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Neuntes Kapitel

»Au – au – au!« war der Weckruf, der am nächsten Morgen aus dem Zimmer der Jungens schallend das Burtonsche Ehepaar begrüßte.

»Da balgen sie sich wahrscheinlich wieder einmal,« brummte Herr Burton in seiner Kammer »und da ich schon angekleidet bin, so ist's wohl am besten, ich sehe mal nach, wer die Prügel gekriegt hat und wer sie noch haben muß.«

Im Zimmer der Neffen angelangt, fand Herr Burton Toddi mitten im Bett zusammengerollt im tiefsten Schlaf. Sein Bruder dagegen war wach und wälzte sich mit geschlossenen Augen ruhelos im Bett hin und her.

»Was fehlt dir denn, Willi?« fragte Herr Burton.

»Meine Seite thut weh – da, wo ich aufschlug, als ich den Berg runterrutschte und in dem Graben liegen blieb,« stöhnte Willi. »Un der harte Teil des Bettes kommt immer hoch un' drückt so; un' wenn ich eben 'ne weiche Stelle im Bett gefunden habe, dann kommt das Harte wieder hoch un' dann hab' ich Schmerzen.«

»Na, dann dreh dich doch um und lege dich auf die andere Seite,« schlug Herr Burton vor.

»Ich – ich,« stammelte Willi, indem er sich langsam aufrichtete und seine Augen rieb, »ja, dann braucht' ich aber keine weichen Stellen mehr zu suchen un' dann hätt' ich ja nichts zu thun.«

»Ach so,« brummte Herr Burton, kurz umwendend und das Zimmer verlassend. »Da behaupte noch einer, daß das Talent, sich zu kasteien, den Menschen nicht angeboren ist! Das muß ich doch unserm Pastor erzählen, der kann eine erbauliche Predigt draus machen, die vielen Leuten was nützt.«

Am Frühstückstisch verhielt sich Willi ganz ruhig, verzehrte aber seine Mahlzeit mit der charakteristischen Emsigkeit eines Amerikaners; endlich bemerkte er:

»Du, Tante Alice, zu viel Thee bekommt doch nich' gut, nich' wahr?«

»Nein,« antwortete Frau Burton, »im Gegenteil, sehr schlecht.«

»Un' eine Tasse,« fuhr Willi fort, »is reichlich genug für die meisten Leute?«

»Ich glaube, ja,« erwiderte Frau Burton.

»Aber mein Papa trinkt doch manchmal drei oder vier,« sagte Willi.

»Das thut er gewiß nur dann, wenn er Kopfschmerzen hat,« erwiderte Frau Burton.

»O ja, woher weißt du denn das?« sagte Willi. »Leute, die Kopfschmerzen haben, haben mehr nötig, nich' wahr?«

»Allerdings.«

»Na, aber meinst du nich' auch, daß Seitenschmerzen wenigstens ebenso schlimm sind wie Kopfschmerzen?« fragte Willi.

Frau Burton erriet, worauf Willi hinauswollte, und antwortete nicht.

»Ich meine ganz schlimme Seitenschmerzen,« fuhr Willi fort, »so wie ein kleiner Junge sie kriegt, der auf dem Bauch einen harten, steinigen Berg runterrutscht.«

Frau Burton biß sich auf die Oberlippe und langte nach Willis leerem Becher, welchen der junge Mann ihr zuvorkommend mit den Worten hinschob:

»Un' ich glaube, wenn 'n kleiner Junge Thee trinken muß, weil er krank is, dann gehört 'ne Masse Zucker hinein, weil der Thee sonst zu stark is.«

Willis Becher wurde seinen Wünschen gemäß gefüllt, aber Herr Burton schien spöttisch dazu zu lächeln, was selbst dann nicht aufhörte, als seine Frau ihn vorwurfsvoll anblickte. Einige Minuten ernsten Schweigens waren die natürliche Folge, und die Jungen benutzten diese Gelegenheit, ohne Erlaubnis zu verschwinden. Als dann Herr Burton beim Abschiede zuvorkommend fragte, ob er etwas aus der Stadt mitbringen solle, erhielt er als einzige Antwort nur ein kurzes »Nein.«

