Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Drittes Kapitel.

Madame Schoppelmann erhält einen Besuch, bei welcher Veranlassung wir eine merkwürdige Episode aus ihrem Leben zu hören bekommen. – Ein ziemlich lehrreiches Kapitel.

Dieser neue Besuch, ein Frauenzimmer in der Tracht der Bürgertöchter, war eine lange, dürre Gestalt, angethan mit einem Kattunkleid von zarter hellblauer Farbe. Auf dem Kopfe trug sie eine Haube, mit Rosabändern verziert, und in der Hand hatte sie einen Sonnenschirm von blassem, seegrünem Seidenzeuge, an den Händen aber weiße baumwollene Handschuhe. Das Gesicht dieser Gestalt paßte eigentlich durchaus nicht zu den eben genannten jugendlichen, frischen Farben, wäre vielmehr in einer Umhüllung von Grau und Schwarz weit besser an seinem Platze gewesen. Es war ein langes, mageres Gesicht, mit dünnen, wenig gerötheten Lippen und großen, fast glanzlosen Augen von einer Farbe, als hätte man Vergißmeinnicht in Milch gekocht. Dieses Frauenzimmer trat ziemlich lebhaft, ja sogar aufgeregt in das Gewölbe der Frau Schoppelmann. Es war eine jener Aufregungen, von denen man wünscht, daß sie von unsern Nebenmenschen gleich bemerkt werden, eher eine künstliche, als eine wirkliche. Die Dame in dem blauen Kleide, die offenbar mit der Gemüsehändlerin befreundet war, warf sich, wie erschöpft, in einen Stuhl und seufzte einige Mal aus tiefster Brust. Doch wurde es ihr nicht so leicht, die Aufmerksamkeit der Madame Schoppelmann, wie sie wohl gewünscht, sogleich zu erregen.

Diese würdige Frau war zu sehr mit ihrem Geschirr beschäftigt, überhaupt von einer zu großen Gemüthsruhe, um zu bemerken, daß ihr Besuch sehnlichst gewünscht, sie möchte sogleich fragen: »Um Gottes willen, was ist Ihnen denn begegnet?« Erst nachdem sie wiederholt einige tiefe herzbrechende Seufzer gethan, dabei sehr auffallend geschaudert, wandte sich die Gemüsehändlerin, die ihr gleich Anfangs einen guten Morgen geboten, von dem Herdfeuer ab, um sie zu fragen, ob sie nicht ganz wohl sei.

Statt aller Antwort schüttelte die blaue Dame ihr mageres Köpfchen, ließ es dann nach der Gegend der Brust zu sinken und sagte: »O lieber Gott!«

»Nun, was soll's denn, Jungfer Strebeling?« fragte verwundert die Gemüsehändlerin, welche, mit dem Abtrocknen ihrer Kaffeekanne beschäftigt, zufälliger Weise über dieselbe hinausschaute und auf diese Art das Manöver der sehr ehrenwerthen Jungfrau bemerkte. »Nun, so sprechen Sie doch! Was ist Ihnen denn so Grausames begegnet?«

»O lieber Gott!« entgegnete die Andere und seufzte abermals tief auf.

»Nun, so reden Sie doch gerade heraus! Hat man Ihnen was gethan, ist Ihnen was gestohlen worden, haben Sie mit Ihrer Frau Schwester Streit gehabt? – So sprechen Sie doch! Nun?« »O lieber Gott!« wiederholte das geängstigte blaue Wesen; aber in dem Ton und in der Stimme, womit sie diesen Ausdruck wiederholte, lag es deutlich, daß es das nicht sei, was ihr zartes Gemüth beängstigte.

»Haben Sie Kopfschmerzen?«

»O lieber Gott!«

»Ist Ihnen denn überhaupt was passirt?«

»O lieber Gott!«

»Und wollen Sie etwas sagen?«

»O lieber Gott!«

»Nun, so reden Sie ins Kukuks Namen! denn ich bin wahrhaftig nicht im Stande, Ihr Gefasel zu errathen! Oder wenn Sie nichts sagen wollen, ist mirs auch recht. Ich kann das Gewinsel so nicht recht vertragen, Jungfer Strebeling, das wissen Sie; also wenn Sie mich damit verschonen wollen, ist mirs ganz recht.«

»O lieber Gott!« gab die alte Jungfer verschämt zur Antwort und hielt den meergrünen Sonnenschirm vor ihr gelbliches Gesicht, welches dadurch eine wunderbare Schattirung erhielt.

