Friedrich Wilhelm Hackländer
Eugen Stillfried - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechstes Kapitel.

Katharine Schoppelmann und Clementine Strebeling theilen sich ihre kleinen Abenteuer mit. – Ein Kapitel voller Liebesgeschichten.

Unterdessen war Frau Schoppelmann mit keinem geringen Zorn in die unteren Theile der Stadt, auf den Markt zurückgekehrt. Das sonst so ruhige, gleichmüthige Gesicht der dicken Frau glühte vor Hitze und Aufregung; sie schnaubte wie ein überhitztes Dampfboot, die dunklen Bänder ihrer Haube flatterten hinter ihr drein wie Trauerwimpel, und dazu wallte ihr Umschlagtuch wie ein schwarzes Segel.

Die Frau grüßte ihre besten Bekannten nicht, und mehrere Köchinnen, die sich unter Wegs an sie wandten, waren nicht im Stande, ein Wort anzubringen, und versicherten hoch und theuer, der Frau Schoppelmann müsse unfehlbar ein ganzes Obstmagazin zu Grunde gegangen sein, oder sie komme von einer Herrschaft, wo man sie beschuldigt, sie habe faule Fische abgeliefert.

So lenkte sie auf die Straßen ein, die auf den Marktplatz führten, hoffend, auf letzterem etwas zu finden, an welchem sie ihren gerechten Zorn auslassen könne. Doch die Frau hatte ein zu gutes Gemüth, um ihren Zorn lange fest zu halten. Die vielen Leute, die sich hier ab und zu drängten, die eilig nach dem Gebiete gingen, auf welchem sie fast Alleinherrscherin war, oder die von dort her zurück kamen mit vollen Körben, in welchen sie ihre Waare erkannte, alles das besänftigte nach und nach ihr Herz. Ihr Schritt wurde ruhiger, je mehr sie sich dem Gewühl des Marktplatzes näherte; und als sie nun von fern bemerkte, wie ihr großes Gemüse- und Obstlager zusammengeschmolzen war, da schmolz auch ihre Aufregung vollständig, und sie war im Stande, mit dem gewohnten ruhigen und sicheren Ausdruck des Gesichtes an ihren Stand zu treten.

Glücklicher Weise war auch hier an dem Blumenkorbe ihrer Tochter keine männliche Seele zu sehen; vor Allem aber fehlte er, dem sicher heute Morgen ein unfreundliches Wort zu Theil geworden wäre. Der Blumenhandel schien, trotz dem, recht gut gegangen zu sein, denn der Korb der schönen Katharina war bis auf einige unbedeutende Ueberreste leer, sie selbst aber schon, da das Geschäft für heute fast beendigt war, nach Hause gegangen.

Dorthin verfügte sich jetzt auch Madame Schoppelman, und als sie in den dunkeln, feuchten Hof trat, waren hier und in dem Gewölbe so viele ihrer besten Kunden versammelt, denen sie Audienz zu ertheilen hatte, daß auch bald die geringste Spur des Unmuthes aus ihrem Gemüthe und von ihrer Stirne verschwunden war und sie sich mit ruhigem Herzen ihrem so verwickelten und schwierigen Geschäfte hingeben konnte.

Oberhalb des Gewölbes, in welchem wir heute Morgen dem Kaffeefrühstück der Familie Schoppelmann beiwohnten, befand sich ein kleines Gemach mit sehr niedriger Decke und einem einzigen großen Fenster. Dieses Fenster führte auf eine Seitengasse und war eines der wenigen des ganzen weitläufigen Hintergebäudes, an welches die Sonne mit einem Streiflichte dringen konnte.

