Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Achtes Kapitel.

Handelt von einem guten Freund und einem getreuen Diener.

Das Zimmer, in welches wir die beiden jungen Leute eintreten sahen, war elegant, ja reich möblirt. Zwischen den Fenstern standen die bekannten Aeolsharfen mit ihrem melancholischen Geflüster; über einer derselben hing der erwähnte Blumenkranz. Lange und breite seidene Vorhänge ließen fast nicht mehr Platz, als die Kasten jener Instrumente brauchten. Das Ameublement in dem Zimmer war, wie gesagt, reich, dazu sehr manigfaltig. Da standen Fauteuils und Sessel von allen Formen, Farben und Größen, Tische und Stühle, den verschiedensten Zeiten angehörend, in der Ecke auf einem alten holzgeschnitzten Büffet Porcellanvasen neuerer Zeit mit Blumen, oder pompejanische Krüge und Bronzen. Von letzteren war überhaupt in dem Zimmer eine große Menge zu finden, und neben prachtvollen alten und seltenen Sachen, neben den interessantesten Thierfiguren sah man nackte Mädchengestalten in allen erdenklichen Stellungen und Lagen, theils schön, theils unbedeutend ausgeführt. An den Wänden hingen werthvolle Aquarelle neuerer Meister in schwarzen Ebenholzrahmen, das kleinste Blättchen derselben aufs breiteste eingefaßt, mit einer wahren Verschwendung von Papier, Glas und Holz.

In dem Zimmer, in welchem wir uns eben befinden, sind zwei Thüren: die eine führt in ein kleines Vorzimmer, welches an den Hausflur stößt, die andere in ein Seitenkabinet mit Schreibtisch, einigen kleinen Fauteuils und einer Art türkischen Divans in einer alkovenartigen Nische. Auch hier Bilder an den Wänden, Vasen, Bronzen, seltene Tassen und Porcellanfiguren, auf allen Etageren, Tischen, Komoden, und wo sonst noch Platz war. Ueber dem türkischen Divan war eine Sammlung prächtiger alter Waffen aufgehängt, eine kleine Trophäe, aus nicht zu vielen Stücken bestehend, aber in ausgesuchten Exemplaren. Was von diesen Dolchen, Pistolen, Schwertern, Armbrüsten, Pulverhörnern, Streitkolben nicht durch besondere Einrichtung oder hohes Alter selten war, erschien nun kostbar und reich mit Gold, Silber und Elfenbein ausgelegt oder mit Edelsteinen verziert.

An dieses kleine Schreibkabinet stieß ein Schlafzimmer nicht minder reich und elegant eingerichtet. Hier waren einige seltene alte Oelbilder, welche auf den Bewohner dieser Gemächer von dem Vater her vererbt worden waren.

In dem Vorzimmer, dessen wir Anfangs erwähnten, stand ein Bett für den Bedienten, was deßhalb so eingerichtet worden war, daß er unten an der Hausthüre und gleich bei der Hand war, wenn sein Herr, was häufig vorkam, sehr spät in der Nacht heimkehrte.

Der Herr dieses Bedienten und dieser Zimmer war nun aber, wie der Leser bereits wissen wird, jener junge Mensch, der sich in den Fauteuil geworfen, Eugen Stillfried, der Sohn der verwittweten Staatsräthin. Da es an sich sehr schwierig und undankbar ist, Jemanden mit der Feder und in Schriftzügen zu portraitiren, sich auch der geneigte Leser, wenn er anders unserer Geschichte einige Aufmerksamkeit widmet, aus dem vorigen Kapitel gewiß schon ein Bild von dem jungen Manne, der vor uns sitzt, entworfen hat, so fügen wir nur noch hinzu, daß seine Gestalt, obgleich ziemlich groß, etwas fein und schlank war, und sein Gesicht, mit sehr gewinnendem, angenehmem Ausdruck, zuweilen abgespannt, ja leidend aussah, namentlich wenn er, wie es in diesem Augenblicke der Fall war, ruhig dalag, und nachzudenken schien, die Augen auf den Boden geheftet, wodurch sie fast geschlossen erschienen.

