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58. Ein Bericht

Es war unterdessen elf Uhr geworden; Graf Fohrbach zog seinen Mantel fester um sich und schritt über das Vestibül und die große Treppe hinab, die nur noch spärlich erleuchtet war. Die blaue Gallerie lag im anderen Theile des Schlosses, und um dorthin zu kommen, mußte er über einen langen Korridor, der beinahe gänzlich dunkel war, denn nur an beiden Enden desselben flackerten um diese Stunde noch ein paar trübe Lampen. Doch kannte er den Weg genau, und wenn er sehr behutsam dahin schlich, so geschah dies nur, damit seine Sporen auf dem Steinpflaster nicht klirren und irgend einen der sich unten aufhaltenden Bedienten oder die Wache beunruhigen möchten.

Es ist aber eigenthümlich, wie sich in der Stille der Nacht jeder Ton verdoppelt und hörbar ist, den man am Tage gar nicht beachtet. So vernahm auch Graf Fohrbach jetzt deutlich seinen leisen, fast geräuschlosen Schritt, und wenn sich zufällig sein Säbel bewegte, so klirrte es gerade so, als rassele Jemand mit einer Kette.

Der Adjutant erreichte bald das Ende des Korridors und stieg dort eine Wendeltreppe hinauf, die ihn auf einen Vorplatz führte, den er quer durchschreiten mußte, um zum Eingang der blauen Gallerie zu gelangen. Hier war es schon schwieriger, sich zurecht zu finden, denn nirgendwo brannte ein Licht, und die Nacht war so finster, daß man kaum die hohen Fenster von der Wand unterscheiden konnte.

Hier war die blaue Gallerie; jetzt galt es, die vierte Thüre zu finden. Sehen konnte er nicht eine einzige, er mußte also an der Wand hintappen und sich seinem Gefühle überlassen.

»In dieser greifbaren Finsterniß,« dachte er, »geht mir auf einmal über etwas ein Licht auf; ich erkläre es mir jetzt vollkommen, zu welchem Zwecke sich neulich der Herzog drüben in dem Laden die kleine elegante Blendlaterne kaufte. So ein Ding könnte ich auch jetzt hier ganz gut gebrauchen. – Das war die zweite Thüre. – Nun kommt die dritte. – Da ist sie! – Aber nun halt! – Wahrscheinlich werde ich an der vierten und richtigen ein Zeichen brauchen, um eingelassen zu werden. Das wäre unangenehm, da ich bis hieher so ohne allen Anstand gekommen und weiter nichts weiß. – Vielleicht auch, daß ich meine Anwesenheit durch einen lauten Schritt anzeigen muß. Hier wohnt eigentlich Niemand, wie ich glaube, und wir können schon ein wenig hörbar auftreten.«

So that er auch, und dies Manöver brachte augenblicklich eine Wirkung hervor. Es erschien nämlich rechts neben ihm, wo die vierte Thüre sein mußte, ein kleiner leuchtender Punkt, wie wenn sich Jemand mit einem Lichte dieser Thüre näherte und der Schein desselben durch das Schlüsselloch fiele. – Mit zwei weiteren Schritten hatte er die Thüre erreicht und nun vernahm er zu seinem großen Vergnügen, daß dieselbe langsam geöffnet wurde. Er ergriff mit der Hand die Klinke, drückte sie ganz auf, trat eilig über die Schwelle und befand sich in einem ziemlich kleinen Zimmer, einem jungen Mädchen gegenüber, das bei seinem Anblick so heftig zusammenfuhr, daß ihr die Wachskerze, welche sie in der Hand trug, fast entfallen wäre. Einen lauten Aufschrei, der wahrscheinlicherweise erfolgt wäre, verhinderte der Graf, indem er den Finger erhob und dem Mädchen leise aber eindringlich: »Stille!« zurief. – Darauf verschloß er die Thüre, schob einen Riegel vor und ließ einen schweren Vorhang darüber fallen, bei dessen Anblick er begriff, weßhalb er früher keine Spur des Lichtstrahles gesehen.

Nachdem dies geschehen, machte er ein paar Schritte weiter in das Zimmer hinein gegen das Mädchen hin, die mit einem wahren Ausdruck des Entsetzens gegen das ebenfalls dicht verhängte Fenster zurückwich.

»Das ist ein sonderbares Abenteuer,« dachte er. »Sollte es sich hier um ein einfaches Rendezvous handeln? – Ich glaube nicht; und wenn dem so wäre, müßte ich mich eilig zurückziehen, denn das ginge alsdann über Indiskretion. – Doch nein, nein! die Kleine da hat mir ein ganz anderes Aussehen. – Suchen wir auf eine gescheidte Art zu unserem Berichte zu kommen.«

Das Mädchen hatte den Leuchter auf den Tisch gestellt, ohne ihn aus der Hand zu lassen, die noch immer heftig zitterte. Sie hatte eine schlanke, schmächtige Figur, ein schmales, bleiches Gesicht und blondes Haar, welches in zwei dicken, sehr zierlichen Flechten um ihren Kopf gewickelt lag. Ihr einfacher und sauberer Anzug war, wie ihn die Kammerjungfer einer anständigen Dame zu tragen pflegt. – Sie vermochte es nicht, ein Wort hervorzubringen und starrte den Eingetretenen mit ihren großen blauen Augen an, wobei sich ihre feinen Lippen krampfhaft bewegten.

»Beruhigen Sie sich doch, mein Kind!« sagte der Graf so sanft als möglich, »ich werde Ihnen gewiß nichts zu Leide thun. Gewiß nicht! – auf mein Wort! Lassen Sie Ihren Leuchter ruhig auf dem Tische stehen und setzen Sie sich meinetwegen in jene Ecke, während ich hier sehr entfernt von Ihnen, auf dem Tabouret Platz nehmen will. – So thun Sie es doch! – Ich komme, bei Gott! in keiner schlechten Absicht.«

Nach längerem Zögern that das Mädchen endlich, wie er ihr geheißen. Sie ließ die Hand von dem Tische herabgleiten, ging rückwärts zu dem bezeichneten Stuhl, blieb aber dort aufrecht stehen und schien sich an der Lehne festzuhalten.

