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3.

Die Reveille. – Der Stall. – Unterricht.

Die erste Nacht, welche ich in der Kaserne zubrachte, schlief ich herzlich schlecht. Der frischgestopfte Strohsack gab dem Druck meines Körpers durchaus nicht nach; auch hatte ich in der Nacht mehrmals einen und denselben Traum. Mir war, als ruhe ich auf einem Hügel, den ich, wie man das in der Jugend wohl thut, hinab zu rollen versuchte. Dies gelang Anfangs vortrefflich; doch im Thale angekommen, stieß ich mit dem Körper an einen Baumstamm, der im Wege lag, erwachte und sah zu meiner Verwunderung, daß ich aus dem Bette gefallen war. Dies begegnete mir mehrere Male, weßhalb ich denn gegen drei Uhr beschloß, nicht mehr zu schlafen. Auch ermunterte mich der Gedanke: heute wirst du zum erstenmal in die Mysterien des Stalldienstes eingeweiht. Guter Gott! ich sollte sie nur zu genau kennen lernen, diese wahren Misterien. Um vier Uhr stand ich auf und erwartete sehnsüchtig das Signal, welches mich zu den Pferden hinab rief, jenen Geschöpfen, die ein tapfrer Ritter als sein zweites Selbst achten, lieben, putzen und füttern muß. Endlich erklang die Trompete; die ganze Stube gerieth in Aufruhr, und ich war der Erste auf dem Gang, wo ich eben noch sah, wie der Hornist im bloßen Hemde dastand und das Signal blies. Dann schlüpfte er wieder in seine Stube zurück, um sich noch ein paar Stunden in's warme Bett zu legen. Das gefiel mir nicht am Trompeter, dem Manne, der im Feld der Erste seyn muß, muthig, gewandt. Was kann er nicht Alles durch einen einzigen Trompetenstoß ausrichten! Und er hatte nicht einmal eine Hose an, als er sein Signal vortrug! Erkannte denn der Mann gar nicht seine hohe Stellung? Wenn ich mir sonst einen Trompetenstoß vorstellte, so mußte er von einem Manne ausgehen, mit gewaltigem Barte, gewappnet, den Säbel an der Seite, einem Mann, würdig, daß eine ganze Schaar tapferer Männer dem Hauch seines Mundes folgte. Wieder eine Seifenblase, die mir zersprang! Ich konnte den Trompeter ohne Hose lange nicht vergessen; aber nicht lange, so sah ich gar Manches nakt und bloß, was aus der Entfernung so glänzend und elegant erscheint.

Im Stalle empfing mich mein Unteroffizier Dose nach seiner Gewohnheit mit einer feierlichen Anrede, welche er aber aus einem Buche ablas. Er sprach von der Wichtigkeit des Stalldienstes, wie der Kavallerist ohne Pferd kein Kavallerist, item gar nichts sey, wie der Reiter darum für sein Pferd die größte Sorgfalt haben müsse u. s. w. Er übergab mir daraus das Buch, aus dem er gelesen, das von außen und innen sehr an die climatischen Einflüsse des Stalles und der Wachtstube erinnerte, wobei er mir sagte, es sey von einem unserer höhern Offiziere verfaßt, welcher auch schon viele patriotische Lieder gedichtet. Man kann kein barokkeres Werk sehen. Das erste Kapitel handelte vom Putzen und Reinigen der Pferde und fing wörtlich also an:

§. 1. »Sieh, mein liebes Pferdchen, das ist der Mann, der dich putzen und pflegen soll. Er wird jeden Morgen um fünf Uhr (im Winter um sechs Uhr) zu dir kommen, zuerst die Streu, auf welcher du die Nacht über geschlafen, draußen im Hofe ausbreiten, damit dieselbe trockne, dann wird er deine Halfterketten kurz binden und §. 2 das Putzen sub a) mit der Striegel beginnen etc.« Das ganze Buch bestand größtentheils aus Paragraphenzeichen, Titeln und Nummern. In der Vorrede war gesagt, die resp. Batteriechefs möchten gütigst darauf halten, daß vorliegendes Buch jeder Kanonier seinem Pferd zuweilen vorlese, wodurch nicht nur die Kenntniß des Dienstes befördert, sondern auch der Mannschaft Gelegenheit geboten würde, sich im Lesen zu üben.