So malerisch unordentlich, ja schmutzig es drunten in dem Hofe wie in dem Gewölbe aussah, so nett, reinlich und friedlich war es hier oben. Die Wände hatten einen hellen, freundlichen Anstrich, das Fenster war mit weißen Vorhängen versehen, die jetzt, da die Glasfenster, und zwar nach außen, geöffnet waren, hell in dem Sonnenlichte flatterten und zuweilen mit einigen Reseden und Geranien kosten, die in kleinen Blumenscherben auf der Fensterbrüstung standen. An der hinteren Wand dieses kleinen Zimmers war ein breites, altmodisches Bett zu sehen, aber das Weißzeug desselben war blendend weiß und frisch; in einer Ecke befand sich ein einfacher Kleiderkasten, und dies, sowie ein paar alte hölzerne Stühle machten das ganze Ameublement des Zimmers aus.

Der geneigte Leser wird errathen, daß wir es hiemit gewagt, einen schüchternen Blick in das Zimmer der schönen Katharina zu werfen. Ja, dies war ihre Wohnung, ihr Heiligthum! Hieher setzte selten die Mutter, nie aber einer der wilden Brüder einen Fuß; hier behauptete das Mädchen ihr Recht, hier war sie allein, und hier baute sie oftmals aus den süßen Träumen, die ihrem warmen Herzen entstiegen, die glänzendsten Luftschlösser.

Katharina hatte mehrere Stunden in der glühend heißen Luft des Marktes zugebracht, hatte ihre Geschäfte bestens besorgt, ihre Rechnung schriftlich in den Tisch der Mutter verschlossen, die ansehnliche Kasse dazu, und saß jetzt droben in ihrem kleinen Zimmer an dem geöffneten Fenster in der erfrischenden Kühle, welche beständig zwischen diesen dicken Steinmauern herrschte. Sie hatte das rothe Tuch von dem Kopfe herunter genommen, ihr enges Mieder geöffnet, und die langen, kühlen Flechten fielen auf ihre entblößten Schultern, auf ihre volle Brust herab.

Katharina war nicht allein: ihr gegenüber auf einem anderen Stuhle saß die Jungfer Strebeling, und die zarte Clementine hatte nun, wie vorhin der Mutter, jetzt auch der Tochter ihr Herz ausgeschüttet in Betreff der sündhaften Choristin. Daß Madame Schoppelmann sich nicht sehr hierüber alterirt hatte, darüber wunderte sich die alte Jungfer gerade nicht; aber daß Katharina sogar keine Miene machte, welche Schrecken und Abscheu ausdrückten, das war ihr völlig unerklärlich. Sie schauerte in sich zusammen, wie eine dreiviertels verblühte Herbstrose, welche von einem eisigen Schneewinde gefaßt wird.

"Aber das war am hellen Tage,« sagte sie, »und an der öffentlichen Treppe, und er hat sie geküßt! – Ist denn das nicht ganz entsetzlich, Jungfer Katharine?«

Diese ließ nachsinnend und lächelnd ihr Haupt sinken, so daß die schwarzen Flechten über ihr glühendes Gesicht herab fielen. Wir wissen nun nicht ganz genau, wem dieses Lächeln galt, hoffen aber nicht, daß die Erzählung Clementinens es hervorgelockt, da wir ohne weitere Beweise unmöglich annehmen wollen, als ob Katharina nur über so etwas lachen könnte. Aber die Welt ist sehr verderbt!

Das mochte auch Clementine denken, denn sie sah erstaunt ihr lächelndes Gegenüber an, und es schmetterte ihr zartes Gefühl ordentlich darnieder, ja, sie verlor allen Glauben an ihre Mitschwester, als diese nicht nur zu lächeln fortfuhr, sondern sogar nach einer kleinen Pause die schrecklichen Worte sprach: »Und Sie haben noch nie einen Mann geküßt, Clementine?«

Die alte Jungfer saß auf diese Frage starr wie eine Bildsäule. Sie hätte fliehen mögen, aber sie konnte nicht zum Aufstehen kommen. So etwas Entsetzliches hatte noch Niemand mit ihr gesprochen. Sie sah Katharinen mit einem wahren Entsetzen an, sie fürchtete sich vor ihr, es schauerte sie in ihrer Nähe, sie hatte ein Gefühl, wie wir vielleicht vor Jemanden, der zu uns sagt: er sei mit einem schrecklichen Uebel behaftet, er habe Momente, wo es ihm das größte Vergnügen mache, seinem Gegenüber an den Hals zu springen, um ihn gelinde zu erdrosseln.

