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Achtes Capitel.

Louis Armand.

Als wir, Leidenfrost und ich, fuhr Siegbert im weitern Gange fort, bei dem französischen Kunsttischler eintraten, trafen wir zuvörderst den Probst Gelbsattel.. doch du bist zerstreut? Meine Ausführlichkeit langweilt dich?

Nein, nein, fahre fort! sagte Dankmar. Doch will ich nicht hoffen, daß eine der häßlichen und magern Töchter dieses alten Gönners unserer Familie dein Madonnenideal ist!

Gönner unsrer Familie, sagst du? Er war der ärgste Feind meines Molay.

Es ist ein Schulkamerad des Vaters noch von Schulpforte her...

Und gerade deshalb sein eifrigster Feind und auch uns misgünstig und hämisch gesinnt! Die Schulkameradschaften! Von einem mislungenen Wettkampf bei einem Exercitium spinnt sich oft ein Faden des Neides und der Misgunst an, der durch das ganze Leben geht! Wie kann ich gute Bilder malen, da er unsern Vater kannte, der neben ihm in ein und dasselbe Tintenfaß die Feder tauchte!

Bitter, Siegbert, aber wahr!

Ich bin bitter, weil ich wirklich sagen muß, daß erst Frau von Trompetta den Ankauf meines Bildes durchsetzte! Nicht, damit ich erst etwas für ihr Gethsemane male, sondern weil ich ihr schon etwas malte, deshalb mußt' ich erst durch Ankauf meines Bildes ein geachteter, guter Maler werden!

Ärgre dich darüber nicht! Die Mysterien des Ruhmes haben schlimmere Dinge zu berichten. Was wollte Gelbsattel bei dem Franzosen?

Gelbsattel kaufte Rahmen zu einigen Bildern, die vom Kunstverein verloost werden sollen. Er war ungemein freundlich, fast kriechend und erkundigte sich nach dir mit einer Umständlichkeit, die mir fast auffiel.

Nach mir? sagte Dankmar, halb befremdet, halb theilnahmlos.

Fast wie im Verhör mußt' ich ihm hunderterlei Fragen beantworten, fuhr Siegbert fort, die ich selbst kaum wußte, und was das Auffallendste war, er schien über deine Anwesenheit in Angerode auf's Genaueste unterrichtet und gerieth über die Mutter in Ekstase, die ich seit dem schlimmen Tage, wo er einst in Thaldüren uns besucht hatte, nicht vermuthete.

Die Lection, sagte Dankmar, die ihm der gute Vater damals gab, wirkte. Er drohte ihm für Alles, was ihm der Vater sagte, die furchtbarste Rache und doch wurde er gleich darauf nach Angerode versetzt. Diesen Menschen muß man nur die Zähne weisen und sie werden zahm.

Nach Angerode, sagte Siegbert traurig, wo der Vater starb! Die Rache gelang!

Nun? erinnerte Dankmar, diese Erinnerungen vermeidend, an die Fortsetzung der Erzählung...

Du hättest Leidenfrost sehen sollen, fuhr Siegbert fort, wie der den Probst sogleich hechelte, den Kunstverein geißelte! Der kolossale Herr wurde zornroth und warf mit Frivolität der Genrebilder, satirischen Bambocciaden und ähnlichem Schwulst um sich, während er die Rahmen behandelte und von dem Franzosen immer kurz und treffend, mit Würde und einem gewissen Stolz bedient wurde. Leidenfrost bestellte zwölf Ellen von der vorzüglichsten Arbeit, die Monsieur Armand in Proben ausgestellt hatte, und als ich lachte und sagte: Sind Sie toll? Was soll ich denn da hineinmalen? Nun was denn sonst, rief er mit einem Seitenblick auf Gelbsattel, was denn sonst als die Idee, die Sie mir eben so vortrefflich geschildert haben, eine Sitzung der Akademie della Crusca! Gelbsattel horchte hoch auf über ein Bild, an das ich gar nicht gedacht hatte. Sehen Sie, sagte Leidenfrost, zu Ihrem dicken Prälaten, der bei dieser Gelegenheit die Regeln des guten Geschmackes definiren will, brauchen Sie allein drei Quadratellen Leinwand. Der Kerl muß sich in seinem Lehnstuhle hinflegeln, wie eine in Schweinsleder gebundene Ausgabe sämmtlicher Werke des Aristoteles! Bis hierher... Bitte um Entschuldigung, Herr Oberconsistorialrath!... bis hierher müssen wenigstens seine Beine reichen, bis dahin seine Arme, hier oben streckt er die Hand auf den grünen Tisch und legt sie mit plumper Vollsaftigkeit auf einen grünen Lorbeerkranz, der für ein Reiheherumgehendes Gedicht von den versammelten Kunstrichtern als Preis bestimmt ist. Der Eine rümpft die Nase, der kratzt sich hinterm Ohr, der rechnet an den Fingern nach, daß in der siebzehnten Stanze Vers drei ein Fuß zu wenig ist, der schlägt schon im Lexikon nach, aber der dicke Prälat, der sich bläht wie ein verdauender Kalekut, der gibt sich das Air, als grübelte er nur dem Geiste des zur Prüfung vorgelegten Gedichtes nach, und die Lorbeerblätter müssen unter seiner schweißigen Hand schon anfangen gelb zu werden. Würde der Kunstverein, schloß Leidenfrost, wol einen solchen Gegenstand ankaufen, Herr Probst?... Gelbsattel stutzte, faßte sich aber. Der schöne Rahmen, sagte er salbungsvoll und sich wohl getroffen fühlend, der schöne Rahmen, mein Bester, den Sie da bestellen, ist vorläufig eine sehr gute Empfehlung dieser Sitzung der Academia della Crusca, die ich mir sehr treffend und sogar witzig denken kann, vorausgesetzt, daß der Pinsel des Künstlers edel bleibt und durch Portraitähnlichkeit nicht zum Pasquillanten wird!

Aha! rief Dankmar. Siehst du, wie du die Unbesonnenheit dieses unverbesserlichen Leidenfrost büßen mußt?

Lieber Dankmar, sagte Siegbert mit großer Milde, ich fühle Das wirklich weniger, als du und als es Leidenfrost fühlte. Der Probst ging und unser Spötter warf sich voll Unmuth in einen Sessel. Der Franzose, der auffallenderweise recht geläufig deutsch sprach, fragte, ob dieser Herr der Vorstand hiesiger Katholiken wäre? Als wir ihm diesen Irrthum benahmen, sagte er, er hätte Dies geglaubt, weil ein Jesuit, der mit ihm von Paris gereist wäre, viel von dem Probst Gelbsattel gesprochen hätte. Ein Jesuit? fragt' ich zweifelnd; gibt sich, namentlich in jetziger Zeit, ein Jesuit so offen? Der Franzose lächelte und erwiderte: Er wäre von Brüssel bis Hannover mit ihm fast immer in einem Waggon gefahren, aber schon in Aachen wäre ihm kein Zweifel gewesen, daß er einen heimlichen Jesuiten neben sich gehabt hätte. Auch wisse er ein Zeichen, mit dem sich die Jesuiten zu erkennen gäben, wenn sie verwandten Brüdern oder Affiliirten des Ordens zu begegnen glaubten. Einige Herren, die in Elberfeld eingestiegen wären, hätten dies Zeichen auch sogleich erkannt und sich mit seinem Landsmann vielfach im Geheimen unterhalten, auch ein Geistlicher, der sich in Bielefeld anschloß... mit diesem wäre oft vom Probste Gelbsattel in der Residenz gesprochen worden.

Schöne Arsenik-Adern Das, die sich da durch Deutschland schlängeln! sagte Dankmar.

Du kannst denken, fuhr Siegbert fort, wie mich nach solchen Mittheilungen dieser Franzose ansprach. Es ist ein noch ziemlich junger Mann, der Kunsttischlerei und das Vergolden zu gleicher Zeit gelernt hat und es zu einer Vollkommenheit in seinem Fache brachte, die noch bei uns Niemand erreicht. Seine Spiegel- und Gemälderahmen sind von einem bewundernswerthen Geschmack. Er konnte nur Proben auslegen, da ihm die Gewerbeordnung untersagt, anders hier aufzutreten denn als Reisender und Commissionär. Er übernimmt aber jede Bestellung und wird sie entweder von einem großen Lager aus, das er in Paris hat, oder durch eine Verbindung mit irgend einer hiesigen Werkstätte ausführen. Er wohnt schon deshalb bei einem guten soliden Tischler, Namens Märtens...

Märtens? fragte Dankmar...

Es war ihm, als hätte er diesen Namen irgendwo gehört.

Märtens in der Wallstraße...

Dankmar horchte auf. Doch fiel ihm nicht ein, daß dies die Adresse war, die auf dem Gelben Hirsch der Förster Heunisch von seiner Nichte, Fränzchen Heunisch, gegeben hatte.

