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Die Geschichte vom Einarm

Vor langer, langer Zeit, als noch Feen und Kobolde ihr Wesen auf der Erde trieben, wohnte einmal ein Förster in einem großen Walde, in einem kleinen Häuschen, das er sich selber aus großen Baumstämmen zusammengezimmert. Er hatte vom König, dem der Wald gehörte, den Auftrag, dann und wann die Bäume abzuhauen, damit sie nicht in den Himmel hineinwüchsen und den Sternen ein Leid täten, sowie auf das Wild: Hirsche, Rehe, Hasen und Füchse, Achtung zu geben und es fleißig totzuschießen, weil schon früher einmal sich diese Tiere so stark vermehrt hatten und so viele geworden waren, daß sie vom Walde auf das Feld kamen und die Früchte verzehrten. Und als sie alles, was da wuchs, aufgefressen hatten und noch mehr Hunger verspürten, liefen sie in die Dörfer und holten das Brot aus dem Kasten, sowie das Korn vom Boden.

Der Förster hatte schon viele Jahre in dem Walde gehaust, als ihm seine Frau starb und einen Sohn zurückließ, der Wilhelm hieß und damals erst zwei Jahre alt war. Der Vater begrub die Mutter unter einem wilden Rosenstrauch, nicht weit vom Häuschen; und außerdem, daß es ihm sehr leid tat, seine Frau verloren zu haben, mit der er so manches Jahr glücklich gelebt hatte, war er auch in der größten Verlegenheit, was er nun mit dem kleinen Kinde anfangen sollte. Wenn er sonst am Morgen in den Wald gegangen war, so hatte er dem Knaben einen Kuß gegeben, ihm versprochen, was schönes mitzubringen, und ihn bei der Mutter gelassen. Diese nahm den Kleinen dann überall mit hin, bald in das Gärtchen am Hause, bald in den Wald, wo Wilhelm Erdbeeren suchen half. Doch steckte er die gefundenen, anstatt in das Körbchen, in seinen Mund und aß sie.

Als die Mutter unter dem Rosenstrauch begraben lag, und der Förster am andern Morgen seine Büchse nahm, um in den Wald zu gehen, richtete sich der kleine Wilhelm an einem alten Hirschfänger, der in der Ecke stand, auf und rief: »Vater, hierbleiben!« worauf diesem plötzlich einfiel, daß er ja jetzt ganz allein bei dem Kinde sei und nicht auf die Jagd gehen könne. Verdrießlich und nachdenkend setzte er sein Gewehr hin und sann und sann, was er wohl mit dem Kinde anfangen könne. Die Jagdhunde, die schon lustig vorausgesprungen waren, kamen wieder zurück in die Stube gelaufen und drängten sich wedelnd an ihren Herrn, als wollten sie sagen: warum kommst du denn nicht, warum kommst du denn nicht? Es ist ja draußen so schön! Auch der große Kettenhund, der in der Nacht um das Haus herumlief und es bewachte, kam herein und ging zu dem kleinen Wilhelm, seinem täglichen Gesellschafter, der ihm freundlich entgegenlief und gleich mit dem großen Tier zu spielen anfing.

Plötzlich schien dem Förster ein guter Gedanke zu kommen. Ich bin ein armer Mann, dachte er, und kann dem Kinde keine Wärterin geben. Verwandte habe ich auch nicht und muß doch meine Pflicht, die mir der König auferlegt hat, erfüllen, muß in dem Wald herumsteigen und darf nicht den ganzen Tag zu Hause bleiben, und da ich doch das kleine Kind nicht mitnehmen kann, so will ich es dem großen, treuen Bello – so hieß der Kettenhund – anvertrauen, der ein gutes, kluges Tier ist und mich schon verstehen wird. Ich weiß mir nicht anders zu helfen. Darum wird mir's der liebe Gott nicht übelnehmen, wenn ich mein Kind einem Tier anvertraue, sondern wird es beschützen und bewachen. Amen!

Gesagt, getan. Der Förster rief den Hund herbei und machte ihm auf seine Art begreiflich, daß er den kleinen Knaben bewachen und nicht von ihm gehen solle. Bello schien auch alsbald seinen Herrn zu verstehen, legte sich neben das Kind auf den Boden und sah so verständig allen seinen Spielen und Bewegungen zu, daß es eine Freude war, dies zu bemerken. Der Vater nahm sein Gewehr und ging mit den Hunden fort. Doch tat er nur so, als wenn er in den Wald gehen wollte, kehrte aber an der Ecke des Gartens leise wieder um und schlich an das Fenster, um zu sehen, was wohl der Hund mit dem Kinde anfangen würde. Die beiden saßen eine Zeitlang zusammen am Boden und spielten. Wilhelm nahm den Hund bald bei den Ohren, bald bei dem Schwanz, und zerrte ihn herum, und das geduldige Tier ließ sich alles gefallen, gab auch genau auf alles acht, was das Kind machte, folgte ihm, als es im Zimmer herum und endlich zur Tür hinaus in den Garten lief. Hier hatte nun der Förster erst recht Gelegenheit zu sehen, wie sehr der treue Bello seine Schuldigkeit tat. So lange das Kind mit Blumen und kleinen Steinchen spielte, lag er ruhig da und schaute mit den großen, klugen Augen, wie es schien, wohlgefällig zu. Aber sobald Wilhelm aufstand und an das Ende des Gartens ging, wo ein kleiner Waldbach vorbeifloß, und sich dahinsetzte, um Hölzchen oder Blätter hineinzuwerfen und schwimmen zu lassen, wie er bei der Mutter getan, faßte der Hund das Kleid des Kindes mit den Zähnen und hielt es auf diese Art fest, oder, wenn Wilhelm sich zu weit vorbeugte, zog er ihn sogar mit Gewalt zurück. Dabei war der Hund so verständig, durch Sprünge und Purzelbäume das Kind vom Wasser wieder in die Mitte des Gartens zurückzulocken, und so trieben die beiden ihr Spiel. Als sich nun der Förster, der hinter der Hecke stand, überzeugt hatte, er könne das Kind dem Hunde anvertrauen, empfahl er es noch einmal dem lieben Gott und eilte in den Wald hinaus, um Hirsche und Rehe zu schießen.

