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60. Er!

Meister Schwemmer saß, wie fast immer, so auch am heutigen Abend auf seinem gewöhnlichen Platz am Ofen, die angeschwollenen Füße in Filzschuhen, auf den Knieen das unvermeidliche rothkarrirte Tuch, dessen eigentliche Bestimmung es war, den vielen von den Fingern herabfallenden Schnupftabak wieder aufzufangen. Hierauf hielt die Frau, und sie vergaß nie, dieses Tuch mehrmals des Tags in ein Papier auszuschütteln.

Vor dem Hausherrn saß rittlings auf einem Stuhle Herr Sträuber; er hatte die Hände auf die Lehne desselben gelegt und rieb sein spitzes Kinn auf ihnen hin und her. Madame Schwemmer befand sich in einer Ecke des Zimmers und schälte Kartoffeln, ging aber häufig in die Küche hinaus, um, wie sie sagte, nach dem Kindsbrei zu sehen, der auf dem Herde schmorte, in Wahrheit aber, um regelmäßig eine kleine Herzstärkung zu sich zu nehmen.

Herr Sträuber mußte etwas erzählt haben, was den Anderen einigermaßen überraschte, denn dieser schüttelte mit dem Kopfe, machte große Augen und ein schiefes Maul und meinte alsdann: »So, so! – Ei, ei! – und spurlos verschwunden?«

»Spurlos!« entgegnete Herr Sträuber, indem er seinen Kragen in die Höhe zog; »das heißt, wohlverstanden, spurlos als Lebender. Freilich todt genug zog man ihn am anderen Morgen aus dem Kanal hervor.«

»Ah! das ist doch was Anderes! Da wußte man also doch, wo er geblieben war! – Und wer besorgt dergleichen Geschichten?«

»Bssst! Meister Schwemmer! darüber spricht man nicht gern; es weiß es auch eigentlich Niemand genau, wer da den Scharfrichter spielt. Genug, es ist schon einige Male vorgekommen, so viel ich weiß.«

»Und da spricht er ganz einfach einen Urteilsspruch?«

»Nachdem er drei, vier der Andern gehört hat, und sie seiner Meinung sind.«

»Na, da ist doch eigentlich eine Art von Gericht, und dagegen kann man nichts haben.«

»Ganz richtig; dabei wäre am Ende auch nichts zu erinnern. Aber er übt auch sonst – unter uns gesagt – eine zu wahnsinnige Tyrannei aus. Kann Einer von uns wohl thun, was er mag? – Hat irgend Einer einen freien Willen? – Nein! nein! beim Teufel! nein! Ich versichere Euch, Meister Schwemmer, ich gehe stark mit der Absicht um, wieder ehrlich zu werden und mein Brod auf anständige Weise zu verdienen. Ich absonderlich tauge nicht in diese Gesellschaft; man hat eine Erziehung genossen, man hat eine Vergangenheit, und dann – gibt es ein Paar zu schöne Augen, die mich oftmals mit heißen Thränen bitten, aus dem Dunkel hervorzutreten, in das mich unsere Lebensweise hüllt. – Schöne Augen!«

»Nun, wenn die schönen Augen Geld haben, so heirathet sie in Gottes Namen und lebt Eurer Erziehung und Eurem Stande gemäß.«

»Findet Ihr das nicht auch, Meister: Ich bin zu nobel, zu vornehm für dies Gewerbe?«

»Das wollte ich gerade nicht sagen,« meinte hustend der Hausherr. »Wißt Ihr, Sträuber, Euch fehlt der rechte Muth zu unserem Geschäft, Ihr habt Angst vor einem Handgemenge, Ihr seid zu weich.«

»Richtig, richtig, Meister Schwemmer!« erwiderte schwärmerisch der Andere, wobei er den Hut, den er auf dem Kopf hatte, fest in die Augen drückte. »Das sagt meine Gräfin mit den schönen Augen auch. Was mich dieses Weib liebt, davon habt Ihr gar keine Vorstellung. – Es frißt mir das Herz ab, wenn ich sie so vornehm und stolz vorüberfahren sehe, und dabei bedenke, was ich für ein miserabler Sklave bin. – Und Sklaven sind wir, das ist nicht zu leugnen.«

Als Herr Sträuber von der schönen Gräfin sprach, nahm der Hausherr eine gewaltige Prise und kniff sein linkes Auge zu gegen das Weib hin, das darauf verächtlich lächelnd die Achseln zuckte.

»Glaubt Ihr nicht, daß wir Sklaven sind?« fuhr Herr Sträuber fort, da er diese Grimasse, welche seiner angeblich vornehmen Bekanntschaft galt, mißverstanden.

»O ja doch,« entgegnete Meister Schwemmer; »namentlich Ihr vom Fuchsbau. Mich hier läßt er so ziemlich im Frieden.«

»Wartet nur; ich sehe es auch noch kommen, daß er Euch irgend was am Zeuge flickt. Er soll neulich zu Mathias gesagt haben: ›Was wißt Ihr von der Wirthschaft bei dem Schwemmer? Da sollen zuweilen saubere Geschichten vor sich gehen; sagt ihm mein Kompliment und er soll sich in Acht nehmen.‹«

»Hat er das wirklich gesagt?« fragte der Meister, der einen plötzlichen Schrecken mühsam hinter einem leichten Hüsteln zu verbergen suchte, wogegen das Weib Kartoffeln und Messer in den Schoß fallen ließ und mit weit offenem Munde dreinschaute.

»Ja, das hat er gesagt,« fuhr Herr Sträuber fort, offenbar sehr befriedigt durch die Wirkung, welche diese Worte hervorgebracht. – »Von mir sprach er ebenfalls, und nicht gerade besonders schmeichelhaft; er nennt mein unschuldiges Vergnügen, den kleinen Kindern die Ohrringe wegzunehmen, ein gemeines Verbrechen, eine Schande; er wolle ein Wort mit mir reden, wenn er sich einmal von der Wahrheit überzeugt. – Nun, ist das keine Sklaverei? Müssen wir uns eine solche Herrschaft gefallen lassen?«

Der Andere winkte mit der Hand, als wollte er sagen: Stille, stille! Und dann fragte er mit leiser Stimme: »Woher erfährt er denn alle diese Geschichten?«

»Das weiß der Teufel!« sagte Herr Sträuber; »aber ihm bleibt nicht leicht etwas verborgen. – Ich habe immer schon gedacht, der Mathias mache zuweilen den Spion gegen uns.«

»Nein, gewiß nicht!« erwiderte Meister Schwemmer im Tone der Ueberzeugung. »Der Mathias ist ein rauher Kerl, aber verrathen thut der Niemand. – Es ist das überhaupt ein rätselhafter Herr,« fuhr er nach einer Pause fort.

»Wer? – Der Mathias?«

»Ach nein! Er! – Habt Ihr ihn kürzlich gesehen?«

»Gott sei Dank! nein; nur neulich zufällig erfahren, daß er im Hause sei, wie die Geschichte mit dem Lakaien spielte.«

»Aber Ihr spracht ihn früher schon?«

»Ein einziges Mal. Und ich muß gestehen, da machte er auf mich einen gewaltigen Eindruck. Er ist nicht übermäßig groß, aber seine Stimme geht Einem durch Mark und Bein, und wenn er eine Bewegung macht, auf und ab geht oder etwas thut, so meint man, seine Glieder seien von Stahl und Eisen.«

»Ja, ja, so ist es,« entgegnete der Hausherr, während er langsam den Kopf in die Hand sinken ließ. – »Aber glaubt Ihr wohl,« fuhr er nach einer Pause fort, »daß ihn Jemand von den Anderen genau kennt?«

Herr Sträuber schüttelte den Kopf und versetzte: »Sehr genau kennt ihn gewiß Niemand, am besten wohl der Mathias, und dann der Joseph, dessen Ihr Euch wohl noch erinnern werdet.«

»Richtig, der Joseph! – Wo ist der wohl geblieben?«

»Hm! hm!« machte der Andere. Dann hob er den Kopf in die Höhe und blickte seinem Gegenüber forschend in die Augen, so daß dieser fortfuhr:

»Vor mir braucht Ihr Euch nicht zu geniren, denn wir kennen uns lange und genau genug.«

»Das ist schon wahr,« meinte Herr Sträuber und blinzelte mit den Augen. »Ich habe eigentlich auch schon lange mit Euch darüber sprechen wollen; jedoch –« er warf einen Blick auf das Weib in der Ecke, welchen der Hausherr vollkommen verstand, denn er sagte augenblicklich mit seiner heiseren Stimme:

»Geh' hinaus und schaue einmal nach den Kindern; ich meine, ich hör' da ein Geschrei.«

Worauf sie sich mit einer unmuthigen Bewegung erhob und das Zimmer verließ.

