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Neunundvierzigstes Kapitel.
Eugenie und die Freunde


In den Gärten der Stadt, in welcher unsere wahrhaftige Geschichte spielt, fing man an, die winterlichen Hüllen, womit zahlreiche weiche Pflanzen und sehr viele Bäume vor dem Froste geschützt wurden, nach und nach aufzulockern und wegzunehmen. Rhododendron und Achilleen, auch Magnolien streckten zwischen den halb entfernten Strohdecken ihre schwellenden Knospen in die schon recht warme Luft hinaus und schienen nach langem Schlafe frisch und munter aufzuathmen. Die Fenster der Frühbeete und Glashäuser wurden, wenigstens für die Tagesstunden, überall entfernt, und wo nun der Sonnenstrahl zwischen die grünen Blätter der Geranien, Heliotropen, Betunien und wie all die Pflanzen heißen mögen, behende durchschlüpfte, um auch im hintersten Winkel der Häuser nach seinen Kindern zu sehen, da brachte er zugleich mit einem sanften, angenehmen Luftzuge ein behagliches Flüstern hervor, und die älteren Pflanzen erzählten dem Nachwuchs, daß jetzt bald die Zeit komme, wo sie ihr junges Leben genießen würden, wo man sie nicht mehr hinter Glas und Strohdecken hielte, wo sie in die duftende freie Erde hinaus kämen, um ihre Wurzeln auszubreiten und schöne, farbige Blüthen hervor zu zaubern. Den Jungen schauerte es ordentlich vor Vergnügen, als sie von all dem Herrlichen erzählen hörten, von warmer, würziger Luft und von frischem, kühlendem Regen, vom Himmel herab oder aus der Gießkanne, und sie lauschten dabei aufs aufmerksamste all diesen Wundern, von denen die Alten erzählten, und hofften auch so glücklich zu sein, wie diese, und von ihren farbigen Blüthen abgeben zu dürfen, um den Busen eines schönen Menschenkindes damit zu schmücken.

Aber nicht nur Pflanzen und Bäume warfen ihre Glas- und Strohmäntel ab, auch die Menschen schälten sich aus den dicken Pelzen und Paletots heraus und waren ordentlich froh, endlich wieder einmal von der natürlich gewärmten Luft gefächelt zu werden.

Mit besonderer Lust erfreute sich der Portier des gräflich Helfenberg'schen Hauses, Meister Jonathan, des außerordentlich angenehmen Wetters, das als Vorbote des Frühlings gekommen zu sein schien, die Menschheit auf künftige bessere Tage vorzubereiten. Der dicke Mann hatte seine schwere, mit Pelz verbrämte Umhüllung an den Nagel gehängt und stand im leichten, einfachen Livreerock an seiner Glasthür, wo er die große Treppe des Hauses und zugleich den Thorbogen im Auge hatte. Er zog die Luft in vollen Athemzügen an sich und behauptete gegen den Bereiter Seiner Erlaucht, der neben ihm am Eingange lehnte, er fühle ordentlich, wie ihm das stärkend bis ans Herz dringe.

»Begreife einer die Menschen!« sagte er; »da lassen sie sich den Leib vollpfropfen mit allerhand Pulvern, Latwergen, mit des Teufels Mixturen und haben doch die besten Heilmittel für alle ihre Leiden umsonst und ungemischt, wo sie nur die Nase hinstrecken mögen. Ich kann Sie versichern, Luft und Wasser sollten eigentlich die einzige Medicin sein, die ein vernünftiger Mensch zu sich nimmt.«

»Ich für meinen Theil,« antwortete der Bereiter, indem er behaglich an sich nieder sah, dann auf seine hochgewölbte Brust klopfte, »brauche auch bei einem allenfallsigen Unwohlsein nie etwas Anderes als kaltes Wasser und frische Luft. Ein Bad im Flusse und darauf ein Bad in freier Luft, das ist außerordentlich stärkend. Sie aber, Meister Jonathan, nehmen doch schon zu anderen Mitteln Ihre Zuflucht, denn häufig habe ich den Winter die Camillen-Theekanne auf Ihrem Ofen stehen sehen, und dem Boonecamp of Maag-Bitter sind Sie auch nicht abhold.«

»Das thut unsere verderbte Natur,« versetzte der dicke Portier, indem er die Unterlippe vorschob, »besonders aber, daß wir in der Jugend unseren Magen an dergleichen Getränk gewöhnt. Hätte ich Kinder, ich ließe alle ihre Krankheiten mit Luft und Wasser kuriren; darauf können Sie sich verlassen. Am Ende ist Camillenthee und Maag-Bitter auch etwas ganz Ungekünsteltes und unter die Hausmittel zu rechnen, und da mir, wie gesagt, Wasser und Luft leider nicht mehr recht dienen wollen, so kann ich dagegen mit Stolz sagen, daß ich von allem Gebräu der Apotheke gänzlich fern geblieben bin und an mir und an Bekannten schon die glänzendsten Kuren mit Hausmitteln gemacht habe. Ich sage Ihnen, es geht nichts über Hausmittel.« – Er dämpfte seine Stimme und legte die rechte Hand an den Mund. »Ja, Freund, ich habe Kuren gemacht und bei Kuren mitgeholfen, wenn ich davon sprechen wollte, Sie würden Ihr blaues Wunder hören. O Hausmittel, nichts über Hausmittel! – Man sollte dem Manne, der das erste Hausmittel angewandt hat, ein Denkmal setzen; ich zahlte gern meinen Thaler dazu. – Was bringt unseren guten Herrn, den Gott erhalten und stärken möge, so wunderbar wieder auf die Beine? – Hausmittel.«

»Wozu Sie auch wohl gerathen haben, Meister Jonathan?« sagte der Bereiter mit einem pfiffigen Lächeln.

»Davon spricht man nicht,« entgegnete der Portier; »genug, das Resultat ist da und durch Anwendung der einfachsten Hausmittel erreicht. Glauben Sie mir, ich habe einen ungeheuren Respekt vor diesem kleinen Doktor Flecker. Ein Capitalkerl, und gibt sich gar nicht so das Ansehen wie die anderen, als habe er den Verstand löffelweise gegessen und sei es ihm deßhalb ein Leichtes, ihn auch löffelweise wieder von sich zu geben. Der behandelt Sie spielend, ohne übermäßig viel an den Puls zu greifen oder Sie jeden Augenblick zur Fratze zu machen, indem er Sie die Zunge herausstrecken läßt. Er sagt: Bon jour Meister Jonathan, wie geht's? wir schlafen nicht ordentlich? – Ja wohl, Herr Doktor, sage ich. Wir haben keinen Appetit. – Uebelkeiten? – So ist's. – Pumps dich! habe ich einen Camillenthee, höchstens etwas Senfteig unter die Füße. Das ist gerade so wie der Weck auf dem Laden; ich sage Ihnen, der Mann tappt niemals an Einem herum.«

Damit stieß Jonathan den Bereiter mit dem Knöchel seiner rechten Hand freundschaftlich auf die Brust, wahrscheinlich um denselben zu einer Anerkennung der Verdienste des Doktor Flecker zu vermögen, die auch nicht ausblieb, denn der Bereiter gab kopfnickend zur Antwort: »Ja, ein vortrefflicher Arzt, das ist nicht zu läugnen. Wenn es bei mir einmal etwas zu flicken geben sollte, so wende ich mich an keinen anderen.«

Der dicke Portier hatte seine Hände auf dem Rücken vereinigt, schob seine Unterlippe vor und wiegte den schweren Kopf auf und nieder.