Siegbert, der genauer ausführen wollte, wie er dazu gekommen, in Dankmar's Abwesenheit sich Leidenfrost und diesem Louis Armand näher anzuschließen, fuhr fort:

Armand's Fertigkeit in der deutschen Sprache fiel mir auf. Er behauptete, das Deutsche theils von einer halbdeutschen Mutter, theils von einem Beschützer gelernt zu haben, dem zu Liebe er hierher nach Deutschland gefolgt wäre. Vielleicht bliebe er, vielleicht ginge er wieder. Es hinge Das von seinem Freunde und Beschützer und dessen verwickelten Angelegenheiten ab. Er hatte kein Hehl, mir diesen Protector, wie er ihn nannte, mit Namen zu nennen. Ich war erstaunt, als er eine hochgestellte Person nannte, den jungen Prinzen Egon von Hohenberg.

Wer? fragte Dankmar erstaunt. Den Prinzen Egon?

Von dem er nicht Rühmens genug wußte, fuhr Siegbert fort, und bei dessen Namen ihm die Thränen in die Augen traten.

Dankmar war jetzt überzeugt.. daß der Gefangene im Thurm ihn nicht getäuscht hatte!

Nun? Nun? drängte er den Bruder fortzufahren. Und der Prinz?

Von ihm erfuhr ich nichts, sagte Siegbert. Aber Louis Armand, der Franzose, interessirte mich. Er sprach Einiges von der Politik und nach wenig Augenblicken entdeckt' ich, daß dies ein pariser Sozialist ist. Leidenfrost, dessen technologische und mathematische Studien ihn mit seiner Malerei verbunden zu einem Genie im alten Sinne des Wortes, einem Albertus Magnus, Paracelsus, ja zum Faust machten, wenn er nicht zu sehr Mephistopheles wäre...

O! O! unterbrach Dankmar. Ich bitt' euch! Das ist ja schon eine Lobhudelei unter euch, wie wenn sich zwei junge Studenten ihre ersten Gedichte vorlesen!

Leidenfrost, fuhr Siegbert unerschüttert fort, erhob sich aus seinem Sessel und nahm an unserm Gespräch den lebhaftesten Antheil. Dieser Franzose nun ist Schuld, daß ich seit einigen Abenden so spät nach Hause komme. Gestern Abend begleiteten wir, Leidenfrost und ich, ihn wirklich an das Palais des Fürsten Hohenberg. Er hatte wirklich einen eigenen Schlüssel zu einer Seitenpforte, die in den Garten führte, wo wir Abschied von ihm nahmen...

In den Garten sagst du? fiel Dankmar ein. War das nach zehn Uhr?

Gegen eilf! antwortete Siegbert.

Dankmar gedachte des Sängers von gestern Abend, gedachte Egon's. Die Brust wogte ihm freudig auf. Er fühlte, daß seine Erinnerungen keine Träume waren, daß sie aufleben sollten in einer neuen reizvollen Wirklichkeit...

Da Dankmar schwieg, schloß Siegbert seine Erzählung, die er immer ruhig mit dem Bruder fortschlendernd vorgetragen hatte, mit den Worten:

Nun aber wird es an dir sein, endlich gleichfalls zu berichten. Wir sind am Atelier. Um drei Uhr bei Grün oder jetzt; ich will dir ganz gehören, wenn du es verlangst.

Dankmar hielt ihn allerdings fest. Es war ihm noch, als wäre nicht Alles los und frei in seiner und des Bruders Brust. Er sah zu den Fenstern des eleganten im italienischen Geschmack gebauten Hauses hinauf. Es bestand dies Haus aus zwei Theilen, von denen der eine (beide hatten Plattdächer) für die berühmte Malerschule des Professors Berg bestimmt war. Der andre enthielt Wohnungen; sie waren durch eine Terrasse verbunden, die mit Orangen-, Oleanderbäumen und Cactus verziert waren und einen Gang bildeten, über den Professor Berg zu seinen Schülern aus seiner Wohnung hinübergehen konnte. Eben ging auch der gefeierte Meister im leichten Überwurfe aus der Glasthür des Wohnhauses über diese Verbindungsterrasse in's Atelier. Er hatte ein ernstes, edles Gesicht, das mit langen grauen Locken beschattet war. Freundlich grüßte er zu den Brüdern hinunter.

Aha! Dein Tizian! sagte Dankmar. Bruder, ich weiß nicht, Leidenfrost ist doch werth, daß man ihn durchprügelt. Wie du Das so erträgst! Hätte der Vater nicht auf dem Todtenbette zu uns gesagt: Wie lieblich, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! ich finge einen Heidenlärm mit dir an und zwänge dich mit ihm wenigstens zu einem Gang auf geschärfte Rappiere! Wetter, Bruder! Wie kann man harmoniren, wo eine solche unaufgelöste Dissonanz doch immer nebenher brummt!

Hab' ich nicht, sagte Siegbert, durch dies Alles einen reichen Gewinn? Leidenfrost's geniale Natur ist mir näher getreten: er zeigt mir aus Reue ein Gemüth, das er Allen verbirgt. Was hätt' ich nun, wenn ich ihn hassen müßte, mich zwänge, ihn zu hassen, den wunderlichen, in sich doch auch nicht glücklichen Menschen! Und bei dieser Freundschaft gewann ich noch eine andere, jenen Louis Armand, der mir, fast möcht' ich sagen in reinlicherer, graziöserer Weise die Ideen von dem möglich gesteigerten Glücke des Volkes verwirklicht, als ich sie an unsre schmutzigen, meist rohen und gedankenlosen Handwerker anknüpfen könnte. Wir sehen ihn vielleicht heut' Abend, wenn ihn der Fürst von Hohenberg nicht in Anspruch nimmt.

Prinz Egon! wiederholte Dankmar mit einem Erstaunen, das der Bruder nur auf den Rang eines Mannes bezog, mit dem ein einfacher Rahmentischler und Vergolder bekannt sein sollte...

Und von dem Tizian sprichst du, sagte endlich Dankmar, als Siegbert ihm die Hand gab, um in's Haus zu treten... Von den Sphinxen und Melusinen sprichst du und von deinen Freunden und deinen durch Großmuth beschämten Feinden.. Aber die Madonna! Diese Vielgestaltige! Wer ist sie denn nun? Dieser weibliche Proteus, Der Jedem anders und dir als eine Heilige erscheint? Ich habe geschwiegen... Ich wollte dir meine Bescheidenheit zeigen... Aber du ehrst sie nicht. So werd' ich indiscret und frage: Wer ist sie denn?

Hättest du nur nicht so viel Verstand, Dankmar! sagte Siegbert. Von der Liebe schäm' ich mich mit dir zu reden...

Wirst du nicht roth über und über? Ich wette, es ist Berg's Tochter! Der alte Tizian in Venedig hatte ja wol auch eine Tochter, die mit ihres Vaters Schülern... seine Schule fortpflanzte? Wie? Fräulein Berg ist's?

Du kennst sie also nicht, sagte Siegbert. Und doch glaubt' ich... in Hohenberg...

In Hohenberg? fragte Dankmar erstaunt.

Sie ist eine Schülerin Berg's, hat Talent, aber wenig Ausdauer. Seit einigen Tagen ist sie verreist... du solltest wissen wohin?

Ich?

Zuweilen war ich bei ihr eingeladen. Bis jetzt zog sie mich jedem Andern vor. Was Viele als Koketterie an ihr tadeln, scheint mir ein künstlerischer Sinn. Könnt' ich sie gewinnen, ich hätte ein Ideal gefunden; denn sie ist vollendet schön...

Dankmar wurde jetzt von einer Idee ergriffen, die ihn erstarren machte. Er wußte, daß Siegbert heute hier, morgen da, in Soireen und Theegesellschaften gebeten wurde. Daß ihn Melanie Schlurck kannte, schien ihm sowenig auffallend, daß auch nicht ein Gedanke ihm gekommen war, der in seinem Geschmacke an Frauen so wählerische Bruder möchte sich in die Netze gerade dieser Siegbert's ganzer Natur widersprechenden Erscheinung verloren haben. Aber als er schon von deren Abwesenheit hörte, von verreist, von Hohenberg, von Koketterie... erschrak er furchtbar und wie in dem sichern Gefühle einer Ahnung, mit der ihm die Schuppen von den Augen fielen, sagte er:

Doch nicht Melanie Schlurck?

Du kennst sie? antwortete Siegbert hocherglühend und fast begeistert. Ja, gerade Die ist Berg's Schülerin und die Madonna. Sahst du sie nicht in Hohenberg?... Du schweigst! So laß uns abbrechen. Ich sehe du bist verdrießlich, – du verurtheilst sie wie – Alle – Alle – oder – was hast du?

Nichts! – nichts –

Du bemitleidest mich – du hast einen wehmüthigen Zug um den Mund – warum wendest du dich? Was ist dir?

Ich will gehen und die Couverte bei Grüns bestellen...