»Nun –?«

»Der Joseph verschwand also plötzlich spurlos und blieb wenigstens ein ganzes Jahr weg. Eines Abends erschien er nun wieder einmal im Fuchsbau, ganz zerlumpt und abgerissen.«

»Er hatte wohl eine Kunstreise gemacht?«

»Wie ich Euch sage: er schaute zum Erbarmen aus. Es war gerade an jenem Abend, wo Er auch im Fuchsbau war. Er muß auch den Joseph gesprochen haben, denn der Mathias führte ihn auf ein Zeichen der Alten aus der Schenkstube hinweg, und Beide kamen nicht wieder. Mathias freilich nur für den Abend, der Joseph aber auch am anderen und die folgenden Tage nicht.«

»Da wird er wieder auf Reisen gegangen sein?«

Herr Sträuber lehnte sich mit seinem Stuhle so weit als möglich vorn über, worauf er mit den Augen blinzelte und leise flüsternd sagte: »Unter uns, Meister Schwemmer, er blieb in der Stadt; ich möchte wenigstens hundert Gulden gegen einen faulen Apfel wetten, daß ich ihn kürzlich wiedergesehen.«

»Zerlumpt?« –

»Im Gegentheil; er stand auf einer herrschaftlichen Kutsche, auf's Schönste als Jäger angezogen.«

»Nun, das ist was Rechtes. Da wird er eine Stelle haben, wie der selige Lakai.«

»O nein; mit dem blieben wir beständig im Rapport, der kannte uns genau und nickte uns auf der Straße, so oft er nur konnte, verstohlen zu. – Aber Herr Joseph sind stolz und vornehm geworden, ein ganz Anderer, kennt uns nicht mehr und wendet den Kopf ab, wenn wir ihn ein bischen scharf anblicken.«

Meister Schwemmer schaute an die Decke empor, nahm eine starke Prise und hielt darauf seine Nase eine Zeit lang mit den Fingern fest, während er eifrig nachdachte. – »Das ist allerdings sonderbar,« sagte er alsdann. »Aber ich will Euch einen Rath geben, bester Sträuber; wenn sich die Sache so verhält, so thut Euch selbst den Gefallen, und blickt den Joseph nicht so scharf an, denn sonst könnte Er Euch auf kuriose Art zwingen, die Augen niederzuschlagen.«

»Immer wieder Er!« entgegnete der Andere und setzte mit prahlerischem Tone hinzu: »Was will Er denn eigentlich? Ich werde doch, beim Blitz! auf der Straße die Menschen ansehen dürfen! – Ihr habt eine gewaltige Angst vor ihm.«

»O lieber Freund,« antwortete lächelnd der Hausherr, »wir wissen wohl, wer die meiste Angst hat, aber auch das größte Maul. Wollte Euch nur sehen, was Ihr für ein Gesicht machen würdet, wenn Er jetzt zufällig zum Fenster hereinschaute.«

Bei diesen Worten blickte der Sprecher, um den Anderen zu necken, etwas scharf auf die dunklen Scheiben, worauf Herr Sträuber erschrocken herumfuhr, und dann, als Jener laut auflachte, verdrießlich sagte: »Ah! laßt doch die schlechten Witze! Damit treibt man keinen Spaß.«

»Na, setzt Euch nur ruhig wieder hin,« fuhr Meister Schwemmer nach einem heftigen Hustenanfall fort. »Daher kommt Er nicht; wir stehen nicht in seiner Gnade; er bekümmert sich auch nicht um uns, was mir übrigens sehr angenehm ist. – Aber sagt mir über Eins Eure Meinung – ich weiß, Ihr denkt viel und habt in manchen Sachen einen außerordentlichen Scharfblick – wofür haltet Ihr Ihn eigentlich?«

Herr Sträuber zuckte bei diesen Worten hoch und lange die Achseln, dann schob er seine Unterlippe vor und entgegnete: »Das mag der Teufel wissen.«

»Na, gebt was los!« meinte der Hausherr, da Jener zu zaudern schien. »Ihr habt gewiß viel darüber nachgedacht und auch Manches in Erfahrung gebracht.«

»Erfahren habe ich eigentlich über ihn nie etwas,« erwiderte Herr Sträuber. »Aber meine Idee steht so ziemlich fest.«

»Nun denn?« –

»Daß er keiner unseres Gleichen ist, das liegt am Tage, ebenso, daß die Gestalt, unter der er bei uns erscheint, nicht seine wahre ist. – Ich halte ihn mit einem Wort für einen vornehmen und reichen Herrn, dem es nun einmal Spaß macht, eine solche Rolle zu spielen.«

»Ja, ja, das denke ich auch.«

»Der eine Freude daran findet, so eine unsichtbare und mächtige Hand über die Menschen auszustrecken, und hier und dort Einen zu schütteln und zu kneifen; dessen Laune es ist, manchmal Jemand, der sich vielleicht seinen Zorn zugezogen, gewaltig zu treffen. – Denn aus Eigennutz oder des Verdienstes halber hat er sich nicht mit uns eingelassen, das liegt am Tage.«

»Gewiß nicht; ich wüßte mich wenigstens nicht zu erinnern, daß er je auch nur Nadelknopfs Werth von dem Erworbenen für sich in Anspruch genommen.«

»Ihr müßt aber da etwas unterscheiden,« fuhr Herr Sträuber mit einem pfiffigen Gesichte fort; »er verlangte freilich nie etwas, was für uns Werth hat, aber die Sachen, die er sich vorbehielt, und die wir hie und da mitnahmen, mußten doch wohl für ihn wichtig sein, denn er hat sie uns meistens reich bezahlt.«

»Und was waren das für Sachen?«

»Papiere, lieber Freund! – Dokumente; was weiß ich! Oftmals Briefschaften, ja nur ein einfaches Porträt, das er haben wollte. Und wie genau wußte er immer, wo das zu finden sei. In solchen Fällen gab er das Zimmer an, den Tisch oder den Schrank, wo sich die und die Kassette befände; ja er wußte oft, wo der Schlüssel war, oder sagte, man müsse sie aufsprengen oder ganz mitnehmen.«

»Aber Papiere von Geldwerth nahm er nicht?«

»Davon habe ich niemals etwas gehört. – Als ich ihn damals sah – er gab uns in der Nacht über einen verwickelten Fall eine sehr genaue Instruktion – sprach er etwas, das ich nicht vergessen werde. – ›Einer ist auf dieser Erde der Sklave des Anderen,‹ sagte er; ›mir macht es nun einmal Vergnügen, so eine recht scharfe Peitsche über Alle schwingen zu können, nachdem sie mich lange und schwer gegeißelt. – Zu derselben Zeit bekam der Mathias noch einen ganz sonderbaren Auftrag, den er auch mit einer unglaublichen Gewandtheit ausführte. – Was meint Ihr wohl, Meister? – Er mußte sich mit großer Gefahr in ein Haus schleichen, mehrere Thüren öffnen und das Alles nicht um etwas zu nehmen, sondern um etwas zu bringen.«

»Ah! Sträuber, Ihr bindet mir Eins auf.«

»Gewiß nicht; mich soll der Teufel holen! Er bekam von ihm ein Paketchen mit Briefen, und die mußte der Mathias dort in einem Schreibtisch in ein ihm genau bezeichnetes Fach legen.«

»Das begreife ein Mensch.«

»Ich hab's begriffen,« sprach Herr Sträuber schmunzelnd, indem er die linke Hand mit ausgespreizten Fingern von sich abstreckte; »das war eine Mine, die er in dem Hause legte, die artig aufplatzte und dort mehr Verwirrung anrichtete, als wenn wir hunderttausend Thaler gestohlen hätten.«

In diesem Augenblicke vernahm man ein leises Klopfen an der Hausthüre.

»Wer kann das sein?« fragte Meister Schwemmer.

»Vielleicht der Mathias.«

»Nein; der klopft nicht so leise,« sagte der Hausherr. »Geh an die Thüre!« rief er seiner Frau, die eben wieder eintrat, zu, »und schau, wer da ist. Wir brauchen keinen Besuch.«

»Dem Klopfen nach,« meinte sie, »ist es der Schneider von drüben.«

»Ah! mein Freund Schellinger!« rief lustig Herr Sträuber. »Den müßt Ihr auf einen Augenblick hereinlassen, das ist ein gar zu amüsanter Kerl; er soll uns von seinen Reisen erzählen. – Nicht, Meister?«

»Meinetwegen!« entgegnete der Hausherr. »Ich habe eigentlich nichts dagegen; eine halbe Stunde kann er schon da bleiben. Aber dann kommt der Mathias, und der ist, wie Ihr wißt, kein Freund von solchen Schnurrpfeifereien.«

Die Frau öffnete die Thüre und Herr Schellinger trat ein. Er rieb sich fröstelnd die Hände, bewegte seine Schultern hin und her und sagte dann: »Guten Abend bei einander; heute Nacht wird's kalt, ich wollte mir nur noch eine Handvoll Wärme mitnehmen, ehe ich in mein Bett gehe.«

»Ja, Ihr bringt einen wahren Frost mit herein,« versetzte Meister Schwemmer stark hustend. »Setzt Euch da auf die Bank und thaut ein bischen auf.«

Der Schneider that, wie ihm geheißen und ließ sich auf einen Schemel an der Seite des Ofens nieder, wo sich die Stubenthüre befand.

»Habe lange nicht das Vergnügen gehabt, Freund Schellinger,« sprach Herr Sträuber. »Ihr besucht Eure Freunde so selten.«

»Wer zu oft kommt, der wird überlästig,« sagte Schellinger lächelnd. Dann wandte er sich an den Hausherrn und meinte: »So ein warmer Ofen thut doch gut; Ihr solltet mir nächstens auch einen in die Stube setzen lassen.«

»Das erträgt's Gebälk nicht,« warf lachend Herr Sträuber ein. »Ich fürchte immer, daß Ihr's einmal durchbrecht und daß ich Euch eines Tags im untern Stock von der Decke herabhängend finde.«

Der Schneider legte seine Arme auf die Kniee, wie er gern zu thun pflegte, und ließ den Kopf tief sinken, den er nur zuweilen seitwärts erhob, um alsdann Dem, mit welchem er gerade sprach, mit einem eigentümlichen Gesichtsausdrucke von unten herauf in die Augen zu blicken. – »Das wäre möglich,« sagte er, »daß ich mich noch einmal selbst da aufhänge; aber vorher warte ich noch auf etwas.«

»Und das wäre?« lachte Herr Sträuber.

