Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Illustraion: Theodor Hoffmann

4.

Die Wache – Der Arrest.

Die Zeit war herangekommen, wo ich meine erste Wache thun sollte, zu der ein Rekrut von seinen Kameraden mit großen Feierlichkeiten eingeweiht wird, welche hauptsächlich darin bestehen, daß er die ganze Mannschaft der Wache den Tag über mit Bier, Brod ec. bewirthet. Er bekommt dafür auch den besten Posten zugetheilt. Ich fügte mich in dieses Herkommen und sollte dafür zum erstenmale am Hause des Obersten stehen, was ein sehr gelinder Posten seyn sollte. Der Wachtmeister und mein Unteroffizier hatten mich gehörig instruirt. Der Oberst wohnte in einem Hause, welches vor der Thüre einen kleinen Garten hatte, wo das Schilderhaus stand und in welchem ich auf und ab marschiren konnte. Ich zog um drei Uhr Nachmittags auf, und der Kamerad, den ich ablöste, meldete mir, der Herr Oberst sey nicht zu Hause, was die Schildwache immer wissen muß. In der ersten halben Stunde gefiel mir das Wachestehen. Ich spazierte in dem Garten auf und ab, besah mir die Blumen, summte ein Lied vor mich hin und bildete mir ein, ich sey ein bedeutender Mann im Staate geworden. Bald aber fing die Zeit an mir lang zu werden; ich zahlte die Knöpfe meiner Uniform, die Hühner, welche um mich herumliefen, und die Tauben auf den benachbarten Häusern; ich maß das Gärtchen nach allen Richtungen und gestand mir. Schildwache stehen sey doch kein sehr beneidenswerthes Loos.

Da trat die Frau Oberstin in die Hausthür; es war eine vornehme Dame aus einem adeligen Geschlecht. Sie sprach zu mir mit sehr feiner Stimme: »Kanonier, sieh auch ein wenig nach den Hühnern, damit sie nicht so auf den Blumen herumtreten.« Das schien mir eine eigene Zumuthung. Ich, als Ehrenwache vor die Thür meines Chefs gestellt, sollte mich so weit herablassen, die Hühner zu bewachen! Dies erwägend, nahm ich meine feinste Stellung an und entgegnete der Dame: »Frau Oberstin, es thut mir leid, aber meine Instruktion besagt nur –« Doch weiter hörte mich die Gnädige nicht an, sondern ging in's Haus zurück, ohne mich ferner eines Blicks zu würdigen. Ich dachte: auch gut, und machte wie früher meine Gänge, trat zuweilen an die Fenster der Küche und wechselte dann und wann einige Worte mit dem Kutscher, welcher an einem derselben stand und Stiefeln putzte. Endlich fragte ich ihn, ohne gerade viel dabei zu denken: »Johann, kommt der Alte bald zurück?« Ich meinte den Obersten; aber o Himmel! kaum hatte ich diese Worte gesprochen, als sich über mein Haupt ein sichtbares Gewitter, in der Person des Alten selbst, entlud. Er lag oben im Fenster, hatte meine Rede vernommen und brüllte herab: »Oho, wohl ist der Ole da; wird aberst bald herunter kommen, ihm en Bisgen den Hals zu brechen, er Millionenhund!« Ich prallte an mein Schilderhaus, zog den Säbel fest an die Schulter und regte mich nicht. Der Alte mußte indessen zur Hinterthür hereingekommen seyn. Mein Herz pochte heftig; es verging eine peinliche Viertelstunde, noch eine, und es nahte die Zeit, wo die Ablösung jede Minute erscheinen konnte, und die wohl nie ein Soldat so sehnlich erwartet hatte, wie ich in diesem Augenblick. Die Uhr schlug fünf, da polterte es die Treppe herab und der Oberst trat mit seinem großen Federbusch aus dem Hause, gerade vor mich hin. Ich präsentirte so schön, wie ich es in meinem Leben nicht gemacht hatte. Er sah mich genau an, musterte mit finsterem Blick meinen Anzug, und weil er bemerkte, daß Alles in der besten Ordnung war, legte sich sein Zorn etwas; er sagte bloß: »Och so'n Freiwilliger, so'n Windbeutel! Ja, ja, die Hühner fortjagen, det is den jungen Herren zu viel, aberst uf'm Posten zu sprechen, zu fragen, ob der Ole bald kommt, det können se. Na ik bedanke mir für die jütige Erkundigung, will sie mir aberst in Zukunft verbeten haben.« Damit ging er und mir rollte ein Stein vom Herzen. So war ich denn zum zweitenmal seinem Zorne entronnen; aber das Schicksal wollte, daß ich nach einigen Tagen wieder mit ihm zusammen gerieth, wo es mir nicht so gut erging.

