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Einundvierzigstes Kapitel.
Eugeniens Mutter


Frau von Braachen beugte sich gegen das Kaminfeuer, um einen Holzklotz, der auf einer Seite verkohlt war, umzuwenden. Der Baron nahm ihr die Zange aus der Hand und brachte das Feuer wieder in Ordnung.

»Zu Hause steht wohl Alles gut?« fragte sie, nachdem sie sich in den Fauteuil zurückgelehnt hatte.

»Alles gut, – Eugenie ist wohl.«

»Und Julie?«

»Befindet sich ebenfalls vortrefflich; schreibt, liest viel –«

»Ja, ja,« unterbrach ihn die Baronin, »ist mit ihren Gedanken immer auswärts und kennt deßhalb Indien, oder was weiß ich sonst, besser als den Fleck Erde, auf dem sie steht und geht.«

»Das würde Ihnen Julie nicht glauben, wenn Sie ihr das sagten,« meinte lächelnd Herr von Breda; »sie behauptet, gerade mit Hülfe ihrer Bücher lerne sie das Leben und Treiben, das sie umgibt, am besten kennen; sie sagt, eine gute Lecture sei wie ein richtig geschliffenes Glas oder wie ein vortrefflicher Spiegel, der uns alle krummen Linien des wirklichen Lebens augenblicklich zeige.«

»Mir sind meine eigenen Augen lieber,« sagte die Dame. »Eugenie war mit meiner Schwester vorgestern da.«

»Ich weiß es. – Hatten sie etwas Wichtiges?« fragte er nach einer Pause, während welcher er einen lauernden Blick auf das sich vollkommen gleich bleibende Gesicht seines Gegenübers geworfen.

»Was uns sehr wichtig ist,« entgegnete Frau von Brauchen mit einem ganz kleinen Lächeln, »darüber zuckt ihr Männer häufig die Achseln.«

»Nicht immer; Sie kennen mich genug, um zu wissen, daß, was Ihnen, beste Schwägerin, in Betreff Eugeniens wichtig erscheint, mir nicht unwichtig sein kann.«

»Habe ich denn wirklich gesagt,« gab Frau von Braachen nach einem kurzen Stillschweigen zur Antwort, »daß wir etwas Wichtiges verhandelt?«

George von Breda fühlte wohl, daß er lange nicht so vollkommen Herr über sich selbst sei wie sonst, ja, daß er sehr unruhig sei, daß sein Herz, von einem heftigen Leiden bewegt, bald langsamer, bald schneller schlage; ja, er glaubte gewiß zu sein, daß zuweilen eine flammende Rothe über sein Gesicht fahre. Er holte hier und da mühsam Athem und preßte jetzt, ärgerlich über sich selber, seine Lippen fest auf einander, indem er dachte: Warum bin ich eigentlich heute hieher gegangen? In der frischen, kalten Luft würde mir wohler sein.

Durch dieses Nachdenken, in welches er versunken war, hatte er die Frage der Baronin nicht beantwortet, was sie als absichtlich geschehen ansah und vielleicht gerade deßhalb fortfuhr: »Uebrigens, bester George, ist es ja immer von größerer oder minderer Wichtigkeit, was eine Mutter ihrer Tochter zu sagen hat, namentlich wenn sie, wie ich, diese Tochter selten sieht und in der Zwischenzeit Muße genug hat, über die Zukunft ihrer Tochter nachzudenken.«

Sie hatte das mit einem viel herzlicheren und wärmeren Tone gesagt, als alles, was sie vorher gesprochen, und sich dabei in ihrem Lehnstuhl aufgerichtet, wobei sie ihrem Schwager fest, doch nicht unfreundlich in die Augen blickte.

»Daß Ihnen die Zukunft Eugeniens vor Allem wichtig ist, begreife ich vollkommen, und ist es ja bei mir gerade auch so der Fall.«

»Davon bin ich überzeugt,« erwiderte Frau von Braachen mit weicher Stimme, »und deßhalb – – will ich etwas mit Ihnen sprechen, George.«

Der Baron fühlte, wie sich bei diesen Worten sein Herz krampfhaft zusammenzog, wie all das Leid, mit dem er heute schon seit langen Stunden gekämpft, wieder mit erneuter Gewalt über ihn herzufallen drohte. Er beugte sich zu dem Kaminfeuer hinab und machte sich dort etwas sehr Unnöthiges mit der Zange und dem Schüreisen zu schaffen. – Ja, dachte er, Tondern war nicht ohne Absicht hier. Die Sache ist furchtbar gut eingefädelt, man hat mich umstellt, man zwingt mich, ich brauche nur noch Ja zu sagen. Und sollte auch Eugenie darum wissen und mir verschwiegen haben? – Entsetzlich, ah!

