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4.

Die Lurley.

Wenn man den Rhein befährt, so kommt man zwischen Coblenz und Mainz zuweilen an Stellen, wo man glaubt, hier ende der Lauf des Stromes, oder irgend ein neckischer Zauber habe den Steuermann geblendet und das Schiff durch eine Seitenstraße in einen stillen, rings von Felsen eingeschlossenen See geführt, wo es festgebannt manch Jahrhundert liegen müsse. Wenige Fuß vor dem Kiel heben sich gewaltige Steinmassen, zwischen denen kein Fisch einen Ausgang fände, und während man dennoch mit großer Tollkühnheit auf diese Riesenmauern losstürmt, schließt sich allmählig die Straße, zu der man hereingefahren; man ist gefangen, von allen Seiten mit steilen Bergen umgeben, in einer großen steinernen Falle. Doch hat diese momentane Gefangenschaft nichts Unheimliches, abgesehen davon, daß man weiß, die Berge sind nur wie Coulissen vor einander geschoben und lassen genugsam Platz zum Entkommen; man fühlt sich nicht beengt, man ist gerührt von der Theilnahme der Berge, die sich die Hände reichen und lachend um den gefangenen Menschen einen Reihentanz bilden, ihn eine kurze Zeit in ihrer Mitte zu halten. Sie geben auf freundliches Anrufen mit tiefer, wohlklingender Stimme Antwort, und die grünlichen Wellen, welche die triefenden Steinzacken umspielen, rufen mit leiser Stimme: »Da bleiben! da bleiben!«

Der schönste, aber auch zugleich gefährlichste dieser Punkte ist unterhalb Bingen, wo der dunkelgrüne, steil emporstrebende Lurleyfelsen die eine Seite eines solchen stillen Sees bildet. Hier scheinen von einer Seite des Rheins zur andern unsichtbare Ketten zu hangen, welche Mann und Schiff zurückzuhalten streben. Hier arbeitet selbst die Maschine des Dampfbootes mit ängstlicher Anstrengung, um nur recht bald aus diesem zauberischen Bergkessel zu kommen. Hier springen die Wellen zutraulich an's Schiff und erzählen laut und öffentlich von den wunderschönen Tänzen, welche die Elfen im Mondschein aufführen, von der Schönheit der Königin Lilio und ihren Jungfrauen, wie sie die Menschen lieben, besonders die Jünglinge mit blonden Haaren und blauen Augen. O es sind gefährliche Wesen, diese Wellen! Man möchte so gern, durch ihr Flüstern verführt, aus dem Boot in das Wasser springen und an die dunkeln Felsen schwimmen, in die Arme einer schönen Nymphe, die auf dem grünen Rasen ruht, den Kopf mit geschlossenen Augen zurückgebogen, und ihren rothen Mund küssen, der schelmisch lachend die weißen Perlenzähne zeigt.

Hier schlägt zuweilen ein seltsamer, wundervoller Gesang an das Ohr manches Reisenden, und lärmte der Dampf noch so stark, und bemühte man sich noch so sehr, die Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu richten, vergebens! in's Innerste des Herzens dringen die Klänge, welche man vernimmt und von denen man nicht weiß, woher sie kommen. Wehe besonders dem, der traurig ist, dem vielleicht eine unglückliche Liebe die Brust zerreißt. Hier hört er verwandte Töne anschlagen, dort in dem Felsen kennt man sein Leid und will ihn trösten.

Tief ist der Rhein,
Doch tiefer die Pein
In meinem Herzen.

So singt es, und das thut die Lurley, die hoch auf dem Felsen sitzt und ihr schönes goldenes Haar kämmt. Darum fasse den Mast, wer diesen Gesang hört und versteht, daß er ihn nicht hinabziehe in die Fluthen des Rheins und verderbe!

