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Vierzehntes Capitel.

Olga Wäsämskoi.

Die kleinen Wäsämskoi's hießen Rurik und Paulowna, sprachen deutsch und glichen sicher mehr ihrer deutschen Mutter, einer gebornen Adèle von Osteggen, als ihrem russischen Vater, dem Knäs Wäsämskoi.

Zutraulich machten sie die Bekanntschaft Siegbert's, von dem ihnen Rudhard, obgleich noch völlig unbekannt mit Siegbert's Talent, doch erzählte, daß er ein Maler wäre und herrliche Bilder machen könne.

Gleich hatten sie ihm ihre eignen Versuche in dieser Kunst mitzutheilen und versprachen ihm Proben zu zeigen.

Siegbert faßte die kleine Paulowna an der Hand, Rurik zog, ja zerrte ihn fast die Treppe hinauf in das Zimmer Rudhard's, den sie Papa nannten.

Dies Zimmer war sehr traulich von der eben sinkenden Sonne beleuchtet und obgleich erst seit kurzem bewohnt, doch schon von Taback ziemlich eingeräuchert.

Ich bin kein eleganter Hofmeister, sagte Rudhard, wie der moschusduftende Monsieur Rafflard in Schmalelinken, wo ich keine andere Unterhaltung als mein Weib, die Besuche aus Osteggen und den Taback hatte.

Die Kinder ließen ihm keine Zeit, seine eigene Einrichtung zu zeigen. Alles wußten sie genauer als Rudhard. Sie schleppten Bücher, Zeichnungen, gestickte Polster herbei, um ihren Besuch zu unterhalten. Ja es hätte nicht gefehlt, sie würden eine altmodische Stutzuhr heruntergeholt haben, um ihm zu zeigen, daß daran in Bronze der Tod immer mit der Hippe aufklopfe, wenn es eine neue Stunde schlüge...

Endlich hatte Rudhard unter Papieren kramend sein altes Stammbuch gefunden und zeigte es Siegberten, den theils die Kinder, theils der anmuthige Blick in den Garten fesselten.

Rudhard schlug in dem kleinen Buche mit altem abgestoßenen Maroquinband die vergilbten Blätter auf und zeigte Siegberten eins, wo sein Vater recht mit einer Knabenhand die Worte eingeschrieben hatte:

Nemo ante mortem beatus. In memoriam Ottonis Wildungen Portensis.

Paulowna fragte, wie das hieße und Rurik konnte schon so viel Latein, daß er auf Rudhard's Aufforderung übersetzte:

Niemand ist vor dem Tode glücklich. Zur Erinnerung an Otto Wildungen...

Bei Portensis stockte Rurik. Rudhard mußte es erklären und sagte:

Das heißt Otto Wildungen, ein fleißiger und sehr braver Schüler aus dem berühmten alten Stifte zur Schulpforte.

Rurik begriff nicht, wie ein einziges Wort Portensis so viel ausdrücken könne und wurde über die Vortrefflichkeit der alten Römersprache sehr nachdenklich.

Siegbert fühlte die Wahrheit dieses Spruches aus dem kummervollen Leben des Vaters ergriffen genug nach. Auf einem andern Blatte stand:

Per aspera ad astra. In memoriam Theophili Gelbsattel Portensis.

Rurik übersetzte wieder streng schülerhaft:

Durch Rauhes zu den Gestirnen. Zur Erinnerung an –

Gottlieb Gelbsattel, ergänzte Rudhard –

Heißt Portensis hier wieder ein fleißiger, braver Schüler aus Schulpforte? fragte Rurik.

Hier heißt es, sagte Rudhard, blos: Ein gut fortgekommener Schüler aus Schulpforte.

Rurik begriff diese neue Feinheit der Sprache nicht und übersetzte jetzt ohne allen Commentar das dritte Blatt von Heinrich Rodewald, das so lautete:

Nec te vestigia terrent! In memoriam Henrici Rodewald Portensis.

Und nicht dich Spuren schrecken! Was heißt Das? sagte der Knabe.