Bald darauf war Frau Burton wieder einmal in ernste Betrachtungen darüber versunken, welche Erfolge sie als Erzieherin ihrer Neffen denn eigentlich schon erzielt habe, und sie wurde sich jetzt klar darüber, daß sie ebensowohl durch zu große Strenge wie durch zu große Nachsicht gefehlt hatte. Wenn sie sich die Pfiffe und Kniffe ins Gedächtnis zurückrief, deren sich die Kinder bedient hatten, um ihre Grundsätze über den Haufen zu werfen, so konnte sie sich nicht eines einzigen Falles erinnern, in welchem ihnen dies nicht gelungen war. Dieser Gedanke war ebenso demütigend für ihr Pflichtgefühl wie für ihren Stolz. Sie mußte sich eingestehen, daß sie wie die meisten Menschen nicht die Charakterfestigkeit besaß, ihren Grundsätzen getreu zu bleiben, wenn humoristische Ereignisse auf sie einwirkten, und der Umstand, daß sie sich dieser Schwäche jetzt zum ersten Male bewußt ward, verstärkte noch ihr Gefühl der Verantwortlichkeit und Demütigung. Aber bald ging letzteres Gefühl in einem anderen unter, das weit natürlicher und bei den meisten Menschen auch wunderbar schön entwickelt ist – im Stolz. Was würde sie nicht darum geben, wenn sie die Frühstücksscene noch einmal erleben könnte! Dann sollte es anders kommen! Wie war es nur möglich, daß sie, die früher in allen Lebenslagen listige Anschläge von fern gewittert und erfolgreich vereitelt hatte, jetzt beständig von zwei kleinen Jungen hinters Licht geführt werden konnte? Aber sie sollten ihr nur noch einmal kommen! Frau Burton biß sich unwillkürlich in die Lippe, bis es schmerzte. Ihr Entschluß stand fest: sie wollte ihre Neffen künftig nicht allein an der Ausführung ihrer listig ersonnenen Streiche hindern, sondern ihnen auch klar machen, wie unehrenhaft dieselben seien, und auf diese Weise versuchen, sie durch Erweckung ihres Schamgefühls zu vollkommener Aufrichtigkeit zu erziehen.

Da drang plötzlich ein immer lebhafter werdender Wortwechsel aus dem Küchenfenster an ihr Ohr, und sie eilte hinunter, um ein entscheidendes Machtwort zu sprechen.

»Weil wir ihn brauchen wollen, darum,« ließ Willi sich grade vernehmen, als Frau Burton die Küche betrat.

»Was ist denn los, Willi?« fragte die Herrin des Hauses.

»Ach, Tante,« erwiderte Willi, dessen Gesicht sich in Vorahnung nahender Hilfe aufheiterte, »wir haben ziemlich weit von hier ein großes Nest mit Eiern mitten im Grase gefunden, un' wir möchten die Eier kochen und essen. Un' ich habe Brigitte schon hundertmal gebeten, sie möchte uns doch einen Topf geben, wo wir die Eier drinn kochen können, aber sie sagt weiter nichts als: »Wird nichts draus!«

»Da ist sie auch ganz in ihrem Recht,« antwortete Frau Burton, »weil du ihr, wie ich beim Kommen selbst hörte, nicht einmal sagen wolltest, wozu ihr den Topf gebrauchen wollt!«

»Aber Tante,« erwiderte Willi, »das konnte ich doch nicht. Ich mußte immer an das denken, was du neulich abends zu Onkel Harry sagtest – daß du die souveränste Verachtung für Leute hegtest, die sich immer um andere Leute ihre Sachen kümmern. Was ›souveränste Verachtung‹ ist, weiß ich eigentlich nicht, aber du sagtest es so, als ob du Leute meintest, die immerzu fragen, was andere Leute damit machen wollen.«

Frau Burton nahm hastig einen kleinen Topf vom Bort und reichte ihn Willi mit den Worten hin: »Da, nimm!« Der Köchin entschlüpfte dabei die kritische Bemerkung: »Na aber, Madame!« Willi trollte mit seinem Topf ab, während Frau Burton, der auf einmal alle ihre schönen Vorsätze wieder einfielen, sich auf ihr Zimmer zurückzog und bitterlich weinte. Welch entsetzlicher Gedanke, daß sie die beiden Kinder eine Menge Eier zwischen den Mahlzeiten essen ließ! Niemand wußte, wo die Jungen eigentlich steckten und wie viel Eier sie hatten. Wahrscheinlich hatten sie das Feuer an einem Ort angezündet, wo alles andere, aber nur kein Feuer sein durfte, und der Himmel mochte wissen, ob nicht Leben und Eigentum durch sie bedroht wurden. Sie sehnte sich nach himmlischer Erleuchtung und beging ein Dutzend schreckliche Ketzereien, während sie ihren Betrachtungen nachhing; endlich aber wappnete sie sich notgedrungen mit der christlichen Tugend der Resignation, denn wie die Jungen zu finden waren, das würde auch ein mit den Gewohnheiten kleiner Jungen besser vertrauter Kopf schwerlich ergrübelt haben.

Frau Burton brachte den Vormittag mit allerlei vergeblichen Versuchen hin, irgend eine Arbeit vorzunehmen, und atmete erleichtert auf, als sie ihre Neffen endlich auf einem durch Wald und Felder führenden Wege zurückkehren sah. Den geborgten Topf hatten sie allerdings nicht bei sich, aber das fiel Frau Burton gar nicht einmal auf. Toddi ließ sich in gedrückter Stimmung auf einem großen Stein im Hofe nieder und Willi schlenderte in das Wohnzimmer mit der Miene eines Lebemannes, der den Becher der Freuden bis auf die Neige geleert und dieselben schal gefunden hat.

»Seid ihr heil und unversehrt wieder da?« fragte Frau Burton in banger Erwartung, da sie nicht direkt fragen mochte, was vorgefallen sei.