Du willst dort mit mir moralisiren! Thu' Das nicht, Dankmar! Laß mir diese Täuschung, diesen Wahn! Ich liebe Melanie Schlurck und wenn ich das Gespött der Welt würde.

Und sie selbst?

Darüber heut' Mittag! Ich will an mein Ölblatt für das Gethsemane... Du sollst mir Rath geben! Aber nicht moralisiren! Hörst du? Ich liebe wahnsinnig...

Siegbert hatte keine Ahnung, daß sein kalter, gegen Frauen gleichgültiger Bruder, sein Nebenbuhler sein könnte. Er hatte Dankmar's erkaltete Hand geschüttelt und nichts von dessen Leichenblässe bemerkt. Dankmar war groß in der Kunst der Selbstbeherrschung.. Siegbert trat in das Atelier.

Und doch hätte Dankmarn, als er nun so allein stand mit dieser gewaltigen Thatsache, sein erstes klares Gefühl, dessen er Herr werden konnte, Thränen abpressen mögen. Nicht an sich dachte er! Der gute kindliche Bruder! rief es in ihm. Der tiefste Schmerz ergriff ihn, zu denken, daß diese reine spiegelklare Natur so von einem entschiedenen Irrthum, von einem Wahne völligster Unmöglichkeit überhaucht werden konnte! An das sonderbare Schicksal, daß zwei Brüder von einem und demselben Mädchen erfüllt sein mußten, dachte er gar nicht.. Das war zu oft vorgekommen.. Ihn rührte weit mehr der Schmerz um Siegbert, den er, obgleich älter als er selbst, hier schon wieder unpraktisch, träumerisch, zerflossen fand! Wie klar durchschaute er den niezulösenden Widerspruch zwischen Siegbert und Melanie! Wie unmöglich schien ihm für jemals diese Vereinigung! Wie scharf, treffend, nur für seine Bruderliebe beleidigend treffend war nun der Spott des kecken Leidenfrost, der diesen Contrast so lebendig aufgefaßt und in seiner ganzen Lebendigkeit wiedergegeben hatte! Und wen er noch mehr haßte als Leidenfrost, das war wirklich... Melanie selbst!

Ein Mann kann gar nicht lieben, sagte er sich, ohne daß ihm ein Weib dazu die Veranlassung gibt und Melanie hat sich einen Scherz erlaubt!

Und als ihm diese Gedankenreihe zu tantenhaft, zu gouvernantenmäßig klang, sagte er sich doch: O sie verdient uns Beide nicht! Er überraschte sich auf dem Geständniß, daß er sie vielleicht wirklich nicht liebe, nie geliebt hätte, daß sie ihm nur den Eindruck der Sinnlichkeit gemacht hätte. Opium ist Das, was in ihren Blicken liegt, sagte er sich. Ich könnte sie zermalmen, wenn es nicht Leidenfrost auch schon mit ihr in seinem Bilde gethan hätte. Prinz Ottokar hat es gekauft! .. Das versöhnt mich jetzt mit Leidenfrost! Das ist die schwerere Schale, die seine Schuld gegen den Bruder aufwiegt!

Und doch trat dann wieder Melanie als Siegerin und im ganzen Zauber ihrer Hingebung vor seine Seele...

Er mußte sich unter einige in der Nähe liegende Bäume flüchten, eine Bank suchen um sich zu fassen, um sich zu sammeln...

Daß für ihn an Melanie nicht mehr zu denken war, schien ihm dem Bruder gegenüber unerläßlich.

Daß aber auch dieser von seiner Verblendung durch ein Mädchen, das er erst jetzt erkannte, da er sie in der Seele eines Andern beurtheilte, geheilt werden müsse, erschien ihm ebenso nothwendig....

In dem Hin und Her dieser Empfindungen und Überlegungen versank er auf der steinernen Bank unter Kastanienbäumen, umrauscht von dem Lärmen des fashionablen Viertels, in dem er sich befand, in Wehmuth und in eine Traurigkeit, die fast alle seine Entschlüsse für den heutigen Tag lähmte.. Sein Anzug kam ihm jetzt lächerlich vor.. Er riß die Handschuhe von den Fingern. Prinz Egon, der Freund des Kunsttischlers Armand, bedurfte dieser Aufmerksamkeit nicht.. und mit Schlurck wollte er ungebundener sprechen.. Melanie, die ihm, wer weiß durch welche Zweideutigkeit, das Bild erworben hatte, wollte er nicht sehen. Er war außer sich und unglücklich.

Er saß dumpf brütend eine Weile, bis er die Augen aufschlug und auf der entgegengesetzten Seite des Platzes, den die Kastanienbäume beschatteten, eben um die Ecke der dort einmündenden belebten Straße einen Mann und einen Knaben schreiten sah, der ihm Ackermann und Selmar zu sein schienen. Erfüllt vom freudigsten Schreck sprang er auf und mit dem Ruf in seiner Brust: Es gibt noch reine Fluten, in denen des Mannes Seele sich läutern, stärken, erquicken kann! eilte er stürmisch nach der Gegend hin, wo die lieben, ihm so theuren Gestalten eben aufgetaucht und wieder verschwunden waren. Sein behender Fuß, hoffte er, würde sie noch sicher erreichen. Er eilte, als jagte ihn die Reue über alles Das, was er in diesen Tagen erlebt, begonnen hatte. Jeder rasche Fußtritt war ihm, als müßte er mit ihm zu gleicher Zeit abschütteln, was auf ihm Unwürdiges und Zweideutiges lag.

Hinweg! Hinweg mit diesem Ballast! rief es in ihm. Sei Mann! Schüttle deine Mähne! Lebe in der Wüste deiner Überzeugungen einsam, aber wie ein Löwe!

Aber es war nur der Schmerz, der so in ihm schrie..

Er irrte und irrte.. Ackermann und den Knaben zu finden;... er hatte ihre Spur verloren! Seine beflügelten Schritte ruhten erst, als er vor dem Hause stand, an welchem er gestern Nacht auf messingner Platte den einfachen Namen Schlurck gelesen hatte...

... Ob Dankmar eintreten wird?...

... Dies der Commune gehörende Haus mit dem Kreuze, gebaut auf Grundstücken, die einst dem geistlichen Ritterorden und der Comthurei von Angerode gehört hatten, trug zwar alle Spuren seines alterthümlichen Ursprungs, war aber von innen sehr wohnlich, bequem und in manchen Partien selbst elegant eingerichtet. Die Bogenwölbungen der Decken und die winkligen steinernen hier und da ausgetretenen Treppen waren nicht zu verbergen. Viereckte, abgestumpfte Säulen trugen die Treppenüberbauten. Lange Gänge zogen ohne alle Symmetrie, rein nach dem Grundsatze der Bequemlichkeit, durch die Stockwerke und gaben nach allen Richtungen hin in den Zimmern Ausgänge, ohne daß diese darum selbst, wie leider bei den neuen Bauten, mit einer Überzahl von Thüren versehen waren. Fast in allen Zimmern war darauf geachtet, daß sie mindestens eine große, völlig thürfreie Wand hatten, an der die Wärme sich sammelt und der Rücken des Bewohners traulich und sicher anlehnen kann. Wenn nun auch viele Alkoven etwas Düsteres und kleine einfenstrige Durchgangszimmer etwas Weitläufiges darboten, wenn die ausgebauten Erker, die Fenster mit breitem Simse, von denen man nur durch im Zimmer angebrachte Tritte eine bequeme Aussicht auf die Straße haben konnte, mehr altfränkisch, als ehrwürdig erschienen, so hatte doch der lange ungestörte Aufenthalt eines sehr wohlhabenden, Luxus und Comfort liebenden Mannes in diesen Räumen dem Ganzen den Charakter jener Eleganz aufgedrückt, die man in den alten Häusern Nürnbergs oder, noch bezeichnender, Basels und Berns antrifft. Was hier Malereien an den Wänden und moderne gefällige Formen nicht bewirken konnten, wurde durch Sauberkeit und Gediegenheit erreicht. Die Fenster der Treppen sogar hatten Gardinen, die Vorplätze der niedrigen Zimmer waren gebohnt und mit kostbaren Blumenstöcken in weißen Porzellantöpfen geziert. Die inneren Zimmer waren prächtig tapeziert und wurden durch bunte Vorhänge gehoben. Die Möbel entsprachen dem neuesten Geschmack und die reichbesetzten Etagèren und Servanten entfalteten einen Überfluß von Gold, Silber und Porzellan, der nur einer bessern Beleuchtung bedurfte, um – dann vielleicht nicht einmal so geschmackvoll zu erscheinen wie jetzt, wo gerade diese Äußerlichkeit dazu gehörte, sie zur Staffage eines Wohlstandes zu machen, den man allenfalls patrizisch nennen mochte.

