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5.

Marsch- und Einquartierungs-Leiden

Aber nicht den ganzen Tag wurde so gesungen und gelacht. Es war im Juli, und die Hufe unserer Pferde wirbelten dicke Staubwolken von dem durch die glühende Sonne ausgedörrten Boden empor. Unsere roth verbrannten Gesichter gingen allmählig in die Farbe der Chaussee über, einem gelblichen Weiß, das auch Kollet, Waffen und Pferde überzogen hatte. Der Mund wurde trocken und die Stimme, wie Dose richtig bemerkte, sehr rostig. Man rückte seinen Tschako bald vom rechten Ohr aufs linke, und suchte sich vor dem Drucke dieses bei uns so unendlich schweren Meubels, bald durch ein untergelegtes Sacktuch, bald durch die loser geschnallten Schuppenketten, einige Erleichterung zu verschassen. Hie und da machte einer eine vergebliche Anstrengung, aus der geleerten Feldflasche noch einige Tropfen zu ziehen; aber umsonst, denn die Kraft ihrer Lenden war versiegt, ein Wort, dessen Wahrheit auch heute Morgen der Oberst von T. oder vielmehr dessen Reitknecht sehr schwer empfand; denn obgleich dieser eine unmenschlich große Korbflasche voll Rum zur Tränkung seines Chefs mitgenommen hatte, so war sie doch schon um 10 Uhr geleert und an den sonderbar ängstlichen Blicken, womit der Bursch jedesmal das Gefäß aus den Händen seines Obersts zurücknahm und gegen die Sonne hielt, um den Inhalt überschauen zu können, hatte ich bemerkt, daß der Durst des Herrn mit den Ideen des Dieners über denselben nicht im Einklang stand. Aus diesem Mißverständniß entwickelte sich ein gräuliches Donnerwetter, das dem armen Burschen so gegen zehn Uhr heute Morgen auf den Tschako gefahren kam. Da hatte der Oberst, nicht ahnend, daß der Vorrath zu Ende sey, die Hand rückwärts gehalten und gesagt: »Friedrich, gib mir die Flasch, ik will 'mal enen nehmen.« Und als der Friedrich die Flasche nicht gab, sondern nur einige verlegene Worte stotterte, sahen wir, wie das Gesicht unseres Chefs erst röthlich wurde und dann, als der Bursche sich ein Herz faßte, und ihm eröffnete, die Flasche sey leer, in's dunkelblaue überging. Er warf sein Pferd herum, und während er dem Friedrich durch einen gewaltigen Schlag den Tschako bis über die Ohren in den Kopf drückte, hielt er ihm eine lange Rede, deren Grundtext ungefähr die Worte waren: »Wie ik sehe, du Millionenhund, bist du ein schlechter Kerl, der seinen Chef zu Grunde richten will;« worin er eine Einladung auf einen vierzehntägigen Arrest sehr gut zu verflechten wußte. Mir that wirklich der arme Oberst mit seinem Durst leid, und da ich Anstands halber auch eine Flasche voll Liqueur an meinen Sattelknopf gehängt hatte, aus der ich jedoch nicht trank, da mir aller Schnaps von jeher widerstanden, so hätte ich gern dem Alten meinen ganzen Vorrath überlassen; doch wäre es allem Respect zuwider gewesen, wenn ich mich meinem Chef genähert und ihm die Flasche angeboten hätte. Ich dachte in meiner Unschuld, ich brauchte ihn nur darauf aufmerksam zu machen und er würde mich schon selbst darum bitten. Dies glaubte ich sehr klug angefangen zu haben, indem ich die Flasche in die Hände nahm und mich stellte, als tränke ich daraus, und sie recht nahe dem Auge des Obersten, der zufällig nicht weit von mir ritt, im Sonnenglanze spielen ließ. Auch konnte ich dabei nicht unterlassen, zu ihm hinzuschielen, begegnete aber einem Blicke, der mir nichts weniger als freundschaftlich oder wohlwollend vorkam. Mir schien, als habe er alle meine Manipulationen bemerkt, aber wie ich später mit Schrecken einsah, ganz anders ausgelegt, als ich sie in meiner Gutmüthigkeit erdacht hatte. Auch Dose, der, wo er konnte, mein Schutzgeist war, hatte bemerkt, daß mir der Alte spähende, zornige Blicke zuwarf, und flüsterte mir zu: »Er hat was auf Sie; entweder fangen Sie gleich sein Leiblied an zu singen, wissen Sie das, wo der eine Vers anfängt:

Da sprachen die Herren Hausknechte etc.

oder drücken Sie sich sachte hinter mich, daß ich neben ihn komme; ich will ihn schon anlaufen lassen.« Ungeachtet ich im Augenblick nicht wußte, was ich dem Oberst gethan haben konnte, wollte ich doch diesen zweiten Vorschlag befolgen, und suchte mein Pferd langsam zurückzuhalten. Aber da kam ich schön an: v. T. hatte alle meine Bewegungen beobachtet, und kaum hatte ich eine kurze Bewegung halb links ausgeführt, so donnerte er mich an: »Nu, nu, wo will denn der Herr Bombardier hin? Hoho, hoho! ik habe schon die Unordnung an det Sattelzeug bemerkt. Sehen Se mal, Herr Hauptmann Feind, ist der Mann wohl heute Morgen von seinem Unteroffizier revidirt worden? He! Nein, sag' ich Ihnen! Da sehen S'e die Mantelschnallen, die sitzen nicht mal in einer Linie. Der ganze Mensch ist in einer gewaltigen Confusion – Abgesessen – Ik will ihm lehren ordentlich satteln. Der junge Herr laufen bis in's Quartier zu Fuß. Ja, dem alten Oberst entgeht nischt!« Während er nach dieser Predigt in ein höhnisches Gelächter ausbrach, stieg ich doch ruhig und mit dem vergnügtesten Gesichte von der Welt von meinem Rosse, obgleich es eben kein angenehmes Manöver war, mit der schweren Reithose und dem langen Säbel in dem Staub herum zu springen, daß ich eine dicke, weiße Wolke aufrührte, worin ich wie die Engel auf einem Raphaelischen Gemälde aussah. Auch nahm ich mir erst die Zeit, meine Feldflasche vom Sattel zu nehmen, um mit vielsagendem Blick auf den Alten einen tüchtigen Schluck gegen mein Gefühl daraus zu thun, und es war mir nun klar geworden, er hatte geglaubt, ich wolle ihm nach dem Vorfall mit dem Bedienten mit meiner gefüllten Flasche nur zum Besten haben. Das war mir gewiß nicht eingefallen, und es that mir in meiner Seele weh, so verkannt zu werden. Meine Fußreise dauerte übrigens nicht sehr lange, denn schon nach einer Viertelstunde sahen wir das Städtchen M. vor uns liegen.

Bei einer Windmühle, nicht weit von dem Städtchen, wurde Halt gemacht und die Quartiermeister erschienen, um den verschiedenen Batterien die Nachtquartiere anzuweisen. Die unsrige, so wie alle reitenden, wurden in die benachbarten Dörfer vertheilt; nur ich, der ich in diesem Augenblicke das Glück hatte, beim Regimentsschreiber einige Schreiberdienste zu verrichten, wurde, da er mich zu diesem Zweck um sich haben wollte, zum Stab in die Stadt gelegt. Als der Park arrangirt und die Batterie aus einander in die Quartiere gezogen waren, blieb der Oberst mit seinen Adjutanten und den Wachtmeistern zurück, um den Befehl für den folgenden Tag auszugeben. Ich durfte auch nicht fort; doch zog ich mich von dem Gestrengen in einige Entfernung zurück, mußte mich ihm jedoch bald wieder nähern; denn er stieg von seinem Pferde, und rief, sich rings umsehend: »Nu, wer hält denn so egentlich meinen Gaul?« Sein Reitknecht war mit dem Gepäcke schon zur Stadt gezogen, und da außer den Offizieren sonst Niemand in der Nähe war, so mußte ich, ich mochte wollen oder nicht, herbei, und ihm sein Pferd halten. Wohlweislich hatte ich an dem meinigen die Sattelschnallen gleich bei der Ankunft wie nach der Schnur geordnet und nicht umsonst; denn hatte er mir seinen Zügel in die Hand gegeben, so ging er rings um mich herum, und bemerkte gleich, daß ich meine Schnallen gerichtet hatte. Sein Gesicht nahm einen wohlwollenden Ausdruck an und er sagte: »Nu, nu, wenn man nur seinen Fehler retouchirt, det liebe ich!« Dies machte mir Muth, ihm, als er einen Augenblick darauf einen Bürger fragte, ob nicht in der Nähe ein gutes Wirthshaus sey, aus dem man einigen Rum könne holen lassen, nochmals, jetzt aber mit deutlichen Worten meine Flasche anzubieten. Er sah mich überrascht an, und als ich ihm kurz hinzusetzte: schon früher habe ich ihm, da sein Vorrath ausgegangen sey, den meinigen anbieten wollen, es jedoch nicht gewagt, da schien aus dem rothen Meere seines Gesichtes eine gelinde Richtung aufzutauchen, und es war mir sehr erfreulich, daß er durch den Inhalt der Flasche, den er alsbald ergründete, meine guten Gesinnungen für ihn ebenfalls ergründen konnte. Ich glaube, wir schieden als die besten Freunde, denn indem er mir die Flasche zurückgab, sagte er: »Ik bin sein wohlwollender Oberst!« und das wollte viel heißen. Auf meinem Quartierbillet stand: Straße: Mühlenstraße, Haus: Nr. 18. Herr Kaufmann N. N. bekommt einen Mann und ein Pferd einen Tag lang mit oder ohne Verpflegung; das ohne war aber ausgestrichen, wonach ich verpflegt werden mußte. Doch hatte mir mein guter Dose allerhand nicht sehr erbauliche Geschichten von diesen Verpflegungen erzählt, mich auch, nachdem er mir eine Masse Verhaltungsregeln gegeben, mit sichtbarer Rührung entlassen und gesagt: »Sakrement, wenn der verfluchte Schmierer nicht wäre,« – damit meinte er den Regimentsschreiber – »so hätte ich Ihnen ein gutes Quartier verschafft; jetzt müssen Sie aber für sich selbst sorgen. Beißen Sie sich nur gehörig mit den Bürgern herum; freiwillig geben sie nichts Gutes.« Vor Allem hatte er mir eingeschärft, ich solle mich nur ja nicht aus dem Hause, auf welches mein Billet laute, unter dem Vorwande, man habe keinen Platz, in ein anderes Quartier legen lassen, wo mehrere Soldaten wären; denn dann käme man zu Leuten, die für die fünf Silbergroschen, die per Mann täglich bezahlt würden, von andern Bürgern, denen die Einquartierung eine Last sey, sie übernähmen. Sie wollten dann an diesen fünf Silbergroschen wenigstens viere verdienen und wie eine Verpflegung zu einem Silbergroschen ausfallen müsse, könne ich mir denken. Mit diesen guten Lehren im Herzen hatte ich den festen Vorsatz gefaßt, auf jeden Fall in mein Quartier, Mühlenstraße Nr. 18., zu dringen, und wenn man vor die Hausthüre einen ganzen Berg von Vorstellungen und Gründen lagern würde. So ritt ich durch die Straßen des Städtchens, alle Hausnummern betrachtend und über denselben zu den Fenstern hinaufsehend, aus denen manch niedlicher Mädchenkopf blickte; einige waren so hübsch, daß ich wohl gewünscht hätte, hier sey Mühlenstraße Nr. 18. Endlich kam ich an's Ziel, und es war ein Haus, das mir von außen recht gut gefiel; nur wollte es mir nicht einleuchten, daß an allen Fenstern die Laden zugemacht waren, und ich hätte schon gefürchtet, es sey unbewohnt, wenn nicht an der Thüre ein Bedienter in Livrée gewesen wäre, der mich fragend ansah. Mit vielem Anstand schwang ich mich von meinem Pferde und reichte ihm mein Billet. Er las es durch und sagte mir ruhig: »Ja, das ist ganz richtig; doch müssen sie sich ausquartieren lassen; denn die Herrschaft ist seit zwei Tagen in's Bad gereist, und man hat nur vergessen, es auf der Polizei anzuzeigen. Doch kann es Ihnen gleich seyn, ich bringe Sie zum Vetter der Herrschaft, auch ein sehr gutes Haus.« Ei, dachte ich und freute mich sehr, jetzt gleich schon die Ermahnungen meines Dose in Ausführung zu bringen. Ich versuchte dem Domestiken gegenüber eine imponirende Stellung einzunehmen, was mir aber nicht ganz gelang, denn mein Säbel, auf den ich mich hierbei nothwendig stützen mußte, um mir das gehörige Ansehen zu geben, war für mich zu lang zu diesem Manöver. Aber ich blitzte ihn an, und griff, wie es Dose in ähnlichen Fällen that, an die Stelle, wo ich einen Bart hätte haben können.