Daß der andere junge Mann derselbe war, dessen der Justizrath vor der Staatsräthin in seinem Sinne nicht eben schmeichelhaft erwähnte, brauchen wir ebenfalls wohl nicht erst zu bemerken. Diesel war vielleicht einen Kopf kleiner als Eugen, und was ihm an Körperlänge fehlte, hatte er in der Breite zugesetzt. Sein Kopf stak dabei so tief in den Schultern, daß es eine fade Schmeichelei gewesen wäre, wenn man von seinem Halse gesprochen hätte. Dieser Kopf, rund, sehr wohl aussehend, mit frischer Gesichtsfarbe und dicken Backen, zeigte ein starkes schwarzes Haar, das, da es obendrein sehr kurz geschnitten war, borstenartig in die Höhe stand. Seine Augen, klein, von dunkler Farbe, waren außerordentlich lebhaft, ja durchdringend und von einer merkwürdigen Beweglichkeit. Eugen behauptete, ihm, seinem Freunde nämlich, sei, wie keinem andern Sterblichen, die Möglichkeit verliehen, um eine Ecke zu sehen oder zu bemerken, was hinter ihm vorgehe.

Dabei war dieser Freund der Geschäftsführer, der Wirthschaftsbesorger, der Rathgeber in allen Dingen des anderen jungen Herrn. Man hätte ihn auch seinen Schutzgeist nennen können – doch hat ein Schutzgeist gewöhnlich die Macht, seinen Schützling von tollen Streichen abzuhalten, was Jenem bei den eifrigsten Bemühungen nicht immer gelungen war. So viel es dagegen in seinen Kräften stand, bemühte er sich, den jungen Menschen, welchen ihm damals die Mutter, als er noch ein Knabe war, anvertraut, auch jetzt noch aufs genaueste zu beaufsichtigen, und suchte ihn so viel als möglich von einem Wege abzubringen, auf welchem er im Begriffe war, sich in jeder Hinsicht zu ruiniren.

Eugen hatte zu seinem Mentor ein unbegrenztes Vertrauen, und das mit vollem Recht. Er nannte ihn seinen lustigen Rath und folgte bei ruhiger Ueberlegung auch fast beständig dessen gutgemeinten Nachschlagen. Der eigentliche Name des Herrn Raths war aber Sidel, und er seines Zeichens Pädagog und Knabenerzieher.

Kein Mensch konnte es eigentlich begreifen, wie die Beiden zusammen so lange aushielten, vielmehr, weßhalb der Schulmeister seinem Zöglinge nicht schon längst davon gelaufen war. Sein Charakter schien so gar keinen Geschmack an diesem oftmals so wilden Leben zu finden, und das drückte sich auch in seinen Worten und Mienen unverholen aus, war aber dagegen eine Quelle unendlicher Lachlust für Eugen, für den es kein größeres Vergnügen gab, als wenn sein lustiger Rath mit dem verdrießlichsten Gesichte, mit der mürrischsten Miene von der Welt zu einem tollen Streich mithalf.

Der Dritte in dieser Junggesellenwirthschaft nun, der Bediente nämlich, war, wie jeder Bediente eines ledigen Herrn, ein sehr wichtiges Mitglied dieses Haushaltes. Er hieß Joseph, und wenn man ihn sah, die ganze schlottrige Figur, auf der die sauber gemachte Livree wie an einem Kleiderständer hing, mit einem Gesichte voll unergründlicher Dummheit, so glaubte man den harmlosesten und unschuldigsten Menschen vor sich zu haben. Er schien kaum so viel moralische Kraft zu besitzen, um seine Augen so weit zu öffnen, daß er die Stiefel desjenigen betrachten konnte, mit dem er gerade sprach. Höher hinauf als bis zum untersten Westenknopf kam er bei diesen Betrachtungen niemals, und man hätte darauf schwören können, er habe noch nie Jemand in das Gesicht geblickt. Dazu waren seine Augenbrauen auf eine lächerliche Art hoch emporgezogen, die Mundwinkel dagegen sanken tief herab, und wenn man dieses Gesicht weiß geschminkt hätte, und das an sich schon sehr große Maul noch durch einige rothe Farbe etwas vergrößert, so hätte man die wirksamste und komischste Pierrotmaske gehabt, die je auf dem Theater erschienen.