Rudhard antwortete:

Dieser Spruch ist schwer, mein Sohn, für einen Knaben zu begreifen und noch unglaublicher, wie man ihn als Knabe schon zum Denkspruch wählen konnte. Sicher hatte ein Lehrer diesen Spruch erläutert und für den wilden unternehmenden Rodewald paßte er wol. Dich erschrecken nicht, heißt Das, die Folgen deiner und fremder Handlungen! Ein trotziges Wort! Und doch gefällt es mir, wenn es der Muthige und der Tugendhafte sagt.

Siegbert mochte nicht hinzufügen, daß es hier der Tugendhafte nicht gesagt hätte. Dennoch mußte er erstaunen, wie im Bruder seiner Mutter schon so früh sich diese Sicherheit der eigenen moralischen Verantwortlichkeit ausgesprochen hatte: Nec te vestigia terrent! Und Spuren, ob eigne oder fremde, Folgen oder Gefahren, schrecken dich nicht!

Rudhard ergriff die Feder und sagte:

Zu Ihrem Vater aber muß ich ein Kreuz setzen zum Zeichen, daß er dahin ist. Niemand ist vor dem Tode glücklich. Wann fand der Gute sein Glück?

Siegbert nahm ihm die Feder ab und schrieb in bewegter Stimmung den schmerzlichen Todestag des Vaters hin. Unwillkürlich malte er dann das bei allen Verstorbenen stehende Kreuz so wie es zu ihrer Familiengeschichte gehörte, mit dem vierblättrigen Kleeblatt. Dazu schlug die merkwürdige alte Uhr über ihnen eben sieben und der Sensenmann schwang richtig siebenmal seine Hippe.

Die Form des Kreuzes fiel Rudhard auf. Doch unterließ es Siegbert ihm weitere Aufklärungen zu geben, weil der kleine Rurik durch die Devise: Niemand ist vor dem Tode glücklich! auf das Auskramen seiner kleinen Weisheit gerieth. Er wußte nämlich, daß diese Worte der weise Solon zum reichen Krösus gesagt haben soll, als ihm dieser seine Schätze zeigte. Rudhard ermunterte ihn, diese hübsche Geschichte seiner Schwester Paulowna zu erzählen. Er wollte ihn vorläufig los sein.

Indem Rurik sich dazu mit vielfachen Selbstberichtigungen und Wendungen: Nein, so war's, oder so.. in Athem setzte, bemerkte Siegbert, daß sich die Gesellschaft des nicht zu geräumigen Zimmers um eine Person vergrößert hatte.

Ganz leise und von ihm wenigstens unbemerkt war während des Blätterns in dem alten Schulpforter Stammbuche ein junges Mädchen von eigenthümlichem Wesen eingetreten und hatte sich ohne Gruß, ohne Antheil zu bezeugen, ohne ein Wort zu sprechen hinter Rudhard gestellt und den Erläuterungen der einzelnen Blätter zugehört.

Sie war älter als Rurik, der etwa zwölf Jahre zählen mochte.. Paulowna schien deren erst acht zu haben. Dennoch hatte sie etwas, was hinter ihren Jahren zurück war und plötzlich wieder etwas, was ihnen weit voraus schien. Sie war nicht groß, diese zarte Gestalt, von einer durchsichtigen weißen Haut. Der Kopf war entschieden russischnational. Die Augen mehr länglich als rund, aber sanft mit langen schwarzen Wimpern beschattet; die Lippen voll und schwellend, aber etwas bleich. Die Form des Gesichtes sehr rund, die Nase zart, aber mehr stumpf, als regelmäßig schön, die Augen blau, ruhig, tief und klar oder doch nur so unheimlich wie ein zu stiller See, von dem man nicht weiß, wo er das frische Quellwasser, das in ihm rinnt, hernimmt, durch welche unterirdische Schleuse er mit größeren, unbekannten, geheimnißvollen Gewässern zusammenhängt. Das starke pechschwarze, glänzende Haar war vorn im Scheitel und hing in den Nacken in zwei dick geflochtenen Zöpfen herab. Daß dies Mädchen noch feine battistene Spitzenpantalons trug, war fast eine Anomalie und doch war bei allem Ernst ihres Wesens, bei aller Reife des Blickes der ganze Eindruck unbestimmt, ja auf Augenblicke völlig kindlich.