»Ja,« erwiderte Willi, »wir sind woll wieder da, aber das kann uns weiter nichts nützen.«

»Nun, was ist dir denn passiert, mein lieber guter Willi?« forschte die Tante weiter.

»O, sehr viel!« klagte Willi. »Weißt du, Tante, es giebt doch furchtbar merkwürdige Sachen in der Welt, die auch nich' 'n bißchen nett sind.«

»Erzähle mir nur alles, was dir passiert ist, lieber Willi,« ermunterte ihn Frau Burton.

»Ach,« erzählte Willi, »ich habe mich heute so scheußlich geärgert. Wir fanden ein Nest mit sechzehn Eiern un' ich machte den weiten Weg nach Hause, um den Topf zu holen, wo wir sie drin kochen wollten. Un' ich nahm auch Salz un' Pfeffer mit, damit sie recht schön schmecken sollten, un' als wir sie gekocht hatten, was meinst du woll? – da war in jedem Ei ein kleines Küken.«

»Wie ekelhaft!« rief Frau Burton schaudernd.

»Das weiß ich ganz von selbst,« fuhr Willi fort, »aber du hättest mal dabei sein sollen, als wir sie öffneten! Du weißt doch, wie nett Eier riechen, wenn du sie aufmachst – na – aber diese rochen auch nich' 'n bischen gut.«

»Laß uns von etwas anderem sprechen, Willi,« rief Frau Burton, indem sie unwillkürlich ihr Taschentuch vor die Nase hielt.

»Aber ich bin noch nich' fertig,« antwortete Willi. »Ich möchte gern wissen, weshalb die kleinen Küken nicht aus ihren Schalen heraus zu ihrer Mama kamen? Die haben woll nur gewartet, um uns zu ärgern?«

»Wahrscheinlich habt ihr ihre Mama von ihnen hinweg gescheucht, als ihr das Nest fandet,« erwiederte Frau Burton.

»Nein, das haben wir ganz gewiß nich',« versicherte Willi, »sie lief selbst vom Nest fort. Wir riefen: >Gluck, gluck, gluck!< un' da lief sie ums Nest herum un' gackerte. Da dachten wir, sie wäre mit Eierlegen fertig un' nahmen alle Eier aus dem Nest, weil sie nicht verderben sollten. Mein Papa sagt, Eier verderben, wenn sie so in der Sonne liegen. Aber was, Tante Alice, meinst du woll, wird die arme Kükenmama denken, wenn sie mal den Weg daherspaziert un' alle ihre lieben kleinen Kinder so im Grase herumliegen sieht?«

»Sie wird wahrscheinlich denken,« erwiderte Frau Burton, »daß zwei kleine nichtsnutzige Jungen

des Wegs gekommen sind, die nach nichts und nach niemand gefragt haben als nach sich selbst.«

Willi blickte seiner Tante rasch ins Antlitz, aber als er weder gute Laune noch Mitgefühl darin entdeckte, wandte er sich mit tiefem Seufzer zum Gehen, um seinen Bruder wieder aufzusuchen.«

»Willi!« rief Frau Burton.

Der junge Mann blieb stehen und sah sich erwartungsvoll um.

»Wenn du etwas haben möchtest,« sprach seine Tante ernst, »wie zum Beispiel eine Extra-Tasse Thee heute morgen, oder ein Gefäß, um Eier darin zu kochen, so schickt es sich, daß du offen darum bittest. Wenn aber erwachsene Leute dir das Gewünschte nicht geben, so haben sie sicher allen Grund dazu und du mußt dich damit zufrieden geben und sie nicht weiter quälen. Du mußt lernen, so wahr und aufrichtig zu sein, daß du dich schämst, auf Umwegen zum Ziele zu gelangen und etwas Hinterlistiges zu thun oder zu sagen.«

»Aber Tante, ist denn das hinterlistig, wenn ich just sage, was ich denke?« fragte Willi. »Mein Papa sagt, man soll immer aufrichtig sein und offen sagen, was man will. Un' ganz gewiß, das thu' ich auch immer, aber ich sage gern alles auf so 'ne Art, wie ich denke, daß die Leute am besten danach hinhören. Machst du es denn nich' ebenso?«

Frau Burton konnte nicht »nein« und wollte nicht »ja« sagen; sie zog sich deshalb zurück, sodaß ihr Neffe siegreich das Feld behauptete – allerdings nur, um es bald darauf selbst zu räumen – und dem wiederholten Ruf »Willi! Willi!« seines Bruders Folge zu leisten.

»O, Willi,« rief Toddi frohlockend, als sein Bruder bei ihm eintraf »ich hab' ihn. Freust du dich denn nich?«

»Wen hast du denn?« fragte Willi, der nicht geneigt war, sich ohne hinreichenden Grund zu freuen.