Es war uns Freiwilligen sehr unangenehm, daß wir unsere eigenen seinen Uniformen nicht mehr offen tragen und darunter eine propere weiße Weste zeigen durften, auch immer mit dem schweren Dienstsäbel gehen sollten, statt des eigenen leicht mit der schön lakirten Kuppel, wie ihn die Offiziere trugen. An einem unvergeßlichen Sonntage berieth ich mich mit einigen Andern, ob wir es nicht wieder einmal wagen sollten, uns im vollen Glanz aller dieser verbotenen Gegenstände, wozu noch die sehr streng verpönte hohe Halsbinde kam, welche aber zu einem feinen Anzuge gehörte, in der Stadt sehen zu lassen. Es wurde viel dafür und dagegen gesprochen. Einer meinte, man könne ja sorgfältig umherspähen und bei der geringsten Gefahr rechts und links davon laufen. Ein Anderer rieth, man sollte sich bis vor die Stadt durch entlegene Gäßchen schleichen, welcher letztere Vorschlag als der beste angenommen wurde. So zogen wir Nachmittags aus der Kaserne, auf's Beste geschmückt, jeder hatte ein unerlaubtes Kleidungsstück angezogen, der eine schwarze Beinkleider, ein anderer eine feine Kuppel, ein dritter eine ungeheuer hohe Halsbinde mit starrendem Kragen, ich trug das Collet aufgeknöpft und eine weiße Weste darunter. So wandelten wir mit ziemlicher Angst durch einige Straßen, scharf um uns herspähend; doch plötzlich blieb der Erste stehen und brach in den Schreckensruf aus: »Da kommt der Oberst!« Verschwunden waren alle die schönen Vorsätze, ihm zu entfliehen. Wir standen beim Anblick seines wackelnden Federbusches festgebannt, wie der Wanderer, wenn er eine giftige Schlange sieht, und machten Front. Ich versuchte, eilig mein Collet zuzuknöpfen; der mit der Halsbinde stand gerade an der Seite, woher der Oberst kam, und war so der ersten Ansicht blosgestellt! er hatte jedoch die Geistesgegenwart und eben noch so viel Zeit, die Binde an der Seite des Halses, welche zuerst gesehen wurde, hinein zu stopfen, was im Gegensatz zur andern, wo sie himmelhoch emporragte, höchst sonderbar aussah. Wir standen; der Oberst kam heran, bemerkte anfänglich nicht das Dienstwidrige unseres Anzugs, denn er sagte: »Nu, die jungen Menschen sehen recht flott aus, ik liebe das.« Einer meiner Kameraden hat mir später gestanden, er habe in diesem Augenblicke gebetet: »Lieber Gott, laß' den Oberst an uns vorübergehen;« aber er ging nicht vorüber, sondern mit einem Mal lagerte sich ein finsterer Ernst auf seinen Zügen; die Ader auf seiner Stirn schwoll; er bemerkte den stehen gebliebenen Theil jener Halsbinde und zog ihn noch höher, dem Unglücklichen beinahe bis über die Ohren.

»Oho, wat is denn das, Millionenhund!« schrie der Oberst, »und Ihm,« er wandte sich zu mir, »Ihm guckt ja das Hemd aus der Hose!« Ich schaute erschrocken hinunter. O weh! in der Eile hatte ich das Collet schief zugeknöpft und die weiße Weste lugte verrätherisch hervor. – »Nun,« fuhr der Oberst fort, »is et nich das Hemd? nich?« – »Nein, Herr Oberst,« stotterte ich, »meine Weste!« – »So? ene Weste? Nu, ik will Euch bewesten! Und der da trägt ene dienstwidrige schwarze Hose! Ihr seyd mir ein schönes Corps! Und der vierte der nobeln Gesellschaft trägt ene Kuppel, wie sie sein Oberst nicht trägt. Marsch in die Kaserne! Ik will euch dahin begleiten!«