Nicht jeder, der den Strom befährt, sieht die Lurley und hört ihr Klagen. Ich habe viele reisende Kaufleute gesprochen, welche mehr wie hundertmal diesen Weg gemacht hatten, und die ganze Sache für eine Fabel erklärten. Aber sie ist doch wahr. Auf ihrem Felsen sitzt die Jungfrau und singt, daß das Menschenherz, welches sie hört, in die Höhe sieht und plötzlich von inniger Liebe zur Sängerin befangen, sie zu erreichen strebt. Steil ragen die Felsen empor und bieten fast unüberwindliche Hindernisse. Hinan, liebendes Herz! je größer die Mühe, je schöner der Lohn. Der Jüngling, welcher für die Lurley entbrannt, klettert an der Felsenwand empor und je mehr er sich abmühen muß, um so heftiger lodert seine Glut, stets lockender wird der Gesang, stets süßer, Liebe fordernd und versprechend. Er erreicht den Gipfel – – und die Lurley verschwindet mit einem schallenden Hohngelächter. Dann verläßt den Unglücklichen der sichere Tritt, er stürzt den Felsen herab, zerschmettert, todt. Und doch liebt dies entsetzliche Weib, aber sie ist eine Kokette. –

Es ist noch nicht lange her, da trieb sich in dieser Gegend ein junger Mann herum, von dem Niemand wußte, woher er gekommen, noch was ihn hier fessele. Er hatte sich bei einem Fischer eingemiethet, wohnte aber mehr in den Felsen am Rhein und auf dem Strome selbst, als in seiner Stube. Selten sprach er mit Jemand und nur zuweilen mit seinem alten Hauswirth, neben den er sich am Abend dann und wann setzte, wenn derselbe seine Fischernetze flickte. Der hatte ihn nun einst gefragt, was er denn eigentlich in der Welt treibe, und der junge Mensch gab ihm zur Antwort: er suche ein Herz. Das kam dem Alten närrisch vor, und er meinte, um ein Herz zu finden, brauche man nicht lange zu suchen, und in der Absicht thäte er besser, in eine große Stadt zu gehen. Da gäbe es deren von jeder Façon und Caliber, hier in der Einsamkeit würde er vielleicht nicht sobald eins finden; worauf ihm jener entgegnete: diese Stelle des Rheins habe ihn besonders angezogen, und es ahne ihm, er würde hier seinen Zweck erreichen. Doch sey das nicht zu seinem Glücke, denn wenn er ein Herz gefunden, das heiß liebend an seiner Brust schlüge, wäre er verloren. Der alte Fischer glaubte aber, es sey seinem Miethsmann nicht richtig unter der Stirne und verließ ihn kopfschüttelnd.

Dergleichen Unterredungen hielten die Beiden zuweilen; der Fischer saß auf einem alten Baumstamm, der Andere lag schaukelnd im Boot auf dem Rücken und sah in den vergoldeten abendlichen Himmel. So saßen sie auch eines Abends, da frug der Fischer: »Nun, noch kein Herz gefunden?« – »»Nein, nein,«« antwortete der junge Mann mit einem tiefen Seufzer. »Wenn ich Ihnen rathen soll,« entgegnete der Fischer gutmüthig, »lassen Sie das Suchen darnach seyn. Was man sucht, findet man gewöhnlich nicht. Denken Sie einmal nicht mehr an das Herz, und ich bin überzeugt, sie werden es bald antreffen. Und wie müßte denn das Mädchen zu dem Herzen ungefähr aussehen? denn darauf wird's doch hauptsächlich ankommen.« – »»Ach, das weiß ich nicht,«« sprach jener, »»so lange ich denken kann, ziehe ich herum, mit öder leerer Brust und suche. Steh' ich einen Augenblick still, so zieht sich dunkel und drückend die Luft um mich zusammen, läßt mich nicht rasten und beängstigt mich, bis über meinem Haupte ein Blitz glüht und mit langem, zackigem Strahle weit hinfährt, mir den Weg zeigend, da sey, was ich suche, und ich stürze ihm nach, und finde doch nichts. Ich liebe allgewaltig und weiß nicht, was ich liebe. Oft möchte ich Berg und Strom, Feld, Wald und alle Menschen an meine Brust drücken. Aber sie sind wohl recht freundlich und schön anzusehen, haben aber doch kein Herz für mich. An die Brust der großen herrlichen Erde habe ich mich geworfen; doch ihr Busen ist kalt, und ihr Herz schlägt nicht liebend gegen meines.««