Wie Siegbert diese stillgekommene Vermehrung der Gesellschaft bemerkte, sagte Rudhard zur Vorstellung die einfachen kurzen Worte:

Meine liebe Olga! Die Schwester meines guten Rurik, der so gut aus dem Herodot zu erzählen weiß, den er binnen zwei Jahren hoffentlich im Urtext liest! Der junge Maler, von dem ich der Mutter vorhin erzählte, Herr Wildungen!

Olga Wäsämskoi achtete wenig auf diese etwas förmlichen Worte, sondern sah fast todt und kalt in das Stammbuch, das Rudhard eben weggelegt hatte. Sie betrachtete das Kreuz, das Siegbert gezeichnet und schien dabei fast ohne allen Antheil, fast ganz apathisch.

Siegbert, befremdet über diese Art, hielt Olga mit Recht für stolz und besann sich, daß sie nach russischem oder französischem Sprachgebrauch eine Prinzessin war.

Wir müssen in den Garten gehen, Sie müssen die Mutter dieser guten Kinder kennen lernen, begann nun Rudhard.

Siegbert entschuldigte sich und wies auf seine Kleider.

Olga hob den Blick vom Stammbuche auf, stellte sich rückwärts an's Fenster und betrachtete Siegbert mit einem Blicke, dessen Ruhe ihm wahrhaft unbegreiflich war. Noch hatte sie kein Wort gesprochen, nicht das mindeste Interesse verrathen und doch setzte sie ihn durch diese Art, ihn zu fixiren, fast in Verlegenheit.

Rudhard lachte aber über Siegbert's Bedenklichkeiten wegen der Kleidung.

In ein so förmliches Haus, sagte er, sind Sie hier nicht gekommen. Unsere Jäger und Haiducken ließen wir in Odessa. Wir brachten nur uns selbst mit, Menschen ohne Ansprüche, die hier leben wollen, um zu lernen, einsammeln für die Misjahre, die in Rußland genug noch kommen werden. Begleiten Sie uns nur in den Garten! Sie sollen uns noch manchen Rath geben. Ja, ja, wir halten diese Bekanntschaft fest!

Die Kinder hüpften voraus. Olga blieb zurück und folgte Rudhard und Siegberten nur in gemessener Entfernung. Man trat aus dem Hause und bemerkte leider, daß ein Wagen vorgefahren war, der der Fürstin wol einen Besuch gebracht hatte. Siegbert entdeckte zur Mehrung seiner Verlegenheit sogar einen Bedienten in Hoflivree.

Wir lustwandeln etwas im Garten, sagte Rudhard, als ihm ein Diener der Fürstin gesagt hatte, die Oberhofmeisterin von Altenwyl wäre bei der Herrschaft.

Der Diener sprach diese Meldung aus, wie wenn es sich um das Gewöhnlichste handelte. Ein seltsamer Gegensatz zu Siegbert's Empfindung, der die hohe Bedeutung dieser Frau Gräfin von Altenwyl vollkommen kannte. Man ließ nun, um die Seitenfront biegend, die hintere Front des Hauses liegen. Hier gerade in der Nähe eines grünen Rasens und eines Akazienbaumes, dicht an der mit wildem Wein bezogenen Wand des Hauses, saß die Fürstin mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt auf einem Gartenstuhl vor einem einfachen ländlichen Tische, auf dem bunte Wolle zu Stickereien, gemalte Muster, angefangene Teppiche ausgebreitet lagen. Hier hatte die Fürstin eben die Gräfin von Altenwyl empfangen...

Die Kinder wurden natürlich herbeigerufen, um der Gräfin, einer Freundin der verstorbenen Mutter der Fürstin, vorgestellt zu werden...

Die Kleinen trennten sich ungern von Siegbert, den Rurik und Paulowna schon an der Hand gefaßt hatten, um ihm ihre großen Pläne und Anlagen zu zeigen, die sie im Garten anzuwühlen, denn das war der beste Ausdruck dafür, im Sinne hatten.