»So,« sprach ich, »mich ausquartieren, zum Vetter Ihrer Herrschaft? Na, das wird wohl so ein Vetter seyn, der die Soldaten für fünf Silbergroschen verpflegt. Nicht wahr? Hier steht auf meinem Billet Nr. 18. Mühlenstraße, und da werde ich bleiben.«

Sehr ruhig entgegnete mir der Bediente: »Wenn Sie auf der Straße bleiben wollen, so kann mir das schon sehr gleichgültig seyn; doch ist der Vetter meiner Herrschaft keiner, der Soldaten um fünf Silbergroschen in's Haus nimmt.«

»Entweder in dies Haus oder in keins,« sagte ich zu dem Lakaien in sehr gereiztem Tone. »Hör' Er, guter Freund, ich bin Bombardier bei der sechspfündigen reitenden Batterie Nr. 21, und habe nicht Lust, mich mit Ihm herumzuzanken.«

Ich stieg auf mein Pferd, wandte mich im Sattel noch einmal um und setzte noch hinzu. »Jetzt gleich werd' ich auf's Rathhaus gehen und mir schon Recht verschaffen.«

»Sehr gut,« meinte jener und schloß die Hausthüre von außen; »aber ich möchte doch den jungen Herrn ersuchen, unser Haus erst anzusehen und dann erst auf's Rathhaus zu reiten. Es könnte doch vielleicht so gut seyn, wie hundert andere, die man Ihnen anweisen möchte.«

Doch hatte ich schon mein Pferd gewandt und ritt die Straße hinab gegen das Rathhaus, wo ich die Sache anzeigte, und mußte endlich, trotz allen Protestationen meinerseits, doch ein anderes Quartierbillet nehmen. Ich weiß Straße und Nummer nicht mehr, doch machte ich sie bald ausfindig, und stieg vor diesem Hause, was auch nicht übel aussah, zum zweitenmal vom Pferde, schellte, und wer mir die Thüre öffnete, war der Bediente aus Nr. 18. Mich ärgerte das, doch jener lächelte und schien einige witzige Bemerkungen über meine Zurückkunft von sich geben zu wollen. Doch verbat ich mir in kurzen Worten allen Scherz und verlangte nach dem Stall. Er führte mich zu einem, der gar nicht übel aussah, und in dem ich neben den Wagenpferden des Hausherrn meinen Rappen in einen bequemen Stand stellen konnte. Der Stallknecht kam und half mir absatteln und putzen, was ich heute, da mein Bursche bei der Batterie draußen blieb, selbst hätte besorgen müssen. Er erbot sich, aus dem Magazin meine Fourage zu holen, was mir sehr lieb war; denn ich wär' doch nicht gern mit einem großen Bunde Stroh und Heu und einem Sack Hafer durch die Straßen gelaufen. Zur Schlafstelle wurde mir ein Bett in einem Verschlag neben dem Stalle angewiesen. Es war neben zwei andern, die der Stallknecht und Bediente einnahmen. Ich wollte gegen diese Kameradschaft protestiren; doch die beiden, welche mich natürlich ganz für ihres Gleichen ansahen, meinten gutmüthig, ich solle mich durchaus nicht geniren, wir würden schon gute Freundschaft halten, und sie machten sich für eine Nacht nichts daraus, mit einem Fremden in einem Zimmer zu schlafen.

O Dose! dachte ich, unterdrückte einen tiefen Seufzer, lief, sobald ich im Stalle fertig war, auf die Straße, um unter meinen Bekannten nachzusehen, wie es ihnen ergangen sey. Glücklicherweise stieß ich auch wenige Schritte von dem Hause auf einen derselben, Namens R., der schon in vollem Wir herumflankirte. Dieser R. war ein aufgeweckter, munterer Junge, dem nichts lieber war, als einen tollen Streich mitzumachen. Wir nannten ihn nur den Weißkopf, seines ganz hellblonden Haares wegen, eine Naturgabe, die oft an ihm und uns zum Verräther wurde. Denn hatten wir die Bürger etwas gequält, und wurden denuncirt, so antworteten sie meistens auf die Frage: ob sie keinen von uns beschreiben könnten: »Ja wohl, Herr Hauptmann, der eine hatte ganz weißes Haar.« Da wußte denn unser lieber Feind genug, winkte erst dem R., dann mir und noch einem Andern, Namens E. – Gott hab' den letztern selig, er studirt jetzt in Berlin Thierarzneikunde! – stellte uns dem Ankläger vor, und in den meisten Fällen wurde dieses würdige Kleeblatt freudig wieder erkannt.

Dem Weißkopf theilte ich nun mit, ich müsse mit zwei Kerls in einem engen Verschlag schlafen und bat ihn um seine Meinung, ob da nichts zu machen sey. Er überdachte die Sache einen Augenblick, schnippte dann mit den Fingern in der Luft, und bat mich, ich sollte ihn nur gewähren lassen, nur einige Minuten auf der Straße herumspazieren und dann nach Hause zurückkehren. Es schien ihm ganz leicht zu seyn, mir ein besseres Logement zu verschaffen.

Ich schlenderte die Gasse hinab und bemerkte, als ich mich an der Ecke umwandte, daß R. ruhig auf mein Haus lossteuerte. Nach einer Viertelstunde kehrte auch ich dahin zurück, und sah durch die geöffnete Hausthür, daß der Bediente mit einer jungen, ziemlich hübschen Dame im Gang stand und neugierig eine Karte betrachtete, die letztere in der Hand hielt. Doch gab sie dieselbe bei meinem Eintritt dem Diener und schlüpfte in ein Zimmer zur linken Hand. Ich trat näher und mein neuer Schlafkamerad übergab mir die Charte mit einem etwas ehrerbietigeren Blick, als ich sie seit unserer kurzen Bekanntschaft an ihm gewohnt war, jedoch mit der schüchternen Frage: ob sie auch wohl für mich bestimmt sey? Ein junger Militär mit sehr blonden Haaren habe nur gefragt, ob nicht ein Bombardier, der ungefähr so und so aussähe, hier im Quartier läge, und dann seine Charte mit dem Bescheid zurückgelassen, er würde in einer Viertelstunde wieder vorkommen. Ich betrachtete das Papier und mußte auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzulachen. Wo mochte der Weißkopf das wohl wieder aufgegabelt haben? – » Graf Weiler« stand darauf in zierlicher Schrift, ein Name fremd meinem Ohr, wie seine Absicht meinem redlichen Herzen. Daß ich die Karte mit der Aeußerung, »Ah, von meinem Freund Weiler!« leicht hinnahm, kann jeder denken; dann ging ich nach dem Stalle, der Bediente sah mir nach und trat zur Dame in's Zimmer.