Ich steckte das Buch in die Tasche und der Unteroffizier ging mit mir im Stalle umher, zeigte mir vorerst dessen Einrichtung und forderte mich auf, den andern Kanonieren genau zuzusehen, damit ich Nachmittags, denn es wird täglich zweimal geputzt, mein Pferd selbst besorgen könne. In einem Militärstalle ist ein recht lustiges Treiben. Die Reinlichkeit, die überall herrscht, der gepflasterte, rein gewaschene Fußboden, die saubern Latierbäume, welche ein Pferd vom andern absondern – Alles sehr artig. Der eine Kanonier pfiff, ein anderer sang, hier zankten sich ein Paar um einige Halmen Streu. Dazu das Schütteln und Schnauben der Pferde, das Wiehern der kitzlichen, wenn sie unter dem Bauche gestriegelt werden – es ist ein recht lebendiges Bild. Mein Unteroffizier blieb mit mir vor einer langbeinigen Stute stehen, welche er mir als sein Schlachtroß vorstellte. Dabei spukte er aus und sprach: »Das ist der Krokus, eines der vornehmsten Pferde der ganzen Christenheit. Sie sehen, daß es mich kennt, weil es seinen Kopf nach mir wendet. Doch, Krokus,« fuhr er fort, »wende dich wieder um; sonst, wenn der Herr Hauptmann Feind kommt, wird er sagen: wir scheinen stark gefrühstückt zu haben.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, es war wahrhaftig wie ein Theatercoup, so klopfte ihm der Kapitän, welcher unterdessen leise eingetreten war, eigenhändig und ziemlich derb auf die Schulter, indem er sagte: »Hören Sie, Unteroffizier Dose, es kommt mir vor, als hätten wir wirklich heute Morgen besonders stark gefrühstückt.« Dose stand wie angedonnert und stotterte einige unverständliche Worte; auch ich war ziemlich betroffen, und wurde es noch mehr, als mir der Kapitän mit scharfem Tone sagte: »Es wäre mir lieber, wenn ich Sie bei ihrem Pferde getroffen hätte.« Ich schlich mich leise weg, nahm Striegel und Kartätsche und fing an, meinen braunen Wallachen zu bearbeiten.

Jeder Mann muß von seinem Roß zwölf Stricke herunterputzen, einen Fuß lang und einen Zoll dick. Das will heißen: den weißen Staub, welcher mit der Kartätsche vom Pferde geputzt wird, streicht man in die Striegel und klopft ihn aus dieser in Strichen auf den Boden. Es gehört viel Uebung und Kraft dazu, diese Quantität Staub von einem Pferde täglich zweimal herunter zu bringen, und die Faulern in der Batterie halfen sich zuweilen damit, daß sie die Striche von Kalk formirten und so die scharf controllirenden Unteroffiziere hintergingen. Ich konnte trotz aller Mühe, und obgleich mir schon in der ersten Viertelstunde der Schweiß vom Gesicht lief, nicht mehr als acht Striche zu Stande bringen, womit sich denn auch Dose für heute zufrieden erklärte und mir erlaubte, auf meine Stube zu gehen.