»Daß Andere zuerst Euch aufhängen,« entgegnete ruhig der Garderobegehilfe. »Ich möchte sehen, wie sich dabei ein Mann von Lebensart und guter Erziehung wie Ihr ausnimmt.«

»Pfui, Schellinger!« erwiderte der Andere. »Wer kann von so etwas nur reden!«

»Ja, Ihr brachtet mich darauf,« lächelte der Schneider. »Nicht wahr, Meister, ich fing nicht an?«

»Nein, Ihr fingt nicht an,« antwortete der Hausherr, während er Herrn Schellinger seine Dose darbot.

»Danke schön. – Bin so frei. – Und wie geht's mit der Gesundheit?«

»Ich kann's gerade nicht rühmen,« entgegnete Meister Schwemmer. »Der Winter greift mich an; das ist für Unsereins eine garstige Jahreszeit.«

»Ja, das Frühjahr ist besser,« mischte sich Herr Sträuber in's Gespräch und nickte dabei dem Schneider bedeutsam zu.

»Es ist etwas Seltsames,« sprach dieser kopfschüttelnd nach einer Pause und sah starr vor sich auf den Boden, »um so einen starken Schnupfen, wie Ihr habt. Das kommt in der Geschwindigkeit angeflogen und geht langsam wieder.«

»Aber bei mir ist es doch etwas mehr als Schnupfen,« meinte trübe lächelnd der Hausherr.

»Nichts als Schnupfen,« entgegnete Herr Schellinger in bestimmtem Tone. »Ich habe ihn einmal in Rußland vier Jahre gehabt, unaufhörlich fort. Und da ich damals in sehr feine Gesellschaft ging, so brauchte ich täglich vierundzwanzig Schnupftücher, gerade zwei Dutzend; daran habe ich die Zahl behalten.«

»Aber meinen Husten – den hattet Ihr nicht. Seht, das ist oft so arg, ich könnte wahrhaftig vom Stuhle herunterfallen.«

»Der meine war dazumal noch schlimmer,« fuhr der Schneider unerschütterlich fort; »ich mußte mich oft durch sechs Kosaken halten lassen, nur um nicht hinzustürzen.«

»Und wie wurdet Ihr Euren Schnupfen los?« fragte Herr Sträuber.

»Allein durch Luftveränderung. In der Verzweiflung schloß ich mich an eine Gesellschaft an, die hinauf an den Nordpol reiste, um dort das große Loch zu untersuchen, welches die Erdachse in's Eis gebohrt hat.«

»Aber um einen solchen Husten und Schnupfen los zu werden, meine ich, man ginge nach dem Süden, dahin, wo es recht warm ist,« sagte der Hausherr.

»Das hatte bei mir nicht geholfen,« erwiderte Herr Schellinger. »Die Aerzte zuckten bei meinem Anblick die Achseln und behaupteten, mir könne nur die Frierkur helfen.«

»Und wie ist die?«

»Man reist also ganz einfach nach dem Nordpol hinauf, dort ist die Anstalt, wo man die Frierkur durchmacht; man kann auch da Molken trinken, aber sie schmecken von dem vielen Schneewasser ein bischen salzig. – Nun also werde ich in dicke Pelze eingehüllt, Alles: Körper, Gesicht, Mund und Nase. Dann bohrte man mir unter der Letzteren zwei Löcher, da hinein steckte man Röhren, durch welche der Frost auf mich einwirken sollte. Und so wurde ich vier Tage lang gerade mitten auf die Erdachse gesetzt, bis der Schnupfen in meinem Kopf erfroren war, dann nahm man ihn heraus, setzte ihn in Spiritus, und ich habe ihn lange bei mir verwahrt, verkaufte ihn aber zuletzt auf vieles Zureden an die Universität nach Berlin für zwanzigtausend preußische Thaler.«

»Da wurdet Ihr ja auf einmal ein reicher Mann,« sprach laut lachend Herr Sträuber.

»Hätte es sein können,« entgegnete wehmüthig der Schneider. »Aber ich erhielt mein Geld in lauter Papierscheinen zu jener Zeit, als es dort so ungeheuer viel falsche gab. Das war ein großes Unglück, denn als ich mir mit meinen zwanzigtausend Thalern in der Tasche ein Milchbrod kaufen wollte, so mußte ich noch sechs Pfennige darauf legen.«

»Das ist allerdings ein hartes Schicksal,« meinte der Hausherr. »Und das hat Euch gewiß ein für allemal Preußen entleidet?«

»Ich will das nicht geradezu behaupten,« antwortete Herr Schellinger. »Allerdings schmerzte mich der Verlust dieses Geldes; doch Gold läßt sich nicht erwerben. Aber ich verließ dazumal Berlin – es war im Monat August und es wimmelte auf den Straßen von tollen Hunden –«

»Und das machte Euch Angst?«

»Es war mir wenigstens nicht besonders angenehm; und da mir die Welt offen stand, so reiste ich direkt nach Persien. – Aber da fällt mir noch eine schauerliche Geschichte ein, die damals mit solch' einem wüthenden Hunde in Berlin passirte. Dieser Hund – ich glaube, er hieß Sultan – wurde, Gott weiß aus welcher Ursache, rasend, er biß ein Pferd, das nach gehöriger Zeit ebenfalls wüthend wurde, und zwar gerade, als man im Begriff war, es einzuspannen. Dieser Gaul schlägt wie toll um sich und endlich beißt er zu wiederholten Malen in die Deichsel. – Das hat nun weiter nichts zu sagen, meint ihr; aber ich gebe euch mein Ehrenwort, daß die Sache einen fürchterlichen Verlauf nahm. Diese Deichsel nämlich, ja der ganze Wagen war am anderen Tage angesteckt, und rannte wie toll durch alle Straßen, und in einer Geschwindigkeit, daß zwölf Mann Gensdarmerie zu Pferde kaum im Stande waren ihn einzuholen.«

»Aber er hat doch Niemand gebissen?« fragte pfiffig blinzelnd Herr Sträuber. »Das gerade nicht; aber ich habe Leute gekannt, die bei diesem Anblick in Ohnmacht fielen und die, als sie wieder zu sich kamen, ihr ganzes Leben hindurch behaupteten, sie hätten ein herumlaufendes Rad im Kopfe. – Und das ist keine Kleinigkeit.«

»Schellinger ist immer noch der Alte,« sagte der Hausherr, nachdem er zuerst gelacht, dann gehustet und sich darauf in einem wahren Erstickungsanfall die Seiten zusammengepreßt hatte.

»Ja, ja, wir bleiben die Alten,« entgegnete kopfnickend der Schneider – »bis an unser seliges Ende.«

Herr Sträuber verzog bei diesen Worten auf unangenehme Art den Mund und schnalzte mit der Zunge, als koste er etwas sehr Scharfes und Bitteres. – »Sprechen wir nicht davon,« sagte er, »ich mag das nicht leiden; es kommt früh genug.«

»So solltet Ihr nicht sprechen,« erwiderte der Garderobegehilfe und sah den Andern fest an. »Unsereins hat bei seinem Tode nichts zu erwarten; wir gehen abwärts, sieben bis acht Schuh abwärts, und liegen da ruhig, bis uns die Graswurzeln in's Gesicht wachsen. Aber Ihr, Sträuber, Ihr geht bei Eurem seligen Ende ein paar Klafter aufwärts, darauf möchte ich schwören, und erhaltet da vornehme Gesellschaft, die Euch laut schwätzend umkreisen und sehr vielen Geschmack an Euch finden wird.«

Wir können nicht verschweigen, daß Herr Sträuber bei diesen Worten leicht zusammenschauerte und sich einigermaßen entfärbte.

Auch Meister Schwemmer bewegte sich unmuthig auf seinem Stuhle, während er sagte: »Laßt doch diese scheußlichen Reden; das greift mir wahrhaftig die Nerven an.«

»Man muß immer an sein Ende denken,« versetzte unerschütterlich der Schneider. »Und Ihr werdet doch keine Angst vor dem Tode haben? Das ist Euch ja ein alter lieber Gast, der oft genug hier im Hause einkehrt.«

Der Hausherr war bei diesen Worten erschreckt zusammengefahren, dann aber raffte er sich empor und blickte den Schneider mit seinen weit aufgerissenen, unheimlich glänzenden Augen an, wobei er den Mund öffnete, so daß seine dünnen Backen tief einsanken. Doch versuchte er es gleich darauf wieder, zu lächeln, während er hüstelnd sagte: »Alter Spaßvogel, der Schellinger! – Gott sei es gedankt, mit uns ist der Tod bis jetzt recht säuberlich verfahren.«

Der Schneider that gar nicht, als habe er nur das Geringste von der Aufregung der Anderen gesehen; er klopfte sich mit den Händen auf seine dünnen Schenkel und schaute an die Decke, als er sprach: »Wißt Ihr, Meister, die Leute sagen so; mir kann es ja im Grunde gleichgiltig sein.«

»Was sagen die Leute?«

»Nun, was werden sie sagen? Daß Ihr hinten in Eurem Hause einen Stall habet, wo die armen kleinen Kinder, die von Gott und den Menschen verlassen sind und deßhalb in Eure Hände fallen, zu Tode gefüttert werden.«

»Ah!«

»Ja, das sagen sie. Und sie halten das Ganze hier nur für eine Seelenverkäuferei; und deßhalb bin ich auch eigentlich gekommen, um mein Quartier bei Euch aufzukündigen, denn wenn ich noch ferner wohnen bliebe, so könnte meine Reputation darunter leiden.«

Herr Sträuber hatte sich bei diesen seltsamen Worten zoll- und ruckweise von seinem Stuhle erhoben und den Schneider mit einem wahrhaft gläsernen Blicke betrachtet. Seine rechte Hand tappte dabei hinter sich an die Stuhllehne, als glaube er dort irgend ein Instrument zum Dreinschlagen finden oder fassen zu können. Zu gleicher Zeit blickte er aber auch auf die Stubenthüre und schien in Erwägung zu ziehen, ob es nicht besser wäre, dies Haus, von dem man so schreckliche Dinge sagte, zu verlassen.