»Mit dem gnädigen Herrn,« sagte er alsdann, »war es Matthäi am Letzten; ich sage Ihnen, man konnte sehen, wie sein Lebenslicht immer schwächer brannte, und ich dachte oft daran, daß es endlich ganz erlöschen müsse. Und was hat der arme Herr nicht alles gebraucht! Welche Medicinen, Bäder, von allen möglichen Aerzten verschrieben! Und gerade, daß wir damals mit diesen Aerzten verkehren mußten, ist wohl daran schuld, daß ich das ganze Geschlecht derselben hassen gelernt.«

Er ballte bei diesen Worten seine Faust und drohte still vor sich hin. – »Zu Zweien und Dreien waren sie oftmals droben und hielten für des Herrn Grafen schweres Geld Consultationen. Glauben Sie aber, daß sie die Wahrheit sagten, um die Seine Erlaucht sie dringend bat? Nicht ein Einziger, das kann ich Sie versichern. Oben in den Zimmern sprachen sie voll Hoffnung und voll Ueberzeugung vom Gelingen einer neuen Kur; auf der Treppe aber, da zuckten sie mit den Achseln und meinten: natürlicher Weise kann da Alles nicht mehr helfen; da geht so ein junger Herr her, vergeudet seine Lebenskraft – so sprachen sie – und meint dann, das ließe sich alles wieder herstellen. So waren Alle einig über den Grund der Krankheit Seiner Erlaucht, lächelten hochmüthig, wenn unser eins sich eine schüchterne Frage oder Einrede erlaubte. Wissen Sie, das hat mich oft geärgert, wenn sie so händereibend vor mir standen, mit hoch erhobener Nase, und mit dem gewissen Lächeln zu einander sagten: es ist das und das Uebel, wir können uns darin nicht irren. – Ja, prosit die Mahlzeit! und sie haben sich doch geirrt.«

»Nicht wahr,« meinte der Bereiter beistimmend, indem er mit dem Kopfe nickte, »man spricht von einer Vergiftung?«

»Man denkt nur so etwas,« versetzte wichtig der alte Portier; »aber man spricht nicht gern darüber. Wenn das Uebel aber da liegt, was ich, unter uns gesagt, zuversichtlich glaube, so ist dem der kleine Armenarzt zuerst auf die Spur gekommen und hat die Krankheit da angegriffen, wo sie allein zu bewältigen ist.«

»Durch Hausmittel?« fragte lächelnd der Bereiter.

»Durch Hausmittel!« erwiderte bestimmt der Andere, »Wassertrinken, frische Luft, Kräuterbäder, namentlich das Letztere. Ich sage Ihnen, oft duftet es droben in den Zimmern, wie in einem Walde zur Zeit des gesegneten Monats Mai, wenn es geregnet hat.«

»Dem mag nun sein, wie ihm will, so ist das nicht abzusprechen, daß Seine Erlaucht sich seit den letzten Monaten wie durch Zauberkraft geändert hat. Ist er doch gestern wieder im Reithause zu Pferde gestiegen! Meister Jonathan, ich bin ein alter Soldat, aber mir trat das Wasser in die Augen, als mir Seine Erlaucht mit einem so unaussprechlich freudigen Blicke sagte: Ich glaube wahrhaftig, es geht wieder. Und es ging in der That wieder so, daß die Stallleute, die dabei standen, Maul und Nase aufsperrten. Natürlich fehlte noch viel gegen früher, doch muß ich Ihnen gestehen, daß ich erst beim Anblicke des Herrn zu Pferde wieder wirtliche Hoffnung gefaßt habe.«

»Und wie er die Treppen steigt!« meinte der Portier mit leuchtendem Blick; »ja, das ist was ganz Anderes als im vergangenen Herbst. Seht, wenn mir unser Herrgott in meinen alten Tagen noch einmal die Freude gäbe, das erlauchte Haus im alten Glanz und in der alten so nothwendigen Pracht erstehen zu sehen, nur auf kurze Zeit die Freude ließe, dann wollte ich meinen Amtsstab mit Freuden für immer in die Ecke stellen. – Jetzt aber,« unterbrach er sich plötzlich, indem er sich lauschend in den Thorweg vorbeugte, »wollen wir ihn zur Hand nehmen, denn mein geübtes Ohr sagt mir, daß Besuch kommt.«

Bei diesen Worten griff er nach seinem Stocke, der hinter ihm am Treppengeländer lehnte und der heute ein viel leichterer war als noch vor kurzer Zeit, wo Jonathan bei dem dicken Pelzüberwurfe eine förmliche silberne Keule zu tragen pflegte. Er verstand es, Unterschiede zu machen.

In Betreff des ankommenden Besuches hatte er sich nicht geirrt; denn schon nach wenigen Augenblicken schossen ein paar flüchtige Pferde unter den Thorbogen, und der Kutscher auf dem Bock des kleinen Broughams, der herein rollte, ließ seine Thiere im scharfen Trabe gehen bis an die Treppe, um dieselben dort kurz und elegant zu pariren, wobei er freundlich lächelte, und sowie der Wagen stand, den Knopf seiner Peitsche auf den rechten Schenkel aufstützend, regungslos sitzen blieb und nur sein gekniffenes rechtes Auge Meister Jonathan, sowie dem Bereiter einen freundlichen Gruß spendete.

Baron von Breda sprang aus dem Wagen, und das Zurücktreten des Portiers, sowie dessen tiefe Verbeugung sagten ihm ohne Frage und Antwort, daß Graf Helfenberg zu Hause sei. Ehe er aber die Treppen hinanstieg, wandte er sich an den Bereiter mit der Frage, wie die gestrige Tour im Reithause abgelaufen sei.

Während der Stallmeister Seiner Erlaucht dem genauen Freunde desselben und trefflichen Reiter und Pferdekenner hierüber einen weit genaueren und umständlicheren Bericht erstattete, als er vorhin Meister Jonathan gegeben, ersuchen wir den geneigten Leser, mit uns die Treppen hinan zu eilen, um einen Augenblick vor dem Baron von Breda im Schreibkabinette des Hausherrn anzukommen.

Hier war das große Fenster weit geöffnet, und Sonnenglanz drang mit angenehmer warmer Luft in das Zimmer. Graf Helfenberg stand an seinem Schreibtische, auf welchen er leicht die rechte Hand gestützt hatte, und seine ganze Haltung zeigte an, daß es ihm ungleich weniger Mühe mache, selbst ohne Stock sogar längere Zeit aufrecht zu stehen, als noch vor wenigen Wochen. Auch hatte sein Gesicht einen ganz anderen Ausdruck angenommen; seine immer noch etwas schlaffen, bleichen Züge drückten nicht mehr gänzliche Hoffnungslosigkeit aus, sie sprachen nicht mehr von dem Ende eines gewaltsam zerstörten Lebens, sie zeigten nicht mehr jenes erschreckende unheimliche Muskelspiel, dessen Eindruck noch erhöht wurde durch die fieberhaft leuchtenden Augen – nein, diese Züge waren ruhiger geworden, sie gaben das Bild eines Mannes, der lange an einer schweren Krankheit darnieder gelegen, gänzlich aufgegeben, der nun aber auf einmal wieder empfindet, daß doch noch eine Heilung für ihn möglich sei, und auf dessen Gesicht sich dieses wonnige Gefühl in neu erwachter Hoffnung rührend ausspricht. Seine Lippen zuckten nicht mehr, wie sie das früher gethan, sie waren leicht geöffnet, hatten sich wieder sanft geröthet und zeigten, was ihm allein noch von der Frische und dem Glanze der Jugend übrig geblieben war – seine herrlichen Zähne. Auch die Augen hatten, wie schon bemerkt, jenen Glanz verloren, der, ein Beweis von fieberhafter Aufregung, erschreckte und fast unerträglich wurde, wenn der Graf längere Zeit über etwas mit Interesse sprach. Daß der Stock, auf den er sich bis jetzt bei jedem Schritte gestützt, nicht mehr neben dem Tische, sondern in einer entfernten Ecke lehnte, war ebenfalls ein gutes Zeichen.

