybanten
Die Schlangen und die Wölfe wieder schadlos:
Denn wie die Unschuld, wirkt auf die Natur
Mit Zaubermächten die Begeisterung,
Des Sinn's Verzückung und der Wonnerausch!
Die Freude ist des Lebens höchstes Ziel!
Die süß gereizte Faser nur betäubt
Einschläfernd jenen großen Hungerdämon
Im Busen aller Creatur – der nie
Befriedigt wird, nur eingelullt:
                                                  Das Denken
Ist Traum, und alles Handeln Stümperwerk,
Nur das Genießen ist das echte Thun!
Ein jeder Kelch verschäumt, das Schönste welkt,
[59] Und Nichts auf Erden währt: nur die Begier ist
Unsterblich! Sie ist eine goldne Fliege,
Die, tausendmal ertränkt im Trank der Lust,
Wir auf dem Grunde des geleerten Bechers
Doch immer wiederum lebendig finden! –
Und des Begehrens, des Genießens Zeit
Ist angebrochen – Nero-Dionysos
Führt nun den Scepter. Seht, die Götterbeute,
Das Rüstzeug der gestürzten Götterherrschaft,
Es wird in meiner Hand zum Spiele nun!
In meinen Händen ruht der Blitz des Zeus,
Doch ich gebrauch' ihn nur, euch zu ergetzen!« –
Er sprichts, und kühn sofort nach Jupiters
Blitzbündel, siehe, greift er, und es steigt
Auf seinen Wink empor ein schwarz Gewölk
Und schwebt umdunkelnd überm Haupt der Gäste.
Und in der Wolke zucken rothe Blitze,
Und Donner rollen drein. Das Dunkel breitet
Sich fast bedrohlich aus und schreckt die Zagen.
»Nehmt dies zum Unterpfand,« ruft Nero aus, »
»Daß Zeus gestürzt ist, und daß im Olymp
Ich herrsche nun und ewig herrschen werde!« –
      Noch immer zuckt der lust'ge Blitz; da, sieh,
Im bunten Schwarm erhellt der Lichtschein plötzlich
Ein seltsam düst'res Greisenangesicht.
Wie kams, daß vordem Keiner es bemerkt,
Und nun betroffen Alles starrt darauf?
Blitz folgt auf Blitz und immer düstrer scheint
Die seltsame Gestalt im Flammenschein
Emporzuwachsen über Alle, riesig,
[60] Gespenstig. Ha, wer ist der Ur-uralte?
Ist's Kronos? ist's des Hades düstrer Gott?
Ist's Thanatos? – die Festeslust erstarrt;
Ein fahles Licht macht die Gesichter bleich.
Doch nun erkennt der miterstaunte Nero
Den wunderlichen, greisen Zechgenossen
Von gestern Abend in Locusta's Schenke.
»Ha!« ruft er, » Alter, sprich, was willst du hier
Im Kreis der Jungen? doch, beinah' vergaß ich's:
Du bist geladen! Nun so sei willkommen!
Hast wacker uns erschreckt, wahnwitzger Griesgram,
Mit deinem Nemesis-Gesicht. Du kommst ja
Recht wie ein altersgrauer Götterahnherr,
Der gegen Nero's Göttermacht Verwahrung
Einlegen will im Namen seiner Enkel?«
So spricht der Herrscher, doch der finstre Gast
Ist in dem Festgetümmel schon verschwunden,
Gleichwie ein dunkler Tropfen sich verliert
In einem Becher lichter Traubenflut.
Vergessen ist die Grau'nerscheinung bald,
Und es vermischt in bacchischem Behagen
Der nächt'gen Schwärmer Lustgetümmel sich.
Des Nero-Dionysos Blicke stürzen
Wie Falken sich in's reizende Gewühl,
In's reizende Gewühl der schönsten Weiber,
Das schwärmend ihn umdrängt, ihm Blumen streut.
Sieh da die blonde, liebliche Poppäa!
Zur Seit' ihr der Gemahl, der Dickbauch Otho!
Der reißt beim Anblick Nero's wie verzückt
Sich aus dem angewohnten Schlemmerphlegma,
[61] Und ruft ihm Heil! aus voller Kehle zu.
Das ist von jenen Speichelleckern Einer,
Die nur verhüllten Hauptes dem Tyrannen
Wie einem Gotte nahn, die seine Büsten,
Sein Standbild aufgestellt im Hause haben
Und Opfer davor bringen, und die rufen,
Wenn hundertjähr'ge Spiele Nero feiert:
»Magst du noch oft, o Herr, noch oft sie feiern!« –
»Heil dir,« ruft Otho nun, »Heil dir, o Nero!
Was ist des alten Bacchus Inderzug,
O neuer Dionysos, gegen deinen
Olympischen Triumph? du bist nicht Bacchus
Allein, du bist Apollon, Jupiter!
Was Kronos, was Saturn? – ein übergöttlich
Zeitalter bringst du uns! drum Heil dir, Heil!« –
      Mit einem Lächeln dankt ihm Dionysos
Und nimmt dem Tiefgeneigten, demuthvoll
Verzückten ab sein liebliches Gemahl,
Die reizende Poppäa. Sie, die blonde,
Die blaugeaugte Schwärmerin, sie däucht ihm
Die schönste Blume dieser Schönheitsflur.
Mit ihr durchwandelt er die Rosenau'n
Und preist galant die schöne Bernsteinlocke,
Die aus der Stola meeresblauen Purpur
So lieblich niederwallt – und preist das Kinn,
Das reizend-rundlich weiße. Sie, verschämt,
Und doch voll innerlicher Glut, sie blickt
Zum Mond empor, spricht von der Nachtigall,
Sie streut ins wilde, rohe Taumelfest
Etwas wie minniglichen Veilchenduft –
[62] Sie, die gewiegteste von Roms Koketten,
So zweckbewußt, so feinberechnend-schlau,
Daß sie beinah' den kund'gen Nero täuscht.
Doch als nun dieser ihr den aphrodisisch
Gewürzten Becher aufgenöthigt, ihr
In's gold'ne Haar den Weinlaubkranz geschlungen
Und ihrer Sinne Brand gemach entflammt hat –
Wie ist die sanfte Blonde rasch verwandelt!
Wie schwemmt das bacchsche Naß aus ihren Mienen
Die heuchlerisch-kokette Sittsamkeit!