Es schien aber auch, als wenn eine unsichtbare Gewalt das Kind vor allen Übeln bewahrte; denn es verstrichen mehrere Jahre, in denen der Förster morgens und nachmittags auf die Jagd ging, ohne daß dem Kinde ein Leid geschehen wäre. Bello gab genau auf alles acht und litt nicht einmal, daß sein Pflegesohn etwas Spitziges oder Scharfes in die Hand nahm, und alle kleinen Unfälle, die bei Kindern wohl geschehen, als Fallen oder Stoßen, geschahen immer nur dann, wenn der Förster selbst zu Hause war. Denn sobald dieser aus dem Walde kam, war Bello seines Amtes entbunden und durfte sich in sein Haus legen, um zu schlafen. Das Kind hatte in diesen Stunden eigentlich die wenigste Aufsicht; denn auch der Förster, der gewöhnlich sehr müde von der Jagd kam, legte sich in der Mittagszeit auf die Bank und schlief.

So war der kleine Wilhelm acht Jahre und ein hübscher, gesunder Junge geworden, als ihm ein großes Unglück passierte. Vor dem Hause stand ein großer, uralter Eichbaum, in dessen oberen Zweigen ein Eichhörnchen sein Nest gebaut hatte. Schon lange hätte Wilhelm gern den Versuch gemacht, da hinaufzuklettern, um der Familie des Eichhorns, das den ganzen Tag lustig auf- und absprang, einen Besuch zu machen. Aber der treue Bello hatte solche Streiche immer zu verhindern gewußt, anfänglich durch Schmeicheleien, oder wenn diese nichts mehr halfen, indem er ihm tüchtig knurrend die Zähne wies; denn mit offenbarer Gewalt konnte er bei dem Knaben nicht viel mehr ausrichten, da dieser mit jedem Tag stärker, der Hund aber mit jedem Tag älter und schwächer wurde.

An einem heißen Sommernachmittag, als der Förster auf der Ofenbank lag und fest schnarchte, war alles im Hause in einen tiefen Schlaf versunken. Die Jagdhunde lagen im Zimmer herum und Bello schlief in seinem Häuschen; selbst die Hühner und Tauben im Hof und auf dem Dach hatten sich ein schattiges Plätzchen ausgesucht und den Kopf unter die Flügel gesteckt. Da hörte der Förster plötzlich vor dem Hause ein klägliches Geschrei, Bello stürzte in die Stube und zerrte ihn am Rock, bis er aufsprang und mit dem Hunde zur Türe hinauslief. Draußen hatten sie einen gar traurigen Anblick, so daß der Förster die Hände über dem Kopfe zusammenschlug und Bello sich vor Schmerz und Traurigkeit nicht zu fassen wußte. Der kleine Wilhelm hatte nämlich den Versuch gemacht, auf die Eiche zu klettern, und als er schon ziemlich hoch war, brach ein dürrer Ast, er fiel herunter und lag nun zerschmettert da am Fuß des Baumes, und das Moos umher war von seinem Blute rot gefärbt. Wie der Förster ihn so daliegen sah, glaubte er anfänglich, er sei tot; doch als er hinzustürzte und ihn aufhob, spürte er freilich in dem zerschlagenen Körper noch Lebenszeichen; aber das arme Kind war voll Blut und jämmerlich zugerichtet. Er trug es ins Haus, legte es auf sein Bettchen und lief, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, in das benachbarte Dorf, wo eine alte, kluge Frau lebte, die es sehr gut verstand, gebrochene Glieder wieder anwachsen zu machen, und die aus den Kräutern des Waldes heilsame Tränke kochte, womit sie schon die größten Wunden geheilt hatte. Die Hunde umstanden unterdessen das arme Kind, und leckten ihm das Blut vom Gesicht und den Händen, bis der Vater mit der klugen Frau zurückkam. Diese sah nun wohl gleich ein, daß das Kind nicht tot sei, auch wohl an den Wunden nicht sterben, dafür aber sein ganzes Leben ein armer Krüppel bleiben würde. Und so war es auch. Der arme Vater riß sich sein graues Haar aus, konnte es aber doch damit nicht besser machen. Alle seine Hoffnungen waren vorbei; denn er hatte geglaubt, Wilhelm werde ihm später im Walde helfen und wenn er einmal stürbe, von dem König an seine Stelle gesetzt werden. Aber wer das Kind jetzt ansah, nachdem es die kluge Alte durch ihre Tränkchen und Säfte wieder geheilt hatte, der mußte wohl glauben, daß es nie einem schnellen Hirsche nachgehen, nie eine Büchse gebrauchen, noch weniger einen Baum umhauen könne. Aus dem schönen, geraden Knaben war eine wahre Mißgestalt geworden. Die beiden Beinchen waren krumm, den linken Arm, der ganz zerschmettert war, hatte ihm die Frau abschneiden müssen und es war ihm dann nur ein kleiner Stumpen geblieben, sogar das Gesicht war ganz entstellt; denn wenn auch die Augen noch so klar und freundlich waren, wie sonst, und die Stirne und Backen glatt wie Samt, so hatte doch beim Herunterfallen ein hervorstehender Baumstamm ein Stück von der Nase fortgenommen, wodurch das Gesicht sehr häßlich aussah. Auch war das ganze Gemüt des Knaben seit der Zeit traurig und still geworden. Der Vater hatte ihm eine Krücke gemacht, an der er herumkroch, von dem treuen Bello begleitet, der das Unglück ebenfalls zu fühlen schien und durch den Schmerz darum viel älter und schwächer geworden war, als er seinen Jahren nach hätte sein sollen. Die beiden waren unzertrennlich und gingen oder lagen den ganzen Tag zusammen, und der Förster, sowie Wilhelm fürchteten nur die Zeit, wo der Hund sterben würde und der Knabe dadurch seinen besten Freund verlöre.

