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Zwölftes Capitel.

Junges Leben, frisches Hoffen.

Dankmar's Brief an seinen Bruder Siegbert lautete:

Gute Seele! Ach! Ach!... Dies Ach! bedeutet erstens: Wir werden keinen Champagner trinken, wir werden keine Trüffeln essen! Laß dir ein Beefsteak geben, Herz, so zubereitet, wie du es liebst und höre dann gestärkt in Ruhe an, weshalb ich mein Wort nicht halten kann! Es kommt jetzt das zweite: Ach!

Wie du heute in dein Atelier tratest und mir zwischen Thür und Angel das Geständniß deiner Liebe zu Melanie Schlurck machtest, hast du wol nicht geahnt, daß du mich mit zwei, dir genauer von mir zu spezificirenden Donnerschlägen zurückließest. Donnerschlag eins... du siehst, ich bin noch immer bei gesunder Logik... betraf mich allein, Donnerschlag zwei muß aber durchaus dich auch noch treffen.

Dies Gewitter kann ich dir nicht ersparen. Kein Blitzableiter! Keine Vertuschung! Es hängt aber Alles so zusammen:

Beim ersten Gange unsres heutigen dinirenden Excesses wollt' ich dir erzählen, daß ich die Thorheit gehabt habe, in Hohenberg einen Roman anzuspinnen oder richtiger gesagt, mich zu verlieben.

Beim zweiten, wollt' ich dir sagen, in Wen? oder mit Wem?

Lieber Bruder! Die Götter haben es gut mit uns im Sinn. Sie wollen, daß wir exemplarische Menschen werden oder wol gar zu jenen Sterblichen gehören, die sie früh sterben lassen, damit sie nicht zu vorzüglich werden.

Das liebreizende Wesen, das mich gefesselt hat, ist Melanie.

Einen sehr edlen Charakter würde es eigentlich verrathen, wenn ich dir Das nicht sagte. Es müßte die Olympier zu Thränen rühren, sähen sie einen Menschen, einen Bruder, einen Referendarius, der entsagt, eines andern Menschen, eines Bruders, eines Malers wegen. Aber glaube mir, die Rolle, so dankbar sie sein mag für die Rührung, für den Beifall aller Gefühlvollen, so empfehlend sie sein mag für den bekannten Monthyon'schen Tugendpreis in Paris, sie gefällt mir nicht! Warum nicht? Weil sie mir nicht stehen würde! Natürlich muß der Mensch sein, sagte Eva, als Adam neben ihr, von den peinigendsten Gewissensbissen gefoltert, nicht schlafen konnte. Natürlich bin auch ich! Ich zerstöre die Ironie des Schicksals und sage dir offen, daß ich auch beim dritten Gange noch von Melanie gesprochen hätte.

Ich liebte sie!

Ist Das erhört, daß ich das Mädchen liebe, das mein Bruder liebt?

Es ist erhört!

Beim Dessert, wo wir vielleicht eine neueste frischangekommene Orange aus Messina verzehrt hätten, hätt' ich dir gesagt:

Feindlicher Bruder, die Braut von Messina verlangt ein Opfer! Du oder ich? Und ich hätte das Messer gehoben... hätt' ich Das? Ja! Und ich hätte mit dem Messer dich gemordet? Nein! Ich hätte die Orange von Messina in zwei Theile zerschnitten!

Vielleicht aber auch nicht! Und vielleicht doch! Wer weiß!...

Und jetzt kommt der zweite Donnerschlag, der dich mit betrifft!

Ich werde moralisch, Bruder!

Frage: Ist dir deine Liebe mit Melanie Schlurck Ernst? Bist du ein Thor, in einem Wesen eine Madonna zu finden, die aller Welt anders als dir erscheint und mir.. jetzt.. jetzt.. wie eine grüngesprenkelte Eidechse. Eine Eidechse, Bruder, denke dir das gefährliche Thier! Man hat Fälle, daß Eidechsen zu den grünen Zweigen hinaufblicken nach den freien Vögeln, die sich sorglos oben auf ihnen wiegen. Denke dir den Aufblick einer Eidechse zu einem Vogel, der nichts Schlimmes ahnt und singt und vielleicht zur Erde hüpft, in den Busch, in den Rosenstrauch, auf die blumige Wiese, wo die schöne Lazerte haust, und.. verloren ist er.

Soll ich dir ein Stückchen von dieser unsrer Eidechse erzählen?