Wir mußten gehorchen und er führte uns zum Wachtmeister, der nicht wenig über diesem Aufzuge erstaunt war. Die ganze Kaserne gerieth in Aufruhr, Alles sah zu den Fenstern heraus, wie wir ankamen; denn der Oberst fluchte in Einem fort über den Hof die Treppe hinauf. Er machte kurzen Prozeß; wir erhielten wegen dienstwidrigen Anzugs vier-und-zwanzig Stunden Mittelarrest, welche Strafe, da es Sonntag war, gleich an uns vollzogen wurde. Der Wachtmeister schrieb einen Zettel an die Verwaltung des Arrestlokals, worauf unsere Namen prangten und der uns einen freundlichen Empfang sicherte. Wir mußten unsere schlechtesten Kleider anziehen und ein Stück Brod, zwei Pfund schwer, welches für einen Tag reichte, unter den Arm nehmen. Es ist das einzige Nahrungsmittel, das nebst Wasser dort genossen wird.

Arrest! Militärarrest! O es ist etwas Fürchterliches! Hat ein edler Mensch an einem Tage kein gutes Werk gethan, so denkt er, der war verloren in meiner Lebenszeit; aber er hat ihn doch verlebt diesen Tag in Luft und Sonnenschein. Spricht ein Spitzbube am Abend, während er eine harte Brodrinde mit Mondschein genießt: »Auch wieder unnütze vier-und-zwanzig Stunden mitgemacht, nichts profitirt!« schweig Elender, du hast doch den blauen Himmel gesehen, dich an der milden Luft erfreut! konntest dich in Gras und Blumen legen und von vergangenen besseren Dingen träumen! Kommt der Kettengefangene nach Hause und wirft sich seufzend auf die harte Pritsche, so murmelt er: »Habe wieder ein neues Tagewerk in den Abgrund geschleudert, der meine ganze Lebenszeit verschlungen hat!« Aber hast du nicht Menschen gesehen? hat nicht das Licht der Sonne deine Ketten vergoldet! Haben sich nicht tausend Gegenstände, die dich bei der Arbeit umgaben, an die Last deiner Stunden gehängt! sie vom Zeitrade rasch abwickelnd. Aber der Tag, den ich im Militärarrest verbringe, ist todt und schwarz, ich habe ihn nicht verlebt; er ist eine Lücke in meinem Leben! –

In mehreren Thurmgewölben, welche über einander liegen, sind hölzerne Käfige gebaut, in jedem sechs bis acht, drei Fuß breit, fünf lang und vielleicht acht Fuß hoch. Ueber der Thür, welche nach Art der Menageriekasten mit zwei Riegeln verschlossen wird, ist ein vergittertes Luftloch von einem Fuß im Quadrat. Die Thüre des Kastens ist jedoch so angebracht, daß sie von den Fenstern des Gewölbes abgekehrt ist, daher jene Oeffnung fast gar kein Licht gibt. Das Mobiliar besteht aus der Pritsche, einem Brett, welches beinahe den ganzen Raum einnimmt und an der einen Seite festgemacht ist, ferner aus einem Wasserkrug und einem Eimer. Das ist der Mittelarrest. Die leichteste Sorte ist der gelinde Arrest, wobei der Gefangene statt der Pritsche einen Strohsack hat und täglich warmes Essen bekommt. Diesen Arrest haben auch diejenigen Soldaten, welche eines Verbrechens halber in Untersuchung sitzen, wodurch für den, der bloß wegen eines leichten Vergehens hieher gebracht wird, viel Unannehmliches entsteht. Es ist mir vorgekommen, daß ich in diesem gelinden Arrest mit Dieben, einmal sogar mit einem Mörder zusammensaß. Der strenge Arrest endlich ist ein Lokal, in welches kein Strahl des Tageslichtes fällt, das weder Pritsche noch Strohsack hat, und also der Gefangene auf dem Fußboden schlafen muß. Er wird meistens durch kriegsgerichtliches Erkenntniß ertheilt, für schwerere Vergehen in Portionen von drei Tagen bis sechs Wochen. Ich habe nie die Ehre gehabt, persönliche Bekanntschaft damit zu machen. Ferner befinden sich in einem Militärgefängnisse noch einige Kammern, deren Wände und Fußboden mit scharfkantigen Hölzern besetzt sind, die sogenannten Latten. Sie werden indessen nicht mehr gebraucht, höchstens in ganz seltenen Fällen, wenn z.B. einer der Kettengefangenen sich Wiedersetzlichkeiten gegen seine Wachen erlaubt.