Schlurck bezahlte eine sehr geringe Miethe für diese Wohnung, die zum Complex aller der Häuser und Liegenschaften gehörte, die er für die Commune verwaltete. Dieser Umstand allein hätte ihn aber nicht hier festgehalten, wenn es nicht seine Bequemlichkeit gewesen wäre. Seit fast zwanzig Jahren hatte Schlurck hier gehaust und in allen Dingen Gewohnheitsmensch war er auch nicht zu bewegen, Melaniens Bitten um eine moderne Wohnung nachzugeben. Er gestattete ihr lieber hundert andere Dinge, nur in diesem Punkte war er unerschütterlich. Dies Winkelwerk war ihm lieb geworden. Er hatte über sich Miethbewohner, die ihn nicht störten. Ställe, Remisen, Alles gehörte ihm so, als wär' er in seinem Eigenthum. Unten, hinter den vergitterten Fenstern, waren seine Schreibstuben, wo oft zwanzig Federn unaufhörlich kritzelten, immer ein halbes Dutzend junger praxisloser Juristen unter seiner Anleitung arbeitete und die Acten bis zu den Decken in einer Menge Schränken aufgethürmt lagen. Sein eigenes Audienzzimmer lag nach hinten hinaus, war sehr düster, aber traulich, und die Wendeltreppe, die er sich von hier aus in den ersten Stock hinauf hatte bauen lassen, that ihm vielfach erwünschte Dienste. Dazu kamen die hohen, gewölbten Keller für seine Weine, die er als Kenner kaufte, lagern ließ und nach einem gewissen System verbrauchte. Dies ganze Winkelige, Versteckte, Alterthümliche war ihm nothwendig geworden, und oft sagte er zu den Gästen, die er in dem kleinen oder dem größern Saale oben versammelte:

Wir Menschen müssen über unsrer Wohnung stehen! Sie muß unsern eignen Gehalt, unser Gepräge annehmen! Eine Wohnung, die meinem Nachdenken, meiner Phantasie voraus ist, wird mir unbequem werden und wäre sie noch so schön! Was sollen mir Balkone, Plattdächer, Veranden! Ich bin nicht italienisch gestimmt. Eine Wohnung, die ich aus den alten Zeiten heraus mir nachbilde, selbst forme und nach Laune schmücke, wird mein Schneckengehäuse! Sie krustisirt sich aus meinem eigenen Körper heraus.

Für Melanie war aber die Wirkung dieser Wohnung verderblich. Sie war durch Bildung und Natur ein Kind ihrer Zeit und litt unter dem Druck dieser ihr nicht gleichmäßigen Existenz. Ihr war nie wohl daheim! Sie mußte immer hinaus aus diesen Fesseln ihres Geschmacks, mußte immer träumen von üppigeren Existenzen und erhielt dadurch die Unruhe und Beweglichkeit, die sie schon zu so mancher Thorheit verleitet hatte. Ihre Phantasie, immer in dem Drange, sich etwas Andres zu schaffen, als was sie besaß, war nicht gebunden durch jene Häuslichkeit, die beim Weibe die lebendigste und in manchen Fällen oft einzige Unterstützung der Tugend ist. Wer sich in seinem gewohnten Dasein gefällt, geräth nicht in die Strudel jener unbefriedigten Gemüther, die das Glück überall, nur nicht am eignen Herde suchen.

Ohne nun Dankmar weiter im Auge zu behalten, bemerken wir, daß Melaniens Erwartungen für den heutigen Tag auf's höchste gespannt waren. Sie durchflog die trotz der Hitze draußen kühlen Zimmer wie ein gefiederter Genius auf und ab. Einen stillen Platz, wo sie selber waltete, hatte sie nie gehabt. Den kleinen Cultus sinniger Gemüther, die sich irgend ein Zimmer und wär' es noch so klein, irgend ein Plätzchen und wär' es noch so eng, nach ihrem eigenen Gefallen ausschmücken, hatte sie nicht. Sie schrieb ihre Briefe, wo sie einen Tisch fand. Kein Arbeitszimmer, das ihr allein gehörte. Überall fand sich ein Stückchen Spur von ihr. Sich einzuspinnen an irgend einem ihr allein angehörenden Orte, war ihr unmöglich. Sie hatte Schränke, wo sie das Ihrige beisammen fand, andre, wo sie Briefe aufbewahrte, sie hatte Nippsachen und Andenken genug; aber sich anzusiedeln an einer und derselben Stelle mit Allem, was ihr theuer war, das verstand sie nicht. Es war ihr eine Epheulaube gebaut worden mit Hängelampen und rankenden Gewächsen in zierlich gebrannten, aufgehängten Töpfen, sie hatte darunter einen kunstvoll gebauten Schreibtisch, sie saß aber nie davor. Das war ihr Alles zu eng, viel, viel zu pedantisch. Entweder saß sie in einem der Erker, wenn sie schrieb... Konnte sie doch da bei jedem Federzug auf die lärmende Straße sehen!.. Oder wenn sie zeichnete und malte, worin sie etwas Fertigkeit errungen hatte, mußte die Staffelei heute hier, morgen da stehen. Bald war sie bei der Mutter, bald bei dem Vater und wenn sie Beide genugsam gequält hatte, rief sie ihr Mädchen Jeannette, um sich anzukleiden, oder ging in ein Hinterzimmer, wo sie Büglerinnen, Nätherinnen, Putzmacherinnen antraf, die immer für das große Haus und seine verschwenderische Ökonomie zu nähen, stricken, zu wirken und zu arbeiten hatten.

Am Abend vorher hatte sie dem Vater schon Einiges von Dem mitgetheilt, was er von dem Hohenberger Aufenthalt wissen sollte. So sehr seine Neugier über den Prinzen gespannt war, so stand sie doch nur halb Rede. Man ging, ermüdet wie man war, früh zu Bette.. Am Morgen gab es dann Vieles zu ordnen, nachzusehen, zu tadeln. Der Tag sollte wichtig werden. Man nahm die Vorbereitungen auf ihn nicht leicht. Da waren Kleider zerdrückt, andre nicht mehr gefällig. Es gab ein Wählen, Lärmen, Laufen hin und her. Des auch schon in der Frühe vielbeschäftigten Vaters wurde sie kaum ansichtig. Gegen zehn Uhr bekam sie endlich eine ruhigere Stimmung. Am liebsten hätte sie gewünscht, es hätte schon jetzt am Hause recht wild und stark geklingelt. Jeannette erzählte ihr, sie hätte einen Bedienten des Geheimrathes von Harder schon auf der Straße gesehen, die Excellenz wäre also angekommen... Ernst hatte Jeannetten Alles erzählt, was er so offen nicht einmal der Geheimräthin beichten wollte... Melanie lachte über diese uns noch räthselhaften Vorfälle und überließ ihrem Mädchen, den Antheil, den sie daran hatte, nach Belieben zu errathen. Den wahren Schlüssel dieses Geheimnisses behielt sie noch selbst.

Um elf Uhr war sie in einfacher aber geschmackvoller Kleidung bereit, Jeden zu empfangen, und käme Kaiser und Fürst! Den Gedanken an eine Selbsttäuschung über Egon mochte sie durchaus nicht fassen... Bekümmerter war sie um das Bild. Sie schien mit der Art, wie es Dankmar empfangen haben mußte, nicht zufrieden. Oft wenigstens fragte sie Jeannetten, ob man sich wol auf Menschen verlassen könnte, die von einem Manne, wie dem Prinzen, so freundlich gegrüßt wurden.. Sie meinte den Amerikaner und seinen Knaben... Dann kam sie auf diesen Knaben, den sie anfangs und um Dankmarn zu necken, ein Mädchen genannt hatte und ein Sinnen überfiel sie wirklich, ob nicht jener Knabe ein solches wäre und in Beziehungen zu ihrer neuen Eroberung stünde, die sie fürchten müsse! Etwas, was sie mit dem Vater des Knaben im Heidekrug und mit dem Bilde der Fürstin Amanda erfahren hatte, schien sie darauf zu führen, sich solche Vermuthungen lebhafter auszumalen.

Es schlug halb zwölf. Noch immer nichts, was sich zur Aufklärung der letzten Tage anmelden wollte...

In ihrer Ungeduld rannte sie da und dorthin, endlich zu den Mädchen, die für das Haus zu arbeiten pflegten. Es war heute grade nur eine da, ein heiteres junges Mädchen von gefälligem Äußern. Sie arbeitete gerade an einem Besatz für Melanie. Jeannette stand neben ihr und Beide lachten eben, als Melanie eintrat.

Ihr seid sehr lustig! Worüber lacht Ihr? fragte Melanie.

Das Mädchen stand ehrerbietig auf und wurde blutroth.

Jeannette, eine Zofe, die sich gegen Melanie oft einen sehr vertrauten Ton gestattete, woran aber diese wol selbst Schuld war, Jeannette antwortete für die Nätherin:

Fränzchen ist verliebt, Fräulein, und wie Sie sehen, bis über die Ohren!

Fränzchen, in wen bist du verliebt? sagte Melanie und setzte sich zu ihnen. Erzähle mir wie verliebt du bist!