Der Jäger Klaus stand vor seinem Herrn und schien ihm gerade etwas berichtet zu haben, was diesem wichtig genug erschien, um in gespannter Aufmerksamkeit einen Schritt näher zu treten.

»Nun,« sagte er, »wie ich aus Erfahrung weiß, hat es immer etwas ganz Besonderes zu bedeuten, wenn sich Herr Francis bei dir sehen läßt. Ist's nicht so?«

»Ja, Erlaucht, es war immer so – und auch dieses Mal wieder,« setzte Klaus zögernd hinzu.

»So laß hören. Viel Gutes wird es nicht gewesen sein; denn wenn der Italiener redselig wird, wie du mir sagst, daß er gewesen, so hat er eine Absicht dabei. Sonst ist dieser Kerl verschlossen wie ein Grab.«

»Er kam also zu mir,« berichtete der Jäger, »erkundigte sich nach dem Befinden Eurer Erlaucht, sprach über Dies und Das, erwähnte auch des Hauses des Barons von Breda, und dabei des gnädigen Fräulein Eugenie.«

Die Stirn des Grafen verfinsterte sich, als er kurz fragte: »Und was wußte er über sie?«

»Es war eigenthümlich,« gab Klaus lächelnd zur Antwort, »daß, so redselig auch François vorher war, er nun mit einem Male zurückhaltend wurde, so wie er die junge Dame genannt hatte.«

»Maske!« sagte der Graf. »Und alsdann nahmst du das Gespräch auf?«

»Allerdings nahm ich es auf; ich sagte, wie leid es mir thue, das liebe Fräulein nicht mehr zuweilen zu sehen; wie alle so dächten, die das Glück hätten, in ihrer Nähe verweilen zu dürfen, wie es jetzt bei den Eltern des Fräulein Eugenie so einsam sein müsse und wie das stille Haus des Herrn Baron von Breda jetzt gewiß nicht mehr zu kennen sei, seit sich das gnädige Fräulein dort befinde.«

»Nun?« sprach fast ungeduldig der Graf.

»François gab alles das zu, er war des Lobes der jungen Dame voll, und sagte: Man könnte den Mann in Wahrheit glücklich schätzen, der ihre Hand erhalten würde.«

»So, so? Und darauf gingst du ein?«

»Natürlicher Weise. Ich meinte, das gnädige Fräulein sei doch noch zu jung, um schon ans Heirathen zu denken. – Euer Erlaucht werden mir verzeihen, aber ich erzähle gerade so, wie es war und wie wir unter uns zu sprechen pflegen.«

»Das hoffe ich,« gab Graf Helfenberg zur Antwort und setzte dann hastig und augenscheinlich mit großem Interesse hinzu: »Du sagtest also, Eugenie sei noch zu jung zum Heirathen; nun –?«

»Darauf lächelte François auf seine seltsame Weise und meinte, das fänden gewisse andere Leute durchaus nicht.«

»Gewisse andere Leute – wen meinte er damit?«

»Die Namen ließ er mich lange vergeblich errathen.«

»Du wirst sie mir aber hoffentlich in kürzerer Zeit sagen!«

»Er nannte den Herrn von Tondern, der –«

»Bah! was will der Tondern!« rief der Graf mit Geringschätzung.

»Verzeihen Erlaucht, er nannte den Herrn von Tondern, der im Auftrage des Herrn Baron von Fremont bei der gnädigen Frau von Braachen gewesen sei und –«

»Ah! Fremont, das ist schon etwas mehr, aber auch nicht viel.« – Der Graf schlug die Arme über einander und wandte sich dem Fenster zu, wo er eine Zeit lang tief nachdenkend in die Gegend hinausblickte, dann schüttelte er mit dem Kopfe und sagte, indem er sich an den Jäger wandte: »Freund Klaus, mir scheint, der listige Italiener hat dir ein Märchen aufgebunden; ich glaube von der ganzen Geschichte nicht ein Wort. Verstehe mich wohl,« setzte er hastig hinzu, als er bemerkte, wie ihn der alte Diener erstaunt, fast betrübt anschaute, »ich meine, daß François dir, zu Gott weiß welchem Zwecke, diese gewiß falschen Neuigkeiten mitgetheilt. – Glaubst du nicht auch,« fragte er dringend, »daß der Kammerdiener seine Gründe haben könnte, von einer derartigen Verbindung zu fabeln?«

»Dazu könnte er vielleicht seine Gründe haben,« erwiderte der Jäger nach einer Pause; »aber ebenso gut könnte er einen Zweck damit verbinden, mir von einer wirklichen Thatsache zu sprechen. Was er in diesem Falle erreichen will, kann ich nicht errathen; daß über François mich nicht ohne Absicht in sein Vertrauen zog, wissen Euer Erlaucht besser als ich.«

»Das ist richtig,« versetzte Graf Helfenberg, nachdem, er einen Augenblick nachgedacht. »Dieser Mensch hat noch nie etwas ohne Absicht gethan. – Du hast Recht, Klaus, etwas könnte da vorgefallen sein. Aber Fremont, was sollte er denken? Meint denn dieser Fremont,« fuhr er heftiger werdend fort, aber wie mit sich selber sprechend, »er brauche nur zuzugreifen, um diese wunderbare Blüthe an seine leere Brust zu stecken? – Und Tondern sei da gewesen? – Wahrscheinlich, um das Terrain zu recognosciren. – Dahinter steckt irgend eine Schelmerei. – – Gott sei Dank!« sprach er mit einem Blicke, den er durch das Fenster an den blauen Himmel emporsandte, »ich fühle wieder Kraft in mir, um das arme Mädchen noch bei meinen Lebzeiten schützen zu können.«

Der Graf verbarg die rechte Hand auf seiner Brust und ging mit so raschen und festen Schritten im Zimmer auf und ab, daß der alte Jäger die Hände faltete, ihm mit frohem Blicke und einem unendlich glücklichen Lächeln nachschaute und dann mit der Hand über sein Gesicht und seinen Bart fuhr.

»Die Sache hat bei alle dem keinen rechten Verstand,« sprach Graf Helfenberg mit halblauter Stimme, als er wieder an das Fenster getreten war. »Dieser Fremont – im Grunde ein guter Kerl ist sparsam, in gewissen Fällen geizig, dabei ein speculativer Kopf. Wie oft haben wir ihn im Scherze ermahnt, endlich einmal seine Junggesellenwirthschaft aufzugeben, und beständig die Antwort erhalten: Sucht mir ein schönes, vor allen Dingen aber ein reiches Mädchen! Und die letzte Bedingung mußte er stellen, denn er hat nicht so viel, um von dem Seinigen allein mit einer Frau anständig leben zu können. – Wenn ich todt wäre,« fuhr er mit einem trüben Lächeln fort, »so begriffe ich wohl, daß er und vielleicht noch mancher Andere sich um die herrliche, schöne und reiche Besitzerin der Stromberg'schen Güter bewerben würde.«