»Sie haben mich hier nicht erwartet?« sagte der Graf, nachdem er sie eine Zeit lang betrachtet.

»Nein, nein, nein! gewiß nicht!« brachte das Mädchen mühsam hervor.

»Aber Jemand anders sollte kommen? Schütteln Sie nicht den Kopf: ich weiß Alles. – Jemand anders wurde von Ihnen hier um elf Uhr erwartet. Da hilft ja kein Leugnen. – Sie hatten ihm etwas mitzutheilen. Sehen Sie, Sie schlagen die Augen nieder. – Nun also, ich komme an seiner Stelle; lassen Sie mich hören, was Sie ihm zu sagen haben.«

Das Mädchen schüttelte mit dem Kopfe, schlug die Hände zusammen und drückte sie alsdann heftig an ihre Augen.

»Sie trauen mir nicht,« fuhr der junge Mann nach einer Pause fort. »Nun, ich finde das begreiflich. – Sie erwarten Jemand, den Sie schon länger kennen, nun erscheint plötzlich ein Unbekannter, – das muß Sie natürlicherweise überraschen. Wenn ich Ihnen aber sage,« – diese letzten Worte sprach er in bestimmtem Tone und sehr langsam – »daß Seine Durchlaucht der Herzog Alfred hierherkommen sollte, daß er aber augenblicklich nicht im Schlosse ist und daß ich statt seiner hier bin, ist das alles nicht wahr?«

Das Mädchen ließ ihre Hände herab sinken, schaute ihn mit einem festen Blick an und entgegnete alsdann: »Was hilft mein Leugnen, Sie haben mich ja in Ihrer Gewalt.«

»Ach was Gewalt!« entgegnete er unmuthig. »Davon kann gar keine Rede sein. Schenken Sie mir Ihr Vertrauen; Sie haben es mit keinem Undankbaren zu thun.«

Ein schmerzliches Lächeln flog bei diesen Worten über ihre Züge, dann seufzte sie tief auf und flüsterte: »Es ist etwas Schönes um die Dankbarkeit; o, wenn auch ich dankbar sein dürfte!«

»Also Sie erwarteten den Herrn Herzog?«

»Ja,« sprach das Mädchen nach einer Pause mit festerer Stimme.

»Schön. – Nun bin ich aber da. – Sprechen Sie ohne Rückhalt. Was haben Sie mir zu sagen?«

»Ich brauche nicht zu sprechen,« erwiderte das Mädchen mit sanfter Stimme, »ich brauche nur auf Fragen, die an mich gestellt werden, zu antworten. Also fragen Sie in Gottes Namen.«

Auf diese Worte hustete der Graf gelinde und sah sein Gegenüber erstaunt an. »Das ist ein schönes Labyrinth,« dachte er. »Finde mir da Jemand einen Ausweg! Ich komme da her, um einen Bericht zu hören, und jetzt soll ich diesen Bericht mit Fragen herauslocken. – Was soll ich fragen, ohne mir eine Blöße zu geben? Denn ich weiß nicht einmal, wer das Mädchen ist, und also auch nicht, worüber sie mir Auskunft zu geben vermag. – Helfen wir uns, so gut wir können. Sie muß doch bei einer Herrschaft sein, nach der wollen wir uns ein wenig erkundigen; vielleicht gibt sich das Andere von selbst.« – »Also,« begann der Graf nach einem längeren Stillschweigen und nachdem er sich mit der Hand über das Gesicht gefahren, auch seinen Schnurrbart gedreht und den Mantel etwas von der Schulter herab genommen, »also Sie erwarten meine Fragen?«

»Ja,« erwiderte das Mädchen.

»Nun denn! – Teufel!« dachte er, »wer ihre Herrschaft ist, darf ich nicht fragen, – aber wo sie sich im Augenblicke aufhält. Das geht!« – »Nun denn, ist Ihre Herrschaft zu Hause?«

»Das gnädige Fräulein kamen vor einer halben Stunde.«

»Ah! ein Fräulein! – Das ist schon etwas!« sprach er für sich. – »Und – hm! – sie – sie blieb zu Hause?«

»Sie begab sich zu Bette.«

»Natürlich! – es ist schon spät. – Und wo war denn das gnädige Fräulein, wenn ich fragen darf?«

»Sie fragen nur für den Abend? – Oder meinen Sie den ganzen Tag?«

»Vorderhand ist es mir nur um den Abend zu thun,« erwiderte Graf Fohrbach, da er wohl fühlte, daß er bald mit seinen Fragen am Ende sei. »Dann aber wünsche ich auch Einiges über den Tag zu erfahren.«

»Das gnädige Fräulein waren von Sechs bis halb Acht bei der Tafel und fuhren darauf in Gesellschaft.«

»Wohin?«

»Zu dem Herrn Major von S.«

»Was?« rief der Graf im höchsten Erstaunen, indem er heftig zusammenfuhr und dicht vor das Mädchen hintrat, »zu Major von S.? – Träume ich denn? – Zu Major von S.?«

»Um Gotteswillen! – ja. Ich sage gewiß die Wahrheit,« versetzte sie erschrocken.

»So ist Ihr Fräulein – Eugenie von S.?«

»Allerdings!« rief das Mädchen, nun ihres Theils überrascht. »Das wußten Sie nicht?«

»Nein, beim Teufel! ich wußte es nicht. – Ah! das ist ein bischen zu stark!«

»So hat Sie auch der Herzog nicht geschickt?« fuhr ängstlich das Mädchen fort.