Nachdem ich hier eine halbe Stunde geruht, mußte ich, wie gestern, zum Exerciren, dann zum Appell und Abends um sechs Uhr in den Vortrag, auf den ich sehr begierig war. Es ist dies eine Unterrichtsstunde, in welcher ein Offizier den Soldaten aus einem kriegswissenschaftlichen Lehrbuche, bei uns dem früher erwähnten Artillerieleitfaden, eine Vorlesung hält, und sich nachher durch Fragen über das eben Vorgetragene überzeugt, ob auch etwas in den Köpfen der Zuhörer hängen geblieben. Er ward auf einer von unsern Stuben vom Lieutenant v. R. gehalten, welcher ein ziemlich gnädiger Herr war, nur etwas zu stolz. Wenn er hereintrat, hütete er sich sorgfältig, in irgend eine Berührung mit dem Mobiliar unserer Stube zu kommen. Sein Bursche mußte ihm einen Stuhl nachtragen, auf welchen er sich setzte. Darauf drehte er die Spitzen seines Bartes, rümpfte die Nase, und begann stets mit den Worten: »Es riecht aber hier gar zu sehr nach schlechtem Taback.« Er räusperte sich, roch an einem Bouquet, welches er mitgebracht, und nahm heute das erste Kapitel des Leitfadens vor, welches von der Eintheilung der Artillerie im Allgemeinen handelt. So erfuhr ich denn, daß eine Brigade von einem Oberst kommandirt werde und drei Abtheilungen habe, deren Chef jedesmal ein Major sey, und welche aus fünf Batterien bestehe, einer reitenden, einer zwölfpfündigen, zwei sechspfündigen und einer Festungscompagnie; jede Batterie habe acht Geschütze, als: sechs Kanonen und zwei Haubitzen. Ferner trug er vor, das Gewicht der Kanonenkugel sey stets gleich ihrer Benennung, eine sechspfündige Kugel z. B. wiege sechs Pfund, aber bei den Granaten und Bomben sey es anders u. s. w. Das Alles und dergleichen mehr lernte ich im ersten Vortrage. Ich bemerkte dabei, daß fast die Hälfte meiner Kameraden selig entschlafen war und sie auf an sie gerichtete Fragen, durch einen Rippenstoß ihres Nebenmanns erweckt, die seltsamsten Antworten gaben, was aber auch zuweilen bei den wachenden vorfiel.

Ich habe während meiner Dienstzeit Gelegenheit gehabt, Subjekte kennen zu lernen, welche von Mutterwitz überflossen, alle lustigen Streiche mitmachten, sobald es aber darauf ankam, etwas zu lernen und zu begreifen, unbegreiflich bornirt waren. So erinnere ich mich, wie ein gewisser Kanonier nicht behalten konnte, daß das Schießpulver aus Salpeter, Schwefel und Holzkohlen bestehe. Alle angewandte Mühe war vergebens; in diesem Augenblick wußte es der Mensch, und fragte man ihn einige Sekunden später, so nannte er meistens zwei dieser Stoffe, ohne sich auf den dritten besinnen zu können. Die Offiziere und der Kapitän hatten sich alle erdenkliche Mühe gegeben: es half nichts. Da hörte der alte Oberst von T. von dem Menschen und wollte sich selbst von dieser Originalität überzeugen. Er ließ sich den Kanonier vorstellen und fragte ihn: »Mein Sohn, sage nur, woraus denn det Pulver so eegentlich besteht?« Jener blieb stumm; v.T. erklärte ihm, es sey aus Salpeter Schwefel und Holzkohlen zusammengesetzt, und forderte ihn auf, ihm nun diese drei Artikel zu nennen. Der Kanonier stotterte: »aus Holzkohlen, Schwefel –« und stockte. Auf's Neue sagte ihm der Oberst die Bestandtheile vor, und diesmal nannte jener: »Salpeter, Schwefel« und hatte die Kohle vergessen. Nachdem sich dies so mehrere Male wiederholt hatte, glaubte v. T., der Mann sey verlegen, weil ihn sein Oberst in eigener Person examinirte, er nahm also seinen Federhut ab und sagte: »Stelle dir einmal vor, ich sey nicht der Oberst von T., sondern dein guter Kamerad, der Kanonier T., und komme nun ganz freundschaftlich zu dir, klopfe dich auf die Schulter und sage: Mein lieber Kamerad, thu' mir doch den Gefallen und sage mir, woraus das Pulver besteht. – Was würdest du antworten?« Da öffnete der Kanonier seinen Mund und entgegnete mit ziemlich verdrießlichem Tone: »Dann würde ich sagen, Kammerad T., das weißt du besser als ich.« Der Oberst stand von ferneren Versuchen ab und entfernte sich mit lautem Lachen.

