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42. Spaziergänge des Herrn Sträuber

Noch in der letzten Hälfte der Nacht, von der wir im vorigen Kapitel erzählten, änderte sich das Wetter; der Wind war nach Osten herumgesprungen, hatte die trüben Wolken vor sich hergejagt und Alles frisch und blank gefegt für eine blitzende Wintersonne, die wenn auch in diesem Monat spät, doch klar und freundlich aufging. – Wie sah in ihrem Lichte Alles ganz anders aus, als gestern im Schatten der Nacht! Da war der Kanal, da die Barrièren, an welchen Herr Beil jene Gestalt gesehen, die ihn glücklicherweise von seinem traurigen Vorhaben abgebracht; aber heute Morgen hatte das Alles durchaus nichts Unheimliches, und wenn jetzt auch noch so viele Wesen in schwarzen Mänteln und mit noch blitzenderen Augen dort gelehnt hätten, es würde sich Niemand weiter um sie bekümmert haben. Auf dem Wasser des Kanals lag ein heller, freundlicher Schein; seine Ufer hatten sich mit Reif bedeckt, auf welchem die Sonnenstrahlen zahllose Brillanten hervorzauberten. Die kahlen Aeste der Bäume waren auf einer Seite wie vergoldet, während die andere eine bläulich unbestimmte Farbe hatte. Auch die Barrière war hell angestrahlt und warf einen koketten Schatten auf den Weg, der an ihr vorüber führte. Die einzelnen Häuser, die in der gestrigen Nacht so sehr entfernt zu stehen schienen, – denn man sah durch Dunkelheit und Nebel kaum ihre Umrisse, – waren jetzt im hellen Lichte näher gekommen und standen frisch und wohlgemuth da mit ihren glänzenden Fensterscheiben, mit den hohen rothen Dächern, die wie eine Morgenmütze aussahen, und aus deren Spitze der hellblaue Rauch empor wirbelte, – eine lustig aufgesteckte Feder.

Auch an mannigfaltiger Staffage fehlte es nicht: kleine Buben sprangen sich scheu umsehend und eilfertig dem Wasser zu, um nachzuschauen, ob nicht bald für eine solide Eisdecke Hoffnung sei; Hunde aller Rassen machten ihren Morgenspaziergang und trieben sich namentlich in der Nähe der Barrière herum, an der sie jeden Pfuhl beschnüffelten und hierauf zarte Erinnerungszeichen zurückließen; Weiber mit großen Körben voll Wäsche auf dem Kopfe drängten sich an die Treppen, die zum Kanal hinab führten, und hatten einander, ehe sie ihre Arbeit begannen, wichtige Begebenheiten mitzutheilen. Von draußen herein kamen Bäuerinnen und brachten Eier und Butter auf den Markt, sie hatten meistens schon einen weiten Weg zurückgelegt, sahen etwas übernächtig und verschlafen aus, und wenn sie zuweilen tief aufathmend einen Augenblick stehen blieben, so kam der Hauch aus ihrem Munde wie eine blaue Wolke hervor. – Das ging aber Alles aneinander vorüber und keines bekümmerte sich viel um die Begegnenden; die Buben liefen in das Haus zurück oder auf ihre Spielplätze, die Hunde suchten den warmen Ofen wieder auf und die Wäscherinnen begannen, immerfort plaudernd, ihr Geschäft.

So mochte es vielleicht neun Uhr geworden sein, als von draußen herein gegen die Stadt zwei Leute kamen, die in eifrigem Gespräch nebeneinander gingen. Es war ein Mann und eine Frau, letztere in der Tracht der Bauernweiber, und daß wir es dem geneigten Leser nur gestehen, Beide gehören bereits zu unserer Bekanntschaft: sie war jene Bauersfrau, welche wir bei Madame Becker gesehen, wo sie der unglücklichen Nähterin den Tod ihres Kindes angezeigt; und wenn wir von dem Manne, der neben ihr ging, sagen, daß er trotz der Kälte des Morgens einen ziemlich dünnen, abgeschabten schwarzen Frack trug, hohe, etwas gelbe Hemdkragen hatte, dazu einen fuchsigen Hut, und daß er mit großem Anstande daher schritt, so wird Niemand mehr im Zweifel sein, daß es der sehr ehrenwerthe Herr Sträuber war, den wir in jener Nacht im Fuchsbau kennen zu lernen das Vergnügen hatten.