Da begab es sich eines Tages, daß der König, dem der Wald gehörte, seinem Hofstaat eine große Jagd hielt, und von dem Gebell der Hunde, dem Schreien der Treiber und den Klängen der Waldhörner hallte Berg und Tal wider. Der Förster war schon am frühen Morgen ausgegangen, um bei der Jagd zu sein; denn er hatte bei solchen Gelegenheiten in seinem Walde das Geschäft, die Herren vom Hofe, die gerade nicht als die besten Schützen bekannt waren, an Orte zu stellen, wo ihnen die Hirsche und Rehe sozusagen in den Schuß liefen und sie nur in die blaue Luft zu schießen brauchten, um am Abend doch von den Tieren, die sie alle geschossen hatten, erzählen zu können. Wilhelm und der Hund saßen am Morgen beim Eingang des Waldes und hörten dem Jagdlärm zu, der sich aus der weiten Ferne zuweilen vernehmen ließ. Ach, die beiden wären auch gar zu gern dabei gewesen und mit den andern unter den frischen, grünen Bäumen herumgesprungen; aber so mußte sich der arme, kleine Krüppel damit begnügen, auf die langen, zitternden Klänge der Waldhörner zu hören, die zuweilen laut wurden, und Bello, der Hund, spitzte nur dann und wann die Ohren, wenn er aus weiter Ferne das Hundegebell vernahm und knurrte zuweilen leise dazwischen.

Plötzlich hörten sie vor sich etwas in den Gebüschen rauschen und sahen ein schneeweißes Reh in vollen Sätzen auf sich zuspringen. Obgleich es nun für beide nichts Ungewöhnliches war, ein Reh zu sehen, so machte doch die seltene Farbe des Tieres, daß sie ihm überrascht entgegenblickten. Doch erreichte das Erstaunen, ja das Entsetzen Wilhelms den höchsten Grad, als das Tier zu seinen Füßen niederstürzte und ihn mit deutlicher Menschenstimme um seinen Schutz gegen die verfolgenden Jäger und Hunde bat. Vor Überraschung konnte er anfänglich kein Wort hervorbringen; denn so lange er auch schon in dem Walde wohnte, hatte er doch noch nie etwas von verzauberten Tieren gehört. Das Reh erzählte ihm in möglichster Kürze: es sei eine verzauberte Fee, die von der Königin der Feen in diese Gestalt verwandelt worden, in der sie so lange bleiben müsse, bis sie der Tod durch die Hand des Jägers ereile. So sehr sie nun auch diesen Augenblick herbeiwünschte, um alsdann in ihrer ursprünglichen Gestalt zum Hofstaat der Königin zurückkehren zu können, so scheuche sie doch eine fürchterliche Angst vor dem Tode immer wieder aus der Nähe der Jagd hinweg, so oft und sehr sie sich auch schon vorgenommen habe, dem Geschosse der Jäger entgegenzutreten.

Der Knabe, der sich unterdessen an seinen Krücken aufgerichtet hatte, versprach dem Reh, er wolle es so viel schützen wie möglich, und er gedachte es eben nach dem Häuschen zu geleiten, als er plötzlich mit Schrecken bemerkte, daß an der weißen Haut des Tieres das purpurrote Blut herunterlief. Er wollte es ihm wegwischen und das Reh aufrichten, das von der Wunde und dem raschen Lauf matt zusammengesunken war, als es seinen Kopf wieder erhob und sagte: »Ohne daß ich es wußte, hat mich der Pfeil des Jägers getroffen und meine Zeit ist gekommen. Die Stunde naht, in der ich meine ursprüngliche Gestalt annehme und in unser seliges Reich zurückkehre. Ich werde in kurzem wieder eine mächtige Fee sein und möchte dich gern dafür belohnen, daß du mir in deinem Hause eine Freistatt geben wolltest. Sprich einen Wunsch aus und wenn die Zeit meiner Verwandlung kommt, soll er dir gewährt werden; doch sei vorsichtig und sprich deinen Wunsch deutlich aus; ich kann dir nicht mehr bewilligen, als du dir wünschest.«