So verlebte ich einige Wochen, lernte zu Fuß exerciren, Wendungen machen, den Säbel gebrauchen, im Stall von meinem Pferde zwölf Striche putzen, es satteln und zäumen, und sollte nun zum Reiten selbst schreiten. Hierin erhielt ich mit den übrigen Freiwilligen Unterricht vom Lieutenant L. Dieser war in jeder Hinsicht, als Soldat wie als Mensch, ein achtungswürdiger und liebenswerther Mann. Sollten ihm vielleicht diese Blätter zu Gesicht kommen, so sage ich ihm hiemit meinen herzlichsten Gruß und besten Dank für die Nachsicht und Güte, die er statt Hochmuth und kleinlicher Quälerei zu meiner und meiner Kameraden Erziehung verwandte. Alle, welche damals und später unter ihm dienten, werden sich dankbar seiner erinnern, wenn es mir auch nicht erlaubt ist, den Namen dieses Braven auszuschreiben. Es ist einem Offizier so leicht, sich die Liebe seiner Untergebenen zu erwerben. L. war im Dienste sehr streng, aber er war gerecht und brauchte seine Vernunft. Freilich ist es eine Aufgabe, welche viel Geduld erfordert, einen rohen Haufen, meistens Bauern und Handwerker, umzuformen, ihn gehorsam, ordentlich, kurz zu Soldaten zu machen. Aber es geht schon, wenn man die Sache nur recht angreift. Die jungen Herren, von der Kriegsschule kommend, haben in ihren Heften und wissen vielleicht auch auswendig, was sie mit einer Compagnie anzufangen haben, wenn es gilt, die Evolutionen durchzumachen. Sie wissen vielleicht die fertige Maschine zu brauchen, sie zusammenzusetzen, jedes Rad, jeden Stift auszubilden, scheint ihnen auch eine leichte Sache, aber sie können es doch nicht. Mit Gewalt, mit jugendlicher Heftigkeit fahren sie über den rohen Stoff her und glauben, es bedürfe nur einiger zierlich geführten Hammerschläge, und das unförmliche Eisen bilde sich zur elastischen Feder, zum Triebwerk der Maschine; aber im Gegentheil, es will ruhig und besonnen angegriffen seyn, langsam ausgefeilt und sorgsam angepaßt. Ein ungestümes Anstürmen auf den einzelnen Mann fruchtet nichts; mit einer Fluth von Schimpfworten, mit unzeitigen Strafen und Quälereien kann man in einer Stunde mehr verderben, als in einem halben Jahre wieder gut zu machen ist. Der Rekrut will ruhig behandelt und sorgfältig unterrichtet seyn, und das verstand Lieutenant L. Ging eine Sache zum ersten Male nicht, so ließ er sie zum zweiten, zum dritten Male machen, ohne großmaulig zu räsonniren, und nur dann erfolgten harte Worte und nachdrückliche Strafen, wenn durch die Fehler böser Wille oder Eigensinn blickte. Da höre man aber Offiziere, wie ich deren manche kennen gelernt. »Auf mein Kommando: Auf! Ihr hebt euch mittelst beider Arme die linke Hand in die Mähne gefaßt, die rechte auf die Croupe des Pferdes gestützt, mit geradem Körper an demselben in die Höhe und bringt auf das zweite Wort: Gesessen! das rechte Bein gestreckt über die Croupe, wobei euch nur die rechte Hand als Stütze dient.« Da sollte es jeder Mann nach ein- oder zweimaligem Probiren genau so machen; denn im Buche stand ja, es müsse so seyn. Daß aber die Sache langsam und mühselig gelernt seyn will, fiel den gelehrten Herrn nicht ein. Was für complicirte Schimpfworte konnte man in solchen Stunden hören! Waren die Herrn Lieutenants recht gut gelaunt, so bedienten sie sich, mit mancherlei Variationen, eines Ausdrucks, der vom alten Oberst v.T. ausging. Dieser hatte einmal von einem Kanonier, der langsam und schwerfällig zu Pferde stieg, gesagt. »Das erinnert mir an die Kuh, welche uf enen Appelbohm klettern wollte.«