Deinem besten Freunde und einzigen Bruder Dankmar lag sehr viel an einem gewissen höchst räthselhaften Bilde... Dies Bild soll einen geheimen Druck und an der Rückwand Papiere besitzen, die irgend einer Person, ich muß sie einen Prinzen nennen, von Interesse sind... die Eidechse hält mich für den Prinzen... und will mir das Bild verschaffen; mir..., weil ich ein Prinz bin.. zwar arm, aber doch ein Prinz! Zwar verschuldet, aber doch ein Prinz! Verstehst du... Das Bild liegt irgendwo versteckt, unzugänglich. Wo, frägst du? Ich sage, in einem großen Möbeltransportwagen, der von Hohenberg nach der Residenz von zwei Gendarmen zwei Bedienten und einer Excellenz, dem Geheimrath von Harder, feierlich geleitet wird... Melanie verspricht mir, was sag' ich, dem Prinzen, das Bild zu schaffen.. Was thut sie?. Sie spinnt eine Intrigue mit der Excellenz an.. die Excellenz geht in's Netz und ist verliebt, geschmeidig wie ein Aal. Es hat Wolken herabgeregnet.. Alles ist naß und feucht.. Man trifft in einer Herberge, Namens Heidekrug, zusammen.. Die Excellenz verlangt Beweise von Liebe, von Hingebung... Er schmachtet, sie schmachtet.. Die Eidechse ist liebenswürdig, aber doch zu schlau und zu grausam für Unsereins.. Sie will das Bild und die Excellenz will einen Beweis ihrer Liebe... Was erfindet sie?.. Ein Stelldichein!.. Sie soll ihm damit natürlich nichts Anderes gewähren, als nur ein Zeichen Dessen, was sie ihm zu gewähren.. im Stande wäre!.. So denkt die Excellenz. Die Eidechse zögert, schlängelt, schwänzelt. Endlich sagt sie: Ja, ich habe dir viel zu sagen, viel Gift in deine kleinen, schönen Ohren zu träufeln! Ich bin unglücklich! Die Excellenz wird jung unter ihrem verjüngenden Athem. Sie wagt Alles für einen zarten elastischen Druck der Eidechse. Da sagt diese: Ich komme, aber ich bin bewacht, du bist bewacht, wir Alle sind bewacht.. wo sehen wir uns? Drinnen ist's zu laut, draußen ist's zu naß! Wo seh' ich dich? Wo sag' ich dir, was ich fühle, was ich empfinde, wenn ich freie Vögel auf den Zweigen sehe und sie nicht mit einem Satz erschnappen kann? Wo? Wo? Die Excellenz ist zu Allem bereit, und da schlägt die Listige vor: Kein Ort ist sichrer als dein großer Wagen! Das ist ein Tanzsaal! Das ist ein Gesellschaftszimmer! Dort flüst're ich dir die drei Worte zu, die ich noch Keinem sagte, die drei Worte, inhaltsschwer, sie gehen von Munde zu Munde.. Die Excellenz macht Schwierigkeiten. Die Eidechse weiß Alles zu beseitigen, die Gendarmen, die Bedienten, den eisernen Schlagbaum.. Du öffnest um elf Uhr den Wagen, komm' ich auch erst um zwölf! Ich gebe dir den Beweis, den du Einziger, verlangst!.. Der Excellenz wird es schwindlig. Der Mann denkt an die drei Worte inhaltsschwer, sie gehen von Munde zu Munde.. Was ahnt er nicht? Was hofft er nicht? Es schlägt elf. Er hat die Wächter entfernt. Die zechen! Die trinken auf Königs Wohl! Der Wagen wird offen.. Er hatte »nur etwas in ihm zu suchen«, legt die Stange an, als schlösse er wieder zu und geht auf sein Zimmer, um sich sogleich heimlich wieder zurück zu begeben und die drei Worte zu vernehmen, inhaltsschwer. Die Eidechse.. husch.. rasch zur Hand.. kaum verschwand die Excellenz, war sie im Wagen und hatte, was der »Prinz« wollte... das Bild! Nun entschlüpft sie.. aber hui! Da erschrickt sie vor Etwas, das sie nicht ahnte.. Es war vielleicht nur eine Katze, ein großer Kater, den sie fürchtete und vor dem sie Entsetzen überlief. Die Katzen lieben ja auch die freien Vögel auf grünen Zweigen und haben Brotneid gegen die Eidechsen. Katze oder Iltis... genug, die Eidechse erschrickt so heftig, daß ihr das Bild entfällt und sie vor der Thür des Prinzen fast die Felsenspalte nicht wiederfindet, wo sie unterkriecht... Es gab Lärm,.. wenigstens trat ein Reisender, ein Amerikaner, wenn nicht von Geburt doch von Gesinnung, auf den Corridor. Er erhebt das Bild, nimmt an den im Mondlicht erkennbaren Zügen ein Interesse, das dem »Prinzen« noch jetzt nicht erklärlich ist, und folgt der Weisung der in der Ferne harrenden Eidechse, die ihm rasch noch zunickt: Da! Dort! Dem schlummernden Prinzen gehört's! Bitte! Wollen Sie?... Der bringt's dem »Prinzen« und legt's ihm feierlich unter's Kissen, während er schläft oder nicht schläft, gleichviel... Das Bild ist da.. der »Prinz« hat es daheim in der offnen Kommode seiner »Aula«... Die Eidechse sagte dem Amerikaner: Brav, mein Herr, ich danke Ihnen... und verschwand.

Und von wem weiß ich das Alles?

Eben jenes Gespenst hat's mir erzählt, vor dem die Eidechse so erschrak.. ein somnambüler Kater, der sich auf's Mausen versteht und den deshalb auch die schöne, buntgeringelte Eidechse nicht leiden kann. Du kennst den somnambülen Kater.. Er heißt Hackert.

Brüderlein! Die Geschichte ist eigentlich aus! Denn das lustige Nachspiel, daß die Excellenz zu spät kommt, sich in dem Möbelwagen häuslich niederläßt, auf die Eidechse und die drei Worte, von Munde zu Munde Stunde zu Stunde vergebens wartet, endlich einschläft, eingeschlafen und eingeschlossen fortgefahren wird in die Residenz, Das ist nur ein humoristischer Schnörkel des Wortes: Punktum! und das satirische Nachspiel des Dramas bei Mondscheinbeleuchtung. Das Bild ist da, der falsche Prinz ist da, auch die Excellenz soll wieder aufgefunden sein.. aber die Eidechse! Die Eidechse!

Darf ich nun moralisch werden? Darf ich sagen, daß eine solche schöne liebenswürdige, aber tollkühne, listige Natter uns Gebrüder Wildungen nicht im Ernst bei den Fittichen fassen darf?

Die drei Worte, inhaltschwer, sie gehen von Munde zu Munde – heißen doch wol nur: Ich liebe dich!

Ich liebe dich! Himmlischer Weihegruß reiner Seelen! Glockenaccord der Andacht und Harfenton der reinsten Anbetung! Laß ihn aus deinem Herzen klingen, wo er würdig widerklingt; nur da nicht, Bruder, wo man über Melusinen lachen, mit ihnen kosen, mit ihnen im Krystallbache plätschern, aber immer auf den sichern seichten Stellen bleiben muß, wo sie uns nicht hinunter ziehen können in's ewige Vergessen und man ihnen nimmermehr außer dem Munde auch das Herz und das Leben geben darf!

Ich bin über diese schöne Eidechse hinaus!.. Ich will mich fassen und trösten.. Aber du? Du, Siegbert? Du, den schon die Bilder wegen ihrer verspotten? Du, der du Madonnen siehst, wo Andre schönflossige, geringelte Fischweiber... und nun gar dein eigner Bruder eine Eidechse?