Da tönte von fern her aus den grünen Schluchten und Tälern der Lärm der lustigen Jagd an das Ohr des armen Krüppels; da ward wieder in ihm die Lust rege, auch so wie die andern Jäger dem Hirsch nachfliegen zu können durch Berg und Kluft, und eine Büchse zu haben, mit der er aus weiter Entfernung das Wild niederschießen könne. Das Reh ermahnte ihn nochmals, ihm seinen Wunsch zu entdecken, und mit dem Ohr nach dem Lärm der Waldhörner und Hunde hinlauschend, sagte er mit leiser Stimme: »Ach, wie gern wollt' ich nur einen Arm haben, und die zerstümmelte Nase, wenn ich nur mit dem andern die Büchse halten und mit meinem Bello gesund und frisch durch den Wald springen könnte!« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so sah ihn das Reh mit den großen Augen mitleidig an und sagte ihm: »Dein Wunsch war allzu bescheiden, doch sei er dir gewährt. Aber jetzt fühle ich, daß mir der Tod naht, drum laß mich meinen Kopf auf dein Knie legen und diesen Augenblick ruhig abwarten.«

Obgleich Wilhelm noch sehr im Zweifel war ob das Reh wirklich im Ernst zu ihm spräche, oder ob es vielleicht nur ein Waldgeist sei, der ihn necken wolle, so nahm er doch mitleidig den Kopf des Tieres auf seinen Schoß, wischte ihm nochmals das Blut ab und drückte ihm die Augen zu. Bello, der Hund, der bisher staunend um das Tier herumgegangen war, legte sich jetzt zu den Füßen des Knaben und schlief ein. Auch dieser selbst konnte einer gewaltigen Müdigkeit, die ihn plötzlich überfiel, nicht widerstehen, schloß die Augen und entschlief ebenfalls unter den seltsamsten Träumen.

Ihm war, als wenn sich das Reh auf seinem Schoß langsam erhöbe und sich wunderbar in eine schöne Jungfrau verwandelte. Weiß war ihr Gewand und ein rosafarbener Schleier, der oben auf dem Kopfe von einem lichten Stern zusammengehalten wurde, wallte bis zu den Füßen hinab. Sie trug in der Hand ein kleines Zauberstäbchen, mit dem sie einen Kreis über die beiden Schläfer beschrieb, worauf sie gen Himmel schwebte; dann wurde die ganze Erscheinung dem Blick des schlafenden Knaben unklar und zerfloß am Ende in eine weiße, rotgesäumte Wolke, die eilig gen Westen schiffte.

Jetzt erwachten Wilhelm und Bello; der Hund sprang auf und machte einen Satz, wie man seit Jahren nicht mehr an ihm gewohnt war. Der Knabe griff nach seiner Krücke, die er in den Schoß gelegt hatte; doch wer beschreibt sein Erstaunen, als er statt derselben das stattlichste glänzendste Gewehr, das er je gesehen, auf seinen Knien liegen sah. Unter seinem Kopf lag eine Weidtasche und, o Wunder, er, der noch vor einer Stunde sich kaum an der Krücke hatte erheben können, sprang aus Überraschung über die Dinge, die er hier sah, in die Höhe und sah aufs neue erstaunt um sich her, denn ihm war, als sei er plötzlich einen Fuß höher geworden. Und so war es eigentlich auch. Die gute Fee hatte ihr Versprechen gehalten und seinen Wunsch erfüllt, indem sie seine lahmen Beine gerade und somit länger machte und neues, kräftiges Leben durch den ganzen Körper goß. Auch Bello, der Hund, war von der guten Fee reichlich mit neuen Kräften bedacht worden und machte die tollsten und ungestümsten Sätze. Ja, er schien ganz anderer Natur geworden zu sein; denn der biedere, ehrliche Kettenhund schien auf einmal Behagen am Weidwerk gefunden zu haben und machte solch Spektakel unter den Büschen und Bäumen, daß die Hasen und Füchse zu Dutzenden heraussprangen. Jetzt untersuchte der Jüngling, – denn seitdem er einen Schuh höher geworden war, konnte man ihn keinen Knaben mehr nennen, – das Gewehr und seine Jagdtasche, und fand alles in der besten Ordnung. Das erstere war von der feinsten Stahlarbeit, mit Gold ausgelegt, und in der letzteren befand sich Pulver und Blei die Menge. Auch entdeckte er beim nähern Durchsuchen ein kleines silbernes Schächtelchen, das er neugierig öffnete und das drei goldene Kugeln enthielt, auf welchen die Worte zu lesen waren: »Zur höchsten Not«. – Die Jagd kam indessen immer näher, und um im glücklichen Fall vielleicht auch noch Teil daran nehmen zu können, lud der Jüngling sein Gewehr mit einer tüchtigen Kugel und stellte sich dicht an den Stamm einer dicken Eiche. Bald kamen ganze Scharen wild herangesprengt, und die zahlreichen Meuten der Hunde hinterdrein, auch einzelne Reiter mit langen Hörnern, die beständig ihr Hallo! Hallo! bliesen. Dabei erschien es unserem jungen Jäger sehr sonderbar, daß alle diese Leute, die dort das lustige Weidwerk trieben, kohlrabenschwarz angezogen waren. Außerdem hatten die Reiter Trauerflor auf ihren Hüten und die Hörner waren ebenfalls schwarz umwickelt, ebenso das Riemenzeug der Pferde; und selbst die Hunde hatten schwarze Halsbänder. Sein Erstaunen wuchs, als er jetzt einzelne Herren vom Hofe, ebenso dunkel kostümiert, zwischen den Gebüschen hervortraben sah, und endlich den ganzen Hofstaat, an dem man vom Oberjägermeister bis zum niedrigsten Jagdpagen auch kein Tüchelchen von einer bunten Farbe sah, sondern alles war schwarz, wie bei einem Trauerzuge. Jetzt erschien auch der König selbst, auf einem schwarzen Rappen und trug ebensolche Kleider, an denen sich nichts auszeichnete, als der schneeweiße, lange Bart des Königs, der über die Brust herunter wallte und eine Krone von den schönsten, weißen Perlen, die er auf dem Kopfe trug.