Rudhard, der ein schwarzes Sammetkäppchen aufsetzte, grüßte im Vorübergehen leicht. Siegbert zog den Hut mit schuldiger Ehrerbietung und bemerkte, daß die Fürstin noch jung war, klein und zart und von einer Weiße der Haut, die von der Trauer, die sie noch trug, in einer dem Auge sehr wohlthuenden Art abstach.

Als Rudhard und Siegbert allein waren, sagte jener:

Diese Unmasse von Besuchen, die auf uns einstürmen, sind die lästige Seite unsres hiesigen Aufenthaltes. Und das Kennenlernen von Menschen ginge noch, da es lehrreich ist. Aber Jeder will noch mehr, als nur seine Person zeigen oder die unsrige erforschen. Man bietet sich zu hunderterlei Liebesdiensten an, die im Grunde keinen andern Sinn haben, als sich in seiner Macht, seinem Einflusse und leider auch in seinen falschen Lebensauffassungen zu zeigen. Da werden Bedürfnisse geweckt, die uns früher fremd waren, Meinungen, Unternehmungen sogar werden als sich von selbst verstehend vorausgesetzt, die wir weder kennen noch uns an ihnen zu betheiligen Verlangen tragen. Da hab' ich meine Noth im Widerlegen, im Entfernthalten! Glauben Sie mir, Das, was man die Gesellschaft nennt, ist der anmaßendste Tyrann, den man sich nur denken kann! Er nimmt die Menschen gefangen wider ihren Willen und bildet sie, ohne daß sie seine Berechtigung dazu anerkennen wollen.

Der Eindruck dieser großen Stadt, bemerkte Siegbert, wird um so gefährlicher sein, als mir die Fürstin noch jung scheint und unmöglich zu den schon abgeschlossenen Charakteren gehören kann.

Sie zählt doch, sagte Rudhard, schon etwa sechs und dreißig Jahre, während Helene, die Gräfin d'Azimont, etwa erst im dreißigsten steht. Sie haben Recht, wenn Sie andeuten, daß dies für die Frauen gefährliche Altersstufen sind. Diese und die erste zarteste Entwickelung der Jungfrau! Die Knospe hat eine mächtig überschwengliche Vorstellung von der Seligkeit ihrer künftigen Blüte und lacht ihrer Zukunft mit zitternder Ungeduld entgegen. Und die schon volle Rose, die dem Entblättern nahe ist, die sträubt sich dann auch noch gegen ihren Verfall. Eine Frau in diesen Jahren weiß, daß es nun die Zeit des Abschieds ist, daß Das, was ihr bis dahin nicht geblüht hat, nie mehr blühen wird, und so erlebt man oft, daß die edelsten und besten Charaktere von diesem Alter wahrhaft beunruhigt werden und in die gefährlichsten Schwankungen gerathen.

Glauben Sie, daß bei der Gräfin d'Azimont dies der Fall war? fragte Siegbert, den die vereinzelten Andeutungen, die er schon über diese Frau empfangen hatte, doch interessirten..