»Ich begreife übrigens gar nicht,« fuhr der Schneider mit großer Kaltblütigkeit fort, »wie Ihr mich so verwundert anstaunen mögt? Habt Ihr denn nicht gewußt, daß die Leute so was sagen?«

»Nein, nein!« stieß der Hausherr mühsam hervor. »Das sagt auch Niemand als Ihr allein.«

»Ich? Was geht's mich eigentlich an? Meint Ihr denn, daß Jemand, der Abends hinter der Stadtmauer spazieren geht, nicht zuweilen das Lachen und Singen Eurer Pflegekinder hört? – Lachen und Singen, daß einem ehrlichen Manne die Haut schaudern muß.«

»Nein, nein, man kann es nicht hören!« schrie Meister Schwemmer. Doch da er augenblicklich heiser war, so setzte er flüsternd und kaum hörbar hinzu: »Niemand als ein Spion kann das hören! Und ein solcher Spion seid Ihr! – Ihr! Ihr!« Er warf sich bei diesen Worten gewaltsam vorn über, so daß sich seine spitzige Nase wenige Zoll von der Brust des Schneiders befand, und bei jedem »Ihr!« das er mühsam herausbrachte, stieß er damit vorwärts, als wollte er seinem Gegner jedesmal einen Dolchstoß versetzen.

Das Weib war unterdessen wieder in die Stube getreten und hatte sich mit wankenden Schritten genähert. Ihre Nase war stark geröthet, und aus den Augen flammte die Trunkenheit; sie hatte die Kartoffeln fallen lassen, das Küchenmesser dagegen in der Hand behalten.

Herr Schellinger besaß wirklichen Muth; denn Angesichts dieser drohenden Geberden, die ihn rings umgaben, zuckte er leicht die Achseln und sagte mit bewundernswürdiger Ruhe, indem er sich langsam erhob: »Ich habe das schon lange gewußt; wer die Wahrheit spricht, den beherbergt man nicht; und deßhalb halte ich es für das Beste, wenn ich nach Hause gehe.«

Bei diesen Worten war er ganz aufgestanden und hatte vorsichtigerweise den schweren hölzernen Schemel, auf dem er gesessen, wie einen Schild vor sich genommen, wahrend er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte. Er gebrauchte diese Vorsichtsmaßregeln nur wegen des betrunkenen Weibes, deren wilde Leidenschaft er wohl kannte, und da er ganz richtig überlegte: Wenn ich auch wirklich um Hilfe schreie, so kann die mir ein paar Zoll ihres Messers in den Leib stoßen, ehe Jemand Amen sagt.

»Nein – nein – er – soll – nicht – von – hier – fort – jetzt!« – rief Meister Schwemmer. Und dabei machte er den Versuch, sich zu erheben; doch versagten ihm die kraftlosen Beine den Dienst, so daß er in seinen Stuhl zurücksank. – »Er soll – dableiben – bis – der Mathias – kommt. –Und – der wird – gleich – hier sein. – Sträuber – stellt Euch – an die – Thüre – und laßt – ihn – nicht – – hinaus!«

Dieser that zögernd, wie ihm geheißen; er war auffallend erblaßt, und obgleich wenigstens einen Kopf größer als Herr Schellinger, schien es doch, er würde diesem viel lieber die Thüre öffnen und ihn laufen lassen, als daß er genöthigt sei, ihn am Fortgehen zu verhindern.

Kaum aber hatte sich Herr Sträuber mit dem Rücken dagegen gelehnt, so fuhr er mit einem Ausruf des Schreckens und wie von einer Feder geschnellt wieder in das Zimmer hinein, denn hinter ihm wurde eben diese Thüre plötzlich geöffnet und der erwartete Mathias trat eilfertig herein.

»Da ist – er schon!« – schrie Meister Schwemmer eifrig.

– »Da ist er schon! – Habt Ihr – die Hausthüre geschlossen, Mathias? – So, jetzt – stellt – Euch wieder vor die Stubenthüre, Sträuber. – Warte – warte, Schneider!« – Er hätte wahrscheinlich noch mehr hinzugefügt, doch überfiel ihn ein so furchtbarer Husten, daß es ihn gewaltsam vorn über und dann wieder zurück an die Stuhllehne warf, und er längere Zeit brauchte, ehe selbst Jemand anders zu Worte kommen konnte.

Herr Sträuber, als er sah, daß es nur eine neue kräftige Hilfe war, die ihn vorhin so in Schrecken gesetzt, zog hastig seinen schwarzen Frack etwas herab, drückte mit einem gelinden Klaps den Hut auf dem Kopfe fest und stellte sich hierauf an die Thüre, trotzig und augenscheinlich voll Kampflust.

Mathias war in die Mitte der Stube getreten und schaute Jeden der Anwesenden der Reihe nach ruhig an. – »Was geht denn hier vor?« fragte er dann nach einer Pause. »Sollte man doch wirklich meinen, der Teufel sei auch hier los.«

Der Hausherr, der noch immer nicht sprechen konnte, verzog heftig sein Gesicht und deutete auf den Schneider.

»Was ist's denn mit ihm?« fragte Mathias. Und da Meister Schwemmer nicht antwortete, so fuhr er zu Sträuber gewendet fort: »So schwätzt Ihr! Das Maul zu gebrauchen wird Euch doch wohl nicht schwer werden.«

»Der Schneider führte hier soeben ganz absonderliche Reden,« antwortete der an der Thüre. »Es ist das ein gefährlicher Kerl geworden –«

»Ein Spion!« rief nun der Hausherr mit einer verzweifelten Anstrengung. – »Man muß ihn festhalten, Mathias.«

»Teufel auch!« entgegnete dieser sehr ernst. »Ich gebe sonst nie viel auf Euer dummes Gerede, aber diesmal mögt Ihr wahrhaftig Recht haben; es ist draußen nicht richtig.«

»Wo?« fragte erschrocken Herr Sträuber.

»Als ich eben zum Garten herein will,« fuhr der Andere fort, »blickte ich, wie das meine Gewohnheit ist, scharf nach allen Seiten, und sehe da mehrere Kerle, die sich links von hier am Zaune aufhalten. Ich mochte natürlicherweise nicht thun, als ginge das mich etwas an, und schielte nur so hinüber, bemerkte aber gleich, daß die Sache sehr verdächtig ist, denn ich sah deutlich etwas glänzen, wie Uniformsknöpfe, und vernahm auch das Klirren eines Säbels.«

»Das Klirren eines Säbels?« sprach angstvoll Herr Sträuber.

»Fragen wir den da!« schrie Meister Schwemmer. »Der weiß darum.«

»Ich weiß von nichts,« entgegnete der Schneider, indem er zu gleicher Zeit mit der rechten Hand unter den Rock fuhr, wo er auf der Brust das Theaterpistol verwahrt hatte. »Laßt mich ruhig meiner Wege gehen, ich will nichts von Euch.«

»Aber wir wollen was von Euch,« sagte Mathias sehr ernst und trat einen Schritt näher. »Schellinger! Schellinger! Macht Euch keine Angelegenheit! Mit mir ist nicht zu spaßen.«

»Ich verlange auch nicht nach einem Spaße mit Euch,« versetzte der Schneider. »Drum laßt mich ruhig meiner Wege gehen. – Sonst,« setzte er unvorsichtigerweise hinzu, »schreie ich um Hilfe.«

»Ah!« rief Mathias, einen halben Schritt zurückfahrend, »er will um Hilfe schreien! – Also muß eine Hilfe in der Nähe sein. – So wollen wir dich lieber vorher zu Boden schlagen, und dann kannst du nach deinen Helfershelfern schreien, so lange du magst.« – Bei diesen Worten, und noch ehe er sie beendigt, ergriff er einen der schweren Stühle, die hinter ihm standen, schwang ihn mit Blitzesschnelle um seinen Kopf und ließ ihn auf den Garderobegehilfen niederfallen.

Dieser aber zog im gleichen Augenblicke sein Pistol aus der Tasche und erhob ein lautes Geschrei. Der Schuß krachte los, und Herr Sträuber, der offenbar meinte, er sei tödtlich getroffen, riß die Stubenthüre auf und floh behende auf den Gang hinaus. Ihm folgte nicht minder behende und gänzlich unversehrt Herr Schellinger, denn der Schlag, den Mathias mit Riesenkraft nach ihm geführt, hatte glücklicherweise nicht ihn, sondern den Ofen getroffen, und die in ihren Fugen morschen Eisenplatten desselben so auseinandergeschmettert, daß das brennende und rauchende Holz in der Stube herumfuhr und einen Qualm verursachte, in dem Meister Schwemmer zu ersticken drohte.

Es war eine Scene unbeschreiblicher Verwirrung; die Lampe stürzte von dem Tische herunter, und Mathias, den seine rasche That gereute, stand lauschend inmitten der Dunkelheit und des Qualms, und hörte, wie draußen ein paar Stimmen riefen: »Wir kommen schon – wir kommen, Schellinger!« – Rasch eilte er an das Fenster, warf einen Blick auf den Hof und dann sprang er zurück und rief dem Hausherrn zu: »Ich kann Euch hier zu nichts helfen, und vielleicht nur Schaden bringen; ich finde schon meinen Weg in's Freie.« Damit eilte er durch die Küche und verschwand hinter dem Hause.

Schellinger, der einen Augenblick erwartungsvoll im Gange gestanden, hatte ebenfalls die Stimmen seiner Freunde vernommen und schob den Riegel der Hausthüre zurück.