Nach einer halben Stunde, ich hatte sie dazu benutzt, um aus meinem Mantelsack eine eigene Hose, Collet etc. zu nehmen und mich bestens zu schmücken, schellt es am Hause, ich lauschte an der Thür, von wo ich die Hausflur übersehen konnte, und vernahm die Stimme meines Freundes, welcher fragte, ob Baron von Stein jetzt zu Hause sey, und in seiner kurzen Manier befahl, ihn mir zu melden. Der Bediente entgegnete darauf mit halb leiser Stimmen ob ich ein Baron von Stein sey? und öffnete dem Weißkopf ein Zimmer rechts, er wolle mich rufen; doch R. entgegnete ihm: er könne mich besser in dem meinigen aufsuchen, und folgte dem Bedienten, der zögernd voranging. Die Dame öffnete ihre Thür im Gange, sah ihm nach und einen Augenblick darauf traten die beiden in meinen Verschlag. Ich ging dem Weißkopf entgegen und sagte ihm so unbefangen als möglich: »Lieber Graf, es thut mir leid, daß ich Sie in so sonderbaren Umgebungen empfangen muß;« auch war ich eben im Begriff, zum Bürgermeister zu gehen und wiederholt um ein neues Quartier zu bitten. Sehen Sie sich dieses Loch an, ich bin überzeugt, meine Burschen draußen bei der Batterie sind gegen mich elegant logirt.

R. zuckte die Achseln, und sah mit einem verächtlichen Blick erst das ganze Zimmer, dann den Bedienten von oben bis unten an. »Es ist doch wahrhaftig lächerlich,« fuhr ich fort, »daß mich die Leute hier, die doch in ihrem großen Hause sicher ein Zimmer frei haben, in die Stallkammer legen. Nicht wahr, ganz lächerlich? Lachen Sie doch, Graf.«

» Vraiment,« sagte R., und wollte sich in elegant nachlässiger Stellung auf einen Stuhl fallen lassen; doch gelang ihm das nicht vollkommen, denn dieses Meubel, von Holz und dreibeinig, war ziemlich klein, so daß er die rechte Figur nicht herausbringen konnte. Doch streckte er seine Beine so weit als möglich auseinander und vor sich hin und sagte nochmals: » Vraiment, sehr lächerlich! Lachen Sie doch, Baron!« Und wir Beide, allen Zwangs entbunden, platzten heraus, daß die Pferde zusammenfuhren.

Der Bediente stand dabei und sah mit einem ziemlich dummen Gesicht bald den einen bald den andern an. Ich glaube, seine Gedanken hatten sich in unsere Grafschaften verlaufen und es dauerte einige Minuten, ehe er sie wieder in den Stall zurückbringen konnte. Dann machte er eine linkische Verbeugung, sagte etwas von Irrthum, Herrschaft sagen und schob sich zur Thüre hinaus.

»Jetzt fort?« rief der Weißkopf, »komm, nimm meinen Arm, wir gehen etwas spazieren, und wenn Du zurückkehrst und hast kein anderes Zimmer und gehörige Bedienung, so will ich verflucht seyn, morgen alle Pferde der ganzen Batterie zu putzen!« –

Auf der Flur, sobald er glaubte, die Hausleute könnten ihn hören, schrie er mir noch mehrere Male zu: »Ja, Baron, das ist sehr ridicule, sehr ridicule!« wobei er den berlinischen Dialekt nachzuahmen suchte.

Wir schlenderten einige Stunden in der Stadt herum, besuchten alle Caffeehäuser und trieben in den Straßen die ordinären Witze, die man sich in den Jahren erlaubt; frugen z. B. in einem Eisenladen nach dem Preise des feinsten Kattuns, und einen Schuhmacher, was der Beschlag eines Pferdes per Fuß koste, kamen auch dabei zuweilen an den Unrechten, wo es dann einen Austausch von Grobheiten und unfeinen Redensarten gab. Ach, es war eine glückliche Zeit, als man noch halbe Tage auf den Gassen flankiren konnte, ohne zu ermüden, und bei einem Pfeifenladen Stunden lang in tiefes Ansehen versunken stand – sie ist dahin!

Es fing an zu dunkeln, als ich mich von dem Weißkopf trennte und nach meiner Wohnung ging. Die Hausthür stand offen, und ich wollte in meinen Verschlag gehen, als mir der Bediente entgegen trat und mich bat, ihm in den ersten Stock zu folgen, wo ein Zimmer für mich bereit sey. Es wäre heute Mittag nur ein Versehen gewesen, man bäte um Entschuldigung und dergleichen mehr, schwatzte er, woraus ich ihm nichts antwortete und mich mit einem ganz ernsten Gesicht, obgleich ich kaum das Lachen verbeißen konnte, in ein anständiges Zimmer führen ließ, wo schon ein kleiner Tisch gedeckt stand und ein paar Weinflaschen zwischen zwei brennenden Kerzen mir entgegen glänzten. Ich setzte mich, und als mir der Bediente ein gutes Abendessen servirte, trank ich in der Stille einige Gläser Rheinwein auf die Gesundheit des Weißkopfs, dessen Einfall meine Lage so gebessert hatte. Bald kam er auch selbst, um mir die Last zu erleichtern, zwei Flaschen allein austrinken zu müssen, und mich noch zu einer abendlichen Promenade einzuladen. Vor meiner Wohnung stießen wir noch auf vier Andere von der Batterie und vereinigten uns gemeinschaftlich, auf Abenteuer auszugehen.

Von unserem Garnisonorte her waren wir es es noch gewohnt, bis zum Zapfenstreich herumzuschlendern und auf den Straßen zu ulken – ein unübersetzbares Wort, das vom Singen auf der Gasse bis zum Schilderverhängen und Fenstereinwerfen alle möglichen Scandale in sich schließt. Doch dachten wir in unserem Uebermuthe heute Abend nicht daran, daß unser Garnisonort eine große Stadt und W., wo wir uns eben befanden, ein kleines Nest sey und voll Offiziere liege, die uns aus allen Ecken belauern könnten. Leichtsinniger Weise wußte sogar keiner von uns, in welchem Hause der Alte lag, was man auch von außen nicht sehen konnte, denn er pflegte auf dem Marsch seine Ehrenposten gleich fortzuschicken; eine Unwissenheit, die uns theuer zu stehen kam. Von jeher war es unser größtes Vergnügen gewesen, wenn wir in den dicken Reithosen mit großen Sporen und dem schweren Säbel durch die Straßen zogen, etwa zu fünf oder sechs wie heute, in pleno in eins der stattlichsten Häuser, wo die Thüre während der Abenddämmerung noch nicht verschlossen war, zu dringen und, ohne ein Wort zu sprechen, alle Treppen hinaufzusteigen bis in den Giebel oder so hoch wir sonst gelangen konnten. Gewöhnlich kamen bei dem gelinden Getrappel, das wir hiedurch verursachten. Bediente mit Lichter heraus, die, wenn sie uns so keck hinauf gehen sahen, in dem Wahne standen, wir wollten einen Besuch machen, und uns stillschweigend folgten. Oben im Hause wurde gehalten und einer fragt die nachfolgenden Bedienten, die uns erwartungsvoll umstanden, »Lieber Freund, wohnt hier nicht ein sicherer Herr Müller?« und bei dieser Frage wandten sich Alle und jeder suchte ein Stück Treppengeländer zu erhaschen, um die Pointe des Streichs mit mehr Gewandtheit und Sicherheit ausführen zu können; denn kaum hatten die Bedienten, wie es sich von selbst verstand, verneint, so machten wir die Säbel vom Hacken der Kuppel los, ließen die Spitzen der Scheide auf den Boden niederfallen und rasten die Treppen mit solch' entsetzlichem Spektakel und Geschrei hinab, daß alle Bewohner des Hauses erschrocken aus ihren Zimmern kamen, um die Ursache dieses gräßlichen Lärmens zu erfahren. Schon öfter hatten wir dies gethan, und waren immer mit heiler Haut auf die Straße gekommen, obgleich uns mehrere Male allerlei verdächtiges Geschirr nachflog.

Doch heute wollte es ein tückisches Schicksal anders. Wir kamen bei unserm Umherstreifen an ein ansehnliches großes Haus; es war wie gebaut zu unserem Vergnügen, hatte vier Stockwerke, durch welche breite schöne Treppen liefen, alle mit Lampen hell erleuchtet, und die Thür stand sperrweit offen. Diese Gelegenheit war zu schön, um sie vorbeigehen zu lassen. Ungeachtet ich die Stufen zum ersten Mal mit einer gewissen Beklemmung erstieg, ich wußte nicht warum, schämte ich mich doch, umzukehren, und wanderte deßhalb getrost vor den Andern her. Wir kamen glücklich in den ersten Stock, wo sich ein Lakai nach unsern Wünschen erkundigte. Doch war es eine Hauptregel bei diesem Unternehmen, nie auf eine Frage zu antworten, sondern stillschweigend und eilfertig empor zu steigen. Der Diener, da er keine Antwort bekam, folgte uns kopfschüttelnd bis zur Speicherthür, wo wir Halt machten, wandten und ich ihm mit der größten Ruhe sagte: »Hier soll ja ein sicherer Herr Müller wohnen. Weiß er vielleicht dessen Zimmer, mein Freund?« Der Bediente stand da mit seinen Lichtern und sah uns recht dumm an; antwortete aber treuherzig: »Nein, ihr Herrn, das muß ein Irrthum seyn,« worüber wir in ein schallendes Gelächter ausbrachen, die Säbel fallen ließen und die wilde Jagd die Treppen hinabstürmten, die, recht breit und gewölbt, unter unsern Säbeln und Sporen entsetzlich krachte und stöhnte. – Im Hinaufsteigen der Erste, war ich natürlich im Herabsteigen der Letzte. Auch blieb mir mein Säbel einen Augenblick im Geländer der Treppe hängen, so daß meine Kameraden schon auf der untersten Treppe rasten, während ich noch auf der zweiten war. Um ihnen nachzukommen und aus dem Hause hinaus, denn es fing mir an unheimlich zu werden, da sich überall Thüren öffneten und von oben eine Menge Bedienten mit Lichtern hinter mir drein kamen, sprang ich die zehn Stufen der zweiten Treppe auf einmal herab und stand plötzlich wie angedonnert; denn unten im Hause wurde eine Stimme laut, die ich zu meinem größten Entsetzen für die des alten T. unseres Obersten erkannte.