Er biß sich die Lippen fast blutig, und doch mußte das schmerzerfüllte Ah! seinem Gegenüber hörbar sein, denn Frau von Braachen sagte plötzlich: »Sie haben sich gebrannt, George?« –

– »O nein, es ist nichts,« gab der Baron nach einer Pause zur Antwort. »Unbedeutend. – Sie wollten mit mir sprechen? Lassen Sie hören?«

Bei diesen Worten lehnte er sich in seinen Stuhl zurück, machte eine furchtbare Anstrengung, ruhig zu scheinen, was ihm auch ziemlich gelang. Er schlug langsam seine Arme über einander.

»Sie wissen, George,« sagte Frau von Branchen mit einer leicht zitternden Stimme, »daß ich von jeher Ihre gute und treue Freundin war. Könnte es auch anders sein nach den vielen Beweisen von Herzlichkeit und Freundschaft, die Sie uns gegeben, mir und meiner Schwester, noch ehe wir Eine Familie bildeten? – Daß Sie mich,« fuhr sie mit einem trüben Lächeln fort, »für unzuverlässig, vielleicht für leichtfertig hielten und deßhalb eine gewisse Scheu vor mir hatten, weiß ich wohl, kann es Ihnen auch nicht übel nehmen. Dagegen aber glauben Sie mir, George, – glauben Sie es mir um Gottes willen! – daß ich mich nie mehr zu einem Manne hingezogen fühlte als zu Ihnen. Ich, eine alte verlebte Frau,« sagte sie achselzuckend, »kann Ihnen ohne alle Nebenansichten wohl etwas wiederholen, was Sie ja längst schon wissen, und ich thue es nur aus dem Grunde, um Sie zu überzeugen, daß ich Sie immer noch herzlich verehre, daß ich wahr, offen und ehrlich für Sie denke, daß ich bei jedem Schritte, den ich thue, nur für Ihr Wohl besorgt bin.«

»Das wollten Sie mir sagen?« fragte der Baron. »Gewiß, daran habe ich nie gezweifelt; ich bin Ihnen dankbar dafür.«

Sie schüttelte mit dem Kopfe, indem sie erwiderte: »Das war nur eine Einleitung.«

»Ich dachte es mir,« sprach er kaum hörbar.

»Was ich Ihnen sagen wollte,« fuhr die Frau fort, »betrifft die Zukunft Eugeniens.«

»Und dazu hielten Sie die Einleitung von eben für nöthig?«

»Ja, ich hielt sie für nöthig,« versetzte sie mit einem festen Blicke.

»Aha. – So bitte ich, fahren Sie fort.«

Die Dame that einen tiefen Athemzug, hustete darauf leise in ihr Tuch und sprach: »Eugenie ist kein Kind mehr; sie ist in den Jahren, wo man an ihre Zukunft denken muß; und wenn ich mich dabei meiner schwachen Kräfte erinnere, so fühle ich wohl, daß es eben nur bei dem Denken bleiben wird.«

Ein bitteres Lächeln flog bei diesen Worten über ihre bleichen Züge.

»Ganz richtig,« bemerkte der Baron, als sie einen Augenblick schwieg; »und wo unsere Kräfte nicht ausreichen, bedienen wir uns der Kraft unserer Freunde. Ich hoffe, Sie rechnen mich dazu.«

»Ja wohl; allein ich habe sonst keine Freunde.«

– Die Baronin hatte nach diesen Worten ihr Tuch leicht an den Mund gedrückt, sich in den Stuhl zurückgelehnt, und es schien ihr schwer zu werden, das zu sagen, was sie sagen wollte.

George von Breda hatte seine Arme, die er bisher auf der Brust gekreuzt hatte, langsam niedersinken lassen, seine Finger drückten die weiche Lehne des Fauteuils zusammen, und es war ihm lieb, daß er das thun konnte, denn es beruhigte ihn, und er brauchte die Beruhigung, da er an dem Schlage seines Herzens fühlte, was die Frau ihm gegenüber im nächsten Augenblicke sagen würde.

»Eugenie – sollte sich verheirathen.« –

– »Allerdings, sie sollte sich verheirathen,« gab er mit leiser Stimme zur Antwort. – »Ich finde das vollkommen richtig,« hatte er die Kraft, mit einer außerordentlichen Ruhe hinzuzusetzen; »aber –«

»Wo eine passende Partie für sie finden, meinen Sie?«


»Sprechen wir ehrlich und offen zusammen,« entgegnete der Baron nach einer längeren Pause. »Wir sind ja alte gute Freunde,« fügte er seltsam lächelnd hinzu. »Warum sollten wir uns also falsch behandeln? – Die Partie wird ja bereits gefunden sein.«

Seine Stimme zitterte hörbar, als er das sagte, und zu gleicher Zeit fühlte er wohl, daß alles Blut aus seinem Kopfe zurück nach seinem Herzen strömte.