Jeannette ist eine Spötterin, sagte das Mädchen, das man Fränzchen nannte. Ein armes Mädchen fühlt leicht etwas, so gut wie Andre, aber sie nimmt sich wol in Acht, es so rasch Liebe zu nennen, wie Die!

Der Tausend! sagte Melanie. Das klingt ja wie aus einem Buch.

O, sagte Jeannette, es muß auch etwas ganz Absonderliches sein, was ihr in's Herz gefahren ist! Seit wir fort sind, ist Franziska Heunisch fast eine Gelehrte geworden.

Also ein Student? fragte Melanie die Nichte unseres guten Heunisch aus dem Walde. Blond? Schwarz? Jura? Medicin? Fränzchen! Fränzchen! Laß dich mit Studenten nicht ein! Ihre frischen Wangen müssen erst recht welk werden, bis sie heirathen können und dann heirathen sie immer erst noch die Töchter ihrer Vorgesetzten.

Es ist kein Student, sagte Fränzchen Heunisch verschämt.

Sie sagt's nicht, wer's ist! meinte Jeannette. Und doch ist er gewiß viel hübscher als der alte Fürst von Hohenberg, den sie noch ein Jahr vor seinem Tode lieben sollte.

Jeannette lachte zu dieser Äußerung laut auf.

Fränzchen aber warf ihr einen ernsten Blick zu und wurde noch röther, diesmal aber vor Unwillen über Jeannettens lose Zunge.

Was ist Das? fragte Melanie. Verliebt in den alten Fürsten Hohenberg?

Fräulein, sagte Fränzchen mit einem erneuten verweisenden Blick auf ihr Mädchen. Jeannette ist oft recht schlimm...

Warum denn, sagte die Zofe keck; wissen wir's doch Alle! Armes Täubchen! Die Wandstablers waren nahe daran, ihr recht die Federn auszurupfen.

Melanie drang wiederholt nach Aufklärung. Fränzchen schwieg. Die Nadel zitterte in ihren Händen...

Jeannette aber sagte:

Ach ziere dich nicht, Fränzchen! Abenteuer, wo man mit heiler Haut davonkommt, sind immer lustig anzuhören. Fränzchen ist doch die Nichte des Jägers Heunisch, den wir mit seinem großen Fuchsbart bei Hohenberg öfters gesehen haben. Als noch der alte Fürst lebte, empfahl sie Heunisch an die Wandstablers, um im Palais einen guten Posten zu bekommen. Sie kennen doch die Wandstablers, Fräulein?

Melanie sagte, sie hätte von den drei Geschwistern gehört.

Jeannette fuhr fort:

Die Wandstablers ließen mein Fränzchen kommen und betrachteten es von allen Seiten, ja untersuchten's, wie Herr Lasally thut, wenn er Pferde kauft. Endlich behielten sie sie im Palais und Fränzchen zog heute hinein und morgen lief sie, wie sie ging und stand, davon. Was mit ihr geschehen ist, davon hat nichts in der Zeitung gestanden. Fränzchen! Ich hätte dich sehen mögen, wie du in dem goldenen Pavillon an Händen und Füßen gezittert hast, als –

Fränzchen entrüstet hielt Jeannetten den Mund zu.

Und als jene doch reden wollte, sprang sie auf und drückte so gewaltsam auf Jeannettens unsaubere Lippen eine gewisse Handbewegung, daß deren fahles Gesicht kirschroth wurde und sie allenfalls sagen konnte, ihr wäre so gut geschehen, als hätte sie eine Ohrfeige bekommen.

Mädchen! Mädchen! rief Melanie lachend. Du zerdrückst mir die Volants an dem Kleide da! Wollt Ihr wol Beide Ruhe halten!

Fränzchen war so zornig, daß ihr die Thränen in die Augen traten.

Für Melanie waren die Worte: Goldener Pavillon im Hohenbergschen Palais, sehr gefährlich gewesen. Indessen bekämpfte sie sich, warf Jeannetten einen verweisenden Blick zu und sagte, um auf einen andern Gegenstand zu kommen:

Also ein Franzose ist's! Fränzchen, wie verständigst du dich denn mit ihm? Oder geht das Alles durch die Augensprache?

Fränzchen schwieg wieder.

Jeannette aber statt ihrer sagte:

Er kann ja deutsch und was er nicht zu sagen weiß, macht er mit ihr figürlich ab. Er wohnt in einem Hause mit ihr und muß es gewiß sehr redlich im Sinn haben, denn er hat ihr noch nichts geschenkt, obgleich er mit lauter Gold umgeht.

Melanie fand an Fränzchens verschämter Schweigsamkeit und Entrüstung Gefallen. Fränzchen war klein, aber sehr zierlich. Ihre Augen hatten etwas Heiliges. Lange dunkle Wimpern lagen schwärmerisch über den braunen feuchtschimmernden Sternen. Die Haut war, wie Hackert im Gelben Hirsch gesagt hatte, von jenem Wachs, das nicht schön ist, wenn es zu blaß ist und an die Bleichsucht erinnert, aber sehr anziehend, wenn mit ihm dunkle und frische Farbe verbunden. Alle Formen dieser kleinen Schönheit waren im lieblichen Ebenmaß. Melanie beobachtete Das heute zum ersten male. Kleine Gestalten haben den Nachtheil, daß man über ihre Bildung zu flüchtig hinwegsieht und erst nach liebender Betrachtung plötzlich ihres Werthes inne wird.

Laß sie selber sprechen, sagte Melanie zu Jeannetten; Fränzchen weiß, daß ich gern höre, wenn sie glücklich ist.

Wie bin ich denn glücklich? sagte das junge Kind endlich, hab' ich denn schon ein Recht, so dreist zu sein, wie Jeannette? Er wohnt im Vorderhause und kam einige male hinten in den Hof, wo ich beim Tischler Märtens wohne. Er will auf den Namen des alten Märtens hier ein Geschäft errichten von Spiegel- und Bilderrahmen und hat einige male freundlich mit mir gesprochen. Leider gibt es überall soviel Plaudertaschen, wie Jeannette ist... Man hat ihm schon erzählt, was die bösen Wandstablers mit mir im Sinne hatten... die noch ohnedies meine Cousinen sind! Was der Franzose damals zu mir sagte, war so schön und gut, wie wenn es ein Pfarrer spräche und wenn ich mich nicht geschämt hätte...

Nun? fragte Melanie.

Ich hätte... ich hätte ihm alle meine Sünden beichten können! sagte das erregte, glühende Mädchen.

Jeannette brach über diese Worte in lautes Lachen aus, das ihr aber Melanie verwies.

Das ist viel, Fränzchen, sagte Melanie, für einen Mann, der uns den Hof macht, zuviel. Gleich niederknieen vor ihm und anbeten und seine Sünden beichten! Allein man sieht, daß du recht verliebt sein kannst. Was hat er dir denn so Erbauliches gesagt?

Als die plauderhafte alte Märtens, sagte Fränzchen, ihm die Schlechtigkeiten der Wandstablers erzählt hatte, paßte er mir am Abend auf, wie ich von der Arbeit nach Hause kam. Er that zwar, als wenn er mit dem alten Märtens über die größere Tischlerei sprechen wollte, die er auf seinen Gewerbschein betreiben möchte, aber wie er aus dem Hut ein zierliches Rosenbouquet zog und mir in seiner wunderschönen Art zu sprechen sagte: Franchette, so nennt er mich, Franchette, ein Tribut an die Unschuld, ein Geschenk an die Anmuth, die den Stolz der Tugend kennt!.. da wußt' ich doch –

Weiter konnte das gerührte Fränzchen nicht sprechen. Ihre Worte erstickten in Thränen..

Kind! Kind! sagte Melanie und griff ihre Hand und fuhr, sie ermunternd, mit den Worten fort, die sie hatte sagen wollen:

Da wußtest du doch, Fränzchen, daß der galante Pariser – denn das wird es hoffentlich sein – nur deinetwegen und nicht wegen des Gewerbscheins geblieben war. Aber für ein solches Compliment fällt man doch noch vor keinem Mann auf die Kniee und beichtet ihm alle seine Sünden! Es steht ja recht schlimm mit dir!

Jeannette machte Melanien einen gewissen Seitenblick, als wollte sie sagen: der arme Tropf ist närrisch geworden. Und wirklich war Fränzchen in einer so gehobenen feierlichen Stimmung, daß ihr auch Melanie's Zureden gar nicht gefallen wollte. Das war nicht der Ton, der ihr wohl that, Das nicht der Geist, der ihr des Gedankens an jenen Mann würdig schien! Dennoch raffte sie sich zusammen und erzählte weiter:

Ohne Das zu erwähnen, was die alte Märtens ihm gesagt hatte, sprach er ganz zart von den armen Leuten, die wol auch ihren Stolz haben könnten. Er erzählte von einer Schwester, die ihm gestorben wäre, gar jung und sehr unglücklich, unglücklich, nachdem sie ein paar kurze Jahre überglücklich gewesen wäre. Durch die Liebe glücklich! sagte er; denn nicht Gold, nicht Edelstein können ein Weib wahrhaft glücklich machen, sondern nur das Gefühl, geliebt zu werden, und darin wären sie Alle gleich, die Vornehmen und Geringen, die Reichen wie die Armen.