Unser Militärgefängniß wurde, wie schon früher bemerkt, Nummer 7 ½ genannt und stand unter Aufsicht eines alten Invaliden von der Infanterie, der sich Herr Inspektor schimpfen ließ. Wir nannten ihn im gewöhnlichen Leben den Onkel; auch hatte man ihm den Titel Rattenkönig gegeben, wegen der Masse dieser Thierchen, welche mit den Soldaten in Nummer 7 ½ unter seinem Kommando standen. Dieser Rattenkönig war ein alter, mürrischer Kerl. Die kleine gebrechliche Figur mit einem Gesicht, welches stets ein boshaft lächelnder Zug markirte, war in einen blauen Invalidenrock gehüllt; auf dem Kopf trug er eine weiße Nachmütze, welche bei seiner Gewohnheit, im Sprechen mit dem Kopf zu nicken, beständig vorne überwankte. Dazu hustete er beim dritten Wort und es war seine Seelenlust, wenn einer von uns Freiwilligen seinen Arrest benutzte. Bei unserer Ankunft lächelte er bedeutend und sagte: »Hä, neue Namen, neue Namen! hä – soll euch bei mir gefallen! – Ich will euch in den Thurm setzen, wo die Eulen pfeifen, in die Spitze unter das Dach; da ist viel frische Luft! hä, hä!« Er untersuchte, ob wir keine verbotenen Gegenstände, als Branntwein, Butter oder dergleichen Lebensmitteln bei uns trugen, und brachte uns darauf in eines der Gewölbe, wovon ich oben sprach, öffnete die Kasten und hieß uns eintreten. Beim Anblick des Lokals konnte ich mich nicht enthalten, auszurufen: »In dieses Hundeloch!« Dies nahm er aber sehr übel und entgegnete zornig: »Hä hä! der Grüns'nabel, der Grüns'nabel! will es besser haben, als andere ehrliche Menschen! Nur hinein! nur hinein!« Ich gehorchte und die Riegel wurden vorgeschoben.

Es war ungefähr fünf Uhr. Die Zeit schlich entsetzlich langsam; von einer Viertelstunde zur andern, welche ich alle deutlich schlagen hörte, däuchte mir eine Ewigkeit. Ich ging in meinem Käfig herum; mit zwei Schritten war ich von einem Ende zum andern, und ich habe diesen Raum wenigstens tausend Mal gemessen. Wie gern hätte ich jetzt die Hühner der Frau Oberstin bewacht! Zuweilen nahm ich mein Brod zur Hand, dann setzte ich mich auf die Pritsche trank Wasser, stand wieder auf. Horch, die Uhr schlägt! Erst wieder ein Viertel! Ich versuchte zu schlafen, aber die Glieder schmerzten mich schon nach den ersten Minuten auf dem harten Holze, kurz, ich langweilte mich entsetzlich. Doch so lange der Tag dauerte, ging es noch an; denn obgleich es in dem Kasten so dunkel war, daß man die Farbe der Kleidungsstücke nicht unterscheiden konnte, so hatte man doch einen Schimmer von Licht, und es war allenfalls möglich, in dem Gefängnisse auf und ab zu gehen, ohne sich den Kopf zu zerstoßen. Auch hörte man zuweilen von der Straße her ein dumpfes Gemurmel, Sprechen, Lachen der Vorübergehenden, das Kommando der Wache, wenn sie ablöste, lauter Kleinigkeiten, welche indessen die Zeit doch etwas tödteten. Doch wie sich die Nacht herabsenkte, es immer dunkler, endlich stockfinster ward, als der Lärm auf den Straßen schwieg und rings Todtenstille herrschte, da wurde es rein unerträglich. Obendrein war es ziemlich kühl; ich lief auf und ab, wie der Bär in der Menagerie, eben so brummend, wobei ich die Arme vor mich hielt, um zu fühlen, wann ich an die Wand kam. Ich dachte an meine Sünden, und daß ein hübsches junges Mädchen in diesem Augenblicke bei jedem Geräusch an ihrer Thür den Schirm der Lampe, bei der sie saß, emporhob und mich zu hören glaubte. Ihr zu Liebe hatte ich mich geputzt und dafür meine Wohnung in Nummer 7 ½ erhalten. – Ich machte es, wie Jean Paul anräth, wenn man nicht schlafen kann, ich zählte bis in die hunderttausend; ich conjugirte unregelmäßige Zeitwörter, bis ich ganz verwirrt ward. Meine Phantasie forcirend, begann ich den Kerker mit verschiedenen Bequemlichkeiten auszumalen: eine Lampe, welche von der Decke hing, beleuchtete mit zauberischem Licht ein kleines Tischchen, worauf einige Flaschen Wein und Beefsteaks standen, an die Stelle der Pritsche dachte ich mir ein schwellendes Ruhebett, auf welches gelagert ich diese Herrlichkeiten genoß. Aber ein Biß in mein schwarzes Brod entzauberte mich; ich saß auf dem Brette und die Dunkelheit gaukelte vor mir her in seltsamen Gestalten.