»Nein, nein, er hat mich gewiß nicht geschickt; aber ich danke Gott, daß ich gekommen bin. – Sie also betrifft dieser Bericht? – Eugenie? – O das ist über alle Beschreibung! Sprich, Mädchen,« fuhr er ernster fort, indem er ihr Handgelenk faßte; »jetzt werde ich wirklich Fragen stellen, bitte aber um richtige und pünktliche Antworten. – Sie haben also den Herrn Herzog hier erwartet?«

»Ja, ich sagte es schon.«

»Und er kam schon öfter hierher in dieses Zimmer?«

»Zuweilen hier, zuweilen anderswo, wie es mir befohlen war.«

»Wie es Ihnen befohlen war? – doch davon nachher! – Also Sie trafen hier oder anderswo mit dem Herrn Herzog zusammen, um ihm – Bericht über Ihre Herrin zu geben, über ihr Leben und Treiben, was sie thut und spricht, zu wem sie geht, wer zu ihr kommt? – Ah! Verrath ohne Gleichen! – Schändlichkeiten, wie noch keine da gewesen! Und das fühlen Sie nicht? Ein solches Verbrechen liegt nicht schwer auf Ihrer Seele? – Pfui der Schande!«

Anfänglich hatte das Mädchen den jungen Mann mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und ein tiefer, schmerzlicher Seufzer wand sich aus ihrer Brust; zuletzt aber, als sein Auge flammte und er mit Entrüstung des schändlichen Verraths gegen ihre Herrin erwähnte, ließ sie langsam die Hände von ihrem Gesicht herabsinken, athmete tief auf und blickte in die Höhe, aber nicht mehr ängstlich oder niedergedrückt, sondern als wollte sie sagen: Gott sei gedankt! Eine Thräne, die in ihrem Auge zitterte, bekräftigte diesen Gedanken.

»So sind Sie der Herr Graf Fohrbach?« brachte sie darauf mühsam hervor.

»Der bin ich. – Woher kennen Sie meinen Namen?«

»O, er wird oft bei uns genannt,« entgegnete schüchtern das Mädchen.

Zu jeder anderen Zeit hätte ihn dies Wort glücklich und vergnügt gemacht, aber in diesem Augenblicke, wo er einer so ausgedachten Verrätherei auf die Spur gekommen war, einer Verrätherei gegen sie, gegen das Mädchen, das er so innig liebte, brachte es keine große Wirkung auf ihn hervor. – Und es war ja nicht nur eine Verrätherei gegen Eugenie; wer weiß, welchen Zweck man hatte, ihre Worte und Handlungen zu belauschen, ihre Schritte mit Schlingen und Fallen zu umgeben! – Wohl durchzuckte es ihn seltsam, als das Mädchen sagte, sein Name werde oft genannt, doch machte er eine ablehnende Handbewegung gegen sie.

»So oft genannt,« fuhr sie eifriger fort, »daß er mir leicht im Gedächtnisse blieb und daß ich immer auf die Stunde hoffte, wo es mir vielleicht vergönnt sein würde, Sie zu sprechen, zu Ihren Füßen zu fallen, Ihren Schutz anzuflehen.«

Bei diesen Worten that das Mädchen, wie es sagte: es sank neben dem Stuhle nieder, und als der Graf erstaunt einen Schritt zurücktreten wollte, faßte es nach seinem Mantel.

»Das ist eine sonderbare Komödie,« sagte er. »Was Teufel brauche ich Sie zu schützen? – Sie scheinen mir selbstständig genug zu sein, stehen ja auch unter weit mächtigerem Schutze, als der meinige ist. Uebrigens bitte ich recht sehr, stehen Sie auf; ich mag Sie nicht da liegen sehen, selbst wenn dies am Ende eine Stellung ist, die Sie wohl verdienen nach dem, was Sie einer gewiß so guten und sanften Herrin gethan.«

»O mein Gott! ja, sie ist so gut und sanft,« versetzte jammernd das Mädchen. Dabei ließ sie den Mantel los, stützte sich mit der einen Hand auf den Boden und schien mit der anderen ihre herabstürzenden Thränen zurückhalten zu wollen.

»Die Ihnen gewiß nie Veranlassung zu diesem Schritte gab,« fuhr er entrüstet fort.

»Nie,« sagte das Mädchen. – »Nie! nie! Man fühlt bei Fräulein Eugenie nicht, daß man Dienerin ist; man arbeitet zu seinem Vergnügen, indem man ihre freundlichen Bitten erfüllt; man wird belohnt durch Gutmüthigkeit und Vertrauen. – Nie kommt ein hartes Wort über ihre Lippen, nie hat man bei ihr eine Laune zu ertragen.«

»Und doch,« rief der junge Mann mehr und mehr überrascht, während er einen Blick des Abscheus auf die Knieende warf, »und doch die Verrätherei? – So also belohnen Sie die Liebe und Güte Ihrer Herrin?«

»Ich muß ja wohl!« klagte das Mädchen und rang wie verzweifelnd die Hände. »Bei Gott dem Allmächtigen! ich muß, man zwingt mich dazu!«

»Wer kann Sie zwingen? – Sind Sie nicht die Herrin Ihrer Handlungen, sind Sie nicht in dem Punkte vollkommen frei?«

»O nein! o nein! ich bin nicht frei; ich mußte diesen Befehlen Folge leisten.«

»Den Befehlen Ihrer Herrin?«

Sie schüttelte mit dem Kopfe.

»Hat denn sonst irgend Jemand eine Macht über Sie?«

»Ja.«

»Eine Macht, die Sie zwingen kann, gegen Ihre Herrin zu handeln, wie Sie gethan?«

»Ja.«

»Also ein Wesen,« sprach er, mehr und mehr erstaunt, »das Sie zwingt, Ihre Herrin zu verrathen?«

»Ja, ja!«

»Das Ihnen befiehlt, Eugeniens Thun und Lassen genau zu beobachten und darüber Bericht zu machen?«

»O mein, Gott, ja!«

»Berichte an den Herzog?«

»Ja, Herr Graf – Berichte an den Herzog, oder an wen man mir befiehlt.«

Nach diesen Worten faltete sie, immer noch auf den Knieen liegend, die Hände und ließ den Kopf tief auf die Brust herabsinken.

»Und wer ist dieses Wesen, das eine solche Macht über Sie ausübt?«

»Ich weiß es nicht,« sagte sie nach einer Pause, indem sie ihren Kopf erhob und dem jungen Manne mit einem Blick voll Offenheit, ja mit einem Ausdruck vollkommener Ehrlichkeit in die Augen schaute. – »Ich weiß nicht, wer es ist, ich kenne seinen Namen nicht, ich erinnere mich nur noch jenes schrecklichen Orts, wo ich ihn sah, ihn, der mir den Befehl ertheilte, also zu thun wie ich gethan.«

»Und wo ist dieser Ort?«

»Er ist,« sprach das Mädchen – doch hielt sie plötzlich inne, öffnete starr die Augen und blickte nach dem Gange hin, wobei sie wie beschwörend ihre Hände aufhob.

