Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Dreizehntes Kapitel.

Ein kleines Kapitel, aber sehr bedeutsam. Jungfer Clementine hat ihre schöne Stunde, und drei ihrer Freunde beschäftigen sich mit ihrem zukünftigen Wohlergehen.

Die Thüre öffnete sich, und die Gebrüder Schoppelmann traten herein. Sie ließen sich nieder, und der Fuhrmann betrachtete ziemlich unfreundlichen Blickes den Bedienten, der sein Geld auf den Tisch legte.

»Bis ein anderes Mal!« rief ihm die Wirthin zu.

Joseph setzte seinen lackirten Hut unternehmend auf das Ohr und schritt hochmüthig neben den Brüdern vorbei zur Thür hinaus. Er schlenderte durch den langen Gang und wollte eben zum Hause hinaus treten, als er einen Mann um die Ecke der Nebenstraße kommen sah, bei dessen Anblick er sich sehr behende wieder in den Hausgang zurückzog.

Dieser Mann war aber Niemand anders, als der Schulmeister und lustige Rath, und da der getreue Diener um Alles in der Welt hier nicht gern von ihm gesehen worden wäre, so näherte er seinen Kopf so viel als möglich der Thürspalte, um bemerken zu können, was Jener in diesem abgelegenen Stadtviertel beabsichtigte.

Der lustige Rath schien aber durchaus keine Ahnung davon zu haben, daß er sich hier einem für unsere Geschichte und wohl auch für ihn selber so sehr interessanten Terrain nähere, daß ihn links aus dem Hausgang der Weinkneipe der getreue Pierrot beobachte, und daß sich rechts das Zimmerchen der Jungfer Schoppelmann befinde. Sein Besuch, den er dieser Gasse abstattete, war sehr harmloser Natur und galt dem musikalischen Nebenhause oder vielmehr einem der Bewohner desselben, einem ehemaligen Kollegen, dessen Aufenthalt in hiesiger Stadt er jetzt erst erfahren.

Die beiden Brüder im Gastzimmer, als sie vernahmen, daß Joseph wieder in den Hausflur zurücktrat, mochten wohl glauben, er halte sich da auf, um zu horchen, und schickten die Wirthin hinaus, nach ihm zu sehen. Mit zwei Worten aber verständigte der Bediente diese würdige Frau, warum er hier gezwungen sei, auf der Lauer zu stehen, und zeigte ihr den Schulmeister, der soeben hinter der Thüre des musikalischen Hauses verschwand. Sobald er auf diese Art aus seinem Gesichtskreis war, schlüpfte Joseph aus der Schenke und schlich an den Häusern hin, um nicht zufällig von dem Andern gesehen zu werden.

Frau Schilder rief in die Gaststube hinein, daß die Luft vollkommen rein sei, daß sie gleich kommen werde, und darauf blieb sie noch einen Augenblick unter ihrer Hausthüre stehen.

Wir glauben gesagt zu haben, daß diese Schenke mit dem musikalischen Hause einen stumpfen Winkel bildet, wodurch es also möglich war, die Fenster des letzteren von der Hausthüre der ersteren genau zu übersehen. Gegenüber hatte die Frau Schilder das Haus der Frau Schoppelmann, mit dem uns wohlbekannten Fenster des Zimmers der schönen Katharina, und über demselben die Wohnung der Jungfer Clementine Strebeling.

Letztere war zu Hause; sie hatte ihre beiden Fensterflügel geöffnet, wahrscheinlich um den Duft einiger Resedenstöcke einzuathmen, die auf der Brüstung standen, sowie die Klänge der schönen Lieder zu vernehmen, die von dem musikalischen Hause herüberschallten.

»Die Lotusblume ängstiget
Sich vor der Sonne Pracht –«

klang es von dort herüber, und Jungfer Strebeling blickte aufwärts zum Himmel; denn mit dem Namen Lotusblume verband sich allerlei hochpoetische Ideen, und dieser Name zauberte phantastische goldene Bilder vor ihr zartes Gemüth.

Lotusblume! – Dabei dachte sie an Indien, das fabelhafte Land der Bajaderen und Elephanten, den Schauplatz all der schönen Märchen, die sie in ihrer Jugend gehört; an Palmenwälder, an rieselnde Blumen, an Blumenduft und zauberische Klänge.

