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Dreiundvierzigstes Kapitel.
Entenpforte Numero Vier


Don Larioz und der kleine Kellner – Letzterer hatte von dem Wirthe einen Urlaub erhalten, da die Künstler, zu deren Bedienung er hauptsächlich da war, erst spät zu kommen pflegten – gingen mit einander fort, und als sie auf die Straße gekommen waren, schielte der Spanier über die hölzerne Thür hinweg an dem Nachbarhause hinauf, wo die Fenster des Ateliers der Gebrüder Breiberg wie immer dicht verhängt und mit dem Carton geblendet waren. Dabei war es ihm, als bemerkte er im oberen Stocke den Kopf des Herrn Clemens, der höhnisch auf ihn herablächelte, aber gleich darauf wieder verschwand. Dann betrachtete er im Weiterschreiten all die finsteren Häuser des Burgplatzes und seufzte halblaut:

»Ja, die Liebe ist allgewaltig. Als ich zum ersten Male in diese Gegend kam, hatte sie für mich etwas Abstoßendes; ich beeilte mich, meine Geschäfte abzumachen, um die holperige Straße und die in der That unheimlichen Häuser so bald als möglich wieder zu verlassen; und jetzt kommt mir alles das so ganz anders vor. Ich meine, es gebe keine Stelle auf der ganzen weiten Welt, die schöner wäre als der Burgplatz.«

»Ja, das thut die Liebe,« sagte schwärmerisch der Kellner.

»Ich finde sogar eine Aehnlichkeit,« fuhr Don Larioz fort, »wenn ich den alten Thurm dort betrachte und dabei an den goldenen Thurm in Sevilla denke.«

»Eine allgewaltige Liebe!« seufzte Windspiel.

»Nur ist es dort etwas heiterer,« sprach der Andere; doch zog er statt bei diesen Worten freundlich auszusehen, das Gesicht finster zusammen und nahm das Meerrohr, das er in der Rechten trug, leicht und gewandt wie einen Stoßdegen in die Höhe. »Spanien,« sagte er, »ist ein heiteres Land, ein schönes, glückliches Land, ein ritterliches Land. Da würden die Gebrüder Breiberg schlechte Geschäfte machen, da kann man nicht ungestraft arme, unglückliche Mädchen mißhandeln, die sich einen Retter erkoren haben.«

»Einen Retter!« sprach Windspiel leise vor sich hin.

»Da nimmt dieser Retter einen Freund mit sich und macht ohne viel Bedenken einen Entführungsversuch.«

»Einen Entführungsversuch!« flüsterte der Kellner, und es schauerte ihn beinahe vor Wonne.

»Man wirft eine Strickleiter hinauf bei finsterer Nacht.«

»Eine Strickleiter bei finsterer Nacht!«

»Und nun gleitet sie sanft hinab beim Klange der Mandoline, die der Freund unten spielt, wenn es ihr nämlich möglich ist, droben allein zu sein und das Fenster zu öffnen. Im anderen Falle steigt man beherzt hinauf, drückt eine Scheibe ein, öffnet den Riegel und springt auf den Fußboden des Gemachs, indem man ausruft: San Jago! – Hier bin ich! Gott und meine Dame!«

»Gott und meine Dame!«

»Ein spanischer Breiberg würde sich uns mit dem Degen in der Faust entgegenwerfen; man sticht ihn nieder und befreit Dolores.«

Bei diesen Worten zuckte Larioz die Achseln, warf die Ecke seines Radmantels über die Schulter und senkte den Stock mit einem Ausdrucke tiefer Verachtung in den Zügen.

»Hier in Deutschland ist wenig Poesie,« fuhr er seufzend fort. »Wenn ich auch glaube, daß Dolores geneigt wäre, die Strickleiter festzuknüpfen und mit mir zu entfliehen, so würde sich doch dieser schurkische Breiberg unbedingt nicht wie ein Cavalier benehmen, er würde die Polizei zu Hülfe rufen, und mit der habe ich nicht gern zu thun. O Dolores! wann wird es mir möglich sein, thatkräftig für deine Rettung zu wirken?«

»Sie ist Ihre erste Liebe?« wagte schüchtern der kleine Kellner zu fragen.

»Sie ist meine erste Liebe,« entgegnete Don Larioz mit Bestimmtheit, »und ich glaube, eine wahre Liebe. Ich habe das gefühlt bei ihrem ersten Anblicke, will aber dabei gestehen, daß eigenthümliche Umstände, welche zusammen wirkten, mein Herz so empfänglich machten für diese Liebe. Das finstere Haus hatte mich seltsam gestimmt, ich sah da Gerätschaften, die mich an die alte Ritterzeit erinnerten, ich fühlte eine Atmosphäre, die mich sanft einführte in die süßen Schauer jenes Ateliers. Sie haben sie nie gesehen, die göttliche Dolores?« wandte er sich fragend an seinen Begleiter.

»Nie,« entgegnete dieser. »Auch von allen denen, welche ich natürlicherweise aufs geheimnißvollste fragte, wollte Keiner noch ihr Antlitz geschaut haben.«

»Das sind die höllischen Künste dieser Gebrüder Breiberg,« sagte der Spanier, indem er einen Augenblick stehen blieb und seine Hand auf die Schulter Windspiels legte. »Das ist gerade das Entsetzliche, daß sie das unglückliche Mädchen so vor den Augen aller Welt vollkommen verborgen zu hatten wissen. Und glauben Sie mir, auch das tiefe Mitleid für die arme Dolores ist schuld daran, daß es mich so mächtig und unwiderstehlich zu ihr hinzieht. Es ist vielleicht viel Unglück in dieser Liebe, aber ich fühle mich erhaben in all diesem Unglücke.«

Der Kellner schaute mit Bewunderung zu dem großen Manne empor.