Auch der Graf wandte leicht den Kopf herum und vernahm, obgleich sehr gedämpft, feste männliche Schritte, die sich von der blauen Gallerie her zu nähern schienen.

»Der Herzog!« flüsterte das Mädchen mit fast lautloser Stimme.

»Ja, er wird es sein,« sagte der Graf ruhig, aber gleichfalls sehr leise. »Verhalten Sie sich ganz stille; nur stellen Sie das Licht zur doppelten Vorsicht noch in die Fensternische; durch die Vorhänge wird sein Schein nicht durchdringen.«

Sie erhob sich vorsichtig von ihren Knieen und that, wie ihr geheißen; dann blickte sie angstvoll auf den Grafen, dem ein leichtes Lächeln um den Mund spielte.

Die Schritte kamen näher ganz nahe; jetzt hielt Jemand vor der Thüre. Zuerst hustete es draußen leise, dann wurde sachte an die Thüre geklopft, und da auf alle diese Zeichen keine Antwort erfolgte, so vernahm man deutlich, daß eine Hand die Klinke ergriff und die Thüre zu öffnen versuchte, was ihr aber natürlich nicht gelang. Dasselbe Manöver wurde von draußen mehrere Male probirt, und als es immer gleich erfolglos blieb, vernahm man einige leicht gemurmelte Worte, worauf sich die Person wieder langsam entfernte. Einmal schien dieselbe umkehren zu wollen; man vernahm ein Anhalten, dann eine halbe Wendung auf dem Steinboden des Ganges, doch besann sie sich eines Besseren: gleich darauf klangen die Schritte wieder regelmäßig und fest und verloren sich in der tiefen Stille, die über dem ganzen Schlosse lag.

»Der gute Herzog sucht, obgleich spät, doch noch zu seinem Rendezvous zu kommen,« dachte der Graf. – Und dann wandte er sich wieder an das Mädchen, das, ein Bild der Angst, bleich und zitternd an dem Fenstervorhange stand.

»Beruhigen Sie sich,« sagte er, »diese Gefahr ist gänzlich vorüber, denn wie ich den Herzog kenne, wird er heute Nacht nicht mehr zurückkehren. – Sie können ihm dann vielleicht morgen Ihren Bericht machen.«

Diese Worte sprach er in einem schneidenden Tone.

Das Mädchen seufzte tief auf und entgegnete: »Wie Gott will!«

»O nein,« erwiderte er heftig, »nicht wie Gott will, vielleicht wie der Teufel will! Denn nur der hat eine Macht über Menschen, wie die sind, von welchen Sie soeben gesprochen.«

»O, Sie glauben mir nicht, Herr Graf!« sagte sie tief bekümmert. – »Und es wäre doch für Alles gut, wenn Sie mir glauben wollten.«

»So bringen Sie was Glaubwürdiges vor und ich will mir Mühe geben, Ihren Worten zu vertrauen.«

Sie blickte sich scheu um, als fürchte sie, belauscht zu werden, namentlich nach dem Fenstervorhang hin, als sei es möglich, daß plötzlich Jemand vortrete. – »Ich mußte einen fürchterlichen Schwur nachsprechen,« sagte sie zitternd.

»Einen Schwur, nichts von dem Orte zu verrathen, von dem Sie vorhin sprachen, und von dem, was man Ihnen dort gesagt?«

»Warten Sie einen Augenblick,« entgegnete sie nach einer Pause nachdenkend, indem sie die Hand an ihr Stirne legte. – »Nein, nein, das ließ er mich gerade nicht schwören, denn, daß das je geschehen könnte, mochte er sich wohl nicht denken, da er mir Gutes erzeigt. – Aber ich mußte schwören, meine neue Herrin zu beobachten, um, so oft es von mir verlangt würde, einen Bericht zu machen, wenn sie ausgeht, wohin sie geht, wer zu ihr kommt, was sie zu Hause macht, an wen sie schreibt, – ja das mußte ich schwören bei dem allmächtigen Gott, der mich strafen sollte, wenn ich je meinen Schwur bräche.« – Nachdem sie das gesagt, schauerte sie leicht zusammen.

In allem dem, was das Mädchen sprach, war trotz des Räthselhaften so viel Glaubwürdiges, auch trugen ihre Worte so den Stempel des Wahren und Aufrichtigen, daß sie der junge Mann mehr und mehr mit Interesse betrachtete und sein Zorn vor ihrem sanften und klaren Blick zu verschwinden begann.

»Das ist äußerst seltsam,« sagte er, »und ich will Ihren Worten trauen. Wenn Sie aber wollen, daß ich Ihnen vollkommen glauben, mich Ihrer vielleicht annehmen soll, so lösen Sie mir die Rätsel, die in dieser Geschichte liegen, und erzählen mir die Wahrheit, meinetwegen, so weit es Ihnen der geleistete Schwur erlaubt.«

»Ja, das will ich!« versetzte sie eifrig. »Ihnen will ich alles das sagen, Herr Graf, – denn ich weiß ja,« fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, »wie sehr Sie meiner Herrin zugethan sind, und wie Sie gewiß Alles, was ich Ihnen anvertraue, nur zu deren Besten anwenden können. Ah! und ich wünsche ja meiner Herrin alles Gute, alles Glück und alles Heil.«

»Und das wären Sie vom Herrn Herzog nicht gerade überzeugt?« fragte er forschend.