Auf einmal rasselte die Trommel vor der Wache; an entfernten Punkten der Stadt hörte man Zapfenstreich blasen; also neun Uhr, und so hatte ich denn noch acht volle Stunden zu genießen, ehe der Tag kam. Ich machte Anstalten zum Schlafen, legte mir ein zusammengewickeltes Taschentuch unter den Kopf, kauerte auf der Pritsche wie ein Igel zusammen, und deckte mein Collet, welches ich ausgezogen hatte, über Brust und Arme, weil es so mehr wärmt. Nach vielmaligem Umändern meiner Lage schlief ich endlich ein und träumte schrecklich. Ich machte ein ganzes Heldenleben durch, ich kämpfte mit Riesen, fiel in tiefe Abgründe, wo ich Schlangen, wilde Thiere und Gespenster erwürgte. Plötzlich fahre ich aus dem Schlafe auf, besinne mich. Gott sey Dank! nach dem, was ich im Traume Alles gethan, muß ich lange geschlafen haben; in kurzer Zeit wird mir ein schönes Morgenroth tagen. Neben mir höre ich etwas plätschern: ein Mäuslein ist in meinen Wasserkrug gefallen; ich befreie es von dem gewissen Tode, wofür es mich in den Finger beißt. In stiller Ergebung setze ich mich auf die Pritsche, bewege meine Glieder, die vom langen Liegen ganz steif geworden sind, und harre geduldig, bis eine Uhr schlagen wird, damit ich erfahre, ob bald der Morgen kommt. Horch! eins, zwei, drei, vier – es sind Viertel; und welche Stunde? – eins, zwei – schon zwei Uhr? – drei – das ist schön! – vier – nun, Gott sey Dank! – fünf – ich springe auf – sechs – unmöglich! da müßte es heller seyn! – sieben – o weh! sollte es erst zwölf Uhr seyn? – acht – neun – zehn – Ich sinke entsetzt zurück. Zehn Uhr! gerechter Himmel! erst zehn Uhr! ist es möglich? ich habe nur eine einzige Stunde geschlafen? Aber es war nicht anders; eine Uhr schlug nach der andern – alle nur zehn.