Die dicke Frau aber beschäftigte sich, ohne sich um ihren Besuch weiter zu bekümmern, mit dem Ausspülen ihrer Tassen, und die rappelten in dem Kübel durcheinander, und das Wasser plätscherte, oder es zischte zuweilen laut auf, wenn die Frau in ihrem Amtseifer etwas auf den heißen Herd spritzte. Sie that gerade, als sei Niemand gegenwärtig, und ihr, die sie die Jungfer Strebeling genau kannte, mochte es auch wohl einerlei sein, eine von deren lamentablen Geschichten zu vernehmen.

Die Jungfer Strebeling war nämlich bekannt dafür, daß sie das Leben stets von der Schattenseite auffasse, und daß ihr der Tag als verloren erschien, ihr ungenießbar vorkam, den sie nicht mit ihren Thränen beträufelt. Dabei wußte sie nicht immer, weßhalb sie weine; denn in Ermangelung eines wirklichen Schmerzes weinte sie über einen trüben Sommertag, über eine todte Fliege, über ein lautes Wort der Nachbarschaft und dergleichen mehr. Sie war eine ehrbare alte Jungfer, hoch in den Dreißigen; ihr Vater, ein seliger Schneidermeister, hatte ihr ein kleines Vermögen hinterlassen, von dem sie leben konnte, aber dabei so wenig Vorzüge des Körpers, daß es noch nie einem männlichen Wesen eingefallen war, von der Jungfer Strebeling die kühne Vermuthung aufzustellen, als sei auch sie zur Liebe geschaffen. Sie hatte eine verheirathete Schwester, ein unzartes Wesen, mit der sie nicht gern verkehrte; denn diese hatte ihr eines Tages die absurde Zumuthung gemacht, sie, die Jungfer Strebeling nämlich, möchte doch die Güte haben, einen Knopf an den Hosen ihres Schwagers festzunähen. Schaudernd war sie nach Hause entwichen, und das eben Erzählte, sowie ähnliche, wenn auch minder starke Angriffe auf ihre Sittsamkeit, hatten ihre zarte Seele so in den leichten Körper hineingeschüchtert, daß sie am liebsten allein war, und daß sie sich in ihrer Einsamkeit als die größte Seligkeit ausmalte: ach, wenn ich doch katholisch geboren wäre und in ein Kloster gehen dürfte! Ihr – davon war sie fest überzeugt, könne nach jahrelanger Buße der Heiligenschein nicht entgehen, und schon jetzt kam sie sich wie ein vollkommen reiner, geschlechtsloser Engel vor. Das einzige Sündhafte oder vielmehr Irdische, was diesem geläuterten Wesen noch anklebte, war eine geringe weltliche Eitelkeit in Betreff ihrer Kleidung. Nicht als ob sie Aufwand und Luxus gemacht hätte – Gott bewahre! aber sie konnte selbst Tage lang darüber weinen, nachdem sie ein buntfarbenes Kleid gekauft, oder glänzende Bänder für ihre Haube, und konnte durchaus nicht begreifen, woher diese sündhafte Neigung komme. – Ach, gewiß nur von den vielen bunten Lappen, die ihr Vater, der selige Schneidermeister, in die Hölle fahren ließ, und sie begriff selbst nicht, weßhalb sie ihr Aeußeres nicht vor den Blicken der Welt analog ihrem Inneren darstellte: Grau in Grau schattirt.

Jungfer Strebeling – sie hatte von ihrer gefühlvollen Mutter in der Taufe den zarten Namen Clementine erhalten – hatte heute Morgen wirklich etwas auf dem Herzen und mußte jetzt sich schon entschließen, damit aus freien Stücken heraus zu rücken; denn sie bemerkte wohl, wie Madame Schoppelmann nicht die geringste Anstalt machte, sie nochmals darum zu befragen.

»Ach,« sagte sie nach einer Pause, »ich war bis jetzt so gern hier in dem Hause bei Ihnen zur Miethe, werthe Madame Schoppelmann, auf meinen beiden kleinen, heimlichen Zimmern hinten heraus, wo man nichts bemerkt, als die lieben grauen Mauern des Nebenhauses, darüber ein Stückchen blauer Himmel, wenn es nicht gerade regnet, und das goldene Kreuz der Spitalkirche, freundlich darüber hinglänzend – in hoc signo

»In was?« fragte die Gemüsehändlerin.