Zuweilen führten diese Drei in ihrem Hauswesen auch unbewußt solche lächerliche und merkwürdige Scenen auf, die unwillkürlich an eine vollkommen einstudirte Harlekinade erinnerten. Da war denn Joseph der trefflichste Pierrot und half seinem jungen Herrn mit der größten Freude, den lustigen Rath Pantalon zu überlisten, benahm sich aber dabei so tölpelhaft und ungeschickt, daß er Alles wieder verdarb und zuletzt, wie in der Komödie, immer derjenige war, der den Schaden davon hatte oder die Prügel bekam.

Monsieur Joseph-Pierrot hatte also den beiden Herren die Thüre geöffnet und zeigte dabei ein entsetzlich verschlafenes Gesicht. Er taumelte ordentlich mit dem Lichte hin und her, und als sich nun sein Herr in den Fauteuil geworfen, der Hund dagegen auf dem Boden die Garderobe versorgt wie gewöhnlich, und sich der lustige Rath an den Tisch gesetzt, um die Zeitung zu lesen, begab sich Joseph wieder in sein Vorzimmer, setzte sich dort in einen alten mit Leder überzogenen Lehnsessel und begann nach wenigen Augenblicken gelinde zu schnarchen. Einige Minuten hörte man so in den Zimmern nichts, als das melancholische Geflüster der Aeolsharfen, das Picken der verschiedenen Uhren, das Rauschen des Papiers, wenn der Rath seine Zeitung umwandte, und das tiefe Athemholen des großen Hundes.

»Haben wir denn gar nichts zu trinken im Hause?« fragte endlich Eugen, »ich habe einen unendlichen Durst. – Geht dir's nicht auch so, Herr Rath? Die Hitze von heute hat mich ganz ausgetrocknet.«

»Ich habe dem Joseph anbefohlen, er solle etwas Gefrorenes parat halten; der Schlingel hat's wahrscheinlich wieder vergessen.«

»Das wollen wir gleich einmal untersuchen. Er schläft schon wieder und schnarcht, daß man es zwei Häuser weit hören kann. – He, Joseph!«

»Vielleicht thut er auch nur so,« sagte ruhig der Rath, ohne von seiner Zeitung aufzublicken; »es wäre, glaube ich, nicht das erste Mal.«

»Ach, was du immer für Gedanken hast! Dieser dumme, faule Kerl – zwei Eigenschaften, die mir ihn unendlich werth machen,« entgegnete Eugen lachend. Dann setzte er leise hinzu: »Aber wart' nur einen Augenblick, Sultan soll ihn aufwecken und herbringen.«

Der große Neufundländer, der seinen Namen gehört, wedelte mit dem Schweife, und seine Augen blitzten unter den dichten Haaren seines Kopfes hervor.

Das Geschnarche im Nebenzimmer hatte sich indessen auffallend vermindert.

»Hussa, Sultan,« rief jetzt Eugen mit lauter Stimme, »Hussa, hol' den Joseph!«

Monsieur Pierrot schien vorher erwacht zu sein und keine große Lust zu haben, auf den Hund zu warten, der jetzt mit einem ungeheuren Satz ins Nebenzimmer sprang. Er beendigte seinen Schnarcher mit einer kunstgerechten Fermate und stolperte in das Wohnzimmer.

Der Herr Rath blickte lächelnd in die Höhe und fragte: »Nicht wahr, mein lieber Joseph, ich habe dir befohlen, du sollest ein paar Portionen Gefrorenes aus dem Kaffeehause holen und parat halten? Gib es her, mein Freund; dein Herr ist durstig, wir brauchen etwas Kühlendes.«

Joseph beantwortete diese Anrede mit einem wo möglich noch dümmeren Gesicht, als er gewöhnlich machte. Dazu kratzte er sich hinter dem Ohre und sagte nach einer Pause mit einem blödsinnigen Lächeln: »Ah ja, das Gefrorene!«

»Nun, so bring es her, Schnecke!« rief Eugen. »Ja, das Gefrorene,« wiederholte der Diener und suchte verlegen auszusehen, »das Gefrorene habe ich allerdings geholt aus dem Kaffeehause, aber es ist ...«

»Wahrscheinlich ausgelaufen, wie gestern die versiegelte Rheinweinflasche, nicht wahr, Joseph?« fragte der lustige Rath.