Denn Melanie ist die Eidechse! Ach Melanie! Melanie! Ihr Weiber! Wie schmilzt uns bei euerm Namen so sanft und so weich das Herz gleich Schneeflocken, die von dem Frühlingsveilchen der erste Märzsonnenstrahl hinwegküßt!... Ach! Wehe! Wehe! Aber der Name Schlurck.. Ha, dies Hinterher rüttelt auf, das mahnt gleich zur Besinnung! Ich dank' euch, ihr Götter, daß dieser Name Melanie, der so sanft dahingleitet, selbst bei den verliebtesten Menschen, deren Phantasie mit Dampf fährt, doch durch den Namen Schlurck gebremst werden muß!

Nun könnt' ich wol sagen, Bruder, zum Tändeln für mich, reicht sie immerhin aus. Ich bin kein Mensch, dem sich viel in der Seele vergiften läßt. Ich habe innerlich zu viel Gegengift.. Rattenpulver heilt Schlangenbisse.. Aber du! Du, mit deinem aetherreinen Auge! Du Sohn des Azurs... sollst du ihr Azor werden, belächelter, verspotteter Schooßhund ihrer Laune? Nein, ich selber verschmähe sie nun sogar zum Tändeln! Das bin ich dir schuldig, deinem Schmerze, deinem Jammer, deinen Thränen; denn ich weiß, du bist Thor genug, zu weinen, nicht daß du Melanie verlierst, nein darüber, daß Melanie doch eine Eidechse ist!

Zum Lachen ist das Abenteuer mit der Excellenz kostbar.. Preisaufgabe für ein Seitenstück zum Froschmäusekrieg!... Ferner, der Besitz des Bildes kann sehr nützlich sein – aber.. über alles Übrige mach' einen Strich, so dick, so fest, wie die Eisenstange über dem Transportwagen war.

Ich scherze, Bruder! Und doch bin ich betrübt, wenigstens nicht so heiter, daß ich bei Grüns mit dir speisen kann! Ich bin unfähig, mich für den ganzen Tag zu sammeln. Erst deine Entdeckung, dann der Rapport des somnambülen Katers, den du heute Abend wiedersehen sollst. Ich erwarte dich nach neun Uhr in der Brandgasse Nr. 9 im zweiten Hofe, drei Treppen hoch. Adresse: Fritz Hackert. Komm' aber allein, ohne deine neuen Freunde, die erst einen Scheffel Salz mit mir essen müssen, bis sie die meinen werden. Die hundert Thaler kannst du auch mitbringen, wenn du willst! Fritz Hackert, Brandgasse No. 9. Du wirst erstaunen über diese Annäherung und Aussöhnung. Hackert will Bekenntnisse machen, aber nur in deiner Gegenwart, vor dir, von dem er sagte, du hättest den ersten Funken der Liebe in seine Nacht geworfen!

Bis dahin forsche mir nicht nach! Die beiden Donnerschläge haben mich erschüttert und zu jedem Entschlusse für heute unfähig gemacht.. Ich muß Natur suchen, muß frische Luft athmen. Ich muß im Grase den Namen: Melanie! ausweinen... Nein! keine Thränen! Nein! Wir brauchen Kraft für Das, was endlich beginnen soll! Hinweg aus unsrer Bahn, entnervende Frauengunst! Weiß denn ein Weib zu würdigen, was ihm ein Jüngling, der sie liebt, zum Opfer bringt? Ich kehre zurück zu unsrer großen Aufgabe, wie ich sie im Tempelhause von Angerode und im Walde bei Hohenberg unter einer alten dreihundertjährigen Eiche geahnt, ergriffen, mit lebendigem Auge geschaut habe! Denk' an die Taube über deinen flammenverzehrten Templern! Denk' an das vierblättrige Kleeblatt am Kreuze, das mir ein Symbol geworden ist, einen großen Gedanken zu suchen auf der platten Wiese des Lebens, wie man ein Vierblatt im Klee sucht und freudig ruft: Ich hab's! Am Abend, Bruder, grüße mich stark und entschieden! Wir sind, denk' ich, einig über die Eidechse, und fliegen nicht von unsern Bäumen zu ihr hinunter, mag sie auch mit Augen wie Rubinen glänzen und ein Bett von eitel Rosen zeigen, auf dem es schön dünken mag, unsterblich sterblich mit ihr zu ruhen! Bei dem Geiste unsres Vaters! Dein... Bruder!

Nachschrift. Verschließ mir das Bild! Ich geb's Morgen an den Prinzen Egon von Hohenberg ab, dem es gehört.

.... Als Siegbert diesen Brief gelesen hatte, weinte er wirklich. Aber er weinte nicht aus Schwäche um Melanie's Verlust, sondern aus Liebe für den Bruder.

Dies Wort: Beim Geiste unsres Vaters – öffnete die Schleusen seiner Seele! Das war ein Zauberwort der Liebe und der kräftigenden Erinnerung! Was hatte er, wenn nicht die starke Hand des Bruders, den er gelobt hatte, zu erziehen und der ihn erzog!

Von dem Augenblicke an, wo er schon aus Melanie's gewitterblitzenden Augen, aus der dunklen Glut ihres Zornes gefühlt hatte, daß sie wol den Bruder oder der Bruder sie liebe, war sein Entschluß fest, nach einer solchen Blüte nicht mehr aufzublicken. Die gab er hin! Mit Schmerz; denn er gehörte zu jenen Männern, deren Bestimmung es zu sein scheint, gerade die Frauen zu lieben, die am wenigsten für sie passen. Aber er gab sie schon dahin!.... Nun aber bot der Bruder auch einen Ersatz, eine Heilung dar, die Verachtung des erträumten Glückes und ein höheres Ziel. Er fühlte das Letztere nicht mit dem Feuer wie Dankmar, er fühlte die Verachtung nicht so tief, wie Dankmar sie durch die Erzählung von einem gewagten, zweideutigen Abenteuer ihm.. er sah Das.. absichtlich und geschärft, förmlich einätzen wollte, ja es entgegnete seinen scharfen Worten in ihm die Gedankenreihe: Wie kannst du, Undankbarer, Das so heftig tadeln, was doch nur die rasendste Leidenschaft und Liebe für dich veranlaßt haben kann!.. aber der Rest seiner Betrachtungen war der, daß er sich sagte:

Die schöne Welt, die du dir aufgerichtet, ist zerstört! Und wo ich nicht die Blüte mehr sehe, mag ich keine Frucht.