»Terry hab' ich,« jubelte Toddi, »ich hab' ihn gefangen.«

»Hurra!« jauchzte Willi, in die Hände klatschend und umhertanzend. »Das is das Netteste, was ich je gehört habe. Ei! Das giebt aber Spaß. Wie hast du ihn denn gefangen?«

»Er schlief gerade; da band ich geschwind einen Strick an sein Halsband un' das andere Ende an einen kleinen Baum, un' jetzt kann er nich los. Siehst du woll?«

Das Brüderpaar ging auf den Hund zu und das unglückliche Tier erkannte nach einem letzten verzweifelten Versuch, sich loszureißen, sein unabwendbares Verhängnis und drückte sich winselnd gegen den Baum.

»Der arme Hund is krank,« sagte Willi mitleidsvoll. »Wir müssen Doktor spielen' un' ihn wieder gesund machen. Ich denke, er muß zu Bett; meinst du nich' auch?«

»O ja,« erwiderte Toddi; »un' n' Nachtrock muß er anhaben, wie wir, wenn wir krank sind.«

»Da hast du recht,« stimmte Willi bei; »lauf geschwind hin un' hole deinen Nachtrock für ihn. Er hat 'n recht kleinen nötig, weißt du. Ich glaube aber, du ziehst lieber deine Schuhe aus, damit du Tante Alice nich' störst.«

Toddi schleuderte seine Schuhe ab und verschwand, um nach kurzer Zeit mit einem Nachtrock zurückzukehren, in welchen Terry trotz heftigen Sträubens schleunigst eingehüllt wurde. Dann nahm Willi den Patienten zärtlich auf den Arm und sagte:

»Sein Nachtrock hängt aber 'n schrecklich Ende runter, Toddi. Ich glaube, wir stecken den unteren Teil lieber mit Stecknadeln hoch, so wie es die Amme neulich beim Schwesterkindchen machte.«

»Wir haben ja keine Stecknadeln,« erwiderte Toddi.

»O, ich weiß was – wir wollen den Rock mit dem Strick hochbinden. Dann kann Terry auch die Füße nich' rausstecken un' braucht nich' mehr dran zu denken, daß er so'n armer, kleiner, kranker Hund is.«

In einer Minute waren die herabhängenden Teile des Rockes um das arme Tier geschlagen und fest um den Körper desselben geschnürt, wobei Toddi, welcher den stämmigen, kleinen Hund nur mit Mühe halten konnte, ausrief:

»Herrje! Sein Vorderende is ganz gesund! Sie nur, wie es hin- un' herzappelt. Aber ich glaube, sein Nachtrockkragen sieht gar nich hübsch aus, nich' wahr?«

»Nein,« antwortete Willi, »un' Terry wird gleich rauskriechen, wenn wir den Kragen nich' hübsch zusammenschnüren. Ich will das gleichmal thun. Sieh so! Jetzt möcht ich aber doch wissen, ob einer schon mal 'n kranken Hund gesehen hat, der reizender aussah als Terry. Aber wo bringen wir ihn denn jetzt zu Bett?«

»Wir wollen ihn wiegen,« schlug Toddi vor, »das mögen wir auch gern, wenn wir krank sind.«

»Dann müssen wir ihn ins Haus tragen,« erwiderte Willi. »Hier ist es ja nichts, wo wir Schaukelstuhl mit spielen können. Komm mit!«

Leise schlichen die beiden ins Haus und in ihr Zimmer. Dann trat Willi seine kostbare Bürde einen Augenblick an Toddi ab und machte sich auf die Suche nach einem Schaukelstuhl, mit dem er nach kurzer Zeit zurückkehrte.

»Da!« sagte er, indem er den Patienten wieder auf den Arm nahm und sich damit im Schaukelstuhl niederließ, »jetzt ist's doch wenigstens 'n ordentliches Doktorspielen, aber ich weiß nich' recht, was für 'ne Medizin er eigentlich nehmen muß – Pillen oder Pulver.«

»Oder Medizin aus 'ner Flasche?« fragte Toddi.

»Das is' so'ne Sache,« meinte Willi. »Ich glaube, wir müssen woll die Medizin nehmen, die wir kriegen können. Wollen wir ihm nich' 'n paar schöne Pillen aus Seife machen?«

»O, jetzt weiß ich was,« jubelte Toddi, indem er in ein Seitenzimmer eilte und einen alten mit Jettperlen besetzten Damenmantel daraus hervorholte, von dem er eine Anzahl Perlen abriß, »dies sind wunderschöne Pillen, die hab ich neulich auch genommen, als ich Dokter un' kranker Junge spielte, un' sie schmecken nich 'n bischen schlecht;«

»Famos,« erklärte Willi: »reiß man noch 'n paar ab.«

Dieser Befehl wurde ausgeführt und gleich darauf wurden die Jettperlen, eine nach der anderen, sorgfältig den Schlund des armen Tieres hinunterbefördert, wobei Willi das Maul desselben mit einem Finger öffnete, wie er es seinem Vater hatte machen sehen. Doch plötzlich klappten die Kinnbacken des Hundes fest zusammen.