Der junge Mann versank in tiefes Nachsinnen, in ein Nachsinnen, das wohl Anfangs peinliche Gefühle in ihm erwecke, denn sein Blick verfinsterte sich, er preßte die Lippen auf einander und drücke die zusammengeballte rechte Hand fest auf die Ecke des Schreibtisches; dann aber klärten sich seine Züge wieder auf, er athmete tief, und um seinen zierlichen hübschen Mund spielte ein, wenngleich wehmüthiges, Lächeln, als er nach einem leichten Seufzer sagte: »Und wenn auch! Ist es nicht meine Absicht gewesen, sie, die ich so innig, die ich so herzlich liebe, glücklich zu machen? Soll ich Neid und Eifersucht bis über das Grab hinaus tragen, und soll ich es ihr nicht gönnen, wenn sie mit ihrem warmen Herzen an der Seite eines Gatten glücklich lebt, nachdem mein Herz, das nur für sie schlägt, erkaltet ist und stille steht? – Ah, ich bin doch ein schwacher Mensch mit widerstreitenden Gefühlen! Fort mit dem Ausmalen von Gedanken, gegen die meine innige, uneigennützige Liebe am Ende doch nicht siegreich ankämpfen könnte! Eugenie, Eugenie! Wie kann man Jemand so lieben, wie ich dich liebe!«

Graf Helfenberg legte beide Hände an seine Stirn, warf dann einen langen, langen Blick hinüber nach den fernen Bergen, wo ein dunkles Tannenholz die Stelle bezeichnete, die ihm die süßesten Augenblicke seines Lebens bei jedem Anblicke so wahr und lebendig ins Gedächtniß zurückrief.

»– Für deine Nachricht danke ich dir bestens, Klaus, und was das Andere anbelangt, so vergiß nicht, mir die Stunde genau und so früh als möglich anzugeben. Du glaubst also wirklich, daß sie kommen wird? Ich kann mir's noch nicht denken. Es würde mich zu glücklich machen,« setzte er leise hinzu. – »Aber spare keine Mühe und sei meiner Dankbarkeit gewiß.«

Die Thür zum Schreibzimmer wurde geräuschlos geöffnet, und der Kammerdiener des Grafen meldete den Herrn Baron von Breda, der schon auf der Treppe sei.

»Sehr willkommen!« sagte der Hausherr und machte gegen Klaus eine freundliche Handbewegung, worauf dieser augenblicklich verschwand.

Graf Helfenberg hatte sich eben in den Sessel niedergelassen, der vor dem Schreibtische stand, als George von Breda ins Zimmer trat.

Dieser sah etwas bleicher aus als gewöhnlich, und auf seinem Gesichte war ein gewisser Ernst zu lesen, den man sonst nicht an ihm gewöhnt war. Doch klärte sich seine Stirn auf, als er sah, wie ihm sein Freund so heiter, fast fröhlich die Hand entgegenstreckte und ihm mit frisch klingender Stimme einen guten Tag wünschte.

»Gott sei Dank!« sagte der Baron, nachdem er den Grafen einen Augenblick aufmerksam betrachtete, »dein Bereiter, mit dem ich drunten so eben sprach, scheint nicht übertrieben zu haben. Es geschehen wahrhaftig Wunder. Du hast dich in den paar Tagen, in welchen ich dich nicht gesehen, wieder auf merkwürdige Art verändert.«

»Ja, der Himmel sei gelobt, ich fühle mich in der That wohler. Und wenn das nicht einzig und allein der belebende Hauch des Frühlings ist oder der Anfang des Endes, wo die Lebensgeister, wie man sagt, sich noch einmal zum letzten Aufflackern zusammenraffen, so könnte ich in den für mich unerhörten Fall kommen, wieder ein klein wenig Hoffnung zu schöpfen.«

»Nicht ein klein wenig,« gab der Baron mit Wärme zur Antwort, »eine große Hoffnung. Für deine Freunde, die dich lieben, spricht sie aus deinem vollkommen veränderten Blicke, aus deinen wieder gerötheten Lippen. Dein Arzt muß ein Wunderthäter sein.«

»Das gerade nicht,« entgegnete, lächelnd Graf Helfenberg, »er hat sich nur die Mühe gegeben, meinen Zustand von einer anderen Seite zu betrachten, als es seine vornehmeren Collegen bis jetzt gethan.«

»Entgegen deren Ansicht,« fiel ihm George von Breda ins Wort, »schreibt er deine Krankheit einer Vergiftung zu, wie man hört. Hast du denn deinen früheren Aerzten nie auf eine ähnliche Spur geholfen?«

»Ich habe ihnen vom Anfange meiner Krankheit,« sprach ruhig der Hausherr, »nicht weniger erzählt als dem Doktor Flecker, habe aber wohl ihre Blicke verstanden, mit welchen sie einander anschauten, ihr leichtes Achselzucken, und daraus, wie auch aus den Mitteln, welche man bei mir hartnäckig anwandte, kam es, daß ich am Ende ihrer Ansicht beipflichtete.«

»Nun, dieser Arzt kam noch zur rechten Zeit,« sprach der Baron und legte dabei seine Rechte mit einem herzlichen Drucke auf die feine Hand des Grafen; »der Himmel sei für das Ungefähr gepriesen, welches ihn dir zugeführt.«

»Amen!« sagte Graf Helfenberg mit weicher Stimme; dann hielt er seine Hand ein paar Sekunden lang vor die Augen und schaute, als er sie wieder entfernte, mit einem Ausdrucke stiller Freude abermals nach den fernen Bergen hin.

Der Anblick derselben brachte ihm mit einem Male wieder das Gespräch lebhaft vor die Seele, welches er vorhin mit dem Jäger Klaus geführt und das ihn fast noch stärker beschäftigte als sein eigenes Leiden mitsammt den Hoffnungen, zu denen er wohl berechtigt war. Wenn die Sache von François nicht erfunden war, so mußte George darum wissen; George aber war als sehr schweigsam bekannt und der gewandteste seiner Freunde nicht im Stande, ihm mit den feinsten Redekünsten etwas zu entlocken, das er nicht zu sagen beabsichtigte. – Sprechen wir ihn darüber, dachte der Graf, während sein Freund vor den Kamin getreten war und sich dort eine Cigarre anzündete. Sagen wir ihm gerade ins Gesicht, was ich gehört, vielleicht gesteht er in der Ueberraschung mehr als bei einem leise fühlenden Gespräch.

Der Baron hatte sich einen Fauteuil an den Schreibtisch gerollt, ließ sich darauf nieder und blickte in die sonnbeglänzte Landschaft hinaus.

»Das sind prachtvolle Tage,« sagte er, »und wenn uns die nicht betrügen, so werden wir ein unvergleichliches Frühjahr haben.«

»Gewiß unvergleichlich,« gab der Graf zur Antwort; dann aber richtete er sich etwas in die Höhe, schaute seinen Freund mit einem Lächeln an und sprach, indem er demselben seine Hand darreichte: »Du hast mir zu meinem veränderten Aussehen Glück gewünscht, es ist nicht mehr als billig, daß ich dir Gleiches mit Gleichem vergelte. Eine Gratulation aber über deine vortreffliche Gesundheit wirst du nicht von mir erwarten; ich habe diese nie anders gekannt, und deßhalb gilt mein Glückwunsch einem frohen Ereigniß, welches nächstens deinem Hause bevorsteht.«

Seine Stimme schwanke ein wenig, als er so sprach, auch blickte er mit großer Spannung auf die Züge seines Freundes, die keine kleine Erwartung zeigten. »Wie man vernimmt,« fuhr Graf Helfenberg in langsamem Tone fort, »ist ja deine schöne und liebenswürdige Nichte im Begriff, eine Verbindung mit unserem gemeinschaftlichen Freunde, dem Baron Fremont, einzugehen.« – Er hatte es nicht über sich gewinnen können, das Wort Heirath auszusprechen. Seine Worte aber machten einen gewaltigen Eindruck auf Herrn von Breda.