»Ausgelaufen nicht,« erwiderte der Bediente, »aber es ist von der großen Hitze geschmolzen.«

»Nein aufgeschmolzen?« sagte lachend der Rath.

»Ja wohl, Herr Sidel,« antwortete Joseph, »rein aufgeschmolzen.«

»Und dann,« examinirte der Andere weiter, hast du es ausgesoffen, nicht wahr, mein Freund?«

»Es kann so sein!« antwortete Monsieur Pierrot und sah seinen Herrn an, ob er wohl lachen würde.

Dieser aber entgegnete ärgerlich! »Du bist ein rechtes Kameel, Joseph! Du hättest das Eis wohl in den Keller stellen können, da wäre es gewiß nicht zerflossen,«

»Ja, das ist wahr,« sagte Joseph mit einer Miene der Ueberraschung, als gehe ihm jetzt erst über diesen Gegenstand das klarste Licht auf.

»So hole mir eine Flasche Champagner aus dem Keller!« befahl Eugen, und der lustige Rath setzte hinzu: Eine halbe, bester Joseph, der Herr trinkt doch nur ein Glas.«

Eugen nickte mit dem Kopfe, und der Bediente ging hinaus.

»Meinst du nicht,« sprach nach einer Pause Eugen zu seinem Freunde, »daß das Eis wirklich geschmolzen ist? Du lachst wieder so spöttisch und machst mir ein so zweifelhaftes Gesicht. Bei der Hitze ist das leicht möglich.«

»Ja, das ist alles möglich,« entgegnete der Rath; »aber ebenso möglich ist es auch, daß Monsieur Pierrot meinen Auftrag vergessen und gar kein Gefrorenes geholt hat.« –

»O, dann hätte er seine Tölpelei gewiß eingestanden.« »Aber kein Geld aufschreiben können für das Eis, das er gewiß und wahrhaftig nicht geholt hat,« sagte der Rath mit ernster Stimme.

»O, du denkst von diesem Esel viel zu schlecht,« antwortete Eugen.

»Und du viel zu gut,« sagte der Andere; »wir wollen schon sehen, wer Recht behält.«

In diesem Augenblicke erschien Joseph mit einer kleinen Flasche Champagner und zwei Gläsern. Er nahm den Kork herunter, schenkte ein und präsentirte ein Glas seinem Herrn, das andere dem lustigen Rath; dann zog er sich wieder in sein Vorzimmer zurück.

Eugen trank seinen Kelch aus und setzte ihn neben sich auf den Boden. Nach einer längeren Pause sagte er: »Das muß ich dir schon gestehen, ich fange wieder an, mich hier unbeschreiblich zu langweilen, und wenn die Geschichte nicht wäre mit ihr, ich hätte die Stadt schon lange wieder einmal verlassen.«

Joseph im Nebenzimmer begann wieder ganz leise zu schnarchen.

»Kommt es dir nicht auch entsetzlich langweilig vor,« fuhr Eugen fort, »dieses Leben, das»wir hier führen? Jeden Tag das Gleiche, keine rechte Unterhaltung, kein Amüsement; ja, wenn das Mädchen nicht wäre, ich hätte schon lange wieder einmal eine Fußreise unternommen.«

»Das könnte uns allerdings zerstreuen,« entgegnete der Rath.

»Man sollte sich eigentlich an gar nichts binden,« sagte Eugen; »Fesseln und Bande, auch wenn sie noch so angenehm sind, bleiben immer drückend.«

»So ändere diese Geschichte,« antwortete der Andere, »es wäre auf jeden Fall viel vernünftiger. Wie ich dir schon oft gesagt: was kann überhaupt dabei herauskommen? Du bildest dir nur ein, du liebest dieses Mädchen, du denkst an sie den ganzen Tag über, du bist zu nichts Anderem aufgelegt, treibst dich stundenlang in den schmutzigen Straßen der Stadt umher, um dafür alle zwei bis drei Tage, freilich unentgeldlich, einen Blumenstrauß zu erhalten.«

»Ich bilde mir nicht blos ein, sie zu lieben,« entgegnete Eugen, »ich liebe sie auch wirklich, ich könnte ihr jedes Opfer bringen, um – sie glücklich zu machen.«

