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Sechster Gesang.
Ahasver


[216] [217]        Erwacht aus todesähnlicher Erstarrung,
In die das Grausen ihn geworfen, findet
In seines gold'nen Hauses Prunkgemächern
Sich Nero wieder. Wie aus tiefem Traum
Erwacht er, doch aus einem Traum, so lebhaft,
So tief in Leib und Seele durcherlebt
Mit allen Nervenfasern seines Wesens,
Daß all' sein waches Dasein ihm dagegen
Als Traum erscheint. Nachzittert ihm das Grau'n
In allen Gliedern. Wand und Estrich spiegeln
In hellkrystallnem Grund sein Antlitz ihm
So bleich und so verstört, daß er erschrickt.
Und doppelt ängstlich weicht sein Aug' den Flächen
Metall'ner Spiegel aus, als könnt' ein Schreckbild,
Wie im Gemach des Zauberers, ihm über
Die Schulter blicken – alle Hintergründe
Und Winkel des Gemaches scheinen ihm
Von Nebelbildern trächtig; ihm erscheint
Unsicher selbst der Boden, den er tritt,
Als könnt' er aufthun sich und durch den Spalt
Herauf der höhnische Avernus grinsen …
      Doch endlich, mit dem Fuß unwillig stampfend,
Besinnt sich Nero auf sich selbst: » Bin ichs –
Ist's Nero, der sich wie ein Knabe fürchtet
[218] Vor Nachtgespenstern? Ei, nun seh' ich wohl,
Was es bedeuten will, ein Erdensohn
Zu sein, geboren aus des Weibes Schoß!
Wie auch der Mensch sich mag als Gott empfinden,
Und trotzig stolz sich auf sich selber stellen,
Nie ganz durchschnitten wird die Nabelschnur,
Die ihn als Creatur dem Schoß der Mutter
Natur geheim verknüpft! der frei'ste Geist
Löst nie sein Leibliches aus dem Verband
Des Allgemeinen so, daß es sein Werkzeug,
Sein Glied nur wäre – nicht auf Augenblicke
Ihn selbst mit sich hinabzuzieh'n vermöchte
In stürmischer Empfindung Wirbelflut!
Auf Augenblicke! denn es schwimmt zuletzt
Der freie Geist doch immer wieder oben,
Gleich einem Kork, geschleudert in die Flut.
Nie kannst du ganz, Natur, mein Ich ersticken –
Doch ich muß freilich dich auch gelten lassen:
Ich muß es zugesteh'n, daß gegenüber
Der Macht des Geist's sich eine zweite stellt,
Die der Natur – vielleicht noch eine dritte?
Vielleicht das Schicksal?« …
                                      Während Nero fragt,
Tritt schon ein Bote dieser dritten Macht,
Tritt schon ein düst'rer Schicksalsbote, Burrus,
Im Morgengrau'n zu Nero in's Gemach.
Die Unglücksbotschaft, die sein Antlitz bringt,
Bestätigt bald der Lippe hastig Wort:
»So eben künden schweißbetriefte Boten,
O Herr, daß Vindex mit den gall'schen Meut'rern
[219] Zurückgeworfen deine Legionen
Und Rom sich nähert eilig, unaufhaltsam –«
      »Ei sieh,« (spricht Nero) würd'ger konnte nicht
Ablösen diese Nacht ein Unglücksmorgen!
Ist dies das Schlummerlied, mit dem du mich
Zu wiegen denkst in süß-wohlthät'gen Schlaf,
Nach einer schnöd' durchwachten Schreckensnacht?« –
      »Zu wichtig, Herr, zu eileheischend war
Des Augenblickes Noth. Der Sieg des Vindex,
Der Deinen Flucht, der Römer Wankelmuth
Gönnt nicht Verzög'rung mehr dem Aufgebot
Der letzten Kraft. Ganz Rom verschlingt begierig
Des Meutrers aufruhrschnaubende Edicte,
In denen er der Herrschaft dich verlustig
Erklärt und Galba auf den Schild erhebt.
Maßlos ist, Herr, des Vindex Uebermuth:
Er lästert und beschimpft in den Edicten
Dein Haupt und fügt zur Lästerung den Spott:
Nicht Nero mehr, Aënobarbus nennt
Er dich und –« »Nun?« – »Kaum wag' ich's auszusprechen!«
»Ich will es, sprich!« – »Er schmäht verächtlich, keck
Die schönsten Kronen deines Ruhms begeifernd,
Dich einen Histrionen, Zitherspieler,
Stimmlosen Sänger, Stümper auf der Harfe
 …«
      Das Antlitz dunkelroth erglüht, fragt Nero hastig:
»Antwortet nicht ganz Rom, wenn es sie liest,
Auf solche Schmähungen mit Hohngelächter?« –
»O Herr, die Römer schwören stets zum Sieger:
Neu wärmt man alte Blutgeschichten auf,
Laut wird gesprochen, was man sonst geflüstert.
[220] Selbst der gemeine Haufe, der dich einst
Vergötterte, weil seine Schaulust du
Befriedigt, wie's vor dir kein Kaiser that,
Er nergelt auf dem Forum jetzt an dir,
Weil bei der großen Hungersnoth vor Kurzem
In Alexandrien die Schiffe du,
Statt mit Getreide für den Pöbel Roms,
Mit Sand beladen ließ'st für deine Ringer.
Mit Schmähungen und frechen Lästerzeichen
Beschreibt man deine Statuen, und offen
Tritt eine langverhaltne Bitterkeit
In gräßlichen Verwünschungen hervor.«
      »Wohl will ich ihnen,« ruft der grimme Nero,
»Den Mund bald wieder stopfen! Alle Führer
Des Heer's und die Proconsuln der Provinzen,
Die sich bisher empört, sie sollen's büßen
Mit ihrem Blute mir, und müßt' ich sie
Durch Meuchelmörder aus dem Wege räumen.
Die Länder geb' ich Preis der Plünderung:
Und so durch Beute mir das Heer verpflichtend,
Verpflicht' ich durch den Schrecken mir die Länder.
Und den Senat, o, diese feile Schaar
Von Schlemmern – seh' ich Haares Breite nur
Sie schwanken nach des Galba Seite hin,
Vergift' ich sie, die Schurken, allzusammen
An meiner Tafel. Und wenn Pöbeltrotz
Mich reizt, so laß' ich los die wilden Thiere –
Und wenn ich anders nicht das Schicksal zwinge,
So fach' ich alte Brände wieder an
Und überliefere dem Flammentod
[221] Die Stadt und die Bewohner und – mich selbst.