Mit einem starren Blicke schaute dieser den Grafen an; er zuckt ordentlich zusammen, worauf er vergeblich zu lächeln versuchte; er brachte auch kaum mühsam hervor: »Wer sagt das? Woher hast du diesen Unsinn?«

Graf Helfenberg fühlte einen plötzlichen Schmerz in der Brust, als er die Erschütterung seines Freundes bemerkte. Ja, es war etwas daran, sonst hätte ihm George von Breda unbefangen geantwortet und ruhig lächelnd die Achseln gezuckt, wie er in ähnlichen Fällen zu thun pflegte.

»Verzeihe mir, wenn ich vielleicht indiscret war und eine Sache zur Sprache brachte, die noch geheim gehalten werden soll. Ich kann dir aber versichern, daß die Quelle, aus welcher ich meine Nachricht habe, ebensowenig eine schlechte ist, wie sie auch nicht für mich allein fließt.«

»Und diese Quelle?« brachte George von Breda mühsam hervor.

»Thut ja nichts zur Sache,« antwortete der Graf ausweichend. »Mir schien das Ereigniß wichtig genug, um dir für die schöne junge Dame meine besten Wünsche zu übergeben. – Willst und kannst du sie annehmen?«

Diese letzten Worte waren von einem ängstlichen Blicke begleitet, den aber der Baron nicht zu bemerken schien. Er warf den Kopf unmuthig auf und sagte nach einer Pause mit rauhem Tone: »Und wenn etwas Wahres an dieser Geschichte sein könnte, würdest du mir und Eugenien gratuliren?«

Ah, es ist so! dachte der Graf mit tiefem Schmerz. Doch zwang er sich zu einem Lächeln, als er versetzte: »Ich würde dir in der That meinen Glückwunsch lieber für etwas Anderes dargebracht haben. Aber,« setzte er kaum hörbar hinzu, »des Menschen Wille ist sein Himmelreich.«

George von Breda hatte den Fauteuil, in welchem er saß, mit einem kräftigen Ruck auf die Seite gedreht und schleuderte die Asche seiner Cigarre weit von sich. »Thu mir die Liebe, Hugo,« sprach er alsdann mit starker Stimme, »und nenne mir deine Quelle; ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht Leute gäbe, die sich ein Geschäft daraus machen, durch Ausbreiten von dergleichen Nachrichten die Betreffenden vorzubereiten, wenn nicht gar zu compromittiren. Ich bitte dich dringend, sage mir, woher hast du diese Nachricht?«

»Ich will – dir daraus – kein Geheimniß machen,« erwiderte der Andere, wobei seine Worte durch tiefe Athemzüge getrennt wurden. »Vorher aber erkläre mir, wie ein so wunderbares Mädchen, wie Eugenie sein soll, mit einem Fremont fürlieb nehmen kann.«

»Das wäre am Ende zu erklären,« gab Baron von Breda mit einem finsteren Blicke zur Antwort; »unerforschlich sind die Launen der Weiber; nicht zu berechnen ihr Geschmack. Doch stehen hier die Sachen anders. Ich will dir nicht läugnen, daß es mir scheint, als wenn Fremont sich in der That um die Hand Eugeniens bemühen möchte. – Aber deine Quelle!«

»Also von einer von beiden Seiten projektirten Verbindung,« gab der Graf, die Frage seines Freundes überhörend, zur Antwort, »ist noch nicht die Rede?«

»Glaube meiner Versicherung,« versetzte George von Breda unmuthig, »was ich selbst weiß, kommt aus einer dritten Hand, welche sich für diese Verbindung leider zu interessiren scheint. Aber jetzt sage mir, woher hast du deine Nachricht?«

»Auch aus einer dritten, vielleicht einer vierten Hand,« erwiderte Graf Helfenberg mit einem Lächeln, welches Beruhigung ausdrückte. »Mittelbar von dem Kammerdiener der Baronin von Braachen.«

»Ah, dieser Schurke!« rief Herr von Breda aus. »Siehst du, wie wahr es ist, daß es Leute gibt, welche von einer solchen Verbindung sprechen, um die Betreffenden zu compromittiren!«

»Also Alles in Allem genommen, hat Fremont um die Hand deiner Nichte angehalten?«

»Gott soll mich bewahren! So weit sind wir noch nicht,« sagte der Baron erschrocken. »Die Sache liegt einfach so: Fremont hat durch Tondern anfühlen lassen, was die Mutter Eugeniens von dieser Verbindung halten würde, und die Mutter Eugeniens,« setzte er mit einem unheimlichen Lachen hinzu, »scheint dieser vortheilhaften Verbindung nicht abgeneigt zu sein.«

»Und deine Frau?«

Der Andere zuckte mit den Achseln. »Auch ihr scheint es nicht unpassend, Eugenie – Baronin Fremont nennen zu hören.«

»Und du?« fragte Graf Helfenberg mit steigender Angst.

»Ich?« rief George von Breda, indem er in großer Erregung aufsprang, »nie! nie!« Dabei warf er seinen kräftigen Arm wie abwehrend von sich, um gleich darauf sein »nie! nie!« mit weicherer Stimme zu wiederholen. »Was will dieser Fremont? Was fällt ihm ein, so plötzlich, ohne alle Vorbereitung seine Hand zu öffnen, um dieses wunderbare Geschöpf an sich zu ziehen, sie zu nehmen, wie man irgend eine Waare kauft? – Ich habe mir immer gedacht,« sprach er mit bewegtem Tone, »wer ein Mädchen wie Eugenie die Seinige nennen will, der muß sie leidenschaftlich lieben, der muß sich ihr demüthig nahen, innig und herzlich um sie werben, der muß in namenloser Spannung auf ihre Augen schauen, zusammen schauern bei einem kalten Blick, himmelhoch aufjauchzen, wenn sie ihn liebend ansieht. – So meine ich.«

»Ja, das müßte er,« pflichtete der Graf träumerisch bei. Er war den Worten seines Freundes gefolgt; dieselben aufs innigste mit empfindend, hatte er die Aufregung nicht bemerkt, mit der George von Breda sprach, nicht dessen flammendes Auge, nicht die ganze wilde Gluth, die in eben diesen Worten lag, namentlich in dem Tone, mit dem der sonst so ruhige Mann sie hervorstieß.

»Und so ein Fremont,« fuhr der Baron gemäßigter fort, »der seit Jahren dieses Mädchen sah, ohne so viel dabei zu denken, als ich beim Betrachten dieses herrlichen Frühlingstages, kommt nun daher, um eine Rose an seine Brust zu ziehen, die doch wahrlich nicht für ihn erblüht. – Findest du das begreiflich?« – Er schlug heftig die Arme über einander.

»Bei jedem Anderen wohl,« sagte Helfenberg, vor sich niederblickend, »bei Fremont nicht, der ruhig, kalt und berechnend ist.«

»Das ist auch meine Idee. – Du wirst dich erinnern, Hugo, wie oft wir diesem Fremont in Scherz und Ernst zusprachen, sich zu verheirathen. Was war seine beständige Antwort? Sucht mir eine Partie, meine Zukünftige – dieser triviale Ausdruck tritt mir immer wieder vor die Seele – muß schön und reich sein.«

»Schön ist Eugenie,« meinte der Graf.

»Aber reich ist sie nicht,« sprach der Andere. »Hätte ihn ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit gewonnen, so müßte er, wie ich vorhin sagte, schon lange demüthig – im Staube um sie geworben haben. – Wahrhaftig, Hugo,« fuhr er nach längerem Nachsinnen fort, »wenn ich mir die Sache recht überlege, so ist es mir gerade, als sei diesem Mädchen unverhofft ein ungeheures Vermögen zugefallen, von dem Fremont plötzlich Kenntniß erhalten. Dann ließe sich seine Handlungsweise, wie wir ihn kennen, allenfalls erklären.«

Die letzten Worte George von Breda's hatten einen gewaltigen Eindruck auf den Grafen hervorgebracht. Er drückte beide Hände auf die Lehne seines Stuhles und wollte sich plötzlich erheben, sank aber wieder auf den Sitz zurück, wie Jemand, der, statt zu handeln, eine Sache tief und lange überlegen will; er beugte sich vornüber, stützte den Kopf in seine Rechte und blickte gedankenvoll schweigend vor sich nieder.