»Weißt du aber auch,« sagte der Rath, »ob du die richtigen Begriffe über dieses Glücklichmachen hast? – Ich glaube es nicht. Du fängst da mit diesem Mädchen eine Liebesgeschichte an, du sagst ihr, wo und wie du immer kannst, schöne Worte, du hast sie auch einmal nach Hause begleitet und geküßt; aber wenn du meinst, daß du dadurch das Mädchen glücklich machst, so kann ich dich versichern, daß du sehr verkehrte Ansichten hast.«

»Du gibst allerdings Einzelheiten,« versetzte Eugen, »die an sich unbedeutend sind; aber die Hauptsache verschweigst du, daß ich sie nämlich liebe, daß ich sie außerordentlich und innig liebe.«

»Außerordentlich? – Ja, das glaube ich!« lachte der Rath; »ihr wirds aber wahrhaftig angenehmer sein, wenn du sie ordentlich lieben wolltest, d. h. mit ordentlicher und solider Absicht.«

»Und diese wäre?« fragte Eugen.

»Die Absicht, sie zu heirathen!« sagte ruhig der Rath. »Wenn du das allerdings im Sinne führst, ah! dann ist gegen eine solche rechtschaffene Absicht gar nichts zu sagen.«

»Daran habe ich wahrhaftig noch nicht gedacht,« entgegnete Eugen mit leiserer Stimme, »das ist mir noch nie eingefallen. Das ist ja auch ganz unmöglich.«

»So! das siehst du also ein und treibst doch diese Geschichte fort? Nun, ich wünsche dir viel Glück zu einer solchen Unterhaltung. Das wird aber sicher noch einmal auf eine unangenehme Art enden.«

Joseph im Nebenzimmer schnarchte bald sehr leise, bald einige Takte mit äußerster Heftigkeit. Letzteres aber geschah merkwürdiger Weise nur dann, wenn im Gespräch, das wir eben mitgetheilt, eine kleine Pause entstand.

»Und schon lange habe ich mir vorgenommen, einmal mit Katharine ernster zu sprechen, aber ich komme nie dazu. Du selbst hast mich ja immer gewarnt, jenes Haus da unten am Marktplatze zu betreten. Nun ja, ich will ja gewiß gern ehrlich gegen das Mädchen sein, ihr sagen, was ich im Stande bin, ihr zu bieten. Aber dazu muß ich doch eine Unterredung mit ihr haben, und du hast dich ja beständig geweigert, in dieser Richtung irgend einen Schritt mit mir zu thun.«

»Das habe ich auch,« sagte der Andere, und werde auch niemals die Hand zu etwas bieten, was unter allen Umständen ein Unglück wäre.«

»Aber bei einer Unterredung könntest du doch gegenwärtig sein, nur bei einer einzigen; du könntest da deinen Senf auch dazu geben,« meinte Eugen.

»Ich werde mich hüten! Ich soll dir, wie so oft, den Elephantenführer machen und nachher kann ich meiner Wege gehen. Nein, nein, ich kenne das; ich habe mir wohl zuweilen nichts daraus gemacht, aber in dem Falle danke ich. Ich muß gestehen, wenn du dieser Liebesgeschichte wirklich ernstlich nachgehen willst, so heißt das all deinen früheren Streichen die Krone aufsetzen. Ich kenne mein Terrain: du wirst dich in die unangenehmsten Dinge verwickeln und dann werde ich das Vergnügen haben, dich herauszuziehen. Erlaube mir nur eine einzige Frage; willst du sie mir wahr und aufrichtig beantworten?«

»Und warum nicht?« entgegnete Eugen.

»So sage mir: liebst du das Mädchen wirklich, oder ist es wieder so eine Spielerei, deren ich so manche erlebt?«

»Ich glaube, daß ich sie wahr und aufrichtig liebe,« sagte der junge Mann; »ach es ist so ein herrliches, gutes, blühendes Geschöpf!« »Ein blühendes Geschöpf!« wiederholte der Rath, ironisch lächelnd.