Nun eile hin und ruf' mir unter Waffen,
Was Rom noch birgt von kampfestücht'ger Mannschaft,
Und melde den prätorischen Cohorten,
Daß ich, noch eh' die Stunde ganz verrinnt,
Mich selbst an ihrer Spitze den Rebellen
Entgegenwerfe. Doch vor Allem laß
Durch eil'ge Boten rasch zu mir entbieten
Die Häupter des Senats – von ihren Lagern,
Aus ihren Morgenträumen laß sie reißen –
Sein Haupt verwirkt, wer zögert …«
                                                Rasch enteilt
Auf Nero's Wink der Satellit, und eh'
Der Morgenstral noch Albas grüne Berge
Beglänzt mit vollem Licht, umschließt die Halle
Vor dem Gemach, wo Nero sinnend ruht,
Die aus dem Morgentraum geriss'nen Gäste,
Die Väter Roms, die Männer des Senats.
      Da harren sie mit den verschlaf'nen Augen,
Den feisten Angesichtern, drauf der Schweiß
Des Schlafs nach halbdurchschwelgter Nacht noch ruht –
Der Ein' und And're flüstert von der Wendung,
Der drohenden, die Galba's Sache nimmt –
Die neu'ste Wendung kennen sie noch kaum –
Dann aber von der leid'gen Politik
Abspringend, denn sie kümmert Politik
Nur halb – was thuts zur Sache, wie sich nennt
Der Cäsar, der jeweilig sich in Rom
Nach unverbrüchlichem Cäsarenbrauch
Mit Mord und Brand und Schwelgerei vergnügt?
[222] So wenden sie sich denn schier unwillkürlich,
Schier unbewußt, den Lieblingsdingen zu,
Mit denen seit Tiber das Römervolk
Am liebsten sich die Zeit verkürzt. Sie sprechen
Von Circusspielen, Gladiatorkämpfen,
Von Tänzerinnen, und von Pantomimen,
Von Flötenbläsern und Equilibristen:
Für Diesen, Jenen wird Partei genommen,
Und nicht für Nero und für Galba, nein,
Für diesen oder jenen Circuskämpfer
Droh'n des Senats ehrwürd'ge Häupter jetzt
Sich lebhaft eifernd in Partei'n zu spalten …
      Und Nero blickt vom Grunde des Gemachs,
Er selbst noch unbemerkt, still auf die Gruppe,
Die seiner wartet in der gold'nen Halle.
Und bei dem Anblick wacht in seiner Brust
Die ganze bittre Laune wieder auf.
»Da sind sie,« ruft er, »diese Abderiten
Mit Römerköpfen, diese zahmen Löwen,
Zu Katzen und Eichhörnchen eingeschrumpft,
Die Krokodile, als Lacerten schwänzelnd
Die Boaschlangen, die wie Regenwürmer
Sich treten lassen! – Ja, da sind die Männer,
Mit denen ich das alte Römerthum
Herstellen sollte für den Seneca,
Bei denen ich ein güt'ger Cäsar bleiben,
Mit denen ich als Herrscher Großes thun,
Die Welt erobern sollt' – und was noch sonst?
Das sind die Weichlinge, die, wenn sie angeln,
Auf Purpurpolstern ruhn, das sind die schnöden
[223] Dickbäuche, denen beim Gelag, dem heißen,
Die Sclavin mit dem Fächer und der Knabe
Mit einem Myrthenzweige Kühlung zuweht,
Und aufs Geschnalz des Fingers der Eunuch
Den gold'nen Pißtopf reicht …
                                        Ha, die, die Männer
Soll ich im Ernste zu Berathern haben?
Vor diesen schnöden Wichten sollte Nero
Sich schwach und ängstlich zeigen? Nein! von diesen
Hab' ich in solcher Stunde nichts zu hoffen!
Die Köpfe zählen nichts im Rath des Schicksals:
Sie gehn von einer Hand zur andern nur
Wie Münzen, nein, wie Rechenpfennige!
Ja, ja, wir Spieler um die Weltherrschaft,
Wir rechnen nur mit ihnen, doch sie selbst
Sind werthlos Blech …
                                 Mit heit'rer Göttermiene,
So stolz, so apollinisch-hehr wie sonst,
Tritt Nero plötzlich in den dichten Kreis
Der Senatoren in den goldnen Saal,
Sie grüßen tiefgebeugt den Nahenden,
Und harren seines Wortes. »Wißt ihr wohl,«
Beginnt er, »warum ich so früh euch heut
Entbot?« – Sie schweigen. »Ahnt ihrs?« wiederholt er.
»Kam etwa neue Post,« versetzt der Eine,
»Vom Kriegeslager, von dem Nah'n des Vindex?«
»Was Vindex!« ruft verächtlich lächelnd Nero.
»Ich denke nicht an Vindex, fürchte nichts
Von Vindex, dessen abgeschlag'nes Haupt
Ihr kläglich bald gespießt erblicken sollt
[224] Am Thore meines goldnen Hauses. Nein,
Um so geringen Grund hätt' ich euch nie
Gerissen aus dem besten Morgentraum,
Ehrwürd'ge Väter Roms!
's ist eine Freudenpost, die ich euch künde!
Wißt, daß in dieser Nacht nach langem Sinnen,
Ich siegreich endlich ein Problem gelöst,
Das mich seit langer, langer Zeit im Stillen
Beschäftigt hat. Ihr kennt die Wasserorgel,
Und kennt den unvollkommnen Zustand auch,
In dem dies Instrument sich stets befand,
Und welcher Musenfreunden, mir vor Allen,
Ein Gräuel war. Ihr wißt, mein Geist ergeht
Sich spielend im Bereiche mancher Kunst,
Und selber mit mechanischen Versuchen
Hab' ich mich immer gern ergötzt. Nun denkt!
In dieser Nacht – es floh der Schlaf mich eben –
Da sinn' ich hin und her und her und hin,
Und so zuletzt nach langem Kopfzerbrechen,
Wird endlich aus den bunt sich kreuzenden,
Chaotischen Gedankenwindungen
Mir klar ein wundervoller Mechanismus,
Der unsre alte schlichte Wasserorgel
Zum herrlichsten der Instrumente wandelt.
Vor Freuden ob der glücklichen Entdeckung,
Harrt' ich des Morgengrau'ns mit Ungeduld,
Und bei dem ersten Strale drängt' es mich,
Euch mitzutheilen diese wicht'ge Botschaft,
Daß sich mit mir Senat und Volk erfreue.
Kommt einmal her! Auf diesem Papyrus
[225] Macht euch mein Rohr den neuen Mechanismus
In flücht'gen Zügen klar!« – Und die Verblüfften
Versammelt Nero zu gedrängter'm Kreis
Und zeichnet ein verwickelt Räderwerk
Mit krausen Strichen auf den Papyrus,
Daß Allen bald die weisen Häupter schwindeln.