Der Lilienwangen zartes Incarnat
Glüht auf in einem süßen Purpurbrand,
Und ihres Augensternes Blau gewinnt
So satte Farbenkraft, so glüh'ndes Leben,
Daß and're Augen man nicht geben könnte
Der Göttin Wollust selbst. Wie stralt der Kranz
In ihrem reichen, goldigen Gelock,
Das nun noch goldiger scheint aufzuglühn.
Sie ist die schönste der Bacchantinnen,
Doch auch die heißentbrannteste von Allen!
      Was reißt mit einem Mal den Blick der Menge,
Die durch den Garten tobend schwärmt, an sich?
Ha, sieh, bei Fackelglanz naht eine goldne
Prachtgondel, herrlicher als all' die andern,
Die niederschwammen zu des Nero Fest
Den stolzen Tiberstrom. Und an den Strand
Nun stößt sie, sendet einen Sprecher aus,
Entbietend Nero demuthsvolle Frage:
»Ob einen ungelad'nen Gast er huldreich
Empfangen wolle?« – »Einen Ungelad'nen?
[63] Wohl Ungelad'ne, doch nicht Ungenannte!« –
»Die Göttin Roma ist's, erhabner Herrscher!
Sie will, wie sich geziemt, dem neuen Herrn
Und Gott der Welt, dem Nero-Dionysos,
Darbringen ihre freud'ge Huldigung!« –
»Die Göttin Roma? Ei!« ruft Nero lächelnd,
Versprechend sich ein holdes Abenteuer.
»Wohl reizend ist sie? – nun sie sei willkommen!« –
Drauf senkt die Gondel ihre Purpurhülle,
Und zeigt, sich wandelnd, ein Gefährt, bespannt
Mit Wölfen, das die Göttin Roma trägt.
Es senkt vom Fahrzeug sich ein kleiner Steg
Und drüber rollt zum Strand der gold'ne Wagen,
Rollt mitten in den Kreis der Festgenossen
Und hält zuletzt vor Nero-Dionysos.
Die Festgenossen all' und Nero faßt
Erstaunen vor der herrlichen Erscheinung
Der Göttin, die auf diesem Wagen thront.
      Hoch ist und prachtvoll die Gestalt: junonisch,
Fast übermenschlich. Eine Mauerkrone,
Goldschimmernd und voll deutungsreichen Bildwerks,
Bedeckt ihr wogend rabenschwarz Gelock',
Das auf die Alabasterschultern fällt.
Die Brust umschmiegt ein goldner Schuppenpanzer;
Ein rothes, golddurchflimmertes Gewand,
Deß Zipfel, über'm gemmenreichen Gürtel
Herausgezogen, malerisch sich umlegt,
Umwallt in kunstvoll reichem Faltenwurf
Zu eng nicht noch zu weit den prächt'gen Leib.
Ihr Angesicht deckt eine Maske; doch
[64] Ein Auge, groß und feurig, glänzt hindurch.
Den Boden jetzt betritt die Wunderbare;
Herwandeln hinter ihr vier Waffenträger:
Germane, Parther, Grieche, Mauretanier –
Sie tragen Lanze, Schwert und Schild und Helm.
      »Sei mir gegrüßt, o Nero-Dionysos!«
So spricht sie nahend; »deines Sieges Kunde,
Den eben du erkämpft, durchfliegt die Stadt,
Und Alles, nah und ferne, jauchzt dem Sieger!
Der Lärm schallt zu den Wolken. Wie vermöcht' ich's
Zu sitzen kühl im stillen Tempelraum
Und nicht begeistert schnell mich aufzumachen,
Zu grüßen meinen liebsten, größten Sohn,
Der ruhmvoll so nicht bloß die Zügel Roms
Und aller Welt, nein des Olympus auch
In Händen hält! Sei mir gegrüßt, o Nero!«
      »Sprich von der Welt, sprich vom Olympus nicht,
Erhab'ne Göttin du!« erwiedert Nero,
Erglühend für die hohe Prachterscheinung.
»Was ist die weite Welt, was der Olymp
Mit allen seinen Göttern gegen dich,
O Roma, herrlichste der Göttinnen!
Mit dir theilt Nero-Dionysos gern
Den Himmel, den er eben sich erobert!« –
      Er sprichts und führt die Herrliche mit sich
Tief in den Bann des Zauberhains … o seht,
Wie hier in Lauben, Grotten, Purpurzelten,
Sogar in Gondeln auf den stillen Weihern,
In wild'rer Glut das Bacchanal entbrennt,
Und ringsum dichter stets die Wonne streut
[65] Auf glüh'nde Häupter ihren Taumelmohn.
Wohl sind die Fackeln tief herabgebrannt,
Doch taghell wirft der Mond die Stralenpfeile.
Die Luft ist weich, voll heimlich-tück'scher Glut.
's ist eine von den brütend-schwülen Nächten
Des Südens, wo des Tages Sonnenbrand
Nicht ausgelöscht, nein fortzuglimmen scheint
Wie eine Kohle in der Aschenhülle
Der Dunkelheit. – Und heißer wird die Schwüle
Vom Hauch der Wonneseufzer im Gebüsch.
In alle Höh'n und Tiefen der Natur
Thaut unaufhaltsam süße Trunkenheit.
Die Sterne sprühn wie von Bacchantenfackeln
Emporgetrag'ne, rings verstreute Funken
Im weiten Himmelsraum. Der Mondstral tanzt
Berauscht mit Silberfüßen auf den Weihern,
Die Falter wachen auf im Schoß der Blumen,
Geblendet von dem Glanz, und um die Lichter
Schlaftrunken taumeln sie: vom Rosenbusch,
Wie trunken, fällt die Nachtigall – so schwül,
So süß bestrickend ist, so süß berauschend,
Der glüh'nde Odem dieser Sommernacht! –
      Auch Nero sucht mit seiner schönen Roma
Die Einsamkeit. Die goldenste der Lauben,
Das prächtigste der Purpurzelte beut
Ihm holde Rast und der Begleiterin
Zu traulichem Gespräch, zu unbelauschtem.
Es ist ein heimlich wunderbarer Ort:
Sein Inn'res ist entzückend ausgeschmückt
Mit bunter Blumenpracht des Orients,
[66] Die Nero nur in seinen Gärten pflegt.
Mit tropischen Aromen ist der Raum
Durchwürzt, ein süß berauschendes Geriesel
Von Tropfen klingt, verborg'nem Bronn entquellend.
Und hier nun an dem zaubervollen Ort
Allein ist Nero mit dem schönen Weibe.
O wie im traulich engen Raum der Reiz
Der Hohen doppelt ihn entflammt, wie die Magie
Des knisternden Gewandes ihn berückt!