Er entschloß sich, nur noch... »unglücklich zu lieben«.

Nachdem er sich für sein langes Fasten durch mäßige Kost entschädigt hatte, ging er, ruhig und mit gesenktem Haupte schlendernd, erst in die Wallstraße, um Armand's Auftrag beim Tischler Märtens und gelegentlich auch für Franziska Heunisch auszurichten, dann ging er nach Haus und zählte sogleich das Geld für Hackert zurecht, über den plötzlich so Günstiges zu vernehmen ihm innigst wohlthat.

Die Wirthin wußte ihm nichts zu melden, als daß der Fuhrmann aus dem Pelikan mit seinem lahmen Hunde dagewesen wäre, auch ein anderer ihr ganz fremder Herr von finsterem, strengem Aussehen, der seinen Namen nicht genannt, aber versprochen hätte, wiederzukommen..

Fast antheillos warf er sich, halb entkleidet, auf das Canapé, das in Dankmar's Zimmer, in ihrer sogenannten Aula, stand.

Eine Weile that diese Ruhe, dieses Brüten, ihm wohl. Er schlug die hundert Thaler ein, die Hackert heute Abend in einer Wohnung zurückempfangen sollte, die ihm aus Leidenfrost's Äußerungen über die berüchtigte Auguste Ludmer, früher Malermodell, sehr unheimlich vorgekommen sein würde, wenn er nicht auch einer dort hausenden Proletarierfamilie in wohlthuender Weise erwähnt hätte.

Aber so interessant es ihm war, diese neuen Anregungen, besonders über Hackert, zu dem er längst wieder Vertrauen gefaßt hatte, seitdem er an Lasally das Pferd richtig zurückgestellt gefunden, empfangen zu haben, diese Gedankenreihe konnte ihn von seinem Kummer nicht loslösen.

Er suchte nach andern Gegenständen, um aus dem tiefen Unmuth, der ihn umschattete, wieder zum Lichte eines freieren Gedankens zu kommen. Er fiel so auf das Bild, dies vielbesprochene Bild!... Dankmar hatte ihm ja aufgetragen, es sorgsamer zu verwahren.

Wie er an dem alten Rahmen des blassen Pastellgemäldes mit den Fingern streifte und den alten Staub auf der abgesprungenen Vergoldung tilgte, dann hinten den neuangefügten Boden befühlte, der etwas einer bedeutenden Familie so Wichtiges verbergen sollte, begriff er kaum, wer es gewesen sein könne, der mit einem Andern auf so gefährliche Weise hätte sich verständigen wollen. Durch ein Bild! Er glaubte kaum daran, daß das Bild in seinem Rücken Papiere enthielt...

Es war weniger Neugier, als die zufällige Absicht, sich irgendwie zu zerstreuen, daß er anfing, einem etwaigen Mechanismus des Bildes nachzuspüren. Der wahre Besitzer, dachte er, wird sich leicht helfen; er weiß entweder das Geheimniß oder er zertrümmert den Rahmen. Das Letztere durfte er nicht und ein Geheimniß war nicht zu entdecken...

Er gab seine Neugier auf und machte den Versuch, irgend eine Beschäftigung vorzunehmen, vielleicht der Mutter zu schreiben, vielleicht etwas zu zeichnen.

In den Zurüstungen dazu traf es sich zufällig, daß er auf einem Tische, auf dem er neben sich das Bild gelegt hatte, einen harten Gegenstand, sein Tintenfaß, bei Seite stellen wollte, um Papier aus einer, großen Platz wegnehmenden Mappe zu wählen. Nicht achtend, zufällig, stellte er das schwere Tintenfaß auf das Glas des Bildes. Doch ein starkes Glas! dachte er erschreckend und nahm das Bild, um mit einem flüchtigen Blick die Stärke des Glases zu würdigen. Dies führte ihn zufällig darauf, mit Kraft auf den oberen Rand des Glases zu drücken und im selben Augenblick sprang hinten der Deckel der Kapsel auf. Durch Zufall hatte er das Geheimniß der Öffnung selbst gefunden.

Erstaunt über diese wunderbare Enträthselung des Bildes, zögerte er fast, dem weitern Inhalt der Kapsel nachzuspüren; doch fielen darin enthaltene, zartgeschriebene kleine Briefblätter von selbst heraus.

Die Versuchung, diese kleine gekritzelte, blaßgelbe Handschrift zu lesen, war Anfangs nicht groß...

Auch widerstand ihr Siegbert. Er war ein Gewissensmensch, der selbst die Geschenke des Zufalls zurückwies, wenn er annehmen konnte, daß sie einem Andern gehörten.

Wer hätte Siegbert ein großes Verbrechen daraus gemacht, wenn er diese Papiere gelesen hätte? Er wußte so gar nichts vom näheren Zusammenhang dieser Mittheilungen und kannte nicht im mindesten die Bedeutung, die sie dem Prinzen von Hohenberg haben mußten, ja er wußte nicht einmal, von Wem sie kamen... Darauf hin durchflog er flüchtig wenigstens die ersten Seiten....

Er fand, daß darin eine Mutter klagt, wie alle Welt sich gegen sie verschworen hätte, wie sie keinen Freund mehr auf Erden fände als Gott, und wie sie nicht wisse, wie Das, was sie einem entfernten Sohne, der seinem Stande, leider auch seiner Erziehung, seiner Bildung entsagt hätte, nach ihrem Tode in die Hände kommen sollte. Jedes bei Gerichten oder Notaren niedergelegte Dokument würde Aufsehen erregen und von Seiten ihrer Feinde doch errathen werden. Wie oft wären nicht durch scheinbaren Diebstahl Geheimnisse gewaltsam entdeckt worden! Und doch wäre, was sie zu sagen hätte, so wichtig, so folgenschwer –

Hier brach Siegbert schon ab und ließ die Papiere wie glühende Kohlen fallen.