»Ho ho!« brüllte er, »seh 'mal Ener diese nixnutzigen Millionenhunde! Euch sollen ja gleich tausend Schock Donnerwetter auf Eure Köppe fahren! Ho ho! ene ganze Bande! ik will Euch Randal schlagen! – Still gestanden! Muks' sich ener und ik thu' etwas, wat mir morgen nicht lieb wär! Friedrich schließ die Thür ab und schick uf de Parkwache, et soll en Unteroffizier und drei Mann hieher kommen! Standrecht, Standrecht sollt ihr mir haben!«

Wie ich nach dem schnellen Herabstürzen der Treppe so plötzlich zum Stehen gekommen war, weiß ich nicht, doch stand ich hinter einem Treppenpfosten eine Sekunde lang regungslos, und drückte meinen Säbel fest an die Brust, damit mich dessen Klirren nicht verrathen könne. Oben die Bedienten, unten der Oberst. Wohin sollt' ich mich wenden. Ich sah mich rings nach einem Versteck, nach einem Loche um, ein rußiges Kaminloch wär' mir der Eingang zum Himmel gewesen, da seh' ich neben mir eine Thür, in welcher, wie ich bemerkte, leis' ein Schlüssel herumgedreht wird; dann öffnet sie sich ein wenig und ein Lichtstrahl fällt durch die entstandene Spalte auf mein Gesicht, in meiner großen Angst werfe ich mich gegen das Gemach; ich fühlte, als ich versuchte, hineinzudringen, von Innen einen schwachen Widerstand, der aber bei meinem kräftigen Anstürmen nachließ, dann schrie eine Stimme laut auf und ich stand in einem netten Zimmerchen zwei Mädchen gegenüber, die halb entkleidet sich bei meinem Eintritt schnell zu verbergen suchten. Eine zog die Bettdecke über sich, die Andere verbarg ihren leichten Anzug, Corsett und Unterrock, unter einem großen Kleidervorhang. Rasch riegelte ich die Thüre von innen zu, und sagte so leise wie möglich: »Ich bitte Sie um Gotteswillen, verrathen Sie mich nicht. Nur einen Augenblick lassen Sie mich hier, ich verspreche Ihnen, ruhig an der Thür stehen zu bleiben. Die Beiden antworteten mir nichts und schienen in noch größerer Angst zu seyn als ich; denn ich sah trotz Bettdecken und Vorhang, wie sie zitterten und kaum zu athmen wagten. Ich horchte gegen die Thür. Unten fluchte der Oberst noch immer, und jetzt, ja wahrhaftig jetzt zählte er: – »Zwei, drei, vier, fünf, nur fünf? und es sollen doch sechs gewesen sind. Wo steckt der H.? denn dat der och zu dieser Bande gehören muß, ist mir zu wahrscheinlich? Wo de Raben sich versammeln, fehlt de Krähe och nich. –« Meine Kameraden schienen ihm etwas geantwortet zu haben, doch zu leise, als daß ich's verstand. Aber verrathen hatten sie mich nicht, denn der Oberst brüllte wieder: »So, so, kene sechs? Na, ik will ihn doch schon finden. Mein Friedrich hat sechs gezählt, und sechs muß ik haben, oder en Donnerwetter – Johann, Friedrich, sucht mir enmal durch alle Treppen und Zimmer. Na, der Hausherr wird mir det schon erloben und Dank wissen, wenn ich solch Gesindel such auszurotten. – Und ik will Euch ausrotten, wenn auch nicht physisch, doch für einige Zeit moralisch.« – Darauf hörte ich, wie von allen Seiten Zimmer geöffnet wurden und die Bedienten Treppe auf, Treppe ab sprangen, endlich nahten sich auch schwere Tritte der Thür, hinter welcher ich ängstlich erwartete, was meine beiden gezwungenen Beschützerinnen mit mir anfangen würden. – Es klopfte leise und sprach draußen: »Mamsell Emilie – Mamsell Bertha!« Keine gab Antwort, doch zogen sie ihre recht hübschen Köpfe aus dem Versteck und blickten sich fragend an. Ich legte meine rechte Hand auf's Herz und schaute so bittend zu ihnen hinüber, wie mir nur möglich war. Es klopfte wieder: »Ich soll Sie fragen, ob Sie nicht gehört hätten, daß Jemand in ein Nebenzimmer gelaufen sey. Man suche eine fremde Person, die sich im Hause versteckt habe.« Der edle Domestik hatte doch zu viel Zartgefühl, um direct zu fragen, ob Jemand in ihrem Zimmer sey. Jetzt war für mich der entscheidende Augenblick gekommen. Entweder hatte sich mein Unglück in Glück verwandelt, und ich durfte noch eine kleine Weile in einem Zimmer bei den hübschen Mädchen bleiben, oder sie lieferten mich ohne Gnade aus, ich kam auf die Pritsche, in Arrest, Gott weiß, wie lange! Doch nein! sie lieferten mich nicht aus. Nach einer peinlichen Secunde, in der ihre Augen eifrig mit einander zu sprechen schienen, schüttelte die hinter dem Vorhang leise den Kopf, worauf die Andere kaum vernehmlich sagte: »Ich weiß von nichts.« – »Verzeihen Sie,« sprach der draußen, und ich hörte, wie er sich von der Thür entfernte. In der Freude meines Herzens konnte ich mich nicht enthalten, beiden einen Kuß auf die möglichst ehrerbietige Art zuzuwerfen.

Das Nachsuchen im Hause hatte natürlich für den Oberst kein Resultat geliefert, und die Bedienten kamen, einer nach dem andern, die Treppen herunter und meldeten ihm, man habe nichts gefunden; ein Bescheid, den er jedesmal mit einigem Fluchen und Raisonniren hinnahm. Und ich glaubte schon aus verschiedenen Aeußerungen merken zu können, das Gewitter, welches sich über mich zusammengezogen, werde sich über dem Haupt Friedrichs entladen, von dem der Oberst nun meinte belogen worden zu seyn. »So so,« schrie er, »sechs! Oho, da hast du wohl deine Ogen in einer Bierkneipe gelassen! Wo sind die sechs? Ik will die sechse haben. Er Millionenhund wagt es, seinem Herrn und Oberst wat vorzulügen – Sechse – als wenn's mit fünf von diesen Galgenstricken nicht schon mehr als zu viel sey! Nu! Ik werde ihn besechsen, ja besechsen.« Wäre der Friedrich ein rechtschaffener Kerl gewesen und nicht der beständige Aufpasser und Angeber, so hätte ich mich sicher gemeldet, und ihn von dem Ungemach, das ihn bedrohte, errettet. Doch so dachte ich, daß für die manchen Unbilden, die er uns schon zugefügt, eine Nacht Arrest nicht zu viel wäre. Auch waren meine unglücklichen Freunde gewiß sehr erbaut, wenn ihn der Alte mit auf die Wache schickte, was ihm auch nicht ausblieb. An der Thür wurde eine Stimme laut, über die ich mich nicht irren konnte. Es war die des Unteroffizier H., der in seinem gewöhnlichen Tone, dem weinerlichsten von der Welt – es war eine eigene Art von diesem Manne, Alles, was er zu sagen hatte, selbst die lustigsten, muntersten Dinge mit einem gewissen Schluchzen der Stimme hervorzubringen, als erzähle er die fürchterlichste Geschichte – dem Obersten die Meldung machte: »Auf Befehl des Herrn Oberst mit drei Mann von der Parkwache,« worauf ihm der Alte erwiederte: »Hier übergebe ik Ihnen fünf Vagabunden, die die ehrlichen Leute im Schlaf stören, und denen ik dafür die Nachtruhe auch für einige Zeit verderben will. Die behalten Sie auf die Wache, und« – fuhr er lauter fort, »behandeln Sie als Untersuchungsarrestanten. Ik will Standrecht über sie halten lassen, ja Standrecht. Euch soll en Donnerwetter« – Hier verlor sich seine Stimme in ein gelindes Murmeln, einem verziehenden Gewitter nicht unähnlich und mit dem Ton, den er annahm, wenn er ironisch seyn wollte, fuhr er fort: »Und hier ist noch ener, mein geliebtester Bedienter Friedrich, der sich untersteht, seinen Herrn und Obersten anzulügen; den setzt mir die Nacht uf Mittelarrest, ja ja, uf Mittelarrest.«

»Herr Oberst,« entgegnete ihm H., »unsere Parkwachstube ist so klein, daß sie unmöglich alle diese Arrestanten aufnehmen kann. Befehlen der Herr Oberst vielleicht« –

»Oho,« sagte der, »ja, da hab' ik eine gute Idee, lassen Se die Wache in ihr Quartier abziehen und besetzen Se bis morgen früh alle Posten mit dieser liebenswürdigen Gesellschaft.«

»Aber der Bediente des Herrn Oberst hat keine Uniform.«

»So bleibt der als Arrestant in die Wachtstube, bis um fünf; dann schicken Se ihn mir wieder zu. Ik will die sechse voll haben, ja die sechse.«

Unteroffizier H. marschirte nun mit seinen Gefangenen ab, und kaum waren sie vor der Thür, so hörte ich deutlich die Stimme des Weißkopf, der ein altes bekanntes Lied zu singen anfing, dessen Text er so abänderte:

Er mußte wohl den sechsten haben.
Und sollt' er'n aus der Erde graben.