Die Jagd hatte hier ein Ende; der größte Teil der Reiter schwang sich von den Pferden, diese und die Hunde an schwarze Riemen zu koppeln. Der König, der auf seinem Roß sitzen geblieben war, schien sehr mißmutig zu sein und sah nachdenkend den blauen klaren Himmel an. Jetzt schien er dort oben etwas zu bemerken und rief den Oberjägermeister, der alsobald herbeikam, vom Pferde sprang und der Majestät auf ihre Anfrage, was dort oben in der Luft für ein schwarzer Punkt schwebe, untertänigst referierte, daß es ein Goldadler sei. Der König befahl alsbald, auf ihn zu schießen, und der ganze Hof ärgerte sich über die Frechheit des Vogels, daß er es wage, seinen Kopf höher zu tragen als der König. Vier der geübtesten Schützen mit den besten Gewehren traten vor und schossen einer nach dem andern in die Höhe. Doch schien sich der Vogel wenig darum zu bekümmern, sondern schwebte in ruhigen Kreisen fortwährend in der Luft herum. Es wurden andere Jäger herkommandiert, um ebenso wenig auszurichten, und nun ließ sich der Oberjägermeister seine mit Gold ausgelegte Büchse geben, setzte, da er schon ein alter Herr war, seine Brille auf die Nase und schoß ins Blaue, doch kam keine Feder von dem Adler herunter. Der König, der dem Schießen aufmerksam zugesehen, fing an ungeduldig zu werden, und an seinem verdrießlichen Murmeln merkte man, daß bald ein majestätisches Gewitter hereinbrechen werde, worüber der Oberstjägermeister und das ganze Hofgesinde in nicht geringe Verlegenheit gerieten. Was war zu tun? Der König verlangte selbst seine Büchse, um eigenhändig nach dem Vogel zu schießen und ebensowenig zu treffen, wodurch höchstsein Zorn sich nicht gelegt, sondern noch vermehrt haben würde, weshalb der Oberstjägermeister, sechs Jägermeister und vierundzwanzig Kammerherren, zu gleicher Zeit von demselben Gedanken bewegt, ihre Knie beugten und die Majestät baten, doch höchstihre Kugeln nicht an so unwürdiges Raubzeug zu wagen. Der Oberstjägermeister sah ängstlich im Kreise herum, wen er von guten Schützen noch vergessen hätte, und endlich fiel sein Blick auf den Sohn des Försters, dessen prächtiges, schönes Gewehr dem alten Herrn sehr in die Augen stach. Der Förster selbst, der ebenfalls vergeblich nach dem Adler geschossen hatte, traute kaum seinen Augen, als er seinen Sohn, den er heute morgen als elenden Krüppel im Grase liegend verlassen, mit Ausnahme der zerstümmelten Nase und des einen Armes frisch und gesund vor den Oberjägermeister hintreten sah, der ihn aufforderte, mit seiner Büchse nach dem Vogel zu schießen.

Das Jägervolk zischelte ein wenig, als es einen jungen Menschen mit einem Arme erblickte, der gar nicht bei Hofe angestellt war und es besser machen wollte als die alten königlichen Jäger, die doch dafür ihr schweres Geld bekamen. Aber Wilhelm ließ sich durch diese Blicke und das Zischeln gar nicht irre machen, stellte sich hin, streckte seinen linken Stumpen in die Höhe, legte die Büchse darauf, und nachdem er einen Augenblick scharf gezielt, knallte der Schuß. Alles sah erwartungsvoll in die Höhe, und die Gesichter der Jäger, die höhnisch gelacht, weil der Vogel noch einen Augenblick ruhig schweben blieb, zogen sich gar erbärmlich in die Länge, als er jetzt droben verdächtige schwankende Kreise beschrieb und langsam heruntersank. Der ganze Hofstaat gab in diesem Augenblick ein sehr kurioses Bild; alles riß vor Erstaunen die Mäuler auf, als sollte jedem von ihnen der Adler ins Maul fallen, und der Oberstjägermeister vergaß in der Freude seines Herzens über den Schuß seine Würde so sehr, daß er einen großen Luftsprung machte und dabei den Oberstzeremonienmeister auf ein Hühnerauge trat, daß dieser vor Schmerz laut aufbrüllte; das aber nahm das ganze Hofpersonal für ein Zeichen, seine Verwunderung vor den allerhöchsten Ohren ebenso laut kundgeben zu müssen und brach daher inklusive Förster, Jagdpagen und Hunden, in ein erschreckliches Freudengeschrei aus. Während diesem Hallo schwankte der Adler herab und stürzte mausetot zu den Füßen des Leibpferdes nieder. Dem Könige gefiel der Schuß sehr, und wenn er auch nicht lachte, machte er doch eine gnädige Handbewegung gegen den jungen Schützen und fragte den Oberpolizeidirektor: »Wer ist der Einarm?« Dieser wandte sich flüsternd an den hinter ihm stehenden Untergebenen, und, um vor der Majestät zu verbergen, daß er, der Oberpolizeidirektor, nicht jeden Mann im Staate kenne, räusperte er sich, hustete und spukte so lange, bis ihm von hinten zugeflüstert wurde, daß der Einarm der Sohn des Försters sei.