»Es ist eine Liebe,« sprach dieser weiter, »wie ich sie brauche, wie ich mich schon, lange gesehnt, daß sie mich erfassen möge. – Glauben Sie mir, ich bin nun einmal nicht gemacht für das alltägliche Treiben der Menge. Dabei will ich nicht leugnen, daß schon manches glänzende Augenpaar nach mir geschielt, daß ich auch schon zuweilen in der Nähe des Herzens ein Gefühl empfunden, mit dem, wie man sagt, die Liebe anfangen, soll. Aber ich konnte es nicht, über mich gewinnen, in solchen Augenblicken das alltägliche Leben zu ergreifen, wie es nothwendig ist. Ich konnte nicht sprechen: Mein Fräulein, wie geht es Ihnen? Sie werden finden, daß es heute ein außerordentlich schönes Wetter ist. – Und dann, die Umgebung war so über alle Beschreibung poesielos; eine lächelnde Mutter, ein zufrieden blickender Vater; Schwestern, auf deren Gesichtern Freude und Neid beständig wechselten, ein immer gleich freundlicher Empfang, eine stets offene Thür, so gar keine Schwierigkeiten, so gar keine Hindernisse.«

»Und auch das haben Sie erlebt?« fragte Windspiel.

»Auch das habe ich erlebt,« gab der lange Mann zur Antwort. »Es sind, freilich schon Jahre her, ich gab damals noch mehr auf ein geschniegeltes Aeußere; ich trat als Spanier auf, ich nannte mich mit vollem Rechte Don Larioz, meine Zukunft schien sich gut gestalten zu wollen, ich fand überall eine gar gute Aufnahme; ich seufzte ordentlich nach etwas Schwierigkeit, nach einem finstere Empfange, zum Beispiel nach einem streng blickenden Vater, nach einer Mutter, die ihre Hausthür nur handbreit öffnete, nach einem Mädchen endlich, das mich mit trotzig aufgeworfener Lippe empfing.«

»Und das fanden Sie nie?«

»Niemals. Und war das auch mit die Ursache, warum die Liebe, die ich mir erkämpfen wollte, fern von mir blieb. Zwei Fälle waren es, wie ich mir beständig dachte, die entzückend sein müßten, wenn uns in ihnen die Liebe naht. Und in einem bin ich in ihre Nähe getreten – ein schönes, unglückliches Mädchen zu befreien, die in Ketten und Banden seufzte und deren erster Blick mir ebenso sagte, daß sie mich für ihren Retter erkannt, wie ich mich tief getroffen fühlte, als ich zum ersten Mal in ihr glänzendes Auge sah – Dolores. Der andere Fall wäre mir freilich noch lieber gewesen. Ich träumte nämlich oft von wildem Kampfe, von dem seligen Gefühl, nach errungenem Sieg niederzusinken, mit halb gebrochenem Auge noch meine, wehende Fahne, zu sehen. – Eine tiefe Ohnmacht umfängt meine Sinne –«

Windspiel schritt neben dem Spanier her, indem er ihm aus lauter Ehrfurcht fast die ganze vordere Seite seines Körpers zuwandte, wodurch der Gang der kleinen, dürren Gestalt mit den carrirten Höschen und dem kurzen Mäntelchen etwas gar Seltsames erhielt.

»Man hebt mich auf und trägt mich fort,« sprach Don Larioz weiter. »Aus tiefer Besinnungslosigkeit erwache ich endlich auf einem reinlichen Lager, ich öffne die – Augen, sie sitzt vor mir.«

»Sie?« fragte Windspiel.

»Ja sie, die ich meine, wie ich in meinen Träumen oft sah. Sie legt mir mit zarten Händen den Verband an, ein Blick ihrer schönen Augen bittet mich, ruhig zu sein, und ich entschlummere endlich mit einem unnennbar beseligenden Gefühl im Herzen. – Das muß ein herrlicher Anfang der Liebe sein.«

»In der That herrlich,« sagte der Kellner begeistert, und dabei blickte er herausfordernd nach allen Seiten, ob sich nicht vielleicht Jemand finden würde, der so gefällig gewesen wäre, ihn vor den Kopf zu schlagen, damit man ihn vielleicht in jenes Haus dort trage, wo ein paar hübsche blühende Mädchengesichter lachend zum Fenster heraus schauten. Diese Mädchen blickten in der That lachend auf die beiden Spaziergänger herab, welche in der Mitte der Straße hielten und sowohl in ihrem Gange wie in Anzug und Bewegungen etwas Komisches hatten. Die lange Gestalt des Spaniers bewegte sich steif und gravitätisch dahin, und obgleich er lebhaft sprach, wandte sich doch sein hoch erhobener Kopf weder rechts noch links; die linke Hand hatte er in die Seite gestemmt, der Mantel fiel über den Arm, wodurch sich seine Figur sehr seltsam ausnahm; die Rechte mit dem langen spanischen Rohr bewegte er taktmäßig bei jedem Schritte auf und ab. Neben ihm schritt Windspiel, der sich vergeblich bemühte, die ernsten und würdevollen Bewegungen des Anderen nachzumachen, und da er dabei nach seiner Gewohnheit leicht und hüpfend dahinschwebte, immer zwei Schritte machend, wo der Andere einen that, so sah es aus, als wenn ein altes Schlachtpferd mit einem Fohlen gleicher Race spazieren geht.