Nach einigen Augenblicken entschloß er sich, sie wieder zusammenzulegen und das Kästchen zu verschließen.

Wie er sich eben dazu anschicken wollte und die Blättchen an einander reihte, fiel sein Auge, das nur ganz obenhin und flüchtig auf die Buchstaben sah, auf einen Namen, der ihm im höchsten Grade auffallen mußte. Dieser Name hieß: Rodewald. Rodewald war der Familienname seiner Mutter..

Er wagte noch einen Blick und glaubte sich nicht zu täuschen, wenn er annahm, daß hier von seinem Oheim gesprochen wurde, dem Bruder seiner Mutter, einem gewissen Heinrich Rodewald, von dem er viel Gutes und viel Schlimmes in seiner Jugend gehört hatte, viel Wüstes und Verworrenes.. Heinrich Rodewald galt als verschollen. Er hatte eine Partie gemacht, von der Siegbert ungefähr so viel wußte, daß sie seinen Verhältnissen nicht entsprechend gewesen war.. Dann wußte er noch, daß er nach Frankreich gegangen war – mehr hatte man von ihm nie erfahren.. Heinrich Rodewald! Der Name stand jetzt fast auf allen diesen Blättern. Er mußte sie fallen lassen, sie mit Gewalt von sich thun, um nicht der Verführung zu erliegen, sie im Zusammenhang zu lesen.

Als er sich von dem Tische, der ihn magisch anzog, fast mit Gewalt getrennt hatte, fühlte er, wie mächtig die Versuchung ihn doch gefangen hielt.

Heinrich Rodewald! sagte er sich. Mein Oheim! Der verschollene Bruder meiner Mutter, den sie so liebte, der so schön und so leichtsinnig, so geistreich und so unglücklich gewesen sein soll! Wenn ich hier etwas von ihm erführe! Wenn ich meiner Mutter die Freude bereiten könnte, sie auf eine Spur des verlorenen Bruders zu führen, eines Menschen, dem Alle die glänzendste Zukunft prophezeiten und der unter schöner Frauen Gunst, unter Frauenanbetung und gerade durch die Frauen zu Grunde gegangen sein soll!

So nur zerstreut war Alles, was er von Heinrich Rodewald wußte.. Noch fiel ihm ein, daß er ganz klein war, als sein Vater einmal gesagt hatte, als von des Onkels Wanderungen die Rede war: Nach Amerika sollte Rodewald ziehen! Da mag er Wälder roden! Dies Wortspiel hatte sich ihm tief eingeprägt und doch war es aus so früher Zeit, daß Dankmar nichts davon wußte; denn es war im Hause hergebracht, von dem Oheim wenig zu sprechen und ihn als verschollen zu betrachten. Man sprach von Kriegsdiensten, die er in Spanien genommen hätte oder von der französischen Fremdenlegion in Algerien.

Es war nicht ganz Neugier, was Siegbert reizte, es war der erwachte Familiensinn, das wirkliche Interesse für einen Mann, dem er so nahe verwandt war. Wie bebte er aber zurück, als er, noch einmal die Papiere ergreifend und sie durchblätternd, auf einer Seite den Namen Thaldüren und nicht weit davon auch das Wort Wildungen entdeckte!..

Wieder ließ er die Papiere fallen, aber jetzt in der bestimmten Absicht, sie zu lesen.

Warum sollt' ich nicht? sagte er zu sich selbst. Der wunderbarste Zufall fordert mich ja auf, in die Geheimnisse meiner Familie zu dringen. Bin ich nicht sogar gebunden, wenn ich von einem Menschen höre, dessen Schicksal uns bekümmert, die, die von ihm wissen, auszuforschen, gleichviel ob sie offen von ihm sprechen wollen oder ob ich sie nur belausche? Wissen ist noch nicht ausplaudern. Wenn ich schweigen kann, wenn ich Das, was ich hier erfahre, tief in mein Innerstes verschließe und die Gelegenheit ehre, die mich zum Mitwisser fremder Tugend oder fremder Schuld machte, handle ich da gegen meine bessere Überzeugung? Ich sehe eine Quelle und sollte mich nicht an ihr erquicken, weil eine Mauer zu übersteigen wäre, die nicht mein ist, während ich vor Durst verschmachte? Ich lese diese Papiere. Wer kann mich hindern? Wer sagt mir, daß ich sie nicht lesen darf?

Damit ergriff er einen Stuhl, rückte ihn an den Tisch, den Tisch dem Fenster zu, legte sich die Papiere zurecht und war eben im Begriff, mit dem ersten Bogen zu beginnen, als es stark und kräftig draußen an der vorderen Thür pochte.

Diese Störung war unwillkommen. Er hatte vergessen zuzuschließen oder sich verläugnen zu lassen.

Es klopfte noch einmal und während er rasch die Papiere, die ungeordnet neben ihm lagen, bunt durcheinander wieder in die Kapsel steckte, zudrückte und das Bild bei Seite legte, war schon Jemand in das vordere Zimmer, in die sogenannte »Akademie«, eingetreten.

Der Besucher war ein untersetzter Mann, wol schon ein Sechziger, aber fest, gedrungen und für sein Alter kerngesund. Er hatte eine Mütze auf, die er beim Eintreten abnahm und einen Kopf von harten, strengen Zügen sehen ließ. Die Stirn trat etwas hervor, die Nase war nicht fein geformt; sie war kurz und von starken Öffnungen, das Auge lag tief in grauüberbuschten Höhlen...

Das graue Haar mußte einst dunkel gewesen sein; noch war es ungemein stark und ging bis tief über die Stirn herab. Der Mund war ernst, ohne das geringste Zeichen von Sarkasmus oder Satire, aber auch ohne Zeichen irgend eines üblen Willens. Recht düster und streng war der noch wenig ergraute Backenbart. Die Kleidung schlicht, aber sauber. Die Kamaschen an den Füßen gaben dem Fremden sogar ein gewähltes Aussehen, wozu freilich die grauen baumwollenen Handschuhe über den Fingern nicht paßten.

Siegbert hatte diesen Mann noch nie gesehen.