Frau von Braachen legte, wie es schien, absichtlich den Kopf in ihre rechte Hand und blickte vor sich nieder, als sie versetzte: »Niemand kennt unsere Verhältnisse besser als Sie, George. Sie wissen, daß ich nur durch die Hülfe meiner Schwester eine etwas gesicherte Existenz habe. Wenn ich Ihnen das so anscheinend ruhig sage, so wollte ich, ich könnte Sie dabei einen Blick in mein Herz thun lassen und Ihnen zeigen, wie es zerrissen ist von gerechten Vorwürfen über mein vergangenes Leben. Doch was hülfe es, wenn ich verzweifeln wollte? Was hinter uns liegt, bringt ja kein Schmerz, keine Reue mehr zurück. – Also genug davon, ich bin arm; Eugenie ist ein armes Mädchen, sie wird zufrieden sein, eine nur halbwegs erträgliche Existenz zu finden.«

»Und ist Eugenie schuld daran,« fragte Herr von Breda in kaltem, schneidendem Tone, »daß sie nun so in der Welt dasteht, um mit einer halbwegs erträglichen Existenz zufrieden sein zu müssen? Hat dieses arme Geschöpf nicht auch vielleicht ein klein wenig Recht, zu verlangen, daß man nicht nur für ihre Existenz sorge, sondern auch für ihr Glück? – Und kann es dieses herrliche Mädchen, kann es Eugenie, Ihre Eugenie, unsere Eugenie, mit ihrem warmen Herzen glücklich machen, wenn Sie, die Mutter, eine Partie für sie finden, die Ihnen annehmbar erscheint, da sie Ihrer Tochter eine halbwegs erträgliche Existenz sichert? – Sie sollten ja am besten wissen, welches Unglück es bringt, wenn man eine Verbindung eingeht, ohne daß das Herz zustimmt. Sie sollten das wissen!«

»Ja ich weiß es,« entgegnete sie, und ihre Worte waren klanglos.

»Und obgleich Sie es wissen,« fuhr er heftiger fort, »wollen Sie in Ihrer Tochter Ihr eigenes Leben und vielleicht noch schlimmer wiederholen?«

»Eugenie ist gut und fest.«

»O, das ist sie! Bei Gott, das ist sie!« rief er fast leidenschaftlich aus. »Aber es gibt Herzen, die, was Festigkeit anbelangt, von sich glauben, daß sie zu den außerordentlichen gehören, und deren Stunde ebenfalls kommt, die doch in Verhältnisse gerathen können, in Lagen, wo ihr fester Charakter vor dem Hauch eines Mundes dahin schmilzt, – wo ihr starkes Herz nachgeben oder brechen muß.«

Er hatte zu viel gesagt, aber er konnte seine Worte nicht mehr zurück rufen. – –

»Ja, es gibt solche Herzen,« versetzte die Baronin mit ruhiger, aber ebenso klangloser Stimme wie vorhin, »ja, es gibt dergleichen, George, welche nachgeben oder brechen müssen, welche die Liebe zu spät kennen lernten, und als sie sie erkannten, sich schaudernd in Ketten und Banden fühlten, an die sie früher nicht gedacht, deren Druck sie nicht empfunden.«

Sprach die Frau ihm gegenüber, die Frau mit dem glühenden Herzen und dem oft so eiskalten Aeußeren, sprach sie mit Beziehung auf sich selbst oder vielleicht mit Beziehung auf ihn? Es überfuhr Herrn von Breda ein seltsamer Frost, als er das dachte, und er grub seine Finger in die Lehne des Fauteuils, er machte eine fast übermenschliche Anstrengung, um wieder etwas Ruhe zu gewinnen, nur ein wenig, um es möglich zu machen, ihr in das sehr bleiche Gesicht zu schauen und sie mit stockendem Athem zu fragen: »Wozu die Reflexionen, Henriette? Wozu das Hervorrufen von Gefühlen, die jedem, der sie begreift, schrecklich sein müssen? – Bah!« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen mit einem erzwungenen und doch sehr trüben Lächeln fort, »lassen wir Phantasie und Gefühl aus dem Spiel; bleiben wir bei der Sache – bei dem Geschäft.«

Frau von Braachen ließ den Kopf auf die Brust herabsinken und antwortete nicht.

Es folgte eine lange Pause, welche beide Theile dazu anwandten, sich möglichst wieder zu sammeln.