»Habt ihrs gefaßt?« – »O herrlich, Imperator!«
»Nun wohl! So gehet hin, um zu verkünden
Dem Volk, was ihr vernommen;
fügt hinzu,
Daß ich den Römern schon in wenig Tagen
Von wundervollen neuen Harmonie'n
Mit eigner Hand die Probe geben werde
Auf diesem Instrument! Von Vindex aber
Soll Keiner schwatzen dürfen auf dem Markt,
Noch insgeheim – bei Todesstrafe!
Geht!« –
Sich weidend an der wunderlich verblüfften
Gestalten Mien' und Haltung lächelt Nero,
Und dann entläßt er die gebückte Schaar,
Die erst gewohnte Schmeichelei'n noch stammelt.
      Inzwischen ist der Morgen angebrochen.
Dem ungeduld'gen Nero schleichen träg
Die Augenblicke hin. Er zieht ein Fläschchen
Aus seiner Brust, ein goldnes Fläschchen, voll
Von tückisch-klarer Flüssigkeit, und stellt's
Vor sich hin auf den Abacus. – Die Zinnen
Der Stadt glühn schon im Tagesglanz und noch
Kehrt Burrus nicht zurück. Doch endlich nun
Stürzt er herein und bringt die Schreckenskunde:
»Die Meut'rer stehn vor Rom. Die Legionen
Der Stadt und die Prätorianer selbst
[226] Sind abgefallen und ›Hoch Galba!‹ donnerts
Durch ihre Reih'n, und nur ein Echo ist
Dies Wort vom gestern schon erscholl'nen Ruf
Der Flotte, die vor Ostia geankert.
Der Legionen Treubruch und der Flotte
Macht Widerstand zur Fabel, und die Stadt
Ist Galba's. Aus dem zitternden Senat
Ist Otho eben unterwegs ins Lager
Des Vindex vor der Stadt, um demutsvoll
Für der Ergebung feiges Angebot
Von Galbas Feldherrn Gnade einzuhandeln;
Der Pöbel fängt vom Mund der Prätorianer
Den Ruf: ›Es lebe Galba!‹ auf, und drängt
In hellen Haufen, schreiend, sich hieher
Zum goldnen Hause, um dich einzuschließen,
Und lebend dich dem Vindex auszuliefern.«
      Horch, in dem Augenblicke tos't es schon
Rings um den Palast her wie Sturmgeheul!
Es drängen Pöbelrotten mit Geschrei
Sich um die Thore. Bei dem Anblick stürzt
Burrus hinweg entsetzt. Nachruft ihm Nero
Ein donnernd »Bleib!« – doch Jener flüchtet, denkt
Nur mehr an sich allein. Da reißt den Dolch
Von seiner Hüfte Nero, schleudert ihn
Dem Flüchtling in den Rücken – wie ein Pfeil
Apolls trifft ihn der Stahl, er stürzt, verathmet.
Es sendet Nero nach den Günstlingen,
Nach seinen Lieblingsdienern im Palast –
Sie kommen nicht. Er selber geht zu ihnen,
Doch ihrer Kammern Thüren sind verschlossen.
[227] »Bin ich allein?« ruft Nero, »soll ich etwa
In Männerkleider stecken meine Weiber,
Und sie bewehrt mit Amazonenschilden
Vor meine Thüre stellen?« – Weiter schreitet
Er durch den hallenden Palast und ruft
Nach seinen Sclaven. Doch die Sclaven eilen
An ihm vorüber, achten nicht auf ihn.
Er droht, er wüthet, doch sie merken's nicht.
Ohnmächtig ist sein Zorn. In Burrus' Rücken
Ließ er die Waffe stecken – kann nur drohn.
Er will mit Edelsteinen und mit Gold
Bestechen seine eignen Leute, doch
Sie nehmen Gold und Edelsteine selbst
Aus seinen goldnen Hallen ohne Scheu. –
Er kehrt zurück in sein Gemach und findet
Es ausgeplündert: selbst das goldne Fläschchen,
In welchem er das Gift verwahrte, fehlt.
      Noch einmal irrt er durch das Haus und findet
Nicht einen Diener mehr – doch nein! noch Einen:
Ein Mann ist's von der kaiserlichen Wache
German'schen Stamm's – mit Waffenehre grüßt
Ihn dieser noch als Kaiser und als Herrn.
Des Wackern Treu' mit Rührung fast bestaunend,
Winkt Nero: »Folge mir!« und still gehorsam,
Apathischen Gesichts, folgt der Germane.
      Von ihm begleitet wendet Nero sich
Nun einem tief verborgnen Gange zu,
Der unterm Palatinus hin zuletzt
In eine abgelegne Gegend führt.
Bei einer Fackel Glanz durchschreiten sie
[228] Die unterird'sche Finsterniß und treten
Auf einsam-öder Stelle, unter Gräbern
Am stillen, menschenleeren Esquilin
Ans Tageslicht hervor. Verkleidet ist
Der kaiserliche Flüchtling, unerkennbar.
Ermüdet nun auf einem Grabdenkmal
Der Gräberstraße rasten sie. Zwei Männer,
Von Nero sprechend, tauchen auf, und arglos
Gehn sie vorüber. Von bewohnteren
Stadttheilen her schallt ein verworrner Lärm.
Wohin sich wenden? Um die Stadt her liegt
Des Vindex Heer wie Feuer um den Kessel,
Und in der Stadt, dem Kessel, kocht und siedet
Und braust des Aufruhrs wallende Bewegung.
Mischt nun der Himmel selbst sich in den Streit?
Sieh, finstre Wetterwolken steigen auf,
Ein Wirbelwind beginnt den Staub zu kräuseln,
Bald fängt der wilde Donner an zu rollen,
Und Blitze sprüh'n und Regen prasselt nieder!
Es kehrt zurück die kaum verfloss'ne Nacht!
      Ha sieh, der funkelrothe Blitz, er zuckt
Wie eine rothe Schlange, die der Adler
Entführt hat in die Luft und die sich jetzt
In seinem Schnabel krümmt in wildem Zickzack –
Und immer tiefer nachtets – immer greller
Aufflammt der Blitze Schein, und wilder krachen
Die Donner, langhinrollend, wie verdoppelt
Vom Echo des Gebirgs – ha, all' dies grause
Geleucht' der Flammen, all' dies Donnerrollen,
Des Windes Brausen und der Wasser Sturz,
[229] Sind's Stimmen des Triumphes für den Galba?
Ist's Nero's Grabgesang? Verklärt die Flamme
Mit Blitzespracht und Donnerklang den gähen
Titanensturz des »Flammen-Dionysos?«
Will Nero's Lieblingselement noch einmal
In seiner ganzen Herrlichkeit ihn grüßen?
Ha, warum freut er sich nicht mehr des Grußes?
Was zuckt er so verstört bei jedem Blitz,
Der plötzlich grell die Finsterniß erhellt?