Als er aufgestanden war und sich in das vordere Zimmer begeben hatte, wo er den Fremden empfing, sagte dieser, daß er schon einmal dagewesen wäre, um einen der Herren Brüder Wildungen zu sprechen.

Als ihm Siegbert entgegnete, daß er der Ältere dieses Namens und Maler wäre, nannte auch der Fremde seinen Namen.

Ich heiße schlechtweg Rudhard! sagte er.

Siegbert forderte ihn auf Platz zu nehmen und wartete mit Spannung auf Das, was er von diesem Besuche würde zu vernehmen haben.

Auch diesen Namen hatte er noch nie gehört.

Ich muß es für ein großes Glück halten, begann Rudhard, daß ich in einer Angelegenheit, die ich schon längst zu einem guten Ende hätte führen sollen, nur so kurze Wege einzuschlagen brauche. Ich dachte auf die größten Schwierigkeiten zu stoßen und bin erfreut, daß sich mir Alles wie von selbst in die Hände gibt, den letzten Willen einer verstorbenen hohen Dame zu vollziehen. Sie kannten die Fürstin Amanda von Hohenberg?

Siegbert verneinte diese Frage.

So wird sie Ihr Herr Bruder gekannt haben?

Auch für seinen Bruder bestritt Siegbert eine genauere Bekanntschaft mit einer so vornehmen Frau. Er hätte davon Kenntniß haben müssen.

Dann bin ich erstaunt, sagte Rudhard, wie sie Beide, meine Herren, in eine so geheimnißvolle Angelegenheit verwickelt sein können, wie Die ist, welche mich zu Ihnen führt.

Sie spannen meine Neugier, sagte Siegbert und fand in dem Benehmen des Fremden mehr Weltton und Formenglätte, als dem schlichten Äußern und dem strengen Blick der Augen zu entsprechen schien.

Auch wird Ihnen dann mein Name fremd sein, fuhr Rudhard fort, und ich muß es daher für meine Pflicht halten, von mir selbst zu sprechen... Ich war in dem fürstlich Hohenberg'schen Dorfe Plessen und für eine ziemliche Anzahl in der Nähe liegender Vorwerke vor Jahren Pfarrer und hatte wie es schien zur Zufriedenheit meiner Gemeinde an diesem Orte eine lange Zeit gewirkt. Beförderung hatt' ich freilich wenig zu hoffen, da mein religiöses Glaubensbekenntniß von jenem abwich, durch das allein man damals auf dem kirchlichen Gebiete, leider auch in manchem andern, sein Glück machen konnte. Zu heucheln war meiner nicht würdig. So ertrug ich mein bescheidenes, oft dürftiges Loos. Ich konnte es, da Gott meine Ehe mit Kindern nicht gesegnet hatte und ich nur für mein Weib, einige Verwandte und mich zu sorgen brauchte.

Siegbert fühlte sich von dieser Eröffnung schon angezogen. Er gedachte, ohnehin bewegt, seines Vaters und fühlte die Leiden auch seines gesinnungsgetreuen Charakters um so schmerzlicher nach, als dieser gerade noch die Noth um die Versorgung seiner Kinder gehabt hatte und sich selbst so Vieles entzog, um nur die Seinen glücklich zu sehen.

Er hörte, befremdet zugleich von der Ehre, wie er zu diesen Mittheilungen käme, und mit gelassener, wehmüthiger Aufmerksamkeit zu.

Rudhard fuhr fort:

Mein Loos schien sich zu verbessern, als die Fürstin Amanda von Hohenberg sich entschloß, ihren dauernden Wohnsitz in Hohenberg, ihrem dicht bei meiner Pfarre gelegenen Stammschlosse, zu nehmen und ich daraus wol eine Erleichterung meiner Lage, wenigstens eine freundlichere Anregung erhoffen durfte. Zu gleicher Zeit wußt' ich, daß sie sich der Erziehung ihres einzigen Kindes, eines Knaben, in dieser Zurückgezogenheit ausschließlich zu widmen gedachte. Ich erfuhr, daß sie sich sorgfältig nach mir erkundigte und die Absicht hegte, mich mit in ihren neuen Lebensplan hineinzuziehen. Alle diese Anzeichen einer neuen bessern Zukunft trübten sich plötzlich, als die Fürstin mir gleich in den ersten Gesprächen, die ich mit ihr nach ihrer vollständigen Einrichtung wechselte, als eine fanatische Anhängerin der neuen frömmelnden Richtung entgegentrat. Sie betonte den Erlöser, die Gnade, die Rechtfertigung und die Nichtigkeit der guten Werke in einem Grade, der mich mit Befremden erfüllte. Eine Weltdame, die sie war, einst, wie ich gehört hatte, vielfach gefeiert, Gattin jenes wilden, berühmten Kriegers, über dessen Sitten wie über seine Tapferkeit nur eine Meinung herrschte, schien es mir unglaublich, daß sie in die Netze der neuen Verlockungen durch eine trübe, oft unehrliche Welt- und Lebensauffassung fallen konnte. Ich beging die Thorheit, mit ihr zu streiten. Der Streit war gerade Das, was sie suchte. Aber weit entfernt, mir zu danken, wie ich ihr doch Gelegenheit bot, für ihre Wahrheit und für ihren Heiland Zeugniß abzulegen, warf sie Mistrauen, Groll, ja zuletzt Feindschaft auf mich. Zwar erhielt ich die Oberaufsicht über den jungen Prinzen und begann mein Werk in meiner Weise, allein es verging nicht ein Tag, wo ich über unsre entgegengesetzten Grundsätze der Erziehung mit der Mutter nicht in Streit gerieth. Wie oft wollt' ich nicht die Zügel meiner Aufsicht in ihre Hand zurückgeben! Eine gewisse Achtung vor meinen mancherlei zerstreuten Kenntnissen, die Liebe und Anhänglichkeit des Knaben an mich trotz meiner Strenge, endlich aber wol die Verlegenheit, dem Kinde in dieser ländlichen Zurückgezogenheit irgend eine starke Nahrung des Geistes zu bieten, bestimmte sie doch immer wieder auf's neue, mit mir anzuknüpfen, Aussöhnungen vorzubereiten und Waffenstillstände zu schließen. Dies dauerte einige Jahre, bis es nothwendig wurde, fachwissenschaftliche Lehrer mit zu Rathe zu ziehen. Statt den Knaben in ein Institut zu geben, wollte die Fürstin ihn unter ihren Augen behalten und umgab sich mit fortwährend wechselnden Sprach- und Musiklehrern und andern Präceptoren, die im Schlosse viel Unheil anrichteten und sich selten länger als einige Monate auf ihren Plätzen behaupteten. Ich litt bei diesem Wirrsal am meisten; denn selbst die Kinderseele, für die ich dabei am meisten fürchtete, hielt die wilde Planlosigkeit zur Noth aus. Wie stark ist nicht ein junges Gemüth in seinem ersten Wachsthum! Wieviel geht nicht in das dürstende Herz hinein, wieviel hinaus, ohne ihm zu schaden! Wär' es nicht so, so müßte man die Kinder in einen durchsichtigen Glasschrank setzen und von der ganzen Welt abschließen!