Und die schöne Katharina hatte so gar keine Ahnung von den Gefühlen, die ihre unbedachte Frage in der Brust der alten Jungfer hervorgerufen; ja sie wiederholte dieselbe sogar und im Tone des Zweifels und setzte hinzu: »Wirklich, Clementine, es hat Sie noch nie ein Mann geküßt?«

»Nein!« antwortete diese nach einer längeren Pause mit tonloser Stimme, und es lag in diesem Nein ein unendlicher Schauer, und zugleich ein Schrei des Entzückens über die unendliche Reinheit ihrer eigenen Seele. – »Nein, gewiß nicht, Katharine!« fuhr sie nach einer abermaligen Pause hastig fort; »Gott soll mich bewahren, so etwas Schreckliches ist mir, dem Himmel sei es gedankt! bis jetzt nicht widerfahren.«

Katharina blickte lächelnd auf und ließ ihre leuchtenden Augen eine kleine Weile auf dem zarten Gesicht der alten Jungfer ruhen. »Das ist eigentlich sonderbar,« sagte sie leise mehr zu sich selber als zu der Anderen, »in Ihrem langen Leben nicht ein einziges Mal geküßt?«

»Nein, in meinem langen Leben nicht ein einziges Mal,« wiederholte Clementine, und sie hätte sich über dieses »lange« Leben vielleicht beleidigt gefühlt; doch welcher Triumph für sie! ihr Herz war in diesem langen Leben rein geblieben, und das Kind ihr gegenüber, ein unreifes Ding von zwanzig Jahren, hatte vielleicht schon Erfahrungen gemacht, hatte vielleicht schon – o schrecklich! – einen Mann geküßt!

Anfänglich dachte Clementine, es sei für ihre eigene Gemüthsruhe wahrscheinlich besser, wenn sie hierüber in Ungewißheit bliebe. Dann aber brach die weibliche Neugierde mächtig und siegreich hervor, und die Folge hievon war, daß sie schüchtern fragte: »Und Sie ...?«

»Was?« entgegnete Katharina, aus einem tiefen Nachdenken auffahrend.

»Ich meine: und Sie?« sagte die alte Jungfer; »ob Sie vielleicht schon ...?«

»Nun, was denn?«

»Nun, was Sie mich vorhin fragten, ob« ...

»Mich schon vielleicht ein Mann geküßt?« entgegnete Katharina lachend. Clementine nickte erröthend mit dem Kopfe.

»Ja, ja,« gab Katharina zur Antwort, »er hat mich schon geküßt, nicht oft, aber innig geküßt. O Gott, das war eine Seligkeit!« – Sie sagte das mit sehr leiser Stimme, als fürchte sie, von jemand Anderem gehört zu werden, und dabei athmete ihre Brust schwer auf, als sei sie froh, daß sie einem anderen weiblichen Wesen dieses selige Geheimniß habe anvertrauen können.

Clementine schauderte mehr und mehr; und doch konnte sie sich nach einigen Augenblicken nicht enthalten, zu fragen: »Er? – wer ist das?« Die gute Seele hoffte und glaubte, es könne mit diesem Er vielleicht einer der Brüder Katharinens gemeint sein; doch fand sie sich durch die nächsten Worte des jungen Mädchens grausam enttäuscht.

»Ach, er war es,« sagte diese und schlug die Augen zu Boden; »er, den ich liebe, o nein, nicht blos liebe, er, der mein Alles ausmacht, von dessen Bild ich mich durchdrungen fühle, ohne den ich nichts denken kann und mag, er, ja er, mein Leben, meine Seele!«

»Ein Mann?« fragte entsetzt Clementine.