»Sie suchen,« meinte der Fischer, »und wenn Sie gefunden, sind Sie verloren? Wie verstehe ich das?«

»»Das Finden ist mein Ziel, und das Ziel ist das Ende jeder Laufbahn,«« entgegnete jener. »»Ich sehne mich aber nach dem Ende. Es ist mir fremd und unheimlich in der Welt, in dem hellen Sonnenlichte, welches Alles so einfach und trocken beweist, die Brust ausdörrt und mit dem brennenden Durst erfüllt, den euch Menschen ein Mund voll kühler Erde am Ende eurer Laufbahn stillt. Das ist euch schrecklich, ihr wehrt euch dagegen und ertragt lieber die Pein des Durstes, als daß ihr jene moderige Sättigung herbeiwünscht. – Ich aber suche ein Herz, und wenn ich das gefunden, kühlt sich mein Leben ab und erlöscht in einem langen, langen Kusse.««

Darauf wußte ihm nun der Fischer nichts zu antworten, indem er ihn nicht verstand, und er mochte auch wohl sicher glauben, es sey seinem Gaste nicht hell im Geiste. Genug, er stieß schweigend die Asche in seiner kurzen Pfeife zusammen und summte ein altes Lied vor sich hin.

Plötzlich hielt er inne und blickte nach dem Gipfel des gegenüber liegenden Lurleyfelsen. »Hört ihr nichts!« rief er dem jungen Manne zu. »Horcht' sie singt!«

»»Wer singt!«« rief dieser, und saß wie fest gebannt, von den zauberisch schönen Tönen, welche gleich goldenen Strahlen durch das Felsthal zitterten und tief in die Brust drangen. »»Wo ist sie, die da singt?«« »Das ist die Lurley,« sprach der alte Fischer und schlug ein Kreuz. »Meine Augen sind zu schwach, sie zu erkennen, doch schauen Sie scharf nach dem Gipfel jenes Felsens, sehen Sie denn nichts?« Hastig entgegnete der Jüngling, welcher aufgesprungen war: »Auf der höchsten Kuppe des Berges, einem Felszacken, der fast über dem Rheine hängt, seh' ich eine weiße Gestalt; sie hat das Gesicht von uns abgewendet und schaut den Strom hinab. Ein seegrüner Schleier umhüllt die ganze Figur und weht um ihre Füße. Ihr reiches blondes Haar flattert im Winde, ein herrlich gewachsenes Weib! o sie muß schön seyn, diese Lurley! – Ob sie wohl ein Herz hat, Fischer?« Der schaute entsetzt empor und antwortete: »Nein, nein, die hat kein Herz. Stopfen Sie Ihre Ohren zu und kommen Sie hinweg, sehen Sie ihr nicht in's Gesicht und fliehen Sie, eh' sie den Kopf herumwendet. Ja freilich, sollte die Sie in dies Thal gezogen haben und Sie wollten die kalte Nixe an ihr Herz drücken, so sind Sie gewiß verloren.« Vorübergebeugt stand der junge Mann, und die Strahlen der Abendsonne, welche sich durch einen Felsspalt stahlen, beleuchteten ein freudig verklärtes Gesicht. Er hielt seine Hände empor gestreckt und sagte in gebrochenen Sätzen zum Alten, der ihn bei der Hand ergriffen hatte: »Laßt mich, o laßt mich! seht dies reine fromme Gesicht! Sie hat ein Herz, sie muß eins haben! Und sollte ich dort von dem Felsen herabstürzen, nachdem ich sie an meine Brust gedrückt, ich muß hin zu ihr – führt mich hinüber!« Der Fischer trat einen Schritt zurück. »Plagt euch der Teufel rief er, ihr wollt den Felsen hinauf zu der Zauberin, der verdammten Hexe! Seht einmal die Höhe an. Ob ein Theil eures hübschen Körpers wohl zusammenhält, wenn ihr da kopfüber herunter kommt? Ich bitte euch, geht mit.«