Es war Richard, der eintrat, eine schwere Axt in der Hand; ihm folgten ein paar andere Zimmerleute, von denen Einer eine Laterne trug. Eine weibliche Gestalt huschte ebenfalls zum Hause herein, wurde aber, als sie rasch vordringen wollte, von Richard am Arme zurückgehalten, der ihr sagte: »Ruhig, Katharine; gemach, gemach! – Laß uns nur vorangehen; Schellinger kennt die Gelegenheit.«

Und Schellinger wußte in der That ganz genau, wo sich die Kinderstube befand. Er nahm seinem Kameraden die Laterne ab und eilte an das Ende des Ganges.

»Die Thüre ist offen!« rief er. »Es muß schon Jemand da hinein sein. – Jetzt aufgepaßt, Leute, und vorsichtig.«

»Wie viel Mann sind im Hause?« fragte entschlossen Richard.

»Nur ein einziger,« entgegnete der Schneider; »zwei andere, die noch da sind, zählen für gar nichts. Und auch dieser einzige, der mich, beiläufig gesagt, fast todtgeschlagen hätte, wird seine guten Gründe gehabt haben, das Haus zu verlassen; denn sonst hätte er euch, wie ich ihn kenne, den Eintritt ziemlich sauer gemacht.«

»Da ist mein Kind!« schrie nun Katharine mit lauter Stimme. – Sie war den Männern voraus und, die Warnung Schellingers nicht beachtend, in das Zimmer gestürzt. – »Es lebt! es lebt! – Gott sei gedankt! es lebt!« – Damit sank sie zu dem kleinen Mädchen auf den Boden nieder, preßte es heftig in ihre Arme, und lachte und schluchzte abwechselnd, während sie ihm Kopf, Hände und die geschwollenen Füße küßte, wobei ihre Thränen reichlich flossen. – »Seht ihr, daß es nicht todt ist!« rief sie triumphirend; »ja, ja, seht nur her, es lebt! – Und der Schein war falsch; die gute Marie hat Recht gehabt. – O wie danke ich euch! Es sieht wohl ein wenig elend aus, auch ist sein blaues Kleidchen ganz zerdrückt, aber das thut nichts – du bekommst schon ein neues. – O gewiß, ein neues! – Und wieder ein blaues, denn du bist ja nicht todt. – Ha! ha! ha!« lachte sie krampfhaft hinaus, »ja, es lebt, es –«

Diese Aufregung, die Angst und alsdann die Freude war zu viel für ihren schwachen Körper. So auf den Knieen liegend und sprechend, knickte sie zusammen, ihr Kopf sank tief herab, und ohnmächtig, wie sie war, wäre sie auf den Boden niedergestürzt, wenn sie nicht einer der Zimmerleute gehalten hätte.

»Das ist gescheidt,« sagte Richard, der sie mitleidig betrachtete und seltsam mit den Augen blinzelte. – »Bravo! Da fällt sie um und das in einem recht geschickten Augenblick. – Schellinger, du weißt mit den Frauenzimmern umzugehen, bück' dich ein bischen zu ihr herab und schau nach, was da zu machen ist.«

Der Schneider that, wie ihm geheißen, richtete ihren Kopf auf und blickte um sich her, während er gerührt sprach: »Das arme Geschöpf! Man hätte sich das denken können! – Wenn nur etwas Wasser da wäre!«

»Hier ist welches,« sagte eine frische Kinderstimme hinter Richard.

Und als dieser sich umwandte, sah er einen kleinen Knaben, der sich anfänglich hinter den Bettschragen verkrochen hatte, jetzt aber ruhigen Muthes zum Vorschein kam. Seine Kleidung sah ziemlich zerlumpt und abgerissen aus, und er hatte den Kopf mit einem blutigen Tuche verbunden. Doch waren seine Züge keck, ja fast heiter, und seine dunklen Augen blitzten mit sichtlichem Behagen.

»Hier ist Wasser,« wiederholte er und zeigte auf einen großen Krug, der in der Ecke stand.

Der Garderobegehilfe tauchte ein Tuch hinein und bespritzte alsdann die Schläfe der Ohnmächtigen.

»Und wer bist denn du?« fragte Richard den Kleinen, der aber statt aller Antwort pfiffig lächelnd den Kopf schüttelte und mit dem Finger unter den Bettschragen wies.

»Was willst du? – Was ist denn da?« fragte der Zimmermann leise, indem er seine Axt etwas in die Höhe hob.

»Einer,« entgegnete das Kind, »Einer von ihnen.«

Auf diese Nachricht bückte sich Richard alsbald nieder, um unter das Gerüst zu schauen, und entdeckte da in der Ecke einen Mann, der augenscheinlich dahin gekrochen war, um sich zu verbergen.

»Heda, mein guter Freund!« rief er ihm zu. »Kommt einen Augenblick hervor; ich möchte doch gar gern Jemanden vom Hause zu Gesicht bekommen, dem ich mittheilen könnte, was wir hier in der Kinderstube zu thun haben. – Kommt nur hervor, es soll Euch kein Leid geschehen; wir wollen Euch auch ruhig hier lassen, wenn Ihr nicht vielleicht auch ein gestohlenes Kind seid. – Kommt nur, kommt, sonst muß ich ein bischen helfen.«

Eine kleine Weile schien sich der unter dem Schragen zu besinnen, dann aber seufzte er tief auf und schob sich rückwärts hervor. Zuerst kamen ein paar ziemlich lange Beine zum Vorschein, dann ein schwarzer Frack, der in die Höhe gerutscht war und so oberhalb der Hose sehr gelbe Wäsche sehen ließ. Dann richtete sich die Gestalt in die Höhe, und Herr Sträuber in ganzer Figur, den Hut in der Hand, mit einem aschfahlen und verstörten Gesicht, stellte sich der Gruppe dar.

»Ein gutes Gewissen scheint der mir auch nicht zu haben,« sagte Richard zu den Anderen. – »Wer ist das, Schellinger? – Du kennst ja dieses Volk so ziemlich.«

Der Schneider, dem es unterdessen gelungen war, vermittelst des kalten Wassers Katharine wieder zu sich zu bringen, schaute in die Höhe und erwiderte: »Das ist Herr Sträuber, von dem ich dir heute Abend schon Einiges gesagt.«

»Ja, Sträuber ist es in eigener unglückseliger Person,« sagte der Schuft mit einer demüthigen Verbeugung. – »Erlauben vielleicht die Herren, daß ich mich entferne?« setzte er nach einer Pause mit einem falschen Blick hinzu.

»Nein, nein!« entgegnete eifrig der Schneider, »es ist besser, er bleibt da, bis wir uns entfernt haben; er könnte uns sonst noch allerlei Unheil bereiten; weißt du, uns aus einem dunklen Winkel hervor etwas anhängen. Halte ihn an deiner Seite, bis wir in die obere Stadt kommen, und dann kannst du ihn springen lassen.«

Der Herr Sträuber dachte an die Polizei, und hoffte, aus der Gesellschaft des Schneiders und der Zimmerleute unbemerkt entschlüpfen zu können, weßhalb er mit großer Freundlichkeit erwiderte: »Meine Herren, Ihr Vorschlag ist mir sehr angenehm, und ich mache mir eine Ehre daraus, Sie zu begleiten.« Darauf schlug er zierlich die Hände auf dem Rücken zusammen, setzte den rechten Fuß vor und schien es tiefgerührt mit anzusehen, wie die Mutter des armen kleinen Mädchens durch die Bemühungen des Herrn Schellinger allmählich wieder zu sich kam und sich dann mit Richards Hilfe aufrichtete, ohne jedoch ihr Kind aus den Armen zu lassen. –

– – Unterdessen hatte sich Meister Schwemmer vorn in der Wohnstube eher von seiner Ueberraschung und seinem Schrecken erholt, als von dem Erstickungsanfall, der ihn in Folge des Rauches überfallen. Er hatte sich mühsam erhoben und in die Küche geflüchtet, während seine Frau kaltes Wasser auf die brennenden Holzscheitchen goß. Nachdem so das Feuer gelöscht war, riß sie das Fenster auf, um frische Luft einzulassen, dann kehrte sie zitternd vor Zorn und Schrecken zu ihrem Manne zurück, der lauschend an der Thür stand, die von der Küche auf den Gang und in das Kinderzimmer führte. Er winkte seiner Frau mit der Hand, näher zu kommen, und als sie neben ihm stand, flüsterte er ihr zu: »Das war eine abgekartete Geschichte; aber man will nicht an uns, wie es scheint, nur an die Kinder.«

»Wem mag es gelten?« fragte das Weib, das nun vollkommen nüchtern geworden war.

»Vielleicht dem Buben. Ich habe dir immer gesagt, der bringt uns noch in Ungelegenheiten.«

»Horch!« rief die Frau. »Das ist keines Mannes Stimme. – Auch habe ich ein Weib mit ihnen kommen sehen; gib du nur Achtung: Von dem Buben will Niemand was; es wird die verrückte Nähterin sein, deren Kind die Bilz gebracht.«

»Und wofür wir den Todtenschein des anderen gaben,« versetzte Meister Schwemmer, dessen Gesicht sich etwas verlängerte.