Lotusblume! – Die stand an einem kleinen stillen See, und das Gesicht dieser Blume neigte sich über den Wasserspiegel, schwankte vor und zurück, sehnsüchtig, einmal ein anderes Bild zu schauen, als das ihrige, und zurück schreckend, wenn das Wasser leise anschwoll und rauschte, als fürchte sie etwas Entsetzliches, das dort erscheinen könne, ihre zarte Jungfräulichkeit rauh zu begrüßen. – Und doch sehnte sie sich unbewußt nach diesem Entsetzlichen. Gerade so ging es der armen Clementine:

»Die Lotusblume ängstiget
Sich vor der Sonne Pracht.«

Und die unschuldige alte Jungfer ängstigte sich ebenfalls vor ihrer Pracht – und diese Sonnenpracht war ihr die Liebe – und davor fürchtete sie sich ganz gewaltig. Ach, sie fühlte sich so behaglich im Schatten kühler Denkungsarten, und doch hätte sie aus diesem Schatten einmal so gern hinausgeschaut in das von heißer Gluth und fröhlichen Sonnenstrahlen beglänzte Leben!

»Sie duftet und weinet, sie weinet und zittert,
Vor Liebe und Liebesweh.«

Aber es muß eigentlich etwas Süßes sein, vor Liebesweh zu duften, zu weinen und zu zittern, meinte Clementine.

»Sie blüht und glüht und leuchtet
Und starret stumm in die Höh' –«

scholl es sehnsuchtsvoller von drüben herüber, und Clementine, die bis jetzt ängstlich die Blicke auf ihr Busentuch geheftet, starrte nun plötzlich in die Höhe, ganz wie die Lotusblume, und wäre gern von dem Fenster zurückgefahren, wenn dieses im selbigen Augenblicke nicht höchst unschicklich gewesen wäre. Denn als sie so in die Höhe starrte, stand drüben ein junger Mann an dem Fenster, der sich sittsam herüber verneigte, als er so wenige Fuß von seiner Nase plötzlich die himmelblauen Augen der Jungfer Clementine Strebeling erglänzen sah, oder schimmern sah, oder überhaupt nur sah.

In diesem Augenblicke klangen die Worte des Gesanges:

»Der Mond, der ist ihr Buhle:
Er weckt sie mit seinem Licht,
Und ihm entschleiert sie freundlich
Ihr frommes Blumengesicht.«

Dieser Vers war außerordentlich passend; denn wir wissen bereits, daß das Antlitz des Herrn Sidel in seiner glänzenden Fülle etwas vom Vollmond an sich hatte. Auch konnte man, ohne gerade ausschweifend zu sein, das Gesicht der alten Jungfer für ein frommes Blumengesicht ansehen; denn es gibt allerlei Blumen, und Clementinens Antlitz hatte in der That etwas von einer gelben Malve, welche Regen und Sturm getrotzt hat, und über deren zarte Blätter ein eisiger Novemberwind unbarmherzig gestrichen ist.

Aber dem sei wie ihm wolle; Herr Sidel grüßte herüber, Clementine hinüber – und zwar:

»Vor Lie-ie–ie–ie–besweh. –«

So sang der unsichtbare Sänger des eben genannten Liedes mit höchstem Kraftaufwand seiner Lungen und offenbarem Stimmmangel.

Alles das sah Frau Schilder unter ihrer Hausthüre, nur mit ganz anderen Augen und nicht mit solch hoher Poesie. Sie bemerkte recht gut, welchen tiefen Knix die alte Jungfer machte, als jener fremde Herr hinüber grüßte, und wie ihr gelbes, dürres Gesicht von einer sanften Röthe überstrahlt wurde.