»Sie sprachen vorhin,« sagte alsdann George von Breda, »von der Nothwendigkeit, für Eugenie eine Existenz zu gründen; nun, ich meine doch, die hätte sie vorderhand und vielleicht auch ziemlich angenehm und sorgenfrei im Hause Ihrer Schwester gefunden. Betrachten wir ferner Eugeniens Alter, so meine ich doch, es sei durchaus nicht dringend, so mit großer Sorge an ihre – Verheiratung zu denken, besonders nicht an eine Verheirathung, die ihr, wie Sie vorhin selbst sagten, nur eine halbwegs erträgliche Existenz sichert. Warum denn eine solche überstürzte Heirath? Ich weiß wohl, man sagt, es sei das die Bestimmung eines jeden Mädchens. – Nun ja, halten wir diese Bestimmung meinetwegen im Auge. Warum aber – um im Geschäftsstyl fortzufahren,« setzte er mit einem sehr ernsten, fast feindseligen Blicke hinzu – »heute Zehn nehmen, wenn ich vielleicht morgen Hundert bekommen kann? Sie sehen, Frau Schwägerin, auch ich verstehe zu rechnen. Warum,« fragte er heftiger, »einem jungen Mädchen, dessen Herz noch an nichts dergleichen denkt, so früh, so sehr früh die harmlosen Freuden der Jugend nehmen und sie ihr schönes Dasein mit einem Leben vertauschen lassen, das uns oft neben wenig Freuden eine Menge von Täuschungen bietet? Täuschungen, die wir für Wirklichkeit halten, zu denen wir hoffend und freudig aufblicken, wie das Kind zur bunten Seifenblase, um uns, wenn eine in leeres Nichts zerspringt, wieder vertrauensvoll einer anderen zuzuwenden, wobei aber unser Herz vertrocknet und wir alt werden.«

Der Baron sagte diese Worte eben so sehr, um die Mutter Eugeniens zu überzeugen, als auch, um sich mehr und mehr zu sammeln, während er also sprach. Er hatte auch wirklich einen ziemlichen Theil seiner sonst so unverwüstlichen Ruhe wieder erlangt, als dieselbe abermals durch die Entgegnung seiner Schwägerin gänzlich zersprengt wurde.

»Wer zweifelt,« sagte sie, »an der angenehmen Existenz, die Eugenie in Ihrem Hause hat? Ich bin fest überzeugt, sie wird sich dort in jeder Hinsicht wohl fühlen, nur zu wohl. Aber halten Sie es nicht für billig, daß man sich auch nach ihren Ansichten erkundigt? Wissen Sie denn, George, ob sie den Plan einer Verheirathung so weit von sich werfen wird?«

»Ja, das – etwas Anderes,« brachte George von Breda nach einem tiefen Athemzuge mühsam hervor. »Daran habe ich freilich nicht gedacht. Ah! Baronin, Sie manövriren klug mit mir, Sie führen Ihre besten Truppen zuletzt ins Feld, um mich vollkommen aufs Haupt zu schlagen.«

Dabei biß er die Zähne krampfhaft auf einander und sprang so heftig von seinem Sitze in die Höhe, daß der leichte Fauteuil hinter ihm eine Strecke zurück rollte.

Frau von Braachen blickte empor, und da sich bei der heftigen Bewegung ihres Schwagers keine allzugroße Ueberraschung auf ihrem Gesichte malte, vielmehr sich dort Schmerz, und Kummer zeigte, so konnte man annehmen, sie habe wohl gewußt, daß der letzte Streich, den sie geführt, ihn so heftig treffen müsse. Sie hustete leicht in ihr Tuch und sagte nach einer Pause: »Es ist das nur eine Voraussetzung, George, aber –«

»Aber – aber,« entgegnete er in leidenschaftlichem Tone, »es ist das eine Sache, die vielleicht heute noch eine Phantasie, Sie und Julie aber morgen, übermorgen zur Wahrheit machen werden. O, es ist nicht so schwer, das Herz eines armen Mädchens, das – ja, in gewisser Beziehung allein in der Welt zu stehen glaubt, wenn auch nicht umzustimmen, doch für etwas zu gewinnen. Man muß das nur klug und umsichtig und mit einer gewissen Feinheit anfangen; und darin sind Sie Meisterin, Henriette. – Sagen Sie mir um Gottes willen,« fuhr er heftiger fort, indem er seine Hände über einander schlug und seine Schwägerin mit einem flammenden Blicke ansah, »glauben Sie denn in der That, daß es möglich sein wird, Eugenie dahin zu bringen, daß sie diesen Fremont liebt? – Nie, nie, nie, nie!«

»Ich sprach den Namen nicht aus,« sagte die Frau vom Hause; »jetzt aber, da Sie ihn genannt, muß ich Ihnen gestehen, daß ich eine Verbindung meiner Tochter mit Baron Fremont für ein Glück halten würde.«

Sie sagte das in sehr kaltem und ruhigem Tone, doch zitterte dabei ihre Stimme, obgleich fast unmerklich.