Ablegt die Mauerkrone sie, ablegt
Sie ihres Busens goldnen Schuppenpanzer.
Den Becher beut ihr Nero, den gewürzten,
Auf weichem Pfühle ruhend neben ihr.
      »Wer bist du, herrlich Weib,« ruft Nero glühend,
»Zeig' mir dein Angesicht!« – »Mein kühner Sohn
Ich bin ja Göttin Roma, deine Mutter –
Du hast dich wohl seit Langem schon gewöhnt,
Bei Weibern zu befehlen, statt zu flehn?
Und hast du schon sie ganz und gar vergessen,
Die du zuvor erkorst, die Glückliche,
Das feine, blonde Püppchen, die Poppäa,
Die Lockenkünstlerin, die Rosensalben-
Erfinderin, die dich so hold bestrickte?
Ist deine Lieb' nicht 'mal ein Eintagsfalter?
Mein Sohn, du bist verwöhnt von Liebesglück!« –
      »Begehrte eines Nero Seele nichts
Als was der Alltagskinder Wunsch befriedigt,
Ich dürfte sagen, daß ich Glück genoß.
Die Weiblein, die schon in der Stille schwärmen
Für einen Strauchdieb oder Straßenräuber,
[67] Was muß ein Nero erst, der große Mörder,
Der rasende Tyrann, wie sie ihn nennen,
Einflößen ihnen für verliebtes Grau'n!
Wie schwach die Weiber sind und wie gebrechlich,
Zu meinen Gunsten hab' ich's stets erfahren.
Doch dankt' ich's ihnen wahrlich nicht: vielmehr
Ich fluchte dieser Schwäche stets: ich wollte
Die Weiber wären stark, es wäre dann
Mir eine größre Lust, sie zu besitzen
O, Tugend wär' ein liebliches Arom,
Und würde meine Nase kitzeln – ja,
Ich wollt', die Weiber wären tugendhaft!«
      »Sie sind's – das Weib kann lieben grenzenlos …«
      »Ich weiß es; Keinem hat die Weiberwelt
Ihr tiefstes Herz in wilden Liebesschauern
Erschlossen so wie mir, und Keiner hat
Ihr abgerungen ihrer Seele Tiefstes
Wie ich, dem günst'ge Mächte das Geschenk
Der Wohlgestalt zum goldnen Scepter fügten.
Ich weiß, daß Weiber lieben können, weiß,
Daß sie der Liebe Alles opfern können,
Weiß, daß sie sterben können für die Liebe.
Doch allzuoft sah ich ein liebend Weib
Von des Geliebten Brust, für den sie Alles
Geopfert, und für den sie sterben konnte,
Zuletzt doch noch –in meine Arme taumeln!
      Und eh' ich zugestehe, daß es gibt,
Was man die Tugend und die Treue nennt,
Ja, daß es eine Tugend, eine Treue
Von besserem Gepräge gibt, als die,
[68] Mit der die kleinen Seelen sich begnügen,
Sag' mir – du bist ein Weib und mußt es wissen –
Sag', ob das Weib, das vor dem ungestümen
Bedränger in die Brust den Dolch sich stößt,
Auch unempfindlich widerstanden wäre
Der zarten Liebeswerbung langer Monde,
Und allen seinen Künsten des Verführers? –
Und wenn sie widerstand und siegreich blieb,
Sag mir, ob es gewiß, daß sie gekämpft
Nur mit dem Feind, und nicht auch mit sich selbst?
Und was ist Treue werth, die schon gekämpft hat
Mit sich und mit dem Trieb der eignen Brust? –«
      »So ist's! des Weibes Treu' genügt euch nie!
Ist kalt das Weib und ohne Kampf euch treu,
So fragt ihr: was ist werth die Treu' der Kalten?
Und kämpft das Weib mit sich und seinem Dämon,
So macht die Regung ihr zum Vorwurf ihm,
Mit der es treu gekämpft. – Und billig muß
Ich mich verwundern, daß ein Nero sich
Um Tugend so und Lieb' und Treue kümmert,
Er, der Genuß doch nur, nicht Dauer sucht?« –
      »Wohl muß es Nero kümmern – Keinen mehr!
Sieh! seit ich lebe, ring' ich immerdar,
Begehre mit der ganzen Glut der Seele
Nach Allem, was dem menschlichen Begehren
Erreichbar ist und – nicht erreichbar ist.
Das Unerreichliche doch reizt am meisten!
Alles besitz' ich schon! Gold, Edelsteine,
Den Thron der Welt und Millionen Sclaven!
Selbst Ruhmeskronen, die dem Künstler blüh'n,
[69] Hab' ich an mich zu reißen nicht verschmäht –
Das Alles hab' ich, weiß, daß ichs besitze;
Nur Eines weiß ich nicht, ob ichs besitze,
Und Keiner glaubt zu wissen, der kein Thor,
Ob er's besitzt, ob er's besitzen wird:
Ein Menschenherz und eine Menschen seele,
Die ganz und unbedingt und willenlos
Sich ihm auf ew'ge Zeit zu eigen gibt!
O! Liebe, Liebe – köstliches Arom!
Kein Körnchen streut so süßen Wohlgeruch
Im vollen Weihrauchfaß der Huldigungen,
Als dies – als eine Menschenseele, die
Sich opfert ganz, auf ewig, unbedingt! –
Doch ist denn wohl ein solches Opfer möglich?
Ich war geliebt und hundert Weiber sah ich
Zitternd vor meinem Blick vergeh'n in Liebe;
Doch während ihre Leiber ich umschlang,
Ausschlürfend ihren Reiz wie einen Becher
Falernerweines, grinste der Gedanke
Mich spöttisch an wie eine Satyrfratze:
Dies Weib, das bebend ganz dir hingegeb'ne,
Ohnmächtige in Lieb'- und Sinnesrausch,
Es hat sein eignes Herz noch, seine Seele!
Es kann dich morgen, wenn es will, verrathen!
Du hast es nicht, wie du das blanke Gold ,
Wie du den Edelstein im Schranke hast!
      Ha, der Gedanke mag erträglich sein
Für blöde, stillzufried'ne Alltagsseelen,
Für einen Nero aber ist er's nicht!
Die Welt für eine Seele gäb' ich hin!
[70] Doch Keiner, Keiner opfert seine Seele.
Und warum sollt' er's auch? Natürlich ist's!
Und er vermöcht' es nicht, auch wenn er's wollte!