Herr Sträuber trug heute zur Vervollständigung seiner Toilette graue baumwollene Handschuhe, auch dampfte in seinem Munde eine Cigarre. Er ging mit großer Würde neben der Frau her, und wenn er so zuweilen im Gespräche steif und wichtig mit dem Kopfe nickte, so gab er sich das Ansehen eines vornehmen Herrn, der zufällig mit einer ganz geringen Person spazieren geht und sich vorgenommen hat, dabei sehr herablassend zu thun. Zuweilen blieb er auch stehen, stemmte beide Arme in die Seite und hob seine Nase gewaltig hoch empor, und dann stellte sich die Frau vor ihn hin, sprach eifrig mit ihm, und je ärger sie mit den Händen gestikulirte, desto ruhiger und würdevoller sah er auf sie herab; dann erfolgte ein abermaliges ernstes Kopfnicken und sie zogen weiter.

Als sie so an die Barrière kamen, wo gestern Nacht der Herr Beil gestanden und wo jetzt die Wäscherinnen lachten und plätscherten, versuchte es Herr Sträuber, einen großen Bogen zu machen, um nicht zu nah bei diesen Damen vorbei zu müssen. Die Bauersfrau achtete aber nicht darauf, daß sie in diesem Augenblicke besonders lebhaft erzählte, sondern sie ging so hart an der Schranke vorbei, daß sie im Eifer ihres Vortrags zuweilen ihre Hand auf dieselbe legte und den darauf gefallenen Reifen herab wischte, der sprühend auf die Erde fiel.

»Bst! bst!« machte eines der Waschweiber, als die Beiden näher kamen, mit leiser Stimme zu den andern, »schaut euch den an, der da kommt, das ist ein Seelenverkäufer, ein Sklavenhändler.«

»Ei der Tausend!« meinte eine andere, die sehr stämmig aussah, »sollen wir ihn nicht ein wenig unter die schmutzige Wäsche tauchen und sauber waschen?«

»Das wäre vergebliche Mühe,« entgegnete die Erste; »wenn man den hundert Jahre in den Kanal versenkte, so käm' er doch wieder schwarz wie eine Kohle an Leib und Seele heraus.«

Die Bauersfrau, die diese Worte gehört, ging absichtlich langsam und zuckte verächtlich mit den Achseln. Ihr Begleiter dagegen machte einige lange Schritte, eilte ihr voraus, und als sie ihn in kurzer Zeit darauf wieder eingeholt, spuckte er grimmig aus und sagte: »Diese Bestien!«

»Es weiß aber auch der Teufel,« meinte die Bauersfrau, »woher es kommt, daß Ihr in ein so schlechtes Renommée gerathen seid, und daß Euch alle Welt kennt wie einen bunten Hund.«

»Ich weiß es wohl,« entgegnete er mit zorniger Stimme; »ich kann mich nun einmal mit dem Pack nicht gemein machen; es ist eine Leidenschaft von mir, auf mein Aeußeres was zu halten. Ginge ich in einer schmierigen Jacke einher wie die Anderen, so wäre es freilich besser; aber dazu kann ich mich nun eben nicht entschließen.«

»Ja, ja,« erwiderte die Bauersfrau, indem sie ihn lächelnd von der Seite ansah, »Euer Aeußeres ist schon von dem unsrigen verschieden; aber ich möchte aus Eitelkeit nicht so frieren wie Ihr.«

Herr Sträuber zuckte mit den Achseln, während er entgegnete: »Das versteht Ihr nicht. Leider Gottes! kann ich wohl sagen, bin ich auf einer anderen Stufe als Ihr geboren, und kann das nun einmal nicht verleugnen. Und dann glaubt mir auch, es ist für uns Alle besser, daß auch Jemand, wie ich bin, da ist, mit dem honette Leute ein vertrauliches Wort sprechen können.« – Damit strich er sanft seinen Hemdkragen, zupfte darauf an den Handschuhen und drückte den Hut etwas näher an's rechte Ohr, ehe er fortfuhr: »Deßhalb halte ich es auch für Pflicht, etwas auf meine Reputation zu sehen, und darum wäre es besser, Frau Bilz, wenn wir uns hier, wo die Straßen anfangen, für kurze Zeit trennten; in einer kleinen halben Stunde komme ich zu Meister Schwemmer und da sehen wir uns wieder.«

»Mir ist das auch schon recht,« sprach die Frau lachend; »aber haltet Euch nicht zu lange bei Euren vornehmen Bekanntschaften auf und kommt pünktlich.«

Herr Sträuber nickte statt aller Antwort nur, steckte die rechte Hand unter den zugeknöpften Frack und lenkte mit erhobenem Kopfe in eine der breiteren Straßen ein, die hier anfingen; die Frau dagegen verlor sich in eine Seitengasse.