»So ists, Mephisto!« lachte Eugen, worauf der Andere erwiderte:

»O nein, ich bin kein Mephisto, ich habe gewiß nicht meine Freude daran. – Aber jetzt zu Bette! Dein guter Joseph da drinnen im Nebenzimmer scheint zu erwachen, natürlich weil unser Gespräch zu Ende ist. Es ist jetzt spät genug; möge uns der morgende Tag andere Gedanken, bessere Plane und Kraft zu deren Ausführung geben.«

»Amen!« sagte Eugen; »schlaf wohl, mein Prediger in der Wüste.«

Der lustige Rath zog sich in seine Zimmer zurück, die sich auf der anderen Seite des Hausganges befanden. Joseph schloß die Läden und Fenster in der ganzen Wohnung, Eugen ging ebenfalls in sein Schlafzimmer: er hatte die Gewohnheit, sich selbst zu entkleiden, und entließ deßhalb den getreuen Pierrot, sobald ihm dieser die Lichter auf seinem Nachttische angezündet.

Bevor aber Eugen diese auslöschte und sich zur Ruhe begab, schloß er ein geheimes Fach seines Pultes auf und nahm daraus ein kleines Kästchen mit einem außerordentlich soliden und festgearbeiteten Schlosse. Dieses öffnete er ebenfalls, aber nur um einen Blick hineinzuwerfen, und als er gesehen hatte, daß sich in diesem kleinen Kästchen ein Paket Papiere befand, mit rothen Bändern zusammen geknüpft und schwarz gesiegelt, verschloß er Kästchen und Schreibtisch wieder und ging zu Bette.

Der Herr Rath drüben in seinen Zimmern hatte es bereits ebenso gemacht, und das einzige Licht, welches noch in der Parterrewohnung brannte, leuchtete dem getreuen Pierrot, der an seinem Tische im Vorzimmer saß, ein Schreibbuch vor sich, in das er emsig allerlei Zeichen und Bemerkungen machte.

Eugen hatte in dieser Nacht einen unruhigen Schlaf: er träumte von Blumen, die in duftigen Gärten in unendlicher Schönheit plötzlich vor ihm aufschössen, und wenn er sich alsdann niederbückte, um eine derselben abzupflücken, so sanken diese Blumen tief vor ihm in den Boden hinab, und sein Fuß hielt sich mit Mühe am Rande eines giftigen Sumpfes fest, der ihn gewaltsam an sich zu ziehen schien. Nach solchem Traume erwachte er mit einem tiefen Athemzuge, und erst gegen Morgen schlief er fest und ruhig.– –

Zum großen und beständigen Aerger des treuen Pierrot war der Herr Rath, er mochte so spät, als er nur immer wollte, zu Bette gegangen sein, mit Tagesanbruch munter, und dann war auch Joseph gezwungen, die kostbare Nachtruhe abzubrechen. Eugen erhob sich einige Stunden später, und die beiden Freunde sahen sich Morgens selten bis zur Mittagsstunde, wo sie gemeinschaftlich zu ihrem Diner gingen.

Der Herr Rath besorgte die sämmtliche Verrechnung des Junggesellen-Haushaltes und hierbei natürlicher Weise auch die Ausgaben des Bedienten, was dem treuen Pierrot manche unangenehme Morgenstunde verursachte. Gewöhnlich machte er auch hierauf den Versuch, Jenen bei seinem Herrn zu verklagen und obgleich dies nie die geringste Wirkung that, so unterließ er es doch nicht, wenn er seinem Herrn den Kaffee servirte, einige Seufzer über schlechte Behandlung, die ihm durch den Herrn Rath zu Theil geworden, auszustoßen.

Auch heute Morgen erschien er mit einer wahren Jammermiene und brachte den Frühstücktisch seines Herrn in Ordnung. Er zündete seufzend die Spirituslampe unter der Kaffeemaschine an, stellte ein Wachslicht daneben, sowie eine geöffnete Zigarrendose, dann ging er ins Schlafzimmer und meldete, daß der Kaffee, bereit sei; dies sagte er aber mit so kläglichem Tone der Stimme, als verkündige er das größte Unglück, machte indeß hierdurch im gegenwärtigen Augenblicke gar nicht den gewünschten Eindruck. Eugen war mit anderen Dingen beschäftigt und schien, während er in seinen Schlafrock schlüpfte, über etwas tief nachzudenken. Draußen im Salon warf er sich in einen Fauteuil. Joseph drehte einen Hahn an der Maschine auf, und Eugen trank seinen Kaffee, ohne überhaupt bemerken zu wollen, daß noch Jemand anders außer ihm im Zimmer sei. Erst als er nach der Cigarre griff und der treue Pierrot ihm den brennenden Fidibus in die Hand gab, blickte er in die Höhe und konnte sich nicht enthalten, laut aufzulachen über das merkwürdig klägliche Gesicht, das ihm Joseph zeigte.