Als sie so mit einander durch mehrere Straßen gewandelt. waren, unter den angenehmen und lehrreichen Gesprächen, wie wir sie vorhin zu erwähnen uns veranlaßt sahen, und als Don Larioz daraus eine Zeit lang still schwieg, erlaubte, sich der Kellner die schüchterne Frage an ihn, wohin er eigentlich seine Schritte richte.

Der Spanier schaute einigermaßen verwundert auf Windspiel herab und gab ihm zur Antwort: »Ich erinnere mich nicht genau, ob ich Sie damals in Kenntniß gesetzt von dem Schreiben, dessen mich die göttliche Dolores gewürdigt.«

Der Andere nickte mit dem Kopfe und versicherte, er sei so glücklich gewesen, zu erfahren, welche Mittheilung die Dame aus ihrer Gefangenschaft gemacht.

»So werden Sie sich auch erinnern, daß Dolores einer Freundin erwähnt, die in hiesiger Stadt lebt und welche im Stande und geneigt wäre, uns Nachricht von der Gefangenen zu geben, Kathinka Schneller ist der Name dieser Freundin, und ich habe sie schon gesehen.«

»So, Sie haben sie schon gesehen?« versetzte Windspiel. »Ah, wahrscheinlich an dem Tage, als Sie zum ersten Mal auf dem Burgplatze waren. Ja, ja, ich meine, sie damals auf per Straße erblickt zu haben.«

»Ist sie viel auf der Straße?« fragte Don, Larioz sehr ernst.

»So – so!« entgegnete der Kellner nach einigem Besinnen. »In unserer Gegend sieht man sie häufig, denn sie hat dort, wie Sie wissen werden, ihre Geschäfte. – Aber,« setzte er nach einer Pause hinzu, »wollen wir, ehe wir in ihre Wohnung gehen, nicht lieber vorher warten, bis es etwas dunkler geworden ist?«

»Und warum das?« fragte der Spanier. »Wir sind einmal auf dem Wege dahin; ich denke, wir gehen ruhig fort; es drängt mich, je eher je lieber Nachricht von Dolores zu erhalten.«

Windspiel kratzte sich gelind am Kopfe und blickte schüchtern hinter sich, hielt sich auch näher als bisher an dem langen Mann, als suche er dort ein Versteck und sei es ihm vielleicht nicht angenehm, gesehen zu werden, da Beide nun zu ihrer Rechten in ein Labyrinth von engen Gäßchen einbogen.

»Warum sollten wir auch warten bis es dunkel ist?« meinte der lange Schreiber, nachdem sie einige weitere Schritte gemacht. »Sagen Sie mir das aufrichtig, ich habe keine Idee davon, lieber Freund, was Sie zu diesem Verlangen bewegen konnte.«

Der Kellner blickte zu dem Gesichte seines Begleiters empor, um zu sehen, ob sich dort nicht irgend eine Spur von Schalkheit bemerken lasse. Aber die Züge des großen Mannes waren ernst und würdevoll wie immer.

»Die Entenpforte,« begann Windspiel schüchtern, »wo wir jetzt hingehen, – steht gerade nicht in einem außerordentlich guten Ruf; man genirt sich, dort aus und ein zu gehen, namentlich ordentliche Leute. Es wohnt da allerlei verdächtiges Volk.«

»Sagen Sie: muthlose, feige Leute geniren sich, dorthin zu gehen,« erwiderte Don Larioz mit Entschiedenheit. »Ich fürchte mich vor keinem verdächtigen Gesindel, auch sind wir unser Zwei und nehmen es, hoffe ich, mit Einigen auf, die an uns wollten, um uns zu berauben.«

»Was das Berauben anbelangt,« versetzte Windspiel mit leiser Stimme, »damit hat's wohl seine guten Wege; aber – aber – kennen Sie die Kathinka Schneller nicht genauer? Oder den Stöpsel?«

»Erstere habe ich, wie gesagt, gesehen, aber von der jungen Dame, welche Stöpsel heißt, weiß ich nicht das Mindeste.«

»Es sind zwei gute Freundinnen,« sagte Windspiel kleinlaut, indem er nicht mehr so große Anstrengungen machte, um genau neben Don Larioz zu bleiben. »Auch wohnen sie beisammen. – Haben Sie wohl eine Idee davon, womit sie sich beschäftigen?«

»Wenn ich die Kathinka Schneller ihrem Aeußeren nach auch für keine wohlhabende junge Dame halten kann, so scheint sie mir doch guter Leute Kind zu sein. Der alte würdige Mann, der damals bei ihr war – er sah aus wie ein Harfner – möchte wohl ihr Vater gewesen sein. Wenn sie kein Vermögen haben, so mögen sie sich vielleicht von weiblichen Handarbeiten nähren.«

Windspiel schüttelte mit dem Kopfe, und nachdem sie noch ein paar Schritte gemacht, sagte er: »Allerdings haben sie kein Vermögen, beschäftigen sich aber auch nicht mit weiblichen Handarbeiten, sondern die Schneller und der Stöpsel dienen den Malern auf dem Burgplatze als Modelle.«