»Ei, ei, das freut mich,« sprach sie zu sich selber, »das wäre vortrefflich zu benutzen! Nur muß ich mich vor den beiden Büffeln da drinnen in Acht nehmen. Das sind ein paar tappige, liederliche Tagdiebe, denen man nicht zu viel trauen darf. – – Aha, jetzt knixt die alte Jungfer abermals, und da ich den Herrn nicht mehr am Fenster sehe, so wird er sich zum Weggehen rüsten. Warten wir noch einen Augenblick!«

Die würdige Frau hatte richtig vorausgesehen. Die Thüre des musikalischen Hauses öffnete sich wieder, und heraustrat der Schulmeister und lustige Rath, dessen Besuch nun zu Ende war und der durch diesen unglückseligen Besuch das Herz der armen Clementine in einigen Aufruhr versetzt zu haben schien. – Richtig, jetzt geht er die Gasse hinab, und sie beugte sich zum Fenster heraus, um ihm nachzusehen. Ob er an der Ecke der Straße noch einmal umgeschaut, können wir nicht mit Bestimmtheit angeben, wenn es aber geschah, so war es reiner Zufall – denn wir müssen die bündigste Erklärung abgeben, daß der gute Schulmeister an jenes zarte, blasse Wesen, das er nur aus Artigkeit gegrüßt, auch nicht im Geringsten weiter dachte.

Die Gebrüder Schoppelmann waren unterdessen durch das Ausbleiben der Wirthin einigermaßen ungeduldig geworden und machten ziemlich unfreundliche Gesichter, als sie wieder hereintrat.

Die Frau bemerkte das aber durchaus nicht, oder schien es nicht bemerken zu wollen; denn sie setzte sich an ihr Fenster und nahm das schmierige Zeitungspapier wieder in die Hand.

Die Brüder tranken in ihrem Unmuthe die Schoppen leer und verlangten neue. Nachdem diese gebracht waren, entstand abermals eine Pause, welche die Wirthin durchaus nicht Willens schien, durch irgend ein interessantes und lehrreiches Gespräch zu unterbrechen.

»Das muß schon wahr sein,« sagte endlich der Fuhrmann nach einer Pause, »bei Euch findet man zuweilen ganz kuriose Gesellschaft. War das nicht der Strolch, der bei dem Stillfried Bedienter ist? – 's war gut, daß er davon ging; denn wenn ich mit ihm bekannt geworden wäre, so hätte ich ihm gleich seinen Wein sauer gemacht.«

»Was?« versetzte die Frau und schien entrüstet; »mein Wein sei sauer? Wer kann das sagen? – Und wenn er wirklich sauer wäre, wer zwingt Euch denn, ihn zu trinken? Laßt ihn nur in Gottes Namen stehen!«

»Die will heute einmal wieder taub sein!« sagte der Jäger zu seinem Bruder; »sie hat wieder ihren schlechten Tag. – He, Frau Schilder, hört ihr wieder einmal nicht gut?«

»Leider, leider!« entgegnete die Frau; »die Hitze regt mir das Blut auf und schlägt mir aufs Gehör.«

»So kann man heute kein Geschäft mit Euch besprechen?« sagte der Fuhrmann.

»Geschäft?« entgegnete die Wirthin; »ich weiß von keinem Geschäft, das wir zusammen hätten.«

»Nicht?« lachte Jener. »Sie ist heute ungeheuer vergeßlich!«

»Mein Kopf ist zuweilen schwach,« meinte die Frau seufzend, »was wollt Ihr eigentlich?«

»Nun ins Teufels Namen!« rief der Fuhrmann ärgerlich und sehr laut; »von wegen der Briefe, die wir schreiben sollen; ich will Geld verdienen.«

»Ah das?« antwortete gleichgültig Frau Schilder, nachdem sie einen Blick in den Hausflur geworfen, um sich zu überzeugen, daß Niemand da sei, der unbefugter Weise die lauten Worte des Fuhrmanns vernehme.

»Natürlich das!« entgegnete dieser; »habt Ihr denn nicht von selbst von der Geschichte angefangen? – Warum stellt Ihr Euch denn jetzt so donnermäßig dumm an? He!« »Ja, das war damals,« entgegnete die Wirthin, »aber es ist nichts mit der Angelegenheit.«

»Warum nicht?« fragten die Brüder.

»Es geht nun einmal nicht,« sagte achselzuckend Frau Schilder.

»Und warum geht es nicht?«

»Nun, ich will es Euch offenherzig sagen, aber – ich trau' Euch auch nicht recht.«

»Uns?« riefen die beiden Brüder zornig aus.

»Versteht mich recht,« fuhr die Frau fort, »nur in so weit trau' ich Euch nicht, als ich fürchte, Ihr könnt das Schwätzen nicht lassen, da Ihr genau wißt, daß ich allein den Kopf in der Schlinge habe.«

»Dummes Zeug! wer wird so was glauben?« sagte der Fuhrmann.