Der Baron hatte einen hastigen Gang durchs Zimmer gemacht, und als er nun wieder an den Schreibtisch trat, fragte er: »Bist du nicht auch meiner Ansicht, daß Fremont einen uns unbekannten Beweggrund haben muß, sich um die Hand Eugeniens zu bewerben? Ich für meinen Theil lasse mir nun das einmal nicht nehmen, vermag aber diesen Beweggrund trotz emsigen Nachdenkens nicht aufzufinden. – Eugenie hat kein Vermögen.«

»Wie man sagt, hat sie kein Vermögen,« bemerkte Graf Helfenberg, und während er das sprach, war es ihm vollkommen klar, welcher Beweggrund den Baron von Fremont leitete, wenn er sich um die Hand Eugeniens bewarb. Er hätte lächeln können, wenn er nicht zu schmerzlich bewegt gewesen wäre. Es hatte Jemand von dem Inhalte seines Testaments Kunde erhalten, und vielleicht, daß der Advokat sogar selbst geplaudert.

»Daß, wenn es von mir allein abhinge,« nahm George von Breda das Wort wieder auf, »ich Fremont eine sehr kurze Antwort geben würde, brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Aber wenn ich auch sonst Herr in meinem Hause bin, so ist dies doch ein Punkt, wo ich durchaus nicht frei zu handeln vermag.«

»Ich verstehe,« sagte Helfenberg mit leiser Stimme, und obgleich er es glaubte, verstand er doch die Situation seines Freundes nicht.

»Da ist meine Frau,« fuhr dieser fort, »die sich wie alle Weiber für dergleichen, auch für diese Heirath zu interessieren scheint, nicht, weil sie besonders viel auf Fremont hält, sondern, weil es gerade der Erste, der sich gemeldet, und weil es ihr ganz anständig erschien, das junge Mädchen Baronin Fremont nennen zu hören. Dasselbe ist bei der Mutter Eugeniens in viel höherem Maße noch der Fall; man hat ihr Fremont als ziemlich wohlhabend, als anständig, sparsam – was weiß ich! – geschildert.«

»Diese Eigenschaften besitzt er auch alle,« sagte düster der Graf.

»Meinetwegen!« rief George; »aber das sind doch, bei Gott, keine Eigenschaften, die ihn berechtigen, gerade die Hand dieses Mädchens zu verlangen. Ich werde einen schweren Stand haben.«

»Aber du wirst doch einen Widerstand versuchen?« fragte ängstlich der junge Mann.

Ein unbeschreiblich wildes Lächeln fuhr über die Züge, des Barons, dann preßte er die Hand vor die Stirn und sprach: »Ob ich ihn versuchen werde! Man hat mir noch nie etwas mit Gewalt entrissen; ich bin in gleichgültigen Dingen fest geblieben, und hier, wo es sich um das Wohl und Wehe – – eines armen, guten und liebenswürdigen Mädchens handelt, sollte ich schwach genug sein, nachzugeben?«

»Was meinst du, George?« fragte der Graf nach einer kleinen Pause, indem er wie zerstreut zum Fenster hinausblickte, »wenn sich vielleicht eine andere, bessere, das heißt reichere Partie zeigte, da würden deine Frau und Schwägerin vielleicht nicht mehr an Fremont denken?«

Der Baron wandte seinem Freunde mit einem Ausdrucke des Schreckens das Gesicht zu, und entgegnete dann: »Da müßte sich ja die ganze Welt verschworen haben, gerade die Hand dieses einen Mädchens zu verlangen. Wie kommt dir diese Idee? – Zum Glück,« setzte er sich vergessend hinzu, »sind die guten und reichen Partieen nicht so häufig, als ihr alle wohl glaubt.«

»Ah!« machte Helfenberg lächelnd, »mir scheint, guter George, du bist ebensosehr dagegen, daß Eugenie Fremont heirathet, als daß sie überhaupt Jemand ihre Hand reiche.«

»Habe ich das gesagt?« fragte der Andere überrascht.

»Oder suchst du als umsichtiger Pflegevater lange und prüfend, um für Eugenie einen vollkommen Würdigen zu finden? Darin hast du Recht, aber Alles läßt sich nicht leicht in Einer Person vereinigen.«

»Muß denn überhaupt ein junges Mädchen, sobald es die Kinderschuhe ausgetreten hat, schon gleich aus allen ihren Illusionen gerissen werden, um in die graue Wirklichkeit einzutreten?«

»So nennst du das in die graue Wirklichkeit treten, wenn man sich mit Jemand, den man liebt, verheirathet?«

»Mit Jemand, den man liebt, das ist etwas ganz Anderes. Aber Eugenie kennt diesen Fremont kaum und denkt gewiß nicht daran, nur das geringste Interesse für ihn zu empfinden.«

»Sie liebt überhaupt nicht?« fragte zögernd Graf Helfenberg. »Das heißt, ich wollte sagen,« setzte er sich verbessernd hinzu, »sie scheint etwas kalt und unempfänglich zu sein?«

»Das glaube ich nicht. Das Mädchen hat eine starke und empfängliche Seele, und wenn sie einmal etwas angreift, so wird sie es mit Gluth und Leidenschaft festhalten. Jetzt aber ist ihr Herz noch eine fest verschlossene Blumenknospe.«

»Glücklich der, dem sie sich einst erschließt,« sprach der Graf so leise vor sich hin, daß George von Breda, der obendrein nachsinnend zum Fenster hinaussah, nichts davon verstand.

Der Kammerdiener hatte schon vor ein paar Sekunden geräuschlos die Thür geöffnet, und da keiner der beiden Herren im Eifer des Gespräches auf ihn zu achten schien, so hustete er leicht, worauf ihm der Hausherr den Kopf zuwandte und ihn fragend ansah.

»Herr Doktor Flecker,« sagte der Diener, »lassen fragen, ob Euer Erlaucht für ihn zu sprechen seien.«

»Doktor Flecker,« gab der Graf zur Antwort, »braucht sich nie melden zu lassen; wenn ich mich zu Hause befinde, weiß er wohl, daß ich immer für ihn sichtbar bin.«

»Es ist keine seiner gewöhnlichen Stunden,« erlaubte sich der Kammerdiener zu bemerken.

»Ich weiß es und bitte ihn, augenblicklich zu kommen. – Du verzeihst mir, George, wandte sich Graf Helfenberg an seinen Freund; »sei so gut und gehe einen Augenblick in meinen kleinen Salon; ich bin gleich wieder für dich.«

»Ich ziehe mich lieber ganz zurück,« antwortete Herr von Breda, indem er seinen Hut nahm und dem Hausherrn die Hand reichte. »Ich habe noch einige Gänge zu machen und wäre auch nicht aufgelegt, mit einem Fremden eine Unterhaltung zu führen.«

»Sehe ich dich bald wieder?« fragte dringend der Graf. »Es interessiert mich, über die eben verhandelte Angelegenheit etwas Näheres zu erfahren, wenn mein Verlangen keine Indiscretion ist.«

»Gewiß nicht, und obgleich ich sonst mit Niemand darüber spreche, will ich dich doch benachrichtigen, was sich in der Geschichte Neues begeben.«

»Morgen vielleicht?«

»So wie ich etwas erfahre.«

George von Breda verließ das Zimmer, und wenige Sekunden nachher trat der Armenarzt Doktor Flecker herein.