Blieb es allein bei Worten, so konnte man schon zufrieden seyn; aber zuweilen sprach die große Peitsche, mit welcher der Offizier in der Mitte der Bahn herumfuchtelt, auch ihr Wörtchen mit. Nicht daß gerade damit zugeschlagen wurde, nein. Dank sey es den humanen Bestimmungen, körperliche Mißhandlung ist strenge verboten und wird, wenn eine Klage hierüber bis zu einer gewissen Potenz durchdringen kann, hart geahndet. Aber man spricht z.B.: »das Pferd geht einen faulen Trab,« und versetzt demselben einen Streich über die Flanken; trifft dabei die Peitsche unglücklicherweise die Beine und den Leib des Reiters, was kann man dafür? Auf diese Art habe auch ich, nachdem der gute Lieutenant L. nicht mehr bei uns war, manche Schmarre erhalten. Doch genug hievon. – Nach und nach schälte ich mich mit Hülfe meines Unteroffiziers, der mir auch das Exerciren mit dem Geschütz beibrachte, aus der rohen Hülse eines Rekruten und ward eigentlicher Kanonier. Von den romanhaften Gedanken, mit welchen ich eingetreten, war in meinem Kopfe nicht mehr viel vorhanden. Ich lernte einsehen, daß der jetzige Militärstand ein Organismus ist, bei dem es darauf ankommt, wer am besten schweigen kann, seine Knöpfe am saubersten putzt und das Lederzeug recht weiß macht. Alles Andere, die schönen Gesinnungen, Tapferkeit und Hochherzigkeit, was ich mir früher so sauber ausgemalt, wird wahrscheinlich im Frieden auf der Kammer bewahrt und nur in Kriegszeiten heruntergegeben.

Eines Tags beim Appell eröffnete uns der Hauptmann, der Stab der Brigade, das ist, der Oberst mit seinen Adjutanten, Schreibern u. s. w. sey durch allerhöchste Bestimmung von seinem bisherigen Garnisonsorte M. zu uns nach D. verlegt worden. Der Herr Oberst v. T. würde also jetzt beständig unter uns seyn, weßhalb wir uns beim Ausgehen der größten Propretät zu befleißigen und alles Dienstwidrige streng zu vermeiden hätten. Wir sollten z. B. mit keiner offenstehenden Uniform gehen, keine weiße Weste unter derselben sichtbar werden lassen, vor Allem keine hohen Halsbinden tragen, weil der Oberst namentlich diese drei Dinge mehrmals strenge untersagt und mit schwerer Arreststrafe bedroht habe. »Sollte sich jedoch einer betreffen lassen,« schloß der Kapitän seine Rede, »und bestraft werden, so setze ich ihm auf jeden Fall noch einige Tage zu. Doch hoffe ich, keiner von meiner Compagnie wird mir dazu Veranlassung geben. Die Freiwilligen haben mich doch auch verstanden?«