Melanie blickte gerührt und sich getroffen fühlend nieder, während sich Jeannette, um ihren Drang, über diese verliebte Salbung laut zu kichern, zu unterdrücken, auf die Lippen biß und immer so that, als wollte sie sagen: Das dumme Ding ist verrückt!

Franchette, sagte er, fuhr Fränzchen fort, du mußt die Welt nehmen wie einen Spiegel, in dem du dich selber betrachtest. Meine Spiegelrahmen machen mich nicht eitel, sondern sagen mir täglich: Sei aufmerksam auf dich selbst! Wo du irgend etwas erfährst und erlebst, was nicht so beschaffen ist, dir sogleich dein Bild und nur dich, nur dich in voller Reinheit wiederzugeben, da zieh dich zurück, denn es ist Gefahr da. Und wo du etwas erlebst und erfährst und du siehst dich zwar im Geiste leidlich dabei, bist aber nicht so gestaltet, wie du dich sonst lieb hast, gewohnt bist, so fliehe wiederum, denn dann hast du dich zwar nicht schon ganz verloren, aber du bist in Gefahr, es doch für immer zu thun oder eine Gestalt anzunehmen, die nicht mehr deine eigne ist.

Himmel! rief Melanie. Das ist ja ein Pfaff, ein förmlicher Jesuit, der dich katholisch machen will und statt in die Ehe, in ein Kloster praktizirt!

Mir recht! sagte Fränzchen träumerisch. Aber ich denke Nein! Er sprach wenig Gutes von Denen, die Alles von der Demuth verlangen! Er will den Menschen doch recht stolz. Man soll sich nur vor Denen beugen, sagte er noch an dem Abend, die man nachzuahmen wünscht. Wir könnten uns Gott nicht anders vorstellen, als wie einen hochvollendeten, nachahmungswerthen Menschen und deshalb wäre die christliche Religion die beste, weil sie gelehrt hätte, der vollkommenste Mensch wäre Gott.

Fränzchen! Fränzchen! sagte Melanie. Das klingt nun wieder gar wie Ketzerei. Nimm dich doch ja in Acht! Der Teufel nimmt allerlei Gestalten an und in diese französische Maske bist du schon so verliebt, daß ich für meine Falbalas fürchte. Mit der Putzmacherei wird es wol aus sein, Fränzchen! Er wird sich etabliren, dich heirathen und deine Freundin Melanie, die keinen so schönen Franzosen findet, wird nichts zu thun haben, als sich auf ein hübsches Hochzeitgeschenk zu besinnen.

Behüte! antwortete Fränzchen, erglühend und schamgefärbt. Wie könnt' ich daran denken?

Er hat sie ja noch nicht ein einz'ges mal geküßt! fiel Jeannette ein.

Das wird schon noch kommen, meinte Melanie. Wenn die Welt dir jetzt ein Spiegel sein soll, der dir immer sagt, wie weit du bei gewissen Veranlassungen gehen kannst, so erleb' ich, daß du in seinen Augen dich ganz rein und unschuldig erblickst, je näher er dir gekommen ist und jemehr er dich geküßt hat. Er hat gewiß schwarze Augen?

Wie Kirschen! sagte Fränzchen verschämt niederblickend.

Da sieh Einer! rief Melanie, während Jeannette übermäßig lachte und doch eigentlich von einem gewissen Neide berührt wurde; wie Kirschen! Man sieht, daß Ihr schon im Obstgarten bei den Früchten seid! Da werdet Ihr bald an dem Beete stehen, wo die verbotenen wachsen! Fränzchen! Fränzchen! Dein moralischer Franzos gefällt mir. Kann man ihn nicht einmal hierher bestellen, um uns einen Spiegelrahmen zu machen? Versteht sich, nicht von der Sorte, wie deine Augenspiegel sein sollen! Wir haschen ihn dir nicht weg! Einen ordentlichen Rahmen? Was?

Fränzchen schien über die Gefahr, ihren neuen Freund zu verlieren, ganz beruhigt und hielt sich bei den Worten des Fräuleins nur an die Möglichkeit, ihm einen Verdienst zuzuweisen.

Ich will es ihm sagen, antwortete sie, wenn ich ihn wiedersehe.

Siehst du ihn denn nicht täglich? fragte Melanie.

Sie hat ihn seit vorgestern nicht gesehen, die Ärmste! berichtete Jeannette.

O Das ist garstig, sagte Melanie, er vernachlässigt dich schon, nachdem er mit dir eben erst philosophirt hat? Das darf man nicht, oder man ist kalt oder kokett. Auch die Männer sind kokett, Fränzchen...

Fränzchen schüttelte den Kopf und sagte:

Hab' ich denn Ansprüche auf diesen? Jeannette malt Alles anders aus, als es ist. Er wohnt im Hause, kommt oft zu Märtens und ist freundlich gegen mich. Das ist Alles...

Wenn ein Mann mit einem Mädchen so philosophisch gesprochen hat, wie dieser Franzos mit dir vorgestern, sagte Melanie, so ist man ein ganz abscheulicher Mensch, wenn man am folgenden Tag sich nicht wieder sehen läßt. Philosophiren, meine liebe Franziska, ist bei allen Männern das erste Capitel der Liebe..

Er konnte nicht kommen, entschuldigte ihn Fränzchen, die in den Verhältnissen ihres Freundes doch schon bewanderter war, als sie sich den Schein zu geben wagte; ein vornehmer Herr, den er sehr verehrt, war gestern Abend angekommen. Er kennt ihn von Paris und ist die Nacht wol bei ihm geblieben, da er viel mit ihm zu sprechen hätte.

Ein vornehmer Herr?

Ein vornehmer Herr! bestätigte Franziska mit der größten Zuversichtlichkeit.

Melanie lachte laut auf.

Fränzchen! rief sie, was bist du für ein armer Tropf! Gesteh' es nur, du bist mit dem philosophischen Spiegelrahmenmacher viel weiter, als du sagen willst und der Bösewicht, der des Nachts nicht nach Hause kommt, macht dir Windbeuteleien vor. Sag' ihm in meinem Namen: Mein lieber Herr... Wie heißt Er?

Louis!

Louis? Also schon beim Vornamen? Fränzchen! Du bist ein rechter Duckmäuser! Eine Putzmacherin! Wie kann man auch glauben, daß eine Putzmacherin mit einem Franzosen nicht weiter kommen wird als bis zum ersten Capitel der Liebe, bis zur Philosophie!

Er heißt Louis Armand, sagte Fränzchen, geängstigt über die Art, wie ihr diese beiden Mädchen zusetzten.

Also sag' ihm nur! fuhr Melanie fort, die diesen Namen doch schon einmal von Bartusch gehört, aber vergessen hatte; Monsieur Armand, Das sind Flausen! Wer ist Ihr Freund? Ihr vornehmer Freund? Vertheidigen Sie sich, mein Herr! Sie bleiben des Nachts aus! Daran ist eine Nebenbuhlerin, Ihre Untreue, Ihr Wankelmuth Schuld! Schämen Sie sich!

Er hat ihn mir schon genannt, den Freund! sagte Fränzchen kopfschüttelnd. Es ist Jemand, den er in Paris kennen gelernt hat und noch in einer andern Stadt, die ich nicht behalten habe. Diesem zu Gefallen ist er nach Deutschland gegangen. Ich wollt' ihn nicht gern nennen, weil ich dabei an meine Cousinen denken muß, aber es ist Niemand anders als der junge Prinz Hohenberg. Nun werden Sie nicht sagen, daß es Flausen waren! Denn nach dem Prinzen Egon könnt' ich mich bei meinen Cousinen leicht erkundigen und Armand wußte ja auch Alles, was ich mit diesen schon vorgehabt hatte!

Kaum hatte Fränzchen den Namen des Prinzen Egon ausgesprochen, als Melanie blutroth wurde und von Jeannetten, die ihre rasch aufgeschossene Neigung kannte, scharf fixirt, aufsprang. Das Kleid, an dem Fränzchen arbeitete, hatte halb auch auf ihrem Schooße gelegen. Sie streifte es rasch von sich, ungeduldig und überrascht den Namen: Prinz Egon! wiederholend.

Der Prinz ist gestern Abend spät von einer Reise zurückgekehrt? sagte sie.

Armand erwartete ihn mit Ungeduld schon seit einigen Tagen, antwortete Fränzchen.

Er war in Hohenberg, auf dem Schlosse seines Vaters und hat auch mit Eurem Onkel, dem Förster Heunisch, gesprochen?