»Der mich liebt wie ich ihn liebe, so glaube ich wenigstens, so hoffe ich. Ach, Clementine, könnte ich Ihnen einen Begriff geben von dem Gefühl, das mich durchströmt, wenn er zu mir tritt, wenn ich seine Nähe fühle oder gar wenn mich seine Hand berührt! O, wie es mich da durchschauen, wie es zuerst eiskalt durch mein Blut läuft und mein Herz fast still steht, und wie es mich dann glühend heiß durchtobt und ich kaum zu athmen

»Das ist ja entsetzlich,« sagte die alte Jungfer. »Das muß ja fürchterlich, wie eine Krankheit sein!«

Katharina legte ihre warme Hand auf den dünnen Arm ihrer entsetzten Zuhörerin und fuhr fort: »Clementine, Sie wissen nicht, wie glücklich ich mich fühle, daß ich mit Ihnen darüber sprechen kann. Habe ich doch Niemanden, dem ich mich anvertrauen könnte, und hier in meiner Brust war es so voll, ach, so voll Glück und Vergnügen; gewiß, ich wäre noch daran erstickt. Ja, wenn ich an alles das dachte, wie und wo ich ihn zum ersten Mal gesehen, dann schwoll es mir bis an den Hals hinauf, ich versuchte vergeblich zu athmen; aber jetzt ist mir leichter, und ich will Ihnen Alles, Alles erzählen.«

»Um Gottes willen, Katharine!« sagte die Andere und rückte ihren Stuhl etwas zurück; »was wollen Sie mir erzählen? – O liebe Seele, verzeihen Sie mir, aber ich habe dergleichen noch nie gehört, und wenn es zufällig etwas Schreckliches wäre, so könnte ich es nicht ertragen; ich glaube, ich würde ohnmächtig werden.«

»Es ist aber gar nichts Schreckliches!« entgegnete erstaunt Katharina. »Gewiß nicht! Es ist etwas so Schönes und Liebes! Sie wissen, Clementine, wie viele junge Herren aus der Stadt täglich von meinen Blumen kaufen; aber es war mir wahrhaftig ganz gleichgültig, wer an meinen Korb kam: ich gab Jedem bereitwillig, was er verlangte, dem Einen wie dem Anderen, und wenn mir vielleicht ein Kunde weniger lieb war, so kam das daher, weil dieser vielleicht mehr dumme Worte an mich hinsprach, als ein anderer. Da kam er zum ersten Male auf den Markt und sagte, er habe mich schon lange um einen Strauß bitten wollen, aber ich möchte ihm einige Blumen schenken, er könne und wolle mir nichts abkaufen. Natürlich sah ich ihn erstaunt an und wollte ihn anfänglich auslachen; doch wie ich in sein Gesicht blickte, das mich so offen und ehrlich ansieht, in seine klaren Augen, die so gar nicht aussahen, als wollten sie einen Scherz mit mir treiben, da konnte ich nicht mehr lachen. Ich weiß nicht, es war mir so verwirrt zu Muth, ich mußte mich plötzlich auf meine Körbe niederbeugen, und da suchte ich lange unter den Blumen herum, und ich konnte nicht anders, ich mußte ihm den schönsten Strauß geben, den ich hatte. Es waren Vergißmeinnicht, Veilchen und eine Rose. Er nahm sie aus meiner Hand und sah mich lange fest an, dann sagte er: Gott, wie froh bin ich, daß Sie mir dieses Geschenk geben, Katharine! Ach, das Kaufen und Bezahlen ist entsetzlich langweilig! – und er sah gewiß nicht aus, als wenn ihm das Kaufen und Bezahlen Mühe gemacht hätte. Dann fragte er mich noch: Und Sie geben mir die Blumen gern? – worauf ich antwortete: Warum nicht? – Und dann ging er fort und schenkte einem Bettelweib, das ihm in den Weg lief, einen Gulden. – Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte ihm den Strauß gern gegeben. Es hatte mich noch keiner von diesen Herren gebeten, ihm eine Blume zu schenken, und das kam mir so außerordentlich nobel und anständig vor. Andere von den jungen Leuten hatten mir oft das Doppelte, das Zehnfache meines Preises bezahlen wollen, und das fand ich so gemein, ja unartig.