Tief ist der Rhein,
Doch tiefer die Pein
In meinem Herzen.

sang die Fee auf ihrem Felsen in lang gehaltenen, schmerzlichen Tönen, so daß das Laub aufzitterte und die Wellen des Stromes ihr Beifall plätscherten. »Hört Ihr!« rief der junge Mann, »sie hat ein Herz und fühlt in ihrem Herzen, sie ist traurig. Schifft mich über, Fischer, ich muß hinauf. Es ist das Herz, welches ich lange gesucht, ich fühle es durch diese Töne, welche meine Brust erwärmen und mit unendlicher Glut erfüllen. Schifft mich über, oder ich springe in den Fluß und versuche an's andere Ufer zu schwimmen.« – »Gott im Himmel!« sprach der Fischer, »soll denn die Hexe wieder ein Opfer haben! Laßt doch ab, junger Herr, bleibt hier. – So haltet doch in Teufel's Namen! ich will Euch fahren!« Er riß jenen am Arm zurück, der sich eben anschickte, in den Rhein zu stürzen. Unter stetem Fluchen, aber behende, machte der Fischer das Boot los, warf Ruder und Stange hinein, und die Beiden stießen in den Strom. »Wenn ihr denn nun einmal in euer Verderben rennen wollt, so hört wenigstens von mir altem Mann einige Rathschläge, die euch vielleicht nützen können. Klettert vorsichtig die Felsen hinauf und bereitet euch, oben angekommen, darauf vor, von der Fee mit lautem Lachen und abwehrender Geberde empfangen zu werden, nicht mit liebenden Worten, wie ihr jetziger Lockgesang; verliert dann in der Bestürzung über solchen Willkomm nicht das Gleichgewicht, sondern tretet auf sie zu und sprecht sie im Namen Gottes an, dann sollt ihr auch gleich die Teufelin erkennen.« Jetzt fuhr das Boot in das Schilf am jenseitigen Ufer, das sonderbar an den Wänden hinaufflüsterte. Der junge Mann sprang heraus und wollte in die Felsen, aber der Fischer hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »So denkt daran, was ich euch oben gesagt. Wollt Ihr? Ich will indeß zu Haus für euch beten.« – »»Ja, ja, ich werde so thun,«« entgegnete jener und eilte davon. »»Warte nicht auf mich!«« rief er noch von Weitem zurück. »»Ich rufe Holüber! wenn ich wieder herunter komme.«« – »Darauf werd' ich lange warten,« seufzte der Fischer wehmüthig und arbeitete sich wieder an's andere Ufer; doch oft hielt er mit Rudern inne, und sah an dem immer dunkler werdenden Lurley-Felsen empor. Er hörte die Wasserjungfrau singen, doch der Jüngling war zwischen dem Gesträuch und den Zacken verschwunden.

Mehre Stunden lag der Fischer auf seinem Lager an dem kleinen Häuschen und konnte nicht schlafen. Stets hatte er sein Ohr nach einem Fenster gerichtet, welches auf den Rhein ging, und immer fürchtete er, einen schweren Fall in's Wasser zu hören. Jedes Rauschen des Windes jagte ihn geschreckt empor. Da glaubte er plötzlich am jenseitigen Ufer ein lautes Rufen zu vernehmen. Rasch sprang er auf und trat vor die Thür der Hütte, und wirklich: »Holüber!« erscholl es klar und deutlich durch die stille Nacht. Das Echo in den Felsen sprach es vernehmlich nach. Dem Fischer rollte ein Stein vom Herzen, als er die Stimme seines jungen Gastes erkannte. Er eilte in's Boot und ruderte mit aller Kraft hinüber. Eh' er jedoch, an's Land sprang und den jungen Mann einnahm, reichte er ihm die Hand, und nachdem er gefühlt, dieselbe sey weich und warm wie früher, bewillkommte er ihn mit einem lauten: »Nun, gelobt sey Gott!« denn der Fischer war ein vorsichtiger Mann, und dachte, wer weiß: ob ihn die Fee nicht erwürgt hat, und mir einen Todten über den Hals schickt. In seiner Hütte angekommen, bestürmte er den jungen Mann mit tausend Fragen; ob er die Lurley gesehen, und wie es komme, daß sie ihm nichts zu leide gethan? Der erzählte:

»Nachdem ich euch verlassen, kletterte ich die Felsen hinauf, welche entsetzlich steil und glatt sind. Oft war mir, als sey es keinem Menschen möglich, den Gipfel zu erreichen, und ich stand stille. Dann aber schien mir's wieder, als erfasse mich der Gesang der Jungfrau und hebe mich willenlos empor. So erreichte ich allmählig die Spitze des Felsens und mich eures Rathes erinnernd, drückte ich meinen rechten Fuß zwischen eine Spalte, klammerte die Hände an einem Dornstrauch fest und sah mich um. Da schlug ein gellendes Lachen an mein Ohr und schüttelte krampfhaft meinen Körper, so daß wenig fehlte, und ich wär' trotz meiner Stellung die Felsen hinabgestürzt; aber ich stand fest und sah der Fee, welche kaum zwei Schritte vor mir saß, ruhig in's Auge. O Fischer! sie ist schön, diese Lurley! Hättest du ihr Gesicht gesehen, weiß und fein wie Marmor! Ihr frischer, rother Mund und das Auge, das schöne blaue Auge! Wie sie mich entsetzt und erstaunt betrachtete, mich, der ich nun mit einem Sprunge an ihrer Seite war, hättest du da die majestätische Gestalt gesehen, so edel und voll, wie sie emporsprang und davon schwebte, eh' ich es hindern konnte, und nur eine Ahnung davon hatte! Ich wollte den grünen Schleier fassen, welcher lang hinter ihr drein flatterte, doch ich griff in die Luft und sie war verschwunden.« – »Das ist ein seltsames Abenteuer, sagte der Fischer, und ihr könnt Gott danken, daß ihr noch so glücklich zurückgekommen seyd. Aber ich hoffe, euch ist die Lust vergangen, nochmals da hinauf zu klettern. Glaubt mir, die Fee ist voller Ränke. Da Euch heute ihr Lachen nicht hinabgestürzt, wird sie schon zu eurem Verderben auf etwas Anderes sinnen, wenn ihr es noch einmal wagt, drum bleibt nur davon, sie hat doch kein Herz.« –

»Sie hat ein Herz,« entgegnete der junge Mann, »sie muß ein liebendes Herz haben, und eh' sie mir entschwand, warf sie mir einen Blick zu, nicht zornig, aber ernst und unruhig. Sie soll mir Rede stehen, denn ich will die nächste Nacht wieder hinauf.« – »Nun,« sagte der Fischer, »Gott helfe euch! Ihr rennt in euer Verderben, legt euch wenigstens jetzt ein Paar Stunden hin; es ist noch früh in der Nacht.« – –

Kaum war am andern Abend die Sonne hinter den Felsen am Rhein verschwunden und das Stromthal füllte sich mit blauem Nebel, den Vorboten der Nacht, da schlug der Fischer, welcher sich mit seinem Boot am jenseitigen Ufer befand, ein Kreuz auf seiner Brust und seufzte dabei tief. Denn die Lurley sang auf ihrem Felsen gar zu schön. Er hatte seinen jungen Freund hinübergefahren, der schon eine große Strecke empor geklettert war. Bald stand dieser still und athmete den Gesang der Fee ein, dann stieg er wieder rasch vorwärts. Aber ungefähr in der Mitte des Berges setzte er sich einen Augenblick auf einen großen Stein und schaute rückwärts in den grünen Rheinstrom. Ihm war die Brust so wonnig voll und doch beengt. Da unten fuhr der Fischer, sein alter Wirth, langsam nach Hause, und hinter ihm bildete das durchschnittene Wasser einen langen Silberstreif. Wie der junge Mann sich wieder erhob, grüßte er mit der Hand hinunter und sagte unwillkürlich leise: »Leb wohl, auf ewig!« darauf klimmte er wieder rüstig zu und erreichte bald den Gipfel.