Bald nach dieser Ankündigung erschien der Oberst und verherrlichte seinen Einzug durch eine große Parade, auf welcher er erschrecklich brüllte und fluchte. Besonders Kleinigkeiten wußte er heute verzweifelt genau zu finden. So war an der Kinnkette meines Pferdes ein kleiner Rostfleck, so klein, daß ich ihn selbst nicht bemerkt hatte; den entdeckte er und hielt mir eine donnernde Rede, in welche er eine Einladung auf vierzehn Tage Arrest sehr lockend zu verflechten wußte. In der Art ging es die ganze Reihe hinunter. Einer hatte die Hufe seines Pferdes nicht sorgfältig geschwärzt, jener den Sattel etwas zu weit nach hinten gelegt, und ward dafür mit dem Titel »Millionenhund« belegt. Nach der Revue besichtigte der Oberst die Stuben, Ställe und übrigen Räume der Kaserne, wobei Alle, die irgend etwas zu verantworten hatten, in nicht geringe Verlegenheit kamen. Zu diesen gehörte auch Dose, welcher die Futterkammer der Batterie unter Aufsicht hatte. Ich unterstützte ihn in diesem Amte getreulich, führte das Buch über Abgang und Zuwachs und schrieb den jedesmaligen Bestand von Hafer und Heu auf große schwarze Tafeln, welche zu diesem Zweck im Lokal aufgehängt waren. Dies war ein großer Speicher, der an einen alten Thurm stieß. Die Kaserne war früher ein Kloster gewesen und beherbergte eine Unzahl von Ratten und Mäusen, zu deren Vertilgung Dose eine tüchtige Katze angeschafft hatte. Zum selben Zwecke war auf dem Boden eine Eule, die ich eines Tags im Thurm gefangen, an einer langen dünnen Kette am Fuße befestigt. Die kleinen Jäger hatten auch bald unter dem Wildprete bedeutend aufgeräumt. Aber Dose war jetzt in nicht geringer Verlegenheit, wohin er die beiden Thiere, von denen der Hauptmann nichts wußte, während der Besichtigung flüchten sollte. Sie auf unsere Stube zu nehmen, war nicht rathsam, denn man war nicht sicher, wo der Oberst anfing. Ich rieth ihm kurz und gut, sie ruhig auf dem Boden zu lassen; die Eule schlafe immer und die Katze werde sich klugerweise verkriechen. Auch hatten wir keine Zeit mehr, andere Anordnungen zu treffen, denn schon schritt der Oberst, umgeben von seinem Stabe, auf unser Lokal zu; bereits hörten wir seine klirrenden Schritte und seine tiefe Stimme auf der Treppe. Dose murmelte die Meldung, die er zu machen hatte, noch einigemal halblaut vor sich hin: »Herr Oberst, die Futterkammer der Batterie, Nummer – Bestand: 118 Scheffel Hafer, 1000 Pfund Heu; täglicher Abgang 16 Scheffel, 120 Pfund Heu.« Die Thür öffnete sich, der Oberst trat ein. Dose ging ihm entgegen und meldete sehr gut für sein Alter. Der Oberst sah sich überall um, schien zufrieden mit der Anordnung der Futterhaufen, und wollte eben umkehren, als die unglückselige Eule, wahrscheinlich durch den Glanz der Epauletten und Säbel aus dem Schlummer gestört, von ihrer Dachsparre herabflatterte und dadurch auch die Katze beunruhigte, welche mit lautem Miauen in einen andern Winkel des Speichers sprang. Der Oberst sah sich um und sprach: »Nu, wat is denn det für eene Ordnung, daß sich uf eenem königlichen Futterboden allerhand Onthier ufhält? wat is det, Unteroffizier?« Dose entgegnete mit banger Stimme: »Es sind hier sehr viele Mäuse, Herr Oberst, und da ist die Katze und die Eule –« – »Oho,« fiel ihm T. lachend in die Rede, »um die Mäuse zu fangen? Nu, ick muß det loben.« Der Hauptmann, der auf einen gewaltigen Lärm gefaßt war, rührte sich jetzt, da er sah, wie Alles so gut ablief, und sprach: »Ja wohl, Herr Oberst, ich habe diese Thiere einfangen lassen, um den Speicher von den Mäusen zu säubern, worauf v.T. im Herabgehen antwortete: »Det is janz jut und ick bin damit zufrieden.« Dose aber war es nicht, sondern spuckte aus, wie wir allein waren, und sagte zu mir: »Sehen Sie, so geht es in der Welt. Wie der Hauptmann sieht, daß unsere Requisition der beiden Mäusejäger wohlgefällig aufgenommen ist, raubt er uns die Ehre der Erfindung; aber ich versichere Ihnen, er soll in Zukunft etwas für die Unterhaltung derselben bezahlen.« Wirklich mußte ich unter das nächste Verzeichniß über zerbrochene Besenstiele und Schippen setzen: »An Ernährungskosten der Thiere, welche der Herr Hauptmann einfangen lassen, so und so viel, indem das frühere Futter dieser nützlichen Geschöpfe, die Mäuse, bedeutend abgenommen.«