»Ja, für ein Glück für uns, für das Mädchen, – – für Sie, George.«

Die letzten Worte, welche die Dame sprach, trafen den Baron mit furchtbarer Gewalt; er starrte sie einen Moment mit weit aufgerissenen Augen an, dann wandte er sich mit einem Male um, trat hastig ans Fenster, lehnte den Arm auf eine der Kreuzstangen desselben, drückte den Kopf gegen die kalten Scheiben und blickte, von entsetzlichen Empfindungen zerrissen, auf die stille Landschaft hinaus, auf den dunklen, unbeweglichen See.

Schon war die Sonne tief hinab gesunken, und wie sie sich dem Horizonte zuneigte, hatten ihre Strahlen scheinbar an Kraft zugenommen. Das am Mittag so hell glänzende Licht war tiefer gefärbt, goldig, glühend; ja, die leuchtende Kugel, die man jetzt von dem Fenster aus in weiter Ferne zwischen den Bäumen hervorblitzen sah, erschien wie eine tiefrothe Flamme; das liebe, glühende Weltauge blitzte noch einmal mit verdoppelter Herrlichkeit und Kraft über die Erde dahin, ehe es für heute verschwand, um der kalten, dunkeln Nacht Platz zu machen.

In diesen Ausdruck innigster Zärtlichkeit mischte sich etwas wie Trauer, wie Wehmuth des Abschiedes. Und das schien auch die ganze Landschaft zu empfinden, denn es war, als beeiferte sich jeder Baum, jeder Strauch, das stille Wasser des See's, – nicht zu vergessen ein menschliches Augenpaar, in dem Thränen funkelten, – sich diesem letzten, glühenden Blicke noch einmal zuzuwenden, den letzten Kuß der untergehenden Sonne zu empfangen.

Und so glänzte es denn ringsum wie Gold und wieder Gold; es funkelten die Zweige; es war der Boden mit einem prachtvollen Schimmer bedeckt; das Wasser des See's schien röthlich angestrahlt, und an den Wänden des vor wenigen Augenblicken noch ziemlich dunkeln Gemaches, auf den Zügen eines so ergreifend düsteren Gesichtes stieg es mit einem Male auf, leuchtend und strahlend wie eine neue Morgenröthe. – Und doch wollte es Abend werden. Nicht nur draußen in der Natur, nicht nur in dem Zimmer des stillen Hauses, sondern auch in dem Herzen des Mannes, der am Fenster lehnte und still und gedankenvoll in die ruhige Landschaft hinausblickte. –

Aber sie that ihm wohl, diese Ruhe, sie erweichte sein hartes, trotziges Herz, sie überzog es mit tiefer Wehmuth; sie ließ ihn denken, daß, wenn es auch jetzt Abend werde und dem strahlenden Tage eine kalte, dunkle Nacht folge, auch diese ja ihre stillen, geheimnißvollen Sternbilder habe, die mit ihrem sanften Lichte so geeignet sind, das Toben in der Menschenbrust zu beruhigen. Und dann – glänzte ihm aus dem goldenen Strahl da unten auch wieder etwas wie Hoffnung entgegen, daß der Nacht abermals ein Tag folgen würde, wenn auch nicht so heiter und glückselig wie der letztvergangene, aber doch wieder mit neuem Lichte, bekannte Gegenstände erhellend und mitleidig erzählend von gestern, daß es nicht so habe sein können und daß man eigentlich froh sein müsse, wenn die Nacht erscheine, um mit ihrem dunkeln, Alles ausgleichenden Schleier unter lieblichen Träumen ein allmäliges Vergessen zu bringen.

Das alles dachte George von Breda, als er an dem Fenster lehnte und seine brennende Stirn gegen die kühlenden Scheiben drückte. – Er fühlte, wie sich eine Hand sanft auf seine Schulter legte, wandte aber deßhalb den Blick nicht ins Zimmer zurück; er vernahm eine leise Stimme, welche zu ihm sprach, aber sein Kopf blieb an dem Fenster lehnen.