»Es ist schon gut,« sagte er, als Joseph sich anschickte, diesen Blick mit einem tiefen Seufzer zu beantworten. »Laß nur dein Seufzen bleiben, ich bin das des Morgens von dir schon gewohnt! Hat man dir einmal wieder den Leviten gelesen? Freut mich recht sehr – danke du deinem Schöpfer, daß ich wenig und des Morgens gar nicht dazu aufgelegt bin, mich überhaupt um dich zu bekümmern. Das kann ich dich versichern, theurer Joseph, wenn ich der Herr Rath wäre, ich hätte dich vielleicht schon lange zum Teufel gejagt.«

»Oh, oh!« lachte jetzt Pierrot mit erstaunlich freundlichem Gesicht; denn er hatte jetzt erreicht, was er wollte: seinen jungen Herrn nämlich vermocht, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. »Oh!« lachte er abermals; »der Herr Sidel hat ja eigentlich doch nicht zu befehlen, sondern der Herr Eugen selbst.«

»Alles hat er zu befehlen,« antwortete dieser, »das ganze Hauswesen, und er kann mit euch machen, was er will, mit sämmtlichem Möbelwerk und der ganzen Einrichtung, mit Sultan und mit dir.« – Damit nahm er einen Schluck Kaffee und that einige Züge aus seiner Cigarre.

Joseph zog seine Achseln hoch empor, drückte dabei den Kopf tief nieder und schien auf solche Art pantomimisch ausdrücken zu wollen: »Ich lasse ja Alles geduldig über mich ergehen!«

Nach einer längeren Pause, während welcher Eugen mit seinem großen Hunde gespielt und ihm ein Milchbrod gereicht, blickte er wieder in die Höhe und sah seinen Diener abermals lachend an. »Du hast gewiß,« sagte er hierauf, »heute einen Extrawischer bekommen. Nun, was hat's denn eigentlich gegeben? – So sage es frisch heraus, denn wenn du es noch lange bei dir behalten mußt, so wirst du unfehlbar daran ersticken, was an sich eben kein großer Verlust wäre. – Nun, was soll's eigentlich?«

»O, es betrifft gar nicht mich; der Herr Rath hat mich nur über Schritte und Gänge examinirt, die ich auf Ihren besonderen Befehl mache.«

»Daran hat er recht gethan, und er hat dich blos beaufsichtigen wollen; denn er weiß ohnehin alles, was du für mich zu besorgen hast.«

Pierrot schüttelte mit einem Lächeln, das pfiffig sein sollte, seinen dicken Kopf.

»Nicht?« fragte Eugen aufmerksam; »was willst du mit deinem dummen Kopfschütteln sagen?«

»Er hat mich darüber ausgefragt, ob ich einen besonderen Befehl von Ihnen dazu hätte, an den Markttagen auf den Markt zu gehen, um ...«

»Ja so, das hat er dich gefragt? Das hätte ich beinahe vergessen. – Und was hast du ihm geantwortet?

»O, ich habe ihm geantwortet,« entgegnete Joseph, »daß ich nur deßwegen auf den Markt gehe, um mich nach den Preisen von Butter und Eiern wegen der Haushaltung zu erkundigen.«

»Und das hat er dir natürlicher Weise nicht geglaubt!« sagte Eugen laut lachend, worauf der Diener mit einem ungemein pfiffigen Blinzeln seines rechten Auges erwiderte: »O ja, er hats doch geglaubt.«

Eugen legte sich in seinen Fauteuil zurück, drückte seine beiden Füße in das zottige Fell des Neufundländers und blickte eine Weile nachdenkend vor sich hin. Joseph ließ aus der Maschine eine zweite Tasse Kaffee laufen; jede Spur des Mißmuthes schien aus seinem Gesichte verschwunden, und dafür hatte sich eine gewisse Traurigkeit auf seine Züge gelagert, welche dieselben außerordentlich komisch machte. Er wollte augenscheinlich die treue, gekränkte Seele spielen, die tiefbetrübte, der es nicht gelingen kann, das volle Vertrauen des Herrn zu gewinnen.