Helene d'Azimont, sagte Rudhard, war ein liebes sanftes Kind! Als ich sie in Osteggen kennen lernte, schloß sie sich mir mit wahrer Zärtlichkeit an, inniger fast, als ihre ältere, eben sich verlobende Schwester Adele. Sie war damals dreizehn oder vierzehn Jahre alt. In Odessa versank Helene fast in eine stille Traurigkeit. Sie fand sich in der neuen Welt nicht zurecht, gerieth in ein dumpfes Brüten und wurde träg. Ich wollte sie durch die Bildung anspornen, aber sie trug wahrhaft schwer unter der Last der Dinge, die sie lernen sollte. Da hat man denn gern zugegeben, daß ein von der französischen Regierung mit Aufträgen für Konstantinopel reisender Diplomat sie mit sich nahm. Es war ein fröhlicher Gesell, nicht mehr jung, dieser Graf d'Azimont, er fand gerade an der rein physischen Schwere des Mädchens Interesse, was ich mir aus sinnlichen Gründen wohl erklären kann. Denn es mag einen eigenen Reiz gewähren, ein solches Träumen durch die Liebe zum Bewußtsein zu bringen und das schlummernde Phlegma zu beleben. Man ließ Helene mit banger Besorgniß ziehen. Sie ging schon fröhlich, schon fast ausgelassen. D'Azimont hatte sich nicht geirrt. Sein feiner Blick hatte wol herausgefunden, daß ein solches Wesen eigenthümlich beglücken kann. Freilich hat das durch die Sinnlichkeit geweckte Glück keinen Bestand. Bot ihr der blasirte Mann keinen Halt oder mußten sich die versteckten vulkanischen Elemente gewaltsam Bahn brechen, wir erfuhren, daß sie erst auf die wunderlichsten excentrischen Einfälle gerieth, sich wie eine Verschwenderin gebehrdete und jeder Grille kindisches Gehör gab. Alles Das war nur das Vorspiel Dessen, was dann erfolgte. Der Ehebruch versteckte sich hinter dem Namen der Liaisons. Wir hatten manchen Namen nennen hören, der mit ihr, wie man es nennt, liirt war, bis sogar Egon's mir nur knabenhaft erinnerliche Gestalt in diesem trüben Nebel auftauchte, was mir denn, wie Sie wissen, doppelt wehe that...

Diese Liebe soll aber von seiner Seite nicht mit gleicher Neigung erwidert werden, bemerkte Siegbert.

Doch wohl! sagte Rudhard. Wie wäre sie sonst ihm nachgereist! Ihre Schwiegereltern sollen empört sein. Graf d'Azimont droht mit einer Ehescheidung und Enterbung. Es ist Dies ein Umstand, der mir im Interesse der Kinder Adelen's nicht gleichgültig ist. Fürst Wäsämskoi war nicht reich. Es wäre seinen Kindern wol zu wünschen, daß die Tante, die durch d'Azimont's Tod – er soll sich physisch ruinirt haben – ein großes Vermögen erwerben kann, es nicht durch ihren Leichtsinn verscherzt. Da sie der Zufall hierher führte, mit uns in eine und dieselbe Stadt, so werd' ich mich durch die gereizte Stimmung, die zwischen den Schwestern herrscht, nicht irre machen lassen, auf irgend eine Art in diese Angelegenheiten einzugreifen. Ich habe dazu die Vollmacht des Herzens und der auf mich vererbten, väterlichen Sorgfalt des braven Wäsämskoi und der Autorität der alten Baronin von Osteggen, die ein Juwel von einer Mutter war.

Rudhard gerieth über diese seine eigenen Worte so in Feuer, daß er innehalten mußte, um sich zu erholen.

Siegbert fühlte, wie groß das Vertrauen war, das ihm dieser sonst so besonnene, strenge Mann, dem selbst seine Scherze nicht ganz harmlos entglitten, schenkte. Er wollte, ohnehin gedrückt und fast unfähig nachzudenken noch von innerem Schmerze, es nicht misbrauchen und fing von dem Garten an, der zwar nicht sehr kunstvoll und sorgsam angelegt, doch von manchen Naturreizen verschönert war. Ein Gärtner war schon in Thätigkeit, Manches zu verbessern. Es wurde gepflanzt und gesäet, um für die Zukunft noch mehr Bereicherungen der Gartenzier zu gewinnen.

Unter einem Spalier von Weinreben hinschreitend, das von zwei Seiten her zu einem gewölbten Dache zusammengezogen werden sollte, begann Rudhard von dem Plane, den Kindern eine systematische Erziehung zu geben, in der auch Musik und Malerei nicht fehlen dürften...

Reiten, schießen, schwimmen können wir, sagte er, selbst Olga reitet wie eine Amazone! Heute erst wieder soll sie gegen mein Wissen auf einer Manège tolle Streiche gemacht haben. Aber die Hauptsache muß jetzt kommen, die edlere Bildung.