»Von da an hatte ich jeden Tag etwas Besonderes in meinen Körben versteckt. Aber er kam erst nach einiger Zeit wieder und sagte, er habe meine Güte nicht mißbrauchen wollen. Doch mußte er bei dem zweiten Male wohl gemerkt haben, wie gern ich ihm einige Blumen gebe – ich war wahrhaftig nicht im Stande, dies zu verbergen – und von da an kam er jeden Markttag, und als ich einmal nicht hingehen konnte, da steckte ich eine kleine Rose neben den Henkel meines Korbes und sagte leise zu mir, als ihn die Magd fort trug: Die ist für dich! Und es war, als habe ihm die Rose das wieder gesagt, denn er kam zur Mutter und verlangte gerade nur diese Rose.«

»Das ist aber alles recht nett und schön,« sagte die alte Jungfer, die augenscheinlich erfreut war, daß ihre zarten Ohren nichts Schrecklicheres hören mußten.

Aber Katharina war mit ihrer Geschichte noch nicht zu Ende.

»Eines Abends,« fuhr sie fort – »es war in diesem Frühjahr – ging ich, als es schon dunkel wurde, von meiner Tante, die draußen vor der Stadt wohnte, allein nach Hause. In der Alleestraße, wo die großen neuen Häuser stehen, kam ich bei einem Parterre vorbei, das erleuchtet war, und wo die Fenster offen standen. Zwischen ihnen aber sah ich hölzerne Kästchen aufrecht stehen, und zwischen diese Kästchen waren Saiten gespannt.«

»Aeolsharfen,« sagte Clementine.

»Ja, ich glaube so heißt es,« fuhr das junge Mädchen fort. »Und aus diesen Dingern klang es so merkwürdig und schön, es flüsterte und sang und klagte und erzählte allerlei, daß ich unwillkürlich stehen blieb und zuhorchte. Ich hatte eine solche Musik in meinem Leben nicht gehört; es war aber auch keine bekannte Melodie darin, sondern es war, als wenn viele Stimmen durch einander sängen und selbst nicht wüßten was, und doch ging es ganz nett zusammen. Zufällig blickte ich in die Fenster hinein, und da sah ich, daß um eines dieser Kästchen ein Kranz von verwelkten Blumen hing, und wie ich so genauer hinschaute, bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß es meine Blumensträuße waren, die man zusammengebunden und dorthin gehängt hatte. Als ich das aber gesehen, blieb ich keine Sekunde länger vor dem Fenster, sondern lief rasch die Straße hinab. Aber ich lief nicht allein: ich fühlte wohl, daß Jemand schnell hinter mir drein ging.«

»Ah!« rief erstaunt Clementine.

»Er war es,« fuhr das junge Mädchen mit ganz leiser Stimme fort, »und ich mochte so schnell gehen, wie ich wollte, er blieb dicht hinter mir. – – Endlich sprach er mich an.«

»Auf der Straße?« fragte entsetzt Clementine.

»Natürlich auf der Straße!« entgegnete die Andere. »Ich weiß eigentlich nicht genau, was er anfänglich sagte; aber so viel verstand ich, er habe mich am Fenster gesehen und sei mir nachgeeilt. Ich war natürlich sehr verwirrt und in Verlegenheit und mußte ihm wohl entgegnet haben, ich habe meine Blumen bemerkt, denn er sagte mir ganz vergnügt: Ach ja, Katharine, das sind freilich Ihre Blumen, ich habe sie über meine Aeolsharfe gehängt, und wenn es Abends aus den Saiten hervor und in mein Zimmer hinein flüstert, so meine ich immer, Sie sprächen mit mir, – Das kam mir so rührend und schön vor, wie er das zu mir sagte, daß ich ordentlich zitterte und mir die Thränen herab liefen. Dann begleitete er mich in die untere Stadt, und als er hier vor dem Hause – es war schon ganz dunkel – Abschied von mir nahm, da geschah das, was ich vorhin sagte.«