»O lieber Gott, ich mein's ja nur so!« fuhr Clementine fort; »aber ich war in diesem Hause so gern, so unendlich gern, daß es mir Schmerz machen würde, es verlassen zu müssen.«

Auf diese Anrede hin, die der dicken Frau unerwartet kam, ließ sie die eine Hand mit dem Spüllappen herunter sinken, stemmte die andere in die Seite und sagte in lang gedehntem Tone: »Wa – a – s? Sie wollen unser Haus verlassen, Jungfer Strebeling, ausziehen, eine andere Wohnung nehmen?«

»Das habe ich eigentlich noch nicht gesagt,« entgegnete Clementine mit ängstlicher Stimme; »vielmehr meinte ich, es würde mir außerordentlich schwer fallen, wenn ich dieses Haus verlassen müßte.«

»Ja so!« versetzte beruhigt die Gemüsehändlerin. »Aber ins Kukus Namen! wer will Sie denn zwingen, dieses Haus zu verlassen? Jemand, der so ruhig ist, wie Sie, und seine Miethe so pünktlich bezahlt, der wird gewiß von keinem Hausbesitzer molestirt.«

»O lieber Gott!« entgegnete die alte Jungfer; »aber andere Umstände zwingen mich.«

»Andere Umstände?« sagte erstaunt die Gemüsehändlerin; doch lachte sie gleich darauf so laut und gewaltsam hinaus, daß Clementine zusammenfuhr und eines der kleinen Ferkel, welches sich unter dem Kaffeetische beschäftigte, erschrocken und grunzend in den Hof hinaus fuhr.

»Nun, kommen Sie endlich zur Welt mit Ihrem dummen Zeug!« sagte nach einer Pause die gutmüthige dicke Frau. »Was hat's denn gegeben? – – Na, so reden Sie einmal frei von der Leber weg!«

»O lieber Gott!« sprach nach einer längeren Pause schüchtern die alte Jungfer. »Neben meinem Schlafzimmer war bis jetzt' ein anderes Zimmer, das längere Zeit leer stand.«

»Richtig, das grüne mit dem Alkoven.«

»Da hinein zog vor acht Tagen eine Choristin des Hof-Theaters.«

»Ganz richtig, ganz richtig! eine ledige Person.«

Statt zu antworten, schüttelte Clementine verschämt mit dem Kopfe.

»Es ist doch eine ledige Person,« fuhr Madame Schoppelmann fort, »was soll denn Ihr Kopfschütteln bedeuten?«

»Sie muß doch wohl nicht ganz ledig sein,« sagte die geängstigte Jungfrau mit unsicherer Stimme, »denn ich höre zuweilen eine ... Männerstimme sprechen.«

»Nun ja doch!« entgegnete ruhig Madame Schoppelmann; »sie ist aber doch ledig. Das wird nur ihr Liebhaber gewesen sein.«

»Madame Schoppelmann ... !« sagte Clementine empfindlich und mit gerechter Entrüstung.

»Ei freilich,« entgegnete die dicke Frau, »und davon wollen Sie so ein Aufheben machen? Das wird Sie doch wohl nicht stören?«

»O ja, das stört mich sehr!« sagte die alte Jungfer, nachdem sie sich Muth gefaßt, diese Worte lauter auszusprechen; »das stört mich recht sehr, das kann ich nicht ertragen!« »Nun, nun, liebes Kind,« sprach die Gemüsehändlerin. »das ist der Lauf der Welt, und am Ende haben Sie sich doch geirrt. Man muß nicht immer das Aergste von den Leuten glauben. Ich will mit der Choristin sprechen, sie soll ihr dummes Zeug lassen; aber geben Sie Acht, Jungfer Strebeling, Sie haben sich gewiß geirrt!«

Clementine schüttelte wehmüthig ihr Köpfchen, doch war dieser Gegenstand für sie zu zart, um ihn nochmals zu berühren. Auch nahm sie es als einen süßen Trost, daß sie sich in Betreff der Männerstimme vielleicht doch geirrt haben könnte. Aber daß sie heute Morgen gesehen, mit ihren beiden Augen gesehen, wie eben jene Choristin auf der Treppe, auf der gemeinschaftlichen Treppe, die auch ihr Fuß betreten mußte, einen jungen Mann geküßt, das erzählte sie jetzt der Gemüsehändlerin, und es that ihr in innerster Seele weh, daß Madame Schoppelmann über diese schreckliche Geschichte nicht außer sich gerieth, vielmehr ruhig ihre dicken Achseln zuckte und sagte:

»Ja, mein liebes Kind, man kann in dieser Welt nicht nach allen Fliegen schlagen. Etwas Unangenehmes gibt es in jedem Hause, und bei mir ist es doch wahrhaftig sehr still, sehr behaglich! – Denken Sie sich nur, Jungfer Strebeling, wenn Sie in eine Straße zögen, wo z. B. das Militär vorbei zieht, wo die Unteroffiziere herumflankiren, wo die Offiziere zu Pferd bei den Fenstern vorbeireiten und in alle Häuser hinein schauen, wo Sie den ganzen Tag die wilden Trommeln und Regimentsmusiken hören müßten, wo Ihnen vielleicht gegenüber ein unternehmender Ladendiener wohnte, der Ihnen Abends neugierig ins Fenster blickte!«

Clementine schauderte.

»O, wenn Sie in ein Haus zögen, wo viele junge Herren zu Miethe wohnen, die Nachts um zwölf Uhr nach Hause kommen, oder die bei sich spielen und trinken und dazu allerhand lästerliche Lieder singen! Ja, das sollten Sie erst erleben! Und wo der Hausherr sich um gar nichts bekümmert, oder noch obendrein darüber lacht, wenn die jungen Leute den Nebenwohnenden allerlei Schabernak aufführen.«

»Und das kommt zuweilen vor,« fragte schüchtern die alte Jungfer, »daß solche schreckliche Leute ein ehrbares Frauenzimmer belästigen?«

»O, das kommt sehr oft vor,« antwortete wichtig die Gemüsehändlerin; und wissen Sie, Jungfer Strebeling, Sie sind eine zarte Person, Sie können sich nicht helfen. Aber sehen Sie einmal mich an, ich war freilich nicht immer so dick, wie jetzt, aber nehmen Sie meine Katharine. Nun, ich war vielleicht in den Jahren noch einmal so stark, und wer von mir eine Ohrfeige bekam, der wußte davon zu erzählen. Nun, also denken Sie sich, mich sogar ließen sie nicht in Frieden! Ich habe damals in einem Hause in der Lederstraße gewohnt, ledig wie Sie – ehe ich nämlich den seligen Schoppelmann heirathete – und da wohnten neben mir auch so ein paar Galgenstricke, und jeden Sonntag Morgen kam der selige Schoppelmann, mich zum Spaziergang abzuholen, und das wußten diese Gauner. Was thun sie einmal? Sie gehen des Samstag Nachts, als ich schon lange zu Hause war, her, und einer stellt mir vor meine Kammerthür seine Stiefel neben meine Schuhe, und da mag man sagen, was man will, das sieht verdächtig aus. Und den andern Morgen warte ich auf den seligen Schoppelmann, und er kommt nicht, und ich warte noch eine Stunde, und er kommt immer nicht. Und wie ich endlich zum Fenster hinausschaue, da steht er an der Straßenecke mit einem langen Gesicht, wie Butter an der Sonne, und schaut immerwährend mein Haus an. Ich winkte ihm natürlicher Weise, aber ich mußte ihm lange winken, bis er endlich kam, und dann machte er ein Gesicht – nun, das will ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen – und sagte mit ganz trotzigem Tone, als ich ihn fragte, warum er heute Morgen nicht gekommen, mich abzuholen: Margarethe, sagte er. ich war schon einmal da, aber vor deiner Thüre sah ich etwas, was mir durchaus nicht gefallen wollte – wissen Sie, Jungfer Strebeling, die Stiefel nämlich neben meinen Schuhen – und ich erwiderte ihm ganz ruhig: Schoppelmann, Er ist ein Narr, versteht Er mich? und wir wollen schon sehen, wem die Stiefel gehören! Weiß Er was, fang Er einmal tüchtig an, mit mir zu schreien und zu schimpfen! Und das that denn auch der selige Schoppelmann, so gut als möglich; aber darin konnte er nie etwas leisten. Und als er so eine Zeit lang fortgeschrieen und endlich still wurde, hörte ich sie im Nebenzimmer lachen, und dann machte einer langsam drinnen die Zimmerthüre auf und schlurfte in den Strümpfen auf den Gang hinaus bis vor meine Stube, um seine Stiefel wieder zu holen. Ich aber hatte meine Stubenthür ein ganz klein wenig geöffnet und streckte langsam die geöffnete Faust hinaus; und wie ich sie nun so plötzlich wieder zumache und darin etwas Lebendiges zappeln fühle, so ziehe ich es zu mir herein, und was war es, Jungfer Strebeling? – so ein kleiner miserabler Ladenschwengel! ein gebrechliches Ding, kaum vier Fuß hoch, und sah aus wie ein gespaltener Rettig, und war blaß und zitterte, wie ich es vor mich hinstellte, und die Stiefel hielt er in seiner Hand, und ich fragte ihn: Wem gehören diese Stiefel, du Ding? und er antwortete: Mir – mir – ich will Sie aber gewiß in meinem ganzen Leben nicht mehr plagen, Jungfer Margarethe! Und darauf lachte der selige Schoppelmann und sagte: Es ist abgemacht, Margarethe, sei so gut und wirf das Ding vor die Thür! – Und draußen lag er mit sammt seinen Stiefeln. – Ja, sehen Sie, Jungfer Strebeling, so was geschah mir als lediger Person in fremden Häusern, und jetzt denken Sie sich, was das wilde Volk erst mit Ihnen anfangen würde!«