Er sprach diese Worte ziemlich laut, wobei er hoffte, sie würden eine große Wirkung auf seinen Begleiter nicht verfehlen, worin er sich aber irrte; denn Don Larioz nickte äußerst ruhig mit dem Kopfe und erwiderte:

»Ich habe von diesem Geschäfte gehört, es hat etwas Poetisches für sich, so mit einem schönen Kopfe oder einer schönen Hand der Kunst dienen zu können.«

»J–a–a wohl!« sagte Windspiel, »aber –«

»Ich weiß sehr genau, was Ihr Aber bedeutet,« fuhr der Spanier fort. »Die Verleumdung, ein großes Laster, welches leider in der Welt herrscht, pflegt dergleichen jungen Mädchen, wie den ebengenannten, viel Uebeles nachzusagen, und ich kann Sie versichern, man irrt sich darin. Ich habe einen alten Mann gekannt mit langem weißem Barte, der diente auch den Malern als Modell und war die Rechtschaffenheit selber. Glauben Sie mir, lieber Freund, man muß nicht nach dem Scheine urtheilen. Oder haben Sie vielleicht Beweise, daß Kathinka Schneller oder Fräulein Stöpsel einigermaßen leichte Personen sind?«

»Beweise habe ich eigentlich keine dafür, aber man sagt es.«

»Man sagt viel in der Welt,« versetzte Don Larioz, indem er seinen Schritt mäßigte, um neben Windspiel zu kommen, der augenscheinlich zurückblieb. »Man sagt von Diesem Böses, von Jenem Gutes, oft ohne Gründe angeben zu können, warum man Das oder Das sagt. Der Schein ist es, der uns meistens besticht. Es gibt Leute, denen Alles zu thun erlaubt scheint, von denen man Alles charmant findet, ja, für welche, man eine Bemäntelung der gröbsten Vergehen immer bereit hat. Andere aber brauchen nur mit einem Schein von Zweideutigkeit zu handeln, so sind sie mit allen Vergehen, allen Lastern befleckt. Das ist auch bei vielen jungen Damen der Fall. Ich habe schon die lehrreichsten Beispiele erlebt, wo Töchter aus guten Familien, Honoratioren-Töchter, welche man für die Unschuld selbst ansah, jungen Leuten, die sie kaum kannten, sträfliche Zusammenkünfte bewilligten; ich habe das erlebt und mit eigenen Augen gesehen, und trotzdem wagte man es, mich der Verleumdung zu bezüchtigen, mich für einen Lügner zu erklären.

»Ja, man hat noch mehr gewagt,« setzte er nach einer Pause mit dumpfer Stimme hinzu, »natürlich eine Weiberhand, von der ich nicht erwarten kann, daß sie sich mit dem Degen oder der Pistole bewaffnen wird. Dagegen habe ich auch wieder Andere gekannt, arme dürftige Geschöpfe, die, weil sie in Armuth lebten, weil keine mächtige Verwandtschaft mit hoch erhobener Nase für ihre Tugend und Unschuld gut sagte, bei der geringsten Veranlassung achselzuckend betrachtet wurden, und von denen man bei einem kleinen falschen Scheine sagte: Das war ja nicht anders zu erwarten. – Auch Ihre Aeußerung, mein junger Freund, als Sie vorhin des Geschäftes der Kathinka Schneller und des Fräulein Stöpsel erwähnten, Ihr Aber hatte einen seltsamen Klang und war mit einer Anklage nahe verwandt. Doch muß man nicht nach dem Scheine urtheilen. Glauben Sie mir, die Tugend ist in jedem Stande, unter jedem Gewerbe zu finden, und daß Kathinka Schneller ein tugendhaftes Mädchen ist, dafür will ich mich verbürgen. Würde Dolores sie sonst für ihre Freundin erklärt haben?«

Die Worte des Herrn Larioz, namentlich der letzte Grund, den dieser angab, verfehlten in der That ihre Wirkung auf Windspiel nicht. Er kannte die Entenpforte, sowie auch die Lebensweise der beiden Modelle nur vom Hörensagen; er hatte allerdings von keiner derselben je etwas Unrechtes gesehen. Kathinka war ihm immer sehr still und ruhig erschienen, und daß der Stöpsel gegen jüngere Maler, die sich einen Scherz mit ihr erlauben wollten, ungeheuer energisch verfahren konnte, hatte er selbst schon erlebt. Dann war es ja auch wahr, daß Dolores die Erstere für ihre Freundin erklärt hatte, und den geringsten Verdacht auf die Geliebte seines Gönners zu werfen, hätte er um Alles in der Welt nicht gewagt.

So ging er denn etwas beruhigter durch das Labyrinth der Gäßchen der Entenpforte zu.

Dies war eine Sackgasse, welche vorn, wo sie nahe an eine Straße mündete, einen Steinbogen zeigte, der hier von einem Hause zum anderen gesprengt war und auf dessen Schlußstein in roher Arbeit etwas erhaben gemeißelt war, das man mit einiger Phantasie für einen Vogel, vielleicht für eine Ente halten konnte, woher denn wahrscheinlich der Bogen selbst, sowie die dahinter liegende Sackgasse die Entenpforte genannt wurde.