»Ich will auch mit helfen,« sagte Toddi, »ich hab' ihn noch nich' 'n bißchen gedoktert.«

»Schön,« sagte Willi, »ich weiß aber wirklich nich', was du noch für ihn thun kannst, denn Pillen will er ja nich' mehr nehmen. Vielleicht hat er irgendwo am Kopf 'ne schlimme Stelle, wo du 'n Heftpflaster auflegen kannst – aber du hast ja kein Heftpflaster. O, ich will dir was sagen, du kannst dir 'ne Briefmarke aus Onkel Harrys Schreibpult holen– die geht wunderschön als Heftpflaster.«

»Ich will ihn auch wiegen, nich bloß doktern,« erklärte Toddi.

»Ich bin bange, daß ihm das jetzt nich' gut bekommt,« erwiderte Willi, das Gesicht des Patienten mit zärtlicher Besorgnis betrachtend.

»Na, dann will ich dir was sagen,« erwiederte Toddi mit der Miene eines Mannes, dem eine direkte Inspiration geworden ist, »laß uns eine Minute mit Doktorspielen aufhören, bis ich ihn wieder auf den Arm genommen habe – nachher kann er wieder kranker Junge sein.«

»Na, denn man zu,« antwortete Willi, offenbar gegen seinen Willen überzeugt, »ich glaube, es geht woll nich' anders, wenn alle Dokters ihr Glück an ihm versuchen wollen. Aber hör' mal Toddi, Papa sagt, zuviel Dokters sind den Kranken ihr Tod. Meinst du nich' auch, daß wir's lieber erst mal ordentlich zusammen besprechen? Es wäre doch schrecklich, wenn Onkel Harrys lieber, kleiner Hund totginge, nich' wahr?«

»Schön,« sagte Toddi, »aber ich will ihn halten, während wir sprechen. Ich will ihm auch kein Bischen Medizin geben, bis wir wissen, was er nehmen darf.«

»Es is aber nich einerlei, wer kranke Leute auf den Arm nimmt,« sagte Willi nachdenklich, indem er den Patienten noch zärtlicher umfaßte und Toddis ausgestreckte Arme gar nicht beachtete. »Weißt du nich' mehr, daß Mama immer sagte, es käme alles darauf an, wer Philli auf dem Arme hielte? Un daß die Medizin nich' ordentlich in seine lieben kleinen Knochen und Muskeln laufen könnte, wenn manche Leute ihn auf den Arm nähmen? Un' weißt du nich' mehr, wie er immer schrie, wenn du an ihn 'rankamst?«

»Ach, das that er ja nur, weil ich meine Finger in seine Augen stippte, weil ich gern sehen wollte, wo das Weiße von gemacht is. Mit Terry hab' ich das noch nich einmal gemacht, ich konnte ihn noch nich' ordentlich zu fassen kriegen. Sieh' nur, wie traurig er dich anguckt. Ich glaube, seine Augen wollen sagen: ›Ach, ich muß sterben, wenn der liebe Doktor Toddi mich nich' auf den Arm nimmt.‹ So schrecklich grausam wirst du doch nich' sein, Willi.«

Willi gab seine kostbare Bürde zögernd an Toddi ab, und letzterer empfing den Patienten mit einer so liebevollen Umarmung, daß derselbe jämmerlich heulend sich loszustrampeln suchte.

»Siehst du woll?« rief Willi, »Hab ich's nich' gleich gesagt? Du gehörst zu den Leuten, die er nich leiden kann.«

»Das is nich' wahr,« antwortete Toddi. »Die Medizin is schuld daran. Es sind die Perlen – die Pillen mein' ich – die thun so weh, wenn sie in seine Knochen und Muskeln kommen.«

»Ich glaube,« meinte Willi, »das kommt davon, weil wir sie ihm nich' mit was Süßem zusammen gegeben haben, so wie Papa uns Medizin giebt.«

»Dann wollen wir ihm jetzt gleich was Süßes geben,« schlug Toddi vor. »Vielleicht kann das die Medizin finden, dann können sie hübsch zusammen gehen, grad' wie zwei kleine Brüder.«

»Ja, ja,« rief Willi, »aber was soll es sein?«

»Torte,« schlug Toddi vor.

»Wer soll denn Tante Alice darum bitten?« fragte Willi. »Ich glaube, das thust du am besten – diesmal. Als wir das letzte Mal Kuchen haben wollten, hab' ich's gethan. Das heißt, ich hab ihn mir selbst genommen, ohne zu fragen, aber nachher hab' ich ihr versprochen, immer erst darum zu bitten.«

»Dann fange jetzt man gleich damit an,« riet Toddi, »sonst vergißt du's vielleicht wieder. Ich weiß woll, warum du so gerne willst, daß ich's thun soll. Dann kannst du Terry wieder auf den Arm nehmen, wenn ich fort bin.«

»Na denn,« antwortete Willi, sichtlich niedergeschlagen, »denn muß ich woll.«

Willi ging fort und kehrte nach einigen Minuten mit einem großen Stück Fruchttorte und strahlend vor Freude zurück.