O Das wäre ein Glück für den Onkel, fiel Fränzchen lebhaft ein. So wird er in seinem Amte bleiben! Da er nicht verheirathet ist, der gute Onkel, so hat er mir versprochen, mich zu seiner Erbin zu machen. Doch mag er noch lange leben! Zu jeder Weihnacht schickt er mir einen Dukaten.

Wußte Armand nicht, ob der Prinz in Hohenberg war? wiederholte Melanie mit großer Dringlichkeit.

Davon hat er nichts gesagt, erwiderte Fränzchen. Wo sollt' er aber anders gewesen sein? Ich denk' es mir so. Er ist vor vierzehn Tagen hier von Paris angekommen, hat sich ganz still in einem Gasthofe eingemiethet... Armand suchte einen Meister seines Gewerbes auf, bei dem er zwei Zimmer miethete, eins zum Wohnen, eins für seine Muster und Proben...

Aber warum wohnt er nicht bei dem Prinzen in seinem großen und prächtigen Palais? fragte Melanie.

Das hab' ich im Scherz ihn auch gefragt. Aber ganz ernst gab er mir die Antwort: Der Prinz ist mein Gönner! Vielleicht sind wir sogar Freunde! Aber es ist besser, daß Jeder in seiner Sphäre bleibt. Die Fürsten wohnen in Palästen und die Tischler in Werkstätten!

Und doch blieb er die Nacht dort?

Vielleicht, weil der Prinz spät ankam. Er wird schon wieder in die Wallstraße No. 14 eine Treppe hoch zurückkommen.

Melanie machte jetzt ihrem Besuche im Garderobezimmer ein Ende.

Fränzchen, sagte sie zum Abschied, dein Franzos ist ein Phrasenmacher! Die philosophischen Schwätzer wollen Alles, nur keine ordentliche, gerichtlich bescheinigte, priesterlich eingesegnete Heirath. Sei auf deiner Hut! Wenn er wieder einen Rosenstrauß aus seinem Hute zieht und nicht wenigstens von Liebe spricht – falls du so großmüthig sein willst, ihm das Heirathen zu schenken – so sag' ihm nur, solche verblümte Magister hätten wir in Deutschland genug und überhaupt bei einer Putzmacherin müsse man sich mit Winkelzügen in Acht nehmen. Die wüßten sehr bald, was echt und was Flitter ist! Den Besatz da, Kindchen, setz mir etwas höher! Wenigstens drei Finger breit! Verstehst du? Und nun Adieu und vertragt Euch besser!

Damit ließ Melanie die beiden Arbeiterinnen allein. Fränzchen wird Jeannetten wahrscheinlich den Vorwurf der Indiscretion machen und diese wahrscheinlich einen neuen Beweis ihrer Plauderhaftigkeit dadurch geben, daß sie ihr über den Prinzen Egon und seine hohenberger Abenteuer mancherlei zuflüstern wird, was sie besser thäte, im Interesse ihrer von Sehnsucht und Zärtlichkeit für Dankmar gefolterten Herrin zu verschweigen.

Melanie, haltlos, schwankend, aufgelöst, ging in die vorderen Zimmer zurück. Auf allen Uhren des Hauses sah sie, daß es gegen Eins war. Noch immer kein Lebenszeichen von Dem, was in diesen Tagen sie so gewaltig erregt hatte! Sie litt furchtbar. Sie hatte sich längst darauf gefaßt gemacht, daß irgend eine Verwechselung stattgefunden und dennoch kamen immer wieder neue Anzeichen zum Vorschein, daß jener junge Mann, der sich für den Bruder des Malers Wildungen ausgab, nur Prinz Egon war. Und wenn er es nicht war, so stand er in nächster Beziehung zum Prinzen! Mit Aufopferung jeder Rücksicht hatte sie ihnen Beiden einen Dienst geleistet, für den sie Anerkennung, Dankbarkeit, Enthusiasmus wenigstens, wenn nicht Liebe verlangen durfte! Hatte ihre übermüthige Laune auch vielleicht nur die Gelegenheit benutzen wollen, einem eingebildeten lächerlichen alten Herrn einen muthwilligen Streich zu spielen, so war doch das Mitergebniß desselben eine große Gefälligkeit für den Prinzen gewesen. Und von alledem schien nun nichts gewesen zu sein, nichts bot sich zur Wiederanknüpfung dar als höchstens eben die ihr sonderbar klingende Mittheilung, die ihr durch einen Diener vom Parterre herauf gemacht wurde, der Herr Justizrath ließe ihr sagen, sie möchte diesen Abend ihre Gegenwart an Niemanden vergeben als an ihn, sie möchte mit ihm zur Geheimräthin von Harder fahren, die sie kennen zu lernen wünsche...

Im Begriff zur Mutter zu gehen und ihr diese Auffoderung des Vaters mitzutheilen, hörte sie in dem Zimmer derselben laut und angelegentlich sprechen. Die Mutter hatte Besuch. Es war die Stimme eines älteren Herrn, die sie kannte, aber nirgend hinzubringen wußte. Fremden Menschen, die mit ihrer gegenwärtigen Erregung in keiner Verbindung standen, jetzt zu begegnen, war ihr unmöglich. Sie warf sich ungeduldig auf ein Canapé des Nebenzimmers, sprang nach einem kurzen Augenblick der Ruhe wieder auf, sah in den Spiegel, sah zum Fenster hinaus, horchte wieder an der Thür, ergriff ein in der Nähe liegendes Buch, las eine Viertelseite, warf es wieder weg und verging fast in der Pein der Ungeduld. Endlich glaubte sie die Stimme des Sprechers zu erkennen. Sie war zu fest, zu feierlich, als daß ihr nicht zuletzt einfallen sollte, wer es war. Sie glaubte sich nicht zu täuschen, wenn sie annahm, daß diese Stimme dem Propste Gelbsattel gehörte. Und obgleich es ihr Religionslehrer und Beichtiger war, so würde sie sich doch nicht entschlossen haben, in's Zimmer der Mutter einzutreten, wenn nicht plötzlich die Namen Hohenberg, Fürstin Amanda, Plessener Pfarrei an ihr Ohr gedrungen wären. Jetzt öffnete sie rasch und trat ein.

Propst Gelbsattel hatte schon den Hut in der Hand und wollte sich eben von der Mutter, die eine eifrige Besucherin seiner Predigten war, empfehlen. Seiner Absicht, den Justizrath zu sprechen, kam die Meldung entgegen, daß dieser ihn unten bereits erwarte....

Propst Gelbsattel war eine hohe stattliche Figur, wohlgenährt und vom Lampenlicht der Studien seit Jahren schon nicht mehr angedämmert. Er hätte äußerlich durch seine imponirende Würde wol gut zu den Worten Veranlassung geben können: Auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen! Schon längst hatte sich bei ihm die Gottesgelahrtheit mit dem Studium der Welt so verbunden, daß er mehr einem Hofmanne als einem Geistlichen geglichen hätte, wenn nicht sein noch immer schwarzes glänzendes Haar in einen Scheitel gekämmt gewesen wäre, dessen beide gleiche Seiten, ziemlich lang über's Ohr gestrichen, gar heilig niederflossen. Dieses einzige Merkmal schlichter Sitte erinnerte an die fromme Bestimmung seines Berufes. Sonst war er von gewandten, wenngleich immer würdigen Weltformen, scherzte mit Grazie, ohne ausgelassen zu werden, sprach über alle Vorkommnisse des Lebens, ohne den Schein übergroßer Vertraulichkeit anzunehmen. Seine Reden hielten Viele für mustergültig. Sie waren nach einem immer gleichen Schema gearbeitet und rafften Mancherlei in die Betrachtung der Kanzel, was weniger mit dem Christenthume, als mit einer allgemeinen Lebensphilosophie überhaupt zusammenhing. Er galt für biblisch, ohne daß er sich im Orthodoxen zu weit erging. Ein leiser Anflug von Pietismus fehlte nicht, ohne daß er darum die Vernunft herabsetzte. Er hatte so seine eigene Art, allen Parteien zu gefallen. Die Vornehmen und Reichen strömten auch seinen Vorträgen, die er wohlweislich nur alle vierzehn Tage hielt, in großer Hingebung zu. Obgleich er bei der ersten alten Pfarrkirche der Stadt angestellt und überhaupt der erste Geistliche der Commune war, so kam doch regelmäßig auch der Hof zu ihm und gab den Ton an, sich allgemein durch Propst Gelbsattel das christliche Gewissen wecken und rühren zu lassen.