Die Häuser, die hier standen, sahen nicht sehr freundlich und einladend aus; es waren kleine und dürftige Bauwesen, theils mit schief stehenden Giebeln, theils mit Dächern, die keine gerade Linie mehr zeigten und lange Jahre dem Gebäude, das sie bedeckten, treu zum Schutze gedient hatten, sich aber, alt und gebrechlich geworden und hier und da eingesunken, müde auf die Mauern lehnten. Jemand, dem die gleichmäßigen, geradlinigen Häuser, Hunderte von Fenstern in einer ununterbrochenen Linie kalt und nüchtern erscheinen, konnte es hier in der Entenpforte gefallen, denn da sah keine Oeffnung der anderen gleich, es war hier außerordentlich viel malerische Verschiedenheit zu finden. Und wo selbst die Fenster eines Gebäudes gleich weit von einander standen, da hatte Zeit und Zufall dafür gesorgt, daß sie sich nicht mehr glichen, wie vielleicht damals im ersten glücklichen Jugendalter. Hier waren die Läden fest verschlossen, dort hingen sie schief in den Angeln, die nachgegeben hatten; in einigen sah man noch die ursprünglichen Scheiben, in anderen an demselben Gebäude hatte man kleinere eingesetzt, auch wohl hier und da ein Viertel des Ganzen mit gutem, festem Papier verklebt. Von dem Pflaster konnte man beinahe nur sagen, daß es sehr unregelmäßig war, in der Mitte eine Senkung hatte, wo sich Schnee und Regenwasser, mit Kehricht und allerlei sonstigem Unrath vermischt, gemächlich ansammelten.

Daß die Entenpforte bewohnt war, sah man an Gruppen ärmlich gekleideter Kinder, die vor den Hausthüren spielten oder sich ein Vergnügen daraus machten, über die Wasserlachen in der Mitte der Gasse zu springen, was gerade nicht zur Erhaltung ihrer Toilette beitrug. Hier und da an einer Fensterscheibe erblickte man das Gesicht eines weiblichen Wesens, neugierig herabschauend; auch waren in anderen Häusern schon Lichter angezündet, was in der engen Gasse bei der vorgerückten Nachmittagsstunde und der sich hier schon bemerklich machenden Dämmerung sehr erklärlich schien.

»Hier wären wir also in der Entenpforte,« sagte Don Larioz, der jetzt wieder um mehrere Schritte vorausging und an den Häusern hinaufsah, um die Nummer Vier zu finden. Es dauerte übrigens ein paar Minuten, ehe er die gewünschte Nummer entdeckt hatte, die sich ganz am Ende der Sackgasse auf der linken Seite befand. Das Haus war etwas zurückgezogen, und wenn man an der Thür stand, so konnte man weder den Eingang der Gasse sehen, noch von dort gesehen werden.

Windspiel hatte dies sogleich bemerkt, und es gereichte ihm das – er wollte sich selbst nicht klar machen, warum – zu einiger Beruhigung; auch drückte er sich fest an die Thüreinfassung, wogegen Don Larioz mit seiner langen Figur fast inmitten der Straße hielt, um das Gebäude – es sah am anständigsten von allen aus – genau zu betrachten. Es herrschte hier auch eine Gleichförmigkeit in den Fensterläden, indem alle fest verschlossen waren und aus einem rechts neben der Thür durch einen Spalt nicht nur schwacher Lichterschein hervordrang, sondern auch der Klang einer Guitarre, zu welcher eine Mädchenstimme sang:

»Wer will unter die Soldaten,
Der muß haben ein Gewehr;
Das muß er mit Pulver laden
Und mit einer Kugel schwer.«

Der Spanier freute sich ausnehmend über den Lichterschein, über den Klang des Saitenspiels, über den Gesang; er dachte an Sevilla, wo die letzten Häuser stehen, an die Bogengänge schattiger Paläste dort, wo man auch nächtlicher Weile den Klang der Mandolinen vernimmt, und er sagte deßhalb vergnügt zu dem kleinen Kellner:

»Wo man singt, da laß dich ruhig nieder,
Böse Menschen haben keine Lieder.

Thun Sie mir den Gefallen und ziehen Sie an der Klingel.«

Windspiel that also, und nachdem er ziemlich schüchtern geläutet, verstummte der Gesang, und gleich darauf hörte man schlurfende Tritte; die Thür wurde nur ein wenig geöffnet, und eine schnarrende Weiberstimme rief: »Was soll's denn?«.

Der Kellner sah sich nach seinem Begleiter um, der sich ihm nun näherte und mit großer Ruhe sagte:

»Es ist am besten, Sie nennen Ihren Namen, der meinige wird gänzlich unbekannt sein, und fragen, ob Fräulein Kathinka Schneller zu sprechen sei.«

»Nun?« wiederholte die Stimme hinter der Thür. »Was soll's? wer ist's denn?«

»Der Kellner vom Reibstein,« versetzte dieser mit sehr leiser Stimme, »und wünscht Mamsell Schneller zu sprechen.«

Die an der Thür schien diese Worte ins Zimmer hinein leise wiederholt zu haben, denn gleich darauf hörte man eine Mädchenstimme ausrufen:

»So, es ist Windspiel? den laßt nur herein kommen.«

»Man scheint Sie zu kennen,« sagte Don Larioz. »Sehen Sie, wie gut es war, daß Sie sich genannt.«

»Sind Sie allein?« fragte die Stimme an der Thür.

»Nein, ich bin in Begleitung eines Bekannten,« entgegnete der kleine Kellner.

»Er soll sagen, wer das ist,« hörte man die Stimme aus dem Zimmer sprechen.