»Nu' will ich dir mal was sagen, Toddi. Wenn einer wirklich gut is, kriegt er auch gleich seine Belohnung. Ich ging hinunter, um Tante recht schön um die Torte zu bitten; aber da konnt ich sie nirgends im Hause finden, un' da ging's doch nich' anders, da mußt' ich sie mir selber nehmen. Un' so'n großes Stück hätten wir sicher nich' gekriegt, wenn sie dagewesen wäre, das is gewiß. Jetzt weiß ich erst, was der große Spruch an der Wand in der Sonntagsschule bedeutet: ›Jede gute That belohnt sich selbst.‹

»O du,« rief Toddi, die Torte ergreifend, »das ganze Stück dürfen wir ihm nich' geben, da kriegt er schlechte Träume nach.« Gleichzeitig hielt er dem Hunde die Torte vor's Maul, welcher gierig hineinbiß. »Ach Gott! Ich hab' ja gar nich' dran gedacht, daß Hunde größere Happen nehmen als kleine Kinder. Ich glaube, er hat schon mehr gekriegt, als ihm bekommt. Weg, Terry!« rief er dann, als der Hund wieder gierig nach der Torte schnappte. »Wir müssen das wohinthun, wo er's nich' sehen kann, sonst jammert er immerzu danach.«

Und mit bewunderungswürdiger Geistesgegenwart stopfte Toddi geschwind den größten Teil der übrig gebliebenen Torte in seinen Mund.

»Nein, das gilt nich'!« protestierte Willi, indem er den Rest der Torte durch einen schnellen Griff an sich zu bringen suchte. »Du hast ja gar keine Medizin genommen; jetzt wirst du von so viel Kühen träumen (beim Alpdrücken der Lawrence kamen stets Kühe vor) wie du noch nie gesehen Haft. Gieb mir doch den Rest!«

»Un – m – m mu – um!« murmelte Toddi mit Anstrengung, den Rest der Torte mit festerem Griff umklammernd. »O gieb ihn mir doch,« flehte Willi. »Ich will ihn essen, dann träum' ich von denselben Kühen, wie du. Du hast doch so oft gewünscht, ich möchte dasselbe träumen, wie du, und hast dich oft geärgert, wenn ich was anderes träumte; weißt du's nich' mehr?«

Toddi suchte seinen Mundvoll schleunigst hinunterzuwürgen, verschluckte sich und hustete heftig, aber endlich konnte er seinen Gefühlen Ausdruck verleihen:

»Ach Willi, es' is ja gräßlich, von Kühen zu träumen, und ich hab dich doch so lieb, weil du mein lieber Bruder Willi bist, und ich will nich', daß du schreckliche Dinge träumst.«

Hiermit stopfte Toddi den größten Teil des Tortenrestes in seinen Mund und reichte dann die traurigen Ueberbleibsel seinem Bruder mit den Worten hin:

»So, das kannst du kriegen, nu' wirst du höchstens von zwei oder drei Kühen träumen un' brauchst nich' so gräßliche Angst auszustehen, wie ich manchmal.«

Willi würde diesen Beweis brüderlicher Fürsorge sicherlich mit passenden Worten anerkannt haben, wenn sein Mund nicht angenehmere Beschäftigung gefunden hätte. Underdessen jaulte und zappelte der arme Patient erbarmungswürdig. Endlich befreite er sich jedoch mit verzweifelter Anstrengung aus Toddis Armen und fiel auf den Boden, wo er sich heulend und krampfhafte Bewegungen machend umherwälzte.

»Der arme Terry hat Krämpfe gekriegt,« sagte Willi mitleidig, »er kriegt wahrscheinlich Backenzähne. Was können wir dabei thun?«

»Morphium,« schlug Toddi vor.

Wir haben ja keins,« erwiderte Willi nachdenklich. »Aber ich will dir mal was sagen. Laß uns mal 'n Augenblick so thun, als ob er 'n Hund is, un' ihn mit Wasser begießen – das thut man immer, wenn Hunde Krämpfe haben.«

»Ne du, dann machen wir ja Tante Alice ihren hübschen Teppich ganz naß,« wandte Toddi ein. »Wir wollen ihn lieber in die Badewanne setzen.«

»Hurra, das geht!« jubelte Willi und nahm den Hund geschwind auf den Arm, während Toddi voranlief und einen Wasserhahn aufdrehte. Dann wurde der Hund in die Wanne gesetzt, wo er seine Anstrengungen, sich zu befreien, natürlich verdoppelte.

Als Willi dies sah, sagte er:

»Du Toddi, hör' mal, wenn Kinder Zähne kriegen, werden sie in heißes Wasser gesetzt. Wir wollen jetzt wieder so thun, als ob er 'n Kind is, un' das andere Loch aufdrehen.«

Toddi ließ sofort heißes Wasser in die Badewanne, und das arme Tier, welches einzusehen begann, daß es sich nicht selbst aus dieser qualvollen Lage befreien könne, fügte sich allmählich ins Unvermeidliche.