Nicht vor dem Blitze selbst erbebt er, nein,
Auftauchen sieht er stets im Feuerschein,
Dem gähen, zuckenden, bald hier bald dort
Das fahle, grinsende Gesicht des Alten,
Des finstren Dämons, der ihn stets verfolgt.
Unheimlicher als je blickt heut das Aug
Des Greises – triumphirend zuckt ein Lächeln
Wie Hohn um seine Lippen – Nero's Herz
Erglüht in Zorn, – hätt' er den Dolch zur Seite,
Er stieß' ihn dem Verhaßten tief ins Herz –
»Schaff' mir hinweg das Grau'ngesicht!« so herrscht er
Dem willigen Trabanten zu, doch schon
Hat ausgeflammt der Blitzstral, undurchdringlich
Umhüllt die grause Finsterniß sie wieder.
      Es kommen Wasserbäche wild geschossen,
Und waten muß durch hochgeschwellte Lachen
Der beiden Wandrer Fuß. Durch Windesbraus
Und Regenguß und grelles Blitzgefunkel
Hineilen sie voll Grausens. Endlich bietet
Sich zum Asyl verfall'nes Mauerwerk.
Ermüdet schon ist Nero, fast verschmachtet
[230] Vor Durst in seines innern Fiebers Brand.
Gutmüthig sammelt der Germane Wasser,
Wie es vom Himmel stürzt, in seinen Helm,
Und reicht's dem Schmachtenden, um ihn zu laben.
»Hier sind wir sicher,« tröstet er den Herrn.
»Ja sicher,« gibt mit bitt'rem Lächeln der
Zur Antwort, müd' auf harten Grund sich streckend –
»So sicher wie ein Lerchennest im Korn
Zur Erntezeit. – Horch, horch, wie's stürmt und wettert –
Wir aber sind zur Ruhe hier verdammt.
Was schweigst du, treuer Kämpe? sprich doch, plaud're!
Sieh, Nero ist gewöhnt an Zeitvertreib! –
Warum bist du, der Einz'ge, mir gefolgt?
Was spornte dich, den Einen, auszuhalten
Bei mir getreu, als all' die Andern floh'n?«
      »Ei, Herr,« versetzt befremdet der Germane,
»Steh ich denn nicht in deinem Sold? und ist's
Nicht Dienerpflicht, dem Herren treu zu sein?« –
      » PflichtTreue – Mann, du sprichst in Germanismen!
Wie lang bist du in Rom?« »Zehn Jahr'!« – »Und hast
Die Treue nicht verlernt? und folgst nun so
Mir ohne Grund, aus angestammter Treu?
Ei, ihr Germanen seid ein braves Volk!
Bist du nicht stolz drauf, daß du ein Germane?«
      »Ich bin ein Bructerer!« –
      »O weh', er weiß kaum, daß er ein Germane! …
Erzähle mir, indeß wir rasten, Freund,
Ein wenig doch von deinem Vaterlande!
Wie bringt ihr wohl den langen Tag so hin
In euren finstren Wäldern?« – »Ei, wir jagen
[231] Das Hochwild, Eber, Wolf, und Ur, und Elenn,
Und Abends ruht man auf der Bärenhaut,
Trinkt aus dem Horn des Auerstiers, verkürzt
Wohl auch die Winternacht mit Würfelspiel.« –
      »Wohl besser lebst du jetzt bei uns im Süden?«
      »Doch jezuweilen sehn' ich mich zurück.
Wir haben nur Gesümpf und Tannenwälder,
Und südwärts lockt uns oft ein Wanderdrang;
Doch seit ich leb' in Rom, da dünkt michs oft,
Als wär's doch nirgend schöner als daheim.«
      »In euren Sümpfen, euren Tannenwäldern?«
      »Wie schattig grünt der Wald zur Sommerszeit!
Doch schöner, mein' ich, ist er noch im Winter:
Da hängt der weiße Nebel in den Aesten,
Windbrüche hört man knirschen im Gebirg,
Und geht der Wandrer durch den Forst, da klingen
Des Eises Zapfen, schimmernd in der Sonne,
Aus allen Wipfeln wie ein Glockenspiel,
Und unterm Fuß des Wandrers kracht der Schnee:
Bei Nacht die Stürme brausen, Sterne glitzern,
Aus dem Gestrüpp zuweilen schaut der Wehrwolf –
Dann schlägt man sich wohl abseits in den Busch,
Und hüllt sich schaudernd tiefer in die Wildschur.
In solcher Zeit, o da ist's wohlig ruhn
Bei dicker Tannenklötze rother Glut,
Bei Gerstentrank, und Meth und Liederklang.« –
»Wie? Habt ihr Lieder auch? wem singt ihr sie?«
»Den Helden und den Frau'n.« »Die Frauen gelten
Bei euch so viel?« – »Mehr als in Rom. Wir haben
Auch Seherinnen, hochgeehrt im Volk. –«
[232] »Ihr ehrt die Helden auch?« – »Wenn sie gestorben,
Erweist man ihnen hohe Grabesehren.« –
»Ei, wie bestattet ihr den todten Helden?«
»Schwert, Lanze, Schild, Trinkhörner, Rosse werden
Mit ihm verbrannt. Bei Stämmen an der See
Da üben sie noch and're Todesfeier:
Des Helden Leib wird auf ein Schiff gesetzt
Mit Waffen, Beute, Schätzen, prächt'ger Zier:
Man zieht die Segel auf und steckt das Schiff
In Brand, und so, mit hochgeschwellten Segeln,
Im Glanz der Flammen fährt der todte Held
Von dannen, und verbrennt auf hoher See.« –
      »Ein seltsam Volk,« (spricht Nero still bei sich)
»Urkraft mit Herz und Phantasie verschwistert –
Dies Volk erobert, wenn es will die Welt!« –
      In diesem Augenblicke zuckt ein Blitz –
Ein wilder Donnerschlag erkracht zugleich,
Und das Asyl der Beiden steht in Flammen.
Auftaumeln sie entsetzensbleich, und tappen
Im wachsend wilden Graus der Elemente,
Die wie im Wettkampf durcheinander toben,
Sich weiter an dem öden Trümmerort.
Und wieder hat im Schein des Blitzes Nero
Aufleuchten sehn das Bild des Alten
, ruhend
Auf grauem Stein, unheimlich nach ihm blickend,
Mit Augen, triumphirender als je.
»Fort, fort,« ruft Nero, »sitzt doch wie ein Büttel
Im Nacken uns das Wetter, unerbittlich
Uns weiter scheuchend – ha, gibts keine Stelle
Im Grund der Erde, wo ich rasten darf,
[233] Wo ich den wüsten Braus nicht mehr vernehme,
Und das verhaßte Späherangesicht
Des tollen Bettlers mich nicht mehr belästigt?« –
Es schleppen pfadlos weiter sich die Beiden.