Unmöglich ist's, ja: doch daß es unmöglich,
Das eben ist's, was mir das Herz empört:
Und daß die Menschlein, und das Weib vor Allem,
Betheuern täglich, stündlich, sie vermöchten's –
Daß jedes Weib in jedem Augenblick
In Phrasen ausmünzt das Unmögliche
Und gar so schlecht sein eignes Selbst versteht,
Darob ergrimm' ich und den Prahlerinnen
Werf' ich das Spielzeug, das zerbrechliche,
Das ihre Tugend sie und Treue nennen,
Zum Hohn, mit einer Art von bittersüßer
Genugthuung zerbrochen vor die Füße!« –
      »Und war dir heilig nicht das Band der Ehen?« –
      »O wenn ich Ehen nur gefunden hätte!
Doch, was man Ehen nennt, was fand ich da?
Hier Zwietracht, Haß und offne Fehde, hier
Gleichgültigkeit und schnöde Langeweile,
Die gähnend und verdrossen sitzt am kalt
Geword'nen Liebesmahl – hier todtgehetzte
Mannheit, gekoppelt an ein frisches Kind –
O wie so manches Eh'geheimniß mußt' ich
Bei holden Weiblein nehmen in den Kauf
In Schäferstunden – denn mit zart verblümten
Mysterien des Ehebett's beginnen
Die Weiblein immer ihre Herzergießung.
Der Schäferstunde Schlag sind immer Klagen
Von Täuschungen, verfehltem Lebensglück,
[71] Von Trostbedürftigkeit – mit solchen Glocken
Wird eingeläutet jeder Ehebruch!« –
      »Vom Weibe denkt gemein und urtheilt streng
Ein Jeder, der es viel mißbraucht hat. Ja,
Ihr macht gemein das Weib, dann tretet ihr's
In Staub – was immer ihr vom Wankelmuth
Des Weibes sagen mögt und seiner Schwäche,
Das Weib ist's, das ein Herz sucht, nicht Genuß,
Das Weib ist keusch in seinem tiefsten Wesen,
Und was die Scham ist, weiß doch nur ein Weib.« –
      »Doch wird es frech, so ist es frecher noch
Als selbst der frechste Faun, und wird es lüstern,
Hat es das Recht der Unersättlichkeit.
Im Weib, im Weibe nur wird Hunger Tollwuth,
Befried'gung Agonie. – Genug! Nur Eins
Laß mich noch sagen: Echte Liebe gibt es:
Die Mutterliebe! – weißt du wohl, warum?
Im Mutterherzen ist Instinct die Liebe,
Und darum, siehe, glaub' ich auch an sie:
Denn an Instincte glaub' ich, und nichts hat
Im menschlichen Gemüthe je Bestand,
Was die Natur an diesen Demantbanden
Nicht lenkt zu ihrem Zweck – ja Mutterliebe,
An diese glaub' ich noch, das ist ein Wort,
Das Widerhall in meiner Seele findet.
Die Mutterliebe, sieh, das ist der Pflichttheil
Von Liebesglück, den jeder Creatur
Auswirft die kargende Natur – der Rest
Ist Schein und Trug. Wahrhaftig, mich ergötzt es,
Daß es ein Wesen gibt, für das es ewig
Naturnothwendigkeit ist, mich zu lieben!
[72] Aus der Geliebten Herzen kann ein Sclav',
Ein Sänftenträger, Fechter, mich verdrängen.
Ist er so schön, wie ich, so gibt vielleicht
Mein Purpur noch den Ausschlag mir zu Gunsten;
Doch ist er schöner, so verläßt sie mich
Auf seinen Liebeswink: ist er's um Vieles,
So reicht sie mir auch Gift, wenn er's verlangt.
Wie anders liebt ein Mutterherz!
Laßt einen königlichen Prinzen kommen
Fern aus dem Morgenland; den edelsten,
Den schönsten, reichsten, einen Götterliebling,
Was ist er gegen mich ihr, mich, den Sohn?
Sie kennt nur mich, sie sieht nur mich, sie liebt
Nur mich, den Sohn, und wird mich ewig lieben.
Er mag der Reichste sein – ich bin ihr Kind,
Er mag der Schönste sein – ich bin ihr Kind –
Und wägst du gegen eine Welt mich ab,
Sie legt ihr Mutterherz mit in die Wagschal'
Und macht sie sinken gegen eine Welt!« –
      »Du sprichst so schwärmerisch von Mutterliebe,
Und hältst die eigne Mutter dir so fern?« –
      »Auch Liebe wird uns manchmal unbequem,
Wenn wir sie herzlich auch zu schätzen wissen;
Sie wird im Uebermaß zur Tyrannei.
Auch Mutterliebe wächst zur Eifersucht.
Leb' Agrippina fern, mir ist's genug,
Zu wissen, daß mich eine Seele liebt …
O könntest, Weib, du in mein Inn'res blicken,
Begreifen würdest du, wie sehr, wie sehr
Ich dieses Trost's bedarf! Noch bin ich jung,
[73] Und fast schon lebensmüd. Kennst du den Fluch,
Der sich an ird'sche Allmacht knüpft? Gewohnt sein,
Sich Alles zu gewähren, und dann plötzlich
An eine Schranke stoßen – unerträglich!
In meinem Busen rast ein Hungerwolf,
Den ich betäube nur, doch nie befried'ge.
Gereizt ist jede Fiber meines Wesens,
Krankhaft gespannt in mir ist jeder Nerv …
      Nun aber, holde Göttin, hängen wir
Das Bleigewicht so ernster Zwiegespräche
Nicht an die Flügel dieser goldnen Stunden,
Die nahn, uns leicht-beschwingt hinwegzutragen
Ins holde, süße, blüh'nde Reich der Lust.
Da, siehe, schäumt die goldne Flut im Becher,
Und deine süße Schöne, hohes Weib,
Schäumt mir entgegen wie die Flut im Becher! –
Sieh, noch hat keine Sterbliche gelebt,
Mit welcher Nero wie mit dir gesprochen.
Aus deinem Wesen strömt, wiewohl, noch spröde,
Nur halb du mirs enthüllst, ein Hauch von Größe,
Den ich noch nie gespürt bei schönen Weibern.
Ja du bist groß fürwahr! du heuchelst nicht,
Und das ist viel! Fänd' ich in dir das Weib,
Das Phantasie mir unter deiner Maske
Vorgaukelt, – bei Cupidos Pfeil! mich däucht,
Ich könnt' es lieben, wie Antonius
Geliebt die schöne Königin am Nil!« –
      Den Arm schlingt kosend Nero um die Schöne,
Und sinken läßt sie endlich auf sein Flehn
Die schwere golddurchwirkte Purpurhülle
[74] Der Göttin: sie ist Weib nun; es erscheint
Der spinnweb-zarte, schimmernd-gelbe Byssus
Der Tunika, die weich, doch eng geschmiegt
Umspannt der mächt'gen Glieder stolzen Bau.