Der König war darauf sehr gnädig, ließ dem Einarm ein Goldstück überreichen und nahm ihn unter seine Leibjäger auf. Dann wandte er sein Roß und ritt, gefolgt von dem ganzen Schwarm, nach der Stadt zurück. Der Förster aber ging mit seinem Sohn in das Haus zurück und ließ sich von ihm erzählen, auf welche wunderbare Art er und Bello wieder zu Kraft und Gesundheit gekommen seien. Dann packte Wilhelm seine Habseligkeiten zusammen, nahm von dem Vater Abschied und pfiff dem treuen Bello, um nach der Residenz zu gehen.

Da er noch nie aus seinem Walde herausgekommen war, so erschienen ihm draußen die schön angebauten Felder und die Dörfer mit den vielen Häusern sehr sonderbar. Auch verwunderte er sich, daß die Leute schon von seinem glücklichen Schuß wußten und daß ihn der König unter die Leibjäger aufgenommen hatte. Zuweilen wurde er auch hierüber befragt, und da man seinen Namen nicht wußte, nannte man ihn überall, wo er durchkam, Einarm, eine Benennung, die ihm gerade nicht sehr gefallen wollte. Aber wie wuchs erst sein Erstaunen, als er in die Nähe der Residenz kam und dort die breiten Straßen und die prächtigen hohen Paläste sah. Vor allem aber gefiel ihm das Schloß des Königs, mit stattlichen Türmen und zahllosen Fenstern, und es würde ihm noch mehr behagt haben, wenn es nicht ebenso schwarz angestrichen gewesen wäre und ebenso düster ausgesehen hätte, wie das Jagdgefolge des Königs und die Trabanten und Heiducken, die mit ihren großen Spießen an allen Türen standen. Alles war schwarz kostümiert vom Kopf bis zu den Füßen, und selbst in den schön angelegten Gärten war nichts zu sehen als dunkle Zypressen und trauriges Rosmarin. Zum Überfluß wehten über dem Haupttor zwei große schwarze Fahnen, und die beiden Ecktürme waren wie Leichenbitter in große schwarze Flore gehüllt, die oben an dem Knauf festgemacht waren und bis auf die Erde herabwallten.

Der neue Leibjäger ging in die Wohnung des Oberstjägermeisters und ließ diesem Herrn melden, er sei da; da aber das Er eine sehr relative Bezeichnung war, so wurde dem Oberstjägermeister gemeldet, der Einarm sei da, und jener befahl darauf, dem Einarm eine schwarze Livree und Wohnung zu geben. So war er denn plötzlich in den Dienst des Königs gekommen, in welchem es ihm anfangs sehr wohl behagte; nur hätte er gewünscht, daß sie ihn bei seinem Familiennamen oder wenigstens Wilhelm genannt hätten; doch da der König Einarm zu ihm gesagt, so hatten dies die Hofleute angenommen, und alles nannte ihn in und außer dem Dienst nur Einarm. Schon der erste glückliche Schuß, den er mit dem Gewehr getan, das ihm die gütige Fee geschenkt, hatte ihm die Gunst des Königs wie des Oberstjägermeisters erworben, und in traurigen Stunden, die ersterer oft hatte, ließ er den Einarm häufig kommen, um sich durch dessen unglaubliche Geschicklichkeit im Schießen unterhalten zu lassen. Da aber nun in solchen Dingen, wo es die Gunst des Herrn gilt, kein Hofgesinde mit sich spaßen läßt, so war bald niemand mehr, bis zum geringsten Küchenjungen herab, der den Einarm nicht mit schelen Augen angesehen hätte, denn der König gab ihm vor allen andern zu sehr den Vorzug. So aß er nur von einer Schnepfe oder einem Hasen, die der Einarm geschossen, weil, wie er sagte, ihm kein Wildbret schmecke, das nicht so kunstgerecht erlegt sei wie das des Einarms. Ja, dies ging soweit, daß, wenn es den König nach einem Apfel oder einer andern Frucht gelüstete, der Einarm geholt wurde, um die Frucht vom Baume zu schießen.

Schon oft hatte sich der neue Leibjäger bei dem andern Hofgesinde nach der Ursache erkundigt, weshalb der König beständig so traurig sei und weshalb das ganze Schloß sowie alles in seiner Umgebung schwarz aussehen müsse. Da es aber verboten war, über dergleichen Sachen zu sprechen, so hatte man zuerst dem Neuangekommenen nichts vertrauen wollen, und als später der Einarm so in der Gunst des Herrn stieg, war es Neid und Haß, warum ihm keiner auf seine Fragen Bescheid gab. Auch mit dem weiblichen Personal des Schlosses stand der arme Einarm nicht zum besten; denn wenn auch unter allen Jägern und Hofbediensteten keiner war, der eine so schlanke, kräftige Figur hatte wie er, so war doch das Mägdevolk viel zu naseweis, um nicht an einer fehlenden Nase ein Ärgernis zu nehmen. Auch mochte ihnen ein fehlender Arm für gewisse Verhältnisse im menschlichen Leben gar zu unpraktisch vorkommen, und wenn auch manches hübsche Mädchen dem Einarm nachblickte, so konnte sie ihm diese beiden Mängel nicht vergeben.