Siegbert wurde dann von ihm förmlich angegangen, ob er nicht den Zeichnenunterricht selbst übernehmen wollte. Wie er noch darüber nachsann, ob er wol Geduld genug besäße, so tief zu den untern Elementen seiner Kunst hinabzusteigen, wandten die beiden Spaziergänger in einen Gang, der sich in einem Blumenrunde endete, das der Mittelpunkt mehrerer strahlenförmig hierher geführter Wege war. Noch die Schwierigkeiten solcher Unternehmungen erörternd, trafen sie in dem Blumenrunde an einem hohen Rosenstrauche von weißen Rosen wiederum Olga, die ihnen den Rücken kehrte und sie doch zu erwarten schien... Sie hatte sie kommen sehen, sich dann an den Rosenstrauch gestellt und beugte die Blumen zu sich herab, als hätte sie in ihren Kelchen etwas zu suchen und zu forschen...

Wie Rudhard an ihr vorüberging, strich er nur leise mit der Hand über die festangezogenen Scheitel ihres schwarzen Haares und sagte, ohne sich weiter aufzuhalten, nichts als:

Olga, suchst du aus Langerweile Marienwürmchen? Oder Was?

Olga sagte nichts auf dies scharfe, absichtliche Wort, blickte auch nicht um sich.. erst als beide Männer vorüber waren, bemerkte Siegbert durch einen Seitenblick, daß sie sich umwandte und ihm nachsah. Kaum begegnete sein Blick dem ihrigen, als sie wahrscheinlich in einem plötzlichen Anfall kindischer Verlegenheit so behend, wie ein flüchtiges Reh, auf und davon rannte...

Das Fliegen der langen Zöpfe bot einen fast komischen Anblick.

Das ist ein eigenes Wesen! sagte Siegbert...

Eine Träumerin, bemerkte Rudhard lächelnd. Und wenn ich nicht wüßte, daß sie an dem traurigen Übel junger Mädchen, der Bleichsucht, litte, würd' ich fast in Angst gerathen, sie hätte mir zu viel Ähnlichkeit mit ihrer Tante d'Azimont. Nur das schmiegsame, zärtliche, liebevolle Wesen Helenen's, ich möchte sagen, ihre deutsche Natur hat sie nicht. Das ist eine Russin! Das Ebenbild ihres Vaters! Eine fast immer ruhige Gemüthlichkeit, ohne die angenehmen Worte dafür zu haben, und plötzlich doch, wenn etwas gerade ihrem Sinne widerstrebt, eine Wildheit, daß man das stille Mädchen nicht wieder erkennt. Sie sollten Sie zu Pferde sehen! Wenn es ihr einfällt, sich auf das Dach des Hauses zu setzen, so klettert sie hinauf und ebenso langmüthig und geduldig vollzieht sie wieder Alles, was man ihr aufträgt. In Rurik und Paulowna herrscht Überlegung, in Olga nur der Instinct. Wohin sich noch ihre ganze Art werfen wird, ist jetzt schwer zu sagen. Sie ist in der Entwickelungszeit und muß geschont werden. Von Lernen, festem Einprägen, Nachdenken ist nicht viel die Rede. Was sie weiß, muß sie sich selbst auffinden oder durch eine Art connexer innerer Anschauung gewinnen. Doch hat sie Anlage für mechanische Fertigkeiten und gern hätt' ich's, wenn Sie das kleine Talent zum Zeichnen, das sie schon verrieth, vervollkommneten. Ein Jahr lang geht Das wol noch ohne Gefahr für zwei so junge Herzen, wie in Ihnen schlagen... Nicht wahr?

Siegbert wurde fast roth über diese Äußerung und konnte jetzt vollends zu keinem Entschlusse kommen. Glücklicherweise schnitten die kleineren Geschwister seine Verlegenheit durch die im vollen Galopp überbrachte Aufforderung ab, die Herren sollten doch Beide zum Thee kommen.

Sollen kommen? rief Rudhard.

Dürften! schrie Rurik.

Müßten! verbesserte Paulowna.