Ich wiederholte jetzt das Manöver mit dem Zudecken und Zusammenkriechen, wie früher, wünschte mir die Haut des gehörnten Siegfrieds, seufzte viel und schlief am Ende wieder ein. Ich träumte dies und das; mehrmals wäre ich beinahe in einen reißenden Strom gestürzt, denn ich fühlte im Halbschlummer stets, wenn ich durch eine Bewegung im Schlaf in Gefahr war, von der Pritsche zu fallen, und klammerte mich dann an das Holz fest. Auf einmal aber wurde mein Traum düster, unheimlich; ich war nicht mehr der lustige Freiwillige, den eine weiße Weste in den Kerker gebracht, nein! mein Athem konnte kaum die Brust erheben, so schwer drückte ein Mord darauf: ich war ein Mörder, und dies meine letzte Nacht. Schon dämmerte der Morgen, schon klirrten die Gewehre der Wachen, welche mich zum Tode führen sollten. Die Riegel an meiner Thür rasselten zurück – ich fuhr wirklich empor, durch eine plötzliche Helle erweckt, die mir scharf und schmerzend in die Augen drang. Die Thüre meines Kastens war geöffnet, vor derselben stand die Wache, an ihre Flinten gelehnt und der Inspektor Rattenkönig trat herein. Er krähte: »Grüns'nabel – hä! – will er aufstehen, der Grüns'nabel!« – »Was soll's?« entgegnete ich heftig, »laßt mich schlafen!« – »Ei sieh doch! hä –« sprach jener, »ich bin der Herr Inspektor und untersuche die Lokale, ob auch Alles in gehöriger Ordnung ist – hä. – So, mein Söhnchen, das Collect ausgezogen? – Darf das seyn? Hätte wohl Lust, den Grüns'nabel der Commandantur zu melden, und die Commandantur spaßt nicht – hä – gibt drei Tage Mittelarrest, daß die Seele pfeift! Gleich das Collet anziehen! – Und hat auch auf die Erde gespukt, der Grüns'nabel! – hä – Wozu is der Eimer da?« – Damit lief er so schnell hinaus, als seine alten Beine erlaubten, schob die Riegel vor, und ich saß wieder im Dunkeln. – Heute, wo ich dies schreibe, ist der Rattenkönig todt; und jetzt wäre es mir noch weit unheimlicher, dort im Arrest zu sitzen. Ich fürchte, er geht um und schleicht in der Mitternacht hüstelnd längs aller Käfige, im alten Invalidenrock, mit der weißen Nachtmütze über dem vertrockneten Gesicht.

Die Nacht ging zu Ende, wie Alles in dieser Welt zu Ende geht. Aus einem neuen Halbschlummer in den ich gesunken, erweckte mich das Lärmen der Reveille auf allen Punkten der Stadt. Nie habe ich einen Morgen mit größerer Freude begrüßt. Um sechs Uhr wurden unsere Käfige durch den Onkel geöffnet, und wir durften, von Wachen umgeben, in einem kleinen vergitterten Hofe eine Viertelstunde lang frische Luft schöpfen. Die Gesellschaft, welche sich hier aus allen drei Stockwerken des Thurms zusammenfand, glich, mich eingerechnet, eher einer Bande Wegelagerer, Ueberbleibseln eines langwierigen Krieges, als friedlichen Soldaten einer wohlgeordneten Macht, welche eine kleine Unregelmäßigkeit, höchstens ein dummer Streich an diesem Orte des Grauens versammelt. Infanteristen, Dragoner, Artilleristen, Pioniere bewegten sich in den alten, durch die Leiden eines mehrtägigen Arrestes noch defecter gewordenen Uniform durcheinander; die Beinkleider ohne Träger hingen der Bequemlichkeit halber herunter und zeigten ein gelbes Hemd mit unzähligen kleinen Blutflecken. Von Natur frische Gesichter schimmerten, da sie während des Arrestes selten gewaschen wurden, in's Dunkelgraue, die Haare flatterten verwildert um den Kopf, eben so der Bart, denn Kamm und Scheermesser sind verpönte Gegenstände. Während dieser Morgenassemblee schienen aber die Leiden der vergangenen Nacht rein vergessen. Da wurde gescherzt und gelacht; Bekannte trafen sich und erzählten einander, was sie hieher gebracht, wobei sich auswies, daß sie alle gleich unschuldig waren. Die Wasserkrüge wurden neu gefüllt, und als nach Ablauf der bestimmten Zeit der Onkel mit einem bedeutenden Winke in den Hof trat, folgten ihm Alle und zogen sich in ihre Kabinette zurück.