Seinerseits war auch bei ihm die Lust nicht sehr groß, sich bei den jüngeren Frauenzimmern auf Erkundigung zu legen, da er sich schon manche spöttische Antwort bei ihnen geholt hatte, und die alten Weiber, die im Schlosse waren, scheute er seit den Zeiten, wo ihn die kluge Frau im Walde unter entsetzlichen Schmerzen krumm und lahm kuriert hatte, noch mehr. Glücklicherweise war er auch nicht neugierig, weshalb er sich leicht auf eine andere Zeit zu trösten wußte, wo sich ihm dies Geheimnis von selbst auflösen würde. Und so geschah es auch eines Tages und früher, als der Einarm vermutet hatte.

An einem schönen Morgen ritt der König mit wenigen Jägern auf die Jagd und streifte, wie er oft zu tun pflegte, trübselig über Berg und Tal. Einem starken Hirsch, der vor ihm aufstieg, mußten die Jäger folgen, mit Ausnahme des Einarms, dem der König sein Pferd zu halten gab, als er herabstieg und sich in den Schatten eines großen Baumes legte und zu seufzen und zu klagen anhub, wie er vielmals tat, wenn er allein war. Das jammerte den Einarm sehr, und er hätte den König gern gefragt, weshalb er so traurig sei; doch erlaubte ihm dies die Etikette nicht, sondern gebot ihm vielmehr, sich mit den Pferden zurückzuziehen, um den Herrn in seinen traurigen Betrachtungen nicht zu stören. Plötzlich hörte der Einarm in den Gebüschen ein Geräusch, als wenn sich ein großes Tier nahe. Es raschelte im Laub, es knickte hie und da Zweige ab, und als der Leibjäger vortrat, um zu sehen, was es gäbe, erblickte er zu seinem größten Entsetzen, wie ein wütender Eber gerade auf den König losrannte, der ohne Waffen war und ihn in seiner großen Betrübnis nicht einmal zu bemerken schien. Das Untier hatte den Kopf, mit ungeheuern Hauern bewaffnet, gesenkt, und die kleinen Augen funkelten vor Wut und Grimm. Kaum hatte der Einarm Zeit, seine geladene Büchse vom Sattelknopf loszureißen, und als er auf das Tier anlegte, war es von dem König keinen Schritt mehr entfernt. Doch faßte sich der Leibjäger Mut, rief beim Losdrücken inbrünstig die gute Fee an, die ihm das Gewehr geschenkt, und als der Schuß krachte, sprang der König freilich entsetzt auf, aber das Ungetüm wälzte sich auch schon zu seinen Füßen im Blute.

Der Einarm eilte hinzu und sah, daß die Kugel ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Der König brach in Lobeserhebungen über den Schuß aus und vergaß die Etikette soweit, daß er sich herabließ, seinen Lebensretter zu umarmen und ihm eigenmündig für seine Lebensrettung zu danken. Darauf bestiegen die beiden ihre Pferde wieder und eilten nach der Stadt zurück, wo der König den Einarm mit hinauf in sein Zimmer kommen ließ und ihm befahl, einen Wunsch zu tun, den er ihm erfüllen wolle. Jetzt erwachte auf einmal in dem guten Leibjäger die Begierde, etwas Näheres über die Trauer des Königs sowie des ganzen Schlosses zu erfahren, und er trug der Majestät mit den allerbescheidensten Worten diese Frage vor. Zuerst sah ihn der König überrascht an und verbarg ihm seine Verwunderung nicht, daß er ihn über eine Geschichte befrage, die doch so ziemlich im Munde aller seiner Untertanen sei; doch wurde ihm seine Bitte gewährt, und der König hieß ihn folgen.

Bis hierher war der Franke in seiner Erzählung gekommen, als das allmähliche Erlöschen der Wachtfeuer sie daran erinnerte, daß die Nacht bereits weit vorgerückt sein müsse. Der alte Mann klopfte dann seine Pfeife aus und ermahnte die andern, sich noch einige Stunden dem Schlafe zu überlassen, indem er sie sämtlich einlud, morgen abend wiederzukommen und die Fortsetzung der Geschichte zu vernehmen. Nachdem der Emir el Hadsch sein Vergnügen über das Gehörte ausgesprochen, begab er sich hinweg und ging seinen Zelten zu.

Dort angekommen, wollte er sich leise in sein Gemach zurückziehen, als ihm plötzlich Hassan, sein Haushofmeister, in den Weg sprang, und da er ihn in der Dunkelheit der Nacht nicht erkannte, heftig an dem Zipfel seines Mantels zog: »He, wer bist du, alter Gauner? Wo schleichst du hin in der Nacht? Kann man doch vor lauter Diebsgesindel nicht zu seiner Ruhe kommen! Sprich, wer bist du, Ungläubiger?«

Der Emir el Hadsch, der sich von seinem Diener so sonderbar begrüßt sah, wußte nicht, was er davon denken sollte, und begriff im ersten Augenblick nicht, warum ihn Hassan so empfange. Doch jetzt sah er auf seine unscheinbaren Kleider und gab sich dem Neger zu erkennen. Dieser stand einen Augenblick sprachlos vor Erstaunen da, beugte sich dann tief zur Erde und stammelte eine Bitte um Vergebung. »Ach Herr,« setzte er hinzu, »du mußt es deinem Sklaven nicht verargen, wenn er in seinem Eifer den gebietenden Schritt seines Herrn nicht erkannt hat. Es treibt sich hier bei den Zelten so viel verdächtiges Gesindel umher, daß die größte Wachsamkeit nötig ist. »Ja, Herr,« fuhr Hassan fort, als er bemerkte, daß der Emir aufmerksam zuhörte, »sehr verdächtiges Gesindel; doch weiß ich nicht, ob es mir deine Hoheit nicht sehr ungnädig aufnimmt, wenn es dein Sklave wagt, seine Befürchtungen deinem Ohre laut werden zu lassen.«