»Nein, nein!« entgegnete sie eifrig; »er meint es schlimm und unredlich. O glauben Sie mir, Herr Graf, ich habe ihm gewiß nur Sachen berichtet, die meiner Herrin nicht schaden können; ich habe seinen sonderbaren Zumuthungen nie Gehör gegeben, ich war gewiß keine so schlimme Verrätherin, wie ich wohl scheine.«

»Ei, ei! er machte Ihnen Zumuthungen?« sagte aufmerksam Graf Fohrbach. – »In Betreff Ihrer Herrin?«

»Sehr häufig.«

»Und worin bestanden diese Zumuthungen?«

»Bald sollte ich ihm dies oder das von ihr verschaffen – ein Band, eine Haarlocke oder ein Blatt ihres Albums, in welches sie zuweilen kleine Gedichte schreibt. Auch verlangte er, ich sollte ihn Abends einmal, wenn Fräulein Eugenie ausgegangen, in deren Zimmer führen.«

»Was der Teufel! – Und Sie?«

»Bei Gott! ich wies alles das zurück. – Auch wünschte er, ich solle zuweilen beim Ankleiden auf eine unverfängliche Art die Rede auf ihn bringen, um zu hören, was das gnädige Fräulein sagen würde. – Aber gewiß, ich that es nie.«

»Sehr gut!«

»Was mir befohlen war und wozu mich mein Schwur zwang, habe ich gethan, aber gewiß nur auf die schonendste Art für Fräulein Eugenie. – Wenn Sie, Herr Graf,« fuhr sie nach einer kleinen Pause stockend fort, »geneigt wären, den Worten eines armen Mädchens Glauben zu schenken, so würde ich Ihnen bei Allem, was mir heilig ist, die Versicherung geben, daß der Herzog von meiner Dame nie ein anderes Wort erfuhr, als was die ganze Welt wissen kann.«

»Und mir würden Sie auch nicht mehr sagen?« fragte er lächelnd.

»Gewiß nicht, Herr Graf,« entgegnete sie mit einem festen, offenen Blick. »Sie würden das auch nicht verlangen, denn –« Hier schwieg sie plötzlich.

»Sprechen Sie weiter!« sagte er; »denn –«

»Denn,« fuhr sie mit einem kaum bemerkbaren Lächeln fort, »denn meine Herrin würde Ihnen vielleicht selbst mehr sagen, als ich dem Herzog zu berichten im Stande bin.«

»Ah! Sie glauben?« rief er erfreut. »Nun, da wir Beide hier einmal auf so eigentümliche Art zum Austausche von Geheimnissen kommen, so kann ich Sie versichern, ein jedes Wort von Fräulein Eugenie zu mir gesprochen, ist mir unaussprechlich kostbar. – Doch wir kommen ganz von unserer Sache ab,« unterbrach er mit einem viel ernsteren Tone sich selbst und seine freundliche Rede von vorhin. – »Wollen Sie mir Ihr Vertrauen schenken? Wohlan! ich will Sie anhören, ich will Ihnen rathen, wo ich kann.«

»Das ist aber eine ziemlich lange und traurige Geschichte,« entgegnete das Mädchen, »und ich fürchte Sie damit zu ermüden, will mich aber so kurz zu fassen suchen, wie nur möglich.«

Darauf nun erzählte sie dem Grafen ganz ehrlich und aufrichtig die Geschichte, welche der geneigte Leser bereits weiß, genau so, wie sie solche im Fuchsbau dem Harfenmädchen anvertraut, wie man sie eines Diebstahls beschuldigt und fortgejagt, wie sie darauf mit der Harfenspielerin in jenes Wirthshaus gekommen und wie sie zu Bette gegangen seien. – »Dann wurden wir in der Nacht geweckt,« sprach sie weiter: »eine alte Frau hieß mich aufstehen, meinen Anzug zurecht machen und brachte mich hinunter in ein Zimmer, wo ich eine Zeit lang warten mußte – dann führten sie mich vor ihn.«

»Vor ihn? – Wer war denn das?«

»Das weiß ich in der That nicht; das schien auch Niemand im Hause zu wissen, es hieß nur immer: er ist gekommen, er ist da. Aber Jeder, der dies sagte, selbst die rohesten und verwegensten Leute, wie mir schien, sprachen von ihm mit großer Ehrfurcht, ja mit Angst und Zittern. Die Harfenspielerin sagte zu mir, als man mich aus dem Schlafzimmer abholte: ja, wenn er dich holen läßt, da hilft kein Widerstreben.«

»Das ist sehr seltsam,« erwiderte der Graf. – »Also Alle schienen ihm zu gehorchen?«

»Unbedingt.«

»Sie wurden also vor ihn gebracht. Thun Sie mir jetzt den Gefallen und nehmen Sie Ihr ganzes Gedächtniß zusammen. Wie sah er aus? Wie ein wilder, verwegener Kerl?«

»Nein, nein!« entgegnete sie eifrig, »so sah er nicht aus; im Gegentheil. Es war ein noch junger Mann von, ich möchte sagen, angenehmem Aeußeren, in Ihrer Größe, Herr Graf, schlank, von leichten Bewegungen; sein Gesicht hatte eine ziemlich dunkle Farbe, sein Haar war schwarz, seine Augen aber blau, und sein gleichfalls schwarzer Bart hing an beiden Seiten des Mundes herab. – Ich erinnere mich, bei uns Zigeuner gesehen zu haben,« fuhr sie nach einem kleinen Nachdenken fort, »gerade so sah er aus, nur daß seine Kleidung nicht zerlumpt war, sondern einfach, aber sehr anständig.«

»Und womit war er ungefähr bekleidet?« fragte der Graf mit großer Aufmerksamkeit.

»Das kann ich nicht sagen,« entgegnete das Mädchen; »ich war so bestürzt und überrascht, und in so großer Angst, daß ich nur auf das Gesicht blickte.«

»Ja, das haben Sie behalten, wie mir scheint,« versetzte lächelnd der Graf. »Sie haben mir es wenigstens zum Malen beschrieben. Dunkle Gesichtsfarbe, schwarzes Haar und Bart und dazu blaue Augen – das Bild eines schönen Zigeuners.«

»Eines noch fällt mir ein,« sagte das Mädchen. »Ich war an dem Tage von Kummer, Elend und Müdigkeit so erschöpft, daß ich vor ihm ohnmächtig wurde. Er fing mich in seinen Armen auf, vorher aber glitt ich auf den Boden nieder, und da berührten meine Wangen etwas Kaltes und Glänzendes an ihm.«

»Vielleicht ein Säbel?«

»Nein, nein! Ich bemerkte nachher, daß es hohe Stiefel waren, die ihm bis an die Kniee reichten.«