Und als Windspiel hierauf, ohne die Frage der Pförtnerin abzuwarten, den Namen des Spaniers zum Besten gab, lachte es drinnen fröhlich, und man hörte das Mädchen rufen: »Nur herein! nur herein!«

Darauf hin betraten Beide das Haus und kamen aus dem dunkeln Gange in das Zimmer rechts, von dem man Lichterglanz gesehn und Saitenspiel vernommen.

Es war das ein mäßig großes Zimmer, sehr schmal, dafür aber ziemlich lang. Wie weit es noch rückwärts ging, konnte man nicht genau sehen, denn dort wies ein Vorhang von dunklem Zeuge den Blick zurück. Dabei war das Gemach anständig möblirt: rechts von der Thür stand ein Sopha, davor ein Tisch und an der anderen Seite ein paar gepolsterte Stühle, auf welchen zwei junge Damen saßen.

Die Eine davon, welche wie Guitarre noch auf dem Schooß hatte, war dem Spanier bekannt; es war Kathinka Schneller, dieselbe, welche er damals, vor der Hausthür der Gebrüder Breiberg mit dem würdigen alten Manne gesehen, dasselbe hübsche, etwas schmachtende Gesicht; nur war der Anzug verschieden; denn statt des einfachen Kleides und des großen Tuches trug sie heute, obgleich es Winterzeit war, ein Gewand von hellem Mousselin, zierlich mit allerlei Bändern aufgeputzt.

Die andere junge Dame war eine starke, fast, dicke Persönlichkeit; trotz des schwarzen Seidenkleides, welches sie trug, sah man sehr ihre vollen Formen, die hervorgehoben wurden durch eine künstlich hervorgebrachte ziemlich schlanke Taille. Sie hatte den Kopf auf die Hand gestützt, so daß ihre dunkeln Locken über die Finger herab fielen und ihre sehr lebhaften Augen halb verdeckten.

Die schnarrende Stimme gehörte einer sehr corpulenten Frau, die in einem schwarzen, Sammtspenser prangte, unter welchem man einen Rock von grünem Seidenzeug sah. Sie hatte eine Haube mit bunten Bändern auf, und an ihrem Halse eine goldene Kette, an welcher eine übermäßig große Lorgnette hing. Die dicke Dame setzte sich sehr breit auf das Sopha.

Windspiel blieb schüchtern vor der Thür stehen und wäre wahrscheinlich nicht vorgetreten, wenn ihn nicht Don Larioz in einem ruhigen, gemessenen Tone ersucht hätte, ihn den Damen vorzustellen.

Ehe aber derselbe dieses Geschäft versehen konnte, begrüßte Fräulein Schneller den langen Mann bestens, indem sie ihr Vergnügen aussprach, seine Bekanntschaft zu erneuern, und ihn bat, auf dem Sopha neben der dicken Frau Platz zu nehmen.

Don Larioz wandte sich jedoch, ehe er dies that, förmlich gegen dieselbe, machte eine angemessene Verbeugung und sagte: »Wahrscheinlich habe ich die Ehre, Ihre Frau Mutter zu sehen – Madame Schneller?«

»J–a–a j–a–a,« entgegnete diese in etwas gelangweiltem Tone, »so wird's schon sein. Hab' ich die Ehre und freu' mich recht sehr. – Setzen Sie sich, wenn's beliebt.«

Aber der höfliche Spanier that dies noch lange nicht, er gab durch eine nochmalige Verbeugung seinen Wunsch zu erkennen, auch der Dame im schwarzen Seidenkleid vorgestellt zu werden, wobei er mit einer zierlichem Handbewegung sagte: »Vielleicht habe ich das Vergnügen, der Fräulein Stöpsel vorgestellt zu werden?«

Windspiel zuckte bei diesem Worte zusammen, Fräulein Schneller biß sich auf die Lippen, die dicke Frau fragte: »wa–as?« nur Fräulein Stöpsel selbst lachte so unbändig, daß sie sich noch längere Zeit nachher nicht beruhigen konnte und einen förmlichen Lachkrampf nur mühsam unterdrückte.

Der kleine Kellner hatte auf einen Wink der jungen Dame mit der Guitarre auch Platz genommen, sich aber so entfernt wie möglich von der Gruppe gesetzt. Die im schwarzen Seidenkleide warf ihm lachend einen Blick zu, schien ihn aber keiner weiteren Beachtung werth zu halten, denn sie gähnte nach einiger Zeit und zog ein Buch vor sich hin, das aufgeschlagen auf dem Tische lag.

Don Larioz, der wohl einsah, daß es in Gegenwart der beiden Anderen nicht möglich sei, von dem eigentlichen Zwecke seines Besuches, etwas über das Schicksal der unglücklichen Dolores zu erfahren, anzufangen, hielt es dessen ungeachtet für nothwendig, ein Gespräch zu eröffnen, und sagte deßhalb:

»Vor unserem Eintritt, mein verehrtes Fräulein, hörten wir Sie auf Ihrem Instrumente spielen. Es würde mir außerordentlich leid sein, wenn meine Anwesenheit Ihren vortrefflichen Gesang gänzlich unterbrochen hätte. Es war, wie ich glaube, ein Lied, welches Begeisterung für das Soldatenleben ausdrückt – eine schöne Melodie.«

»Ja, man singt es jetzt überall; es ist nicht schwer zu lernen.«

»Würden Sie uns nicht vielleicht noch eine Strophe zum Besten geben?« fuhr der Spanier höflich fort, »im Falle es nämlich Ihrer Frau Mutter nicht unangenehm wäre.«