Weder dürften, noch müßten, noch sollten! sagte Rudhard. Ihr habt in uns keine Leibeigenen vor Euch und auch Denen würde man sagen, sie möchten kommen, wenn's ihnen gefällig wäre. Verstanden? So wird es wol auch die Mutter ausgerichtet haben.

Sollten! Dürften! Müßten! Möchten! rief der humoristische Rurik und faßte mit Paulowna Siegberten an beiden Armen und Beide zogen ihn so fort, daß er fast nur laufend ihnen folgen konnte.

Die Fürstin, die sich bei ihrer Annäherung freundlich erhob, begrüßte den fremden jungen Mann mit den leisen Worten, die sie in der eigenthümlichen kurländischen Betonung sprach:

Sie sehen schon da, mein Herr, wie gern Sie aufgenommen sind!

Die Gräfin Altenwyl warf einen flüchtigen strengprüfenden, aber nicht unfreundlichen Blick auf Siegbert und den nach ihm an die wilde Rebenwand tretenden Rudhard...

Die Oberhofmeisterin der Königin, Gräfin von Altenwyl, schien im Sitzen eine Gestalt mittleren Wuchses. Sie hatte durch ihre etwas runden Formen und eine leichte Corpulenz etwas frauenhaft Wohlwollendes. Im Auge aber lag viel Zurückhaltung und ein leiser Anflug von Mistrauen, das wol durch ihre schwierige Stellung entschuldigt war. Sie war in reichen Stoffen, aber durchaus wie unscheinbar gekleidet. Graue Farben waren fast wie absichtlich gewählt. Der durchbrochene Hut war mit dem unkleidsamsten dunkelbraunen Seidenband durchzogen. Sie wollte einfach, höchst einfach und nur einfach sein.

Während ein Bedienter Thee darbot, konnte Siegbert die Fürstin genauer betrachten, als vorhin bei der flüchtigen Begrüßung...

Sie hatte die Züge ihrer jüngsten Kinder, war von mittlerer Gestalt und nicht eben auffallend durch irgend eine hervorstechende Schönheit. Sie schien noch außerordentlich vom Todesfall ihres Mannes und der Reise angegriffen und sprach mit sehr gedämpfter Stimme. Ihre Augen verriethen nicht gerade Geist. Auch ihr Wohlwollen schien mehr eine Art beflissener Geschäftigkeit, als der starke Drang eines vollen, überquellenden Herzens...

Man sprach von unbedeutenden Dingen, von dem Residenzleben, dieser Ansiedelung, der Furcht vor dem Winter.. erst die Kinder brachten durch ihre Naivetät Frische, Rudhard durch seine trockenen Bemerkungen Gedanken in das Gespräch.

Die Gräfin Altenwyl, dieser von Pauline von Harder so gefürchtete Erzengel Michael mit dem flammenden Hüterschwert am Eingang der »kleinen Cirkel«, blieb fast immer still, wie eine Frau, die sich nicht ausläßt, wo sie sich nicht auf sicherem Terrain weiß. Sie forschte zuweilen flüchtig im Auge Siegbert's, zuweilen warf sie einen Blick auf Rudhard hinüber, dessen Stellung im Hause ihr nicht ganz in der Ordnung zu sein schien. Sie verrieth, daß sie an einen passenden Moment dachte, sich zu empfehlen.

Ein schlimmer Beobachter, wie etwa Leidenfrost oder Pauline von Harder hätte gewiß gesagt: Die da ist das ganze Prinzip unseres Hofes, nämlich so viel Null wie möglich zu sein!

Man begriff hier den Schmerz Paulinen's, unmöglich in jene kleinen Cirkel zu dringen, die von so negativen, forschenden und immer nur ablehnenden Naturen, wie diese Altenwyl, gehütet wurden...

Rudhard brachte sogleich die Malerei und die Kunst auf das Tapet...

Auch die Fürstin Adèle malte, Blumen wenigstens und Käfer, wie sie sagte...