»Hatte er überhaupt keine Waffen?« fragte der Graf. »Sahen Sie keine an ihm?«

»O doch; ich erinnere mich, etwas wie eine Art Dolch gesehen zu haben, mit weißem Griff, das er an seinem Gürtel trug; er hatte es mit der linken Hand erfaßt.«

»Das klingt ja ganz romantisch,« meinte Graf Fohrbach, nachdem er einen Augenblick sinnend vor sich niedergeschaut. »Wenn man mir das von Rom oder Neapel erzählte, so würde ich es unbedingt glauben und begreiflich finden.«

»O, glauben Sie mir, Herr Graf!« bat das Mädchen. »Glauben Sie meinen Worten: ich habe Ihnen die reinste Wahrheit gesagt.«

»Gewiß glaube ich Ihnen; aber Sie müssen mir noch einige Fragen eben so wahr beantworten. – Als er Sie entließ, was geschah da weiter mit Ihnen?«

»Ich wurde in ein anständiges Zimmer gebracht, und am andern Tage gab man mir gute Kleider, einen Paß und eine Instruktion, die ich auswendig lernen mußte. Darin stand, wie ich mich fortan zu nennen, sowie Vorschriften in Betreff der Berichte, die ich über meine Herrin zu erstatten habe.«

»Und wem mußten Sie anfänglich diese Berichte machen?«

»Das weiß ich nicht; an einer mir bezeichneten Straßenecke fand ich einen dicht verschlossenen Wagen, der mich in ein Haus brachte, wo man mich in eine dunkle Stube führte, und wo Jemand aus dem Nebenzimmer mit mir sprach.«

»Keine schlechten Vorsichtsmaßregeln! – Und dort erhielten Sie auch den Befehl, hier in diesem Zimmer den Herzog zu erwarten?«

»Ja, Herr Graf.«

»Aber ich vergaß das Wichtigste zu fragen. Wie wurden Sie in Ihren jetzigen Dienst eingeführt? – Der war doch, wenn ich mich recht erinnere, einer Anderen zugedacht. Ich selbst empfahl ja den Schützling eines Freundes.«

»Das geschah auf eine eigene Art,« entgegnete das Mädchen; »ich fand bei der Instruktion einen versiegelten Empfehlungsbrief an einen vornehmen Herrn, den ich persönlich abgeben mußte, worauf ich ein anderes Schreiben erhielt, das mich nachher zu Fräulein Eugenie von S. wies, die mich in ihren Dienst genommen.«

»Und wer war jener vornehme Herr?« fragte der Graf in großer Spannung. »Kennen Sie ihn vielleicht?«

»O ja, sehr gut; ich sehe ihn öfters. Er besucht auch zuweilen das gnädige Fräulein.«

»Sein Name?«

»Es ist der Herr Baron von Brand. In seinem Hause erhielt ich, wie gesagt, einen Empfehlungsbrief an meine Herrin.«

»Das ist seltsam!« rief einigermaßen bestürzt Graf Fohrbach. »Ganz richtig, der Baron bat mich, Ihnen eine Stelle zu verschaffen, und ich sprach für Sie, – auch er. – Das ist eine ganz sonderbare Geschichte. – Und von wem der Brief war, den Sie dem Baron brachten, wissen Sie nicht?«

»Nein; aber so viel erinnere ich mich, daß er mit einem großen Wappen gesiegelt war.«

Der Graf dachte längere Zeit nach, wobei er, wie in großer Unruhe, im Zimmer auf und ab schritt. Endlich aber wandte er sich wieder zum Fenster hin und stellte sich abermals dicht vor das Mädchen. – »Die Sache ist sehr ernst und wichtig,« sagte er zu ihr; »thun Sie mir den einzigen Gefallen und nehmen Sie die ganze Kraft Ihres Gedächtnisses zusammen, gehen Sie in Gedanken nochmals jenen Abend durch, den Sie im sogenannten Fuchsbau verlebten, namentlich aber jene Augenblicke, wo Sie vor ihm im Zimmer standen. – Ueberlegen Sie sich genau, ob Sie nicht irgend einen kleinen Umstand vergessen, zum Beispiel irgend ein Wort, das er sagte, irgend eine Bewegung, die er machte. – Ueberhaupt haben Sie mir noch nicht erzählt, wie er zu sprechen pflegte, ob er laut oder leise, ob kräftig und energisch, oder was man bei uns geziert nennt. Es ist mir das sehr wichtig.«

»Nein, er sprach nicht geziert,« entgegnete sie, »sondern laut und deutlich, dabei kräftig wie Jemand, der gewohnt ist, zu befehlen.«

»Und sonst fällt Ihnen nichts mehr bei?«

»Warten Sie einmal,« erwiderte das Mädchen, indem sie die Augen mit der Hand bedeckte und dann hinauf an die Decke schaute. »Ich besinne mich da auf etwas, aber es ist zu unbedeutend.«

»Bei diesem Vorfall ist nichts unbedeutend.«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, wie ich glaube, daß ich vor ihm ohnmächtig niedersank. Er hob mich in die Höhe, und als ich wieder zu mir selbst kam, umwehte mich ein eigenthümlicher Duft.«

»Ein eigenthümlicher Duft!« rief der Graf in der höchsten Spannung. »Wie war es? – Sprechen Sie! – sprechen Sie!«

»Es war ein scharfer Duft,« sagte das Mädchen, das etwas erschreckt schien von der Heftigkeit des Grafen. »Es war ein Duft wie von lauter Rosen.«

»Ah!« schrie Graf Fohrbach, indem er in die Höhe fuhr, als habe er etwas ganz Erschreckliches gehört. – »Ah! – – Coeur de rose

*

»Nun wissen Sie Alles,« sprach ängstlich das Mädchen nach einer kleinen Pause. – »Was soll ich nun weiter thun? – Ich bin jetzt gänzlich in Ihre Hand gegeben, Herr Graf,« setzte sie schmerzlich hinzu. »Sie können mich von beiden Seiten hin verderben: durch eine Anklage bei meiner Herrin, und dadurch, daß Sie von dieser räthselhaften Geschichte etwas laut werden lassen. Dort steht meine Ehre, meine Zukunft, hier mein Leben auf dem Spiel.«