Dieser achtete aber nicht darauf, schien auch das Gespräch von vorhin nicht wieder anknüpfen zu wollen, und so sah sich denn Joseph genöthigt, nach einer Pause selbst fortzufahren, was er mit sehr schüchterner und leiser Stimme that. »Ich habe,« sagte er, »da unten genaue Verbindungen angeknüpft, die es mir möglich machen, alle Befehle Eurer Gnaden, wenn Sie welche für mich haben sollten, aufs beste zu vollführen. In der Nähe des Marktes, in einer engen Gasse hinter dem Hause der Frau Schoppelmann, wohnt eine Bekannte von mir, eine alte, brave Wittwe, deren Mann gestorben ist und die dort in der engen Gasse eine kleine Weinwirthschaft eröffnet hat.«

»So, so!« sagte Eugen ohne aufzublicken, und Joseph, sehr ermuthigt, daß ihm nicht befohlen worden, sein Maul zu halten, fuhr mit etwas sicherer Stimme fort: »Ich komme nicht nur in die Wirthsstube dieser braven Wittwe, sondern ich bin einer von ihren genauen Bekannten und besuche sie deßhalb auch zuweilen in ihrer Wohnung im ersten Stock. Dieser gerade gegenüber sind die Zimmer der Frau Schoppelmann oder vielmehr nur ein Zimmer ihrer Wohnung, das der schönen Katharine. – – Katharine kennt ebenfalls diese Wittwe, und wenn Beide gerade wollen, so können sie aus ihren Fenstern zusammen sprechen; ja, eines ist so nahe bei dem andern, daß man sich die Hand reichen könnte.« »Und du hast Alles drüben dem Herrn Rath auch erzählt?« fragte Eugen nach einer Pause.

»Nicht eine Sylbe!« sagte der getreue Pierrot mit einem außerordentlich ernsten Gesichtsausdruck. – »Aber neulich, wie ich zufällig aus der Wirthsstube jener Wittwe auf die Straße komme und ohne Absicht in die Höhe blicke, bemerke ich Jungfer Katharine, welche aus ihrem Fenster auf mich herab sieht.«

»Und sie bemerkte dich?« fragte Eugen.

»Allerdings,« fuhr Joseph fort; »sie schien mich sogar wieder zu erkennen und blickte mich einen Augenblick wie fragend an. Natürlich ging ich ruhig meines Weges, denn ich hatte ja keine Aufträge.«

Hier seufzte der getreue Pierrot abermals.

»Und wenn du Aufträge gehabt hättest,« sagte Eugen, mehr und mehr aufmerksam geworden durch den Bericht seines Dieners, »so hättest du ihr unbemerkt etwas sagen können?«

»Ganz unbemerkt!« antwortete Joseph sehr erfreut, »so unbemerkt, daß es keine Menschenseele geahnet hätte. Das Fenster ist von der Gasse aus, die viel höher liegt als der Hof des Hauses, wo Frau Schoppelmann wohnt, fast mit der Hand zu erreichen. Man könnte ganz bequem da hinab springen, und durch diese Gasse geht fast nie Jemand, nicht einmal am hellen Mittage. Des Nachts ist sie ganz still und leer.«

»So, des Nachts ist sie ganz still und leer?« wiederholte Eugen nachdenkend, und sprach alsdann nach einer längeren Pause, während welcher er den Kopf in die Hand stützte und seinen Diener fest ansah: »Es ist gut, das bleibt unter uns.«

»Gewiß, gewiß!« entgegnete Joseph, und auf seinem Gesichte zuckte es freudig auf, so freudig, daß die harten, dummen Züge sogar angenehm erschienen.

Eugen winkte ihm mit der Hand hinweg und sagte alsdann zu sich selber: »Ich bin überzeugt, Joseph ist ein dummer, aber sehr guter und ehrlicher Kerl. Er soll mir bei dieser Geschichte helfen.«


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