»Er hat Sie geküßt! – – –«

»Ja, er hat mich geküßt; ach, Clementine, und das war eine Seligkeit! ich hätte das vordem in meinem ganzen Leben nicht geglaubt. Er schlang seinen Arm um mich herum – kommen Sie, ich will Ihnen das einmal zeigen ...«

»Ach nein, um Gotteswillen nicht!« bat Clementine, »ich könnte den Gedanken in meinem ganzen Leben nicht mehr los werden!«

»Also er schlang seinen Arm um mich, und dann fühlte ich auf einmal seine Lippen auf meinem Munde. Es war, als sei ein Blitz über mich gefahren. Ich war so erschrocken, daß ich mich nicht einmal mehr losmachen konnte, und er küßte mich einmal und sogar zweimal.«

»Sogar zweimal!« sagte Clementine; »das ist ja entsetzlich!«

»Ja, es wurde mir auch so sonderbar und ängstlich zu Muth, und darauf machte ich mich los, lief nach Hause und ging zitternd zu Bett. Ach, ich konnte die ganze Nacht fast kein Auge schließen, was mir sonst nie geschehen war, und wenn ich einmal einschlief und träumte, dann träumte ich von ihm, dann küßte er mich im Traume immer fort.«

»Sehen Sie,« sagte die alte Jungfer feierlich, »das ist Sündenschuld!«

»Aber es war mir gar nicht zu Muth, als wenn ich eine Sünde begangen hätte,« sagte Katharina ganz aufrichtig und schaute ihre Zuhörerin unbefangen an. »Aber nicht wahr, Clementine, was ich Ihnen hier erzählte, das bleibt ganz unter uns, Sie sprechen gegen Niemand davon!«

»Gott soll mich bewahren! Ich werde es nicht über meine Lippen bringen.«

Hier trat in dem Gespräche der Beiden eine kleine Pause ein; Katharina stützte ihren Arm auf das Fenstergesims, legte ihr glühendes Gesicht auf die Hand und schien über etwas Angenehmes nachzudenken. Clementine hatte unterdessen die Hände gefaltet und sah das junge Mädchen vor sich mit traurigem Blicke an, mit einem Blicke, der zu sagen schien: »Arme Unglückliche, du bist gerade so eine Verlorene, wie die Choristin des königlichen Hoftheaters!«

»Nun habe ich Ihnen Alles, Alles erzählt,« sagte Katharina nach einer kleinen Weile; »aber jetzt, liebe Clementine,« fuhr sie lächelnd fort, – »Sie waren vorhin so erstaunt, als ich Ihnen sagte, ich liebe ihn so innig, so aufrichtig, – hat Sie denn das wirklich so sehr überrascht? haben Sie denn in Ihrem Leben nie Jemanden geliebt?

»Ich?« fragte erstaunt die alte Jungfer. »Heiliger Gott! das ist mir nie eingefallen, gewiß und wahrhaftig nicht! Ich hätte keine ruhige Stunde mehr!«

»Das ist schon wahr,« sprach träumerisch lächelnd Katharina, »die Ruhe, die man früher hatte, geht dabei verloren; aber die Unruhe, die man dagegen bekommt, ist viel schöner, o viel, viel schöner. Früher ist man freilich ruhiger, aber man hat so für gar nichts ein wirkliches Interesse, man freut sich über Alles und doch so recht über gar nichts. Aber wenn man liebt, da ändert sich das, man sieht jedes, was man sonst nicht beachtet, mit ganz anderen Augen an. Meine Blumen sprechen zu mir, der blaue Himmel eines schönen Tages, ein Sonnenstrahl, und dann erst ein Blick von ihm, ein Gruß – o, das müssen Sie noch erfahren, Clementine!« »Nein, nein, gewiß nicht!« entgegnete erschrocken die alte Jungfer; »ich bin nicht dazu gemacht. Wie das einem Menschen nützlich und angenehm sein könnte, davon habe ich keine rechte Vorstellung.«