»Siehst du woll – jetzt geht's ihm besser,« rief Willi, welcher Terry mit ruhig prüfender Doktormiene beobachtete. »Ich glaube, er kann jetzt wieder raus. Au! Au! Das Wasser is gräßlich heiß! Wie kriegen wir ihn denn jetzt wieder raus?«

Toddi beugte sich über den Rand der Wanne und ergriff Terry am Kopf. Der arme Hund machte krampfhafte Bewegungen. Toddi verdoppelte seine Anstrengungen und war mit Leib und Seele bei der Sache. Da verlor er plötzlich das Gleichgewicht und purzelte kopfüber in die Badewanne. Unter fürchterlichem Geschrei kletterte er dann sogleich wieder heraus, während Willi Terry am Kopfe ergriff und ihn ebenfalls auf's Trockene brachte.

»Au–au–oh,« heulte Toddi.

»Thut's denn so schrecklich weh, lieber, kleiner Toddi?« fragte Willi zärtlich.

»Nein,« erwiderte Toddi schluchzend. »Das Wehthun hat schon wieder aufgehört, aber–o! puh! 'n ganzen Eimer Wasser hab' ich in mein' Mund gekriegt, und der hat den ganzen Kuchengeschmack herausgewaschen – un' das ist's, was mich so furchtbar ärgert.«

»Wenn's weiter nichts is, dann setze dich nur draußen in die Sonne un' trockene dich,« sagte Willi beruhigt, »un' bring erst mal trockene Kleider für den armen Hund.«

»Ich will selbst trockene Kleider haben,« schluchzte Toddi.

»Na denn komm mal mit,« rief Willi, ins Kinderzimmer vorangehend und das nasse Bündel mit dem Hunde hinter sich herschleifend. »So,« sagte or dann, die Thür zuschließend, »jetzt zieh' du dich um, ich will Terry hübsch machen.«

Mit großer Sorgfalt löste er dann den Strick, der das arme Tier gefesselt hielt, dabei die Vorsicht gebrauchend, das eine Ende desselben an Terrys Halsband und das andere an einen Stuhl zu binden. Dann befreite er Terry aus dem Nachtrock, holte eine Bürste, einen Kamm und eine Flasche Eau de Cologne aus der Kammer seiner Tante und machte sich daran, das Fell des Hundes zu bürsten, welches er ausgiebig mit Eau de Cologne begoß.

Terry, der wieder auf seinen Füßen stehen konnte, war zu sehr von Dank erfüllt, als daß er ernstlichen Widerstand versucht hätte, und die Toilette-Arbeit nahm ihren ungestörten Fortgang, bis Willi plötzlich eine gehörige Portion Eau de Cologne über den Kopf des Hundes goß. Die Flüssigkeit fand ihren Weg in Terrys Augen, und der darin enthaltene Alkohol verursachte dem armen Tier solche Pein, daß es, den leichten Stuhl hinter sich herschleifend, wie toll durch's Zimmer raste. Da nun Willi, als er aus der Kammer seiner Tante kam, die Thür offen gelassen hatte, so stürmte Terry auf die Treppe los.

Der obere Teil des Stuhles prallte gegen das Treppengeländer und löste sich sofort in seine Bestandteile auf. Die Ueberbleibsel dieses Meisterstückes amerikanischer Tischlerkunst flogen hinter dem Hunde drein die Treppe hinunter, beschrieben am Fuße derselben einen schwungvollen Halbkreis in der Luft und karambolierten bei dieser Gelegenheit mit einem hübschen Kabinett-Hutständer, zum schweren Nachteil der Politur des letzteren. Dann, immer noch dem ungestümen Gebot des am Halsband des Hundes befestigten Strickes gehorchend, bewegte sich die Stuhlruine in Zickzacksprüngen durch's Wohnzimmer, mit den Klavierpedalen in Konflikt geratend, und ein Bein als Siegestrophäe für dieselben zurücklassend. Darauf versuchte sie vom Feuerplatz aus in den Kamin hinaufzuspringen, kam aber nicht weiter als bis zum Feuerbock, dessen Stellung ernstlich erschüttert wurde, dann geriet sie zwischen die Beine eines antiken Tisches, denselben vollständig über den Haufen werfend und gleichzeitig ihr Sitzbrett bei den Trümmern desselben zurücklassend, – prallte gegen einen Blumenständer, der sofort mit lautem Krach zu Boden stürzte, – nahm ihren Weg in das Eßzimmer, in einen Stuhl, über den Tisch, dessen Decke wegraffend und sich einige Augenblicke darin verwickelnd, – und Polterte endlich die Stufen zur Küche hinunter, wo sie Frau Burton begegnete, die eben von einem Besuch bei ihrem Grünwarenhändler zurückkehrte. Da nun der Stuhl ein sehr schmuckes Möbel und enorm teuer gewesen war, suchte Frau Burton natürlich eine Auseinandersetzung mit Terry anzubahnen, aber der gar zu hart geprüfte Hund verfolgte offenbar andere Pläne, die er nicht durchkreuzen lassen wollte. So wich er denn wütend um sich schnappend seiner Herrin aus, stürmte an ihr vorbei durch die Küche und suchte die schattige Einsamkeit des Waldes auf.