Es leuchtet durch dies goldige Gewebe
Die Haut, die duftigzarte, noch hindurch.
O überfeines Rom, o Zeit, in der
Die Worte mehr verbergen als enthüllen,
Die Kleider mehr enthüllen als verbergen!
      Berauscht von Schönheit, Wein und Glutaromen,
Gebietet Nero: »Laß die Maske fallen!«
Die stolze Spröde lächelt des Gebots.
Er bittet, fleht, er droht, sein Auge leuchtet:
Sie schüttelt noch das stolze Haupt. Da faßt
Tyrannengrimm ihn wild: » Ha, Widerstand?
Dem Nero Widerstand?
« Sein Auge flammt,
Das Blut schießt in die Stirn, die Wangen ihm,
Und füllt sie ganz mit dunkelrother Glut;
Die Adern schwellen ihm – und stürmisch reißt er
Die Maske von des Weibes Angesicht –
Und vor sich sieht er das gewaltige,
Das feueraugige, das edelstolze,
Das königliche Antlitz Agrippinas,
Die fern er, fern auf ihrem Landsitz wähnte,
Wohin er sie gebannt. Das ist die Stirn,
Das sind die Flammenaugen Agrippinas,
Das sind die Augenbrau'n auf stolzgewölbtem,
Scharfkant'gem Augenrand, das ist der Schnitt
Des starken, heldenhaften Angesichts,
So mächtig und doch reizvoll übergossen
[75] Von einer Schönheit Zauberglanz, an der
Vorüber spurlos geht der Jahre Wandel.
Sie ist's, das hohe Weib. –
                                       Erstarrt und stumm,
Getheilt noch zwischen Zorn und Glutbegier,
Steht Nero, starrt ins Angesicht der Mutter,
Und sieht zum erstenmal, wie hehr sie prangt
Und daß sie Romas schönstes Weib noch ist.
Den Blick des Staunenden erwiedert schweigend
Die Stolze – nur ihr Auge triumphirt.
      »Ich habe nie ein Weib gesehn,« so ruft
Er endlich aus, »das mir das Herz bezwang:
Und nun – nun muß es dieses sein? – Natur,
So äffst du mich? – Nun wohl, so soll mir auch
Das Unnatürlichste das Liebste sein
 …«
      Die Kraft der Heldin in den mächt'gen Gliedern,
Entwindet sich dem wilden Ungestüm
Des Schrecklichen mit Lächeln Agrippina.
Sie eilt vom engen Zelt hinaus ins Freie:
Und mehr in seines Zorns als seiner Gier
Wahnwitz'gem Taumel fiebernd, folgt ihr Nero.
      Gleichwie des Wildes Spur der Jäger folgt
Auf unwegsamem Pfad, im Waldgebirg,
So folgt der wüth'ge Nero Agrippinen.
Bald im Gebüsch verliert sein Auge sie,
Doch immer rennt er noch mit Ungestüm
Halb sinnlos durch den Gartenraum dahin.
Daß ihm ein Menschenkind zu trotzen wagt,
Zu necken ihn, das füllt mit Ungeduld
Das Herz ihm unerträglich, stachelt ihn
[76] Nur immer wilder an. Er läuft dahin,
Nicht Jäger mehr, nein, selbst ein Wild, gehetzt
Von eigner Raserei. Da plötzlich stößt er
Auf Tigellin. »Sahst du nicht Agrippinen?«
»Wohl sah ich sie;« gibt jener ihm zurück
Mit seltsam spött'schem Grinsen. »Ha, du sahst sie?
Wo war's? gib Antwort!« – »Unart wär' es, Herr,
Und gegen die arkad'sche Schäferfreiheit,
Die solchen Fest's gebührend Vorrecht …« – »Sprich!« –
»Die hohe Frau war nicht allein.« – »Wie? nicht
Allein? Wer war mit ihr?« – »Der Sterbliche,
Der mit der hohen Frau in eine Grotte
Zu schlüpfen das erles'ne Glück genoß,
War, irr' ich nicht, der schöne Tänzer Paris,
Dein Günstling, und ein gern geseh'ner Gast,
Auch oft Genoß bei lust'gen nächt'gen Streichen.
Schon lange flüsterte man sich in's Ohr,
Daß insgeheim der schmucke Junge viel
Bei Nero's schöner Mutter gelte; ei,
Wer möcht' es glauben? doch gewiß ist freilich,
Daß in die Grotte sie mit ihm geschlüpft.« –
»Wo liegt die Grotte? führe mich dahin!« –
Dem Schritt des Schwarzen folgt mit Ungeduld
Der wildentflammte Nero. Jener steht
Vor einer abgelegnen Grotte still,
Die zwischen duft'gen Büschen purpurn schimmert.
Auf leisen Sohlen schleicht ringsher der Mohr
und späht. Zuletzt erspäht er eine Lichtung,
Die zwischen sich der niederhängende
Prunkvorhang läßt, nur eine schmale Ritze.
[77] Vor diese auf den Wink des dunklen Schleichers
Tritt Nero, und sein Tiger-Lauerblick
Stiehlt sich ins Inn're des erhellten Raums
Da sieht er auf den blumenreichen Polstern,
Von Purpurschein umflossen, kosend ruhn
Das Weib, das ihm entflohn, mit ihrem Buhlen,
Dem schönen Tänzer Paris. Ist das noch
Die strenge, hohe, stolze Agrippina,
Die er zuvor gesehn? – Wie blitzt ihr Aug'
In feuchtem Glanz so zärtlich nun, wie hängt
Ihr durst'ger Mund am Rosenmund des Jünglings!
Zum sechzehnjähr'gen Mädchen umgewandelt
Scheint das titan'sche Weib, ganz aufgelöst
In Schwärmerei und Liebestrunkenheit.
Und fast verschüchtert vor der wilden Glut
Des heldenhaften, des gewalt'gen Weibes,
Erwiedert, ängstlich wie ein Knabe fast,
Der schmucke Tänzer ihre Zärtlichkeit.
      Sie treibt es toll, wie ein muthwillig Mägdlein,
Sie herzt und küßt den Liebsten, hätschelt ihn
Gleich einem Kinde, spielt mit feinen Locken,
Und windet spielend um die schlanken Glieder
Ihm blumiges Gerank, das von der Decke
Des Grottenraumes wuchernd niederhängt.