Auch der Oberst mußte diesen Gesang noch gehört haben, denn während er mit dem Hausherr und einigen Andern, die wahrscheinlich zur Abendgesellschaft da gewesen und von dem eben erzählten Intermezzo zurückgehalten waren, die Treppe heraufstieg, hörte ich ihn sagen: »Ja, sehn Se, meine Herren, nun hoben Se gehört, wie ik den Jungens die beste Ermahnungen und Reden gehalten habe, und det hilft Allens nischt. Ik schick sie in Arrest und kaum drehen sie sich 'rum, so fangen sie an zu singen. Aber ik will dem R. det Singen schonst noch legen.«

»Ach, Herr Oberst,« ließ sich jetzt eine Damenstimme vernehmen, »verzeihen Sie doch den jungen Leuten, die in ihrem Uebermuth etwas zu weit gegangen sind.«

»Ja,« sagte ein Anderer, »sie sind wahrscheinlich von guter Familie, haben Geld und in ihrer Lustigkeit des Guten etwas zu viel gethan. Nu, wir haben alle unsere Streiche gemacht. Nicht wahr, Herr Oberst?«

»Ja wohl, ja wohl,« sagte dieser. »Aber wenn ik unter meinem alten General so in en reputirliches Haus eingebrochen wäre, so wäre ik uf die Festung spaziert. Allens mit Unterschied.«

»Denkt dir, Luise,« setzte ein Dritter hinzu, »der mit den weißen Haaren ist ein junger Graf Weiler, wahrscheinlich ein Sohn des Regierungsraths in W., der« –

»Wat sprechen Sie da?« unterbrach hier die Stimme des Alten recht grob die Bitten, die zum Besten meiner unglücklichen Kameraden laut wurden »En Graf Weiler in meiner Brigade, da bitt' ik sehr um Entschuldigung. Es muß en Irrthum vorwalten.«

»Aber Herr Oberst, erlauben Sie,« antwortete jener, »der junge hübsche Mann mit den sehr blonden Haaren hat heute Nachmittag in meinem Hause eine Karte zurückgelassen, auf der deutlich stand: Graf Weiler.«

»Und wenn ik fragen darf,« sagte der Alte halb lachend, »wat wollte denn egentlich der Herr Graf bei Ihnen, eine Visite oder so etwas?«

»Nein,« sprach jener, »mir galt der Besuch nicht, sondern einem andern jungen Militär, der heute bei mir einquartirt wurde, einem Baron von Stein, wie er sich nannte.«

Jetzt brach von T. in ein entsetzliches Lachen aus. Lachen war es eigentlich nicht zu nennen, nein, er wieherte, so daß meine beiden Schutzengel, die nicht darauf gefaßt waren, wie ich, zusammenfuhren. »Hahaha!« brachte er hustend heraus, »Graf Weiler, Baron Stein! Der Baron, das ist sicher der H. Na, ik will Ihnen nur erklären, daß die beeden Jungens wieder enen von ihren schlechten Witzen gemacht haben. Aber ik kenne diese Geschichten.«

Der Andere fing nun an und erzählte, wie es mir diesen Nachmittag in seinem Hause ergangen und daß mir wirklich nur der Graf und Baron ein besseres Zimmer verschafft hätte, da er mich anfangs für einen ganz gewöhnlichen Kanonier gehalten und zu den Bedienten gelegt hätte. Zwischen durch lachte der Oberst beständig und ich hörte ihn noch durch die jetzt wieder verschlossene Thüre des Salons manchmal in die Worte ausbrechen: »Nu, ik werde dat den Jungens nicht nachhalten. Es sind freilich Galgenstricke, aberst wenn sie mir nur keine schlechten Streiche machen. – Nu, ik werde sehen, ob noch einmal Gnade für Recht passiren kann.«

Während daß über mich draußen verhandelt wurde, stand ich noch immer an der Thüre, den beiden Mädchen gegenüber, deren Verlegenheit von Minute zu Minute stieg. Keine wagte sich, halb angezogen, wie sie waren, sehen zu lassen, und die ganze Nacht konnte ich doch nicht hier bleiben, obgleich es mir erwünscht genug gewesen wäre. Hatten sie mich einmal errettet, so mußten sie auch auf meine gänzliche Befreiung aus der Höhle des Löwen denken. Dergleichen schienen sie auch zu überlegen; denn die unter der Bettdecke sagte ganz leise zur andern: »Du, Bertha, was machen wir?« – welche antwortete. »Ich weiß nicht,« worauf beide wie aus einem Munde leicht hinseufzten: »Ach, wenn wir nur angezogen wären!«

»Meine Damen,« sagte ich, so sanft wie möglich, »es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo man durch Verhältnisse in Umstände verwickelt wird, die, wenn sie vergangen, nur noch eine Erinnerung wie an einen Traum zurücklassen; Verhältnisse, zu denen man nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge Jahre gebraucht hätte, können sich im Augenblicke knüpfen. So erging es mir. Vor einer Stunde hatte ich noch nicht die Gunst des Schicksals erfahren, Ihre Bekanntschaft zu machen, und stehe jetzt schon so nahe, so traulich vor Ihnen.« Hier sah ich, wie die hinter dem Vorhang sich noch fester hineinwickelte. »Lassen Sie mich ausreden, vielleicht noch einige Minuten, und ich trete aus diesem Zauberkreise und halte morgen das Ganze für ein Mährchen; aber,« setzte ich bedeutend hinzu, »für ein köstliches Mährchen, an dem sich nur mein Herz ergötzen darf, und das, erführe es ein Dritter, allen Reiz verloren hätte.«

Die unter der Bettdecke wollte sprechen, brachte es aber nur zu einem gelinden Husten und Räuspern, und ich fuhr in meiner Tirade fort: »Schenken Sie mir deßhalb Ihr ganzes Vertrauen, sprechen Sie zu mir nur ein Wort, damit ich weiß, ob Sie mir sehr zürnen, und wie ich es anzufangen habe, um Sie von meiner lästigen Gegenwart zu befreien.«

So leise ich mich auch durch einen Umweg über Menschenverhältniß, Traum und Schicksal glaubte näher geschlichen zu haben, mußte ich doch noch eine halbe Viertelstunde warten, ehe Mamsell Emilie unter der Bettdecke her zu mir sprach; doch machte sie auch Umwege, und viel holprichter, als ich, denn sie kam ohne Zusammenhang bei manchem: Ach, O, Ja, und einer ganzen Legion Hm's vorbei, ehe sie mir sagte: Wir – wir – haben – Sie – hm! deßwegen – hm! hm! – nicht verrathen – weil unser Bruder – auch – Soldat ist, und – zuweilen – wenn er erzählt – wie – er – auf Urlaub kommt – auch solche – du – du – hm! dumme Streiche – macht – und deßwegen – darum – so –«

»So – haben wir –« fiel jetzt die Andere ein – »Sie – nicht verrathen – und wollen – auch sehen – wie – wir Sie – ohne Aufsehen fortbringen können – denn hier im Hause – können Sie – doch nicht bleiben – das sehen Sie ein.«

»Ja – das werden Sie einsehen,« setzte Emilie schnell hinzu.

»Freilich muß ich das einsehen,« entgegnete ich sehr leise.

»Aber, Emilie,« sagte die eine, »Ja, Bertha,« die andere, »wenn wir nur angezogen wären.«

Meine Blicke, die ich mehrmals durch das Zimmerchen spazieren ließ, hatten sich jedesmal auf zwei Sessel niedergelassen, die neben mir an der Wand standen, und worauf die schönsten Sachen in malerischer Unordnung lagen, als zwei schneeweiße Corsettchen, zierliche Morgenüberröcke, einige Paar Strümpfe in der liebenswürdigsten Nachlässigkeit und dergleichen kleine Geschichten mehr. Kaum waren nun jene Seufzer wegen des Ankleidens zum zweiten Mal erklungen, so deutete ich auf die beiden Stühle und bat, ganz über meine Person zu verfügen, wenn ich ihnen von diesen Sachen etwas darreichen könne. Zuerst bekam ich keine Antwort; nach einigen Augenblicken sagte die Eine: »Ja, aber schnell!« und die Andere setzt hinzu: »Aber schnallen Sie Ihren Säbel ab; es wäre schrecklich, wenn der auf den Boden fiele und vielleicht gehört würde.« Rasch stand meine Waffe an der Wand, ich packte die beiden Ueberröcke auf meinen Arm und trug sie mit leisen Schritten zu den Mädchen hin, wobei ich das Vergnügen hatte, sie zweimal auswechseln zu müssen, und während ich mich umdrehte, um die Pantoffeln zu holen, schlüpften beide hinein und stellten sich zum ersten Mal meinem Blicke ganz dar. Es waren allerliebste, hübschgewachsene junge Mädchen. Die eine huschte zur Thüre hin, legte ihr Ohr an's Schlüsselloch und lauschte.

»Es ist jetzt Alles ruhig,« sagte sie nach einigen Augenblicken, »und wir können wagen, Sie fortzubringen. Willst Du mitgehen, Bertha, oder soll ich?« setzte sie fragend hinzu. – »Ach, geh Du nur,« entgegnete die Andere. »Wenn Dich im allerschlimmsten Fall auch Jemand sähe, so würde man doch eher alles Andere denken, als die Wahrheit. Aber ich – würde man nicht wieder glauben, ich hätte – ich wäre – nein, nein, geh Du nur!«

»So hören Sie denn,« sagte die Erste wieder, »und merken Sie genau, wir haben noch eine Treppe bis unten, dann gehen wir um die eine Säule links und steigen nach vier oder fünf Schritten wieder einige Stufen hinab. Ich öffne eine Thür und Sie schleichen an der Mauer links, drücken sich aber dicht an diese Mauer, damit Sie nicht gesehen werden, bis zum Hofthor, das nicht verschlossen ist, gehen hindurch und dann eben so nahe an der Gartenmauer rechts vorbei, wo Sie zu den Windmühlen am Eingang des Orts gelangen; von da werden Sie den Weg schon finden. Nun kommen Sie!«

»Hu!« sagte Bertha, »mir ist so angst und meine kleine Führerin seufzte tief auf. Und Ihren Säbel, den müssen Sie umschnallen und festhalten, damit er uns nicht verräth. Und nun eilen Sie sich, eilen Sie sich!«