Da strauchelt des Germanen Fuß – er stürzt,
Indeß er nach des Himmels Wolken späht,
In eine tiefe Grube. Hier erschließt,
Indeß er schwer bemüht empor sich rafft,
Vor seinen Spürerblicken in der Dämm'rung
Zur Höhle sich des Raumes Hintergrund.
Er ruft hinab den Nero. Beide dann
Ertasten eines schmalen Ausgangs Thür,
Die weiter führt ins unterird'sche Dunkel.
Voran kriecht der Germane, Nero folgt,
Sein eignes Loos belächelnd, das ihn zwingt
Auf Vieren jetzt zu kriechen, ihn, den Gott. –
»Weiß ich doch selber nicht, wovor ich fliehe.
(So spricht er zu sich selbst) vielleicht vorm Leben?
Vorm Tode wahrlich nicht – dünkt doch das Dasein
Mich nur mehr ein zerfloßner, wüster Traum!«
Die Donner krachen in der Ferne noch,
Und wie ein wildes Thier, das sie verfolgt,
Brüllt hinter'm Flüchtlingspaar das Ungewitter
      Doch plötzlich, sieh, wie von der Oberfläche
Der sturmgepeischten Wasser in die Tiefe,
Tritonen tauchen mögen, auf den Grund
Des Meeres, in krystall'ne Zaubergrotten,
Wo süßer Friede winkt, indeß hoch oben
Die Wogen rollen und die Stürme brausen –
Von all' dem Wirrsal klingt kein Ton hinab –
[234] So plötzlich, sieh, umgibt das angstgehetzte
Das müde Paar, dem von des Wetters Brausen
Das Ohr noch gellt, ein wunderbarer Ort,
Ein Ort voll still-erhabnen Götterfriedens,
Geheimnißvoll erhellt von einer Ampel,
Die von des Raumes Decke niederhängt.
Und klein're Lichter reih'n symmetrisch sich
Um eine hochgebühnte Stelle her,
Wie Sternchen schwebend in der Dunkelheit,
Verbreitend einen milden Dämmerschein,
Der das Gemüth mit hehrem Schauer füllt.
Die hochgebühnte Stell' ist ein Altar, –
Und davor steht ein Greis in priesterlichem
Gewande, flüsternd, mystischen Gebrauch
Vollziehend, während ringsum ernste, bleiche
Gestalten knie'n, die Häupter tief gesenkt …
      In diesen heilig-stillen Friedensraum
Tritt plötzlich jetzt der düstre Flüchtling Nero.
So mitten unter einen Taubenschwarm
Mag pfeilgetroffen aus den Lüften fallen
Ein Aar, ohnmächtig, doch noch Grau'n erweckend.
Aufblickt der Beter Schaar und von den Lippen
Bebt unwillkürlich als ein Schreckenslaut
Der Name Nero!
                          Finster kreist der Blick
Des Düstren rings und haftet am Altar,
Wo ihm sich zeigt ein wundersames Bild:
Ein edel Menschenbild, ans Kreuz geschlagen,
Mit einem Dornenkranz ums bleiche Haupt.
Und Nero denkt der Kunde, die vorlängst
[235] Durch Tigellin ihm ward vom Gott der Christen 
»Wenn ich das Leben liebte, müßt' ich nun
Vielleicht erzittern (spricht er bei sich selbst),
Denn wie in eine Löwenhöhle fiel
Ich unter meine schlimmsten Feinde jetzt.«
Und zu den Christen kehrt er trotzend sich,
Die ihm mit Grausen schau'n ins bleiche Antlitz:
      »Ja, Nero bin ich! und in Händen habt
Den Todfeind ihr! So rächt euch, tödtet ihn!
Vollzieht das Werk – seht, meine Treuen haben
Zum Tod mir nicht einmal das Gift gelassen – –
Der Mann hier ist zu ehrlich, mich zu tödten,
Ich fürcht', er zittert bei dem Stoß – ei, wißt,
Der Schmach entfloh ich nur, doch nicht dem Tod –
Den such' ich – seht, ich bin's, der eure Väter,
Der eure Brüder, Schwestern, grausenhaft
Zum Frasse vor die wilden Thiere warf –
Ich bin's, der euch verfolgte, der die Brände
Des Circus häuft' auf Petrus und auf Paulus …
So rächt euch denn, ihr Männer, tödtet mich!« –
      Da wendet vom Altar der greise Priester
Zu Nero sich und spricht: »Wir tödten nicht,
Wir rächen uns am Feinde nicht, wir lieben
Den Feind auch – unser heiligstes Gebot
Ist Liebe!« – » Liebe? welch« verhaßtes Wort
Sprichst du mir da? Habt ihr so großen Vorrath
Von Dingen, die so selten in der Welt,
So einzig, fabelhaft sind wie der Phönix?
O Schwärmer, eitle Thoren, wißt, erkundet
Hab' ich, wie Keiner sonst, das schreckliche
[236] Geheimniß, daß es keine Liebe gibt!
Ich liebte nicht und wurde nicht geliebt,
«Und war doch Nero, war der Herr der Erde!« –
      »Du fand'st auch das nicht, was du Liebe nennst?
Unseliger, du stelltest dich zu hoch,
Und alles And're stelltest du zu tief,
So blieb denn endlich nichts mehr über dir,
Zu dem du liebend, sehnend blicken konntest:
Denn über uns muß sein, was liebend wir
Ersehnen sollen – ewig sieht die Sehnsucht
Nur über sich, nie unter sich ihr Ziel!« –
      » Und so wird alle Liebe nie befriedigt!
Das Schöne wendet sich zum Schöneren,
Das Schön're aber blickt schon sehnend wieder
Empor zu einer höhern Schöne noch:
So blickt ein Jeder, selber sehnend, aufwärts,
Doch nimmer abwärts zu dem Sehnenden.« –
      » So knüpfe denn der Sehnende sogleich
Der Sehnsucht Zauberband an's
höchste Wesen,
Denn da nur dies nichts Höh'res über sich hat,
Zu dem es sehnend aufwärts könnte blicken,
So muß sein Herz sich liebend abwärts wenden
Zu Jenen, die da liebend nach ihm schau'n;
Und so ist Gott im ganzen Weltbereich
Das einz'ge Wesen, das die Lieb' erwiedert,
Das einz'ge, das nicht untreu werden kann …«
      »Das ist ein Evangelium der Liebe
Seltsamer Art. Ihr liebet euern Gott?
Die alten Götter wollten Opfer bloß,
Und wollten nur geehrt, gefürchtet sein!« –
[237] »Der unsre will die Liebe, will das Herz.« –
»Seid ihr gewiß, daß er euch wieder liebt?« –
»Er stieg vom Himmel nieder, starb für uns.« –
»Sein Bildniß ist's, das ich dort ragen seh'?« –
»Er ist's – der Gottmensch ist es, Jesus Christus.