Während sie so sprach, war der Graf abermals heftig im Zimmer auf und ab geschritten. Doch als sie geendet, wandte er sich rasch zu ihr hin und sagte feierlich: »Gott soll mich bewahren, daß eins von Beiden geschehe! Nein, nein! gewiß nicht! Ihr Geheimniß ist bei mir gut aufgehoben.«

»Aber was soll ich ferner thun?«

»Machen Sie Ihre Berichte nach wie vor, aber seien Sie klug und lassen Sie von Ihrer Herrin nichts erfahren, was derselben schaden könnte; ich will sehen, was ich für Sie thun kann. – Das schleicht sehr versteckt einher; man muß ihm ebenso begegnen, um es sicher zu treffen.«

»Aber wenn man mir neue Befehle zukommen ließe! Zum Beispiel dies oder das zu thun; – was weiß ich? – Etwas, das wir jetzt nicht vorhersehen können?«

»Wenn es Ihnen unschuldig erscheint und – verzeihen Sie mir – Ihnen als kleine Plauderhaftigkeit oder Nachlässigkeit angerechnet werden könnte, so thun Sie es in Gottes Namen, suchen mich aber von dem Vorgefallenen gleich in Kenntniß zu setzen. Man muß vorderhand allen Eklat vermeiden. – Sonst,« fuhr er lächelnd fort, »verlange ich keinen Bericht von Ihnen. – Aber, bei Gott! es ist spät! – Ich danke Ihnen, mein Kind. Bleiben Sie Ihrer Herrin getreu; gewiß, sie verdient es.«

»Ob sie es verdient!« entgegnete fast schwärmerisch das Mädchen.

»Wenn Ihnen diese Sache auch noch Ungelegenheiten machen kann, so hoffen Sie doch auf die Zukunft und auf mich. Ich werde mich Ihrer fortan erinnern.«

Damit reichte er ihr die Hand, worauf sie das Licht aus der Fensternische nahm, um ihm ein paar Schritte zu leuchten.

»Gehen Sie nicht zu weit mit mir,« sagte der Graf, »vielleicht nur bis an die Wendeltreppe; von da finde ich den Weg schon allein.«

So that sie denn auch, und während er behutsam und so geräuschlos als möglich hinab stieg, beugte sie sich oben über das Geländer und streckte den Leuchter von sich, um das dunkle Treppenhaus zu erhellen.

Es wäre übrigens besser gewesen, wenn sie das nicht gethan hätte, denn obgleich Mitternacht längst vorüber war und Alles im Schlosse fest zu schlafen schien, so war dies in Wirklichkeit doch nicht der Fall. Einer der Portiers, welcher seine Wohnung an eben dieser Wendeltreppe hatte, hörte mit seinem Ohr die Tritte und öffnete geräuschlos ein Fensterchen, welches auf dieselbe hinausging, und da sah er denn deutlich das Kammermädchen droben stehen, und einen Offizier, in einen Mantel gehüllt, sich sachte hinabschleichen. – Die meisten Schloßbedienten sind auf dergleichen pikante Neuigkeiten begierig und setzen gerne ihren ganzen Scharfsinn daran, sie zu ergründen. Deßhalb bemühte sich denn auch der Portier, an einzelnen Kleinigkeiten des Offiziers zu entdecken, welche Uniform er wohl tragen könnte. Unglücklicherweise ließ Graf Fohrbach unten an der Treppe seinen Mantel etwas von der Schulter herabgleiten, so daß man Epaulettes und Fangschnüre sehen konnte.

»Aha!« dachte der Portier, »einer der Adjutanten. – Wer hatte den Dienst? – Graf Fohrbach. – Richtig! das ist seine Figur und sein Gang.« Damit verschloß er sein Fensterchen wieder und schlief nach einigen Augenblicken beruhigt weiter.

Der Graf kam indessen durch das Labyrinth von Gängen, Treppen und Vorplätzen glücklich in's Freie.

Es war eine finstere, kalte Nacht, weßhalb er seinen Mantel dicht zusammen zog, als er auf den Kastellplatz hinaustrat. Um von hier nach Hause zu gelangen, hatte er zwei Wege; der eine führte durch die höher gelegenen vornehmeren Stadttheile, durch breite Straßen und über bequeme Brücken, war aber bedeutend weiter als der andere, der mitten durch die alte Stadt ging. Doch hatte der letztere den Nachtheil, daß er meistens durch enge Straßen führte, einigemal durch finstere Durchgänge, auch beim Kanal vorbei und über dessen enge und schlechte Brücken. Doch war es hart gefroren, die Straßen auch reinlich und ohne Nässe, weßhalb der Graf den Weg durch die alte Stadt wählte. Er hatte auch nach allem dem, was er heute Abend gehört, eine leicht begreifliche Lust, sich die finstere Häusermasse, den Fuchsbau, obgleich er ihn recht wohl kannte, genau anzusehen.

Er schlenderte deßhalb langsam über den Kastellplatz und kam jenseits desselben in die engen und winkeligen Straßen, welche nach der unteren Stadt führten. Rings war Niemand zu sehen noch zu hören; die Schildwachen hielten sich in ihren Häusern; von den Nachtwächtern bemerkte man nirgendwo eine Spur. Dazu war, wie wir wissen, der Mond nicht am Himmel, und die Nacht hüllte Alles in dichte Finsterniß.