Die Frau nickte stumm mit dem Kopfe. »Hörst du,« sagte sie nach einer Pause, während welcher sie aufmerksam nach dem Nebenzimmer gehorcht, »das ist der Sträuber, der spricht.«

»Der feige Schuft! – Gott soll ihn verdammen! Er ist zuerst ausgerissen.«

»Nun, von dem wundert's mich doch nicht,« flüsterte giftig das Weib. – »Aber der Mathias! Von dem hätte ich nimmer gedacht, daß er sich fürchtete und seine Freunde im Stich lasse.«

»Der fürchtet sich auch nicht; der hat seine Ursachen gehabt. Sprach er nicht von der Polizei, die das Haus umstellt habe? – Was kann man da machen?«

»Und wir sollen sie also ruhig ziehen lassen?«

»Soll ich sie vielleicht aufhalten?« fragte Meister Schwemmer mit einem jammervollen Blick auf seine wankende Gestalt. – »Ja, vor zwanzig Jahren,« setzte er zähneknirschend hinzu, »mit einer gesunden Faust und keinen trüben Erinnerungen, da hätte mir Einer so kommen sollen. – Aber jetzt! – Doch ruhig, Weib; komm' vor in die Wohnstube, da ist's dunkel und wir können unbeachtet zum Fenster hinaus schauen, um zu sehen, wer geht und was sie mitnehmen. – Merk' dir die Figuren so genau du kannst – das kann später von großem Nutzen sein. – Der verfluchte Husten!« –

Bei diesen Worten schlich er aus der Küche in die Wohnstube und näherte sich leise der Thüre, die in den Gang hinaus führte. Dabei machte er dem Weibe mit der Hand ein Zeichen, sie solle geräuschlos die Fenster schließen, denn die kalte Nachtluft sei ihm im Athmen beschwerlich.

Die draußen hatten nun das Kinderzimmer verlassen, Katharine drückte ihr Mädchen fest an die Brust, der Bube schlich hinter den Zimmerleuten drein, ohne von ihnen gesehen zu werden, und die zurückgebliebenen beiden kleinen Kinder auf dem Schragen schrieen jämmerlich, da man sie aus ihrem Schlafe geweckt.

Richard war voran und hatte fast die Hausthüre erreicht, als er plötzlich stehen blieb, denn er bemerkte, daß diese weit offen stand und von mehreren Gestalten besetzt war.

Eine löste sich rasch aus dem Haufen los, trat in den Gang und rief den Ankommenden ein »Halt!« entgegen. Diese Stimme klang nicht gerade übermäßig stark, aber der Ton, mit welchem sie ihr »Halt!« rief, brachte auf den Zimmermann, der seine Axt schon erhoben hatte, eine eigenthümliche Wirkung hervor. Es war ihm gerade, als gäbe ihm ein Vorgesetzter einen Befehl.

»Schließt die Thüre!« fuhr die Stimme fort. »Ich meine, man hätte von dem verfluchten Lärm draußen genug gehört.«

Herr Schellinger, der zuletzt kam, trug die Blendlaterne, welche einer der Zimmerleute mitgebracht hatte. Bei dieser unerwarteten Störung hob er sie hoch empor, um das Hinderniß, welches sich ihnen entgegengestellt, zu beleuchten, wodurch es Richard möglich wurde, den Mann zu betrachten, der ihn so unerwartet und befehlend angesprochen.

Es war das eine ziemlich hohe Figur, in einen weiten Mantel gewickelt, dessen eines Ende so hoch um Hals und Schultern geschlungen war, daß es das Kinn bedeckte und man so von dem dunklen Gesichte nichts sah als den langen schwarzen Bart und die glänzenden Augen, die unter einem gewöhnlichen runden Hute hervorblitzten.

»Ihr macht da ein sauberes Stück Arbeit,« fuhr die Gestalt mit großer Ruhe fort, »brecht in anderer Leute Häuser ein und geht auf den Kinderraub aus. – He!«

Richard, der genug persönlichen Muth besaß, versicherte später oftmals, es sei ihm in diesem Augenblick nicht möglich gewesen, ein unheimliches Gefühl zu unterdrücken. Die Ruhe und Kälte, mit der dieser einzelne Mann – denn die Hausthüre hatte man sogleich hinter ihm geschlossen – nun in dem engen Gange ihnen gegenübergetreten, habe ihm mächtig imponirt; weßhalb es denn auch erklärlich war, daß der Zimmermann Schritt vor Schritt zurückwich, während Jener langsam vorwärts schritt.

An der Stubenthüre blieb er stehen, öffnete sie und sprach: »Trete Einer von euch da hinein, auch das Weib mit dem Kinde; die Uebrigen mögen draußen bleiben.«

Diesem Befehle leistete Richard Folge, indem er Katharine am Arme nach sich zog.

Meister Schwemmer war zurückgetreten, als sich die Thüre geöffnet hatte, und zog sich langsam nach der Küche hin, um dort zu erwarten, wie sich dieser neue Vorfall entwickeln werde.

»He! ein Licht!« sagte die Stimme von vorhin.

»Soll ich eines bringen?« flüsterte das Weib ihrem Manne zu. – Und als dieser versetzte: »Gegen die Gewalt ist nichts zu machen,« ging sie an den Herd, zündete eine Lampe an und trug sie mit zögernden Schritten in die Stube.

Dort stand der fremde Mann im Mantel und wandte langsam den Kopf herum, wodurch der volle Schein des Lichtes auf sein Gesicht fiel.

Wäre aber in diesem Augenblicke die ganze Polizei erschienen, ja das ganze Gerichtspersonal inklusive Kerkermeister, es hätte auf den Meister Schwemmer unmöglich einen schrecklicheren Eindruck hervorbringen können, als der Anblick des fremden Mannes, der so ruhig mitten in seiner Stube stand. Er fühlte, daß ihm die Kniee den Dienst versagen wollten und hielt sich deßhalb mit aller Kraft an einem Thürpfosten.

»Verzeihen Sie,« sagte er alsdann nach einem tiefen Athemzuge, »daß ich nicht vorkomme, um Sie bestens zu begrüßen; aber ich bin ein armer kranker Mann, den seine Füße nicht mehr recht zu tragen vermögen.«

»Der aber trotz seiner Schwachheit beständig die Hand zu Geschichten bietet, die doch am Ende notwendigerweise Aufsehen erregen und ihm Strafe auf den Hals laden müssen. – Nicht wahr?«

»Wie so, Herr?« fragte Schwemmer erschrocken, während er scheu am dem Fremden hinaufblinzelte, sogleich aber die Augen wieder niederschlug, als er einem jener flammenden Blicke begegnete.

»Wenn Ihr Euch nur das Fragen abgewöhnen könntet!« entgegnete der im Mantel ungeduldig. »Gebt mir lieber gute Antworten auf die meinigen, das ist besser!«

Meister Schwemmer fuhr nun wieder zusammen und blieb mit ziemlich gekrümmtem Rücken stehen.

»Von wem habt Ihr dieses Kind?« fragte nun der Fremde nach einer Pause und zeigte auf das kleine Mädchen.

»Dies Kind ist uns von seiner Mutter anvertraut worden,« entgegnete der Gefragte mit ganz leiser Stimme.

»Nehmt Euch in Acht! – Ich will die Wahrheit – die ich weiß – aus Eurem Munde hören. – Wer brachte Euch das Kind?«

»Nun denn – die Frau Bilz.«

Der Mann im Mantel nickte mit dem Kopfe, dann warf er einen fragenden Blick auf das Mädchen, das freudig ausrief:

»Ja, ja, Frau Bilz – so hieß sie, der ich mein Kind anvertraute und die mir in Gegenwart der Madame Becker sagte, es sei gestorben, und mir auch den Todtenschein einhändigte.«

Der Fremde zuckte verächtlich mit den Achseln und warf auf den Hausherrn einen Blick, der diesen erbeben machte. Man sah deutlich, wie er zusammenschrak. Dann aber nickte der Andere mehrmals mit dem Kopfe und fuhr strenge fort: »Ja, es wird schon so sein, ich kenne diese Geschichten. – Aber noch einmal dergleichen, Meister Schwemmer, und alle Schonung hört auf. – Ihr da,« wandte er sich an Richard, »geht ruhig Eurer Wege, das Mädchen kann ihr Kind mitnehmen. – Doch bitte ich mir Eins dafür aus,« fügte er in ganz anderem, weit gefälligerem Tone hinzu, »sie soll diesem würdigen Mann da den Todtenschein gelegentlich zurückschicken und sich auch künftig besser vorsehen, ehe sie das arme Ding da einer Frau Bilz anvertraut.«

Hätte Richard seinen Hut noch auf dem Kopfe gehabt, er würde ihn unfehlbar ehrfurchtsvoll abgenommen haben; denn die Art, wie der fremde Mann sprach, und besonders, wie er mit jenem Gauner, dem Meister Schwemmer, umzuspringen wußte, hatte ihn mit dem allergrößten Respekt erfüllt. – »Bedanke dich, Katharine,« sagte er leise zu dem Mädchen.

Doch winkte der fremde Mann leicht mit der Hand, als diese einige Worte stammeln wollte.

Dann zogen sie sich rückwärts aus der Stube und verließen das Haus, gefolgt von den Kameraden und Schellinger, der die Blendlaterne trug.

Auf dem kleinen Hofe standen mehrere Männer beisammen, die aber augenblicklich auseinander waren, als die Anderen aus dem Hause kamen.

Nur Einer von ihnen trat dicht an den Schneider heran, klopfte ihm leicht auf die Achseln und sagte: »Hättest gleich sagen können, was du da in dem Hause wolltest; ich würde dir wahrhaftig geholfen haben, das Kind wegzuholen. Bist aber sehr unvorsichtig gewesen, denn wenn mein Stuhl einen halben Zoll mehr links gekommen wäre, dann machtest du keine Stiche mehr – und auch keine Reisen, darauf kannst du dich verlassen. – Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« erwiderte Herr Schellinger, indem er eilig den Anderen folgte, die schon in das baufällige Vorderhaus getreten waren.

Dort blieb Richard stehen, und als er bemerkte, daß ihm keiner seiner Getreuen fehle, stemmte er die Arme in die Seite, schaute sich rings um und sprach: »Nun, was denket ihr davon? – Ist euch so was in eurem ganzen Leben vorgekommen? Hat Einer von euch die Figur oder das Gesicht schon gesehen? – Ich gewiß nicht – soll mich der Teufel holen! – Ihr auch wohl nicht? – Und du, Schellinger?«

Der Schneider war offenbar sehr nachdenkend geworden; man bemerkte das an seiner ganzen Haltung. Er stand etwas vornüber gebeugt und hatte sein spitzes Kinn mit der linken Hand erfaßt.