Des Heidenthums lieblose Götter schweben
In ihrer kalten Höhe eigensüchtig,
Wir aber wissen, daß das Göttliche
Heruntersteigt von seiner Himmelshöh',
Daß es verkörpert wandelt auf der Erde
Und daß es leidet, lebt, und stirbt für uns!« –
      »Ein Gott, der leidet! Seltsam! Wie Prometheus!
Ihr folgt dem Beispiel wohl und leidet gerne,
Und sucht den Schmerz, und stoßt die Lust von euch?«
      »Es ist die Lust nicht, wie du glaubtest, Nero,
Der Schmerz nur ist es, der die Welt erlöst!« –
      »Ei, ihr verklärt den Schmerz euch, wie die Liebe!
Des Schmerzes Wollust, in der That, die fehlte
In meinem goldnen Haus. Ich merk' es wohl,
Ihr seid mein übermüthig Widerspiel:
Ich pred'ge Eigensucht, ihr predigt Liebe!
Ich preise den Genuß, ihr preist den Schmerz.
In eurem ganzen christlichen Olymp
Ist wohl kein Platz für Nero-Dionysos?« –
      » Vielleicht … Siehst du den Fürsten der Dämonen,
Die Schlangenbrut mit menschlichem Gesicht,
Die wild verzerrt aus jenem Bilde dort
Sich krümmt zu Füßen eines Götterjünglings
Mit gold'nem Flammenschwert? –
Sein Nam' ist Luciferdas ist der Dämon
[238] Der Eigensucht, der stolze, der sich los
Gerissen hat vom ew'gen Liebesgrund
Und auf sich selbst gestellt, vom Göttlichen
Getrennt, einsam, unselig immerdar,
Sich in der kalten finstern Tiefe wälzt

Aufs Haupt ihm, siehe, setzt den Fuß der Seraph,
Ihm, der doch selbst ein Seraph konnte sein,
Hätt' er sich aus dem sel'gen Reich der Liebe
Hinausgestürzt nicht in die ew'ge Nacht,
Die Nacht der Selbstsucht und des Eigendünkels!
« –
      »Mich dünkt, ich habe Worte dieser Art
Gehört schon einmal – in dem Brande Roms –
Hätt' ich ein Schwert, ich stieß' es diesem Seraph
Ins Herz – er tritt so eitel-übermüthig
Aufs Haupt des Dämons, der unselig sein mag,
In dessen schmerzverzerrten Zügen aber
Ich eine Spur von Adel doch erblicke – –
Doch sage mir, welch reizend Wunderbild -
Von Frauenschöne leuchtet mir entgegen,
Dem düstren Schreckensbild hier gegenüber,
Umstralt von milder Lampe gold'nem Schein?
Ein Frauenbild, das, hold bekränzt mit Rosen,
Zum Himmel lächelnd schwebt« – –
                                                      Maria ist's,
Die heil'ge Gottesmutter, im Geleit
Der Engelknaben – ihrem Jungfrau'nschoß
Entsprang der Gottmensch – diesen ird'schen Leib
Durchleuchtete das Göttliche und zieht ihn
Zu sich empor –
                        Dort sahest du den Seraph,
[239] Der lieb-los stürzt als Dämon in die Tiefe,
Und hier siehst du die irdische Natur,
Vom Göttlichen erwählt und durch die Liebe
Begnadet, feiern ihre Himmelfahrt!
In diesem Bild zerrinnt das Irdische,
Goldwölkchen gleich, im himmlischen Azur,
Doch auf dem Bilde jenes Dämons dort
Ballt sich's zu finsteren Gewittermassen
Titanisch auf, und bäumt entgegen sich
Dem milden Licht, das es ersetzen will
Durch düstres Blitzgefunkel, und ergießt,
In seinem öden Grolle sich verzehrend,
Verzweiflungs-Thränenflut in Wolkenbrüchen …«
      Auf die geheimnißreichen Bilder lange
Blickt Nero sinnend, und er spricht zuletzt:
»Ich seh's, der wunderbare Mutterschoß
Des menschlichen Gemüths ist nicht erschöpft!
Zerfällt in Staub die abgelebte Welt,
Das Menschenherz gebiert sie ewig neu!
Der Gott-Mensch hier, und hier die Jungfrau-Mutter,
Und hier der Dämon, der ein Seraph war:
Mit diesen Typen, fromme Christenschwärmer,
Erobert ihr die Welt
– das sind Gestalten,
Die das Gemüth in seiner Tiefe packen,
Und mich bedünkt, sie werden ewig leben
Im Pantheon urkräft'ger Weltsymbole,
Wie Venus, die dem Schaum des Meers entstieg,
Und Pallas, die aus Jovis Haupte sprang! – –
So tauchen welterlösende Gedanken
Verkörpert fort und fort aus Schwärmerhäuptern!
[240] Ha, ich auch wollte neue Götter schaffen:
Die morschen Throne der Olympier
Hinstürzend, stellt' ich mich auf den Altar –
Doch Nero-Dionysos, er erbleicht
Vor diesen neu'sten Göttern. Ei, ihr Männer,
Mit eurem Gott am Kreuz, ihr traft es besser,
Was dieser Zeit geziemt. Ich wähnte, daß
Die neue Zeit mit mir beginnt, und sieh –
Ich war der alten stolzer Ausgang nur!
Ich war ein Gott, doch meine Herrlichkeit
Sie ist vorbei – glüh'n seh' ich meines Lebens
Und meines Glücks herabgebrannte Kerzen,
Gruftlampen gleich, im letzten Flackerschein!
      Emporgeklettert auf der Wünsche Leiter
Bin ich, das Ruheziel des Glücks zu suchen.
Doch menschliche Begier hat keine Grenze,
Als die mit fester Hand der Wille steckt.
Warum verlangt' ich ein Unendliches
Vom Glücke, vom Genuß und von der Liebe?
Warum zertrümmert' ich, was mich erquickte,
Aus Aerger, daß es nicht unendlich war?
Was wollt' ich Uebermenschliches? Warum
Wollt' ich nur aus dem Vollen glücklich sein?
Konnt' ich mich nicht, wie and're Menschenkinder,
Begnügen mit den Bettelpfennigen,
In denen das Geschick den Glückstribut
Uns ausmünzt – und warum verschmäht' ich's, da
Wir kein unendlich Glück erjagen können,
Genügsam mir den ird'schen Pfad zu pflastern
Mit einer buntgestickten Mosaik
[241] Von endlichen, bescheid'nen Glücksmomenten?