»Ich freue mich recht sehr, lieber Doktor,« rief der Graf dem Arzte freundlich entgegen, »daß Sie einmal von Ihrer Gewohnheit abgehen und mich auch zu anderen Stunden besuchen. Sie waren bis jetzt wie eine richtig gehende Uhr: Morgens mit dem Schlage Acht und Abends mit dem Schlage Neun öffnete sich die Thür, und mein lieber Freund und Arzt trat herein.«

»Euer Erlaucht werden mir erlauben, Ihnen meinen besten Dank zu sagen für Ihre höchst schmeichelhaften Worte, mir aber auch gewiß beipflichten, wenn ich hinzufüge, daß Pünktlichkeit nicht nur die Höflichkeit der Könige, sondern auch die Schuldigkeit der Aerzte ist. Dieses Mal komme ich aber nicht als Arzt, sondern als Mensch.«

»Als solcher kommen Sie immer, bester Freund,« erwiderte Graf Helfenberg, indem er dem Anderen freundlich die Hand schüttelte und ihn bat, sich auf den Fauteuil niederzulassen, den George von Breda eben verlassen.

»Die außergewöhnliche Stunde, in der ich jetzt hier erscheine,« begann der Doktor ohne Umschweife, »wird Euer Erlaucht sagen, daß mich etwas Außergewöhnliches hieher getrieben.«

»Und ich wäre glücklich,« unterbrach ihn der Hausherr verbindlich, »wenn dieses Außergewöhnliche ein Wunsch wäre, den ich zu erfüllen im Stande bin. Aber Doktor Flecker gibt nur, er verlangt leider nie.«

»Das kann noch so stark kommen,« lachte der Armenarzt, »daß es selbst für die bekannte Großmuth Eurer Erlaucht zu viel werden könnte. – Doch zur Sache! Euer Erlaucht werden sich eines langen, sonderbaren Menschen erinnern, der vor einiger Zeit das Glück hatte, Sie in Aufträgen seines Principals, des Rechtsconsulenten Doktor Plager, sehen und sprechen zu dürfen?«

»Mein Don, mein Spanier!« rief lustig der Graf. »Ob ich mich seiner erinnere! Sein eigenthümliches, aber treuherziges Wesen hat mir außerordentlich gefallen. Warum kam er nicht wieder zu mir? Ich hatte ihn darum gebeten und letzthin auch Sie ersucht, ihn mir zu schicken. Wahrhaftig, ich mag ihn leiden.«

»Er wäre heute selbst mit mir gekommen,« lachte der kleine Arzt, »aber er hat sich bei einem Accident eine blaue Nase geholt, die ihn hindert, sich vor Eurer Erlaucht sehen zu lassen.«

»Er muß recht komisch mit seiner blauen Nase aussehen,« sagte der Graf. »Ich weiß nicht, dieser Mann kommt mir vor wie der verkörperte Don Quixote.«

»Und hat auch Vieles von dem scharfsinnigen Edlen der Mancha; er ist voll komischer Einzelheiten, die ein vollkommen nobles, treues und in jeder Hinsicht zuverlässiges Gemüth bedecken,« bemerkte Doktor Flecker ernst. – »Er hatte in den letzten Tagen eine Differenz mit seinem Principal, die sich heute Morgen zu einem förmlichen Bruch gesteigert, als nämlich Doktor Plager beim Durchsehen seiner Papiere ein Concept vermißte, das ihm von Wichtigkeit war und das entwendet zu haben, er Grausamkeit und Taktlosigkeit genug hatte, seinen Schreiber zu beschuldigen.«

»Das ist stark! – Und Don Larioz?«

»Suchte mich auf, erzählte mir die Geschichte, wobei er zugab, daß dieses wichtige Concept wirklich auf unerklärliche Art verschwunden sei, weßhalb ich mich veranlaßt sah, mit Euer Erlaucht darüber zu sprechen.«

»Und da werde ich den Doktor Plager kommen lassen und ihn freundlich ersuchen, seinem Schreiber den ungerechten Verdacht abzubitten? – Mit Vergnügen.«

»Erlaucht werden mir erlauben, zu bemerken, daß wir so weit noch nicht sind; es handelt sich vorderhand um ein verloren gegangenes Concept, welches die Geschäfte Euer Erlaucht betrifft.«

»Meine Geschäfte?« fragte Graf Helfenberg erstaunt. »Ein Concept in den Händen des Doktor Plager? – Teufel auch!« setzte er auf einmal mit der größten Lebhaftigkeit hinzu, »sollte es ein Concept meines Testamentes sein?«

»So ist es,« antwortete ruhig der Arzt.

»Das Concept meines Testaments wäre verloren gegangen! dasselbe Concept, welches Doktor Plager hier in meiner Gegenwart entworfen, in welchem ich die Güter von Stromberg –«

»Ich kenne den Inhalt nicht,« unterbrach Doktor Flecker den Grafen schnell und mit Beziehung.

»Ah! dann wird mir Vieles klar. Dieser Fremont ist ein Speculant! Saubere Freunde das! Ich versichere Sie, Doktor, mich interessirt diese Sache aufs höchste. Bitte, fahren Sie fort, wenn Sie noch mehr zu berichten haben.«

»Vorderhand nicht mehr viel,« gab der Armenarzt achselzuckend zur Antwort. »Das Concept ist, wie gesagt, verschwunden, und auch Herr Larioz meint, daß es aus der Schreibstube entwendet worden sei.«

»Aber wie? auf welche Art? von wem? Es muß nothwendig dabei Jemand die Hand im Spiele haben, den eine Clausel meines Testaments interessiren kann.«

»Das ist auch unsere Ansicht.«

»Und Sie haben keinen Verdacht?«

»Don Larioz wohl; er hat eines Abends unter seltsamen Umständen einen Mann in der Schreibstube getroffen, der durch eben diese Umstände Zeit und Gelegenheit hatte, nach einem Papiere, von dessen Existenz er vielleicht Kenntniß hatte, zu suchen.«

»Und wer ist das?« fragte Graf Helfenberg in großer Spannung.

»Ein gewisser Graf Czrabowski! Ob er Euer Erlaucht bekannt ist, weiß ich nicht.«

»Czrabowski!« rief der Graf aus. »Ob er mir bekannt ist!« setzte er mit einem bitteren Lächeln hinzu. Dann warf er ungestüm eine Mappe auf, die neben ihm lag, und reichte dem Doktor einen Brief, worin Czrabowski für eine reiche Unterstützung dankte, die er vor einiger Zeit von Graf Helfenberg empfangen.

Während der Armenarzt dieses Papier durchlas, warf der Graf einen fast triumphirenden Blick auf die fernen Berge und sprach zu sich selber: Nichts kann klarer sein; dieser Czrabowski ist mir von Tondern empfohlen; Tondern ist die rechte Hand Fremonts, sein vertrauter Rathgeber; mir scheint, diese Herren haben da einen hübschen Spitzbubenstreich unternommen.«

»Ich sehe,« sagte, lächelnd Doktor Flecker, indem er das Papier zurückgab, »Euer Erlaucht kennen diesen sogenannten Grafen Czrabowski von seiner wahren Seite. Ich machte seine Bekanntschaft, weil er mir die Ehre anthat, mich zu einer Consultation rufen zu lassen. Ich traf dort einen gewissen Herrn von Tondern.«

Diese letzten Worte sprach er absichtlich mit großer Langsamkeit und scharfer Betonung; doch wäre dies nicht nothwendig gewesen, um die Aufmerksamkeit des Grafen zu erregen, der dem Doktor gespannt in die Augen blickte und nun ausrief: »Tondern! nicht wahr, Tondern? Er und Baron Fremont haben diesen Czrabowski veranlaßt, das Concept aus der Schreibstube des Rechtsconsulenten zu entwenden. Ich versichere Sie, nichts kann richtiger sein.«

»So glaubt auch Larioz; wie er mir im Vertrauen sagte, wäre es für die eben genannten Herren von Wichtigkeit, von dem Inhalt des Testaments Euer Erlaucht zu erfahren.«

»Eine Erfahrung, die ihnen, bei Gott im Himmel, nichts nützen soll,« sprach bitter der Graf.