»Nun, Schellinger?«

»Habt ihr euch die Männer im Hofe genau betrachtet?« versetzte endlich der Garderobegehilfe nach einer längeren Pause.

»Ja wohl, ziemlich genau.«

»Hatten sie keine weiten Hosen an und kurze Jacken, oder Pelzmützen auf dem Kopfe?«

»Beim Henker! nein,« lachte einer der Zimmerleute. »Dergleichen habe ich nicht gesehen, und auch du wohl nicht, Richard.«

Dieser, welcher sehr froh war, daß das ziemlich gefährliche Abenteuer so glänzend und gut abgelaufen, lachte lustig und meinte: »Wenn Schellinger Jacken und Pelzmützen gesehen hat, so wird er dafür seine Gründe haben. – Nun sprich: Was denkst du denn?«

»Ja, ja, es kann nicht fehlen,« erwiderte der Garderobegehilfe. »Und jetzt erinnere ich mich ganz genau des Gesichtes wieder. – Siehst du, Richard, welchen Nutzen es hat, wenn man auf seinen Reisen gute Bekanntschaften macht – denn,« setzte er flüsternd hinzu, »ich will ein Lump meines Namens sein, wenn der da drinnen nicht der russische Fürst war, von dem ich dir erzählt. Er hat uns mit seinen Kosaken aus dieser verwickelten Geschichte herausgeholfen.«

Damit schlug Herr Schellinger die Hände auf dem Rücken zusammen, zuckte ein paarmal mit den Achseln und ging ruhig davon, wobei sein unbedeutendes Köpfchen auf dem langen und dünnen Halse stärker als je vornüber wankte.

Die Anderen folgten ihm. –

Der Fremde in der Wohnstube des Meister Schwemmer hatte ruhig gewartet, bis Jene das Haus verlassen, dann nahm er das Mantelende von seiner rechten Schulter herunter, wodurch sein ganzer Kopf frei und auch die Arme sichtbar wurden, von denen er einen in die Seite stemmte, während er sich mit dem anderen auf den Tisch stützte.

»Ich will Euch nun zum Abschied einen guten Rath geben,« sagte er mit seiner so eigentümlich klingenden Stimme. »Thut Euch selbst den Gefallen und laßt die Geschäfte von der Art, wie das, worüber wir soeben verhandelt. In welchem Ruf Ihr in der Stadt und bei den Behörden steht, wißt Ihr selbst am besten; die Letzteren sind nun auf Euch besonders aufmerksam geworden, und die Polizei würde Euch heute Abend einen sehr unangenehmen Besuch geschenkt haben, wenn ich es nicht verhindert hätte. – Also nehmt Euch für die Zukunft in Acht; wenn ich das nächste Mal komme, geschieht es nicht, um Euch zu warnen.«

Bei diesen Worten wandte er sich nach der Thüre um und wollte das Zimmer verlassen; doch blieb er plötzlich stehen und fragte: »Wer ist denn das?«

Meister Schwemmer, der mit zerknirschter Miene die Worte des Fremden angehört, blickte in die Höhe und sah den Buben, der sich hinter Richard unbemerkt in das Zimmer geschlichen hatte und bis jetzt ruhig an der Thüre stehen geblieben war. Er hielt seinen kleinen Körper gerade und aufrecht, schaute unbefangen in die Höhe und blickte den Mann im Mantel fest mit seinen blitzenden Augen an. Dabei hatte er ebenso wie dieser den linken Arm in die Seite gestemmt.

»Das ist ein auffallendes Gesicht,« murmelte der Fremde und fuhr sich mit der Hand über die Augen. – »Dieser Blick! Und die ganze Form des Kopfes. – Bei Gott, seltsam!« – Er wandte sich rasch nach dem Hausherrn um und fragte: »Wem gehört dieses Kind?«

Dieser bückte sich demüthig und zog furchtsam die Achseln in die Höhe, als er entgegnete: »Ich weiß es nicht, Herr; gewiß, ich weiß es nicht.«

»Keine Lüge, Meister Schwemmer!« –

»Auf meine Seele, nein! – Möge ich verderben, wenn ich nicht die Wahrheit sage. – Der Knabe wurde mir vor Kurzem durch eine Unterhändlerin gebracht, die ich nennen kann; doch war auch das schon die zweite Hand, durch welche der Bube gegangen.«

»Es ist möglich, daß Ihr diesmal nicht lügt,« erwiderte der Fremde mit einem sonderbaren Lächeln. »Ich will Euch was sagen, guter Meister Schwemmer: Bis morgen Abend um sechs Uhr wünsche ich auf's Genaueste zu erfahren, wie die erste Hand heißt, die den Knaben in die zweite geliefert. – Habt Ihr mich verstanden?«

»Ja, Herr. – Soviel ich indessen weiß –«

»Für jetzt nichts Weiteres; ich mag keine Vermuthungen. – Also morgen Abend um sechs Uhr etwas, worauf ich mich verlassen kann! – Wer bist du?« wandte er sich an das Kind.

»Das weiß ich nicht,« entgegnete der Knabe mit heller Stimme. »Ich kann dir nur sagen, daß ich Karl heiße, bei der alten Frau Fischer wohne und von hier fort will.«

»So, du willst von hier fort? Also gefällt es dir da nicht?«

Das Kind blickte scheu um sich, und als es das Weib mit der rothen Nase nicht bemerkte, sagte es: »Ich mag nicht mehr bleiben; sie sind so böse, namentlich das Weib mit der rothen Nase. Wir bekommen fast nichts zu essen, sie schlagen uns viel, und dann ist es drüben so arg kalt.«

»Der legt ein gutes Zeugniß von Eurer Wirtschaft ab,« sprach der Fremde mit einem flammenden Blick. – »Aber es ist wirklich erstaunlich,« fuhr er ganz leise fort, »welche Ähnlichkeit ich da herausfinde, namentlich in den Augen; ja sogar, wenn er spricht, die gleichen Bewegungen des Kopfes. – Aber das ist möglich? – Bei Gott! es könnte sein. Nun, wenn Jemand der Sache auf die Spur kommen könnte, so wäre ich der Mann dazu. – Du sprachst vorhin von einer Frau Fischer; getraust du dir vielleicht das Haus, wo sie wohnt, aufzufinden?«

»Das ist gewiß nur ein falscher Name, den man dem Knaben gesagt, denn –« wagte Meister Schwemmer sich in das Gespräch zu mischen. Doch machte ihn ein Blick des Anderen plötzlich verstummen.

»Von hier werde ich das Haus schwerlich finden, aber wenn man mich auf den Platz bringt, wo das schöne Schloß steht – ich habe da viel gespielt und die Soldaten gesehen – da glaube ich wohl, ich würde das Haus finden, wo die gute Frau Fischer wohnt.« – Dies sagte der Knabe mit einer freudigen Erregung, wobei seine Augen strahlten.

»Nun gut,« erwiderte der Fremde, »den Versuch wollen wir morgen machen; und du siehst mir gerade so aus, als wenn du zu halten im Stande wärest, was du versprichst. – Willst du mit mir gehen?«

»Gern! gern!« rief das Kind, und eine tiefe Röthe flammte auf seinem Gesichte auf.

»Aber doch wohl noch lieber zu deiner Frau Fischer? – Oder bliebst du gern beständig bei mir?«

Der Knabe besann sich einige Sekunden, dann warf er einen Blick auf den Meister Schwemmer und das Weib, das unter der Küchenthüre erschienen war, um sogleich wieder zu verschwinden. Hierauf antwortete er: »Zuerst möchte ich wohl die Frau Fischer wiedersehen, um ihr zu sagen, daß sie mich hier nicht todtgeschlagen, dann möchte ich aber zu dir kommen und bei dir bleiben. – Ich bin gewiß überzeugt, du hast auch Waffen zu Haus – Säbel oder Pistolen oder auch nur ein Messer.«

»Und wozu das?«

»Damit ich mich wehren kann, wenn sie mich wieder fortbringen wollten. – Ja, hätte ich nur an dem Abend mein kleines Gewehr gehabt, das hat ein ganz spitzes Bajonnet, oder hätte mir Einer ein Messer gegeben.« – Bei diesen Worten ballte er seine kleinen Hände und erhob sie drohend gegen das Nebenzimmer. Der Fremde betrachtete ihn einen Augenblick lächelnd und, wie es schien, mit großem Wohlgefallen. Dann legte er die Hand vor die Augen und sprach wie zu sich selber: »Bei dem Anblick dieses Knaben treten blutige Bilder aus meiner Jugend lebendig hervor. Ganz so stand ich da, nur mit dem Unterschiede, daß ich wirklich ein Messer in der Hand hielt. – Eigenthümlich!« Darauf ging er mit raschen Schritten an das Fenster, blickte hinaus und murmelte: »Richtig! Mathias ist nicht mehr da. Ich wußte es ja.« – Er wandte sich hierauf an den Meister Schwemmer und fragte: »Ist Jemand im Hause, der das Kind heute Nacht in den Fuchsbau bringen kann?«

»Der Sträuber wird noch da sein,« entgegnete der Hausherr; und dann rief er in's Nebenzimmer hinein: »Geh', such' den Sträuber, er muß sich noch im Hause befinden.«

Darauf vernahm man, wie das Weib die Küche verließ und wie sie kurze Zeit nachher mit Jemand im Gange flüsterte.

Der Fremde lehnte sich ruhig wartend an den Tisch, und Meister Schwemmer blickte mit der demüthigsten Miene von der Welt nach der Stubenthüre, die sich jetzt langsam öffnete.

Herr Sträuber trat ein und blieb, den Hut in der Hand haltend, mit gesenktem Kopfe am Eingange stehen.