Hier saß Lurley, die schöne Wasserjungfrau, und flocht zu ihrem Gesang aus Wasserrosen und Schilfblumen einen Kranz; kein wildes Lachen scholl dem Jüngling entgegen, sondern sie sah ihn halb freundlich mit den großen blauen Augen an und hörte auf zu singen, als er sich mit glühendem Blicke neben sie setzte und ihren Schleier an die Lippen drückte. »Was störst du mich hier oben?« sagte die Fee nach einer langen Pause. »Was erklimmst du meinen Sitz und wagst dein Leben dabei?« – »Hast du mich nicht angezogen?« entgegnete schüchtern der Jüngling. »Hat dein Gesang nicht nach einem Herzen gerufen, das dich verstünde? Und wage ich auch mein Leben, was ist es mir, wenn ich damit deinen Anblick erkaufen kann?« – »Das ist eure Thorheit, ihr Menschen,« sprach die Jungfrau, »daß ihr Alles auf euch bezieht. Ich singe zu meiner Lust, ihr glaubt, es gelte euch, klettert empor, und wenn ich dann über euch lache, stürzt ihr hinab und seyd todt. Das soll dann Alles die arme Lurley gethan haben.« – »O sage nicht,« antwortete der Jüngling, »daß du ohne Absicht deine Lieder erschallen ließest, sage das nicht, es ist eine Leere in deiner Brust, welche dich dazu antreibt, und mein ödes Herz hat dich verstanden, es hat dich darum aufgesucht. Ich irre schon lange in der Welt herum und verlange nach dir, ohne dich zu kennen, und jetzt wo ich dich gefunden, lasse ich dich nimmer. Sieh mich nicht so kalt an. Lieber jenes entsetzliche Lachen von gestern, stürzt es mich auf die Felsen hinab, dann wäre ich vielleicht todt und ruhig!« – »Wer bist du denn?« fragte die Jungfrau mit sehr weicher Stimme und beugte sich zu ihm, daß ihre Goldhaare sein weiches berührten.« – »Erlaß mir die Antwort dieser Frage, sie könnte dich doch nicht befriedigen. Weiß ich denn, wer du bist. Mir bist du ein holdes, ja ich sage es laut, ein geliebtes Wesen. O kann ich dir das nicht auch seyn?« – »Vielleicht ja,« antwortete leise die Lurley, und drückte ihm ihren Schilfkranz auf die Locken. »Ich könnte dir gut seyn, wie nie Jemand, ich möchte mit dir kosen, aber ehe sage mir, was zog dich zur Wasserjungfrau? warum kommst du wieder zu mir herauf, nachdem ich dich gestern mit meinem lauten Lachen abgeschreckt? Warum wagtest du es, dich neben mich zu setzen. Fürchtetest du nicht die Lurley?« – »Nein, Jungfrau,« entgegnete der junge Mann, »schon geraume Zeit streife ich in der Welt umher, und eine Stimme in meiner Brust flüstert mir zu: ich solle ein Herz suchen, welches für mich schlüge, und nie hat die Stimme geschwiegen, bis ich gestern Abend deinen wundervollen Gesang hörte, und mir durch ein seliges Gefühl bei deinem Anblick kund ward, daß du es seyest, welche ich gesucht. O du hast auch ein Herz, nicht wahr, Lurley?« – »Ja,« lispelte die Wasserfee und ein eigener Glanz belebte ihr blaues Auge, »eines, welches heftig pocht und für dich, du seltsames Menschenkind. Ich weiß nicht, wie mir ist; aber ich liebe dich plötzlich mit der ganzen Kraft meiner Seele. Fühle, wie mein Herz schlägt.« Sie legte ihm ihren weißen Arm um den Hals, und wollte ihn an die wildathmende Brust ziehen. Mit glühender Zärtlichkeit in dem Blick starrte sie der Jüngling selig an, und entzog sich doch sanft ihrer Umarmung. »Höre mich, Lurley,« sprach er, »dein Blut flammt, deine Hand zittert, aus deinem ganzen Wesen weht ein sprühendes Feuer, in das ich mich entzückt hineinwerfe und da verbrenne. Mich, die Mücke, muß das strahlende Licht verzehren. Doch ehe ich in deinen Armen sterbe, sage mir Lebewohl, versprich mir, mich nicht zu vergessen, gedenke zuweilen meiner.« »Was sagst du da,« entgegnete die Jungfrau, und ihrem Auge entrollten ein paar Thränen, die aber nicht wie die der Menschen zu Boden fielen, sondern gleich von den Lüften gierig eingesogen wurden. »Fürchtest du mich? Glaubst du, ich sey ein treuloses Weib und erdrosselte dich in meinen Armen? Was haben wir armen Nixen euch gethan, daß ihr Menschen uns verläumdet, uns so bösartig und falsch darstellt?« »Ach nein, Lurley,« sagte er, »nicht dich fürchte ich, sondern mein Schicksal; die Stimme in meiner Brust, von der ich vorhin sprach, sagt mir bestimmt, sobald das Herz, welches ich gefunden, also deins, Geliebte, an meiner Brust schlüge, würde ich sterben; doch welch seliger Tod!« Er faßte sie um den schlanken Leib und preßte einen glühenden Kuß auf ihre Lippen. »O du wirst leben,« flüsterte sanft die Fee, und schmiegte sich fester an ihn, »leben ein seliges Leben,« – »Nein, Mädchen, Geliebte,« entgegnete er sehr leise, »ich habe dein Herz gefunden; es schlägt laut und stürmisch gegen meine Brust; darum sterbe ich. O Lurley! wie ist deine Brust so weiß, so leichenbleich! Wie blutet dein Herz, welches ich sehe. Wo ist dein liebes Auge, dein süßer Mund? Ich sehe nichts als das rothe blendende Herz!« –