»George,« sagte Frau von Braachen, die an seine Seite getreten war, »es ist schon eine Reihe von Jahren, daß Sie in unser Haus kommen; damals ein wilder, glänzender Offizier, hielten Sie es für überflüssig, sich das Thor öffnen zu lassen, Sie setzten lachend über die Barriere hinweg und erschreckten mich ein wenig, mich, die ich damals mit der kleinen Eugenie vor der Thür saß, die freudig in ihre Händchen schlug über den kecken Reiter, welcher, nachdem er abgestiegen war, mit einem Male sanft und freundlich wurde wie das Kind selber, und dann mit ihm spielte, fröhlich und unverdrossen alle seine kindischen Launen ertragend, der sich so in Kurzem die Gunst des ziemlich verlassenen Mädchens errang, der der Abgott des zuweilen recht wilden Kindes wurde.«

Er machte eine kleine Bewegung, blickte aber nicht um.

»Wir sprachen damals viel von Ihnen,« fuhr die Frau mit noch leiserer Stimme fort, »das Kind und – ich, sehr viel, sehr viel. Es war uns ein Festtag, wenn Sie kamen, und so ging das fort, mehrere Jahre lang. – Da fingen Sie an, wie ein treuer Freund sich um die traurigen Angelegenheiten unseres Hauses zu bekümmern; Sie gaben mir gute Rathschläge, Sie halfen meiner Schwester ihre Sachen ordnen, Sie arbeiteten für uns ebenso unverdrossen, ebenso liebreich in ernsten Stunden, wie Sie sich in anderen mit Eugeniens beschäftigten. – Hätten Sie das nicht gethan, George, es wäre vielleicht besser gewesen. – Aber ich sah es gern, es freute mich, wenn ich Sie so sah, jetzt unermüdlich mit dem Kinde spielend, jetzt ihm seine kleinen Unarten verweisend; hörte sie doch auf Niemand so wie auf Sie, und wenn ich ihr oft sagte: es freut mich, Eugenie, daß du das und das nicht mehr thust, so antwortete sie mit leuchtenden Blicken: George hat es mir ja verboten; jetzt thu' ich es gewiß nicht mehr.«

Ein tiefer Seufzer, der sich seiner Brust entrang, war das einzige Zeichen, daß er ihre Worte vernahm, daß er sie tief fühlte.

»Ich möchte Ihnen noch mehr sagen, George,« fuhr Frau von Braachen nach einer längeren Pause fort, »aber ich wage es kaum. Und doch, warum sollte ich nicht ehrlich gegen Sie sein? – Da kam die Zeit, wo durch Ihre Hülfe unsere Angelegenheiten geordnet waren; Sie hatten sich an uns gewöhnt, Sie schätzten meine Schwester, Sie betrachteten unser Haus als das Ihrige, es war Ihnen nicht unangenehm, in eine nähere Verbindung mit uns zu treten. – Als ich das erste Mal davon vernahm, war die Sache so gut wie abgemacht; Julie war zufrieden. Ich, George – ja, warum sollte ich es verschweigen? – ich bebte, als ich die Nachricht erfuhr, mich bewegten Kummer und Schrecken. Dabei brauche ich Ihnen wohl nicht zu wiederholen,« setzte sie mit stärkerem Tone hinzu, »wie ich Sie schätzte, wie ich Sie verehrte. – Aber – ich hatte alles das mit anderen Augen angesehen. – Ich hatte Unrecht, das weiß ich jetzt ganz genau; aber es war doch so. – Ich habe mich nicht leicht über irgend« etwas in der Welt getäuscht. Da aber habe ich mich getäuscht, o, entsetzlich getäuscht! – Julie,« sprach sie kaum hörbar, »hätte nicht heirathen sollen. Warum auch? Sie ist ziemlich älter als Sie, sie lebt für ihre Papiere, ihre Bücher. Das hätte sie alles noch mit viel größerer Ruhe gekonnt.«

Der Baron wehrte mit der Hand von sich, als wollte er nichts mehr hören.

»Damals,« fuhr Frau von Branchen fort, sprach aber so leise, daß es wie ein kaum hörbares Flüstern klang, und es erschien, als rede sie zu sich, selber, »damals war Eugenie schon vierzehn Jahre. Sie vielleicht dreißig.«

»Henriette!« rief der Baron mit lautem, schneidendem Tone, »halten Sie ein mit Ihrem entsetzlichen Reden! Halten Sie um Gottes willen ein! ich könnte wahnsinnig werden! Wenn Sie denn – ins Teufels Namen! – die entsetzliche Wunde in meinem Herzen sehen, warum wühlen Sie mit so grausamer Lust darin herum?«

»Man schneidet zuweilen tief, wenn man heilen will,« sagte sie in ruhigem Tone.