»Mein Freund, Don Larioz,« fuhr lächelnd der Arzt fort, »ist begreiflicher Weise aufs tiefste verletzt durch die Beschuldigung seines ehemaligen Principals. Denken sich Euer Erlaucht diesen erregbaren Kopf, mit seinem Gefühle als spanischer Edelmann, der er in der That ist, edel, großmüthig, uneigennützig, voll des romantischen Dranges, den Unterdrückten dieser Welt zu helfen, Trug und Heuchelei, wo er sie findet, aufzudecken und zu bestrafen, und nun auf einmal beschuldigt zu werden, seinem Herrn, dem er mit seltener Treue anhing, ein werthvolles Papier entwendet zu haben! – Und ein solches Papier ist in den Augen dieser Leute eine kostbarere Sache als ein Sack voll Gold. Aus allen diesen Gründen will nun Larioz nicht ruhen, bis es ihm gelungen, den Entwender des Conceptes zu erforschen, um so seine Unschuld zu beweisen. Natürlicher Weise ist aber wohl seine Kraft zu schwach, um gegen die Intriguen der Herren Czrabowski und Consorten etwas zu vermögen. Und deßhalb habe ich mir erlaubt, die Sache Euer Erlaucht vorzutragen, um von Ihnen für meinen langen Kranken Schutz und Hülfe zu erbitten.«

»Die ihm im reichen Maße, nach allen meinen Kräften zu Theil werden soll,« sprach der Herr des Hauses, wobei er sich lebhaft von seinem Sessel erhob. »Sagen Sie das unserem theuren Spanier und ersuchen ihn, sich trotz seiner blauen Nase so bald wie möglich bei mir sehen zu lassen. Ich muß noch mehr von den näheren Umständen erfahren, worauf ich mich dann dieser Sache mit allen mir zu Gebot stehenden Mitteln – und mir stehen einige zu Gebot – annehmen werde.«

Der Doktor hatte sich ebenfalls erhoben und erlaubte sich, dem jungen Manne, der nun nahe vor ihn hintrat und den er liebte und verehrte, treuherzig seine Rechte zu reichen, die dieser innig zwischen seinen Händen drückte, dann wieder los ließ und nun mit seinen Fingern leicht an dem Arme des Doktors hinauf fuhr, bis er seine rechte Hand auf der Schulter des kleinen Mannes ruhen ließ.

Mehrere Sekunden lang sprach Keiner von Beiden, und der Armenarzt schaute fast verstohlen in das offene Gesicht des jungen Grafen, der dem eigenthümlichen Ausdrucke der Augen nach neben ihm hinaus in weite, weite Fernen zu blicken schien.

»Doktor,« sprach er nach einer längeren Pause mit sehr weicher Stimme, »Sie werden mir das Zeugniß geben, daß, wie ich aufs vertrauenvollste Ihren Rathschlägen folgte, ich Sie auch nie mit unnöthigen Fragen belästigte. Vielleicht war es die Furcht, die mich bisher abhielt, etwas Trauriges zu erfahren; vielleicht auch hatte ich bis vor wenigen Stunden nicht das große Interesse, eine Frage mit Wahrheit beantwortet zu wissen, wie ich es nun habe. Erlassen Sie mir, mich jetzt näher zu erklären; später werde ich dem treuen Freunde nicht vorenthalten, was jetzt in meinem Herzen vorgeht. Aber das ist so gewaltig, daß ich mir, wenn auch widerstrebend, erlauben muß, eine Frage an Sie zu stellen, eine Frage, die ich Sie aber bei allem, was Ihnen heilig ist, beschwöre, mir aufrichtig und ehrlich zu beantworten.«

Der kleine Arzt, der wohl wußte, um was es sich bei dieser Frage handle, blickte dem Grafen offen in das Gesicht und nickte schweigend mit dem Kopfe.

»Ich setze keine Allwissenheit bei Ihnen voraus,« fuhr Graf Helfenberg nach einem tiefen Athemzuge fort, »aber Sie sollen mir offen und ehrlich sagen, ob nach menschlicher Berechnung mein Leiden gehoben werden kann, ob Sie glauben, daß ich meine vollkommene Gesundheit wieder erlange.«

Der Blick, mit welchem bei diesen Worten der junge Mann das Gesicht des Arztes streifte, – nur streifte, war ein unbeschreiblich banger und rührender; er sandte ihn auch gleich darauf wieder in die Landschaft hinaus und bemühte sich darauf, gleichgültig auszusehen, während sein Ohr mit aller Spannung, mit aller Aufmerksamkeit, deren es fähig war, dem Munde des Arztes sich zuwandte.

Ueber die Züge des Doktor Flecker flog ein Lächeln, doch war er schon im Begriffe, ebenso ernst zu antworten, wie ihn der Graf gefragt, als er, sich eines Anderen besinnend, heiter den Kopf aufwarf und, sein vergnügtes Lächeln wieder aufnehmend, freilich mit etwas gerührter Stimme sagte: »Wozu diese feierliche Frage, bester Herr Graf? Kann ich sie Ihnen besser beantworten als Ihr eigenes Gefühl, als die wieder erwachende Lebenslust, die aus Ihrem Auge strahlt? – Sie haben Recht; wir sind nicht allwissend, Gott ist das allein, und unser Wissen und Können ist weniger als Stückwerk. Aber,« setzte er mit seltsam zitternder Stimme hinzu, weil er in die erwartungsvollen Augen des jungen Mannes blickte, »wenn sich nach finsterer Nacht unser Horizont mit rosigem Lichte bezieht, so haben wir einen klaren und glänzenden Tag zu erwarten. Das rosige Licht Ihres Lebenstages sehe ich deutlich wieder erscheinen auf Ihren Lippen, die nicht mehr krankhaft zucken wie vor Monaten, auf Ihrem Gesichte, das eine andere Form anzunehmen beginnt. Ja, ich bin fest überzeugt, Sie haben noch einen langen und heiteren Lebenstag vor sich; das ist meine wahre Ansicht: ich schwöre es Ihnen feierlich.«

Bei diesen Worten stieg ein unnennbar süßes Lächeln auf den edeln und nun wieder schön erscheinenden Zügen des jungen Grafen auf.

»Dank, Dank!« flüsterte er; »ich fühle, wie mich Ihre guten Worte gekräftigt. Lassen Sie mich jetzt, lieber Freund, ich bin in diesem Augenblicke nur Eines Gedankens fähig – Dank, Dank und tausend Mal Dank gegen ein gütiges Wesen dort oben, das mir Sie, einen freundlichen Boten, gesandt, gegen Sie, der mir Trost und Hülfe gebracht. Dank, Dank, tausend Mal Dank!«

»Amen!« sagte der Arzt und verließ mit leisen Schritten das Gemach.

Der junge Mann blieb am Fenster stehen, streckte beide Hände weit von sich, und während er mit seinen innigen Blicken unverwandt das dunkle Tannenholz am fernen Horizonte betrachtete, sprach er mit dem Ausdrucke der glühendsten Liebe:

»So könnte ich vielleicht in diesem Leben doch noch glücklich werden!«


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