»Warum bist du befangen, holder Freund?«
Ruft sie, dem Blick des Sinnenden begegnend;
»Ruht Agrippina nicht, die dir so hold,
In süßer Liebe traulich hingegeben
An deiner Seite? Hast du etwa schon,
Bevor ich kam, ein andres Lieb erkoren
[78] Fürs nächt'ge Freudenfest? Kam Agrippina,
Die Unerwartete, auch unwillkommen?
Du dachtest wohl an die Entfernte nicht?« –
»O Agrippina,« ruft der Jüngling, »wohl
Ist deine Liebe süß, berauschend, göttlich;
Dein Flammenkuß ist aller Wonne Gipfel:
Doch auch gefährlich ist sie, deine Liebe,
Und tödtlich ist dein heißer Flammenkuß.
So oft du heimlich mich an deine Seite
In süß verschwieg'ner Stunde zogst, da mischten
So seltsam immer in gehob'ner Brust
Sich Wonneschauer mir mit Todesschauern.
Wie soll er leben wohl, der Sterbliche,
Der eine Göttin an sein Herz gedrückt?
Der übermenschlich Glückliche, der dein
Genoß, du Hohe, Hehre, wohl ein Gott
Mag er sich dünken, doch auch zittern muß er,
Bald unsichtbar zu werden wie ein Gott,
Zu schwinden aus den Reih'n der Sterblichen! –
      O Agrippina, wen du zu dir ziehst, –
Zu sterben gleich in deiner Glutumarmung
Wär' besser ihm, als daß er deine Glut,
Die furchtbare, doch flücht'ge überlebt!
Als unbequemen Zeugen einer Stunde,
Wo sich in dir als Weib die Göttin fühlte,
Stößt ihn vielleicht dein Fuß hinweg, hinab
In ew'ge Kerker, und vielleicht sogar
Ins dunkle Todesreich –«
                                    »Du armer Knabe,«
Fällt Agrippina lachend ihm ins Wort,
[79] Und küßt ihm Mund und Aug' und Stirn und Wange;
»Ist dir so unbekannt, daß nicht zum Unglück
Allein – daß auch zum Glücke Muth gehört,
Daß nur der Kühne sich vom Baum des Lebens
Der Freude Hesperidenäpfel pflückt?
Und weißt du nicht, daß man in Kerker wohl,
Doch nimmer aus dem Himmel, den er schaute,
Den einmal Seligen verstoßen kann?
Was du erlebt, kann dir kein Gott mehr rauben.
Ist's nicht genug dir für die Ewigkeit,
Daß du geruht in Agrippinas Armen?
Der Liebende muß Qual und Tod verachten,
Die ihn bedrohn – doch dich bedrohn sie nicht,
Mein Liebster! – deine Angst ist doppelt sinnlos!
Nie wird dich Agrippina von sich stoßen;
Sie ist dir allzuhold, mein schlanker Liebling!
Drum bleibe ruhig, trauter Freund, erquicke
An meinen Lippen dich, und fürchte nichts!« –
      »Und wäre deine Liebe Himmelsmanna,
(Fährt Paris fort) mir armem Sterblichen
Gegönnt für immer, wärest du mir hold
Unwandelbar, steht ewig schreckbar nicht
Vor meiner Seele der Gedank' an Nero?
Wenn eine Ahnung seinen Sinn beschleicht,
Daß ich nach allzu hoher Liebesfrucht
Emporgestrebt, nein, daß ich nur gewagt,
Die hold zu mir herab sich neigende
Zu pflücken – meine Stunden sind gezählt …«
      »Du ängstigst dich um Hirngespinnste, Lieber!
Sprich mir von Nero nicht, dem aberwitz'gen.
[80] Denn der ist mein gehorsam Söhnlein wieder,
Wie er es war, und mehr noch als er's war!« –
      »Da hast so rasch ihn wieder dir gewonnen?« –
      »Der Pfeil, ihm wohlberechnet zugesandt,
Er traf – und flog fast über's Ziel hinaus.
Er ist mein Sclav' – von Nero fürchte nichts!« –
      »Doch wenn er deinem Bann sich wiederum
Entzöge je mit plötzlichem Entschluß?« –
      » Wenn er es wagte je? … (an ihren Mund
Den Finger legend, rückt bei diesem Wort
Dem Ohr des Jünglings näher Agrippina)
Wenn er es wagt, dann gibt's ein letztes Mittel:
Ich war's, die auf den Thron den Nero hob,
Noch aber lebt Britannicus – und wenn
Sich undankbar der Tollkopf zeigt, so kann
Den Schwachkopf ich an seine Stelle schieben.
Anhänger, zahllos, harren in der Stille
Nur meines Winks und wenn ich winke, stürzt
Der Wüthrich Nero, und Britannicus
Besteigt den Thron – und Agrippina herrscht!
Doch das sind schreckliche Geheimnisse,
Zu schwer fast für dein zartes Ohr, mein Liebling!
Ich hätte dich damit verschonen sollen.
Bewahre sie nur treu und sieh dich vor,
Daß nicht ein Tröpflein überfließt von dem,
Was ich in's Ohr dir träufelte – sonst könnte
Die Angst, die dir vergällt dein junges Leben,
Sie könnte, süßer Freund, zuletzt sich freilich
Erweisen als begründet – ja, beim Himmel,
Es wär' um dich geschehn, mein holder Liebling! –
[81] Nun aber laß die düsteren Gedanken!
Sieh', leise geht der Stunden Wandel hin,
Und während, bebend vor dem Glück, du zögerst,
Entschwebt's vielleicht auf Nimmerwiederkehr.
An meiner Brust, in meinen Armen sei
So glücklich, wie der Troër-Paris war
Im Arme seiner griech'schen Helena!« –
      Im Antlitz Todesbläße, fiebernd, tritt
Zurück vom Zelte Nero. Seine Stimme
Erzittert, wie er spricht zu Tigellin:
»Ha, Mohr, nun strenge deinen Scharfsinn an,
Und sinne mir drei Todesarten aus,
Wie sie noch nie vor mir ein Cäsar übte.
Gleich Schlangen deines heißen Heimatlands
Ausbrüte mir die giftigsten der Gräu'l,
Für den Britannicus, und für den Paris,
Und für sie selbst – für Agrippina! – Ha!