»Aber Sie müssen doch schon zuweilen gedacht haben, da es auch Ihnen ganz anders sein würde, wenn Sie Jemanden hätten, der sich um Sie bekümmerte, und dem auch Sie Aufmerksamkeiten erzeigen könnten, dem Sie helfen, für den Sie leben könnten.«

»Ja, das habe ich wohl schon einmal gedacht,« sagte schüchtern Clementine und blickte nun ihrerseits zu Boden; »aber die Männer alle sind so roh, so ohne Rücksicht – sie sollen, wie man mir schon oft gesagt, so schreckliche Absichten haben.«

»O, das ist gar nicht wahr!«

»Ich scheue mich vor dem ganzen männlichen Geschlecht,« fuhr die zarte Jungfrau fort, »und meine Mutter, die Gott selig haben möge, hat mir immer dasselbe gesagt. – Ja,« sprach sie nach einer Pause stockend weiter, »wenn es eine – – eine – – Liebe gäbe, wie ich sie mir vorgestellt, das könnte mir vielleicht doch gefallen.«

»Also Sie haben sich doch schon einmal eine Liebe vorgestellt?« lachte Katharina.

»Schreien Sie doch nicht so!« bat die Andere und sah sich scheu um. »Aber Sie verstehen mich doch nicht.«

»Das wollen wir einmal sehen,« entgegnete das junge Mädchen. »Lassen Sie hören!«

»Ach,« sagte leise Clementine, »ich wollte mich wohl gern für Jemand interessiren, möchte ihn auch lieben, aber ich dürfte ihn nicht sehen, noch viel weniger sprechen.«

»Ihn nicht sehen und nicht sprechen?«

»Sehen vielleicht, ja, doch nur ein einziges Mal, damit ich mir ein Bild von ihm machen könnte. Aber sprechen dürfte er nicht mit mir – ach, die Männer sind so entsetzlich roh, und wenn sie einmal anfangen zu sprechen, so würde er mich auch – was Sie vorhin sagten –«

»Küssen wollen!« sagte das Mädchen, und aus ihren Augen blitzte es, und ihr Mund zuckte, als unterdrücke sie ein heftiges Lachen.

»Ja, – – das,« erwiederte schüchtern Clementine, »und das wäre mein Tod, mein gewisser Tod. Aber er dürfte mir schreiben, und ich würde ihm auf seine Briefe antworten, und wenn er traurig wäre, würde ich ihn trösten, und wenn er unglücklich wäre, würde ich ihm helfen.«

»Das wäre aber eine eigenthümliche Liebschaft,« meinte Katharina, jetzt laut lachend.

»Nun sehen Sie, wie Sie über mich spotten!« sagte die alte Jungfer einigermaßen empfindlich. »Sie haben es aus mir herausgedrückt und jetzt machen Sie sich über mich lustig.«

»Nein, gewiß nicht, meine liebe Clementine!« sprach gutmüthig das junge Mädchen und faßte ihre beiden Hände; »ich fühle und denke nur ganz anders, als Sie. Ein gesprochenes Wort ist doch etwas ganz anderes, als ein geschriebener Brief. Freilich, so ein kleines, liebes Blättchen Papier, das hie und da dazwischen kommt, das hat man auch gern und kann es sich wohl gefallen lassen.« – Damit ließ sie die Hände der alten Jungfer los und drückte, ihre Rechte fest auf die Brust, als habe sie dort einen solchen Schatz versteckt. Drunten aber vernahm man in diesem Augenblicke sehr laut und deutlich die Stimme der Madame Schoppelmann, welche nach ihrer Tochter rief.

Diese Unterredung der beiden Mädchen, welche vielleicht dem geneigten Leser unbedeutend vorkommen mag, die aber für unsere wahrhaftige Geschichte einigermaßen wichtig ist, wurde durch diesen Ruf beendigt und somit auch das vorliegende Kapitel.


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