Das war ein schrecklich schöner Augenblick. Die Wasserjungfrau sank in die blauen Glockenblumen, welche ihren Sitz umstanden. Ohnmacht umfing ihre zerrissenen Sinne; denn der Jüngling in ihren Armen war verschwunden. Wie sie schaudernd die Augen aufschlug, saß sie allein auf der Klippe des Felsens. Leicht strich der Wind durch das Stromthal und spielte mit ihrem Haar. Aber zu ihren Füßen lag ein sonderbares Blatt, welches sie ahnungsvoll empor riß und betrachtete. Ja, es schienen seine Züge zu seyn, wenn auch veraltet und entstellt, oben und unten stand ein rothes Herz, seins und das ihrige. »Ein Zauber waltet hier,« sprach schmerzvoll die Jungfrau; »ein böser Zauber, aber ich will ihn lösen. Bin ich nicht Lurley, eine Fürstin des Wasserreiches?« –

Sie schwebte dahin, die schöne Fee mit gebrochenem Herzen. – Drei Tage waren seitdem vergangen und der alte Fischer hatte seinen Freund vergebens erwartet. Als er auch am vierten nicht erschien, setzte er an die Stelle, wo jener den Felsen erstiegen, ein einfaches Kreuz, an welchem er Abend's ein Vaterunser betete und jedem, der über den Rhein fuhr, erzählte er die Geschichte von dem Jüngling, welcher bei der Lurley ein Herz gesucht und nicht zurückgekommen war. – – –

 