Sie reichte mir die schwere Waffe hin, und wie ich mich bemühte, die schwere Kuppel um den Leib zu schnallen, faßte sie drängend mit ihren Händen an das weiße Leder, als wolle sie mir helfen. So standen wir uns einen Augenblick sehr nahe gegenüber, und ich sah ihr beinahe zu tief in die schönen blauen Augen. Sie öffnete behutsam die Thüre und winkte mir. Ich trat einige Schritte weiter in's Zimmer gegen die Andere und bot ihr mit wenigen Worten des Danks meine Hand, die sie zögernd annahm. Dann folgte ich der kleinen Emilie. Leicht huschte sie die Treppe hinab, die jetzt, wie das ganze Haus, in tiefem Dunkel lag. Ich bemühte mich, ihr ganz geräuschlos nachzugehen. Doch war ich boshaft genug, unten an der Säule zu thun, als wüßte ich den Weg nicht mehr zu finden. Ich fragte sie leise. »Wo sind Sie, mein Fräulein?« – »Mein Gott, hier,« entgegnete sie, »da, kommen Sie nur.« Ahnungsvoll griff ich vor wich in das Dunkel und erhaschte wirklich ihre hübsche, weiche Hand, die sie mir entgegenstreckte. Aber ach, der Weg, den wir noch zurücklegen mußten, war so kurz, denn trotz dem, daß ich meine Schritte so klein wie möglich machte, waren wir mit neun und einem halben an die Hausthüre gelangt. Emilie öffnete. Ich weiß nicht, mir war die Brust eng zusammengeschnürt, als sie versuchte, ihre Hand aus der meinigen zu ziehen. Der Nachtwind trug aus dem Garten hinter dem Hause einen würzigen Duft von Rosen und Jasminblüthen an mein Gesicht, welches sie dem Herzen hinabsandte, zu lauter Liebesgedanken umgewandelt – noch eine einzige Minute – und ich schlich durch das Hofthor längs der Gartenmauer zur Windmühle, an deren weißem Gemäuer ich mich einige Minuten niederließ und zwischen Wachen und Träumen philosophirte:

»Unser Lebensfaden, eine Blumenguirlande, wird von Genien gehalten und bewacht, die aber, in ihrer Beweglichkeit, bald hierhin bald dorthin springen und so unser Leben in steter Unruhe erhalten. Auch streift ihr muthwilliges Spiel manche Blume ab, und mit den abgefallenen suchen sie, mitleidig wie sie sind, ein anderes, ganz kahles Gewinde auszuschmücken. Bald ziehen sie die Guirlande zu stark an, und verursachen uns Schmerz, bald schweben sie mit ihr in Lust und Freude herum – doch zuweilen, und das ist sehr gefährlich, entschlüpft ihren Händen das eine Ende, flattert im Unermeßlichen herum, und verwickelt sich nicht selten um eine andere Guirlande. Freilich suchen die Genien, besonders wenn ihnen die Farben der Blumen nicht recht zusammenzupassen scheinen, das Verwirrte aufzulösen; aber bevor es ihnen gelingt, knickt manche Blume, und mancher schöne Blüthenkelch wird entblättert. – Die Unachtsamen! Heute Abend hatten sich wieder zwei Fäden in einander verschlungen. – Der alten Windmühle durfte ich vertrauen. – An der Hofthüre hatte ich die kleine, hübsche Emilie auf den Mund geküßt und dabei einen leisen Druck auf meinen Arm gefühlt.

So mochte es ungefähr zwölf Uhr geworden seyn. Ich erhob mich, um mein Haus aufzusuchen. Trotz dem ich traurig an meine Kameraden dachte, konnte ich mich doch nicht enthalten, über unser Abenteuer zu lachen, und sang im Heimweg halblaut vor mich hin:

Kühn ist das Mühen.
Herrlich der Lohn,
Und die Soldaten
Ziehen davon.

Nach einigem Umhersuchen fand ich mein Quartier, schellte aber wohlweislich nicht, sondern stieg über die Mauer und schlich nach dem Stall, wo ich mich ein paar Stunden neben meinen Rappen in's Stroh legte.

Kaum graute indessen der Morgen, so war ich auch schon munter, und der Stallknecht wunderte sich nicht wenig, mich schon so früh beim Putzen meines Sattelzeugs zu finden. Auch meinte er, wir seyen ja auf dem Marsch und da brauche nicht Alles so rein und blank zu seyn. Doch wußte ich sehr gut, warum ich Säbel und Kupferwerk sorgfältig wie zur Parade putzte, und mit einem nassen Schwamme die Löcher im Lederzeug glättete. Kam ich heut auf den Sammelplatz, und der Oberst, der mich natürlich noch von gestern her im Verdacht hatte, wollte sich an mir reiben, so sollte er wenigstens lange suchen, ehe er etwas Dienstwidriges an meinen Waffen fand. Auch der Stallknecht half mir, und wie ich gegen fünf Uhr mein Pferd gesattelt hatte und es aufmerksam besah, fand ich nichts daran auszusetzen. Man rief mich zum Frühstück. Als ich in's Haus ging, stand unter der Thüre ein Herr im Schlafrock, der mit einer Stimme, die mir bekannt schien, und mit ziemlich spöttischem Ausdruck dem Herrn Baron von Stein einen guten Morgen wünschte, den ich mit größtmöglichster Herablassung erwiederte. Nach einer halben Stunde schwang ich mich auf mein Pferd und ritt der Windmühle zu, auf welchem Weg ich an dem Hause von gestern Abend, an dem Unglückshause, vorbeimußte. Ich bog um die Ecke, und sah vor der Thüre desselben die Pferde des Obersten stehen, und er selbst – dies kam mir sehr ungelegen, – trat gerade aus der Hausthüre, wie ich dieselbe erreicht hatte. Ich setzte mich auf meinem Pferde zurecht, faßte die Zügel so schön als möglich und ließ meine rechte Hand ganz vorschriftmäßig am Sattel herunterhängen. v. T. sah mich an, und ich glaubte schon glücklich vorbei zu seyn, als er mir zurief: »Na, Bombardier H., halten Sie 'mal enen Augenblick.« Ich wandte mein Pferd auf ihn zu, flog aus dem Sattel und stand wie der Blitz zur linken Seite, mit der rechten Hand den Zügel fassend. Der Alte ging um mich herum, besah Alles ganz genau, und fand Gott sey Dank! nichts in Unordnung. Auch sah er ziemlich gut gelaunt aus. »Wahrscheinlich en gutes Quartier gehabt?« fragte er mich. »Und enen guten Stall?«

»Zu Befehl, Herr Oberst.«

»Früh zu Hause gewesen, Herr Bombardier? Oder och mit gewissen Andern herumflankirt?«

»Zu Befehl des Herrn Oberst war ich von acht Uhr an zu Hause,« log ich, ohne eine Miene zu verziehen, schaute aber schüchtern an dem Hause empor, wo sich ein Fenster öffnete, der Kopf der kleinen Emilie sichtbar wurde, aber im Augenblick wieder verschwand.

»Ja, ja,« lachte der Alte, »nach meinem Befehl sollte det wohl sind; aber ik weeß ganz kuriose Geschichten. Der Herr Baron von Steen, ja, ja, ik weeß Allens, nu, nu, ik hoffe, dat Pferd wird och aus der Baronie fouragirt haben. War det Futter gehörig?«

»Zu Befehl, Herr Oberst, das gelieferte gut, die blinde Fourage noch besser.«

»Na, Bombardier H., sitzen Se 'mal uf,« sagte er; »ik will von de blinde Fourage nichts wissen. Und det sage ik Ihnen, wenn Se mal enen kriegen, so muß ich ihn ganz besonders anlassen. Pah! mit det blinde Fouragiren. Wir sind nich in Feindesland – Nu, ik freu mich, dat det Pferd gut aussieht. Aufg'sessen! Marsch!«

Ich wagte noch einen scheuen Blick zu den Fenstern des Hauses hinauf zu schicken, sah aber Niemand. Wer mochten wohl die beiden Mädchen gewesen seyn! Meine Eitelkeit sagte, Töchter des Hauses, wogegen meine Vernunft einige bescheidene Zweifel aufsteigen ließ. Die Töchter würden wahrscheinlich mit in der Gesellschaft gewesen seyn und noch nicht in ihrem Zimmer. Aber die sorgsame Mutter mochte sie vielleicht nicht mit den Offizieren in Berührung bringen wollen; und doch wäre zu den Töchtern nicht der Bediente gekommen, und hätte gefragt: »Mamsell Emilie, Mamsell Bertha!« sondern die Mama selbst. Vielleicht Verwandte des Hauses oder ein paar Kammermädchen? ich mochte das Letztere nicht glauben. Hätte ich nur heute morgen meinen Stallknecht gefragt! doch hielt mich die Furcht ab, die Mädchen zu verrathen. Unter diesen Betrachtungen kam ich auf den Sammelplatz, und hatte weiter nichts ausgeklügelt, als daß es für mich ein paar allerliebste Mädchen, ein paar rettende Engel gewesen waren.

An der Windmühle waren schon die meisten Batterien versammelt; die fahrenden Artilleristen spannten ihre Pferde ein, und die Unteroffiziere untersuchten Protzen und Laffettenkasten, ob Alles noch in der gehörigen Ordnung sey. Auch Dose war damit beschäftigt; doch sah ich, wie er jeden Augenblick seinen langen Hals herumdrehte, alle Ankommenden musterte und etwas zu suchen schien, wahrscheinlich mich, und so war es auch. Ich ritt zu ihm hin, um mich bei ihm zu melden, stieg ab und nahm meinen Platz bei der Kanone ein.