Unter diesem Gespräch war der Emir in sein Zelt getreten und befahl dem Sklaven zu reden, worauf Hassan mit vielen Worten und so wichtig als möglich sein erstes Zusammentreffen mit jenem jungen Kameltreiber vor dem Palaste des Emirs in Kairo sowie die spätere Begegnung in der Nacht erzählte. »Wie es einem treuen Diener geziemt,« fuhr der Haushofmeister fort, »spähte ich bei jedem Marsch, den wir machten, in den Reihen umher nach jenem Manne und sah ihn auch bald hier, bald dort erscheinen, wie er auf seinem flüchtigen prachtvollen Pferde dem Blitze gleich halb in diesem, halb in jenem Zuge erschien. Dabei aber, verzeih mir, o Herr, bemerkte ich auch wohl, daß der junge Mann stets wieder zu dem Zuge deiner Hoheit zurückkehrte und sich dort so nahe wie möglich bei dem Kamel hielt, dem die Ehre zuteil wird, den Stern des Morgenlandes, deine Tochter Zemire zu tragen. Ja, Herr, in ihrer Nähe hält er sich öfters während der Märsche auf und versucht es, durch allerhand Reiterkünste die Blicke der Weiber auf sich zu ziehen. Heute abend nun, kurz zuvor, ehe du zurückkamst, o Herr, hörte ich draußen vor dem Zelte wieder jenen Gesang wie neulich, und es war wieder derselbe junge Araber, der es wagte, dicht am Zelte deiner Tochter Zemire seine Laute klingen zu lassen. Bei meiner Ankunft hörte er freilich auf, schwang sich auf sein Pferd und verschwand wie das vorige Mal.«

Während der Erzählung des Haushofmeisters horchte der Emir el Hadsch aufmerksam zu und zog seine Augenbrauen zusammen – ein untrügliches Zeichen, daß er sich durch die Aufmerksamkeiten des jungen Arabers gegen seine Tochter nicht sehr geehrt fühlte. Darauf wandte er sich zu Hassan und sagte: »Sobald sich der Araber wieder bei meinem Zuge zeigt, machst du mich auf ihn aufmerksam, und es wird mich sehr freuen, wenn du deine Wachsamkeit unterdessen noch verdoppelst.«

»Ach, Herr,« entgegnete der Schwarze, »ich werde gewiß mein möglichstes tun, aber deine Hoheit hat jenen jungen Kameltreiber schon gesehen. Ja, er war selbst schon hier in deinem Zelte. Du wirst dich der Gesandtschaft erinnern, o Herr, die der Beduinenschech Almansor gestern zu dir sandte. Unter dem Gefolge wirst du einen jungen Mann gesehen haben, der zur Rechten des alten Schech Harun auf dem Diwan saß; ich muß gestehen, er ist ein sehr schöner und stattlicher Mann!«

Der Emir fuhr mit der Hand über die Augen, besann sich einen Augenblick, und dann trat plötzlich die Gestalt jenes jungen Arabers vor sein Gedächtnis. Der schöne, kräftige junge Mann war ihm schon gestern neben dem alten Schech Harun aufgefallen. »So, so,« sprach er leise für sich; »der also war's! Wer mag das wohl sein?«

Hassan beteuerte bei dem Barte des Propheten, er wolle schon herausbekommen, mit wem er es zu tun habe, worauf der Emir seinen Haushofmeister entließ und sich auf sein Lager streckte. Allein der Schlaf, der sonst sein Auge nie floh, wollte sich heute nicht so bald einfinden. Als guter Muselmann von echt eifersüchtigem Schlage, mußten ihn diese Aufmerksamkeiten des Arabers gegen seine Tochter auf alle Fälle sehr beunruhigen, um so mehr, da sich jener Beduine bei der Gesandtschaft des mächtigen Almansors befinden sollte, was der Emir als einen Beweis annahm, daß der junge Mann von nicht ganz gemeiner Herkunft sei. Das Mißtrauen legte sich jetzt an sein Ohr und flüsterte ihm zu, daß vielleicht jene Gesandtschaft nur zu dem Zweck gekommen sei und nur deshalb Freundschaft mit ihm angeknüpft habe, um irgendeine feindselige Absicht gegen ihn auszuführen. Wer weiß, dachte er, ob der junge Araber nicht vielleicht der Sohn eines jener Beduinenschechs ist und nur in der Absicht umherschleicht, meine Tochter zu rauben. Ach, der Emir el Hadsch wußte zu gut, daß seine Tochter Zemire eines der schönsten und lieblichsten Mädchen des Morgenlandes sei. Unter dergleichen Gedanken entschlief er endlich und erwachte erst am folgenden Morgen, als die aufsteigende Sonne eben die Nebel der Nacht zerteilte.

Kaum waren am nächsten Abend die Zelte aufgeschlagen, so wurde in dem Emir der Wunsch rege, die Fortsetzung des in der vergangenen Nacht gehörten Märchens zu vernehmen. Er empfahl daher seinem Haushofmeister nochmals die größte Wachsamkeit, hüllte sich dann in seine unscheinbaren Kleider und machte sich auf den Weg. Der Franke saß mit seinen Bekannten bereits am Feuer, und nachdem die üblichen Begrüßungen gewechselt und die Pfeifen angezündet waren, fuhr der Fremde folgendermaßen fort:

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