Was fordern wir vom Glücke mehr als Stückwerk,
Da doch das ganze Leben und wir selbst
Nur eitel Stückwerk' sind? –
      Ich suchte die Unendlichkeit des Glücks –
Vielleicht beginnt sie erst mit der Entsagung;
Ich suchte die Unendlichkeit des Ich's
Vielleicht beginnt sie dort erst, wo wir uns
Des eignen Ich's entäußern. – Solches ist
Wohl eures Herzens Meinung auch, ihr Christen,
Und eurer Lehr' und Bilder tiefer Sinn!« –
      »Begreifst du,« spricht der Priester, »daß sich hier
Ein Port des Friedens und der Ruh' dir öffnet?« –
      »Nicht mir! die neue Lehre wendet sich
An schlichtere Gemüther als das meine.
Ich beuge mich den neuen Göttern nicht,
Nur weichen will ich ihnen – und den Kelch
Von dem Altare hier ergreifend, seht,
Ausgieß' ich, an des Hades Schwelle stehend,
Den ew'gen Mächten ihn zur Opferspende,
Den ewigen, geheimnißvollen Mächten,
Die in den Tiefen des Gemüthes thronen;
Ausgieß' ich ihn den Sternen meiner Jugend,
Der schönen Glut, die auch mein Herz geschwellt!
Ihr holden Täuschungen der Menschenseele,
Ich lebte nur, als ich in euch noch lebte!
Ich war zu groß, zu klug für Menschenglück!
Ob's besser, groß, ob's besser glücklich sein?
Ich will die dunkle Frage nicht entscheiden –
Gebrochen bin ich, todesmüd. Den Mächten
[242] Der Unterwelt und der Vernichtung weih' ich
Dies Dasein, dies entgötterte, dies öde …
Ha, gab's nicht eine Zeit, wo ich allein
Mir unerschüttert dazustehn bedünkte,
Inmitten einer Welt, die rings um mich
In Glut und Trümmer sank? Und nun, nun seh' ich,
Daß ich allein zusammenbreche, während
Die Welt um mich sich neu verjüngt, und neu
Zu frischem Leben wunderbar erstarkt!«
      Er sprichts, und von der Seite des Germanen
Reißt er das Schwert, und stößt es sich in's Herz.
Er stürzt zu Boden und ein rother Stral
Von seinem Blut bespritzt die Heiligthümer.
Mit schreckgelähmter Zunge bebt der Christen
Gemeine schaudernd vor dem grausen Opfer,
Das auf des Altars Stufen blutend stürzt.
      Da plötzlich, sieh, wie aus dem Boden wachsend,
Tritt vor das Aug', das brechende, des Nero
Ein Greis hervor, und Neros wirrer Blick
Erkennt den Mann, der sprach: »Es kommt die Zeit,
Wo ich in deines Aug's Pupille rächend steh',
Wie jetzt im Augenstern des todten Mohren!« –
»Du, Alter,« (flüstert Nero noch) »ja, du
Gewannst die Wette! Todessehnsucht hat
Mit Lebensdrang in mir getauscht die Rolle!« –
      Er sprichts und stirbt. – In seiner Kraft und Schöne
Erscheint der stolze Leib dahingestreckt,
Und jener hohe, kühne Göttertrotz,
Den einst die Riesenflamme Roms verklärt,
Lebt in den todten Zügen, wie gehau'n
[243] In kalten Stein, dämonisch wieder auf.
Und wie der Cherub überm Leib des Dämons
Hehr überm Leib des Todten ragt der Greis –
Doch sieh – des Cherubs Ernst, des Rächers Strenge
Schmilzt in dem ernsten, starren Angesicht
Allmälig in der Milde weichen Thau:
      »Geh ein,« so ruft er, »in die heil'ge Stille
Des Todes, seine sanfte Schwing' umschatte
Dich sühnend, stolzverirrter Menschensohn! –
Des Herzens Drang durft'st du nicht ausgestalten
Im Großen, Guten, Schönen, denn die Zeit
Umschnürte dich mit ihrem schnöden Bann –
So bliebst du in dich selbst zurückgedrängt:
Und Liebe – ha, das einz'ge Weib, das je
Dir liebenswerth und hehr entgegentrat,
War – Agrippina, und der heil'ge Stral
Fiel in den öden Abgrund deines Ich's
Nur wie zum Hohn, nur wie ein Racheblitz! – –
So schwebe hin, ein unvergänglich Bild –
Für alle Zeiten eine Grau'nersscheinung,
Und doch im Tiefsten nur ein Spiegelbild
Des ew'gen Götterdrangs der Menschenbrust.« …
      So spricht der Greis. Auf ihn blickt die Gemeine
Der Christen still, der Priester frägt: » Wer bist du?«
      Aufrichtet sich der wildumlockte Fremdling
Und gibt zur Antwort, » Ich bin Ahasverus!« –
      »Der Jude von Jerusalem, der Christo
Getrotzt mit keckem Wort an seiner Schwelle,
Von dem geheimnißvolle Sage meldet,
Daß er zur Sühne ewig wandern muß?« –
[244] Der Greis, sein tiefes Flammenauge rollend,
Versetzt: »Der eurem Heiland trotzte, war
Nicht bloß der Jude von Jerusalem,
Das war schon Ahasver, der ur-uralte,
So alt schon als die Welt: sein Barthaar war
Längst weiß wie Schnee, sein Nacken trug gebeugt
Schon eine Bürde von Jahrtausenden:
Seit Herzen schlagen auf der Erde, wandert
Schon Ahasver und ewig wird er wandern,
So lang noch Herzen auf der Erde schlagen!
Der Jude von Jerusalem, er ist
Nur eine von den wechselnden Gestalten,
Womit ich folge den Jahrtausenden –
Die Asche längst versunkener Geschlechter
Trag' ich an meinen Schuh'n als Wanderstaub …«
      »Wer nennt dich Sohn?« –
                                   »Ich bin der Erstgeborne
Der Ungebornen, der Erschaff'nen – bin
Der erste Sproß des ersten Paars. Ich war
Das erste Menschenkind – und ward der erste
Rebell – mit mir begann die Weltgeschichte,
Ich schrieb ihr erstes Blatt mit blut'gem Griffel:
      Ich wars, der in die Welt den Tod gebracht,
Den unbekannten, ungeahnten Tod:
Ich schlug für ihn ein Thor durch's Herz des Bruders,
Da brach er ein, und wüthet seitdem fort,
Und jedes Kind des Lebens ist sein Sclav'.
Und weil ich in die Welt den Tod gebracht,
Verschont er mich dafür – zum Dank, zur Strafe –
Oft rief ich ihn verzweifelnd, reuevoll,
[245] Und er erschien, ein Scheusal, grinsend mir:
Ich bat ihn, mich hinweg zu nehmen, doch
Er höhnte mich: »Dich will ich übrig lassen!