Ihr Werk ist gesegnet worden, bemerkte Siegbert. Der leider so heftig erkrankte Prinz Egon soll sich in jeder Hinsicht auszeichnen.

Siegbert sprach diese Worte mit einer Betonung, die seine über diese sonderbar aufrichtigen Mittheilungen zunehmende Verlegenheit deutlich zu erkennen gab.

Darüber fehlt mir ein genaueres Urtheil, fuhr Rudhard ernst fort. Ich habe nur die ersten Keime der Bildung in sein allerdings sehr begabtes Innere pflanzen können. Es war ein liebes Kind, trotz Eigensinn und Starrheit und einer überlebhaften Neigung zu Extremen! Ihn krank zu wissen, den nun herangewachsenen Jüngling, ja schon Mann, macht mich traurig.. Nach so vielen Jahren hätt' ich ihn gern freudiger begrüßt. Ich bin gewiß, er hätte sich meiner ohne störendes Misbehagen erinnert! Hat mir doch auch die Mutter in ihren letzten Lebensaugenblicken einen Beweis gegeben, daß sie in weiter Ferne meiner noch mit Achtung, ja sozusagen Versöhnung gedachte!

Sie schieden also von Hohenberg? fragte Siegbert.

Schon vor langer Zeit, fuhr Rudhard fort. Die Verstimmung zwischen der Fürstin und mir war nicht mehr zu heilen. Immer mehr Menschen, immer heftigere Bedürfnisse religiöser Schwärmerei drängten sich zwischen sie und mich, und als sie sich entschlossen hatte, gegen mein Bitten und Flehen den Prinzen nach Genf in eine bigotte reformirte Erziehungsanstalt zu schicken, war ich ohne ferneren Halt auf meinem Platze und zog vor, Plessen zu verlassen. Bei der Fürstin hatte sich ein Predigtamtscandidat, ein sehr befähigter, aber grundsatzloser Mann, eingenistet. Er wurde, da ich merkte, daß ich in jeder Hinsicht unbequem war, und nun eine andre Pfarre übernahm, mein Nachfolger. Ich darf, mein Verehrter, bei Ihnen, dem ich ganz fremd bin, kein Interesse ansprechen, wenn ich von meinen ferneren Schicksalen erzählen wollte, ich überschlage daher die Blätter meines Lebens bis auf den Augenblick, wo ich –

Nein, nein, sagte Siegbert und ergriff treuherzig die Hand des Fremden, kann einem jungen Manne etwas lehrreicher sein, als die Erfahrung des Alters sprechen zu hören! Ich fühle und lebe das Alles mit Ihnen mit, was Sie erzählen! Meine Zeit drängt mich nicht und die letzte Aufklärung über Das, was Sie zu den Brüdern Wildungen führte, bleibt mir ja doch wol gewiß.

Rudhard empfand ein sichtliches Wohlgefallen an diesen in so weichen Tönen gesprochenen Worten des jungen angenehmen Mannes. Er blickte auf ein reines Gemüth, wie er es lieben mußte. Seine Augen milderten sich der sanften Klarheit des Blickes gegenüber, den Siegbert auf ihn ruhen ließ. Doch that er Das nicht, was vielleicht jeder Andere gethan hätte und sprach etwa mit Anerkennung über die Gesinnung des jungen Mannes, die er doch schätzen mußte. Er machte nur eine kurze Pause und fuhr mit einer gewissen Strenge fort:

Ich zog mit meinem kränkelnden Weibe an die fernste Grenze unsres Vaterlandes, Rußland zu, in einen Ort Namens Schmalelinken. Dort in einer Provinz, wo man klare Begriffe von der Provinzhauptstadt aus beförderte und beschützte, glaubt' ich, für die spärliche Saat, die jetzt noch Geistliche in die Herzen der Menschen streuen können, hinlänglichen Boden zu finden und fand ihn. Die Nähe einer Rittergutsbesitzung, der angesehenen Familie von Osteggen gehörend, machte mich ganz besonders glücklich. Diese Familie war am begütertsten im benachbarten Kurland, lebte aber lieber als in Rußland auf dem bescheidenen Schlößchen Ostegg bei Schmalelinken, wo ich als Pfarrer wirkte. Dieses Glück dauerte aber nur kurze Zeit. Meine Gattin starb. Ich hätte es verwinden können. Aber dem Tiefgebeugten, der gleichsam mit dieser guten Frau auch die Kinder verlor, die sie ihm nicht hatte schenken können, der nun ganz allein in der Welt dastand, entzog sich auch der Trost jener Beziehung zu der Osteggen'schen Familie, wo ich zwei jungen liebenswürdigen Mädchen, Adèle und Helene, Erzieher geworden war. In Plessen war ich von bigotten Deutschen verdrängt worden, in Osteggen verdrängte dagegen mein Erscheinen einen gewissen Rafflard aus der reformirten französischen Schweiz. Ich erlöste diese Familie förmlich von der Sklaverei unter dem Joche dieses Rafflard, eines eiteln, unwissenden Intriguanten und hatte die Genugthuung, daß mein Wirken anerkannt, gewürdigt wurde. Da starb aber mein Weib und meine einzige Anlehnung, die Osteggen'sche Familie, wurde durch die glänzende Heirath Adèlens, der ältesten Tochter, mit dem Fürsten Wäsämskoi bestimmt, nach Odessa zu ziehen, wo der Fürst am russischen Gouvernement wirkte. Was that ich? Ich entschloß mich, den dringenden Bitten der Familie, der ausdrücklichen und ehrenvollen Anerbietung des Fürsten Wäsämskoi zu folgen und ging, nahe meinem fünfzigsten Lebensjahre, mit nach Odessa. Dort am Ufer des schwarzen Meeres, unter südlichem Himmelsstrich verlebte ich glückliche Jahre. Mancher düstre, trübe Zug meines Charakters milderte sich. Was früher hart und starr war, wurde weicher und ebener. Leider verschonten uns herbe Schicksalsschläge nicht. Die alte Baronin Osteggen starb. Vor einigen Monaten ist auch ihr Schwiegersohn, der Fürst Wäsämskoi, auf einer Reise nach der Krim an einem Fieber dahingegangen. So fiel die Sorge für die Fürstin Adèle und ihre drei Kinder auf mich. Ihre jüngere Schwester, Helene Osteggen, hatte in Odessa die Bekanntschaft des in Aufträgen reisenden französischen Attaché, Grafen d'Azimont, gemacht und war, nachdem er sie geheirathet, erst nach hier, dieser Stadt, wo er fixirt war, dann nach Paris mit ihm gezogen –