»Ah ja, Herr Sträuber! – Der Beste der Besten!« sagte der Fremde, unverkennbar mit tiefer Verachtung. – »Sie sind mir als Begleiter dieses jungen kleinen Herrn da nicht der Liebste; aber man nimmt, was man hat. – Hören Sie mich an!«

Der Andere war auf diese ziemlich laut gesprochenen Worte augenscheinlich zusammengefahren und wagte es nicht, den Kopf zu erheben; er drehte nur seine Augen in die Höhe und erwiderte mit leiser Stimme: »Ich höre.«

»Sie gehen also mit diesem Kinde auf dem geradesten Wege nach dem Fuchsbau; doch verstehen Sie mich wohl: Auf dem geradesten Wege, halten auch nirgendwo an und sprechen mit Niemand, Sie schauen gerade vor sich hin und lassen mir das Herumgaffen bleiben; es könnte Aufsehen erregen, und ich kenne Sie. – Nehmen Sie sich aber ja in Acht, Herr Sträuber,« fuhr er in lauterem Tone fort, »daß Sie von dieser Instruktion nicht eine Idee abweichen; es könnte Ihnen schlecht bekommen. – Im Fuchsbau wird Mathias sein; ihm übergeben Sie den Knaben, er soll ihn für heute Nacht anständig unterbringen. Morgen erhält er meine Befehle.«

»Und mit dem soll ich gehen?« fragte das Kind.

»Nur eine kleine Strecke,« erwiderte bestimmt der Fremde. – »Also Gott befohlen! Morgen wirst du zu deiner Frau Fischer kommen oder vielleicht zu einem Herrn, der es gut mit dir meint.« – Damit reichte er ihm die Hand, und der Kleine folgte seinem Führer, der bereits in den Gang hinaus getreten war.

Der Fremde trat an die Thüre und schaute ihnen nach, wie sie durch die Hausflur dahin gingen. – »Ich empfehle Ihnen den geradesten Weg, Herr Sträuber,« wiederholte er nochmals und setzte lächelnd hinzu: »Mit dem Kinde werden Sie keinen Versuchungen ausgesetzt sein, denn es ist ja ein Knabe und trägt keine Ohrringe.«

Sobald die Tritte der Beiden draußen im Hofe verhallt waren, schlug der Fremde sein Mantelende wieder über die rechte Schulter, nickte dem Meister Schwemmer leicht mit dem Kopfe zu und verließ ebenfalls das Haus.

*

Am gleichen Abend hielt Graf Fohrbach mit Arthur ein Rendezvous in dem Kaffeehause auf dem Kastellplatze. Beide Freunde hatten sich schon mehrere Male in ihren Wohnungen verfehlt und sich schriftlich diese Zusammenkunft gegeben. Sie waren längere Zeit in einem hinteren Zimmer allein gewesen und hatten eifrig miteinander gesprochen.

Der Gegenstand dieser Unterredung, den der geneigte Leser wohl errathen wird, war für den Grafen so wichtig, daß er es sogar vergessen hatte, Arthur zu fragen, wie er am Neujahrsabend in jener uns ebenfalls bekannten Angelegenheit für ihn gehandelt und welches Resultat seine Unterredung mit der jungen Dame gehabt habe.

Die Beiden verließen nun das Kaffeehaus und schritten in fortgesetztem Gespräch über den Kastellplatz dahin.

»Also sein Gesicht konnten Sie damals nicht sehen?« fragte der Graf.

»Nein, das war unmöglich, wie ich Ihnen schon sagte,« erwiderte Arthur, »denn er hatte den Mantel dicht um den unteren Theil des Gesichts geschlungen.«

»Aber die Stimme glaubten Sie wirklich zu erkennen?«

»Ich glaube nicht, daß ich mich darin täusche: es war die des Barons. Nur sprach er die Worte anders aus, als es sonst seine Art ist; er redete kräftig, energisch, ja befehlend.«

»Es ist kein Zweifel,« entgegnete Graf Fohrbach nach einer längeren Pause; »es mußte dieselbe Person sein. – Aber haben Sie je eine so furchtbare Geschichte erlebt? – Was kann und wird Alles daraus entstehen? Denken Sie sich den Skandal, wenn dieser Mann, der in der Gesellschaft nach allen Richtungen seine Verbindungen angeknüpft hat, plötzlich von der Hand des Gerichtes erfaßt wird! – Das muß in unseren Kreisen Verletzungen zurücklassen, die schwer zu heilen oder zu verwischen sind. Aber vor allen Dingen, lieber Arthur, denken Sie ja daran, was Sie mir vorhin versprochen – die tiefste Verschwiegenheit über Alles, was ich Ihnen mitgetheilt. Wenn wir je zu einem Ziele gelangen können, so ist das nur möglich, wenn wir mit der größten Behutsamkeit vorgehen. Man darf darüber nicht athmen.«

»Gewiß nicht, Graf Fohrbach; und Sie werden das von mir überzeugt sein.«

»Das wissen Sie ja, lieber Arthur; sonst hätte ich Ihnen nicht das Ganze so ohne allen Rückhalt anvertraut. – Sie gehen nach Hause?«

»Ja, ich muß. – Und Sie?«

»Ich werde noch einen Besuch machen. – Aber lassen Sie sich ja bald bei mir sehen.«

»Schon morgen. Wie Sie wissen, hatte Seine Excellenz der Herr Kriegsminister die Gnade, mich zu Spiel und Thee einladen zu lassen.«

»Richtig! da sehen wir uns ja. – Also, gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Damit trennten sich die beiden Freunde; Arthur ging links, der Graf nach rechts gegen die Polizeidirektion hin, in deren Nähe er seinen Wagen warten ließ.

Wie wir wissen, war es bereits vollkommen dunkel geworden, doch brannten überall die Gaslaternen; und namentlich hier, wo es viele Läden und Magazine gab, war die Straße fast taghell beleuchtet.

Graf Fohrbach ging gedankenvoll seines Wegs und sah nur zuweilen in die Höhe, um einen Blick in die hellerleuchteten Gewölbe zu werfen oder um hie und da Jemand auszuweichen. So kam er in die Nähe der Polizeidirektion, als zu seiner Rechten aus einer engen Gasse, die an der Seite dieses großen Hauses bei den Hintergebäuden und Gärten desselben vorbeilief und in eine andere Straße mündete, zwei Männer hervortraten, bei deren Anblick er plötzlich seinen raschen Schritt mäßigte, ja in der nächsten Sekunde wie angefesselt stehen blieb. – Der Eine dieser beiden Männer war der Baron Brand. Ja, er konnte sich nicht täuschen, es war sein Gang, seine Haltung, seine ganze Figur. – Und auch die Stimme; denn jetzt sprach er einige Worte zu dem Anderen, der neben ihm ging. Dieser war aber ein Polizeikommissär in voller Uniform.

Der Graf war so überzeugt, den Baron zu erkennen, daß er ihn zu jeder anderen Zeit angerufen hätte. Und jetzt – nein, da war keine Täuschung möglich – jetzt war er sicher, daß dies auch derselbe Mann sei, den er in jener Nacht aus dem Fuchsbau hatte herauskommen sehen.

Die Beiden gingen unterdessen im gewöhnlichen Schritte dahin und hatten bald die Thüre der Polizeidirektion erreicht. Dort blieben sie stehen; der Mann im Mantel reichte dem Anderen die Hand, worauf der Kommissär eine tiefe Verbeugung machte und dann an der Treppe stehen blieb, jenem nachblickend, welcher in eine Seitenstraße einbog und verschwand.

»Heute wäre es eine günstige Gelegenheit, ihm zu folgen,« dachte Graf Fohrbach, indem er rasch vorwärts eilte. »Es ist noch eine ziemlich frühe Stunde; ich rufe seinen Namen, und da wollen wir sehen, ob er anhält und mir Rede steht.« – Doch kam ihm im nächsten Augenblicke ein anderer und, wie er glaubte, besserer Gedanke. Er hatte mit zwei Schritten die Treppe der Polizeidirektion erreicht, welche der Kommissär soeben langsam hinaufstieg.

Graf Fohrbach bot ihm laut einen guten Abend.

Der Beamte wandte sich plötzlich um, und als er beim hellen Lichte der Gaslaterne den Adjutanten Seiner Majestät erkannte, machte er schon auf der obersten Stufe eine tiefe Verbeugung und stieg eilig und mit großer Höflichkeit die Treppen herab, da er wohl bemerkte, daß ihn der Graf erwartete.

»Euer Erlaucht haben irgend einen Befehl für mich?« fragte er verbindlich.

»Das nicht, Herr Kommissär,« erwiderte der Adjutant. »Würde mir das auch nicht erlauben; doch wenn Sie mir eine Frage beantworten könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar dafür.«

»Mit dem größten Vergnügen.«

»Wer war jener Herr, der eben mit Ihnen ging und Sie vor wenigen Augenblicken verließ?«

Der Polizeikommissär rieb sich die Hände und lächelte pfiffig, worauf er sagte: »Das ist eigentlich eine Art Dienstgeheimniß, welches aber Euer Erlaucht mitzutheilen ich mich nicht zu geniren brauche. Jener Herr, der im Mantel – ich gebe Euer Erlaucht mein Ehrenwort, daß ich seinen Namen nicht einmal weiß – aber unter uns gesagt,« – damit hielt er die rechte Hand an eine Seite des Mundes und flüsterte dem Grafen in's Ohr: »Er ist einer der Sekretäre Seiner Excellenz des Herrn Präsidenten, und gehört zur geheimen Polizei.«

»Zur geheimen Polizei?« sprach der Graf im Tone des höchsten Erstaunens.

»Es ist so, Euer Erlaucht. – Aber nicht wahr, das bleibt ganz unter uns?«

 


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