Wie er so langsam dahin schritt, ließ er in seinem Geiste nochmals die Erlebnisse des heutigen Abends vorübergehen und schüttelte nachdenkend den Kopf, als er wieder an die Erzählung des Mädchens kam. – »Sollte es denn möglich sein,« dachte er, »daß der Baron wirklich hier im Spiele ist, daß das anscheinend so harmlose, leichtfertige, ja beschränkte Wesen desselben nur eine Maske wäre, hinter welcher sich eine so räthselhafte, ja unheimliche Gestalt verbärge, wie mir das Mädchen geschildert! – Wenn dem so wäre, welche Zwecke verfolgt er? Aus welchem Grunde belauscht er die Schritte Eugeniens? – Ah! das ließe sich am Ende erklären; er ist mit dem Herzog sehr liirt und macht vielleicht einen angenehmen Zwischenträger. – Aber nein! – Worauf gründet sich meine Vermuthung, daß der Baron hier im Zusammenhange? Auf jenen Odeur, von dem das Mädchen sprach, den scharfen Rosenduft? – Bah! das ist am Ende ein wenig zu weit gegangen. Die feinen Unterschiede zwischen Coeur de rose und gewöhnlichem Rosenöl wäre ja wohl der Baron allein zu machen im Stande. – Und doch,« fuhr er in seinen Betrachtungen fort, indem er noch langsamer ging, »es gibt da so viele Menschen, die in dem Wesen des Barons etwas Räthselhaftes finden wollen. So heute noch der Hofmarschall. – Und dann erinnere ich mich auch noch einer Geschichte, die man mir einstens erzählen wollte. Ich weiß nicht, war es der Major oder der Assessor, – nein, nein! ich glaube, Arthur war es, – richtig! der sprach mir von einem höchst sonderbaren Vorfalle, worin er den Herrn von Brand verflochten glaube. Aber ich war damals eilig und hatte keine Zeit, es mir erzählen zu lassen. Das wollen wir gleich morgen nachholen. – Ist aber dieses so natürlich scheinende Wesen des Barons in der That nur eine vortrefflich durchgeführte Maske, so muß man sich mit ihm in Acht nehmen, und er wird schwer zu fassen sein.«

Unter diesen Gedanken war der junge Mann in die Nähe des uns bekannten Gebäudes gekommen, das wie eine dunkle Masse etwas von den übrigen Häusern abgesondert mit finsterer, geheimnißvoller Miene, ja wir möchten sagen, trotzig da lag. Von den spärlichen schmalen Fenstern, die nach außen gingen, war keines erhellt, und die riesenhaften Mauern schienen eine einzige breite Fläche zu bilden, vom Grunde hinauf bis in die Höhe der spitzen Dächer, die aber von den breiten und hohen Schornsteinen so deutlich überragt wurden. Nur ein einziger Lichtschein machte sich im Fuchsbau bemerklich, und der kam von der Gaslaterne in dem uns bekannten Durchgange, wo die eiserne Thüre mündete, die zur Wirtschaft hinauf führte.

Diesem Durchgange gegenüber auf der anderen Seite der Straße blieb der Graf einen Augenblick stehen und betrachtete sinnend diese Passage. Dort war das Mädchen, wie sie erzählt, eingetreten und von da über eine steinerne Wendeltreppe in die Schenkstube gelangt. Was aber hinter derselben läge, sei ein solches Labyrinth von Treppen, Gängen, Zimmern und Höfen, daß sie nicht angeben konnte, nach welcher Richtung man sie ungefähr geführt, und wo jenes Zimmer gelegen, in dem sie ihn, den Namenlosen, gesehen. –

»Halt!« unterbrach Graf Fohrbach mit einem fast hörbaren Ausruf seine Gedanken, »es kommt Jemand. Drücken wir uns fester an die Mauer; wer weiß, in wiefern mir heute Abend das Glück günstig ist.«

Richtig! von seiner linken Seite her klangen Schritte, und die vernahm er so plötzlich auf dem Pflaster und in der Nähe, daß der, von dem sie herrührten, soeben aus einem der anliegenden Häuser herausgetreten sein mußte. – Vielleicht aus dem Fuchsbau selbst.

Graf Fohrbach blieb regungslos stehen, in höchster Spannung, ja Aufregung.

Jetzt näherte sich ihm in der That von der linken Seite ein Mann, und er bemerkte anfänglich nur eine dunkle Gestalt, dann aber sah er, daß es Jemand sei, der in einen sogenannten Radmantel gehüllt war, dessen eines Ende er über die rechte Schulter geworfen hatte. Seine Figur war hoch und schlank; auf dem Kopfe trug er einen ganz gewöhnlichen Hut.

Dieser Mann trat fest und klingend auf. Ja, es waren Sporen, die auf dem Pflaster klirrten, und als der Graf seine Blicke herabsenkte – der Fremde war unterdessen zwischen ihm und dem Durchgange angekommen – so bemerkte er vielleicht eine Sekunde lang, wie sich der Strahl der Laterne auf etwas Blankem abspiegelte – glänzende Reitstiefel.

Der Unbekannte schien aber gar keine Ahnung zu haben, daß er belauscht werde, denn er ging ruhig mit gleichförmigen Schritten dahin, sogar ohne rechts oder links zu schauen. Bald war er im Dunkel der Nacht verschwunden.

»Was soll ich thun?« sprach der Graf zu sich selber, während er in die Straße hinaustrat. – »Ihm folgen, um zu sehen, wo er bleibt? Da mache ich mir eine undankbare Mühe, denn ist Jener dort wirklich eine verdächtige Person, so wird er Verstecke genug in der Nähe haben, wo er mir entwischt, und ich mache ihn auf mich aufmerksam, was alsdann viel schlimmer ist. – Soll ich ihm nacheilen, ihm gerade auf den Leib gehen, und ihn dann zu Rede stellen? – Ich habe kein Recht dazu, und vielleicht ist er ein ebenso unschuldiger Spaziergänger wie ich selber. Und gesetzt auch, er wäre das nicht, so spiele ich eine verflucht ungleiche Partie; immer würde ich als Angreifer gelten und mich auf diese Art in Sachen mischen, die sich mit dem Rocke, den ich trage, nicht vereinbaren lassen. Auch weiß ich ja vorderhand genug, und habe eine Spur, der mit Klugheit zu folgen man wohl im Stande sein wird.«

Er verließ den Fuchsbau und schritt die gleiche Straße hinauf, die der Unbekannte vor ihm gegangen. Ein paar Mal blieb er stehen, und dann glaubte er wohl hie und da noch die Schritte auf dem Pflaster zu vernehmen, was ihn eigentlich willenlos jedesmal zu stärkerem Gehen anspornte.

So erreichte er in kurzem die obere Stadt und trat in eine der breiteren Straßen, wo er abermals anhielt, um zu lauschen. Tiefe Stille herrschte rings umher; auch nicht das kleinste Geräusch ließ sich vernehmen. Doch jetzt – ja, er irrte sich nicht – vernahm er aus ziemlich weiter Entfernung den leichten Trab eines Pferdes.

 


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