Die Gräfin d'Azimont? fragte Siegbert gespannt. Irr' ich nicht, so ist die Gräfin hier?

Sie ist es, sagte Rudhard mit düstrer Miene, auch ihre ältere Schwester, die Fürstin Wäsämskoi ist hier. Leider gerieth mein jüngster Zögling, Helene d'Azimont, so in den Strudel des modernen Weltlebens, daß sie mit der ganzen Familie brach und durch ihre wilde phantastische Lebensweise die Liebe und das Herz der Mutter zu frühe knickte... Seit mehren Jahren schon ist jeder Verkehr zwischen den Schwestern Helene und Adèle abgebrochen und selbst das unter andern Umständen sehr erfreuliche Zusammentreffen in dieser großen Stadt wird keine Aussöhnung zu Stande bringen. Ich erwähne da Dinge, die in der großen Welt leider zu bekannt sind...

Auf Siegbert's Lippen schwebte die Frage, ob Rudhard wol wisse, welche Beziehung zwischen dem Prinzen Egon und der Gräfin d'Azimont stattfände; doch schwieg er, weil er dem Herzen eines Mannes wehe zu thun fürchtete, dem ohne Zweifel das Werk seiner Erziehung an der zweiten Tochter der Baronin von Osteggen nicht gelungen war.

Rudhard nahm aber diesen Gegenstand selbst auf und zeigte sich über die Chronik der Schwester seines treugebliebenen Zöglings, der Fürstin Wäsämskoi, vollkommen unterrichtet.

Wie schmerzlich muß es mir sein, sagte Rudhard, daß sich die Nachrichten, die wir dann und wann über die Schwärmereien Helenens empfingen, an meinen plötzlich in Paris wieder auftauchenden Schüler Egon von Hohenberg anknüpften! Ich sah, daß auch Egon durch seine Genfer Erziehung in den Strudel gerathen war, in welchem Helene unterging, als sie sich verheirathete an einen Mann, der ihr niemals eine sittliche Anlehnung bieten konnte. Wie tief hab' ich das Conventionelle im Leben unserer vornehmen Stände damals verabscheut, wie bitter beklagt, daß mir unmöglich wurde, dies liebenswürdige, reizende, gutmüthige Kind, Helene Osteggen, nicht von einer, wie man sie nennen mußte, glänzenden Partie mit einem nicht mehr jungen, aber reichen und interessanten französischen Diplomaten fern zu halten! Legte sich doch selbst der Wunsch des Kaisers in die Wagschale, russische Unterthanen in Paris, an der Quelle der Begebenheiten, in genauester Verbindung eben mit den Lenkern der Begebenheiten zu wissen! Ich begehe keine Indiskretion, indem ich von diesen Dingen spreche; denn ich muß sie Ihnen sagen, weil sie mit Dem zusammenhängen, was mich zu Ihnen und Ihrem Bruder führt.

Ich erstaune über Das, was ich hören werde, sagte Siegbert und strich sich über die Stirn, als könnte sie kaum alle diese wunderbaren Beziehungen fassen.

Mein Unmuth, fuhr Rudhard fort, erstreckte sich in dem Grade auf Alles, was mit Helenen zusammenhing, daß ich auch Egon verwarf und Niemanden mehr verwarf als die Mutter Egon's, die Fürstin Amanda, die mir so viele bittere Schmerzen in meinem an Freuden nicht reichen Leben verursacht hatte. Was sollte ich dazu sagen, daß ich vor anderthalb Jahren einen Brief von der Fürstin Amanda empfing, den sie auf ihrem Todtenbette geschrieben hatte! Einen Brief, der mich erst in Schmalelinken suchte und ein halbes Jahr brauchte, mich am Schwarzen Meere zu finden; einen Brief, dessen Absicht ich versäumt glaubte, als er ankam, ja der selbst rechtzeitig hätte eintreffen können und mir keinen Entschluß würde abgewonnen haben, so erbittert und gram war ich damals dem Andenken an Alles, was mich an Hohenberg erinnerte. Doch lesen Sie selbst diesen Brief und erfahren Sie damit zu gleicher Zeit den Grund, der mich zu Ihnen führte und mich bestimmte, Ihnen einen Überblick meines Lebens zu geben. Um jedoch Ihre Spannung nicht zu lange hinzuhalten, bemerk' ich, daß mein Besuch mit einem Bilde der Fürstin Amanda zusammenhängt, das Sie besitzen.

Mit einem Bilde? fragte Siegbert erstaunt....

Ist es nicht so? bemerkte Rudhard, der sich in seinem sichern Auftreten nicht stören ließ. Sie besitzen ein Bild der Fürstin?

Allerdings; aber....

So bitt' ich! Lesen Sie!


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