»So was glaube ich,« meinte lächelnd die Frau; »'s ist schade um das schöne Geschäft; es war Alles so gut wie eingeleitet. Schon heute hätten wir den ersten Brief schreiben können; und ich bin überzeugt, sie wär' sogleich Feuer und Flamme gewesen, und es wäre was Tüchtiges abgefallen.«

»Nun, so thun wir's doch!« rief hitzig der Fuhrmann; »gebt mir Feder und Papier, das ist gleich abgemacht!«

»Nein, nein, ich mag nicht!« sagte die Frau.

»Noch einen Schoppen!« rief der Fuhrmann; und als die Frau aufstand, um ihn zu holen, sagte er leise zu seinem Bruder: »Gib nur Acht, die ganze Komödie, welche die Alte spielt, dreht sich einzig darum, laß sie etwas mehr herausschlagen will – von dem Gewinnst nämlich; wir hatten abgesprochen. Jeder von uns Dreien bekomme ein Drittel, was nicht mehr als billig ist – pass' auf, so wie wir ihr den Willen thun und ihr vom Ganzen die Hälfte lassen – sie meint, sie könne das ansprechen, weil alle Gefahr auf ihrer Seite wäre – so wird sie gleich nachgeben; im Grunde ist's ja einerlei; denn was sie mehr bekommt, das pumpen wir ihr hintendrein doch wieder ab.«

Die Frau kam mit dem Wein zurück und setzte ihn auf den Tisch.

»Wie hatten wir es doch damals verabredet?« fragte der Fuhrmann. »Wenn ich mich recht erinnere, so solltet Ihr vom Gewinn die Hälfte haben, und wir zusammen die andere Hälfte. – War es nicht so, Frau?«

Ein kaum sichtbares Lächeln flog über das Gesicht der Wirthin, doch waren gleich darauf ihre Züge wieder hart und mürrisch wie zuvor.

»Seid doch nicht eigensinnig!« fuhr der Andere fort; »so was kommt nicht sobald wieder; da mein Bruder Konrad hilft auch mit. Laßt uns an die Arbeit gehen und weiter keine Worte verlieren. Na, sagt Eure Meinung: was schreiben wir zuerst?«

Jetzt hatte die Frau den Fuhrmann so weit, wie sie ihn haben wollte; er hatte ihr die Hälfte des Gewinnstes versprochen, und obendrein war jetzt der Andere der überredende Theil. Ging die ganze Angelegenheit einmal schief, so konnte sie immer sagen: »Warum habt Ihr mich dazu genöthigt? Ihr wißt ganz wohl, daß ich nicht gewollt habe!« Und darauf konnte sie weiter sagen: »Ihr habt mich ins Unglück gebracht – in einem solchen Falle nämlich – jetzt bringt mich wieder heraus!« – Die alte Frau Schoppelmann war eine wohlhabende Frau und die beiden Söhne hatten einmal ein tüchtiges Erbe zu erwarten.

Fast eine Viertelstunde lang überlegte die Frau hin und her; bald schüttelte sie den Kopf, bald blickte sie an die Decke, bald dem Fuhrmann ernst ins Gesicht, und dann schien ihre feste Tugend ein wenig weich zu werden, und endlich sprach sie: »Nun denn, ich will Euch den Gefallen thun, es bleibt also bei den besprochenen Bedingungen?«

»Ihr bekommt die eine Hälfte vom ganzen Gewinnst, und wir Beide zusammen die andere; billiger kann man nicht sein!«

»Und der ist ein schlechter Hund,« sagte der Jäger, »der den Anderen verräth; in einem solchen Falle sollen die beiden Anderen das Recht haben, ihn todt zu schlagen.«

»Das läßt sich hören!« erwiederte der Fuhrmann, »ich bin dabei.«

»Ich auch!« sagte die Wirthin; denn sie dachte bei sich: »Mit dem Todtschlagen hat's gute Weile!«

Darauf reichten sich die drei Verbündeten über dem Tische die Hand; die Wirthin holte Papier, Dinte und Feder, rückte ihren Stuhl neben den des Fuhrmanns und diktirte einen Brief, den Dieser niederschrieb.

Was in diesem Briefe stand, werden wir uns erlauben, dem geneigten Leser so bald als möglich mitzutheilen.


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