»Mich heilen?« rief er mit wildem Lachen; »mich wollen Sie heilen? O, Sie überaus kluger und verständiger Arzt! Sie wußten, daß ich mir selbst Jahre lang das Gift tropfenweise einflößte, Sie sahen, wie es sich meinem ganzen Körper mittheilte. Sie fühlen wohl, Henriette, wie ich davon ergriffen bin, unrettbar ergriffen – und Sie wollen mich mit Worten heilen!«

»Mit Wort und That,« sagte sie in entschlossenem Tone, und dabei ließ sie langsam ihre Rechte von seiner Schulter herabsinken und faßte seine Hand, die sie lange und herzlich drückte. »Ja, George, mit einer raschen That. Und deßhalb muß Eugenie, und muß – diesen Fremont heirathen.«

Er wollte seine Hand gewaltsam losreißen, sich gegen die Baronin wenden, doch hielt ihn die schwache Frau kräftiger, als man es von ihr hätte glauben sollen.

»Ach,« rief er aus, »Sie sind ein kaltes, hartherziges Weib! Es ist bei Gott gefährlich, wenn man mit Ihnen zu thun hat!«

Dabei knirschte er wild mit den Zähnen.

Frau von Braachen trat einen Schritt zurück, ließ seinen Arm los und faltete ihre Hände. Ihr Blick war unendlich kummervoll, als sie zur Antwort gab: »Ich bin nicht kalt, noch hartherzig, George. – Sie sagen das, weil ich Eugenie aus Ihrem Hause fortnehmen will. Ist sie denn mit meinem Willen dorthin gegangen? Habe ich sie freiwillig ziehen lassen? – Nein, nein, tausend Mal nein! Ich war klüger als Sie, George, ich sah heller; ich wußte wohl, daß es so kommen mußte; Sie hatten freilich keine Ahnung davon.«

»Wovon? beim allmächtigen Gott, Henriette?« rief er außer sich.

»... Daß Sie damals schon das arme Mädchen liebten, ohne es selbst zu wissen. Aber ich, George, sah das ganz deutlich. Und deßhalb wollte ich sie nicht von mir lassen; deßhalb ließ ich mich schon damals von Ihnen hartherzig und egoistisch nennen. – O, wenn ich Beides doch damals mehr gewesen wäre!«

Das rief sie mit schmerzvollen Tönen und preßte beide Hände vor das Gesicht.

Es dauerte einige Sekunden, ehe sich die Baronin wieder so weit gefaßt, um sich aufs Neue an George von Breda zu wenden, der abermals am Fenster lehnte und wieder in die dunkler werdende Gegend hinausblickte. Drüben zwischen den Bäumen sah man noch einen einzigen leuchtenden Streifen, der keine Wirkung mehr auf die Farbe der Landschaft ausübte. Diese war kalt und grau geworden.

Die Dame ließ ihre Hände von dem Gesichte herabsinken, und man sah auf ihren bleichen, eingefallenen Zügen deutliche Thränenspuren. Frau von Braachen hatte wohl viel Unglück, viel Jammer erlebt, aber sie hatte äußerst selten geweint.

»... Das Unglück ist noch großer, als wir Beide es wissen wollen, – der Abgrund, an dem Sie, George, und das arme Mädchen auf schlüpfrigem Wege wandeln, tiefer und gefährlicher, als Sie glauben.«

Der Baron hatte sich mit einem heftigen Ruck aufgerichtet und starrte sie dann mit blitzenden Augen an, wobei der Ausdruck eines jähen Schreckens über seine Züge flog, und er sich rasch nach dem Innern des Zimmers wandte.

»Denn auch Eugenie –!« rief sie schmerzlich aus.

Doch ließ George von Breda sie ihren Satz nicht beendigen; er stürzte zur Thür hin, riß sie auf und eilte die Treppen hinab nach dem unteren Vestibül, wo er, statt ins Freie zu gehen, tief athmend stehen blieb, denn er wollte den Leuten des Hauses seine Emotion nicht zeigen, und sah noch zur rechten Zeit, daß François, der Kammerdiener, mit seinem glatten Lächeln im Gesicht an der Hausthür lehnte und jetzt auffallend ehrerbietig zurücktrat, als er Jemand kommen sah, den er an der hohen Gestalt wohl für den Baron von Breda erkannte. Glücklicherweise war es in dem Vestibül so dunkel, daß man keine Gesichtszüge mehr unterscheiden konnte.