Unter den vielen Sagen, welche am Ufer des Rheines im Munde des Volkes leben, ist eine, welche mir immer besonders gut gefallen hat. Es ist die von einem todten Menschen, der verdammt war, mit den Lebenden herumzuwandeln und nicht ruhen zu können. Das muß aber ein schreckliches Elend seyn. Was der Todte auch fühlte und auf alle mögliche Weise die unerträgliche Bürde des Lebens abzuschütteln versuchte; er ging unversehrt aus Flammen, stürzte von himmelhohen Felsen herunter und that sich kein Leid. Da sprang er eines Tages in den Rhein und ward auf der Erde nicht wieder gesehen. Er sank nämlich unter und fiel vor dem Krystallpalaste nieder, in welchem die Beherrscherin des Rheinstroms, die Königin Lilio, residirt. Diese saß gerade unter ihren Jungfrauen und freute sich bei Spiel und Gesang. Weil nun die Königin ein so unschuldvolles freundliches Aussehen hatte, faßte sich der todte Mensch ein Herz, umschlang ihre Füße, indem er seine traurige Geschichte erzählte. Lilio ward gerührt und berieth sich mit ihrem Geheimerath, einem Doctor vom Laacher See, der sehr gelehrt war, wie dem Unglücklichen zu helfen sey, wie man ihm Ruhe geben könne, ohne der höheren Bestimmung, die ihn zum Umherwandern verdammt, entgegen zu wirken. Der Doctor, so viel er auch studirt hatte, wußte hier nicht zu helfen, bis die Königin, welche ein Frauenzimmer war, etwas erdachte, wodurch sie sogar das Schicksal überlistete. Der Duft der Wasserrose senkte den Armen in einen tiefen erquickenden Schlaf. Er lag so weich auf kühlem Moose in einem Gewölbe von grünem Crystall und die Königin sprach zum Doctor von Laach: Doctor, steigen Sie auf die Erde und suchen Sie da irgend einen Schriftsteller, dem es augenblicklich an Stoff zu einem Phantasiestücke mangelt und der doch gern etwas schreiben möchte. Flüstern Sie ihm, wenn er schläft oder träumt, die Geschichte des todten Menschen in's Ohr und treiben ihn beständig an, dieselbe niederzuschreiben. Sie verstehen mich. Alsdann wandert jener, wenn auch nur auf Druckpapier, über die Erde und kann doch hierunten ruhig schlafen.« Die Königin hatte ein so schönes mitleidiges Herz.

Aber der Doctor von Laach tauchte aus dem Rheine und legte sich an mein Ohr, und flüsterte mir, was ich hier mitgetheilt, Tag und Nacht zu. Wollt' ich an etwas Anderem arbeiten, mein Wille half nichts. Ich war von einem Wassergeiste besessen und mußte schreiben, was er befahl. Deßwegen wasche ich über die etwaigen Fehler in meiner Geschichte vom todten Menschen und den vier Königen meine Hände in Unschuld und schiebe Alles auf den Geheimen Rath der Königin Lilio.

In der vergangenen Nacht, nachdem ich noch spät die letzten Seiten geschrieben, erschien er mir wieder und bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung. »Aber Theuerster,« sprach ich im Schlaf, »was ist denn aus den vier Königen geworden?« Er antwortete lächelnd: »Ihre Majestät, unsere lustige Königin, hat sie in ihren Hofstaat aufgenommen. Sie verlangen nicht zurück auf die Erde, der Herr von Eckstein hat dem Prinzen Pips den Spaß in der Kneipe zum stillen Vergnügen vergeben und trinkt entweder mit ihm und den Fürsten von der Mosel und dem Grafen von Walportheim in einer Laube von Krystall und Lotusblumen, oder sie gehen zusammen auf die Jagd.« –

»Und was macht Treff-König?« fragte ich.

»Der kost mit seiner Tänzerin, die nach ihrem Tode eine blaue Libelle ward, und auf den Flächen des Rheins umher schwebte; jetzt ist sie Hofdame bei ihrer Majestät.«

»Und Pique-König?«

»Der steigt jeden Abend auf die Erde und wandelt in einem Garten, welcher nahe an ihre Wohnung stößt, und plaudert hier mit einer weißen Lilie. Sie war, ehe sie starb, ein hübsches Mädchen und liebte ihn. Ist sie als Blume verblüht, so folgt sie dem König nach unserem schönen Reiche.«

»Aber Herz-König?«

»Der ruht in dem Arm der schönen Lurley. Sie küßt ihn und singt:

Der Rhein ist tief und weit
Doch großer die Seligkeit
In meinem Herzen.


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