Die junge Dame mit dem schwarzen Seidenkleide blickte bei diesen Worten in die Höhe, und wieder zuckte ein Lachen wie früher auf ihrem Gesichte, doch bezwang sie sich, als sie bemerkte, daß die dicke Frau auf dem Sopha ein verdrießliches Gesicht machte, auch auf eine gewisse unbeschreibliche Art mit ihren fetten Schultern zuckte und dann sagte:

»Ach! wozu das Geklimper? Es macht die Leute nur aufmerksam, und die haben in hiesiger Stadt böse Mäuler genug, denen braucht man sie nicht noch apart aufzureißen.«

»Das ist wahr,« versetzte Don Larioz; »ich muß der Madame Schneller eigentlich darin Recht geben; die Verleumdung wird ins Großartige betrieben, und man kann sogar gute Freunde und genaue Bekannte nicht davor schützen.«

Er warf bei diesen Worten einen Seitenblick auf Windspiel, der, um uns eines trivialen Ausdrucks zu bedienen, wie auf Kohlen saß und immer fürchtete, sein Freund und Gönner, dessen Offenherzigkeit zuweilen allzu groß war, möchte wiederholen, was er von der Entenpforte im Allgemeinen und von Kathinka Schneller und Fräulein Stöpsel insbesondere gesagt.

»Ihnen aber,« wandte sich der lange Schreiber mit einer ehrfurchtsvollen Handbewegung gegen die dicke Frau, »Ihnen könnte doch gewiß die bösartigste Verleumdung nichts anhaben. Sie scheinen mir ein sehr stilles und behagliches Familienleben zu führen, halten Ihre Fräulein Tochter hübsch zu Hause, wie das alle ehrbaren Mütter thun, gönnen ihr den Umgang einer liebenswürdigen Freundin, und sind für den guten Ruf derselben so besorgt, daß Sie es nicht einmal leiden wollen, wenn eine an sich unschuldige Musik in Ihrem Hause die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich zieht. Und daran haben Sie doppelt Recht; denn die Beschäftigung Ihrer Fräulein Tochter, sowie deren schöner Freundin, wird von der Welt nur zu oft falsch gedeutet werden. – Ich mache Ihnen dafür mein Compliment. Schade, daß ich keine weiblichen Anverwandten oder so etwas besitze, es würde mir ein großes Vergnügen machen, sie in Ihr Haus zu bringen.«

Windspiel blickte ängstlich vor sich nieder, unterdrückte gewaltsam einen tiefen Seufzer, als er hierauf sah, wie sich die Frau vom Sopha aufrichtete, ihre dicke Hand auf den Tisch legte und in sehr gedehntem Tone fragte: »Was soll denn das eigentlich heißen?« wobei sie, bald Fräulein Schneller, bald Fräulein Stöpsel ansah.

Letztere stieß sie übrigens unter dem Tische ein wenig mit dem Fuße an und machte ihr ein Zeichen, worauf sie sich brummend wieder in ihr Sopha zurücklehnte.

Larioz hatte von allem dem nichts bemerkt, glaubte sich vielmehr auf dem besten Wege, die Gunst der Madame Schneller zu erwerben, was ihm wünschenswerth erschien, da er alle Hoffnung auf deren Tochter Kathinka gesetzt hatte, um ihm in seiner Angelegenheit bei der schönen und unglücklichen Dolores behülflich zu sein.

Um denn auch die Unterhaltung nicht ins Stocken gerathen zu lassen, nahm er den Faden derselben wieder auf und bemerkte, sich an Kathinka wendend: »Ihr Herr Vater ist wahrscheinlich ausgegangen?«

»Mein Vater?« fragte das Mädchen im Tone der Verwunderung »Wen meinen Sie?«

»Verzeihen Sie, wenn ich mich irre,« antwortete der Spanier in seiner unverwüstlichen Ruhe; »ich dachte, jener würdige, alte Herr in dessen Begleitung ich Sie damals auf dem Burgplatz sah, wäre vielleicht Ihr Herr Vater. Er hat in der That etwas Ehrfurchtgebietendes, dieser Greis. Ich würde mich sehr freuen, seine nähere Bekanntschaft machen zu können.«

Madame Schneller warf vom Sopha herüber einen finsteren und zugleich fragenden Blick auf Fräulein Stöpsel; da diese aber ihre dicken weißen Schultern auffallend aus dem schwarzen Kleide hervorhob und damit anzeigen wollte, sie habe keine Ahnung von dem würdigen Greise, so fragte die Frau: »Wen meint er denn eigentlich? Was will er denn mit seinem Vater?«

Kathinka Schneller machte ein Zeichen mit den Augen, ehe sie zur Antwort gab: »Ach, der Herr meint den Andreas. Wir standen damals zusammen bei dem Maler Breiberg; er malt ein neues Bild: Der Harfner mit seinem Kinde.«

»Richtig,« sagte Don Larioz, »wie ein Harfner erschien mir der alte Herr auch, wie ein ehrwürdiger Barde längst vergangener Zeiten, der vor dem lodernden Kaminfeuer in der Trinkhalle eines mächtigen Fürsten von den Thaten der Ahnen singt, belauscht von bärtigen Kriegsleuten, die, auf ihre Schwerter gestützt, ihn mit funkelnden Augen anschauen.