Bei diesen Worten stellte sich die Gemüsehändlerin in ihrer ganzen breiten, kolossalen Gestalt wie zum Vergleich vor die alte Jungfer hin und gab damit den eben gesagten Worten den vollkommensten Nachdruck, Diese beiden weiblichen Wesen verhielten sich aber auch in der That zu einander, wie ein dicker Laubfrosch mit heller, weit hinschallender Stimme zu einer dünnleibigen, ängstlich flatternden, leise sumsenden Mücke.

»Nein, mein liebes Kind,« sagte der Laubfrosch – wir wollen sagen: die Gemüsehändlerin – und legte ihre fleischige, schwere rechte Hand vertraulich auf die Schulter der armen Mücke, daß sie fast zusammenbrach; »lassen Sie sich dergleichen gar nicht anfechten! Das mit der Choristin sind Kleinigkeiten, wissen Sie, da kann man nichts machen; aber wenn Ihnen einmal Jemand ernstlich in den Weg träte und Ihnen nur das Geringste zu Leid thun wollte, da kommen Sie zur Frau Schoppelmann, die nimmt es nicht blos mit einer Choristin auf, sondern, das kann ich Ihnen versichern, selbst mit dem ganzen Hoftheater, wenn es nothwendig wäre. Da seien Sie ganz ruhig.«

»O lieber Gott!« seufzte Clementine nach einer Pause, »das weiß ich ganz genau und erkenne es auch dankbar an, wie Sie mich in jeder Hinsicht beschützen. Aber hier – damit zeigte sie auf ihr Herz – thut einem doch so etwas sehr weh. Ach, ein Mädchen fühlt so zart in dem Punkt!«

»Versteht sich!« sagte gutmüthig die dicke Frau; »aber man muß Jederman seine Freiheit lassen. Man muß an sich selbst denken; wer weiß, wer weiß, Jungfer Strebeling, es ist noch nicht aller Tage Abend, auch Sie werden schon noch einmal einen Liebhaber auf die Treppe begleiten!«

»O lieber Gott, Frau Schoppelmann!«

»Denken Sie an mich! – Tanzen kann ich freilich nimmer, aber tüchtig essen und trinken werde ich gewiß noch auf Ihrer Hochzeit. Na, laßt die Geschichte gut sein! Mit der Choristin werde ich übrigens auch ein ernstes Wort reden; jetzt muß ich aber auf meinen Markt und nach meinen Sachen und meinem Kinde sehen. – Brauchen Sie sonst was, Jungfer Strebeling? etwas Obst?«

»Nur einige Blumen,« sagte die zarte alte Jungfer, »und die will ich mir selbst bei der Katharine holen.«

Damit schwebte sie zur Thüre hinaus.

»Das wird sie recht freuen!« rief ihr die Gemüsehändlerin nach. Dann verschloß sie ihre Schränke, band sich eine frische weiße Schürze vor, rief ihrem Sohne, dem Fuhrmann, in den Stall hinein, er solle recht auf das Haus Acht haben, und ging alsdann auf den Markt und ihren Geschäften nach.

Wohin sie unter anderem ging und worin diese Geschäfte bestanden, wird der geneigte Leser im nächsten Kapitel erfahren.


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