»Sakrement,« fing Dose leise zu mir an, und ich bemerkte, daß er sehr mißmuthig aussah. »Ihr habt da gestern wieder schönes Zeug angegeben. Die Herrschaft hat's dem Capitän heute Morgen gleich gesteckt und auch gesagt, daß einer der fünf Arrestanten während der Nacht erzählt, auch Sie seyen dabei gewesen. Nehmen Sie sich ja vor dem Feind in Acht, er ist gestern und heute fuchswild. Ich habe auch schon meine acht und vierzig Stunden Arrest am Hals.«

»So« entgegnete ich ihm, »wofür denn? weßwegen?«

Doch ich konnte seine Antwort nicht mehr anhören, denn schon trat der Hauptmann Feind mit einem Gesichte auf mich zu, das mir nichts Gutes weissagte.

»Warum,« fragte er böse lachend, »melden sich der Herr Bombardier nicht bei mir, anstatt hier zu stehen und zu schwatzen?«

»Herr Hauptmann, ich komme« –

Er betrachtete mich von oben bis unten, doch da meine Waffen alle in Ordnung und gut geputzt waren, so suchte er einen andern Hacken. Da ich eben vom Pferde gestiegen war und mich natürlicher Weise einige Augenblicke später beim Abmarsch der Batterie wieder aufsetzen mußte, so lies ich meinen Säbel am Kuppel hängen und nahm ihn nicht in die Hand, wie er mit mir sprach. Darauf blieb sein Blick haften.

»Wissen Sie nicht, wie man seinen Säbel zu halten hat,« fuhr er fort, »wenn man mit dem Vorgesetzten spricht?«

»Zu Befehl, ja, Herr Hauptmann.«

»Hören Sie, Herr, mir scheint, Sie haben heute Morgen wieder einmal zu stark gefrühstückt. Wachtmeister – Auch ist mir von dem großen Scandal erzählt worden, bei dem Sie, Herr, natürlich auch betheiligt waren – Wachtmeister Löffel!«

Der Gerufene trat näher und ich wußte bei diesem Eingang schon, wie weit ich für heute war; denn der Hauptmann Feind steckte seine Hand unter's Collet und begann mit dem Fuß auf die Erde zu treten.

»Wachtmeister, dieser Mann hier – notiren Sie« – sprach er so langsam wie möglich und mit einer unnachahmlichen Malice, »kommt in W. drei Tage auf's Holz bei Wasser und Brod wegen nächtlichem Unfug auf der Straße.«

»Aber Herr Hauptmann,« entgegnete ich.

»Aber Herr Bombardier,« sagte er hönisch, »drei Tage Mittelarrest. Herr, Sie soll ein Donnerwetter erschlagen! Ich will Ihnen schon den Weg zu den Epauletten versperren!«

Ick stand wie angedonnert. Nach diesem freundlichen Morgengruß wandte er sich von mir und bestieg sein Pferd; denn neben der Windmühle ließen sich mehrere weiße Federbüsche sehen, und von allen Seiten gallopirten die Offiziere dahin, um ihren Rapport zu machen. Der Oberst von T. kam so eben an, und ritt von den Abtheilungs-Commandanten und Adjutanten begleitet, freundlich lachend zwischen den Batterien umher. Wie waren diese beiden Vorgesetzten, der Feind und unser Alter, von einander verschieden! Jener, die Malice selbst, strafte ohne Herz, kalt und grausam, ohne sich dabei zu ereifern. Dieser war mürrisch, unendlich grob, strafte auch, aber gewöhnlich erst, nachdem er sich so ereifert hatte, daß es uns leid um ihn that. Doch war er meistens gerecht und pflegte oft zu sagen: »No, sitzt man die drei Tage, ik würde Euch schon pardonniren; aberst Ordnung muß sind.« Deßwegen wären aber auch Alle für den Mann in den Tod gegangen.

Bei dem Obersten meldeten nun zuerst die Abtheilungs-Commandanten, und die meisten schienen die wichtige Meldung gemacht zu haben: es sey nichts vorgefallen; denn von T. legte zuweilen, ohne eine Miene zu verziehen, seine Hand grüßend an den Federhut, und ritt langsam auf unsere Batterie zu. Dann kamen die Hauptleute und Alles blieb ruhig, bis unser lieber Feind, den der Oberst wegen vielerlei Ursachen, so auch wegen des ewigen Verklagens und Strafens nicht recht leiden konnte, seinen Morgengruß darbrachte. Dose und ich paßten genau auf, was der Oberst für Miene machen würde, denn daß uns der Capitän noch obendrein bei ihm anzeigen werde, war gewiß. Jetzt hielt von T. sein Pferd an, und ich hörte ihn sehr laut sagen: »Nun, mit det ewige Strafen bei dieser Batterie! Was is denn da wieder passirt? Ik will doch enmal sehen, S'e nennen mir da wieder eine ganze Littanei von Namens, die ik nich alle behalten kann. Na, was hat denn der Unteroffizier Dose, den ik doch als einen ziemlich ordentlichen Menschen kenne, begangen?« Bei diesen Worten stieg er mürrisch vom Pferd und trat an unser Geschütz.

»Herr Oberst,« referirte der Feind, Hand an dem Tschako, »als die Batterie heute Morgen zusammen trat, sah ich zufällig dem Vorrathswagen dieses Unteroffiziers nach, und fand in demselben einen unserer Fouragiersäcke, die gestern alle leer waren, voll Haber. Auf meine Frage, woher die Fourage sey, hatte der Mann die Verwegenheit mir vorzulügen, die Kanoniere hätten von der gestrigen Ration das, was heute Morgen noch in der Krippe gelegen, zusammengescharrt und in den Sack gethan. Aber, Herr Oberst, ich kann ihn herbeiholen lassen, es ist mehr, als gestern im Ganzen geliefert wurde. Ich dictirte dem Unteroffizier acht und vierzig Stunden Mittelarrest.«

»Hm! so so!« entgegnete von T. »Aber man weiter! Wat hat denn so egentlich der Trompeter gethan, von dem Se mir vorhin sagten? Lassen Se mal vortreten. Hieher, mein Sohn!«

Einen unserer Trompeter hatte ich heute Morgen angesehen, daß er kein gutes Gewissen hatte; denn er blinzelte beständig nach dem Oberst hin, und seine Sachen waren gerade so ausnehmend sauber geputzt, wie die meinigen. Jetzt, wo der Alte sich nach ihm erkundigte, streckte er sich lang und begegnete gleich dem suchenden Blicke des Hauptmanns, der ihm mit einer gebieterischen Handbewegung befahl, näher zu treten. Der Trompeter war ein sehr hübscher schlank gewachsener Kerl, und trug die Decoration der Unteroffiziere, denn er diente schon an zehn Jahre und sah, wie er nun dem Oberst gegenüber stand, gar nicht mehr so verlegen aus, wie früher, sondern schaute dem Alten recht keck in's Gesicht. Sein schwarzer, sehr langer Schnurrbart, den er gewöhnlich gegen die Vorschrift zierlich zuspitzte und wichste, hing ihm heute, wie es von T. am liebsten sah, über den ganzen Mund, die Lippen und das halbe Kinn verdeckend.

»Nun,« fuhr ihn der Alte an, »was hat er denn wieder angegeben? Dient schon eine gute Zeit und kann die Narrenstreiche noch nicht lassen. Doch ik hoffe, er hat bei seiner Maskerade, von der ik durch seinen Herr Hauptmann etwas gehört habe, nur enen schlechten Witz ausführen wollen. Wie war die Geschichte?«

»Herr Oberst,« erzählte der Trompeter, »gestern Abend, nachdem ich in mein Quartier gegangen war, mein Pferd abgesattelt und gehörig verpflegt hatte, sitze ich kaum in der Stube, da tritt der Kanonier Müller herein und beklagt sich, er habe ein gar zu schlechtes Quartier, auch fast nichts zu essen bekommen, und trotz dem, daß das Haus seines Bauern sehr groß wäre, sey ihm ein schmutziger Winkel hinter der Treppe zum Schlafen angewiesen worden, und dabei bat er mich, weil ich doch schon länger diente und die Sache besser verstände, ich möchte ihm doch helfen, daß ihn der Bauer etwas besser tractire. Ja, sehen Sie, Herr Oberst, und da bin ich mit ihm hingegangen, und hab' dem Wirth etwas scharf in's Gewissen geredet, und – dann – ja« –

Feind griff an seinen Tschako und sagte: »Erlauben, Herr Oberst, der Trompeter beging die außerordentliche Frechheit, auf seinen Tschako einen weißen Federbusch zu stecken und an die Schwalbennester auf seinem Collet Franzen von Goldpapier zu nähen.«

»So,« sagte von T. »er hat auf seinen Hut einen Federbusch gesteckt, wie ihn sein Oberst trägt?«

»Zu Befehl, nein,« erwidert der Trompeter, »er war nur von Papier.«

»Dann,« referirte der böse Feind weiter, »ist dieser Mensch in das Quartier des Kanonier Müller gegangen, hat gewaltig geflucht und unter einer Masse von Schimpfworten dem Bauer aus einander gesetzt, er sey der Hauptmann der Batterie und habe gehört, man lege seine Kanoniere in's Hundeloch unter der Treppe. Augenblicklich soll er ihm die Zimmer seines Hauses zeigen, unter denen er eins aussuchen werde.«

Dem Oberst fuhr ein kleines Lächeln wie ein Blitz über die Züge, doch hörte er gleich wieder mit ernster Miene zu.