Weibliches Ahnungsvermögen, mit Erfahrung gepaart, ließ Frau Burton den wahren Sachverhalt erraten. Sie blieb einige Augenblicke stehen, um ihre Fassung wiederzugewinnen und vollkommen ruhig ihres Richteramtes walten zu können, dann machte sie sich auf, um die Uebelthäter zu suchen. Sie waren nicht in ihrem Zimmer, doch legten ein Haufen nasser Kleidungsstücke und die überall im Zimmer herrschende Unordnung Zeugnis davon ab, daß sie dagewesen waren, seitdem das Mädchen das Zimmer in Ordnung gebracht hatte. Bei weiteren Nachforschungen fand sie Toddi auf ihrem eigenem Bett so fest und friedlich schlummernd, daß sie nicht das Herz hatte, ihn zu wecken. Es drängte sich ihr die Ueberzeugung auf, daß Willi der einzige Schuldige sein müsse, sie fahndete also eifrig auf Willi und fand ihn schließlich in einem kleinen Aussichtsturm auf der First des Hauses, wo er träumerisch aus einem Fenster blickte. Das Rauschen des Kleides seiner Tante schreckte ihn auf; er wandte sich nach ihr um und fragte mit einem Blick voll innigen Gefühls und wehmütiger Trauer:

»Du, Tante Alice, alle Menschen müssen doch sterben, nich?«

»Ganz gewiß,« erwiderte seine Tante mit Nachdruck, »und wenn du das Zeitliche gesegnet hättest, ehe du meinen hübschen Stuhl zerbrachst, so würde dein Pilgerleben hienieden weniger verderbenbringend gewesen sein, als es sich heute morgen leider erwiesen hat.«

»O, Tante Alice,« fuhr Willi, ganz von seinen Gedanken in Anspruch genommen, fort, »siehst du woll den Gottesacker dort seitwärts in der Ferne? Da sind doch gewiß schon schrecklich viel tote Menschen drauf, nich' wahr?«

»Gewiß,« antwortete Frau Burton, »aber was die mit meinem zerbrochenen Stuhl zu thun haben, ist mir durchaus unerfindlich.«

»Ich möchte nämlich schrecklich gern wissen,« fuhr Willi, unbekümmert um alles andere auf sein Ziel lossteuernd fort, »wenn mal der letzte Mensch stirbt, wer dann Blumen in sein Grab wirft, und wer das Grab graben soll, wo der letzte Mensch hineinkommt? Wenn ich das nun wäre? Dann wüßt ich ja gar nich', wie ich es anfangen sollte, 'n ordentliches Begräbnis zu kriegen. Halt! Jetzt weiß ich's, – ich würde den lieben Gott bitten, daß er mich gleich in den Himmel hinauf nimmt, wie den guten, alten Elias. Aber sag doch mal, Tante Alice, wer hat denn eigentlich den Wagen gezogen, wo Elias mit in den Himmel gefahren ist? Das haben woll die Raben gethan, die ihm immer sein Frühstück brachten?«

»Ich weiß nicht,« erwiderte Frau Burton kurz, »aber das ist gewiß, daß er niemals in den Himmel geholt sein würde, wenn er die Gewohnheit gehabt hätte, die Stühle anderer Leute zu zerbrechen und die zerbrochenen Teile an Hunde festzubinden.«

»Wie so denn?« erwiderte Willi, dem jetzt erst ein Licht darüber aufging, worauf seine Tante mit ihren Bemerkungen hinauswollte. »Ich hab' doch keine Teile von Stühlen an Hunde festgebunden, ich hab' den ganzen, heilen Terry an 'n Stuhl angebunden un' ich war so nett gegen ihn, wie du es nur je gegen mich gewesen bist – da, auf einmal rannte er mit dem ganzen Stuhl fort. Du kennst doch die Geschichte in der Bibel von den bösen Teufeln, die in 'ne Herde Schweine fuhren un' sie dann von 'm Berg runter in den Ocean stürzten. Na ja – ich glaube ganz sicher, daß welche von diesen Teufeln in Terry hineingefahren sind.«

Frau Burton glaubte nicht so recht an derartigen Teufelsspuk, aber ihr Zorn war größtenteils verraucht. Um weiteren Demütigungen zu entgehen, verließ sie Willi plötzlich und ging in's Wohnzimmer hinab. Die Szene, welche sich dort ihren Blicken darbot, war derart, daß keine Frauenzunge sie hätte beschreiben können, und ihre hastigen Versuche, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen, waren so wenig erfolgreich, daß ihr Zorn von neuem emporloderte. Während in ihrer Seele noch Zorn und Verzweiflung um die Herrschaft kämpften, betrat ihr Neffe Willi das Zimmer und rief vorwurfsvoll: »Aber Tante Alice, weshalb hast du denn den Tisch umgeworfen und die hübsche Vase mit den künstlichen Blumen zerbrochen?«

Frau Burton sprang auf, nahm die konventionelle Attitüde der Lady Macbeth an und drohte Willi so unheilverkündend mit dem Finger, daß der junge Mann scheu zurückwich.

»Morgen!« war das einzige Wort, welches sie ihm zurief.


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