Seitdem der alte Oberst in unserer Stadt residirte, konnte man sich nicht genug in Acht nehmen, um nicht auf die eine oder andere Art von ihm abgefaßt zu werden. Von Morgens früh bis Abends spät war er auf den Beinen und fand sich meistens ein, wo man ihn am allerwenigsten erwartete. Oft stand er nach dem Zapfenstreich in einem Winkel des Kasernenhofs und beobachtete, ob viele zu spät hereinkamen. Er hatte ein merkwürdiges Talent, Menschen wieder zu erkennen, und wenn er sie nur einen Augenblick oder bei Nacht gesehen hatte. So kam eines Abends zwischen elf und zwölf Uhr ein Freiwilliger lustig und guter Dinge aus einem Weinhause und traf an einer Ecke, wo eine Laterne brannte, auf den alten T. Ihn sehen, umwenden und davonlaufen, war das Werk eines Augenblicks. Der Oberst lief ihm eine Strecke nach, konnte aber den Schnellfüßigen nicht einholen. Am andern Mittag beim Appell sah man ihn überall herumspüren, ohne daß er den Schuldigen von gestern Abend entdeckte, welcher zufällig wegen Schreibereien, die er für den Hauptmann zu besorgen hatte, heute vom Dienst dispensirt war. Er ließ sich Alle, welche in den Rapporten, als zu spät gekommen, gemeldet waren, vorstellen; jener war nicht darunter. Endlich trat er zu den Adjutanten, um den Parolebefehl auszugeben, wobei er seine Augen überall umherschweifen ließ. Kaum hatte er einige Worte diktirt, als er plötzlich den Kreis der Offiziere durchbrach, unter die Corridors stürzte, welche das Gebäude umgaben, und da jenen Unglücklichen, der zufällig in Schlafrock und Pantoffeln herabgekommen war, am Zipfel des Gewandes ergriff und auf den Hof schleppte. Der Arme, der sich in seinem Negligé zwischen den Offizieren in vollem Kostüm, mit dem ängstlichen Gesicht traurig genug ausnahm, erhielt nebst einer langen Strafpredigt einige Tage Stuben-Arrest und war froh, so gut davon zu kommen. Der Oberst aber sprach mit seiner Donnerstimme, daß man es in dem ganzen Gebäude hörte: »Oho, mir entlooft keener; ick kenne sie doch alle wieder.«

Oft war er schon am frühen Morgen in der Kaserne, um zu sehen, ob Alles zu gehöriger Zeit in den Stall ging; besonders paßte er den Offizieren auf und holte sie nicht selten aus dem Bett, wenn sie ihm gar zu lange blieben. Eines Morgens setzte draußen auf dem Gang der Trompeter zum Signal an, hatte aber kaum zwei Töne geblasen, so brach er mit einem Mißlaut ab und stieß ein klägliches Geschrei aus, welches die fluchende Stimme des Obersten accompagnirte. Alles lief vor die Thüre. Da hatte der Trompeter wieder, wie gewöhnlich, im bloßen Hemde sein Signal blasen wollen, war aber vom Oberst erwischt und derb geschüttelt worden; drauf hatte er ihn am Hemd ergriffen, um ihn so zum Wachtmeister zu transportiren. Es war äußerst komisch anzusehen, wie der gewaltige Mann mit dem armseligen Trompeter den Gang hinabflog: ein kleines Boot, von einem sprühenden Dampfschiffe in's Schlepptau genommen. Der Trompeter bekam drei Tage Mittelarrest und blies künftig seine Signale im vollständigen Kostüm.


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