»Der arme Bauer,« erzählt der Hauptmann weiter, »schließt in der Angst seines Herzens, weil ihm der Trompeter mit dem Säbel droht, seine Wohnung auf, und die beiden saubern Gesellen suchen sich das beste Gemach aus, wo sie das Sattelzeug und ganze Gepäck des Kanonier Müller hineinschleppen und der Bauer mußte obendrein noch einen Krug Bier bringen, den sie auf das Wohl Seiner Majestät unseres allergnädigsten Königs austrinken. Doch kommt dem Hauswirth die Sache ein wenig verdächtig vor, und nachdem sich die beiden entfernt haben, geht er zum Wachtmeister, der in einem Nebenhofe liegt und erzählt ihm das Vorgefallene, wodurch es sich natürlich gleich aufklärte. Ich ließ den Trompeter und Kanonier holen und dictirte Beiden drei Tage Mittelarrest.«

»So, so, hm, hm!« sprach der Oberst wieder und sein Gesicht, das sich bei der Erzählung des Hauptmann's Feind aufgeklärt hatte, wurde bei der Erwähnung der drei Tage Arrest so mürrisch, wie früher. Er rückte seinen Federhut auf's rechte Ohr. »Nu, nu,« fuhr er heraus, »und wat hat denn der Dritte gethan, von dem Sie gesprochen. Ik globe, es war der Bombardier H. Kommen Sie hieher, Bombardier! der hat ja in der Stadt gelegen, wat is mit dem?«

»Wie mir heute Morgen der Unteroffizier Herrschaft meldete,« fuhr der Feind fort, »haben der Herr Oberst gestern Abend fünf junge Freiwillige auf die Parkwache geschickt, weil sie sich nächtlichen Straßenunfug zu Schulden kommen ließen, und da einer von diesen während der Nacht äußerte, der Bombardier H. sey ebenfalls dabei gewesen, aber entkommen, so habe ich ihm, denn ich kenne den Mann und weiß, daß er bei einer ähnlichen Gelegenheit nie fehlt, auch drei Tage Mittelarrest zuerkannt.«

Nach dieser Anklage schaute ich erwartungsvoll zum Alten empor, der mit einem gewaltigen Ruck seinen Federhut wieder auf das linke Ohr brachte, den Säbel auf die Erde stemmte und einen gelinden Zorn zu bekämpfen schien.

»Hören Se, Herr Hauptmann Feind,« sprach er so ruhig als möglich; doch sahen wir zu unserer großen Freude, daß er an sich halten mußte, um nicht grob zu werden; »ik will Ihnen unter uns sagen, dat mir des ewige Strafen durchaus nicht gefällt, überhaupt bei solchen Gelegenheiten wie die drei erwähnten, und wenn der Oberst von T. ein gut Wort inlegt, so wird der Trompeter, so wie der Unteroffizier Dose nur eine Strafwache erhalten, und der Bombardier H. gar nischt, denn ik, der alte T., Commandeur von die siebente Brigade, sage Ihnen, dat er nich bei die fünf gewest ist. Hören Sie, Herr Hauptmann Feind, er war nich bei die fünf, und wenn er och dabei war, so bekommt er doch keene drei Tage Arrest; denn ik, sein Oberst, habe sie alle pardonnirt, weil sie mir einen dummen Streich gemacht haben, und zwei dumme Streiche verzeihe ik viel lieber als eine Nachläßigkeit. Ordnung muß sind.«

Wir sahen uns alle mit verklärtem Blicke an; jedem rollte ein Stein vom Herzen. Der Alte griff an seinen Federhut und wandte sich an einen Commandeur der Abtheilung.

»Herr Oberst-Wachtmeister, lassen Se ufsitzen und abmarschiren.«

Dann bestieg er sein Pferd, und ritt, von seinen Adjutanten und Ordonnanzen gefolgt, aus den Batterien, nach dem freien Platz an der Windmühle, um die Abtheilungen bei sich vorbei defiliren zu lassen.

Auch der Hauptmann Feind bestieg sein Roß, wobei er Dose und mich mit einem bösen Seitenblick beehrte, zog den Säbel und commandirte: »An die Pferde – Stille gestanden« – Mit einem Mal stockte jetzt die noch vor einem Augenblick so lebhafte Bewegung an allen Geschützen, die Stückknechte traten zu ihren Pferden, den Kantschuh in der linken Hand, die Reiter hinter die Kanonen und Haubitzen – keiner rührte sich. Für mich war dieser Augenblick immer der angenehmste und interessanteste gewesen. Wenn Alles in Ordnung war, das Pferd gehörig gesattelt und gepackt, alles kleinliche Nachsuchen nach Rostflecken am Säbel u. s. w. hinter uns lag, wenn das Pferd ungeduldig trat, und ich mich nur hinaufschwingen durfte, um ein Reitersmann zu seyn; dann war ich mit den Pistolen am Sattel und dem Säbel an der Seite ein wirklicher Krieger; kein Soldat, dessen Hauptbeschäftigung es ist, nach Zählen rechts und linksum zu machen und das Lederzeug zu putzen. Dies war der einzige Augenblick, in welchem mir das Soldatenleben noch in dem Lichte erschien, in welchem ich es in meinen früheren romantischen Träumen erblickt hatte. Besonders heute Morgen beim Abmarsch war ich sehr froh gestimmt. Vor uns lag das Manöver, von dem mir Dose so viel Schönes erzählt hatte, so wie von der Annehmlichkeit, einmal vier Wochen bei den Bauern zu liegen, natürlich auf einem schönen großen Hofe, wo man sich Abends in's Gras unter die jungen Aepfel- und Birnbäume legte und dem melodischen Läuten der heimkehrenden Heerde zuhorchte; hinter mir waren die verfluchten drei Tage Mittelarrest, die mir der gute Feind gegönnt; unter mir das bethaute duftende Gras; über mir der blaue Himmel, und in meinem Herzen der Kuß der hübschen lieben Emilie. – »Aufgesessen!« – das Wort fuhr zündend in meine Träume. Ich flog in den Sattel – »Marsch!« – und als die Trompeter munter die Melodie: »Frisch auf, Kameraden, auf's Pferd! auf's Pferd!« schmetterten, fühlte ich mich ganz glücklich und pfiff dieselbe Weise laut für mich hin; doch nicht lange, denn unser Wachtmeister Löffel, das Echo des Kapitäns, der mich eben so wenig leiden konnte, wie dieser, ritt an mich heran, drehte seinen Schnurrbart und sagte in nicht sehr liebevollem Tone: »Hören Sie, Herr, Ihnen wird man das Pfeifen doch noch einmal legen.« Schnee an einem Frühlingsmorgen. Ich konnte mich im jugendlichen Uebermuth nicht enthalten, dem dicken Wachtmeister ganz ruhig zu antworten: »Meinen Sie mich? Ganz recht, heute ist Dienstag.« Er antwortete nichts darauf, doch zog er sein Notizenbuch hervor, und schrieb etwas hinein, was er später dem Kapitän zeigte, der eine Bewegung mit Kopf und Hand machte, als wolle er sagen! »Ich will das schon arrangiren!« Und er arrangirte es auch so, daß mir der Abtheilungs-Commandeur bei der nächsten Parade für einen kleinen Riß in meinem Futterbeutel drei Tage Mittelarrest gab. Ländlich, sittlich! Durch Staub und Sonnenhitze, abwechselnd bald singend bald lachend, bald mürrisch und fluchend, zogen wir durch die einförmige Pappelallee der Landstraße, und es mochte ungefähr zwei Uhr geworden seyn, als wir

Wie ein Gebild aus Himmelshöhen

den Stabsquartiermeister auf seinem magern Schimmel mit der mächtigen Brieftasche unter dem Arm bei einer Biegung der Straße auf uns zutrotten sahen. Jedes Gesicht klärte sich auf und selbst die Pferde schienen des langen Marschirens müde; denn als der alte Oberst vorn an der Spitze sein Halt donnerte, bedurfte es nur eines gelinden Zupfens an den Zügeln, um sie gleich zum Stehen zu bringen. Der Mann mit der Brieftasche öffnete dieselbe, und herausspazierte Dorfschaft um Dorfschaft, in die unsere Batterien zu liegen kamen; ein Theil der Brigade nach der Festung W., die eine Batterie hierhin, die andere dorthin, und da die Dörfer in hiesiger Gegend meistens nur aus einigen Höfen bestehen, so blieb auch fast keine einzige Batterie beisammen, sondern beinahe jedes Geschütz hatte seinen eigenen Hof oder sein Dorf. Das unsrige hieß Fettenweiden, ein Name, der dem Dose sehr zu gefallen schien, indem er hoffte, etwas von der fetten Weide müsse auf's Quartier übergegangen seyn; doch leider weit gefehlt, es war entsetzlich mager. Der Alte hielt uns noch von seinem Roß herunter, wobei er beide Arme in die Seite stemmte, eine Rede über gutes Verhalten, Ordnung in den Quartiren und Sorgsamkeit auf Waffen und Monturen, wovon wir aber bei dem allgemeinen Scharren der Pferde und Klirren der Geschirre nur einzelne Worte und Ausdrücke, die den dumpfen Baß seiner Stimme wie Blitze durchschnitten, verstanden, besonders sein »denn ik sage Euch, Ordnung muß sind!« das er heute sehr häufig anwandte. Auch der Kapitän Feind, von dem wir uns leider trennen mußten, denn er lag in einem andern Dorfe, hielt uns zum Abschied noch eine Rede voll Moral. Seine liebenswürdigen Redensarten waren um den alten Text vom zu starkem Frühstücken gewickelt. Endlich waren wir erlöst, Dose ließ aufsitzen und nach einer halben Stunde gelangten wir zur fetten Weide, fünf bis sechs kleinen Häusern, die am Rande der Heide lagen, auf der die Manöver abgehalten wurden. Doch hatten wir auf der andern Seite einen dichten Eichenwald, den ein kleiner Bach von den Höfen trennte, und im Hintergrund stiegen schlanke Pappeln und Tannen auf, zwischen denen ein schönes gelbes Gebäude durchblickte, das Landhaus eines Grafen R., bei dem unser Abtheilungscommandeur im Quartier lag. Dose's Gemüth, das der Anblick der kleinen Häuser etwas niedergebeugt hatte, wurde erfrischt durch den grünen Wald, den Bach und das Palais im Hintergrunde. Er vertraute mir, daß er fühle, wie die Poesie bei ihm zurückkehre, versprach mir fest, mich nächstens mit einigen Gedichten zu überraschen, und träumte, während wir unsere Pferde durch eine große Mistpfütze in einen schlechten Stall ziehen mußten, von Waldpromenaden und dergleichen, und sagte mir: »Ach es gibt für mich nichts Poetischeres, als Verse zu machen!«


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