Siegbert's Äußerung, daß sie dann glücklicherweise ganz in derjenigen Malerei sich übe, welche, wie er gehört hätte, in Rußland neben dem Portrait und der Landschaft am meisten getrieben würde... Genre und Historie wären ja wol von Obenher nicht einmal gern gesehen... Diese Äußerung war eigentlich in solchem Kreise furchtbar gewagt und von unserm guten jungen Freunde fast ein wenig taktlos...

Siegbert fühlte auch sogleich an dem Eindruck, den sie hervorrief, daß er in solcher Umgebung einen gewaltigen Schnitzer gegen die Schicklichkeit begangen hätte.

Daß die Fürstin schwieg, daß die Oberhofmeisterin ihn jetzt noch schärfer und strenger mit ihren stummen Blicken examinirte, war ihm begreiflich. Daß aber auch Rudhard etwas die Stirn runzelte und dieser klare, durchgebildete Mann der Anwalt russischer Regierungsmaximen sein konnte, erfüllte ihn mit Befremden. Indessen sammelte er sich rasch und lenkte auf einige russische Bilder ein, die er sehr rühmte, besonders einige gewaltige Städteprospecte, die in Mondscheinbeleuchtung Alles wiedergäben, was man nur von einem Zweige der Malerei, der freilich zu sehr an die Decorationsmalerei der Panoramen erinnerte, erwarten könne.

Die Oberhofmeisterin wußte auch sogleich den Namen jenes russischen Künstlers zu nennen, auf den Siegbert anspielte.

Sein höfliches: Ganz recht! erwärmte ein wenig wieder die gestörte reciproque Stimmung...

Die Altenwyl hatte nun etwas gewußt und glaubte, daß Dies ein richtiger Moment war, der sich zum Abschiednehmen eignete und von ihr eine gute Wirkung zurückließ.

Schon hatte sie sich erhoben, als der Bediente eintrat und einen eben angefahrenen ferneren Besuch meldete:

Frau Landräthin von Harder! hieß es.

Von Harder? Harder? sagte die Fürstin.

Wie die Oberhofmeisterin diesen Namen hörte, sagte sie:

Doch nicht Pauline von Harder?

Die Schwiegertochter des Obertribunalpräsidenten, eine geborene Marschalk. Meine Mutter hat einst Viel von ihr gesprochen. Ich bin sehr erfreut!

Der Bediente ging nach diesen Worten der Fürstin, die sich besonnen hatte.

Die Oberhofmeisterin gerieth in große Unruhe.

Ja, ja, sagte sie, beide Harders sind Schwiegertöchter – aber – ich hoffe... die Landräthin von Harder! hieß es.

O, wenn es jene Harder wäre, fuhr die Altenwyl fort, jene Harder, die jetzt in Tempelheide wohnt, nicht die Geheimräthin Pauline von Harder, so wäre sie zu lebhaft gespannt. Sie hätte des Schönsten und Gediegensten so Vieles von dieser Anna von Harder gehört, daß sie bleiben müsse, um sie endlich einmal von Angesicht zu sehen. Sie würde mit dieser »Entrerevue« dem Hofe und den kleinen Cirkeln ja die größte, unverhoffteste Freude machen...

Die Fürstin war wahrhaft glücklich, Veranlassung einer so nützlichen Begegnung zu sein, bei deren Wiedererzählung doch am Hofe schon vor der Vorstellung ihrer in Güte gedacht werden müsse...

Siegbert fühlte wol, daß er nun hätte gehen müssen, aber der Gedanke: Das ist ja sicher die gute liebe Dame, die dir vor noch nicht acht Tagen den Becher mit Wein zur Erquickung in der heißen Sonnenhitze schickte, die Dame, die dich mit Hackert zusammenführte und heut' Abend noch die Veranlassung seiner Erklärungen sein wird... fesselte ihn.

Er war nun schlau genug, sich den Kindern nothwendig zu machen und sich durch diese zum Bleiben gleichsam nöthigen und zwingen zu lassen. Zu dem kleinen Cirkel, der durch das dampfende Theecomfort, den inzwischen gedeckten Tisch, die Bedienung, endlich die Kinder etwas gar Wohnliches und Trauliches bekommen hatte, trat jetzt die angemeldete Dame.


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