Aber nicht nur auf der Kanzel war seine Wirksamkeit eine bedeutende, nicht nur durch seine Seelsorge für die vornehme weibliche Jugend und die Beichtbeflissenen behauptete er einen großen Einfluß in der Gesellschaft, sondern ebensosehr auch durch seine rege Antheilnahme an fast jeder Frage, die, in welchem Gebiete es auch sei, das allgemeine Interesse der Residenz in Anspruch nahm. Die Stadt selbst bediente sich seiner zum Entwurfe von Addressen; denn man bewunderte die Geschliffenheit und lapidare Wucht seines Stils. Der Hof unternahm nie etwas, was artistisch oder irgendwie geistig in's öffentliche Leben treten sollte, ohne Gelbsattel zu Rathe gezogen zu haben. Orden schmückten seine Brust, wie einen Minister. In der Verwaltung der Schule und des Kirchenwesens hatte er Sitz und Stimme. Seine Gutachten entschieden über das Schicksal mancher erledigten Professur und ihre neue Besetzung. Ein gelehrtes Werk behauptete er schon lange unter der Feder zu haben, das ihm auch nach einem veröffentlichten Probestück den Eintritt in die Akademie des Landes, die sogenannte »Societät der höheren Wissenschaften« gesichert hatte. Aber nicht nur das Wissenschaftliche und Künstlerische hatte sich diesen hervorragenden Mann zu einer entscheidenden Instanz gewählt, sondern auch in Communalangelegenheiten aller Art war er heimisch, ja bis zur gelegentlichen Begutachtung von Brunnen- und Kanalanlagen. Die Residenz war seine Vaterstadt. Er hatte ihre Alterthümer durchforscht. Er war wirklich im Stande, über die frühere Geschichte derselben kundigst zu sprechen und kannte alle kleinen Heimlichkeiten des Stadtlebens, um auf diesem Gebiete immer etwas Schlagendes, Sach- und Fachgemäßes beizubringen. Kurz man mag den vielen Gegnern, die ein so hochgestellter Herr, namentlich auf seinem kirchlichen Gebiete und neuerdings durch die ihm viel zu üppig auf sein Gebiet eingreifende »innere Mission« finden mußte, auch in vieler Hinsicht Recht geben, darin würde man ungerecht sein, wollte man die gewaltige Rührsamkeit und praktische Umsicht dieses stolzen Kirchenlichtes irgend verkennen. Um Gelbsattel recht schlagend zu bezeichnen, könnte man sagen, der Propst war auf dem Gebiete der Kirche, was der Heidekrüger Justus auf dem der Politik war.. Der große Mann!

Als Gelbsattel sein wildes Beichtkind, Melanie, begrüßt hatte, war er außerordentlich freundlich und drohte ihr recht schelmisch mit dem Zeigefinger, daß sie so selten die Johanniskirche besuchte... Und noch am letzten Sonntage, sagte er, hab' ich über die Vergänglichkeit alles Eiteln gesprochen, mein schönes Kind!

Ich war leider, sagte Melanie, an diesem Tage von der Vergänglichkeit meiner Schönheit in einem Orte tief überzeugt, den ich Sie eben habe nennen hören, Herr Propst, in Hohenberg. Kennen Sie Hohenberg?

Denke dir, sagte die Mutter, die Frage unterbrechend.. Guido Stromer! Er macht wirklich wahr, was er beim Abschied äußerte...

Was ist mit ihm?

Er will in die Stadt versetzt sein.

Und Fräulein Melanie, sagte der Propst, ist gewiß das hüpfende Irrlicht, das ihn hierher verlockte. Kann ich zugeben, daß er mir eine so brave Beichtbefohlne raubt und mir wie ein Wolf in meinen Schafstall bricht?

Ein so reicher Hirt! sagte Melanie. Geben Sie ihm getrost ein Paar von Ihren doch verlorenen Seelen ab! Ich versichre Ihnen: Er predigt nicht so gut, als er spricht! Wirklich, gibt es nicht irgendwo eine offne Nachmittagspredigerstelle? Ich will mich, weil ich Guido Stromer lieb habe, mitten unter die alten Spittelfrauen setzen, die wahrscheinlich doch allein seine Gemeinde bilden werden?

Weil Sie ihn lieb haben? rief der Propst mit seiner sonoren Stimme. Da werd' ich eifersüchtig! Wie? Meine vernunftklare, durchsichtige, krystallne Melanie will zu einem Pietisten der alten Schule? Nein, meine kleine Sünderin! Diese Methode, Sie zu bessern, hat sich überlebt.

Pietist? erwiderte Melanie. Guido Stromer Pietist? Herr Propst, ich glaube, Sie irren sich! Der Plessner Pfarrer ist nichts weniger als Pietist.

Aha! antwortete schmunzelnd der freundliche Herr, dessen Falten immer glätter wurden; vor Ihnen schwankte der starre Dogmatiker! Haben Sie dochwol nicht unter vier Augen einen Tartüffe, einen »innern Missionär«, in ihm erkannt?

Ich berufe mich auf das Zeugniß meiner Mutter, sagte Melanie. Stromer hatte vor uns Allen kein Hehl, daß über ihn eine ebensolche Revolution gekommen wäre wie über die Staaten. Er hat jetzt entdeckt, daß im Regenbogen wirklich sieben Farben blinken! Ja sogar die Kunst ließ er gelten und meinte, die griechischen Götter wären zu früh von der Erde verschwunden. Wenigstens vermuth' ich, daß Das seine Gedanken waren, als er von der Leda hörte oder, wie Se. Excellenz, Herr von Harder, die Dame nannte, von der Lady, und so lange schwieg und grübelte...

Gelbsattel lachte über die Kunstkenntniß des genannten Hofmanns und äußerte dann:

Haben Sie Kunstgeschichte mit dem Stromer getrieben? Machen Sie denn Alles verwirrt? Die Maler und die Seelenhirten? Nein, nein, diesen vertrockneten alten Pietisten, der mit der Fürstin Amanda von Morgens bis Abends gebetet hat und sich recht in dem Extreme der Momiers oder wie wir diese Form der Gläubigkeit unter dem Namen der Mucker erlebten, gefiel, diesen sollen Sie mir nicht auf Bilder bringen, die man vom Kunstverein aus Rücksichten ankaufen oder empfehlen muß, schon um die neue, vielgestaltige Melusine in jeder Form ihrer Zaubereien zu haben. Nein, nein, der bleibt in Hohenberg und sorgt dort ein wenig besser für die Schulen, als er bisher gethan hat. Er schreibt von Zerstreuung, unglücklicher Zerrissenheit und Zweifelsucht. Er soll Seidenzüchter werden, wie andre Pfarrer thun! Brav Maulbeerbäume anpflanzen, Seidenwürmer hegen und Cokons gewinnen! Die Regierung zahlt ja dafür nicht nur die höchsten Preise, sondern theilt auch Denen, die sich in der Seidenzucht auszeichnen, Medaillen aus! Ich kann ihm nicht anders schreiben, als: Guido Stromer! Hübsch Seidenwürmer ziehen! Doch ich eile zum Justizrath, mit dem ich dringende Geschäfte habe. Und wenn ich nächstens von der Kanzel spreche, hoffe ich Fräulein Melanie mir vis à vis zu sehen. Ich werde über jenen Spruch reden, über den wir uns einmal erzürnt haben, wissen Sie wol noch, Fräulein? Vor wieviel Jahren war Das?

Erzürnt? fiel die Mutter ein, die aufgestanden war, um dem Propste das Geleite zu geben...

Lassen Sie sich's nur von ihr erzählen! Dem holden Mädchen! Sie weiß es schon! Sie wird ganz roth! Ganz roth! Adieu meine Damen! Ha, ha! Auf Wiedersehen!

Damit küßte der Propst der Mutter die Hand. Die Tochter litt diese Huldigung nicht, sondern kehrte ihm schmollend den Rücken.

Als Gelbsattel hinunter stieg zum Vater, fragte die Mutter, was Das für ein Streit gewesen wäre?

Ach! sagte sie, ich bin wenig in der Laune, an diese alten Thorheiten zu denken. Ich sollte im Confirmationsunterrichte einmal den Spruch hersagen: Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht! Alle schnatterten, obgleich sie im Geheimen kicherten, den Spruch nach, nur ich weigerte mich und war durch nichts dahin zu bringen, ihn zu wiederholen. Ich glaube gar, ich ging soweit, ihn für einen dummen Spruch zu erklären, da anständigen Mädchen niemals einfallen würde, bösen Buben nachzugehen, wenn diese auch noch soviel lockten! Darüber gab es denn viel Gelächter von den Mädchen und soviel Zorn von Seiten des Propstes, daß wir hart aneinander geriethen und ich meinen Shawl und Hut nahm und davon lief. Hackert, der mich abholen sollte, wartete schon und wie ich vor Ärger weinte, meinte der in seiner trockenen Art: Es wäre für junge Mädchen doch der beste Spruch in der ganzen Bibel, nur müßten die Pfaffen gleich aufrichtig erklären, daß unter den bösen Buben Leutnants und Referendare zu verstehen wären! Ich bin damals mit Hackert, der mich in die Stunden bringen sollte, zweimal lieber in's Feld hinausgegangen, nur um nicht wieder in die Lage zu kommen, den garstigen Spruch herzusagen.

Die Mutter gedachte gerührt, aber auch erschreckt der alten Zeiten!... Melanie aber hörte mit Verzweiflung, daß es nun voll ein Uhr schlug!


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