»Der gnädige Herr befehlen Ihr Pferd?« sagte der Italiener ehrerbietiger, als man es sonst an ihm gewohnt war. »Darf ich nach dem Stalle gehen, es zu holen?«

»Ich danke Ihnen,« erwiderte George von Breda, der sich gewaltsam gefaßt; »ich will das selbst besorgen. Wenn Sie mir aber droben Hut und Reitpeitsche holen wollen, die ich vergaß, wird es mir angenehm sein.«

François flog nach einer liefen Verbeugung die Treppen hinan, holte das Verlangte und erschien gerade vor der Stallthür, als Herr von Breda die Zügel Lords, der in die kalte Abendluft hinaus wieherte, ordnete, um aufzusteigen.

Der alte Herr droben trat wenige Augenblicke nachher in das Zimmer der Baronin und traf sie vor dem Kamine sitzend. Sie hatte den Kopf tief auf die Brust herabgesenkt und hielt ihre Hände gefaltet.

»Ist George schon fort?« fragte er.

Sie erhob ihren Kopf und ließ ihn langsam wieder sinken.

»Das ist schade,« fuhr der alte Herr heiter fort, »denn ich versichere dich, Henriette, er hat dem guten Tondern Unrecht gethan. Als ich die kleine Vase sorgfältig untersucht und geputzt, fand ich im Innern ein Klümpchen Masse, das unzweifelhaft Lehm aus unserer Gegend ist.« Er trat ans Fenster und schaute in den Abend hinaus. »Mich freut das außerordentlich,« meinte er händereibend, »da will ich, sobald es die Witterung erlaubt, in der Lehmgrube sorgfältig nachgraben lasten. – Es wird dir auch Vergnügen machen, nicht wahr, liebe Henriette?«

»O ja,« gab diese zur Antwort; aber es klang wie ein tiefer Seufzer.

»Dann kommt auch Eugenie häufiger hieher,« sprach er vergnügt, »und das ist mir sehr lieb, denn Niemand kann die Sachen, die wir finden werden, so aufstellen wie sie.«

Hierauf lehnte er sich an dieselbe Scheibe, vor welcher auch George von Breda wenige Augenblicke vorher gestanden, und indem er an eine Menge kostbarer Krüge dachte, die er zuversichtlich finden, sowie an seine geliebte Tochter, die ihm beim Aufstellen und Putzen helfen würde, sang er mit leiser, zitternder Stimme:

Où peut-on être mieux
Qu'en sein de sa famille!

George von Breda jagte in den dunkeln Abend hinaus Über den weiten Rasenplatz vor dem Hause, bei den weißen Göttern und Thiergestalten vorbei, die ihn so geheimnißvoll anzublicken schienen. Sein Pferd sprengte über die kleine Brücke bei der Bank an den Steinpfeilern vorüber, in immer tollerem Laufe. Er dachte nicht daran, die Zügel anzuziehen; er sah auch nicht die herabgestürzten Figuren rechts und links, und bemerkte nicht die Brücke, nicht den Steinpfeiler, an welchen er vor ein paar Stunden sein Haupt gelehnt, nicht die Rasenbank, wo sie so oft gesessen. Sein ganzes Denken und Fühlen war durch zwei Worte ausgefüllt, die er oft halblaut vor sich hinsprach, und, wenn er sie dann selbst vernahm, davor schauderte und die Hand auf das wild klopfende Herz drückte.

Er bog, ohne es zu wissen, in den Waldweg ein, er ließ die zerstörten Ruheplätze hinter sich – er dachte nur an die beiden Worte, und wenn er zuweilen an den Himmel empor blickte, auf dessen dunkler Fläche Tausende von Sternen hervorsprangen, immer andere, immer neue, so war es ihm, als zeigten ihm all die leuchtenden Punkte in Flammenschrift die beiden Worte. – Er verließ den Waldweg, erreichte die Höhe der Chaussee; da lag die Stadt vor ihm, mit einem silbernen Schleier bedeckt, auf dem sich leuchtende Stickerei – die Lichter an den Häusern und auf der Straße – zeigte.

Lord drängle heftig nach Hause, und sein Herr ließ ihn gewähren; dachte er doch nur an die beiden Worte. – Roß und Reiter erreichten den Hof; jetzt sah der Letztere das Gewächshaus matt erhellt von dem Lichterschein, der aus dem Eßzimmer hervordrang.

Der Baron stieg langsam vom Pferde, warf dem kleinen Groom die Zügel zu und schritt, ohne den Wintergarten zu berühren, nach dem Haupteingange des Hauses, gebückt, tief nachsinnend, schmerzlich bewegt und doch mit klopfendem Herzen.

– Auch Eugenie! –

Wenige Augenblicke darauf meldete der Kammerdiener der Frau von Breda, der gnädige Herr sei mit heftigem Kopfweh nach Hause gekommen und lasse sich beim Diner entschuldigen; es sei aber durchaus nichts Schlimmes, er bedürfe nur etwas Stille und Ruhe.


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