Er schritt mit ruhiger Behaglichkeit weiter, schaute rechts und links an die Häuser, blieb hier vor einem Laden stehen, betrachtete dort einen Augenblick die Leute, welche in's Kaffeehaus gingen oder heraus kamen, und gewann darauf immer wieder die Mitte der Straße, namentlich wo andere Gassen seinen Weg kreuzten. Da blieb er auch wohl einen Augenblick stehen, sah sich forschend nach allen Seiten um und veränderte hierauf nicht selten seine Richtung.

So that er auch jetzt wieder und schoß mit großer Geschwindigkeit in eine Seitenstraße, wobei er den Blick nicht von einer Stelle auf dem Pflaster verwandte. Als er sie erreicht, schaute er um sich her, bückte sich und griff Etwas vom Boden auf, das er hierauf lächelnd in seine Tasche steckte. Es war ein kleines Portemonnaie, das Jemand da verloren haben mußte. Und so war es auch, denn kaum hatte Herr Sträuber einige Schritte weiter gethan, so stürzte aus einem Hause ein junges Mädchen heraus, das sich überall auf dem Boden umsah, und dann auch den im schwarzen Frack im Vorübergehen fragte, ob er nicht Etwas gefunden, worauf dieser begreiflicherweise die Achseln zuckte und bedauernd verneinte.

»Das ist kein schlechter Anfang,« sprach er zu sich selber, als er wieder in eine belebtere Straße eingebogen war, »und da uns der Zufall so günstig ist, so könnte auch am Ende mit leichter Handarbeit Etwas zu verdienen sein.«

So denkend, stellte sich Herr Sträuber wenige Augenblicke nachher vor einen großen Bilderladen, vor dem sich schon eine Menge Personen befanden, und schien sich angelegentlich die Kupferstiche und Lithographien zu betrachten, in Wahrheit aber erforschte er genau die Physiognomien seiner Nachbarschaft, und mochte endlich seinen Mann gefunden haben, denn er schob sich leise hinter einen jungen Herrn, der eine Dame am Arme hatte und eifrig bemüht war, derselben die Schönheit irgend eines großen Blattes zu erklären. Die Dame trug einen mit Pelz besetzten Sammetmantel und einen grauen Muff, aus welchem ein zierlich gesticktes Sacktuch hervorsah.

Herr Sträuber, der voll Enthusiasmus für eine büßende Magdalena zu sein schien, die sich in Kupferstich ebenfalls an dem Fenster befand, drängte sich, dabei sehr um Entschuldigung bittend, zwischen die junge Dame und einen dicken Herrn, der auf der anderen Seite stand, worauf denn auch geschah, was er sich gedacht: die Dame in ihrer Artigkeit, wahrscheinlich befürchtend, mit ihrem vorgehaltenen Muff zu viel Platz für sich wegzunehmen, zog die rechte Hand heraus und nahm ihn leicht in die linke, worauf sich Herr Sträuber augenblicklich tief herabbückte, um am Kupferstich der büßenden Magdalena den Namen des Künstlers, der das Blatt gestochen, lesen zu können, zu gleicher Zeit aber auch, um durch einen unbemerkbaren Ruck das reichgestickte Taschentuch an sich zu bringen, worauf er nichts Eiligeres zu thun hatte, als, sich zurückziehend, dem Gedränge zu entschlüpfen und mit möglichster Schnelligkeit in einen benachbarten Laden zu treten, wo er sich von dem gefundenen Gelde eine neue Cigarre kaufte.

Er zündete diese mit äußerster Langsamkeit an, dann fragte er nach dem Preise verschiedener Artikel, ließ sich auch einige Sorten feinen Tabak vorlegen, sprach über dies und das mit dem einfältig aussehenden Ladendiener, und als er fast eine Viertelstunde nachher den Laden verließ und wieder auf die Straße trat, er hatte natürlicherweise vorher auf's Sorgfältigste nach dem Bilderladen hinüber gespäht, – fand er zu seinem größten Erstaunen, daß sich ein ganzes Paket Cigarren zufällig unter die Schöße seines Fracks verirrt hatte und nun freiwillig mitgegangen war. Er hielt aber die Sache für zu geringfügig, um deßhalb nochmals in den Laden zurückzukehren.