In diesem Augenblicke sehnt mein Herz
Sich nach von Gift verzerrten Zügen, nach
Zermalmten Schädeln: wahrlich mich gelüstet's
Nach Menschenblut, wär's auch unschuldiges, –
Mich lüstets selber nach dem deinigen,
Mein wackrer Tigellin! und stünden wir
In diesem Augenblick an einem Abgrund,
Ich stieße dich hinab! –
Mein Herz ist heiß – es könnt' ein Dolch drin schmelzen,
Wenn ich ihn jetzt in's Herz mir stieße! – Ei,
Sieh da die stolze Agrippina, sieh
Die hohe »Roma,« die Cäsarenmutter,
Da drinnen sich auf Purpurpolstern wälzend
[82] Mit einem feigen Sclaven, einem Springer,
Mit einem unglücksel'gen Mittelding
Von Tänzerin und Mann! – Ha, die Hyäne!
Nur Spielfiguren sind ihr ihre Kinder,
Die auf dem Brett sie vorschiebt, wenn sie Trümpfe
Berechnend ausspielt, einen um den andern!
War ich's nicht selbst, der sprach von Mutterliebe?
Und dieser Wahn hat mich so lang geäfft,
Mich, den »Tyrannen,« mich den »Bluthund« Nero?
Ich hatt' in mir noch so viel Schwärmerei,
So vieles tölpelhafte Weichgefühl,
Daß mich in allen meinen Glutgenüßen
Die Sehnsucht nach Geliebtsein überkam,
Daß ich mich selbst an Mutterlieb' erquickte?
O, welch' armsel'ger Schuft war ich in Wahrheit,
Und meinte doch, ich sei der Herr der Erde!
Ich, Nero, bin's, der wimmernd wie ein Bettler,
Ausrufen es in alle Welt, ausrufen es
Mit tausend Zungen möcht', das schauerliche
Geheimniß, daß es keine Liebe gibt! –

Die Löwin hegt ihr Junges, Tigellin,
Nicht wahr, in deiner sonneglüh'nden Heimat?
In Rom nur gibt es keine Mütter mehr!
Bis in das Mutterherz hineingefressen
Hat sich der Wolfszahn jener Herrschbegier,
Die immerdar durchfraß das tiefste Leben
Des Römerthums. O Rom, was will das blut'ge
Cäsarenhenkerspiel, mit dem ich mich
Ergötze, sagen? Hält es doch noch lang
Nicht Schritt mit deiner Niederträchtigkeit!
[83] Du wardst zu menschlich noch, zu würdevoll
Regiert. Noch heut ernenne ich den Esel
Silens zum Consul. Und zur Kaiserin
An meiner Seit' erheb' ich eine Sclavin –«
Nein, keine Sclavin, – nichts vom Weibe mehr –
Das Weib ist schal und ekel mir geworden!
Ein Sclave soll es sein – mein Lieblingssclave,
Der holde Sporus – ja, den will ich frei'n,
Heut Abend feir' ich das Vermälungsfest! – –
      Nun, hast du nachgedacht, mein wackrer Mohr?« –
      »Ich wende mich an meine edle Muhme
Locusta, daß ein Tränkchen sie uns braue,
Das kräftig und doch nicht Verdacht erweckend« –
»Gift? für Britannicus noch gut genug!
Doch an dem Bürschchen, dem geschniegelten
Da drinnen, mein' ich, da geziemt sichs wohl,
Zu nehmen eine nennenswerth're Rache.« –
      »Der arme Junge ist ja schon vor Angst
Zur Hälft' entseelt in Agrippinas Armen,
Und mit dem Tod bestraft man ihn nur halb.
Ist's seine Schuld, daß überreife Frau'n
So lüstern sind nach jungem frischem Blut?
Man läßt ihm Nachts von zwei vermummten Strolchen
Auflauern, die gebunden und geknebelt
An einen abgeleg'nen Ort ihn bringen,
Und als Eunuch ihn wieder laufen lassen.« –
      »Und Agrippina? Sie am leisesten,
Am unverdächtigsten hinwegzuschaffen
Aus dieser Welt, sei deines Sinnens Ziel …
Und sterben soll sie schrecklich, grauenvoll …
[84] Ha – sterben – sie – kaum denk' ichs aus: sie sterben,
Die letzte Römerin? und doch – sie solls;
Doch nicht gemein soll Nero's Mutter sterben!
Sinn' eine Todesart mir aus, die sie
Zum Hades führt mit Pomp, als Heroine!
Erhaben soll sie untergehn!« –
                                              »Und doch
Im Stillen, unverdächtig, unbemerkt?
Das ist nicht leicht. Doch – so wohl mags geschehn:
Du ladest sie, als hätt'st du nichts vernommen
Vom Zwiegespräch der Beiden hier im Zelt,
Zu dir für Morgen Abend freundlich ein
In deinen ländlichen Palast am Meer,
Wo du die Deinen zum Bankett dereinst-
Du sendest ihr ein schmuckes Fahrzeug her,
Das von der Stadt den Tiberstrom hinab
Und dann im Meer den grünen Strand entlang
Bis zu dem ländlichen Palast sie bringt.
Das Fahrzeug ist von mir gelenkt: ich sorge
Dafür, mit einer kleinen Vorbereitung
Am Balkenwerk des Schiffs – ein Tausendkünstler
Bin ich, du weißt's - daß Agrippina nicht
Den Strand erreicht: ich sorge für den Pomp,
Für Allesdafür auch, daß kein Verdacht
Dich treffen kann!« –
                            »So recht; von allen meinen
Prachtgondeln nimm die prächtigste, und schmücke
Verschwenderisch sie aus.« –
                                            »Das ist wohl Schade,
Denn auch das Fahrzeug dürfte nimmermehr
[85] Zum Strande wohlbehalten wiederkehren,
Das Loos der Schönen theilend, die es trägt!« –
      » So schmücke doppelt es! Hast du vernommen?« –
      »Wie du befiehlst!«
                                  »Nun harre Agrippinens,
Und eh' sie heimkehrt, träufle der Verruchten
In's Ohr als trügerische Bitte, die
Zum neuen Fest sie lockt, ihr Todesurtheil!« –
      So unterweist den will'gen Henker Nero
Und schreitet durch des Gartens Räume weiter,
Indeß der Frühwind durch die Blätter säuselt.
      Das Bacchanal, das wüste, tolle, sieh!
Hat ausgetobt sich in den wild'sten Scenen,
Die jemals Rom, die je die Welt gesehn.
      Nun ist's wie eine Wahlstatt nach der Schlacht.
Es tritt der Fuß auf Stücke welker Kränze
Und Fackeltrümmer, bunt gehäuften Wust.