Im Wandelbaren sei das Bleibende,
Im Sterblichen sei das Unsterbliche!
Asbest im Feuer, Kork im Wasser sei,
In Lüften Flügel, Diamant im Erdreich –
Und ew'ger Pilger in der Menschenwelt!
Hoch auf des Lebens straffgespanntem Seil,
Des Todes Schlund zur Rechten und zur Linken,
Hinwandle schwindelnd und doch stürzend nie!« –
So sprach der Tod und schwand vor mir. Und sieh,
Die Qual der Menschheit, die nach Ruhe strebt
Halbunbewußt, in unbestimmtem Drang,
Mir ward sie aufgeladen, und ich muß
Sie mit Bewußtsein schleppen durch die Zeiten!
      Was stürmt nicht auf das ird'sche Leben ein?
Es dräut der Elemente Wuth dem Menschen,
Das Thier zerfleischt ihn, Wurm und Käfer stechen,
Die Blumen selber streuen Gift auf ihn,
Nur mich verschonen Alle, mich allein.
Die Zeit, das Gift, das schleichende, das Alle
Dahinrafft, über mich hat's nicht Gewalt.
Ich fragte nach dem Tode meine Freunde,
Die Löwen im hyrkan'schen Waldgebirg;
Sie sagten: Geh zur giftgezähnten Schlange:
Die fürchten wir, die muß es besser wissen.
Ich ging zur Schlange,doch die Schlange sprach:
Zum starken Adler wandre, meinem Feind!
Da sucht' ich auf den Aar im Felsenhorst:
[246] Der nahm mich mit, als er zur Sonne flog,
Und schüttelte mich oben ab, und warf
Ins Blumenthal von Enna lebend mich.
       Im Wandelbaren sei das Bleibende,
Im Sterblichen sei das Unsterbliche!

So sprachs zu mir. Und meines Unglücks Trost
Blieb immer nur der Stolz, mit dem ich trotzte
Dem Wandelbaren, das ich wechselnd sah
An mir vorübergehn. Wie sollt' ich mich
Vor einem Gotte beugen? Götter kommen
Und schwinden – ewig wandert Ahasver.
      Und was der wüste Nero sein gewollt,
Der Sterbliche, der Mann des bleichen Tod's,
Das bin nur ich – mit schnödem Eigendünkel
Wollt' er sein zeitgebund'nes Erdendasein
Aufblähen zur Unendlichkeit, und sinnlos
Hat er gefrevelt an dem Bleibenden!
Er wollte sein, was nur die Menschheit selbst ist,
Und ich, ihr Spiegelbild – unsterblich, göttlich!
      Wie lang noch glüht sie, die geheimnißvolle,
Die unaustilgbar stille Todessehnsucht,
Die Eins ist mit dem höchsten Lebensdrang,
Und die durch all' die Umgestaltungen
Des Menschendaseins sich hindurchringt, nie
Befriedigt, ewig trachtend nach dem letzten,
Dem unbekannten Ziel? Ja, dem Geschöpf
Ist eingeboren eine ew'ge Sehnsucht
Nach Ruhe – mag sein Seufzer diese Ruh'
Vollkommenheit, Glück, Himmel, Gott benennen!
Nach diesem letzten Ruheziele strebt
[247] Es hin voll Unruh – und der Einzelne
Er findets doch im Tod – die Menschheit aber
Muß leben, streben, ringen immerdar,
Und ich, ich bins, der diese Qual der Menschheit,
Des unbefriedigt-ruhelosen Daseins,
Begleiten muß durch die Jahrtausende! –
      Zeitalter gibt es, trübe, wo nach neuer
Gestalt das Dasein ringt – da steigert sich
Die ruhe-sehnende Rastlosigkeit
In meiner Brust zur wilden Qual. Ich stürze
Mich in des Lebens vollste Strömung dann,
Ich fälle, was da schwankt, ich wecke, sporne,
Ans Rad der Zeit rühr' ich mit starker Hand,
Nicht hemmend, nein, beschleunigend – ich bin es
Der den Entscheidungs-Augenblick beflügelt,
Daß nicht zu lang die Wirrsal hin sich schleppe –
Denn ist vorüber solche böse Zeit,
Und kommt in neuem Sein zur Ruh die Menschheit,
Winkt freundlich mir auch eine kurze Rast,
In der ich meiner Sehnsucht fast vergesse.
Dann schlummr' ich tief in still verborg'ner Höhle,
Und erst wenn so Jahrhunderte verflossen,
Erwach' ich wieder aus dem Schlaf, besinne
Mich auf mich selbst und mein unsterblich Dasein
Und trete aus der dunklen Höhl' ans Licht,
Zu sehn, zu fragen, ob das ird'sche Leben
Noch stets nicht müde ward des ew'gen Wandels,
Und stets die Weiber Kinder noch gebären? – –
      Solch eine kurze Ruh nun seh' ich mir,
[248] Ob auch noch aus der Ferne, wieder winken –
Denn eine arge Zeit sah ich vertoben,
Und niederschmettern half ich den Titanen,
Der des Jahrhunderts Geist in sich zum Dämon,
Zum Ungeheuer groß gesäugt, und der
Sich frevelnd auf der Menschheit Nacken stellte,
Als Götterbild, so lang' er stand, und jetzt
Im Sturz ein Riesendenkmal seiner Zeit!

      Die wilde Größe des Cäsarenalters,
Hinstürzt sie jetzt mit ihm: was nach ihm kommt,
Ist nur ein schnödes Epigonenthum,
Ein klägliches, selbst nicht mehr groß genug
Zu großen Lastern. Eine neue Zeit
Sucht neue Helden sich auf neuer Stätte.
Der neugeborne Phönix Menschengeist,
Gen Norden fliegt er, und in freiern Lüften
Abschüttelt er von goldner Schwinge dort
Den Aschenrest des Brandes, draus er stieg.
Hinwandr' ich, wo die junge Zukunft schon
Sich machtvoll vorbereitet in der Stille.
In deine Wälder wandr' ich, o Germane,
Und wecke die Barbarenfürsten auf,
Daß brausend sie mit ihrem Völkerzug
Wie Geier sich auf's Aas des Weltreichs stürzen.
Wenn sie die Lüfte so gereinigt, werden
Sie freudig ihrer Urkraft Bündniß schließen
Mit eurer milden Lehre, und anbrechen
Wird wieder eine Zeit, wo sich das Herz
Der Menschheit hebt in neuer Lebensfrische.
[249] Dann will zu euch ich, o ihr Männer, kommen
Und, müde von der langen Pilgerschaft,
Will ich im Schatten eures Kreuzes mich
Hinstrecken, nicht auf ewig auszuruhn, –
Zu sanfter Rast ein wenig einzuschlummern.«


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