Hierauf verließ Herr Sträuber die Hauptstraßen und wandte sich den stilleren und entlegeneren Stadtvierteln zu. Er schritt gedankenvoll durch eine enge Gasse, die auf einen freien Platz mündete, wo sich eine Kirche befand. Es war dies ein altes Gebäude mit dicken Strebepfeilern, zwischen denen man kleine Kramladen eingebaut hatte. Die Kirche stieß mit dem Chor an ein altes Kloster, das den Platz absperrte, und in welchem sich nur ein langer und finsterer Thorweg befand, der die einzige Verbindung zwischen hier und den hinten liegenden Straßen war. Diesem Eingange schlenderte Herr Sträuber zu, mit außerordentlich langsamen Schritten und zwar so langsam, daß er ein kleines Mädchen von acht bis zehn Jahren, welches mit einem Körbchen in der Hand vor ihm ging, nicht einmal überholte; doch blieb er dicht hinter ihr und betrat fast zu gleicher Zeit mit der Kleinen das einsame halbdunkle Gewölbe. Dann blickte er scharf ausspähend vorwärts und rückwärts, und als er kein menschliches Wesen weder auf dem Platze noch in der anderen Straße gewahrte, hatte er mit einem Schritt das Mädchen erreicht, faßte es mit raschem Griff fest an ihrem Hals und sagte: »Sobald du schreist, bring' ich dich um!« – Das arme Geschöpf war wie vom Schlage gerührt, und wenn sich auch ihr Mund krampfhaft öffnete, so brachte sie doch keinen Laut hervor, fing aber an leise zu weinen, als er sie nun bis in die Mitte des Thorwegs schleppte, ihr dort mit großer Geschicklichkeit die kleinen goldenen Ohrringe entriß, und dann, nochmals mit der Faust drohend, in raschen Sprüngen entschwand. Hinter dem Gewölbe bog er rechts in eine kleine Gasse, dann links in eine andere, und beeilte sich soviel als möglich, in ein anderes Stadtviertel zu kommen, was ihm auch nach einer kleinen Viertelstunde ungefährdet gelang.

Hier ging er langsamer, zog ruhig seinen Frack in die Taille herab, der ihm bei dem raschen Laufe etwas in die Höhe gerutscht war, richtete auch seine Vatermörder auf und schob den Hut wieder auf die Mitte des Kopfes. Als dies geschehen, betrachtete er die Straße, in der er sich befand, und schlug dann eine neue Richtung ein, die ihn bald in die Nähe des Fuchsbaues brachte. Doch ging er hier vorüber, durchschritt noch einige kleine Gäßchen und kam so in die Nähe der alten Stadtmauer, wo die Häuser lichter wurden und hie und da kleine Gärten zwischen ihnen zerstreut lagen. Auf einen der letzteren schritt er zu; dieser war mit einer ziemlich hohen Mauer umgeben und hatte ein kleines Thor, das nur angelehnt war. Er öffnete es und ging zwischen den kahlen Gartenbeeten einem kleinen und baufällig aussehenden Hause zu, welches eigentlich das Ansehen hatte, als sei es unbewohnt und werde nur von dem Gartenbesitzer als Scheune benutzt. Die Fundamente dieses Hauses mußten auf einer Seite gewichen sein, denn es stand vollständig schief und sah deßwegen sowie auch, weil sämmtliche Fensterladen verschlossen waren, recht trostlos aus. Wenn man es betrachtete, so drängte sich Einem unwillkürlich die Idee auf, es habe sich dort einmal ein Selbstmörder aufgeknüpft, und sei da lange, lange Jahre vergessen hängen geblieben.

Dies Haus wurde in seinen unteren Theilen auch nur zum Aufbewahren von Stroh und alten Gerätschaften benützt, oben schien nur noch ein einziges Zimmer praktikabel zu sein, und das war die Wohnung unseres Bekannten, des Theaterschneider-Gehilfen Schellinger. Von der Treppe existirten nur noch einige halbmorsche Balken und Bretter, die in ihrer traurigen Gestalt nur sehr undeutlich anzeigten, wo es für einen Wagehals möglich sei, hinauf zu steigen.

Herr Sträuber öffnete dieses Haus, trat hinein und schloß die Thüre wieder sorgfältig hinter sich zu, dann schritt er durch den öden Gang und zu einer hinteren Thüre wieder hinaus auf einen kleinen Hof, an dessen Ende sich ein anderes und besser erhaltenes Gebäude befand.

Augenscheinlich bildete das verlassene Haus vorn eine Art von Schutz und Schirm für das Hintere, denn dieses, in einem Winkel der Stadtmauer gelegen und vorne gedeckt, verbarg sich so vollkommen vor den Blicken aller Unberufenen.

 


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