Während er das sprach, blickte er sinnend vor sich nieder und schien sich in jene alte, längst vergangene Zeit zurückversetzt zu fühlen, als Kathinka auf ihrer Guitarre einen Accord leicht anschlug.

Windspiel blickte begeistert in die Höhe, und in ihm stieg der Wunsch auf, auch so als alter Barde bei dem flackernden Kaminfeuer zu sitzen, das aber ziemlich weit von der Entenpforte entfernt sein möchte.

Die dicke Frau hatte sich bei den Worten des Spaniers rasch von ihrem Sopha erhoben, wobei sie: »Oha!« sagte, was wie ein tiefer Seufzer der Langenweile klang, und dann mit den Fingern auf ihre Stirn zeigte, wie man zu machen pflegt, wenn man ausdrücken will, man halte Jemand für nicht ganz richtig im Kopfe.

Es war Don Larioz nicht unlieb, als er sah, wie sich Madame Schneller erhob; denn er hoffte, sie würde vielleicht auf eine kurze Zeit das Zimmer verlassen und er alsdann im Stande sein, über die Angelegenheit, welche ihn hieher geführt, und die ihm sehr am Herzen lag, einige vertrauliche Worte mit Kathinka Schneller zu wechseln. Aus diesem Grunde war es ihm denn auch höchst angenehm, zu sehen, daß auch Fräulein Stöpsel ihr Buch zuschlug und sich erhob. Dabei gähnte sie ziemlich laut und warf einen Blick auf Windspiel, der davor – er wußte selbst nicht, warum – einigermaßen zusammen schauerte.

Als ein höflicher und umsichtiger Mann hatte sich Don Larioz ebenfalls erhoben, um den beiden Damen, die nach dem Hintergrunde des Zimmers gingen, eine tiefe Verbeugung zu machen, zu gleicher Zeit aber auch, um Fräulein Schneller leise zu fragen, ob der kleine Kellner sie in dem vertraulichen Gespräche, das er mit ihr zu führen gedenke, genire.

Da nun das Mädchen kurz darauf geantwortet: »Ja, er genirt mich,« so trat Larioz zu Windspiel hin und bat ihn um die Freundschaft, den beiden Damen einen Augenblick zu folgen, da er fürchte, Fräulein Schneller würde ihm in Anwesenheit eines Dritten nicht gern Mittheilungen machen.

»Wenn es Ihnen gleich wäre,« meinte hierauf der etwas ängstliche Kellner, »so könnte ich auch wohl das Haus verlassen und käme in einer halben Stunde wieder, um Sie abzuholen.«

»Warum das?« fragte der Spanier mit seinem offenen und ehrlichen Blicke. »Warum sollten Sie in der Nacht herumwandeln, mein lieber Freund, wo Sie sich jedenfalls mit Madame Schneller, die mir in jeder Hinsicht eine respektable Dame zu sein scheint, sowie mit Fräulein Stöpsel angenehm unterhalten können? Glauben Sie mir, ein junger Mann, der sich bilden will, muß den Umgang mit gebildeten Damen aufsuchen, wo es ihm möglich ist; das schleift außerordentlich ab und benimmt alle rauhen Ecken. Leider hatte ich dazu in meinem Leben sehr wenig Gelegenheit.«

»Ader ich möchte mich nach Ihnen bilden,« sagte der kleine Kellner mit leiser Stimme.

»Im Guten, was ich allenfalls besitze, haben Sie Recht, das zu thun; wenn man aber sein Vorbild zu übertreffen im Stande ist, so muß man das keinen Falls unterlassen.«

Ein tiefer Seufzer war die ganze Antwort, welche Windspiel gab.

Unterdessen war Kathinka Schneller ebenfalls von ihrem Stuhle aufgestanden und zu den beiden Damen getreten, die eben hinter dem Vorhang verschwinden wollten.

»Das ist ein langweiliger Narr!« sagte die dicke Frau. »Ich weiß nicht, wie ihr euch mit solchen Leuten einlassen könnt.«

»Nun, Sie wissen's ja selbst,« flüsterte Kathinka; »die Breibergs haben uns gebeten, und auch Herr Wurzel; man darf den Leuten ihren Spaß nicht verderben. Und denen müssen wir schon was zu Gefallen thun. Aber du,« wandte sie sich an den Stöpsel, »nimm Windspiel mit, es ist ein ganz ordentlicher Mensch; plaudere noch eine Zeit lang mit ihm und laß ihn dann, wie wir verabredet, zum Hause hinaus. Vergiß mir auch nichts, wenn ich einen Ton auf der Guitarre angebe; es ist ja ein Spaß, warum sollte man das nicht thun?«

»Der lange, dürre Mensch da,« sprach die Frau mürrisch, »sieht mir aber gar nicht aus, als ob er viel Spaß vertragen könnte. Auch hat er einen tüchtigen Stock bei sich. Nehmt euch nur in Acht, daß es da nichts gibt.«

»Das ist denn Breibergs Sache; die sollen alsdann sehen, Wie sie mit ihm, zurecht kommen. – Wollen Sie nicht so gut sein,« wandte sich hierauf Fräulein Schneller an den kleinen Kellner, »mit den beiden Damen ein bischen ins Nebenzimmer zu gehen? Ich habe mit dem Herrn da zu sprechen. Nur eine Viertelstunde.«

Windspiel warf einen besorgten Blick auf seinen Herrn und Meister, und dann folgte er der jungen Dame im schwarzen Seidenkleide mit denselben Gefühlen, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt werden soll, seinem Leiter.


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