Der Morgen bricht in rothem Schimmer an,
Und wirft ein fahles Licht auf die Gesichter
Entschlummerter, die wie Entseelte liegen.
Die wüsten Zecher, Sclaven, Senatoren,
Und Courtisanen, schlafend ruh'n sie, hin
Gestreut, wie blinde Taumellust zuletzt
Sie wahllos durcheinander wirbelte.
Das Morgenroth beglänzt erstarrte Gruppen,
Drauf schäm'ge Nacht den dunklen Mantel warf,
Und leuchtet in die Büsche frech hinein.
Da ruht der Sclave, ruht der Gladiator
In edler Frauen Näh'. – Und sieh, da hebt
Sein schweres Haupt ein Scipionen-Enkel,
[86] Und hier ein Fabier – dort ein Porcier –
Der Ahnherr fuhr im Triumphatorwagen
Mit weißen Rossen – und hier hebt der Enkel
Das schwere, trunkne Haupt, das immer wieder
Hinabsinkt auf die Brust. – Hier eine Gruppe,
Betäubt vom Sinnenrausch, in Schlaf erstarrt,
Gleichwie in Stein gehau'n als Ausgeburt
Von zügelloser Phantasie. Es liegen
Entblößt die Leiber, mit gelöstem Haar.
Mit düstrem Lächeln schreitet Nero hin –
Die Zaubertränk' in seinen Bechern wirkten! –
Hier schnarcht Silen, und hier, ists möglich? Himmel!
Der weise Seneca, im Traume lallend
Mit schwerer Zunge. Doch wess' ist der zarte,
Der jugendliche Mädchenleib, woran
Der Fuß des Wandrers stößt? Es ist Actäa, –
Nicht schlummernd, nein, entseelt, zu Tod gekos't.
Die wilde Jagd des trunknen Bacchenschwarms
Ging über diese zarten Reize hin
Mit mörderischer Frechheit … Weiter wandelt
Der bleiche Cäsar: wie ein Todesengel
Hinschreitet er in düstrer Morgenglut.
      Zuletzt auf marmorblinkender Terrasse
Steht Nero still. Was sieht er einsam hier
Im Winkel kauern? 's ist ein Greis. Mit Schauder
Erkennt er den gespenst'gen Gast. In sich
Geschmiegt hier ruht er, scheint zu frösteln. Nero
Beginnt: »Nun, Alter, bist du etwa hier
Der einzig Nüchterne? was schmiegst du dich
So einsam kauernd an die Marmorstufen?« –
[87] »Mich friert,« so wimmert der Uralte klagend:
»Mich friert im morgendlichen Hauch der Lust.
Ich wollte, dort der schöne, rothe Schein,
Der auf den Zinnen liegt des goldnen Roms,
Wär' nicht ein kaltes Flammengaukelspiel,
Nein, wär' ein echter, heißer Feuerbrand,
Daß ich einmal die armen, alten Glieder
Recht gründlich dran mir wärmen könnte! Ja,
Kein Feuer kann zu groß sein, mir den Frost
Zu bannen aus den alten, alten Gliedern.«
Dem Blick des Greises folgt der Blick des Nero
Hin nach der Stadt, die endlos weit sich dehnt.
Die Zinnen Roms – sie liegen wie im Feuer.
Lang schaut er in die Glut, dann ruft er laut,
Wild lachend: »Alter, wärmen möchtest du
Die Glieder dir? ich auch! auch mir durchschleicht
Ein Frost den Leib, daß mir die Zähne klappern! –
Es wär' ein wundervoller Anblick, traun! –
Ha, der Gedank' ist köstlich – groß – erhaben!
Wie wär's, wenn so dies ganze weite Rom
Mit seinen Schätzen, seinem Golde, seinen
Murrhinischen Gefäßen, feilen Weibern,
Und purpurübertünchten Sclaven all'
Zusammenschmölz' in einen großen Klumpen –
Vielleicht, daß aus dem alten Teige dann
Noch eine neue Welt zu kneten wäre!
Ha! der Gedank' ist göttlich – und wofür
Wär' ich denn Nero? Ja, ich fühle mich
Als Nero-Dionysos plötzlich wieder –
Und sieh, da sind sie ja, ob ruhend auch,
[88] In dichten Haufen, meine Vielgetreuen!
Wach' auf, wach' auf, du wackre Bacchenschaar!«
      Er ruft's und reißt die Schlummernden empor:
Sie taumeln auf, und schaaren sich um Nero.
»Wohlauf, ihr meine wackren Corybanten!
Seid ihr auch wach genug, seid ihr auch nüchtern,
Zu hören und zu fassen ganz das Wort,
Das euch ins Ohr ruft Nero-Dionysos?« –
Ein schallend Evoë antwortet ihm.
» Wohlauf! nehmt eure ausgelöschten Fackeln
Und fachet ihre Gluten wieder an!
Zieht hin, zieht hin, zerstreut euch durch die Stadt,
Durchschwärmt, durchraset sie, und reißt, was lebt,
In euren Taumel mit: ich streue Gold
Mit vollen Händen unter Romas Pöbel,
Der taumelnd, frech bezecht zu Nero's Ehren,
Nicht säumen wird, in euren Zug gemischt,
Mithinzurasen durch die Stadt – und wenn
Dann Alles ras't – und wenn der Abend einbricht,
Ja, wenn der Abend einbricht, hört ihrs wohl? …
Wodurch kann dieses Riesenbacchanal
Erhab'ner, würdiger geschlossen werden,
Als durch ein großes Flammenopferfest?
Soll nicht die ganze Stadt mit uns auflodern
In heller Glut bacchantischen Entzückens?
Werft eurer Fackeln Brand in ihre Dächer!
Erglühen sollen auch die Marmorsteine
Des lieben alten Roms in Festeslust!
Die Schluchten der Albanerberge sollen
Aufleuchten und das ganze schimmernde
[89] Thyrhenermeer soll festlich roth erglühn
Im Widerschein neron'scher Jubelbrände! –«
      Die wilden Bacchen rufen: »Evoë!
Es lebe Nero! – seine Glorie,
Auf uns'rer Fackeln Spitze tragen wir
Sie hin durchs ganze Rom, in alle Welt,
Und lassen sie in goldnen Flammen lodern!«
      Hinstürmt der Zug der bacchischen Zerstörer,
Und in den wilden Schwarm mischt eilig sich,
Vom Winkel sich aufraffend, wo er kauert,
Mit einem Antlitz, drin es wetterleuchtet,
Wie Blitzschein spielt um graue Tempeltrümmer –
Der Alte mit den abgrundtiefen Augen.

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