Von jetzt an verging mir die Zeit viel geschwinder. Ich war ja auf dem Berge und wandelte dem Thale der Erlösung entgegen. Endlich kam die Stunde der Befreiung: der Inspektor trat in unser Gewölbe, rief uns mit Namen auf und öffnete die Thüren unserer Käfige. Ha, mit welcher Wollust schlürfte ich die milde Luft des schönen Frühlingstages ein! und ganz ohne Schranken wäre meine Lust gewesen, hätte uns der Rattenkönig nicht ein finsteres Gespenst auf den Weg gegeben, mit den höhnischen Worten: »Hä! hä! werde hoffentlich das Vergnügen baldigst wieder haben, Sie zu bewirthen.«

Mit meiner Ausbildung ging es indessen rasch vorwärts. Mein geschmeidiger Körper lernte besonders das Reiten und Voltigiren mit Leichtigkeit. Ich sprang sogar von hinten über den Mantelsack in den Sattel und gewann mir dadurch so ziemlich die Gunst meines Kapitäns. Mein Unteroffizier betrachtete meine Evolutionen und Exercitien mit freudestrahlendem Gesicht. Offiziere wie Kameraden nannten mich wegen meiner kleinen Figur und der zuweilen sehr kindischen Streiche, die ich machte, nur »das Kind.« Mein Muthwille war, wenn auch nicht stadt-, doch batteriekundig, und wenn irgendwo eine Neckerei vorgefallen, war, so pflegte mein Freund, der Lieutenant L., seinen Schnurrbart zu zupfen und zu sprechen: »Na, da wird wieder das Kind die Hand im Spiel gehabt haben!« Nachdem ich so sechs Monate gedient, geschah das Außerordentliche, daß ich, obgleich noch nicht siebzehn Jahr alt, zum Bombardierexamen zugelassen wurde. Der Bombardier ist die unterste Charge in der Artillerie. Er hat Unteroffiziersrang in der Armee, und ihm liegt im Felddienst und im Kriege das Richten des Geschützes ob. Er muß lesen, schreiben, die vier Species rechnen können, etwas Mathematik verstehen, muß bei allen Arten von Geschütz exercieren, Munition anfertigen, schadhafte Lafetten etc. herstellen können, ferner wissen, wie man ein Pferd beschlägt, besonders aber sich stets ordentlich betragen haben. Noch vier andere wurden mit mir zu gleicher Zeit examinirt. Wir bestanden Alle ziemlich gut und wurden einige Wochen darauf zu Bombardieren ernannt, bei welchem Akt der Oberst von T. mir die Geschichte mit der weißen Weste noch einmal vorhielt. Wir bekamen das Zeichen unseres Ranges, eine goldene Tresse an jeden Aermelaufschlag genäht. Ich werde des glorreichen Tages stets gedenken, wo ich als Chargirter zum erstenmale auf der Straße ging und beständig meinen Arm in die Höhe hob, damit jeder gleich sehen könne, ich sey etwas geworden. Ich fühlte mich nicht wenig, als einige Kavalleristen bei mir vorbeigingen und mich vorschriftsmäßig grüßten; ich fing wirklich an, etwas zu werden, denn wer's erst zum Bombardier hat gebracht, steht auf der Leiter zur höchsten Macht.

Da mit meinem Avancement meine militärische Ausbildung nun beendigt war, so schließt hiemit ein wichtiger Abschnitt meines Militärlebens. Es war unterdessen Sommer geworden und die Zeit rückte heran, wo wir die jährlichen Schießübungen begannen, zu welchem Zweck sich die ganze Brigade auf einer großen Heide bei W. versammelte, welches ungefähr zehn Stunden von unserm Garnisonsorte lag, und auf den Dörfern um die Stadt Cantonirungsquartiere bezog. Die Protzen wurden mit scharfer Munition bepackt, die Geschütze kriegsmäßig beladen, und an einem schönen Morgen rückte die ganze Batterie aus, der Oberst von T. an unserer Spitze, der sehr gut gelaunt war, wie meistens, wenn es zu den Feldübungen ging. Kaum hatten wir die Stadt im Rücken, so erlaubte er, daß gesungen wurde. Wir setzten uns in den Sätteln bequem, ließen dem Pferd die Zügel, lüfteten den Tschako und begannen unser Leiblied:

Wie ziehen wir so fröhlich
Mit Sang und Klang hinaus!
Beschirmet ist ja immer
Des Artilleristen Haus.
Es schreckt uns nicht
Des Feindes Uebermacht;
Wir führen ja den Donner
Der heißen Schlacht.


 << zurück weiter >>